Inhalt

OLG München, Endurteil v. 27.10.2022 – 14 U 1967/21
Titel:

Kein Restschadensersatzanspruch des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung versehenen Fahrzeugs

Normenkette:
BGB § 199 Abs. 1, § 214 Abs. 1, § 826 Abs. 1
Leitsätze:
1. Dem Käufer eines mit dem Motortyp EA 189 versehenen Fahrzeugs, der Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen hatte und dem hinsichtlich der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs grob fahrlässige Unkenntnis anzulasten ist, war es im Jahr 2016 auch zumutbar, Klage zu erheben und seinen Anspruch gegen den Hersteller aus § 826, § 31 BGB gerichtlich geltend zu machen. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Restschadensersatzanspruch des Käufers eines mit dem Motortyp EA 189 versehenen Fahrzeugs gemäß § 852 S. 1 BGB setzt voraus, dass der Fahrzeugerwerb durch den geschädigten Erwerber zu einem korrespondierenden Vermögenszuwachs beim Hersteller geführt hat. Das kommt nur dann in Betracht, wenn weder der inländische Händler noch der ausländische Zwischenhändler das Fahrzeug zuvor unabhängig von der Bestellung des Geschädigten auf eigene Kosten und eigenes Absatzrisiko erworben haben. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EA 189, Dieselskandal, Verjährung, Restschadensersatzanspruch, Abschaltvorrichtung
Vorinstanz:
LG Kempten, Endurteil vom 05.03.2021 – 32 O 2105/20
Fundstelle:
BeckRS 2022, 32294

Tenor

1. Das Urteil des Senats in dieser Sache vom 05.05.2022 wird aufgehoben.
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 05.03.2021, Az. 32 O 2105/20, wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger verlangt von der Beklagten die deliktsrechtliche „Rückabwicklung“ eines Kaufvertrages über einen Skoda Octavia Combi mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ... , den er am 04.09.2012 von der ... GbR mit damaligem Kilometerstand von 50 km als „NeuwagenLagerfahrzeug-Import“ zum Preis von 19.500,00 € (brutto) erworben hat.
2
In dem Wagen ist der vom V. entwickelte Dieselmotor der Baureihe EA 189 verbaut. Das Fahrzeug ist damit vom sogenannten VW-Dieselskandal betroffen; der Motor war zunächst mit einer Software versehen, die erkannte, ob sich das Fahrzeug im sogenannten NEFZ-Testzyklus oder im Realbetrieb befindet, wobei es im entsprechenden Testzyklus zu höheren Abgasrückführungsraten kam als im Realbetrieb. Es handelte sich dabei laut Bescheid des Kraftfahrtbundesamtes um eine unzulässige Abschalteinrichtung, weswegen die Beklagte die betreffenden Fahrzeuge zurückrief, um ein Software-Update aufzuspielen.
3
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands in erster Instanz und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Endurteils (Bl. 202/204 d. A.) verwiesen.
4
Das Landgericht Kempten hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen angeführt, dass etwaige Schadensersatzansprüche des Klägers mit dem 31.12.2018 verjährt seien. Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte aus § 852 BGB schieden aus, da es an der Kausalität der schädigenden Handlung für einen Vermögensvorteil der Beklagten fehle.
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Wegen der Begründung im einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Endurteils (Bl. 204/206 d. A.) verwiesen.
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Auf die Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil wird Bezug genommen. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 10.03.2022 betrug der Kilometerstand des streitgegenständlichen Wagens unstreitig 165.733 km.
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Mit der Berufung verfolgte die Klageseite zunächst ihre bereits in erster Instanz gestellten, im Tatbestand des angefochtenen Endurteils wiedergegebenen, auf „deliktsrechtliche Rückabwicklung des Kaufvertrags“ gerichteten Anträge weiter.
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Sie ist weiterhin der Auffassung, dass eine deliktsrechtliche Haftung der Beklagten gegeben sei und sie deren Tatbestandsmerkmale hinreichend substantiiert dargelegt habe, während hingegen die Beklagte ihrer sie treffenden sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen sei. Sie bestreitet, vor dem Jahr 2017 vom Dieselskandal und von der Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs von diesem gewusst zu haben.
