Titel:
Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung
Normenkette:
BGB § 826
Leitsätze:
1. Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Höhe der im Wege des Vorteilsausgleichs anzurechnende Nutzungsentschädigung lässt sich im Rahmen der gemäß § 287 ZPO vorzunehmenden Bemessung der anzurechnenden Vorteile dahingehend ermitteln, dass der Bruttokaufpreis durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt geteilt und mit der gefahrenen Strecke (seit Erwerb) multipliziert wird. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EA189, unzulässige Abschalteinrichtung, Verjährung, Vorteilsausgleich
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 10.09.2020 – 64 O 2618/19
Fundstelle:
BeckRS 2022, 32280
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 10.09.2020, Az. 64 O 2618/19, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 17.766,46 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 24.481,28 € vom 19.02.2020 bis 06.08.2020, aus 21.123,87 € vom 07.08.2020 bis 22.06.2022 und aus 17.766,46 € seit 23.06.2022 zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi Q3 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) …788.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.358,86 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.02.2020 zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit 07.08.2020 mit der Rücknahme des in Ziffer 1 bezeichneten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
IV. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Klägerin 34% und die Beklagte 66%. Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin 31% und die Beklagte 69%.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
VI. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 26.984,49 € festgesetzt. Davon entfallen 11.188,19 € auf die Berufung der Klägerin und 15.796,30 € auf die Berufung der Beklagten.
Entscheidungsgründe
1
Die Klägerin nimmt die Beklagte in einem sog. Diesel-Verfahren als Fahrzeugherstellerin eines mit einem Dieselmotor vom Typ EA189 ausgestatteten Fahrzeugs wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.
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Die Beklagte ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der V. AG.
3
Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom 03.12.2012 (Anlage K1) von der D. Automobile D. OHG ein von der Beklagten hergestelltes EU-Neufahrzeug Audi Q3 2,0 TDI mit einem Kilometerstand von 11 km zu einem Bruttokaufpreis von 39.500,00 €. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz vom 06.08.2020 belief sich der Kilometerstand auf 95.062 km und zum Zeitpunkt der mündlichen Berufungsverhandlung vom 22.06.2022 auf 137.559 km.
4
Das Fahrzeug war mit einem von der V. AG entwickelten Dieselmotor vom Typ EA189 ausgestattet. Dieser enthielt eine Motorsteuerungssoftware, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchlief, und in diesem Fall eine höhere Abgasrückführungsrate und einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb bewirkte. Die Abgasmessungen auf dem Prüfstand waren Grundlage der Erteilung der Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007.
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Die Beklagte hatte in den Jahren 2005/2006 durch ihr Produkt-Strategie-Komitee (PSK), dem auch Mitglieder des Vorstands angehörten, beschlossen, den Motor EA189 ab 2007 serienmäßig in eigenen Fahrzeugen zu verwenden. Dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wurde die vorgenannte, als „Umschaltlogik“ bezeichnete Motorsteuerungssoftware im Typgenehmigungsverfahren nicht offengelegt. Nach ihrem Bekanntwerden verpflichtete das KBA die Beklagte zur Entfernung der als unzulässige Abschalteinrichtung qualifizierten Motorsteuerungssoftware und dazu, geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Daraufhin wurde ein Software-Update entwickelt, welches auf das Fahrzeug der Klägerin aufgespielt wurde, nachdem die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom Januar 2017 (Anlage K1a) über die Betroffenheit ihres Fahrzeugs und die Erforderlichkeit der Maßnahme informiert hatte.
6
Mit anwaltlichem Schreiben vom 18.12.2018 (Anlage K11) forderte die Klägerin die Beklagte zur Erstattung des Kaufpreises (39.500,00 €) abzüglich einer nicht bezifferten Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs auf.
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Mit der am 05.11.2019 eingegangenen und am 18.02.2020 zugestellten Klage hat die Klägerin die Beklagte auf Erstattung des Kaufpreises (39.500,00 €) nebst Deliktszinsen und Verzugszinsen abzüglich einer im Termin zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs in Anspruch genommen, außerdem auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten seit 22.12.2018 sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten (2.434,74 €) nebst Verzugszinsen.
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In der mündlichen Verhandlung vom 06.08.2020 hat die Klägerin die Nutzungsentschädigung mit 12.515,51 € beziffert.
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Mit Endurteil vom 10.09.2020, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an die Klägerin 15.796,30 € nebst Prozesszinsen hieraus seit 07.08.2020 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen. Der Anspruch sei nach § 826 BGB begründet. Die schädigende Handlung sei das Inverkehrbringen des Fahrzeugs mit der streitgegenständlichen Motorsteuerungssoftware. Hierdurch sei der Klägerin ein Schaden entstanden, der in dem Abschluss des ungewollten Kaufvertrags über ein mangelhaftes Fahrzeug liege. Das vorsätzliche Handeln ihrer Repräsentanten sei der Beklagten gemäß § 31 BGB zuzurechnen. Zwar habe die Klägerin nicht substantiiert vorgetragen, dass konkret eines der Mitglieder des Vorstands der Beklagten oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter eine Täuschungshandlung ihr gegenüber vorgenommen habe. Sie habe insoweit nur behauptet, dem Vorstand der Beklagten sei die Ausstattung der Motoren mit der Motorsteuerungssoftware bekannt gewesen. Ein weitergehender Vortrag sei von dem Fahrzeugkäufer aber nicht zu verlangen. Die Beklagte sei ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen. Die anzurechnende Nutzungsentschädigung belaufe sich bei der gebotenen degressiven Berechnung auf 23.703,70 €. Der klägerische Anspruch sei nicht verjährt. Aufgrund der unterbliebenen Mitteilung des Kilometerstandes sei die Forderung erst ab der mündlichen Verhandlung zu verzinsen und Annahmeverzug nicht eingetreten.
