Titel:
Schadensersatzansprüche wegen vermeintlicher illegaler Abschalteinrichtungen
Normenketten:
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Leitsätze:
1. Wenn der Fahrzeughersteller im Typgenehmigungsverfahren erforderliche Angaben zu den Einzelheiten der parametergesteuerten Abgasreinigung unterlässt, ist die Genehmigungsbehörde nach dem dort geltenden Amtsermittlungsgrundsatz gehalten, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine sekundäre Darlegungslast der Beklagtenseite kommt nur ausnahmsweise und unter ganz besonderen tatsächlichen Umständen zum Tragen, setzt dann aber voraus, dass der Anspruchsteller zumindest hinreichende, greifbare Anhaltspunkte hierfür dargelegt hat. Es bleibt auch im Rahmen der sekundären Darlegungslast bei dem Grundsatz, dass keine Partei verpflichtet ist, dem Gegner die für den Prozesssieg benötigten Informationen zu verschaffen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Norm ist dann als Schutzgesetz anzusehen, wenn sie nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Daran gemessen liegt das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich der § 6, § 27 EG-FGV. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abschalteinrichtung, Motorschutz, Rückruf, Abgasreinigung, Schutzgesetz
Fundstelle:
BeckRS 2022, 32454
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um Schadensersatz im Hinblick auf einen vom Kläger erworbenen und von der Beklagten hergestellten PKW Opel Astra 1,6 CDTI Sports Tourer Baujahr 2014 mit Abgasnorm Euro 6.
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Im August 2018 kaufte der Kläger das Fahrzeug gebraucht mit 116.954 km zum Preis von 8.800 € bei ....
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Die Laufleistung am 12.10.2022 betrug 197.488 km. Für die teilweise Fremdfinanzierung entstanden dem Kläger Kosten i.H.v. 956,43 €.
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Die Beklagte entwickelte ein Update für die Motorsteuerung zur Verbesserung der Abgasreinigung, welches vom Kraftfahrtbundesamt am 25.9.2021 freigegeben wurde, woraufhin die Beklagte einen freiwilligen Rückruf veranlasste. Das Kraftfahrtbundesamt ordnete schließlich am 2.12.2021 einen verpflichtenden Rückruf an, weil sie die sehr enge Bedatung der Abgasreinigung als illegale Abschalteinrichtung und für den Motorschutz nicht erforderlich bewertete. Dieser Pflichtrückruf ist aufgrund Anfechtung der Beklagten noch nicht bestandskräftig.
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Der Kläger behauptet im Wesentlichen, dass die Motorsteuerung zur Regulierung der Abgasreinigung unter Heranziehung diverser Parameter so eng bedatet worden sei, dass die Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten würden. Das Fahrzeug sei zudem mit einer Umschaltlogik ausgestattet, welche den Prüfstand erkenne und nur dort die Abgasreinigung so steuere, dass die Abgasgrenzwerte eingehalten werden. Die Zulassungsbehörde sei hierüber beim Zulassungsverfahren getäuscht worden, da anderenfalls keine Typgenehmigung erteilt worden wäre. Die Beklagte habe die illegale Abschalteinrichtung in Kenntnis ihrer Unzulässigkeit bewusst verbaut, um billiger produzieren zu können und die Stickoxidgrenzwerte auf dem Prüfstand einzuhalten.
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Der Kläger hätte das Fahrzeug nicht gekauft, wenn er von der illegalen Abschalteinrichtung und einer deshalb drohenden Stilllegung des Fahrzeugs gewusst hätte.
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Der Kläger ist der Auffassung, er habe deshalb deliktische Ansprüche auf Schadensersatz in Gestalt der Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs zuzüglich Rückzahlung des Finanzierungsaufwands wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB).