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Wegen der Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz vom 06.05.2021 (Bl. 216/259 d. A.) verwiesen.
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Der Kläger beantragte in der Berufungsverhandlung vom 10.03.2022:
1. Auf die Berufung der Klagepartei wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 05.03.2021 (Az. 32 O 2105/20) teilweise abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs Marke: Skoda, Typ: OCTAVIA mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ... an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von EUR 19.500,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, unter Anrechnung einer in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs zu erstatten, die sich aus folgender Formel ergibt: Kaufpreis x (aktueller Kilometerstand - Kilometerstand bei Erwerb) / (geschätzte Gesamtlaufleistung - Kilometerstand bei Erwerb) zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von EUR 1.744,64 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
4. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in dem Berufungsantrag zu 2) genannten Zugum-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.
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Die Beklagte beantragt in der Berufung,
die Berufung zurückzuweisen .
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Sie hält das angefochtene Urteil für richtig. Insbesondere behauptet sie, der Kläger habe bereits im Jahr 2015, spätestens aber 2016, Kenntnis von der anspruchsbegründenden Tatsachen erlangt, und erhebt (weiterhin) die Einrede der Verjährung. Jedenfalls sei es grob fahrlässig gewesen, wenn der Kläger nicht im Jahr 2016 eine solche Kenntnis erlangt habe.
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Der Senat hat nach Anhörung des Klägers mit Urteil vom 05.05.2022 folgende Entscheidung getroffen:
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1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 05.03.2021, Az. 32 O 2105/20, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert: Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs Marke: Skoda, Typ: OCTAVIA mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ... an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 6.574,14 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 8.537,72 € für die Zeit vom 19.01.2021 bis zum 02.03.2021, aus 7.514,42 für die Zeit vom 03.03.2021 bis zum 10.03.2022 und aus 6.574,14 € ab dem 11.03.2022 zu zahlen.
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Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
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2. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.
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3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
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Die Revision gegen dieses Urteil ist nicht zugelassen worden. Wegen der Begründung für die getroffene Entscheidung wird auf Punkt II. der Gründe dieses Urteils (Bl. 416/423 d. A.) verwiesen.
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Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 18.05.2022 die Gehörsrüge nach § 321a ZPO erhoben und diese insbesondere damit begründet, dass seitens des Berufungsgerichts nicht berücksichtigt worden sei, dass die Beklagte mit der Klageerwiderung (dort Seiten 32, 33 und 37) zum Beweis für Ihre Behauptung, dass der Kläger bereits in den Jahren 2015 und/oder 2016 von der Berichterstattung zur Dieselthematik Kenntnis erlangt habe, die Einvernahme des Klägers als Partei angeboten habe (siehe Punkt 2. des Schriftsatzes vom 18.05.2022, Blatt 424/435 der Akten). Dieser Vortrag der Beklagten sei streitig gewesen. Er sei auch entscheidungserheblich. Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 29.07.2021, VI ZR 1118/20, juris) habe nämlich zwischenzeitlich entschieden, dass eine grob fahrlässige Unkenntnis der Klagepartei im Jahr 2015 angenommen werden könne, wenn von einer Kenntnisnahme der Klagepartei von der Berichterstattung über die Titel-Thematik im Jahr 2015 ausgegangen werden könne.
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Nach Anhörung des Klägers hat der Senat mit Verfügung vom 14.06.2022 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 29.09.2022 bestimmt und mit Beweisbeschluss vom 04.07.2022 die Parteieinvernahme des Klägers zu der Behauptung der Beklagtenpartei, dass der Kläger noch im Jahr 2015, jedenfalls aber im Verlauf des Jahres 2016, Kenntnis vom VW-Abgasskandal an sich, insbesondere im Zusammenhang mit dem Motor der Baureihe EA 189, wie auch von der konkreten Betroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs hiervon erlangt habe, angeordnet (Blatt 444/445 der Akten).
21
Mit Schriftsatz vom 26.09.2022 teilte der Kläger mit, dass er das streitgegenständliche Fahrzeug am 03.08.2022 zu einem Verkaufspreis in Höhe von 4.500,00 € verkauft habe (siehe Anlage A1). Der Kilometerstand des Fahrzeugs beim Verkauf 180.000 km betrug (unstreitig) 178.880 km (siehe Seite 2 des Sitzungsprotokolls vom 29.09.2022, Blatt 465 der Akten).