10
Gegen das Urteil wenden sich beide Parteien im Wege der Berufung.
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Die Beklagte verfolgt ihren erstinstanzlichen Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter. Die geltend gemachten Ansprüche seien verjährt. Einen Anspruch aus § 826 BGB habe das Landgericht rechtsfehlerhaft angenommen. Die Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 sei nicht übertragbar, da die Beklagte Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei und den im Fahrzeug eingebauten Motor nicht entwickelt habe, weswegen sie weder sittenwidrig noch vorsätzlich gehandelt habe. Den Kausalzusammenhang zwischen Einsatz der Umschaltlogik und Abschluss des Kaufvertrags durch die Klägerin habe das Landgericht unzutreffend angenommen. Jedenfalls sei die tatsächliche Nutzung des Fahrzeugs durch die Klägerin im Wege der Vorteilsanrechnung zu berücksichtigen.
12
Die Klägerin wendet sich gegen die Anrechnung einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 23.703,70 €, die der Beklagten in dieser Höhe nicht zustehe. Die vom Erstgericht angewendete Berechnungsmethode sei rechtsfehlerhaft. Den Annahmeverzug habe das Erstgericht nicht festgestellt, obwohl die Klägerin das Fahrzeug in einer den Annahmeverzug begründenden Weise angeboten habe. Über die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten werde im Ersturteil nicht entschieden. Die Klägerin hat zunächst ihren erstinstanzlich gestellten Klageantrag mit Ausnahme der Deliktszinsen weiterverfolgt und Zahlung weiterer 11.188,19 € verlangt. In der Berufungsverhandlung vom 22.06.2022 hat sie den Zahlungsbetrag im Hinblick auf die zwischenzeitlich gefahrenen Kilometer auf 10.200,66 € reduziert. In Höhe der Differenz haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.
13
Die Beklagte beantragt,
das am 10.09.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Ingolstadt, Az. 64 O 2618/19, im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
14
Die Klägerin beantragt zuletzt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Ingolstadt, Az. 64 O 2618/19, verkündet am 10.09.2020:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei weitere 10.200,66 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.12.2018 sowie Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf einen Betrag in Höhe von 15.796,30 € seit dem 22.12.2018 bis zum 06.08.2020
2. sowie Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.434,74 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.12.2018 zu zahlen
3. sowie festzustellen, dass sich die Beklagte seit dem 22.12.2018 mit der Rücknahme des Fahrzeugs mit der Fahrzeugidentifikationsnummer …788 in Annahmeverzug befindet,
hilfsweise das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Ingolstadt, Az. 64 O 2618/19, verkündet am 10.09.2020, aufzuheben und zur erneuten Verhandlung zurückzuverweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
15
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 22.06.2022 sowie die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
16
Die zulässige Berufung der Klägerin ist teilweise begründet. Sie führt zur Abänderung des Ersturteils im tenorierten Umfang. Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
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1. Das Landgericht hat der Klägerin gegen die Beklagte zu Recht einen Schadensersatzanspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB zuerkannt, gerichtet auf Erstattung des Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs.
18
a) Das Erstgericht ist fehlerfrei davon ausgegangen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten im Sinne von § 31 BGB die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. Die Beklagte handelte sittenwidrig, indem sie das streitgegenständliche Fahrzeug mit dem von der V. AG gelieferten Dieselmotor EA189 ausgestattet und in den Verkehr gebracht hat, obwohl wenigstens eine verantwortlich für sie handelnde Person wusste, dass der Motor mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet war (vgl. BGH, Urteile vom 25.11.2021 - VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20, VII ZR 38/21).
19
aa) Dabei ist von folgenden, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen auszugehen:
20
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, Rn. 15 mwN; vom 08.03.2021 - VI ZR 505/19, Rn. 17; vom 16.09.2021 - VII ZR 192/20, Rn. 20; vom 25.11.2021 aaO).
21
Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (BGH, Urteil vom 25.05.2020 aaO Rn. 16 ff.; vom 08.03.2021 aaO Rn. 19; vom 16.09.2021 aaO Rn. 21; vom 25.11.2021 aaO).
22
Bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber setzt voraus, dass es in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer - billigend in Kauf genommenen - Unrechtmäßigkeit geschieht (BGH, Urteil vom 16.09.2021 aaO Rn. 22; vom 25.11.2021 aaO).
