Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 31.08.2022 – 7 UF 161/22
Titel:

Gesonderte interne Teilung des Grundrentenzuschlags

Normenketten:
VersAusglG § 10, § 18 Abs. 2
SGB VI § 97a
Leitsätze:
1. Es handelt sich bei dem sogenannten Grundrentenzuschlag nicht um ein nach § 10 Abs. 2 VersAusglG verrechenbares, sondern um ein bei der internen Teilung gesondert auszuweisendes Anrecht vergleichbar den Entgeltpunkten in der allgemeinen Rentenversicherung (Ost).   (Rn. 8)
2. Die Bagatellregelung (§ 18 Abs. 2 VersAusglG) soll dem Versorgungsträger einen durch die Teilung des Anrechts entstehenden unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand ersparen und Splitterversorgungen vermeiden. Der Gesetzgeber hat dem Familiengericht im Hinblick auf den Nichtausgleich geringfügiger Anwartschaften in § 18 Abs. 2 VersAusglG ein Ermessen eingeräumt, wobei wegen des regelmäßigen Nichtausgleichs besondere Gründe für einen Ausgleich sprechen müssen. Ein in der Rechtsprechung anerkannter Grund für einen Ausgleich trotz Geringwertigkeit des Anrechts besteht daher dann, wenn der Ausgleich nur einen geringen Verwaltungsaufwand erfordert, weil der Versorgungsträger ohnehin Umbuchungen auf den Konten vornehmen muss. Bei der Grundrente ändert auch der Umstand nichts, dass gem. § 97a Abs. 1 SGB VI eine Einkommensfeststellung zu treffen ist, denn der hierdurch veranlasste Verwaltungsaufwand ist, aufgrund des automatisierten Abrufs, gering.    (Rn. 16 – 18 und 20)
Schlagworte:
Geringwertigkeit des Anrechts besteht daher dann, wenn der Ausgleich nur einen, geringen Verwaltungsaufwand erfordert, weil der Versorgungsträger ohnehin, Versorgungsausgleich, gesetzliche Rentenversicherung, Grundrentenzuschlag, Ausgleichsreife, Einkommensanrechnung, geringwertiges Anrecht
Vorinstanz:
AG Würzburg, Endbeschluss vom 13.07.2022 – 7 F 118/22
Fundstellen:
FamRZ 2023, 516
BeckRS 2022, 32411
LSK 2022, 32411

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Deutschen Rentenversicherung ... wird der Endbeschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Würzburg vom 13.07.2022 in Ziffer 2. im zweiten Absatz abgeändert und ergänzt wie folgt:
Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung ... (Versicherungsnummer: …) zugunsten des Antragstellers ein Anrecht in Höhe von 1,7788 Entgeltpunkten auf das vorhandene Konto … bei der Deutschen Rentenversicherung ..., bezogen auf den 31.01.2022, übertragen.
Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung ... (Versicherungsnummer …) zugunsten des Antragstellers ein Anrecht in Höhe von 0,2068 Entgeltpunkten für langjährige Versicherung auf das vorhandene Konto … bei der Deutschen Rentenversicherung ..., bezogen auf den 31.01.2022, übertragen.
2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.851,00 Euro festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht - Familiengericht - Würzburg hat mit Endbeschluss vom 13.07.2022 die Ehe der Ehegatten geschieden und den Versorgungsausgleich durchgeführt. Dabei hat es im Wege der internen Teilung zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung ... zu Gunsten des Antragstellers ein Anrecht in Höhe von 1,9856 Entgeltpunkten übertragen und dabei die Anrechte aus der Auskunft der Deutschen Rentenversicherung vom 29.06.2022 zusammengerechnet (allgemeine Versorgung und Zuschlag für langjährige Versicherung). Vom Anrecht der Antragsgegnerin bei der Leipziger Pensionskasse sind dem Antragsteller im Wege interner Teilung 7.005,29 Euro zuzüglich einer Ausgleichsquote von 215,94 Euro als Kapital übertragen worden. Vom Anrecht des Antragstellers in der gesetzlichen Rentenversicherung wurden der Antragsgegnerin 3,3269 Entgeltpunkte übertragen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss Bezug genommen.