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In der Berufung beantragt die Beklagte zuletzt (mündliche Verhandlung vom 29.09.2022),
die Berufung zurückzuweisen.
23
Der Kläger beantragt in der Berufung zuletzt
1. Das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 05.05.2022 (Az. 14 U 1967/21) wird aufrechterhalten, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, an die Klagepartei, einen Betrag in Höhe von EUR 6.574,14 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von EUR 8.537,72 für die Zeit vom 19.01.2021 bis zum 02.03.2021, aus EUR 7.514,42 für die Zeit vom 03.03.2021 bis zum 10.03.2022 und aus EUR 6.574,14 ab dem 11.03.2022 zu zahlen, jedoch nicht Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs Marke: Skoda, Typ: OCTAVIA mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer, sondern Zug um Zug gegen Herausgabe des Verkaufserlöses in Höhe von EUR 4.500,00.
2. Auf die Berufung der Klagepartei wird das Urteil des Landgericht Kempten (Allgäu) vom 05.03.2021 (Az. 32 O 2105/20) teilweise abgeändert.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei weitere EUR 1.299,97 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%- Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von EUR 1.744,64 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten  über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
5. Vorsorglich wird für den Fall des Unterliegens beantragt, die Revision zuzulassen.
24
Der Kläger meint, die Anhörungsrüge sei unbegründet. Der seinerseits geltend gemachte Anspruch bestehe nach wie vor und sei nun auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung und des erzielten Kaufpreises gerichtet. Dieser Anspruch sei nicht verjährt.
II.
25
Aufgrund der zulässigen und begründeten Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör der Beklagten ist der Rechtsstreit gemäß § 321a Abs. 5 S. 2 ZPO in die Lage vor Schluss der Berufungsverhandlung vom 10.03.2022 versetzt.
26
Die Rüge ist zulässig.
27
Die Rüge ist gemäß § 321 Abs. 1 ZPO statthaft. Ein Rechtsmittel oder anderer Rechtsbehelf im Sinne des § 321 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gegen das Urteil vom 05.05.2022 ist nicht gegeben, nachdem der Senat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen hat. Eine Nichtzulassungsbeschwerde war gemäß § 544 Abs. 2 Nummer 1 ZPO nicht statthaft, da die Beschwer der Beklagten durch das Urteil vom 05.05.2022 nicht über 20.000,00 € lag. Die Beklagte ist mit diesem Urteil nur zu einer Zahlung in Höhe von 6.574,14 € (nebst Zinsen) Zug um Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs verurteilt worden.
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Die Rüge gemäß Schriftsatz vom 18.05.2022 (Bl. 424/435 d. A.) ging innerhalb der zweiwöchigen Notfrist von zwei Wochen nach Kenntniserlangung von der Gehörsverletzung beim Oberlandesgericht ein. Die Frist begann mit der Zustellung des Urteils vom 05.05.2022 am 06.05.2022 und endete gemäß § 222 ZPO i. v. m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 1. Alt. BGB am 20.05.2022. Der Schriftsatz vom 18.05.2022 ging vor Ablauf dieser Frist, nämlich am 18.05.2022, beim Oberlandesgericht ein.
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Die Rüge ist auch begründet.
30
Der Senat ist vor Erlass des Urteils vom 05.05.2022 nicht dem Beweisangebot der Beklagten gemäß Schriftsatz vom 01.02.2021 (Blatt 66/136 der Akten), dort Seite 32, auf Einvernahme der Klagepartei zum Beweis der Behauptung, dass der Kläger bereits im Jahr 2015 positive Kenntnis sowohl von der generellen „EA189-Thematik“ wie auch von der individuellen Betroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs erlangt habe. Der Senat ist ausweislich Seite 7 des Urteils vom 05.05.2022 nach Anhörung aber ohne Parteieinvernahme des Klägers davon ausgegangen, dass der Beklagten nicht der Nachweis gelungen sei, dass der Kläger vor dem Jahr 2017 Kenntnis vom Dieselskandal an sich erlangt habe. Basierend hierauf hat er eine grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von den anspruchsbegründenden Tatsachen vor dem Jahr 2017 verneint, was wiederum entscheidungserheblich für die Annahme des Senats war, dass bei Klageerhebung im Jahr 2020 noch keine Verjährung des streitgegenständlichen Anspruchs eingetreten war.
