Titel:
Schadensersatz gegen die Herstellerin des Motors für vom Diesel-Abgasskandal betroffenes Fahrzeug (hier: Audi Q5)
Normenketten:
BGB § 31, § 199, § 826
ZPO § 286, § 287
Leitsätze:
1. Zur VW-Abgasskandal-Thematik vgl. grundlegend BGH BeckRS 2020, 10555; vgl. auch BGH BeckRS 2022, 16585; BeckRS 2022, 20173; BeckRS 2022, 34549; BeckRS 2022, 34834; BeckRS 2023, 1067 sowie die Aufzählung ähnlich gelagerter VW-Diesel-Fälle bei BGH BeckRS 2022, 13979 (dort Ls. 1); OLG Koblenz BeckRS 2020, 22694 (dort Ls. 1) und OLG Naumburg BeckRS 2020, 28579 (dort Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine grobfahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 BGB eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugkäufers kann erst im Jahr 2016 vorgelegen haben. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zu typischen Detailfragen aus VW-Dieselfällen hier: Gesamtlaufleistung 250.000 km; gestaffelte Prozesszinsen; 1,3 Geschäftsgebühr als vorgerichtliche Anwaltskosten. (Rn. 41, 44 – 46 und 47) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 189, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Verjährung, grobfahrlässige Unkenntnis, Gesamtlaufleistung, gestaffelte Prozesszinsen, Geschäftsgebühr, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 25.11.2020 – 41 O 1482/19
Fundstelle:
BeckRS 2022, 32282
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 25.11.2020, Az. 41 O 1482/19, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 17.047,05 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 18.069,54 € vom 26.07.2019 bis 13.11.2020, aus 17.558,30 € vom 14.11.2020 bis 22.06.2022 und aus 17.047,05 € seit 23.06.2022 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer …291 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.100,51 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.07.2019 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt der Kläger 35% und die Beklagte 65%. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 18.954,17 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Der Kläger nimmt die Beklagte in einem sog. Diesel-Verfahren als Fahrzeugherstellerin eines mit einem Dieselmotor vom Typ EA189 ausgestatteten Fahrzeugs wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.
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Die Beklagte ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der V. AG.
3
Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 23.05.2015 (Anlage K1) von der Autohaus A. mobil ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug Audi Q5 als Gebrauchtwagen mit einem Kilometerstand von 79.142 km zu einem Bruttokaufpreis von 25.000,00 €. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz vom 13.11.2020 belief sich der Kilometerstand auf 126.507 km und zum Zeitpunkt der mündlichen Berufungsverhandlung vom 22.06.2022 auf 133.495 km.
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Das Fahrzeug war mit einem von der V. AG entwickelten Dieselmotor vom Typ EA189 ausgestattet. Dieser enthielt eine Motorsteuerungssoftware, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchlief, und in diesem Fall eine höhere Abgasrückführungsrate und einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb bewirkte. Die Abgasmessungen auf dem Prüfstand waren Grundlage der Erteilung der Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007.
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Die Beklagte hatte in den Jahren 2005/2006 durch ihr Produkt-Strategie-Komitee (PSK), dem auch Mitglieder des Vorstands angehörten, beschlossen, den Motor EA189 ab 2007 serienmäßig in eigenen Fahrzeugen zu verwenden. Dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wurde die vorgenannte, als „Umschaltlogik“ bezeichnete Motorsteuerungssoftware im Typgenehmigungsverfahren nicht offengelegt. Nach ihrem Bekanntwerden verpflichtete das KBA die Beklagte zur Entfernung der als unzulässige Abschalteinrichtung qualifizierten Motorsteuerungssoftware und dazu, geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Daraufhin wurde ein Software-Update entwickelt, welches am 14.02.2017 auf das Fahrzeug des Klägers aufgespielt wurde.
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Mit anwaltlichem Schreiben vom 06.06.2019 (Anlage K11) forderte der Kläger die Beklagte zur Erstattung des Kaufpreises (25.000,00 €) abzüglich einer nicht bezifferten Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs auf.
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Mit der am 25.06.2019 eingegangenen und am 25.07.2019 zugestellten Klage hat der Kläger die Beklagte auf Erstattung des Kaufpreises (25.000,00 €) nebst Deliktszinsen und Verzugszinsen abzüglich einer im Termin zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs in Anspruch genommen, außerdem auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten (1.899,24 €) nebst Verzugszinsen.
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Mit Schriftsatz vom 05.11.2020 hat der Kläger die Klage hinsichtlich der Deliktszinsen zurückgenommen.
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In der mündlichen Verhandlung vom 13.11.2020 hat der Kläger die Nutzungsentschädigung mit 5.361,48 € beziffert.