2
Gegen die ihr am 18.07.2022 zugestellte Entscheidung hat die Deutsche Rentenversicherung ... mit am 03.08.2022 beim Amtsgericht eingegangenem Schreiben vom selben Tag Beschwerde eingelegt. Zur Begründung wird ausgeführt, dass in der mit Schreiben vom 29.06.2022 erteilten Auskunft für die Antragsgegnerin ein Ausgleichswert von 1,7788 Entgeltpunkten sowie ein Ausgleichswert von 0,2068 (Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung) mitgeteilt worden sei. Das Familiengericht habe die mitgeteilten Entgeltpunkte offensichtlich addiert, was nicht erfolgen dürfe.
3
Die übrigen Beteiligten haben sich hierzu nicht geäußert.
II.
4
Die gem. §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde der Deutschen Rentenversicherung ... führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung wie tenoriert.
5
Nach der von den Beteiligten nicht beanstandeten Auskunft der Deutschen Rentenversicherung ... vom 29.06.2022 hat die Antragsgegnerin ein Anrecht in der allgemeinen Rentenversicherung mit einem Ehezeitanteil von 3,5576 Entgeltpunkten, einem Ausgleichswert von 1,7788 Entgeltpunkten und einem korrespondierenden Kapitalwert von 12.870,66 Euro sowie ein weiteres Anrecht durch einen Zuschlag an Entgeltpunkten mit einem Ehezeitanteil von 0,4136 Entgeltpunkten, einem Ausgleichswert von 0,2068 Entgeltpunkten und einem korrespondierenden Kapitalwert in Höhe von 1,496,32 Euro erworben.
6
1. Das Anrecht mit dem zutreffend vorgeschlagenen Ausgleichswert von 1,7788 Entgeltpunkten ist intern zu teilen gem. § 10 VersAusglG durch Übertragung auf das vorhandene Konto des Antragstellers (ebenfalls) bei der Beschwerdeführerin.
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2. Auch das weitere Anrecht der Antragsgegnerin in Höhe des ehezeitanteiligen Zuschlags an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung ist intern zu teilen.
8
a. Dieser Ausgleich erfolgt, worauf die Beschwerdeführerin zutreffend hingewiesen hat, gesondert. Es handelt sich bei dem sogenannten Grundrentenzuschlag nicht um ein nach § 10 Abs. 2 VersAusglG verrechenbares, sondern um ein bei der internen Teilung gesondert auszuweisendes Anrecht vergleichbar den Entgeltpunkten in der allgemeinen Rentenversicherung (Ost), wie sich aus § 120f Abs. 2 Nr. 3 SGB VI ergibt (vgl. Bachmannn in Hauck / Noftz, SGB VI, Stand Juni 2021, § 120f SGB VI Rn 3a; OLG Nürnberg, Beschluss vom 6. Mai 2022 - 11 UF 283/22 -, Rn. 10, juris; OLG Braunschweig, Beschluss vom 30. Mai 2022 - 2 UF 66/22 -, Rn. 12, juris).
9
b. Dem Versorgungsausgleich steht insoweit fehlende Ausgleichsreife des Anrechts i.S.v. § 19 Abs. 2 Ziff. 3 VersAusglG, weil der Ausgleich für den Antragsteller unwirtschaftlich wäre, nicht entgegen. Fehlende Ausgleichsreife wegen Unwirtschaftlichkeit läge vor, wenn der Antragsteller aus der Übertragung von Grundrentenentgeltpunkten aufgrund der Einkommensanrechnung gem. § 97a SGB VI keine Versorgung erhalten könnte.
10
Dies lässt sich zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. Norpoth/Sasse in: Erman BGB, Kommentar, § 19 Fehlende Ausgleichsreife, Rn. 2; BT-Drs. 16/10144 S. 62) hier nicht sicher beurteilen. Weder steht fest, dass der Antragsteller bereits jetzt über Anwartschaften verfügt, die im Rahmen der Einkommensanrechnung eine Rentenleistung aus dem Grundrentenzuschlag zwingend in Wegfall kommen lassen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 13. Juni 2022 - 7 UF 183/21 -, juris), noch lässt sich dies derzeit mit der erforderlichen Sicherheit für die Zukunft prognostizieren (vgl. dazu OLG Frankfurt, Beschluss vom 25. Mai 2022 - 7 UF 4/22 -, juris).