23
bb) Zwar kann in Bezug auf die getroffene strategische Entscheidung, den Dieselmotor EA189 mit einer Umschaltlogik auszustatten, nicht zweifelsfrei festgestellt werden, dass nicht nur bei der Volkswagen AG, sondern auch bei der Beklagten eine solche auf arglistige Täuschung des KBA und letztlich der Fahrzeugerwerber gerichtete Strategieentscheidung getroffen wurde oder für die Beklagte handelnde Personen an der von der Muttergesellschaft getroffenen Entscheidung zumindest beteiligt waren (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2021 aaO Rn. 20). Allerdings kommt ein sittenwidriges Vorgehen der Beklagten auch dann in Betracht, wenn die für sie handelnden Personen wussten, dass die von der Muttergesellschaft gelieferten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet waren, und die von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit diesem Motor versahen und in den Verkehr brachten (BGH, Urteil vom 08.03.2021 aaO Rn. 21). Maßgeblich für die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung ist hiernach der Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs und damit der Kaufvertragsabschluss vom 03.12.2012. Zu diesem Zeitpunkt muss bei der Beklagten zumindest ein verfassungsmäßig berufener Vertreter tätig gewesen sein, der Kenntnis davon hatte, dass die gelieferten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet waren.
24
cc) Ein derartiges Vorstellungsbild lässt sich im Hinblick auf wenigstens eine Person, für deren Verhalten die Beklagte entsprechend § 31 BGB einzustehen hat, mit der für die tatrichterliche Überzeugung erforderlichen Gewissheit feststellen.
25
(1) Die Klägerin, die als Anspruchstellerin hinsichtlich der anspruchsbegründenden Voraussetzungen primär darlegungsbelastet ist, hat erstinstanzlich hinreichende tatsächliche Umstände vorgetragen, die den Schluss auf eine haftungsbegründende Kenntnis der verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten von der unzulässigen Abschalteinrichtung zulassen. In der Replik wird zu Entscheidungsträgern bei der Beklagten und der V. AG im Zusammenhang mit der Entwicklung und dem Einbau des Dieselmotors EA189 vorgetragen, namentlich zu den verantwortlichen Personen Dr. W., H., S., We. und Ha., sowie zu deren wechselnden Tätigkeiten bei den V.-Konzerngesellschaften (Replik vom 09.07.2020, S. 2/6, 10/11 = Bl. 170/174, 178/179 d.A.). Hieraus leitet die Klägerin die Behauptung ab, dass Vorstandsmitglieder und Repräsentanten der Beklagten von den Abschaltvorrichtungen gewusst hätten und eine Schädigung der späteren Erwerber billigend in Kauf genommen hätten (Replik S. 11 = Bl. 179 d.A.). Die Führungskräfte S. und We. waren nach dem klägerischen Vorbringen in der Replik im Jahr 2012 als Repräsentanten bei der Beklagten tätig. Die Klägerin führt insbesondere aus, dass R. S. durch Hinweise von U. We. schon vor Bekanntwerden des „Dieselskandals“ Hinweise auf Unstimmigkeiten bei den Abgaswerten von Dieselmotoren vorgelegen hätten und der Vorstand (der Beklagten) nichts unternommen habe (Replik S. 6 = Bl. 174 d.A.).
26
(2) Der Senat hat auf der Grundlage des unstreitigen sowie des als unstreitig zu behandelnden Sachvortrags der Parteien bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung die tatrichterliche Überzeugung gewonnen, dass wenigstens ein Repräsentant der Beklagten im Sinne des § 31 BGB an der Entscheidung über den Einsatz des Dieselmotors EA189 und der darin enthaltenen - evident unzulässigen - Umschaltlogik in Fahrzeugen der Beklagten beteiligt war und von dieser gewusst hat. Dies folgt aus verschiedenen Umständen, insbesondere der besonderen Bedeutung des Motors als „Kernstück des Fahrzeugs“, der Haftungsrelevanz des serienmäßigen Einsatzes des Motors EA189, der eigenen Befassung der Beklagten mit der Entwicklung und Herstellung von Dieselmotoren nebst Steuerungstechnik, bei der auch die Abgasproblematik und Einhaltung der NOx-Grenzwerte eine Rolle spielte, sowie der Schwierigkeit und besonderen Bedeutung der Einhaltung der Emissionsgrenzwerte unter Berücksichtigung des grundsätzlichen Verbots von Abschalteinrichtungen (vgl. BGH, Urteile vom 25.11.2021 aaO).
27
(a) Zum Zeitpunkt der Entwicklung und des Einbaus des streitgegenständlichen Motors war das Spannungsverhältnis zwischen kostengünstiger Produktion und Begrenzung der Stickoxidemissionen allgemein bekannt. Die Beklagte ist ihrerseits Herstellerin von Dieselmotoren (nebst Steuerungstechnik), die serienmäßig bei Fahrzeugen des VW-Konzerns zum Einsatz kommen. Dass sich kein Verantwortlicher bei der Beklagten dafür interessiert haben will, ob und wie die Konzernmutter bei dem Motor EA189 diesen Konflikt gelöst haben könnte, erscheint nicht plausibel. Zudem hat zum damaligen Zeitpunkt der europäische Gesetzgeber das grundsätzliche Verbot unzulässiger Abschalteinrichtungen normiert, wodurch der oben beschriebene Zielkonflikt erneut Bedeutung gewann.
