Titel:
Kein Schadensersatz wegen angeblicher Abschalteinrichtungen
Normenkette:
BGB § 826
Leitsätze:
1. Ein Automobilhersteller handelt gegenüber den Fahrzeugkäufern sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, die mit einer Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgaswerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abgezielt wird. Ein solches Verhalten steht einer arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber gleich. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand, und bei denen Gesichtspunkte des Motors respektive des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen ausreichender Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei dem Hersteller in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss in dieser Situation, selbst wenn man von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung ausginge, eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch den Hersteller in Betracht gezogen werden. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
arglistige Täuschung, Prüfstanderkennung, Bauteilschutz, Abschalteinrichtung, Thermofenster
Fundstelle:
BeckRS 2022, 32455
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages.
Der Streitwert wird festgesetzt auf 11.910,66 EUR.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aufgrund deliktischer Produktmanipulation.
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Der Kläger erwarb am 15.9.2017 ein Fahr zeug der Marke Opel, Typ Astra K Sports Tourer Dynamic 1.6 CDTI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer gebraucht, mit einem Kilometerstand von 21.913 km zu ei nem Kaufpreis von 16.850.- EUR. Der Kilometerstand zum 14.10.2022 betrug 130.499 km. Das Fahrzeug soll ausweislich der Herstellerangaben die Schadstoffklasse Euro 6 erfüllen. Für das streitgegenständliche Fahrzeug veröffentlichte das Kraftfahrtbundesamt (KBA) am 17.2.2022 einen Rückrufbescheid mit der KBA-Referenznr. 011422. Als Grund für den Zwangsrückruf gab das KBA an: „Unzulässige Abschalteinrichtung bzw. unzulässige Reduktion der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems“. Die Abgasreinigung im streitgegenständlichen Fahrzeug erfolgt mittels einer Abgasrückführung (AGR) sowie einer Abgasnachbehanidung in Form eines sogenannten NOx-Speicherkatalysators. Die Beklagte hat den Rückrufbescheid des Kraftfahrtbundesamtes mit Rechtsmitteln angegriffen. Dieser ist nicht bestandskräftig.
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Der Kläger behauptet, im streitgegenständlichen Fahrzeug seien illegale Abschalteinrichtungen des Emissionskontrollsystems verbaut. Einerseits werde in Abhängigkeit u.a. von Umgebungsluftdruck, Temperatur und Motorendrehzahl und Last das Emissionskontrollsystem in seiner Wirkungsweise verringert. Die Abgasreinigung wechsle zudem aufgrund einer Softwarefunktion nach 1180 Sekunden nach Motorstart in einen anderen Betriebsmodus, einem „schmutzigen Abgasmodus“. Es sei eine Manipulation des On-Bord-Diagnose-Systems vorhanden, so dass keine Fehlermeldungen im Bordcomputer des Fahrzeuges angezeigt würden, trotz eines Stichoxydausstoßes von weit mehr als 80 Milligramm pro Kilometer. Schließlich sei eine Softwarefunktion vorhanden, die bewirke, dass die Abgasreinigung abhängig von der Außentemperatur in ihrer Wirksamkeit verringert werde (sog. Thermofenster). Es sei schließlich ein System verbaut, dass den Prüfstand erkenne. Denn die in der Steuerungssoftware hinterlegten Größen orientierten sich an der NEFZ-Regelung und die Abschalteinrichtungen würden aktiv werden, wenn NEFZ-Prüfbedingungen während des Straßenbetriebs geschaffen/gefahren würden. Gerade dies falle unter den Begriff Prüfstandserkennung. Der Verbau illegaler Abschalteinrichtungen im streitgegenständlichen Fahrzeug werde durch Messungen der Deutschen Umwelthilfe bestätigt sowie durch Abgasmessungen der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes. Ebenso ergäben sich Anhaltspunkte für das Verbauen illegaler Abschalteinrichtungen aus Gutachten