10
Mit Endurteil vom 25.11.2020, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an den Kläger 18.954,17 € nebst Prozesszinsen hieraus seit 26.07.2019 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.100,51 € nebst Prozesszinsen zu zahlen. Der Anspruch sei nach §§ 826, 31 BGB begründet. Dem Kläger sei durch die Belastung mit der ungewollten Verbindlichkeit aus dem Kaufvertrag ein kausaler Schaden entstanden. Der Kläger habe im Rahmen seiner informatorischen Anhörung glaubhaft angegeben, dass er das Fahrzeug in Kenntnis der Abgasproblematik nicht gekauft hätte. Die Beklagte habe mit Schädigungsvorsatz und in Kenntnis aller Tatumstände gehandelt, die das Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen. Sie berufe sich zwar darauf, dass sie den Dieselmotor EA189 nicht entwickelt habe. Es erscheine jedoch in höchstem Maße unrealistisch, dass sie einen Motor ihrer Muttergesellschaft unbesehen in ihre Fahrzeuge verbaut habe. Soweit die Beklagte näher zu internen Abläufen im Rahmen der Fahrzeugproduktion vortrage, aber sich pauschal auf die fehlende Kenntnis der maßgeblichen Entscheidungsträger zurückziehe, genüge sie ihrer sekundären Darlegungslast nicht. Zu berücksichtigen sei die Ausstellung der Übereinstimmungsbescheinigung durch die Beklagte, die bestehenden Überkreuzregelungen innerhalb der Vorstände der Beklagten und der V. AG sowie die eigene Entwicklungstätigkeit der Beklagten bei der Motorenentwicklung und die ihr daraus bewussten Schwierigkeiten bei der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu den Abgaswerten. Es bedürfe keiner konkreten Feststellung, welcher verfassungsmäßig berufene Vertreter der Beklagten vorsätzlich gehandelt habe. Dies sei dem Kläger, der keine konkreten Einblicke in die betriebsinterne Aufgabenverteilung der Beklagten habe, nicht möglich. Er habe im Rahmen seiner Möglichkeiten substantiiert vorgetragen, sodass es der Beklagten im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast oblegen hätte, den Vortrag zu entkräften oder die Repräsentanten zu benennen. Die anzurechnende Nutzungsentschädigung belaufe sich bei der gebotenen degressiven Berechnung auf 6.045,83 €. Der klägerische Anspruch sei nicht verjährt. Der Kläger habe im Rahmen seiner informatorischen Anhörung glaubhaft angegeben, erst am 14.02.2017 im Rahmen eines Werkstattbesuchs Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs erlangt zu haben. Der Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten sei lediglich in Höhe einer 1,3 Geschäftsgebühr aus der zuerkannten Klageforderung begründet.
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Gegen das Urteil wendet sich die Beklagte im Wege der Berufung, mit der sie ihren erstinstanzlichen Antrag auf vollständige Klageabweisung weiterverfolgt. Die Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 sei nicht übertragbar, da die Beklagte Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei und den im Fahrzeug eingebauten Motor nicht entwickelt habe, weswegen ihr bereits kein Sittenwidrigkeitsvorwurf gemacht werden könne und sie ohne einen entsprechenden Vorsatz gehandelt habe. Den Kausalzusammenhang zwischen Einsatz der Umschaltlogik und Abschluss des Kaufvertrags durch den Kläger habe das Landgericht unzutreffend angenommen. Jedenfalls sei die tatsächliche Nutzung des Fahrzeugs durch den Kläger im Wege der Vorteilsanrechnung nach der zutreffenden nicht linearen Berechnungsmethode, hilfsweise linear bei Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung von höchstens 250.000 km zu berücksichtigen. Die geltend gemachten Ansprüche seien verjährt. Einen Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten habe das Landgericht zu Unrecht bejaht.
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Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das am 25.11.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Ingolstadt, Az. 41 O 1482/19, im Umfang der Beschwer der Beklagten und Berufungsklägerin abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
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Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
14
Der Kläger verteidigt das stattgebende Ersturteil im Einzelnen gegen die Berufungsangriffe der Beklagten.
15
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 22.06.2022 sowie die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
16
Die zulässige Berufung der Beklagten ist überwiegend unbegründet. Sie führt lediglich insoweit zur Abänderung des Ersturteils, als sich die anzurechnende Nutzungsentschädigung wegen der bis zum Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung zusätzlich gefahrenen Kilometer durch den Kläger erhöht und Prozesszinsen gestaffelt festzusetzen sind.
17
1. Das Landgericht hat dem Kläger gegen die Beklagte zu Recht einen Schadensersatzanspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB zuerkannt, gerichtet auf Erstattung des Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs.
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a) Das Erstgericht ist fehlerfrei davon ausgegangen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten im Sinne von § 31 BGB die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. Die Beklagte handelte sittenwidrig, indem sie das streitgegenständliche Fahrzeug mit dem von der V. AG gelieferten Dieselmotor EA189 ausgestattet und in den Verkehr gebracht hat, obwohl wenigstens eine verantwortlich für sie handelnde Person wusste, dass der Motor mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet war (vgl. BGH, Urteile vom 25.11.2021 - VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20, VII ZR 38/21).
