Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 18.08.2022 – 7 UF 151/22
Titel:

Voraussetzung für die interne Teilung des sogenannten Grundrentenzuschlags.

Normenkette:
VersAusglG § 9, § 10 Abs. 2, § 13
Leitsätze:
1. Es handelt sich bei dem sogenannten Grundrentenzuschlag nicht um ein nach § 10 Abs. 2 VersAusglG verrechenbares, sondern um ein bei der internen Teilung gesondert auszuweisendes Anrecht vergleichbar den Entgeltpunkten in der allgemeinen Rentenversicherung (Ost).   (Rn. 14)
2. Im Versorgungsausgleich bedarf es für die Annahme einer Unwirtschaftlichkeit iRd § 19 Abs. 2 Ziff. 3 VersAusglG einer hohen Prognosesicherheit, die nur dann vorliegt, wenn die zu erwartende Entwicklung nahezu sicher ist. Soweit auf die aktuellen Rentenanwartschaften des Ausgleichsberechtigten abgestellt wird, ist dieser Schluss jedenfalls für das erste Jahr nach Renteneintritt nicht gerechtfertigt. Nach § 97 a Abs. 2 S. 2 SGB VI ist das Einkommen des vorvergangenen Kalenderjahres für die Anrechnung zugrunde zu legen. Für den Zeitraum unmittelbar nach Renteneintritt kommt es für die Anrechnung deshalb auf das unmittelbar vor Renteneintritt erzielte Einkommen an, das aufgrund der Auskunft über die zu erwartende Rente nicht zu prognostizieren ist.   (Rn. 23)
Schlagworte:
Rentenanwartschaften des Ausgleichsberechtigten abgestellt wird, ist dieser Schluss, Grundrentenzuschlag, Unwirtschaftlichkeit, Prognosesicherheit, Renteneintritt
Vorinstanz:
AG Bad Kissingen, Beschluss vom 04.07.2022 – 002 F 423/20
Fundstellen:
FamRZ 2023, 516
LSK 2022, 32409
BeckRS 2022, 32409

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Deutschen Rentenversicherung ... wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bad Kissingen vom 04.07.2022 in Ziffer 2 Absatz 2 abgeändert und ergänzt:
Im Weg der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung ... (VersNr. …) zugunsten des Antragstellers ein Anrecht in Höhe von 6,1536 Entgeltpunkten auf das vorhandene Konto … bei der Deutschen Rentenversicherung ..., bezogen auf den 31.08.2020, übertragen.
Im Weg der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung ... (VersNr. …, Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung) zugunsten des Antragstellers ein Anrecht in Höhe von 0,8892 Entgeltpunkten auf das vorhandene Konto … bei der Deutschen Rentenversicherung ..., bezogen auf den 31.08.2020, übertragen.
2. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.505,60 € festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht Bad Kissingen hat mit Beschluss vom 04.07.2022 die Ehe der beteiligten Ehegatten geschieden und den Versorgungsausgleich durchgeführt, soweit dieser nicht wegen einer notariellen Vereinbarung der Ehegatten vom 29.06.2022 ausgeschlossen worden war. Hinsichtlich des von der Antragsgegnerin bei der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Anrechts erging dabei folgende Entscheidung:
2
Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (Vers. Nr. …) zugunsten des Antragstellers ein Anrecht in Höhe von 7,0428 Entgeltpunkten auf das vorhandene … bei der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern, bezogen auf den 31.08.2020, übertragen.
3
Vom Anrecht des Antragstellers waren 15,7862 Entgeltpunkte übertragen worden. Dieser hat bisher insgesamt 40,994 Entgeltpunkte erworben und zuletzt ca. 52.000 Euro brutto im Jahr verdient. Er ist am … geboren.
4
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Auskunft des beteiligten Versorgungsträgers sowie auf Tenor und Gründe des Beschlusses vom 04.07.2022 verwiesen.