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei 16.850.- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 5.576,80 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Opel, Typ Astra K Sports Tourer Dynamic 1.6 CDTI mit der Fahrgestellnummer W0L zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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Sie behauptet, im streitgegenständlichen Fahrzeug sei weder eine Prüfstands- noch eine Prüfzykluserkennung verbaut. Das im streitgegenständlichen Fahrzeug implementierte Emissionskontrollsystem arbeite sowohl unter Prüfstandbedingungen als auch im Straßenbetrieb im Wesentlichen gleich. Der Vortrag des Klägers hinsichtlich einer Abschalteinrichtung, die 1180 Sekunden nach Motorstart in einen anderen Betriebsmodus schalte, sei ins Blaue hinein erfolgt und entbehre jeglicher Grundlage. Im Übrigen hält die Beklagte die seitens des Klägers in Bezug genommenen Gutachten für nicht einschlägig, da sich diese auf andere Fahrzeuge der Beklagten beziehen würden. Auch die Messungen der Deutschen Umwelthilfe, auf die der Kläger Bezug nimmt, seien nicht geeignet, den klägerischen Vortrag zu stützen, da diese augenscheinlich außerhalb des gesetzlichen Prüfprogrammes erhoben worden seien. Ebenfalls ins Blaue hinein behauptet worden sei eine Manipulation des On-Board-Diagnose-Systems, welches keine Manipulationen aufweise, sondern ordnungsgemäß funktioniere.
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Im Übrigen wird auf die wechselseitigen Schriftsätze Bezug genommen.
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Die Parteien haben sich mit Schriftsatz vom 23.6.2022 (Kläger) sowie mit Schriftsatz vom 9.9.2022 (Beklagte) mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt. Mit Beschluss vom 12.9.2022 hat das Gericht angeordnet, dass gem. § 128 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden wird. Als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht und bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, hat das Gericht den 14.10.2022 bestimmt.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Schadensersatz zu.
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1. Ein Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung durch die Beklagte gem. § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB besteht nicht.
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a. Sittenwidrig i.S.d. § 826 BGB ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es dabei auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 29.9.2021, Az.: VII ZR 223/20). So handelt ein Automobilhersteller gegenüber den Fahrzeugkäufern sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, die mit einer Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgaswerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abgezielt wird. Ein solches Verhalten steht einer arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber gleich (BGH, Urteil vom 25.11.2021, Aktenzeichen 7 ZR 257/20). Nach diesen Maßstäben kann ein sittenwidriges Handeln eines Fahrzeugherstellers dann angenommen werden, wenn das vom Fahrzeughersteller in Verkehr gebrachte Fahrzeug über ein dem Dieselmotor des VW-Konzerns mit der Bezeichnung EA 189 vergleichbares System der Prüfstanderkennung mit einer durch eine Umschaltlogik gesteuerten Abgasreinigung verfügen würde.
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b. Hierfür hat der Kläger jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte dargetan.
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Dem Vortrag der Beklagten, dass das im streitgegenständlichen Fahrzeug implementierte Emissionskontrollsystem sowohl auf dem Prüfstand als auch im Straßenbetrieb im Wesentlichen gleich arbeite, ist der Kläger nicht substantiiert entgegen getreten. Bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand, und bei denen Gesichtspunkte des Motors respektive des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen ausreichender Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss in dieser Situation, selbst wenn man mit dem Kläger von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung ausginge, eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten zu 2 in Betracht gezogen werden (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19). Umstände, die das in Frage stellen würden, sind vom Kläger weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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aa. Sein Vortrag bezüglich des Vorhandenseins einer illegalen Abschalteinrichtung, die nach 1180 Sekunden nach Motorstart die Abgasnachbehandlung reduziere sowie bezüglich des Vorhandenseins einer Manipulation des Onboard-Diagnose-Systems erweist sich als Vortrag ins Blaue hinein. Konkrete Anhaltspunkte, bezogen auf das streitgegenständliche Fahrzeug, woraus sich die Annahme ergeben soll, hat der Kläger nicht vorgetragen.