19
aa) Dabei ist von folgenden, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen auszugehen:
20
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, Rn. 15 mwN; vom 08.03.2021 - VI ZR 505/19, Rn. 17; vom 16.09.2021 - VII ZR 192/20, Rn. 20; vom 25.11.2021 aaO).
21
Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (BGH, Urteil vom 25.05.2020 aaO Rn. 16 ff.; vom 08.03.2021 aaO Rn. 19; vom 16.09.2021 aaO Rn. 21; vom 25.11.2021 aaO).
22
Bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber setzt voraus, dass es in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer - billigend in Kauf genommenen - Unrechtmäßigkeit geschieht (BGH, Urteil vom 16.09.2021 aaO Rn. 22; vom 25.11.2021 aaO).
23
bb) Zwar kann in Bezug auf die getroffene strategische Entscheidung, den Dieselmotor EA189 mit einer Umschaltlogik auszustatten, nicht zweifelsfrei festgestellt werden, dass nicht nur bei der V. AG, sondern auch bei der Beklagten eine solche auf arglistige Täuschung des KBA und letztlich der Fahrzeugerwerber gerichtete Strategieentscheidung getroffen wurde oder für die Beklagte handelnde Personen an der von der Muttergesellschaft getroffenen Entscheidung zumindest beteiligt waren (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2021 aaO Rn. 20). Allerdings kommt ein sittenwidriges Vorgehen der Beklagten auch dann in Betracht, wenn die für sie handelnden Personen wussten, dass die von der Muttergesellschaft gelieferten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet waren, und die von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit diesem Motor versahen und in den Verkehr brachten (BGH, Urteil vom 08.03.2021 aaO Rn. 21). Maßgeblich für die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung ist hiernach der Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs und damit der Kaufvertragsabschluss vom 23.05.2015. Zu diesem Zeitpunkt muss bei der Beklagten zumindest ein verfassungsmäßig berufener Vertreter tätig gewesen sein, der Kenntnis davon hatte, dass die gelieferten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet waren.
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cc) Ein derartiges Vorstellungsbild lässt sich im Hinblick auf wenigstens eine Person, für deren Verhalten die Beklagte entsprechend § 31 BGB einzustehen hat, mit der für die tatrichterliche Überzeugung erforderlichen Gewissheit feststellen.
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(1) Der Kläger, der als Anspruchsteller hinsichtlich der anspruchsbegründenden Voraussetzungen primär darlegungsbelastet ist, hat erstinstanzlich hinreichende tatsächliche Umstände vorgetragen, die den Schluss auf eine haftungsbegründende Kenntnis der verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten von der unzulässigen Abschalteinrichtung zulassen. In der Replik wird zu Entscheidungsträgern bei der Beklagten und der V. AG im Zusammenhang mit der Entwicklung und dem Einbau des Dieselmotors EA189 vorgetragen, namentlich zu den verantwortlichen Personen Dr. W., H., S., We. und H., sowie zu deren wechselnden Tätigkeiten bei den V.-Konzerngesellschaften (Replik vom 15.11.2019, S. 2/6, 10/11 = Bl. 168/172, 176/177 d.A.). Hieraus leitet der Kläger die Behauptung ab, dass Vorstandsmitglieder und Repräsentanten der Beklagten von den Abschaltvorrichtungen gewusst hätten und eine Schädigung der späteren Erwerber billigend in Kauf genommen hätten (Replik S. 11 = Bl. 177 d.A.). Die Führungskräfte S., We. und H. waren nach dem klägerischen Vorbringen in der Replik im Jahr 2015 als Repräsentanten bei der Beklagten tätig. Der Kläger führt insbesondere aus, dass R. S. durch Hinweise von U. We. schon vor Bekanntwerden des „Dieselskandals“ Hinweise auf Unstimmigkeiten bei den Abgaswerten von Dieselmotoren vorgelegen hätten und der Vorstand (der Beklagten) nichts unternommen habe (Replik S. 6 = Bl. 172 d.A.). Weiterhin behauptet der Kläger, dass U. H. als leitender Ingenieur bei der Beklagten in den Jahren 2002 bis 2007 für die Emissionen verantwortlich gewesen sei, sodann von 2007 bis 2013 in entsprechender Position bei Volkswagen maßgeblich an der Weiterentwicklung der Software und der Markteinführung der jeweiligen Modelle in Koordination mit den Zulassungsbehörden beteiligt gewesen sei und im Jahr 2013 zurück zur Beklagten gewechselt sei, wo er bis 2015 tätig gewesen sei (Replik S. 10/11 = Bl. 176/177 d.A.).