III.
31
Die zulässige Berufung ist begründet.
32
A. Der Kläger hat zwar einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nach § 826 Abs. 1 BGB; die Beklagte ist aber nach § 214 Abs. 1 BGB berechtigt, die Schadensersatzleistung zu verweigern.
33
1. Nach den der Berufungsentscheidung zugrunde zu legenden Feststellungen liegen die Voraussetzungen einer deliktsrechtlichen Haftung der Beklagten wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB vor. Auf die Ausführungen unter Punkt II. 1. 1.1 bis 1.4 im Urteil vom 05.05.2022 an denen der Senat festhält, wird verwiesen.
34
2. Allerdings kann die Beklagte die an sich von ihr geschuldete Leistung wegen Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB verweigern.
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2.1 Der Lauf der Verjährungsfrist für den streitgegenständlichen Anspruch hat gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit Ablauf des Jahres 2016 begonnen.
36
Der Beklagten ist der Nachweis gelungen, dass der Kläger spätestens im Jahr 2016 Kenntnis vom VW-Abgasskandal erlangt hat. Der Kläger hat im Rahmen der Parteieinvernahme angegeben, in der Zeit vom VW-Dieselskandal aus den Medien erfahren zu haben, in der die Berichterstattung begonnen und sich anschließend weiter hingezogen zu hat. Dies sei für ihn nur deswegen ohne Bedeutung gewesen, weil er keinen VW gefahren und keinen Bezug zu seinem Fahrzeug hergestellt habe.
37
Angesichts dieser Angaben ist der Senat der Überzeugung, dass der Kläger wahrscheinlich noch im Jahr 2015, jedenfalls aber im Verlauf des ersten Halbjahres 2016 Kenntnis vom Dieselskandal an sich erlangt hat, da unstreitig und auch gerichtsbekannt ab Herbst 2015 in den wichtigsten Medien (auch Funk und Fernsehen) die Berichterstattung über den VW-Abgasskandal begonnen hatte.
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Aufgrund dessen ist von einer grob fahrlässigen Unkenntnis des Klägers von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB jedenfalls bis Ende 2016 auszugehen. Angesichts seiner allgemeinen Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal hatte der Kläger spätestens bis Ende 2016 Veranlassung, die Betroffenheit seines eigenen Fahrzeugs zu ermitteln. Unstreitig wurde auch über die Betroffenheit anderer Konzernmarken wie Audi, Skoda und Seat vom sogenannten Dieselskandal von Anfang an berichtet. Über die freigeschaltete Online-Plattform bestand seit Oktober 2015 ohne Weiteres die Möglichkeit, die tatsächliche Betroffenheit eines Fahrzeugs leicht in Erfahrung zu bringen. Daneben bestand die Möglichkeit, sich in direktem (schriftlichem oder telefonischem) Kontakt mit der Beklagten zu informieren, ob in einem konkreten Pkw die Software verbaut ist. Der Kläger wäre bei den gebotenen Nachforschungen ohne Weiteres auf die Internetseite gestoßen. Auch hätte er sich ohne Weiteres telefonisch oder schriftlich mit der Beklagten in Verbindung setzen können. Er hätte sich dadurch Gewissheit über die Betroffenheit ihres Fahrzeugs durch Inanspruchnahme öffentlich verfügbarer Informationsquellen verschaffen können. Der Kläger hat damit auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeiten, die weder besondere Kosten noch nennenswerte Mühe verursacht hätten, nicht ausgenutzt (s. BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - VII ZR 422/21 -, Rn. 19, juris).