11
Nach den vorliegenden Auskünften hat der Antragsteller bis 31.01.2022 insgesamt 11,9399 Entgeltpunkte in der allgemeinen Rentenversicherung erworben. Infolge des Versorgungsausgleichs verliert er insgesamt 1,3413 Entgeltpunkte (er muss 3,3269 Entgeltpunkte an die Antragsgegnerin abgeben, und erhält von ihr 1,9856 Entgeltpunkte), so dass ihm 10,5986 Entgeltpunkte verbleiben. Bei einem aktuellen Rentenwert von derzeit 36,02 € ergibt sich daraus ein Rentenanspruch in Höhe von 381,76 €, der den in § 97a Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 SGB VI geregelten Betrag für Alleinstehende zur 60%-Anrechnung (36,56 x 36,02 aktueller Rentenwert = 1316,89 Euro aufgerundet) weit unterschreitet.
12
Es kann auch nicht vorhergesehen werden, ob der Antragsteller in den verbleibenden ca. sieben Erwerbsjahren (nach derzeit geltender Regelaltersgrenze) diesen Betrag erreichen wird. Dies ist rein spekulativ. Soweit in der Rechtsprechung (OLG Frankfurt, B. v. 25.05.2022, 7 UF 4/22 - juris) eine Hochrechnung bis zum voraussichtlichen Renteneintritt über einen Zeitraum von immerhin 16 Jahren für ausreichend erachtet wird, um die Voraussichtlichkeit des Nichterhalts von Rentenzahlungen aus dem übertragenen Anrecht festzustellen, weil dies trotz einer Rentenlücke zum Zeitpunkt der Entscheidung von 423,66 Euro (bei Rentenwert 34,19 Euro) bei einem deutlich über dem Durchschnittsentgelt aller Versicherten liegenden Arbeitsentgelt „sehr wahrscheinlich“ sei, kann dahingestellt bleiben, ob dem zu folgen ist. Bei unveränderten Umständen spricht hierfür bereits keine naheliegende Wahrscheinlichkeit, da innerhalb der Kürze der Erwerbsjahre und der erheblichen Lücke eine Anrechnung nicht zu erwarten ist.
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c. Von dem Ausgleich ist auch nicht nach § 18 Abs. 2 VersAusglG abzusehen.
14
Das Anrecht ist geringwertig i.S.v § 18 Abs. 3 VersAusglG, da der korrespondierende Kapitalwert für den Ausgleichswert von 0,2068 Entgeltpunkten lediglich 1.496,32 € beträgt und damit unter der Geringfügigkeitsschwelle des § 18 Abs. 3 VersAusglG, die im Jahr des Ehezeitendes 2022 3.948,00 € betragen hat, liegt.
15
Da es sich um ein gesondertes Anrecht eigener Art handelt, vergleichbar mit Entgeltpunkten (Ost), ist § 18 Abs. 2 VersAusglG für die Geringfügigkeitsprüfung anwendbar (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 6. Mai 2022 - 11 UF 283/22 -, Rn. 8, juris).
16
Der Gesetzgeber hat dem Familiengericht im Hinblick auf den Nichtausgleich geringfügiger Anwartschaften in § 18 Abs. 2 VersAusglG ein Ermessen eingeräumt, wobei wegen des regelmäßigen Nichtausgleichs besondere Gründe für einen Ausgleich sprechen müssen. Dieses Ermessen hat das Amtsgericht vorliegend nicht ausgeübt, denn es hat - aus seiner Sicht zurecht - keinerlei Ausführungen zum Anrecht der Antragsgegnerin bezüglich des Zuschlags an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung vorgenommen. Das Beschwerdegericht ist zu einer eigenen Ermessensentscheidung befugt (vgl. BGH, 12.10.2016, XII ZB 372/16, juris Rn 8) und übt sein Ermessen dahingehend aus, dass das geringfügige Anrecht der Antragsgegnerin intern zu teilen ist.