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(2) In Übereinstimmung mit dem Erstgericht hat der Senat auf der Grundlage des unstreitigen sowie des als unstreitig zu behandelnden Sachvortrags der Parteien bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung die tatrichterliche Überzeugung gewonnen, dass wenigstens ein Repräsentant der Beklagten im Sinne des § 31 BGB an der Entscheidung über den Einsatz des Dieselmotors EA189 und der darin enthaltenen - evident unzulässigen - Umschaltlogik in Fahrzeugen der Beklagten beteiligt war und von dieser gewusst hat. Dies folgt aus verschiedenen Umständen, insbesondere der besonderen Bedeutung des Motors als „Kernstück des Fahrzeugs“, der Haftungsrelevanz des serienmäßigen Einsatzes des Motors EA189, der eigenen Befassung der Beklagten mit der Entwicklung und Herstellung von Dieselmotoren nebst Steuerungstechnik, bei der auch die Abgasproblematik und Einhaltung der NOx-Grenzwerte eine Rolle spielte, sowie der Schwierigkeit und besonderen Bedeutung der Einhaltung der Emissionsgrenzwerte unter Berücksichtigung des grundsätzlichen Verbots von Abschalteinrichtungen (vgl. BGH, Urteile vom 25.11.2021 aaO).
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(a) Zum Zeitpunkt der Entwicklung und des Einbaus des streitgegenständlichen Motors war das Spannungsverhältnis zwischen kostengünstiger Produktion und Begrenzung der Stickoxidemissionen allgemein bekannt. Die Beklagte ist ihrerseits Herstellerin von Dieselmotoren (nebst Steuerungstechnik), die serienmäßig bei Fahrzeugen des VW-Konzerns zum Einsatz kommen. Dass sich kein Verantwortlicher bei der Beklagten dafür interessiert haben will, ob und wie die Konzernmutter bei dem Motor EA189 diesen Konflikt gelöst haben könnte, erscheint nicht plausibel. Zudem hat zum damaligen Zeitpunkt der europäische Gesetzgeber das grundsätzliche Verbot unzulässiger Abschalteinrichtungen normiert, wodurch der oben beschriebene Zielkonflikt erneut Bedeutung gewann.
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(b) Weiter hat die Beklagte selbst vorgetragen, dass ihre grundsätzliche Entscheidung, Motoren des Typs EA189 in Fahrzeuge der Marke Audi zu verbauen, auf eine Entscheidung aus dem Jahr 2005/2006 zurückgehe, für die das Produkt-Strategie-Komitee (PSK) hauptverantwortlich gewesen sei, welches sich aus Mitgliedern des Vorstands sowie Mitgliedern aus den Fachabteilungen zusammengesetzt habe. Im Nachgang zu der grundsätzlichen Entscheidung sei nochmals durch gesonderte Beschlüsse entschieden worden, die Motoren des Typs EA189 konkret in die einzelnen Fahrzeugmodelle zu verbauen (Schriftsatz vom 05.11.2020, S. 12 ff. = Bl. 326 ff. d.A.; Berufungsbegründung S. 18 ff. = Bl. 411 ff. d.A.). Dass das vorgenannte Komitee der Beklagten keine Kenntnis von den Details des Motors gehabt haben soll, dessen serienmäßiger Einsatz ab 2007 beschlossen worden ist und für den es für jedes Fahrzeugmodell sogar nochmals einen gesonderten Beschluss gab, hält der Senat ebenfalls nicht für plausibel. Hierbei handelt es sich um allgemeine Überlegungen, die kein besonderes Fachwissen voraussetzen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Einsatz des Motors in einer Vielzahl von Fahrzeugen angeordnet wird, die beteiligten Vorstandsmitglieder sich bei dieser Entscheidung, die die Beklagte selbst als „Meilenstein“ bezeichnet (Schriftsatz vom 05.11.2020, S. 12 = Bl. 326 d.A.; Berufungsbegründung S. 18 = Bl. 411 d.A.), trotz der im Raum stehenden auch persönlichen Haftungsrisiken nicht darüber informiert haben, welche Eigenschaften der Motor hat und wie es gelingt, den bekannten Zielkonflikt zwischen kostengünstiger Produktion und strengen EU-Vorgaben zu Stickoxidwerten zu lösen.