5
Gegen die ihr am 14.07.2022 zugestellte Entscheidung legte die Deutsche Rentenversicherung Bund mit am 21.07.2022 beim Familiengericht eingegangenem Schreiben Beschwerde ein und beantragt, die Entscheidung abzuändern.
6
Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Antragsgegnerin in der Ehezeit ein Anrecht mit einem Ehezeitanteil von 12,3072 Entgeltpunkten erworben habe. Der Ausgleichswert belaufe sich demnach auf 6,1536 Entgeltpunkte. Das Amtsgericht habe ein getrenntes Anrecht in Höhe von 1,7784 Entgeltpunkten (Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung) hinzuaddiert, dies sei aber ein getrenntes und eigenständiges Anrecht, welches mit einem Ehezeitanteil von 1,7784 Entgeltpunkten bestehe. Dieses Anrecht müsse gesondert intern geteilt werden.
7
Der Antragsteller ist mit der beantragten Abänderung einverstanden. Die Antragsgegnerin äußerte sich nicht.
II.
8
Die nach §§ 58 ff, 217 ff FamFG zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Deutschen Rentenversicherung Bund ist begründet und führt zur Abänderung der Entscheidung des Familiengerichts vom 04.07.2022.
9
Der Senat hat von einer mündlichen Erörterung der Sache (§ 221 Abs. 1 FamG) in der Beschwerdeinstanz nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG abgesehen, da hiervon bei den gegebenen Umständen keine weitergehenden entscheidungserheblichen Erkenntnisse (§ 26 FamFG) zu erwarten waren.
10
1) Grundsätzlich sind im Versorgungsausgleich nach § 1 VersAusglG alle in der Ehezeit (hier: …) erworbenen Anteile von Anrechten jeweils zur Hälfte zwischen den geschiedenen Ehegatten zu teilen.
11
2) Gemäß § 9 Abs. 2 VersAusglG sind die von den Ehegatten in der Ehezeit erworbenen Anrechte in der Regel nach den §§ 10 bis 13 VersAusglG intern zu teilen. Die interne Teilung nach §§ 10 ff VersAusglG entspricht dem früheren Splitting und der Realteilung und ist deswegen die regelmäßige Ausgleichsform (Grüneberg / Siede, 81. Auflage, 2022, VersAusglG § 10 Rn. 1).
12
3) Die Antragsgegnerin hat nach der Auskunft vom 21.04.2022 in der Ehezeit ein Anrecht mit einem Ehezeitanteil von 12,3072 Entgeltpunkten erworben. Der Ausgleichswert beläuft sich demnach auf 6,1536 Entgeltpunkte.
13
Daneben muss der Auskunft des Versorgungsträgers folgend auch das von der Antragsgegnerin erworbene - eigenständige - Anrecht mit einem Ehezeitanteil von 1,7784 Entgeltpunkten (Zuschlag für langjährige Versicherung) nach § 10 Abs. 1 VersAusglG hälftig geteilt werden. Zu Gunsten des Antragstellers errechnet sich ein weiterer Ausgleichswert von 0,8892 Entgeltpunkten.
14
4) Dieser Ausgleich erfolgt, worauf die Beschwerdeführerin zutreffend hingewiesen hat, gesondert. Es handelt sich bei dem sogenannten Grundrentenzuschlag nicht um ein nach § 10 Abs. 2 VersAusglG verrechenbares, sondern um ein bei der internen Teilung gesondert auszuweisendes Anrecht vergleichbar den Entgeltpunkten in der allgemeinen Rentenversicherung (Ost), wie sich aus § 120f Abs. 2 Nr. 3 SGB VI ergibt (vgl. Bachmannn in Hauck / Noftz, SGB VI, Stand Juni 2021, § 120f SGB VI Rn 3a; OLG Nürnberg, Beschluss vom 6. Mai 2022 - 11 UF 283/22 -, Rn. 10, juris; OLG Braunschweig, Beschluss vom 30. Mai 2022 - 2 UF 66/22 -, Rn. 12, juris).