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(b) Weiter hat die Beklagte selbst vorgetragen, dass ihre Produktentscheidung, Motoren des Typs EA189 in Fahrzeuge der Marke Audi zu verbauen, auf eine Entscheidung aus dem Jahr 2005/2006 zurückgehe, für die das Produkt-Strategie-Komitee (PSK) verantwortlich gewesen sei, welches sich aus Mitgliedern des Vorstands sowie Mitgliedern aus den Fachabteilungen zusammengesetzt habe. Im Nachgang zu der grundsätzlichen Entscheidung sei nochmals durch gesonderte Beschlüsse entschieden worden, die Motoren des Typs EA189 konkret in die einzelnen Fahrzeugmodelle zu verbauen (Schriftsatz vom 26.07.2021, S. 9 ff. = Bl. 414 ff. d.A.). Dass das vorgenannte Komitee der Beklagten keine Kenntnis von den Details des Motors gehabt haben soll, dessen serienmäßiger Einsatz ab 2007 beschlossen worden ist und für den es für jedes Fahrzeugmodell sogar nochmals einen gesonderten Beschluss gab, hält der Senat ebenfalls nicht für plausibel. Hierbei handelt es sich um allgemeine Überlegungen, die kein besonderes Fachwissen voraussetzen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Einsatz des Motors in einer Vielzahl von Fahrzeugen angeordnet wird, die beteiligten Vorstandsmitglieder sich bei dieser Entscheidung, die die Beklagte selbst als „Meilenstein“ bezeichnet (Schriftsatz vom 26.07.2021, S. 14 = Bl. 419 d.A.), trotz der im Raum stehenden auch persönlichen Haftungsrisiken nicht darüber informiert haben, welche Eigenschaften der Motor hat und wie es gelingt, den bekannten Zielkonflikt zwischen kostengünstiger Produktion und strengen EU-Vorgaben zu Stickoxidwerten zu lösen.
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(c) Im Rahmen ihres weiteren Vorbringens zu den Produktionsabläufen des streitgegenständlichen Motors und des streitgegenständlichen Fahrzeugs behauptet die Beklagte, dass weder Organe noch Repräsentanten, nicht einmal Werksmitarbeiter der Beklagten Kenntnis von den Details des Motors, insbesondere der Software gehabt hätten, weil diese verriegelt gewesen sei und so vom Konzernserver in der Fertigung aufgespielt worden sei (Schriftsatz vom 26.07.2021, S. 19 ff. = Bl. 424 ff. d.A.). Dies hält der Senat nicht für plausibel. Es ist nicht nachvollziehbar, dass das Produkt-Strategie-Komitee, dem unstreitig auch Organe der Beklagten angehört haben, den Einsatz eines Motors in eigenen Fahrzeugen befürwortet, sich aber keine Gedanken darüber macht, wie der Motor funktioniert, welche Eigenschaften er hat und wie es gelingt, die entsprechenden Stickoxidgrenzwerte einzuhalten.
30
(d) Bei dem Motor handelt es sich um das Kernstück des Fahrzeugs und bei der Verwendung um eine grundlegende, eine Vielzahl von Fahrzeugen betreffende Strategieentscheidung, die mit erheblichen persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen verbunden ist. Da die Beklagte auch selbst Dieselmotoren entwickelt und die Frage, wie die gesetzlichen Grenzwerte technisch und wirtschaftlich kostengünstig eingehalten werden können, unter Kfz-Herstellern zu der damaligen Zeit ein Hauptthema war, kann nicht nachvollzogen werden, dass die Beklagte kein Interesse daran hatte zu wissen, wie es der Mutterkonzern geschafft hat, die strengen Grenzwerte einzuhalten. Es scheint ausgeschlossen, dass die Beklagte den von der Konzernmutter entwickelten Motor ohne eigene Prüfung und Kenntnis der wesentlichen Merkmale „blind“ in ihre eigenen Fahrzeuge eingebaut hat. Es liegt vielmehr auf der Hand, dass im Unternehmen der Beklagten mindestens ein handelnder Repräsentant an der Entscheidung über die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung beteiligt war. Dies folgt schon aus der Tragweite der Entscheidung, aber auch aus den vorgenannten Umständen. Auf die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 25.11.2021 - VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21 wird vollumfänglich Bezug genommen. Die zugrundeliegenden Feststellungen lassen sich vorliegend entsprechend treffen. Der Einbau des Motors EA189 durch die Beklagte ohne eigene Kenntnis seiner wesentlichen Merkmale, wozu die Abgasrückführungstechnologie rechnet, erscheint auch aus Sicht des erkennenden Senats ausgeschlossen.