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(c) Im Rahmen ihres weiteren Vorbringens zu den Produktionsabläufen des streitgegenständlichen Motors und des streitgegenständlichen Fahrzeugs behauptet die Beklagte, dass weder Organe noch Repräsentanten, nicht einmal Werksmitarbeiter der Beklagten Kenntnis von den Details des Motors, insbesondere der Software gehabt hätten, weil diese verriegelt gewesen sei und so vom Konzernserver in der Fertigung aufgespielt worden sei (Schriftsatz vom 05.11.2020, S. 18 ff. = Bl. 332 ff. d.A.; Berufungsbegründung S. 24 ff. = Bl. 417 ff. d.A.). Dies hält der Senat nicht für plausibel. Es ist nicht nachvollziehbar, dass das Produkt-Strategie-Komitee, dem unstreitig auch Organe der Beklagten angehört haben, den Einsatz eines Motors in eigenen Fahrzeugen befürwortet, sich aber keine Gedanken darüber macht, wie der Motor funktioniert, welche Eigenschaften er hat und wie es gelingt, die entsprechenden Stickoxidgrenzwerte einzuhalten.
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(d) Bei dem Motor handelt es sich um das Kernstück des Fahrzeugs und bei der Verwendung um eine grundlegende, eine Vielzahl von Fahrzeugen betreffende Strategieentscheidung, die mit erheblichen persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen verbunden ist. Da die Beklagte auch selbst Dieselmotoren entwickelt und die Frage, wie die gesetzlichen Grenzwerte technisch und wirtschaftlich kostengünstig eingehalten werden können, unter Kfz-Herstellern zu der damaligen Zeit ein Hauptthema war, kann nicht nachvollzogen werden, dass die Beklagte kein Interesse daran hatte zu wissen, wie es der Mutterkonzern geschafft hat, die strengen Grenzwerte einzuhalten. Es scheint ausgeschlossen, dass die Beklagte den von der Konzernmutter entwickelten Motor ohne eigene Prüfung und Kenntnis der wesentlichen Merkmale „blind“ in ihre eigenen Fahrzeuge eingebaut hat. Es liegt vielmehr auf der Hand, dass im Unternehmen der Beklagten mindestens ein handelnder Repräsentant an der Entscheidung über die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung beteiligt war. Dies folgt schon aus der Tragweite der Entscheidung, aber auch aus den vorgenannten Umständen. Auf die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 25.11.2021 - VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21 wird vollumfänglich Bezug genommen. Die zugrundeliegenden Feststellungen lassen sich vorliegend entsprechend treffen. Der Einbau des Motors EA189 durch die Beklagte ohne eigene Kenntnis seiner wesentlichen Merkmale, wozu die Abgasrückführungstechnologie rechnet, erscheint auch aus Sicht des erkennenden Senats ausgeschlossen.
(e) Die Beklagte trägt nicht vor, welche Mitglieder des Vorstands dem Produkt-Strategie-Komitee angehört haben, ob diese in Bezug auf ihren Kenntnisstand befragt worden sind und was gegebenenfalls die Antwort war. Die Beklagte hat sich im Übrigen darauf beschränkt, die klägerseits behauptete Kenntnis der klägerseits konkret benannten ehemaligen Organe und Mitarbeiter der Beklagten von der Umschaltlogik zu bestreiten. Dies kann aufgrund der vorgenannten Umstände die Überzeugung des Senats davon, dass zumindest ein Organ der Beklagten bei der Entscheidung für den Einbau des Motors EA189 in das streitgegenständliche Fahrzeugmodell entsprechend der Baukastenstrategie des V.-Konzerns von der evident unzulässigen Umschaltlogik Kenntnis hatte, nicht erschüttern. Auch wenn die Entwicklung des Motors des Typs EA189 von der Muttergesellschaft vorgenommen wurde, so erscheint es aufgrund der vorgenannten Umstände fernliegend, dass in Anbetracht der Bedeutung des Motors für ein Personenkraftfahrzeug und angesichts der auch aus der eigenen Motorentwicklung der Beklagten bekannten Problematik der Einhaltung der Stickoxidgrenzwerte durch die Abgasrückführungstechnologie kein Organ bzw. Repräsentant der Beklagten von der Umschaltlogik des Aggregats EA189 Kenntnis hatte, zumal dessen Übernahme für die eigene Fahrzeugproduktion der Beklagten eine grundlegende unternehmerische Entscheidung darstellte und zudem eine enge Verzahnung in technischer wie kaufmännischer Hinsicht auch bei der sog. Baukastenstrategie erforderte.