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Auch der Umstand, dass der Kläger nach einer allgemeinen Ankündigung der Beklagten, die Kunden zu informieren, kein Anschreiben im Jahr 2016 bekommen hat, und Kunden Ende 2015 noch gebeten wurden, weitere schriftliche Informationen abzuwarten, bevor sie aktiv Kontakt zu einem V.-Partnerbetrieb aufnehmen, begründete kein zeitlich unbegrenztes berechtigtes Vertrauen des Klägers darauf, dass sein Fahrzeug nicht betroffen sei. Der Kläger musste durchaus berücksichtigen, dass es sich bei der Beklagten um ein Unternehmen handelte, dass aus Gewinnstreben in sittenwidriger Weise ihre Kunden und auch das Kraftfahrtbundesamt täuschte. Er konnte daher nicht berechtigt davon ausgehen, dass die Beklage bereit sein würde, berechtigte Ansprüche von sich aus zu erfüllen, auch wenn manche öffentlichen Äußerungen der Beklagten in diese Richtung gegangen sein mögen.
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Angesichts der Länge des seit Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals verstrichenen Zeitraums bestand für den Kläger spätestens bis Ende 2016 Anlass, diese Betroffenheit selbst zu recherchieren. Dies nicht getan zu haben, war grob fahrlässig (s. BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - VII ZR 422/21 -, Rn. 20, juris).
41
Dem Kläger, der Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen hatte und dem hinsichtlich der konkreten Betroffenheit ihres Fahrzeugs grob fahrlässige Unkenntnis anzulasten ist, war es im Jahr 2016 auch zumutbar, Klage zu erheben und seinen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB gerichtlich geltend zu machen (s. BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 - VII ZR 422/21 -, Rn. 21 bis 23, juris).
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2.2 Die dreijährige Verjährungsfrist für den mit der Klage geltend gemachten Schadensersatzanspruch begann folglich gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres 2016 zu laufen und endete gemäß § 188 Abs. 2 2. Alt. BGB mit Ablauf des Jahres 2019. Bei Klageerhebung im Jahre 2020 war daher bereits Verjährung eingetreten.
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B. Ein Schadensersatzanspruch nach § 852 S. 1 BGB besteht nicht.
44
§ 852 S. 1 BGB setzt in Fällen der vorliegenden Art (Herbeiführung eines ungewollten Vertragsschlusses mit einem Dritten durch vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Fahrzeugherstellers) jedenfalls voraus, dass die Beklagte im Verhältnis zum Geschädigten etwas aus dem Fahrzeugverkauf an diesen erlangt hat. Eine Vermögensverschiebung im Sinne von § 852 Satz 1 BGB im Verhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten hat aber nicht stattgefunden. In der vorliegenden Konstellation des Erwerbs eines von einer Tochtergesellschaft der Beklagten hergestellten und in den Verkehr gebrachten Fahrzeugs, das mit einem von der Beklagten hergestellten und mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motor ausgestattet ist, scheidet ein Anspruch des Geschädigten nach § 852 Satz 1 BGB gegen die Beklagte regelmäßig selbst dann aus, wenn der Geschädigte das Fahrzeug als Neuwagen erworben hat. Denn in diesen Fällen hat die Beklagte einen wirtschaftlichen Vorteil allenfalls im Zusammenhang mit der Herstellung und Veräußerung des Motors erlangt und nicht durch das spätere Inverkehrbringen des nicht von ihr entwickelten und hergestellten Fahrzeugs, in das der Motor eingebaut wurde. Der schadensauslösende Vertragsschluss über den Fahrzeugerwerb zwischen Geschädigtem und Fahrzeughändler einerseits sowie ein möglicher Vorteil der Beklagten aus der konzerninternen Überlassung des Fahrzeugmotors an den Fahrzeughersteller andererseits beruhen gerade nicht auf derselben - auch nicht nur mittelbaren - Vermögensverschiebung, wie sie der Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB voraussetzt. Dem Motorhersteller, der einen Vorteil bereits mit der Herstellung und Veräußerung des Motors realisiert hat, fließt im Zusammenhang mit dem Abschluss des ungewollten Kaufvertrags und dem hierauf beruhenden Vermögensschaden des geschädigten Fahrzeugerwerbers durch seine (des Motorherstellers) unerlaubte Handlung nichts - mehr - zu (s. BGH, UrIm Übrigen schließt zwar die Beteiligung eines weiteren, im EU-Ausland ansässigen Zwischenhändlers neben dem inländischen Händler und Verkäufer eine Vermögensverschiebung vom geschädigten Erwerber zum Hersteller eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Dieselfahrzeugs im Sinne von §§ 826, 852 Satz 1 BGB nicht aus. Erforderlich ist aber, dass der Fahrzeugerwerb durch den geschädigten Erwerber zu einem korrespondierenden Vermögenszuwachs beim Hersteller geführt hat. Das kommt nur dann in Betracht, wenn weder der inländische Händler noch der ausländische Zwischenhändler das Fahrzeug zuvor unabhängig von der Bestellung des Geschädigten auf eigene Kosten und eigenes Absatzrisiko erworben haben (s. BGH, Urteil vom 13. Juni 2022 - VIa ZR 680/21 -, juris). Beim streitgegenständlichen Fahrzeug handelte es sich aber um ein Lagerfahrzeug („NeuwagenLagerfahrzeug-Import“), also um ein bereits unabhängig von der Bestellung des Klägers von einem der beteiligten Händler erworbenes Fahrzeug.