31
(e) Die Beklagte trägt nicht vor, welche Mitglieder des Vorstands dem Produkt-Strategie-Komitee angehört haben, ob diese in Bezug auf ihren Kenntnisstand befragt worden sind und was gegebenenfalls die Antwort war. Die Beklagte hat sich im Übrigen darauf beschränkt, die klägerseits behauptete Kenntnis der klägerseits konkret benannten ehemaligen Organe und Mitarbeiter der Beklagten von der Umschaltlogik zu bestreiten. Dies kann aufgrund der vorgenannten Umstände die Überzeugung des Senats davon, dass zumindest ein Organ der Beklagten bei der Entscheidung für den Einbau des Motors EA189 in das streitgegenständliche Fahrzeugmodell entsprechend der Baukastenstrategie des V.-Konzerns von der evident unzulässigen Umschaltlogik Kenntnis hatte, nicht erschüttern. Auch wenn die Entwicklung des Motors des Typs EA189 von der Muttergesellschaft vorgenommen wurde, so erscheint es aufgrund der vorgenannten Umstände fernliegend, dass in Anbetracht der Bedeutung des Motors für ein Personenkraftfahrzeug und angesichts der auch aus der eigenen Motorentwicklung der Beklagten bekannten Problematik der Einhaltung der Stickoxidgrenzwerte durch die Abgasrückführungstechnologie kein Organ bzw. Repräsentant der Beklagten von der Umschaltlogik des Aggregats EA189 Kenntnis hatte, zumal dessen Übernahme für die eigene Fahrzeugproduktion der Beklagten eine grundlegende unternehmerische Entscheidung darstellte und zudem eine enge Verzahnung in technischer wie kaufmännischer Hinsicht auch bei der sog. Baukastenstrategie erforderte.
32
Die Tatsache, dass die konkrete Bedatung der streitgegenständlichen Motorsteuerungssoftware und ihre Funktionsweise nicht Gegenstand der Erörterung im Produkt-Strategie-Komitee der Beklagten war und die Beschlussfassungen im Nachgang zur Grundsatzentscheidung nicht mit einer erneuten Diskussion über die Verwendung des Aggregats oder einer (erstmaligen) Erörterung der konkreten Bedatung der Motorsteuerungssoftware einhergingen (Schriftsatz vom 14.06.2022, S. 6 = Bl. 648 d.A.), kann zugunsten der Beklagten als wahr unterstellt werden. Sie führt nicht zu einer abweichenden tatrichterlichen Würdigung, da der Senat seine Überzeugung auf die vorgenannten Umstände stützt und dabei gerade nicht zugrundelegt, dass die maßgebliche Kenntnis durch eine Erörterung in dem Entscheidungsgremium erlangt worden wäre.
33
(f) Auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24.03.2022 - VII ZR 266/20 hält der Senat eine abweichende Würdigung nicht für geboten, da sich die der Entscheidung zugrundeliegende und vom BGH beanstandete tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts von der hier erfolgten tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall unterscheidet. Nach den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen ist es gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO grundsätzlich Sache des Tatrichters, unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Das Revisionsgericht kann insoweit nur prüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Einen Rechtsfehler in diesem Sinne vermochte die eigene Revision der Beklagten hinsichtlich der angefochtenen Urteile des 21. Zivilsenats des hiesigen Oberlandesgerichts nicht aufzuzeigen. Mit den von der Beklagten erhobenen Revisionsrügen hat sich der Bundesgerichtshof eingehend auseinandergesetzt, diese jedoch nicht für begründet erachtet (vgl. BGH, Urteile vom 25.11.2021 - VII ZR 238/20, Rn. 31 ff.; VII ZR 243/20 Rn. 30 ff.; VII ZR 257/20 Rn. 32 ff. und VII ZR 38/21 Rn. 30 ff. jeweils mwN). Dass andere Senate oder Gerichte in der vorliegenden Fallkonstellation zugunsten der Beklagten entschieden haben, weil sie eine entsprechende tatrichterliche Überzeugung von der Kenntnis der Beklagten gerade nicht gewinnen konnten, vermag die Überzeugungsbildung des erkennenden Senats nicht zu beeinflussen. Auf die Frage einer sekundären Darlegungslast der Beklagten kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (vgl. BGH aaO).
34
b) Der Klägerin ist durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten ein - vom späteren Software-Update unberührt gebliebener - Schaden in Gestalt einer ungewollten Verbindlichkeit entstanden, da das Fahrzeug aufgrund der Umschaltlogik von einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung bedroht gewesen ist und die Klägerin das Fahrzeug in Kenntnis der Sachlage nicht erworben hätte (vgl. BGH, Urteile vom 25.11.2021 aaO).
35
aa) Der durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten entstandene Schaden der Klägerin liegt in dem Abschluss des Kaufvertrags über das bemakelte Fahrzeug (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 aaO Rn. 44). Die Klägerin ist, veranlasst durch das einer arglistigen Täuschung gleichstehende sittenwidrige Verhalten der Beklagten, eine ungewollte Verpflichtung eingegangen. Insoweit ist ein Schaden hier jedenfalls deshalb eingetreten, weil der Vertragsschluss als unvernünftig anzusehen ist. Die Klägerin hat durch den ungewollten Vertragsschluss eine Leistung erhalten, die für seine Zwecke nicht voll brauchbar war (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 aaO Rn. 48).
36
bb) Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin den Kaufvertrag in Kenntnis der Problematik nicht geschlossen hätte.