31
(f) Auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24.03.2022 - VII ZR 266/20 hält der Senat eine abweichende Würdigung nicht für geboten, da sich die der Entscheidung zugrundeliegende und vom BGH beanstandete tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts von der hier erfolgten tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall unterscheidet. Nach den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen ist es gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO grundsätzlich Sache des Tatrichters, unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Das Revisionsgericht kann insoweit nur prüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Einen Rechtsfehler in diesem Sinne vermochte die eigene Revision der Beklagten hinsichtlich der angefochtenen Urteile des 21. Zivilsenats des hiesigen Oberlandesgerichts nicht aufzuzeigen. Mit den von der Beklagten erhobenen Revisionsrügen hat sich der Bundesgerichtshof eingehend auseinandergesetzt, diese jedoch nicht für begründet erachtet (vgl. BGH, Urteile vom 25.11.2021 - VII ZR 238/20, Rn. 31 ff.; VII ZR 243/20 Rn. 30 ff.; VII ZR 257/20 Rn. 32 ff. und VII ZR 38/21 Rn. 30 ff. jeweils mwN). Dass andere Senate oder Gerichte in der vorliegenden Fallkonstellation zugunsten der Beklagten entschieden haben, weil sie eine entsprechende tatrichterliche Überzeugung von der Kenntnis der Beklagten gerade nicht gewinnen konnten, vermag die Überzeugungsbildung des erkennenden Senats nicht zu beeinflussen. Auf die Frage einer sekundären Darlegungslast der Beklagten kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (vgl. BGH aaO).
32
b) Dem Kläger ist durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten ein - vom späteren Software-Update unberührt gebliebener - Schaden in Gestalt einer ungewollten Verbindlichkeit entstanden, da das Fahrzeug aufgrund der Umschaltlogik von einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung bedroht gewesen ist und der Kläger das Fahrzeug in Kenntnis der Sachlage nicht erworben hätte (vgl. BGH, Urteile vom 25.11.2021 aaO).
33
aa) Der durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten entstandene Schaden des Klägers liegt in dem Abschluss des Kaufvertrags über das bemakelte Fahrzeug (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 aaO Rn. 44). Der Kläger ist, veranlasst durch das einer arglistigen Täuschung gleichstehende sittenwidrige Verhalten der Beklagten, eine ungewollte Verpflichtung eingegangen. Insoweit ist ein Schaden hier jedenfalls deshalb eingetreten, weil der Vertragsschluss als unvernünftig anzusehen ist. Der Kläger hat durch den ungewollten Vertragsschluss eine Leistung erhalten, die für seine Zwecke nicht voll brauchbar war (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 aaO Rn. 48).
34
bb) In Übereinstimmung mit dem Erstgericht ist davon auszugehen, dass der Kläger den Kaufvertrag in Kenntnis der Problematik nicht geschlossen hätte.
35
(1) Hierfür spricht bereits die allgemeine Lebenserfahrung. Im maßgeblichen Zeitpunkt der klägerischen Kaufentscheidung am 23.05.2015 war die Dieselthematik noch nicht bekannt. Die Lebenserfahrung spricht zweifelsfrei dafür, dass der Kläger - wäre ihm im Zeitpunkt der Kaufentscheidung mitgeteilt worden, dass der Pkw manipuliert ist und die Gefahr besteht, dass die Zulassung entzogen werden kann - den streitgegenständlichen Pkw nicht erworben hätte. Kein vernünftiger Käufer hätte in Kenntnis dieses Sachverhalts den Pkw erworben, zumal zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht die Möglichkeit bestanden hätte, mittels des erst später entwickelten Software-Updates die Manipulation am Motor zu beseitigen. Hiernach ist auszuschließen, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 aaO Rn. 49).
36
(2) Dies entspricht auch dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Parteianhörung des Klägers. Die Kläger hat angegeben, dass er das Fahrzeug nie gekauft hätte, wenn er gewusst hätte, dass es von der Abgasproblematik betroffen ist. Es gehe ihm auch um die saubere Umwelt und deren Schutz für die nachfolgende Generation. Außerdem hätte er kein Fahrzeug gekauft, das nicht der Norm entspreche (Protokoll vom 13.11.2020, S. 2/3 = Bl. 361/362 d.A.). Das Erstgericht hat die Angaben des Klägers für glaubhaft befunden und das Ersturteil hierauf ergänzend gestützt (EU S. 7). Für den Senat ergeben sich insoweit auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens der Beklagten keine konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen des Erstgerichts begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten würden, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
37
c) Die subjektiven Voraussetzungen der Haftung nach § 826 BGB sind ebenfalls erfüllt. Der vom Erstgericht zutreffend angenommene Schädigungsvorsatz ist in der Person des oder der verantwortlich handelnden Repräsentanten der Beklagten, die Kenntnis von der Umschaltlogik hatten, begründet.
38
aa) Der gemäß § 826 BGB erforderliche Vorsatz enthält ein Wissens- und ein Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben. Es kann durchaus gerechtfertigt sein, im Einzelfall aus dem Wissen einer natürlichen Person auf deren Willen zu schließen. Aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns kann sich die Schlussfolgerung ergeben, dass mit Schädigungsvorsatz gehandelt worden ist (BGH, Urteil vom 25.05.2020 aaO Rn. 61 f. mwN).
39
bb) Die Annahme, dass die organschaftlichen Vertreter und verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten im Sinne von § 31 BGB bezogen auf den ungewollten Fahrzeugerwerb mit Schädigungsvorsatz handelten, entspricht der Lebenserfahrung (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 397/19, Rn. 18; vom 25.11.2021 aaO).