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bb. Soweit der Kläger darüber hinaus darauf abstellt, dass der Verbau eines sogenannten Thermofensters eine illegale Abschalteinrichtung darstelle, kann dies, selbst unterstellt, dass diese Einschätzung des Klägers in rechtlicher Hinsicht nicht zuträfe, nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung keinen Schadensersatzanspruch wegen sittenwidriger Schädigung i.S.d. § 826 BGB begründen (BGH, NJOZ 2021,1517).
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cc. Die seitens des Klägers als Indizien für das Vorliegen einer illegalen Abschalteinrichtung in Bezug genommenen Sachverständigengutachten können den Vortrag des Klägers insoweit nicht weiter substantiieren, da sie sich nicht auf das streitgegenständliche Fahrzeug beziehen, sondern auf Fahrzeuge mit einem sogenannten SCR-Katalysator und somit auf eine andere Emissionstechnik.
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dd. Auch hinsichtlich der seitens des Klägers ins Feld geführten Messungen verschiedener Organisationen was die Überschreitung der Grenzwerte für den Stickoxidausstoß betrifft, ist festzustellen, dass diese außerhalb des gesetzlichen Prüfprogramms erhoben wurden und nicht mit den dort vorausgesetzten Rahmenbedingungen in Einklang zu bringen sind. Insoweit können sie keine Indizwirkung für das Vorliegen einer illegalen Abschalteinrichtung entfalten (BGH, Beschluss vom 15.9.2021, Aktenzeichen VII ZR 2/21).
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ee. Ebenfalls nicht substantiiert dargetan hat der Kläger, dass die Beklagte im Hinblick auf das streitgegenständliche Fahrzeug die zuständige Typgenehmigungsbehörde über das Vorliegen von illegalen Abschalteinrichtungen getäuscht hat.
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Dem steht nicht entgegen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug unstreitig von einem amtlichen Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes betroffen ist. Denn einerseits ist dieser Rückruf ebenso unstreitig nicht bestandskräftig, da er von der Beklagten angefochten worden ist. Des Weiteren würde auch allein das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung, welche zu einem Rückruf geführt hat, für sich genommen nicht ausreichen, um das Verhalten der Beklagten als sittenwidrig i.S.d. § 826 BGB zu qualifizieren (BGH, Beschluss vom 29.9.2021, Aktenzeichen VII ZR 223/20). Denn bei einem Emissionskontrollsystem, welches nicht wie im Motor EA 189 des Volkswagenkonzerns erkennt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet, setzt die Annahme von Sittenwidrigkeit jedenfalls voraus, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und dass sie den darin liegenden Gesetzesverstoß billigen in Kauf nahmen (BGH NJW 2021, 921). Dafür, dass dies im vorliegenden Fall erfolgt ist, hat der Kläger keine hinreichenden Anhaltspunkte vorgetragen.
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2. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den §§ 6, 27 EG-FGV besteht nicht.
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Diese Vorschriften stellen keine Schutzgesetze i.S.d. § 823 BGB dar, die den Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts eines Fahrzeugerwerbers, also das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, bezwecken (BGH, Urteil vom 14.12.2021, Aktenzeichen 6 ZR 676/20). Hierzu führen auch die jüngsten Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-100/21 nicht zu einer abweichenden Bewertung.
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Zwar betrifft dieses Vorabentscheidungsverfahren einem deliktischen Schadensersatzanspruch wegen eines Thermofensters. Die Frage nach der Einordnung als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB haben jedoch nationale Gerichte zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 10.2.2022, Aktenzeichen 3 ZR 87/21).
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3. Der Kläger kann sein Begehren auch nicht auf einen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB stützen.
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Wie vorstehend erörtert, ist nicht festzustellen, dass die für die Beklagte handelnden Personen hier objektiv sittenwidrig gehandelt haben. Anhaltspunkte dafür, dass diese Personen vorsätzlich und in Täuschungsabsicht gehandelt haben, hat der Kläger ebenso nicht substantiiert dargetan.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO. Der Streitwert wurde gem. § 3 ZPO bestimmt.