17
Sinn und Zweck der Bagatellregelung ist es, dem Versorgungsträger einen durch die Teilung des Anrechts entstehenden unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand zu ersparen und Splitterversorgungen zu vermeiden. Bei der Ermessensentscheidung sind die Belange des Versorgungsträgers und das Interesse des ausgleichsberechtigten Ehegatten an der dem Halbteilungsgrundsatz innewohnenden gleichmäßigen Teilhabe gegeneinander abzuwägen, wobei auch einzubeziehen ist, dass dem Halbteilungsgrundsatz erhebliches Gewicht zukommt, er der grundlegende Maßstab der Entscheidung ist und dass eine Abweichung davon besonderer Rechtfertigung bedarf (BGH, Beschluss vom 30. November 2011 - XII ZB 344/10 -, Rn. 40, juris).
18
Ein in der Rechtsprechung anerkannter Grund für einen Ausgleich trotz Geringwertigkeit des Anrechts besteht daher dann, wenn der Ausgleich nur einen geringen Verwaltungsaufwand erfordert, weil der Versorgungsträger ohnehin Umbuchungen auf den Konten vornehmen muss (vgl. BGH, 30.11.2011, XII ZB 344/10, juris Rn. 42 zum Ausgleich von Entgeltpunkten (Ost)).
19
So verhält es sich hier, da die beiderseitigen Anrechte der Beteiligten in der allgemeinen Rentenversicherung nach der erstinstanzlichen Entscheidung ohnehin ausgeglichen werden.
20
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass gem. § 97a Abs. 1 SGB VI auf den Rentenanteil aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung Einkommen des Berechtigten und seines Ehegatten angerechnet wird, was auf Seiten des Ausgleichsberechtigten eine ansonsten nicht anzustellende Einkommensfeststellung erfordert. Der hierdurch veranlasste Verwaltungsaufwand erscheint aber unter Berücksichtigung von § 97a Abs. 2, 6 SGB VI, wonach die jährliche Einkommensanrechnung zunächst nur unter Berücksichtigung von Einkommen nach Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und 2 durchzuführen ist und als Einkommen nach Satz 1 Nummer 1 und 2 grundsätzlich die von den Trägern der Rentenversicherung nach § 151b automatisiert abzurufenden Festsetzungsdaten zugrunde zu legen sind, als gering. Ein erheblicher Verwaltungsaufwand wird von der Beschwerdeführerin auch nicht geltend gemacht. Diese rügt lediglich die Zusammenrechnung der beiden Anrechte, aber nicht den Ausgleich als solchen.
21
Es entspricht daher vor dem Hintergrund des Halbteilungsgrundsatzes der Billigkeit, das geringfügige Anrecht der Antragsgegnerin bezüglich des Zuschlags an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung in den Versorgungsausgleich miteinzubeziehen und zugunsten des Antragstellers intern zu teilen.
22
Ausgehend vom aktuellen Rentenwert ist die monatliche Rente von 7,07 Euro hieraus auch nicht wirtschaftlich bedeutungslos.
23
Der angefochtene Beschluss war deshalb in Ziffer 2. Abs. 2 abzuändern.
III.
24
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 150 Abs. 1, Abs. 3 FamFG, 20 FamGKG.
25
Die Festsetzung des Verfahrenswertes für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus §§ 40, 50 Abs. 1 FamGKG, ausgehend von dem vom Amtsgericht festgestellten, in drei Monaten erzielten Gesamteinkommen der beteiligten geschiedenen Ehegatten in Höhe von 9.255 Euro und - wie vorstehend ausgeführt - zwei in der Beschwerde zu überprüfenden Anrechten.
26
Die Rechtsbeschwerde wird gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 2 FamFG zugelassen, da das OLG Nürnberg in der Einkommensprüfung gem. § 97a SGB VI einen erheblichen Verwaltungsaufwand sieht, der die Anwendung des § 18 Abs. 2 VersAusglG rechtfertigt und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.