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d) Zu Recht hat das Erstgericht angenommen, dass sich der Kläger im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihm gezogenen Nutzungen anrechnen lassen muss.
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aa) Die Höhe der Nutzungsentschädigung lässt sich im Rahmen der gemäß § 287 ZPO vorzunehmenden Bemessung der anzurechnenden Vorteile dahingehend ermitteln, dass der Bruttokaufpreis durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt geteilt und mit der gefahrenen Strecke (seit Erwerb) multipliziert wird (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 aaO Rn. 80 ff.; vom 30.07.2020 - VI ZR 354/19, Rn. 12 ff.; vom 13.04.2021 - VI ZR 274/20, Rn. 21 ff.). Der Senat schätzt die Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Berücksichtigung seiner Ausstattung mit einem 2,0 Liter-Dieselmotor und der durchschnittlichen jährlichen Fahrleistung des Klägers auf 250.000 km. Der Kilometerstand im Erwerbszeitpunkt betrug 79.142 km. Der Kilometerstand im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung vom 22.06.2022 betrug unstreitig 133.495 km. Daraus ergeben sich eine voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt von 170.858 km und eine gefahrene Strecke von 54.353 km. Die zu berücksichtigende Nutzungsentschädigung beträgt demnach 7.952,95 €. Damit verbleibt ausgehend vom Bruttokaufpreis (25.000,00 €) abzüglich der Nutzungsentschädigung (7.952,95 €) ein von der Beklagten Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu ersetzender Betrag von 17.047,05 €.
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bb) Der Senat stellt in ständiger Rechtsprechung auf die vom Bundesgerichtshof gebilligte lineare Berechnung des Nutzungsersatzes ab und nicht auf die von der Beklagten für geboten erachtete degressive Berechnungsmethode nach der sog. Ingolstädter Formel, die einen stufenweisen degressiven Verlauf des Wertes des Nutzungsersatzes mit dem höchsten Wert des Nutzungsersatzes auf der ersten Stufe annimmt. Aus der grundsätzlichen Billigung einer linearen Berechnungsmethode folgt zwar nicht zwingend, dass andere Berechnungsmethoden unzulässig wären, da dem Tatrichter nach § 287 ZPO ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt wird. Da der Schaden aber in dem ungewollten Vertragsschluss liegt, ist der vom Bundesgerichtshof erfolgte Rückgriff auf die Wertung des Nutzungsersatzes nach § 346 Abs. 2 Nr. 2 BGB folgerichtig. Der Senat folgt ausdrücklich nicht dem Ansatz der Beklagten dahingehend, den Wert der Nutzung eines Neuwagens höher anzusetzen als den eines älteren Fahrzeugs. Die lineare Berechnung stellt einen angemessenen Ausgleich der Interessen der geschädigten Partei und der Schädigerin dar. Sie entspricht schon vom Wortlaut den „gezogenen Nutzungen“. Eine Ausweitung der Vorteilsanrechnung - etwa wegen des Wertverlusts des Fahrzeugs - ist nicht angezeigt (BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 397/19, Rn. 36; vom 30.07.2020 - VI ZR 354/19, Rn. 15; vom 20.07.2021 - VI ZR 533/20, Rn. 33; vom 16.09.2021 - VII ZR 192/20, Rn. 46).
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e) Der klägerische Schadensersatzanspruch ist - wie das Landgericht überaus sorgfältig und zutreffend begründet hat - auch nicht verjährt. Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine grobfahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 BGB erst im Jahr 2016 vorgelegen haben kann. Eine frühere positive Kenntnis des Klägers ist nicht nachgewiesen. Der Kläger hat im Rahmen seiner erstinstanzlichen Parteianhörung angegeben, erstmals bei einem Werkstattbesuch am 14.02.2017 von der individuellen Betroffenheit seines Fahrzeugs erfahren zu haben, und die Einzelheiten hierzu geschildert. Er habe bis dahin immer gedacht, dass nur VW betroffen sei, nicht Audi. Schreiben mit dem Hinweis auf die Betroffenheit seines Fahrzeugs habe er vor dem Vorfall vom 14.02.2017 nicht bekommen (Protokoll vom 13.11.2020, S. 3 = Bl. 362 d.A.). Das Erstgericht hat die Angaben des Klägers für glaubhaft angesehen und die fehlende Kenntnis des Klägers von der Betroffenheit seines Fahrzeugs hierauf ergänzend gestützt (EU S. 19). Für den Senat ergeben sich auch insoweit bei Zugrundelegung des Berufungsvorbringens der Beklagten keine konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen des Erstgerichts begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten würden. Die Verjährung endete damit nicht vor Ablauf des 31.12.2019, sodass die am 25.07.2019 der Beklagten zugestellte Klage die Verjährung hemmte.