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Der Kläger hat beantragt,
1. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, an die Klagepartei 7.369,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf diesen Betrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen Zug um Zug gegen [hilfsweise: nach] Herausgabe des Fahrzeugs Opel Astra Sports Tourer mit der Fahrzeugidentifikationsnummer W0L nebst Fahrzeugschlüssel.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des unter Ziffer 1 genannten Fahrzeugs nebst Fahrzeugschlüssel in Annahmeverzug befindet.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei die Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei das unter Ziffer 1 genannte Fahrzeug dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge [hilfsweise: der Stickoxide] im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr, zu ersetzen.
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Die Beklagte hat beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte bestreitet, dass die Bedatung der Abgassteuerung mittels diverser Parameter enger, als aus Motorschutzgründen erforderlich ausgeführt worden und daher illegal sei. Die Abgassteuerung arbeite auf dem Prüfstand in gleicher Weise wie im normalen Straßenbetrieb und es sei keine Umschaltlogik verbaut, welche den Prüfstandbetrieb erkenne und dann automatisch eine stärkere Abgasreinigung ausführe. Jedenfalls sei keine Täuschung der Zulassungsbehörde hinsichtlich der Abgasreinigung erfolgt und habe kein Bewusstsein der Unternehmensverantwortlichen hinsichtlich einer Unzulässigkeit der Steuerung der Abgasreinigung bestanden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Hauptverhandlungsprotokoll vom 13.10.2022 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Es kann dahinstehen, ob die parametergesteuerte Abgasreinigung zu eng bedatet und nicht aus Motorschutzgründen in allen Bereichen erforderlich ist, wie dies vom Kraftfahrtbundesamt in dem noch nicht rechtskräftigen Rückrufbescheid angenommen wurde, so dass sie unzulässig ist. Die bloße Verwendung einer illegalen Abschalteinrichtung genügt nämlich nach der Rechtnicht, um eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung zu bejahen.
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Weitere hinzutretende Umstände, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen, sind nicht substantiiert und mehr als ins Blaue hinein dargetan. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die Typ-Genehmigungsbehörde über bestimmte Tatsachen im Zusammenhang mit der parametergesteuerten Abgasreinigung getäuscht haben könnte.
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Selbst wenn die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren - erforderliche - Angaben zu den Einzelheiten der parametergesteuerten Abgasreinigung unterlassen haben sollte, wäre die Genehmigungsbehörde nach dem dort geltenden Amtsermittlungsgrundsatz gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug zu prüfen. Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden, legt die Klageseite nicht dar, sondern spekuliert nur.
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2. Auch der Vortrag der Klägerseite zum Vorliegen einer illegalen Abschalteinrichtung in Gestalt einer Umschaltlogik, welche vergleichbar dem Motor EA 189 von V. den Prüfstandbetrieb erkennt und auf diesem automatisch in eine verbesserte Abgasreinigung schaltet, um allein auf dem Prüfstand die Stickoxidwerte einzuhalten, ist völlig pauschal und unsubstantiiert.
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Zitierte Vergleichsmessungen der Deutschen Umwelthilfe sind diesbezüglich völlig unbehelflich, denn dass sich die Abgaswerte auf dem Prüfstand von denen im Normalbetrieb unterscheiden, ist durchaus erwartbar, weshalb aus Gründen der Vergleichbarkeit der Werte zum Zulassungszeitpunkt auch allein die Prüfstandwerte nach den gesetzlichen Vorgaben maßgeblich waren.
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Außerdem ist der amtlichen Auskunft des Kraftfahrtbundesamts vom 26.7.2022 (Anl AOG-3) zu entnehmen, dass trotz der dort erfolgten Untersuchung keinerlei Hinweis auf das Vorliegen einer Umschaltlogik gefunden werden konnte.
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Einer Beweisaufnahme zur Feststellung, ob eine illegale Abschalteinrichtung in Gestalt einer Umschaltlogik verbaut ist, bedurfte es daher nicht, denn diese wäre auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinausgelaufen.