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(1) Hierfür spricht bereits die allgemeine Lebenserfahrung. Im maßgeblichen Zeitpunkt der klägerischen Kaufentscheidung am 03.12.2012 war die Dieselthematik noch nicht bekannt. Die Lebenserfahrung spricht zweifelsfrei dafür, dass die Klägerin - wäre ihr im Zeitpunkt der Kaufentscheidung mitgeteilt worden, dass der Pkw manipuliert ist und die Gefahr besteht, dass die Zulassung entzogen werden kann - den streitgegenständlichen Pkw nicht erworben hätte. Kein vernünftiger Käufer hätte in Kenntnis dieses Sachverhalts den Pkw erworben, zumal zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht die Möglichkeit bestanden hätte, mittels des erst später entwickelten Software-Updates die Manipulation am Motor zu beseitigen. Hiernach ist auszuschließen, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 aaO Rn. 49).
38
(2) Dies entspricht im Übrigen auch dem Ergebnis der ergänzenden Parteianhörung der Klägerin in der Berufungsinstanz. Nach den glaubhaften Angaben der Klägerin hätte sie das Fahrzeug nicht gekauft, wenn sie gewusst hätte, dass das Fahrzeug von dem Abgasskandal betroffen ist (Protokoll vom 22.06.2022, S. 2 = Bl. 651 d.A.). Im Rahmen der eingehenden Befragung durch den Prozessbevollmächtigten der Beklagten hat die Klägerin Kriterien genannt, die ein Auto aus ihrer Sicht erfüllen muss und die sie bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug nur teilweise erfüllt sah. Sie hat ferner überzeugend und mit Nachdruck geschildert, dass es für sie ein Unding sei, Kunden so zu betrügen, dass sie sich an dem Wertverlust und dem ihr entstandenen Schaden störe und einen Audi nicht mehr fahren möchte (Protokoll vom 22.06.2022, S. 3 = Bl. 652 d.A.). Angesichts dieser unmissverständlichen Angaben hält es der Senat für ausgeschlossen, dass die Klägerin das bemakelte Fahrzeug auch in Kenntnis seines Makels gekauft hätte. Es sind für den Senat keine Anhaltspunkte ersichtlich, die die Richtigkeit der dahingehenden Darstellung der Klägerin in Frage stellen würden. Auf ihre förmliche Parteivernehmung wurde seitens der Beklagten im Anschluss an die Anhörung verzichtet (Protokoll aaO).
39
c) Die subjektiven Voraussetzungen der Haftung nach § 826 BGB sind ebenfalls erfüllt. Der vom Erstgericht zutreffend angenommene Schädigungsvorsatz ist in der Person des oder der verantwortlich handelnden Repräsentanten der Beklagten, die Kenntnis von der Umschaltlogik hatten, begründet.
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aa) Der gemäß § 826 BGB erforderliche Vorsatz enthält ein Wissens- und ein Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben. Es kann durchaus gerechtfertigt sein, im Einzelfall aus dem Wissen einer natürlichen Person auf deren Willen zu schließen. Aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns kann sich die Schlussfolgerung ergeben, dass mit Schädigungsvorsatz gehandelt worden ist (BGH, Urteil vom 25.05.2020 aaO Rn. 61 f. mwN).
41
bb) Die Annahme, dass die organschaftlichen Vertreter und verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten im Sinne von § 31 BGB bezogen auf den ungewollten Fahrzeugerwerb mit Schädigungsvorsatz handelten, entspricht der Lebenserfahrung (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 397/19, Rn. 18; vom 25.11.2021 aaO).
42
d) Zu Recht hat das Erstgericht angenommen, dass sich die Klägerin im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen muss.
43
aa) Die Höhe der Nutzungsentschädigung lässt sich im Rahmen der gemäß § 287 ZPO vorzunehmenden Bemessung der anzurechnenden Vorteile dahingehend ermitteln, dass der Bruttokaufpreis durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt geteilt und mit der gefahrenen Strecke (seit Erwerb) multipliziert wird (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 aaO Rn. 80 ff.; vom 30.07.2020 - VI ZR 354/19, Rn. 12 ff.; vom 13.04.2021 - VI ZR 274/20, Rn. 21 ff.). Der Senat schätzt die Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Berücksichtigung seiner Ausstattung mit einem 2,0 Liter-Dieselmotor und der durchschnittlichen jährlichen Fahrleistung der Klägerin auf 250.000 km. Der Kilometerstand im Erwerbszeitpunkt betrug 11 km. Der Kilometerstand im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung vom 22.06.2022 betrug unstreitig 137.559 km. Daraus ergeben sich eine voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt von 249.989 km und eine gefahrene Strecke von 137.548 km. Die zu berücksichtigende Nutzungsentschädigung beträgt demnach 21.733,54 €. Damit verbleibt ausgehend vom Bruttokaufpreis (39.500,00 €) abzüglich der Nutzungsentschädigung (21.733,54 €) ein von der Beklagten Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu ersetzender Betrag von 17.766,46 €.