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5) Das Anrecht besteht bereits, obwohl es später (aufgrund der Anrechnung von Einkommen) in Wegfall kommen könnte (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG).
16
Hinreichend verfestigt sind Anrechte, die durch die künftige Entwicklung des Inhabers nicht mehr beeinträchtigt werden können und bereits endgültig gesichert sind. Nicht hinreichend verfestigt sind Anrechte dann, wenn der Bestand des Anrechts dem Grund oder der Höhe nach noch nicht feststeht, weil der Erwerbsvorgang entweder noch nicht abgeschlossen ist oder das Anrecht in seinem Bestand noch wegfallen kann (Norpoth/Sasse in: Erman, BGB, Kommentar, § 19 Fehlende Ausgleichsreife, Rn. 4).
17
Der Bestand des Anrechts ist fest, da die Einkommensanrechnung das Stammrecht nicht verdrängt (Ruland, NZS 2021, 241, 248). Das Anrecht besteht, da die Antragsgegnerin die Voraussetzungen erfüllt. Dieses ist hinreichend gesichert und kann nicht im Bestand wegfallen. Lediglich durch die Einkommensanrechnung kann dieses (wegen Wegfall der vom Gesetzgeber gesehenen Bedürftigkeit) durch die Anrechnung aufgezehrt werden. Der Bestand an sich bleibt dabei aber unangetastet. Die Frage, ob das Anrecht aufgezehrt wird, ist bei jedem Ehegatten getrennt zu betrachten, wenn ein Ausgleich im Rahmen des Versorgungsausgleichs erfolgt. Den Bestand des Rechts berührt diese Anrechnung jedoch nicht.
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6) Auch fehlende Ausgleichsreife des Anrechts im Sinn von § 19 Abs. 2 Ziff. 3 VersAusglG steht dem Ausgleich des Grundrentenzuschlags vorliegend nicht entgegen.
19
Fehlende Ausgleichsreife wegen Unwirtschaftlichkeit läge vor, wenn der Antragsteller aus der Übertragung von Grundrentenentgeltpunkten aufgrund der Einkommensanrechnung gem. § 97a SGB VI keine Versorgung erhalten könnte.
20
Dies lässt sich zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. Norpoth/Sasse in: Erman BGB, Kommentar, § 19 Fehlende Ausgleichsreife, Rn. 2; BT-Drs. 16/10144 S. 62) hier nicht beurteilen. Weder steht fest, dass der Antragsteller bereits jetzt über Anwartschaften verfügt, die im Rahmen der Einkommensanrechnung eine Rentenleistung aus dem Grundrentenzuschlag zwingend in Wegfall kommen lassen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 13. Juni 2022 - 7 UF 183/21 -, juris), noch lässt sich dies derzeit mit der erforderlichen Sicherheit für die Zukunft prognostizieren (vgl. dazu OLG Frankfurt, Beschluss vom 25. Mai 2022 - 7 UF 4/22 -, juris).
21
Nach den vorliegenden Auskünften hat der Antragsteller bis zum 31.08.2020 insgesamt 40,9994 Entgeltpunkte in der allgemeinen Rentenversicherung erworben. Infolge des Versorgungsausgleichs verliert er insgesamt 8,7434 Entgeltpunkte (er muss 15,7862 Entgeltpunkte an die Antragsgegnerin abgeben, und erhält von ihr 7,0428 Entgeltpunkte), so dass ihm 32,2506 Entgeltpunkte verbleiben. Bei einem aktuellen Rentenwert von derzeit 36,02 € ergibt sich daraus ein Rentenanspruch in Höhe von 1.161,66 €, der den in § 97a Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 SGB VI geregelten Betrag für Alleinstehende zur 60%-Anrechnung (36,56 x 36,02 aktueller Rentenwert = 1.316,89 Euro aufgerundet) unterschreitet.