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Auch für eine sekundäre Darlegungslast der Beklagtenseite ist insoweit kein Raum, denn eine solche kommt nur ausnahmsweise und unter ganz besonderen tatsächlichen Umständen zum Tragen, setzt dann aber voraus, dass der Anspruchsteller zumindest hinreichende, greifbare Anhaltspunkte hierfür dargelegt hat (OLG München, NJW-RR 2019, 1497, 1500 Rn. 44; vgl. auch BGH, Urteil vom 17. Dezember 2014 - IV ZR 90/13 -, Rn. 20, juris). Es bleibt auch im Rahmen der sekundären Darlegungslast bei dem Grundsatz, dass keine Partei verpflichtet ist, dem Gegner die für den Prozesssieg benötigten Informationen zu verschaffen (Zöller/Greger, ZPO, 33. Auflage 2020, vor § 284 Rn. 34).
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3. Auch aus den §§ 823 Abs. 2 i.V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 EG-FGV ergibt sich kein Anspruch.
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Unabhängig davon, ob die Beklagte diese Vorschrift verletzt hat, fehlt ihr der von § 823 Abs. 2 BGB vorausgesetzte Schutzgesetzcharakter. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Norm als Schutzgesetz anzusehen, wenn sie nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Bei Vorschriften, die - wie hier die §§ 6, 27 EG-FGV - Richtlinien umsetzen, kommt es nach der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung insoweit maßgeblich auf den Inhalt und Zweck der Richtlinie - hier der RL 2007/46/EG - an (vgl. BGH, EuGH-Vorlage vom 09.04.2015, VII ZR 36/14). Den Erwägungsgründen (2), (4) und (23) zufolge bezweckt diese Richtlinie die Vollendung des Binnenmarkts und dessen ordnungsgemäßes Funktionieren. Darüber hinaus sollen die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisiert und spezifiziert werden, wobei die Rechtsakte vor allem auf eine hohe Verkehrssicherheit, hohen Gesundheitsund Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung abzielen (Erwägungsgrund (2) der Richtlinie). Weder an diesen Stellen noch unter den anderen Erwägungsgründen der Richtlinie lässt sich demgegenüber ein Hinweis dafür finden, dass der Richtliniengeber darüber hinaus den Schutz des einzelnen Fahrzeugerwerbers bzw. -besitzers gegen Vermögensbeeinträchtigungen im Blick hatte. Auch der nationale Gesetzgeber hat in der Begründung zur EG-FGV (Seite 36 der BR-Drucks. 190/09) in Übereinstimmung damit ausführt, dass die Richtlinie dem Abbau von Handelshemmnissen und der Verwirklichung des Binnenmarktes der Gemeinschaft dienen und die EG-FGV darüber hinaus zur Rechtsvereinfachung und zum Bürokratieabbau beitragen soll (so jeweils LG Braunschweig, Urteil vom 27.10.2017 - 3 O 136/17; Urteil vom 10.01.2018 - 3 O 622/17; Urteil vom 17.01.2018 - 3 O 3447/16; Urteil vom 14.02.2018 - 3 O 1915/17).
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Der Bundesgerichtshof hat auch diese Rechtsauffassung inzwischen mehrfach aktuell bestätigt (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI 252/19, Rn. 72 ff.; Urteil vom 30.07.2020 - VI 5/20, Rn. 10 ff.; BGH, Urteil vom 08.12.2020 - VI ZR 244/20 sowie BGH, Beschluss vom 09.03.2021 - VI ZR 889/20) weil das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, weder im Aufgabenbereich der vorgenannten Vorschriften noch des Art. 5 VO (EG) 715/207 liegt.
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4. Ansprüche aus § 823 Abs. 2, § 31 BGB, § 263 StGB scheiden mangels Täuschung und zudem deswegen aus, weil es an der erforderlichen Stoffgleichheit zwischen dem auf Seiten des Klägers erlittenen Vermögensschaden und dem von der Beklagten vermeintlich erstrebten Vermögensvorteil fehlt (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20).
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Schließlich fehlt es jedenfalls am Vorsatz. Eine vorsätzliche Täuschung ist nicht feststellbar.