44
bb) Der Senat stellt in ständiger Rechtsprechung auf die vom Bundesgerichtshof gebilligte lineare Berechnung des Nutzungsersatzes ab und nicht auf die von der Beklagten für geboten erachtete degressive Berechnungsmethode nach der sog. Ingolstädter Formel, die einen stufenweisen degressiven Verlauf des Wertes des Nutzungsersatzes mit dem höchsten Wert des Nutzungsersatzes auf der ersten Stufe annimmt. Aus der grundsätzlichen Billigung einer linearen Berechnungsmethode folgt zwar nicht zwingend, dass andere Berechnungsmethoden unzulässig wären, da dem Tatrichter nach § 287 ZPO ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt wird. Da der Schaden aber in dem ungewollten Vertragsschluss liegt, ist der vom Bundesgerichtshof erfolgte Rückgriff auf die Wertung des Nutzungsersatzes nach § 346 Abs. 2 Nr. 2 BGB folgerichtig. Der Senat folgt ausdrücklich nicht dem Ansatz der Beklagten dahingehend, den Wert der Nutzung eines Neuwagens höher anzusetzen als den eines älteren Fahrzeugs. Die lineare Berechnung stellt einen angemessenen Ausgleich der Interessen der geschädigten Partei und der Schädigerin dar. Sie entspricht schon vom Wortlaut den „gezogenen Nutzungen“. Eine Ausweitung der Vorteilsanrechnung - etwa wegen des Wertverlusts des Fahrzeugs - ist nicht angezeigt (BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 397/19, Rn. 36; vom 30.07.2020 - VI ZR 354/19, Rn. 15; vom 20.07.2021 - VI ZR 533/20, Rn. 33; vom 16.09.2021 - VII ZR 192/20, Rn. 46).
45
e) Der klägerische Schadensersatzanspruch ist - wie das Landgericht ausführlich und zutreffend begründet hat - auch nicht verjährt. Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine grobfahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 BGB erst im Jahr 2016 vorgelegen haben kann. Eine frühere positive Kenntnis der Klägerin ist nicht nachgewiesen. Die Klägerin hat im Rahmen ihrer ergänzenden Parteianhörung vor dem Senat glaubhaft angegeben, dass sie zwar von dem Dieselskandal aus der Presse erfahre habe, diesen aber auf V. bezogen und sich als Audi-Kundin nicht angesprochen gefühlt habe. Etwa ein bis zwei Jahre später habe sie ein Schreiben wegen des Software-Updates bekommen. Mit dem Update sei die Sache für sie erst einmal erledigt gewesen. Erst 2018, als sie von der Möglichkeit eines Vorgehens gegen Audi erfahren habe, sei ihr bewusst geworden, dass bei Audi das gleiche Problem wie bei V. sei (Protokoll vom 22.06.2022, S. 2/3 = Bl. 651/652 d.A.). Hiernach hat die Klägerin erstmals durch das Schreiben der Beklagten vom Januar 2017 (Anlage K1a) von der individuellen Betroffenheit ihres Fahrzeugs erfahren. Konkrete Anhaltspunkte, die den Schluss auf eine frühere Kenntniserlangung zulassen, werden seitens der Beklagten nicht dargelegt. Damit endete die Verjährung frühestens - bei Annahme grobfahrlässiger Unkenntnis im Jahr 2016 - mit Ablauf des 31.12.2019, sodass davon auszugehen ist, dass die am 05.11.2019 eingereichte und der Beklagten gemäß Verfügung vom 21.01.2020 am 18.02.2020 zugestellte Klage nach Maßgabe von § 167 ZPO die Verjährung hemmte.
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2. Der vom Erstgericht zuerkannte Zinsanspruch der Klägerin in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB wird durch den Eintritt der Rechtshängigkeit begründet. Prozesszinsen sind, da sie den Verzug des Schuldners nicht voraussetzen, kein Unterfall der Verzugszinsen. Sie knüpfen nicht an den Leistungsaustausch an, sondern bedeuten einen Risikozuschlag, den der Schuldner zu entrichten hat, wenn er sich auf einen Prozess einlässt und unterliegt. Sie müssen deshalb auch dort entrichtet werden, wo eine Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen nicht besteht (Staudinger/Feldmann, BGB, Neub. 2019, § 291 Rn. 1 mwN). Allein aufgrund der unterbliebenen Angabe des damaligen Kilometerstandes kann nicht von einer unbezifferten Klageforderung wie etwa einem Schmerzensgeldanspruch vor dessen endgültiger Bezifferung (vgl. Staudinger/Feldmann aaO Rn. 10) ausgegangen werden.