teil vom 14. Juli 2022 - VII ZR 422/21-,Rn. 32 - 34, juris m. w. N.).
45
C. Der Kläger hat auch keinen - unverjährten - Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV und den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 715/2007.
46
Auf die eben genannten Vorschriften kann der Kläger sein Begehren nicht stützen. Der Kläger macht als verletztes Schutzgut sein wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht und damit den Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags geltend. Diese Interessen werden vom Schutzzweck der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV und den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht erfasst (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs: vgl. nur BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 72 ff.; Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 10 ff.; Beschluss vom 4. Mai 2022 - VII ZR 656/21, juris Rn. 1 ff.).
47
Davon abgesehen stünde einem so begründeten Anspruch ebenfalls die von der Beklagten unbeschränkt erhobene Einrede der Verjährung entgegen, § 214 Abs. 1 BGB.
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Der Verjährung gemäß §§ 194 ff. BGB unterliegt der materiellrechtliche Anspruch nach § 194 Abs. 1 BGB. Dies ist der auf Schadensersatz gerichtete Anspruch des Klägers aus unerlaubter Handlung. Die unerlaubte Handlung liegt hier darin, dass die Beklagte durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch Fahrzeuge in Verkehr gebracht hat, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden, und sich insoweit die Arglosigkeit sowie das Vertrauen des Klägers in Bezug auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben gezielt zunutze gemacht hat. An dieses Verhalten knüpft sowohl die Haftung aus § 826 BGB als auch die von der Anschlussrevision in den Raum gestellte Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV und den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 an. Für die Verjährung des darauf beruhenden einheitlichen materiellrechtlichen Anspruchs gälten, selbst wenn dieser auch aus § 823 Abs. 2 BGB unter dem Gesichtspunkt einer Schutzgesetzverletzung hergeleitet werden könnte, mithin keine anderen Voraussetzungen als die, die auf der Grundlage des § 826 BGB gelten und hier unstreitig erfüllt sind. Dies zeigt sich auch darin, dass das Anlaufen der Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht voraussetzt, dass der Gläubiger innerhalb eines einheitlichen materiellrechtlichen Anspruchs die einschlägige Anspruchsgrundlage ermittelt (s. BGH, Urteil vom 13. Juni 2022 - VIa ZR 680/21 -, Rn. 23 - 26, juris m. w. N.).
49
D. Ein Schadensersatzanspruch des Klägers kann auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB hergeleitet werden.
50
Für die Annahme eines Betrugs gemäß § 263 Abs. 1 StGB fehlt es jedenfalls an der Bereicherungsabsicht und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden (s. BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. VI ZR 5/20, Rn. 17 ff.).
51
Im Übrigen wäre auch dieser Schadensersatzanspruch aus den eben unter Punkt III. C. dargelegten Gründen verjährt.
IV.
52
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
53
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Sämtliche im Raum stehenden Rechtsfragen sind durch aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt.
54
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10 ZPO. Schuldnerschutzanordnungen nach 711 ZPO hatten gemäß § 713 ZPO zu unterbleiben, da gegen das vorliegende Urteil unzweifelhaft kein Rechtsmittel stattfindet.