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Die Annahme der Beklagten, dass es sich bei der in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten parametergesteuerten Abgasreinigung nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt, stellt in jedem Fall zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs eine zulässige Auslegung des Gesetzes dar, sodass die Verantwortlichen nicht mit dem Vorsatz handelten, den Kläger über eine Eigenschaft des Fahrzeugs zu täuschen und ihm dadurch einen Vermögensschaden zuzufügen.
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Zumindest besteht kein tatsächlicher Anhalt für einen Täuschungsvorsatz. Wenn die Beklagte davon ausgeht, es handele sich beim Einsatz der parametergesteuerten Abgasreinigung nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung, so ist dies aus den nachfolgenden Erwägungen unter juristischen Gesichtspunkten zumindest gut vertretbar.
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Nach der Legaldefinition in Art. 3 Nr. 10 der einschlägigen VO (EG) 715/2007 für Typengenehmigungen von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen ist eine Abschalteinrichtung „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“. Der Begriff des Emissionskontrollsystems ist in der Verordnung nicht definiert.
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Die Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen regelt Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007. Dieser lautet: „Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. Dies ist nicht der Fall, wenn:
a) die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten;
b) die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist;
c) die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind.“
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Nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 715/2007 ist die Verwendung einer Abschalteinrichtung also zulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Auf diese Erlaubnisgründe beruft sich die Beklagte im vorliegenden Fall.
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Die Norm ist nicht zwingend dahingehend auszulegen, dass Abschalteinrichtungen zum Motorschutz nur dann „notwendig“ sein können, wenn keine andere konstruktive Lösung möglich ist, auch wenn diese erheblich teurer sein sollte. Gegen eine solche Auslegung spricht der Aufbau des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 sowie dessen Zweck (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 - 10 U 134/19). Denn gemäß Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 2007/715 sind Fahrzeuge vom Hersteller so auszurüsten, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Darüberhinausgehende Anforderungen werden von der Verordnung nicht vorgegeben. Abschalteinrichtungen sind generell unzulässig und nur im in der Verordnung in Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 beschriebenen Ausnahmefall erlaubt. Art. 5 Abs. 2
S. 2 a) VO (EG) 715/2007 will danach nicht die Entwicklung aufwändigerer Konstruktionen eines Motors vorgeben, sondern für Motoren, die grundsätzlich den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 genügen, zum Schutz vor Beschädigung oder Unfall und für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs einen Handlungsspielraum in Form einer ansonsten verbotenen Abschalteinrichtung einräumen. Diesem Ziel der Norm, den Fahrzeugherstellern ausnahmsweise eine konstruktive Freiheit einzuräumen, würde es widersprechen, dem Wort „notwendig“ in Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 715/2007 einen eigenen, unter Umständen sogar über die Anforderung des Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 hinausgehenden Konstruktionsauftrag der Verordnung zu entnehmen. Mit dem Wort „notwendig“ wird lediglich klargestellt, dass die Abschalteinrichtung dem Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall und dem sicheren Betrieb dienen muss und eine reine Zweckmäßigkeit nicht genügt, sondern sie dafür erforderlich sein muss (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 - 10 U 134/19).
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Sieht man Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 aber nicht als Verpflichtung der Autohersteller an, Motoren zu entwickeln, die nur im äußersten Notfall eine Abschalteinrichtung benötigen, sondern von seinem Sinn und Zweck her eine Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten der Autohersteller zum Schutz der von ihnen im Einklang mit Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 tatsächlich entwickelten und verwendeten Motoren, so erscheint die Annahme, es liege keine unzulässige Abschalteinrichtung vor, sogar mehr als nur gut vertretbar (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 - 10 U 134/19).
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Auch der verbindliche behördliche Rückruf der streitgegenständlichen Fahrzeugbaureihe, welcher zudem noch nicht bestandskräftig ist, kann lediglich ein Indiz für die objektive Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung darstellen. Sollte entgegen den vorstehenden Erwägungen tatsächlich eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen, so hätte die Beklagte die Rechtslage allenfalls fahrlässig verkannt. In diesem Fall fehlt es am erforderlichen Schädigungsvorsatz.
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6. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.