47
Die Staffelung trägt den Vorgaben des Bundesgerichtshofs zur sukzessiven Ermäßigung der Prozesszinsen Rechnung. Danach ist bei der Zinshöhe zu berücksichtigen, dass die Klägerin die auf den Kaufpreiserstattungsanspruch anzurechnenden Nutzungsvorteile zum Teil erst zwischen dem Eintritt der Rechtshängigkeit und dem Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung erlangt hat. Der nach § 291 BGB zu verzinsende Betrag lag mithin bei Eintritt der Rechtshängigkeit höher als der schließlich zuzusprechende Betrag und hat sich dann sukzessive auf den schließlich zuzuerkennenden Betrag ermäßigt (BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 397/19, Rn. 38). Maßgeblich ist, in welcher Höhe unter Berücksichtigung der anzurechnenden Nutzungsvorteile bei Eintritt der Rechtshängigkeit eine verzinsliche Hauptforderung bestand und wie sich diese im Laufe des Verfahrens angesichts der fortlaufenden Nutzung des Fahrzeugs entwickelte (BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 354/19, Rn. 23). Vorliegend lässt sich die Höhe der verzinslichen Hauptforderung bei Eintritt der Rechtshängigkeit nicht ohne Weiteres ermitteln, da der jeweilige Kilometerstand ersichtlich weder im vorgerichtlichen Aufforderungsschreiben vom 18.12.2018 (Anlage K11) noch in der Klageschrift angegeben ist. Für den Zeitraum zwischen Eintritt der Rechtshängigkeit und Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz ist daher die verzinsliche Hauptforderung zum letztgenannten Zeitpunkt zugrundezulegen. Diese bestand in Höhe von 24.481,28 €; die anzurechnenden Nutzungsvorteile beliefen sich nach dem damaligen Kilometerstand (95.062 km) auf 15.018,72 € (= 39.500,00 € x 95.051 km: 249.989 km). Weil die Fahrleistung des Fahrzeugs während des Zinszeitraums nicht taggenau nachvollzogen werden kann, ist der Senat im Wege der Schätzung gemäß § 287 Abs. 2 ZPO von einer gleichmäßigen Nutzung ausgegangen, also von einer linearen Entwicklung des Kilometerstands. Das lineare Fortschreiten der Fahrleistung zwischen dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz vom 06.08.2020 und dem Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung vom 22.06.2022 hat der Senat rechnerisch in der Weise berücksichtigt, dass er für den dazwischen liegenden Zinszeitraum den Mittelwert zwischen 24.481,28 € und 17.766,46 € zugrunde gelegt hat, also 21.123,87 € (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 19.01.2021 - 19 U 1304/19, Rn. 70, 73 bei juris).
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3. Der Annahmeverzug der Beklagten war mit Wirkung ab 07.08.2020 festzustellen. Er wurde nicht bereits durch das Aufforderungsschreiben vom 18.12.2018 (Anlage K11) begründet, da die fehlende Angabe des Kilometerstandes die Berechnung des Nutzungsersatzes unmöglich macht, sondern erst durch dessen Bezifferung in der mündlichen Verhandlung vom 06.08.2020.
49
4. Die Klägerin kann von der Beklagten Erstattung von Rechtsanwaltskosten verlangen, da die vorgerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwalts bei einem Vorgehen gegen einen Konzern zur Durchsetzung eines deliktischen Anspruchs herausgefordert ist. Allerdings hält der Senat lediglich eine 1,3 Gebühr für angemessen, da es sich um ein typisiertes Standard-Anschreiben handelt und der Fall der Klägerin keine tatsächlichen oder rechtlichen Besonderheiten aufweist. Für den Gegenstandswert bzgl. der vorgerichtlichen Tätigkeit ist der Wert des verfolgten Anspruchs zum Zeitpunkt des Tätigwerdens der klägerischen Prozessbevollmächtigten maßgeblich. Der Gegenstandswert beläuft sich bei der vorzunehmenden Anrechnung einer Nutzungsentschädigung überschlägig auf bis zu 30.000,00 €. Daraus ergibt sich der zuerkannte Erstattungsanspruch von 1.358,86 € (einschließlich Auslagenpauschale und USt.).
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Hinsichtlich der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten sind Prozesszinsen zuzusprechen.
51
1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91a Abs. 1, 92 Abs. 1 und 2 Nr. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
52
Dabei ist für die erste Instanz unter Berücksichtigung der geltend gemachten Deliktszinsen ein fiktiver Gesamtstreitwert von 37.213,90 € zugrundezulegen, der sich zusammensetzt aus der Hauptsache (26.984,49 € = 39.500,00 € ./. 12.515,51 €) und den ausgerechneten Deliktszinsen (10.229,41 €). Bei einer nach dem damaligen Kilometerstand vom 06.08.2020 zuzusprechenden Klageforderung von 24.481,28 € (s.o.) ergibt sich ein Unterliegen der Klägerin in Höhe von insgesamt 12.732,62 €, das teilweise auf die Hauptsache (2.503,21 €) und im Übrigen auf die Deliktszinsen (10.229,41 €) entfällt. Bezogen auf den fiktiven Gesamtstreitwert von 37.213,90 € entspricht das Unterliegen der Klägerin damit einem Anteil von 34%.
53
Für das Berufungsverfahren ist der Streitwert von 26.984,49 € maßgeblich. Insoweit ist ein Unterliegen der Beklagten in Höhe von insgesamt 18.753,99 € anzunehmen, das sich aus der zuerkannten Klageforderung (17.766,46 €) und dem übereinstimmend für erledigt erklärten Teilbetrag (987,53 € = 11.188,19 € ./. 10.200,66 €) ergibt. Bezogen auf einen Streitwert von 26.984,49 € entspricht das Unterliegen der Beklagten damit einem Anteil von 69%.
54
2. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
55
3. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die streitentscheidenden Fragen sind nunmehr höchstrichterlich geklärt.
56
4. Der Streitwert des Berufungsverfahrens war gemäß §§ 47, 48 GKG iVm § 3 ZPO festzusetzen.