22
Es kann allerdings nicht vorhergesehen werden, ob der Antragsteller in den verbleibenden Erwerbsjahren diesen Betrag tatsächlich erreichen wird. Die erforderliche Voraussehbarkeit für die fehlende Teilhabe an dem zu übertragenden Anrecht kann vorliegend nicht durch Hochrechnung der bisher durchschnittlich erworbenen Anwartschaften festgestellt werden. Dazu sind die noch zu erzielenden Anwartschaften auch bei einem Jahresentgelt von zuletzt etwa 52.000 Euro brutto zu umfangreich und die zu betrachtende Zeitspanne bis zum voraussichtlichen Renteneintrittsalter zu groß.
23
Zwar mag hierfür bei unveränderten Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit sprechen, da in etwa 3,5 Jahren der Grenzbetrag erreicht sein dürfte (Lücke: 36,56-32,2506 = 4,3094 Entgeltpunkte, bei durchschnittlich 1,25 Entgeltpunkten pro Jahr). Die an die Feststellung der Unwirtschaftlichkeit zu stellenden Anforderungen erfüllt dies gleichwohl nicht. Die Annahme der Unwirtschaftlichkeit bedarf einer begründeten Feststellung. Eine insoweit erforderliche Prognose muss zuverlässige Grundlagen haben. Auch die Möglichkeit der freiwilligen Beitragszahlung in die gesetzliche Rentenversicherung steht dieser Prognose entgegen (OLG Dresden FamRZ 2013, 41), solange nicht festgestellt werden kann, dass der hierfür erforderliche Kapitaleinsatz nicht zur Verfügung stehen wird oder diese Möglichkeit der Beitragsentrichtung wegen des bereits begonnenen Vollrentenbezuges (§ 7 Abs. 2 SGB VI) nicht mehr bestehen kann.
24
Nach Einschätzung des Senats kann die weitere Einkommensentwicklung beim Antragsteller daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit prognostiziert werden, um von einer Aufzehrung der möglichen Rente aus dem Anrecht aus dem zu übertragenden Grundrentenzuschlag ausgehen zu können. Zumal die zukünftige Entwicklung mit der Unsicherheit belastet ist, dass sich jede Änderung im Berufsleben (etwa gesundheitlich oder durch Änderung des Arbeitgebers) auswirken kann. Eine sichere Prognose kann über einen Zeitraum von etwa 12 Jahren nicht getroffen werden.
25
7) Das Anrecht ist auch erkennbar nicht geringwertig i.S.v § 18 Abs. 3 VersAusglG, da der korrespondierende Kapitalwert für den Ausgleichswert von 0,8892 Entgeltpunkten 6.706,78 Euro beträgt und damit über der Geringfügigkeitsschwelle des § 18 Abs. 3 VersAusglG liegt, die vorliegend (Ehezeitende: 2020) 3.822,00 € betragen hat.
III.
26
Die Kostenentscheidung beruht auf § 20 Abs. 1 Satz 1 FamGKG, 150 Abs. 1 FamFG.
27
Die Festsetzung des Wertes für das Beschwerdeverfahren richtet sich nach §§ 40, 50 FamGKG. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts betrug das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Ehegatten zum Zeitpunkt des Verfahrensbeginns 12.528 €. Da in der Beschwerdeinstanz zwei Anrechte zu überprüfen waren, ist der Verfahrenswert auf (12.528 € x 0,2 =) 2.505,60 € festzusetzen.
28
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG zuzulassen, weil die vorliegende Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Beantwortung der Fragen, ob der Grundrentenzuschlag aufgrund seiner sozialrechtlichen Komponente überhaupt dem Versorgungsausgleich unterfällt und ein solches Anrecht im Anwartschaftsstadium hinreichend verfestigt ist, betrifft eine Vielzahl von Fällen und bedarf einer höchstrichterlichen Klärung.