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2. Der vom Erstgericht zuerkannte Zinsanspruch des Klägers in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.07.2019 folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
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Die Staffelung trägt den Vorgaben des Bundesgerichtshofs zur sukzessiven Ermäßigung der Prozesszinsen Rechnung. Danach ist bei der Zinshöhe zu berücksichtigen, dass der Kläger die auf den Kaufpreiserstattungsanspruch anzurechnenden Nutzungsvorteile zum Teil erst zwischen dem Eintritt der Rechtshängigkeit und dem Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung erlangt hat. Der nach § 291 BGB zu verzinsende Betrag lag mithin bei Eintritt der Rechtshängigkeit höher als der schließlich zuzusprechende Betrag und hat sich dann sukzessive auf den schließlich zuzuerkennenden Betrag ermäßigt (BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 397/19, Rn. 38). Maßgeblich ist, in welcher Höhe unter Berücksichtigung der anzurechnenden Nutzungsvorteile bei Eintritt der Rechtshängigkeit eine verzinsliche Hauptforderung bestand und wie sich diese im Laufe des Verfahrens angesichts der fortlaufenden Nutzung des Fahrzeugs entwickelte (BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 354/19, Rn. 23). Vorliegend lässt sich die Höhe der verzinslichen Hauptforderung bei Eintritt der Rechtshängigkeit nicht ohne Weiteres ermitteln, da der jeweilige Kilometerstand ersichtlich weder im vorgerichtlichen Aufforderungsschreiben vom 06.06.2019 (Anlage K11) noch in der Klageschrift angegeben ist. Für den Zeitraum zwischen Eintritt der Rechtshängigkeit und Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz ist daher die verzinsliche Hauptforderung zum letztgenannten Zeitpunkt zugrundezulegen. Diese bestand in Höhe von 18.069,54 €; die anzurechnenden Nutzungsvorteile beliefen sich nach dem damaligen Kilometerstand (126.507 km) auf 6.930,46 € (= 25.000,00 € x 47.365 km: 170.858 km). Weil die Fahrleistung des Fahrzeugs während des Zinszeitraums nicht taggenau nachvollzogen werden kann, ist der Senat im Wege der Schätzung gemäß § 287 Abs. 2 ZPO von einer gleichmäßigen Nutzung ausgegangen, also von einer linearen Entwicklung des Kilometerstands. Das lineare Fortschreiten der Fahrleistung zwischen dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz vom 13.11.2020 und dem Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung vom 22.06.2022 hat der Senat rechnerisch in der Weise berücksichtigt, dass er für den dazwischen liegenden Zinszeitraum den Mittelwert zwischen 18.069,54 € und 17.047,05 € zugrunde gelegt hat, also 17.558,30 € (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 19.01.2021 - 19 U 1304/19, Rn. 70, 73 bei juris).
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Dabei soll nicht verkannt werden, dass der Senat nach § 528 Satz 2 ZPO an einer Abänderung des Ersturteils zum Nachteil der Beklagten als alleiniger Berufungsführerin gehindert wäre, da der Kläger keine Anschlussberufung eingelegt hat. Nachdem das Erstgericht die Prozesszinsen einheitlich aus einer höheren verzinslichen Hauptforderung von 18.954,17 € zuerkannt hat, führt die gestaffelte Festsetzung der Zinsen indessen nicht zu einer Schlechterstellung der Beklagten.
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3. Der Kläger kann von der Beklagten Erstattung von Rechtsanwaltskosten verlangen, da die vorgerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwalts bei einem Vorgehen gegen einen Konzern zur Durchsetzung eines deliktischen Anspruchs herausgefordert ist. Allerdings hält auch der Senat lediglich eine 1,3 Gebühr für angemessen, da es sich um ein typisiertes Standard-Anschreiben handelt und der Fall des Klägers keine tatsächlichen oder rechtlichen Besonderheiten aufweist. Für den Gegenstandswert bzgl. der vorgerichtlichen Tätigkeit ist der Wert des verfolgten Anspruchs zum Zeitpunkt des Tätigwerdens der klägerischen Prozessbevollmächtigten maßgeblich. Der Gegenstandswert beläuft sich bei der vorzunehmenden Anrechnung einer Nutzungsentschädigung überschlägig auf bis zu 19.000,00 €. Daraus ergibt sich der zuerkannte Erstattungsanspruch von 1.100,51 € (einschließlich Auslagenpauschale und USt.).
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Hinsichtlich der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten sind Prozesszinsen zuzusprechen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92 Abs. 1 und 2 Nr. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die streitentscheidenden Fragen sind nunmehr höchstrichterlich geklärt.
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Der Streitwert des Berufungsverfahrens war gemäß §§ 47, 48 GKG iVm § 3 ZPO festzusetzen.