Titel:
Kein Restschadensersatzanspruch des geschädigten Neuwagenkäufers nach § 852 BGB (hier: VW Polo 1,6 l)
Normenketten:
BGB § 194 Abs. 1, § 199 Abs. 1, § 214, § 826, § 852 S. 1
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2 S. 1
ZPO § 148, § 287 Abs. 2
Leitsätze:
1. Zum Anspruch aus § 852 BGB bei verjährten "Diesel-Fällen" vgl. auch BGH BeckRS 2022, 4174; BeckRS 2022, 4153; BeckRS 2022, 4167; BeckRS 2022, 4175; BeckRS 2022, 18285; OLG München BeckRS 2022, 23409 sowie OLG Koblenz BeckRS 2022, 25161; BeckRS 2022, 25158; BeckRS 2022, 25067 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Hinsichtlich der konkreten Betroffenheit vom Diesel-Abgasskandal des von ihm erworbenen Fahrzeugs musste sich einem Käufer spätestens bis Ende 2016 aufgrund der von VW ab September 2015 verbreiteten Informationen und der nachfolgenden, allgemein bekannten Berichterstattung in den Medien aufdrängen, dass sein Fahrzeug ebenfalls betroffen sein konnte. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Händlermarge bei einem Neuwagenkauf kann auf 15% geschätzt werden. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die dem Anspruch nach § 852 BGB durch seine Abschöpfungsfunktion immanente Begrenzung auf die Höhe des Erlangten kann rechtlich nicht dazu führen, dass die haftungsauslösende und zum Vorteilsausgleich führende Schädigung fiktiv auf den Gegenstand des Erlangten reduziert würde, denn dies würde den Geschädigten, der sich durch Zahlung des Kaufpreises die Nutzung des Fahrzeugs erkauft und diese Nutzungen auch realisiert hat, zu Lasten des Schädigers in unbilliger Weise besser stellen. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 189, unzulässige Abschalteinrichtung, Neuwagen, Restschadensersatzanspruch, Verjährung, Nutzungsentschädigung, Händlereinkaufspreis, Händlermarge, Software-Update
Vorinstanz:
LG Schweinfurt, Endurteil vom 20.08.2021 – 24 O 174/21
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Beschluss vom 02.12.2022 – 5 U 416/21
Fundstelle:
BeckRS 2022, 32253
Tenor
1. Der Antrag des Klägers auf Aussetzung des Verfahrens wird abgelehnt.
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Schweinfurt vom 20.08.2021, Az. 24 O 174/21, wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Schweinfurt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz für den Kauf eines Fahrzeugs, in dem ein von der Beklagten entwickelter und gebauter Dieselmotor des Typs EA 189 eingebaut ist.
2
Der Kläger erwarb am 02.09.2011 das Fahrzeug VW Polo 1,6 l von einem Autohaus als Neufahrzeug zu einem Preis von 20.225,00 €.
3
Der Motor des Fahrzeugs wurde von der Beklagten entwickelt und gebaut. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Der Motor verfügte über eine Software, die eine Veränderung der ausgestoßenen Stickoxid-Emissionswerte im behördlichen Prüfverfahren auf dem Prüfstand herbeiführte und so bewirkte, dass bei der Messung auf dem Prüfstand geringere Abgaswerte, als sie im Normalbetrieb ausgestoßen werden, erzeugt und gemessen wurden. Die Software erkannte, wenn sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befand und der Prüfung des neuen europäischen Fahrzyklus unterzogen wurde. In diesem Fall schaltete die Software die Motorsteuerung in den Abgasrückführungsmodus 1, bei dem ein stickoxidoptimierter Ausstoß bewirkt wurde, weil mehr produziertes Abgas über die Abgasrückführung in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeführt wurde. Dieser Betriebsmodus 1 wurde nur aktiviert, wenn sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befunden hat. Der Betriebsmodus 0, der im normalen Straßenbetrieb die Motorsteuerung regelt, wurde dabei nicht in Betrieb gesetzt. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.
4
Am 22.09.2015 gab die Beklagte eine Adhoc-Mitteilung sowie eine gleichlautende Presseerklärung heraus, in denen der Öffentlichkeit mitgeteilt wurde, dass in Konzernfahrzeugen der Beklagten mit einem Dieselmotor EA 189 eine Software eingebaut ist, die zu auffälligen Abweichungen der Abgaswerte zwischen Prüfstandsbetrieb und realem Fahrbetrieb führte. Sowohl in den regionalen und überregionalen Printmedien als auch im Fernsehen und im Rundfunk sowie im Internet wurde darüber überregional und ausführlich berichtet. Im Jahr 2015 richtete die Beklagte eine Internetplattform ein, auf der die Fahrzeughalter die Betroffenheit ihres konkreten Fahrzeugs ermitteln konnten.
5
Am Tag der mündlichen Verhandlung, dem 18.10.2022, hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 229.780 km.
6
Der Kläger hat vorgetragen, dass die Zulassung des Motors zum Betrieb im öffentlichen Verkehr und die Typengenehmigung des Fahrzeugs durch den Einsatz der o.g. Software im Wege der Täuschung von der Beklagten erschlichen worden seien. Ohne die Täuschung hätte der Motor keine Zulassung erhalten, da er die gesetzlich vorgeschriebenen Werte nicht habe einhalten können. Es habe daher die Stilllegung des Fahrzeugs durch die Behörden gedroht. Dies sei im Zeitpunkt der Produktion und Inverkehrgabe des Fahrzeugs bzw. des Motors der Beklagten, insbesondere deren Vorständen bekannt gewesen. Hierdurch sei dem Kläger ein Schaden entstanden, der im Abschluss des Kaufvertrags und den hierauf aufgewendeten Zahlungen liege. Der Anspruch sei nicht verjährt. Dem Kläger sei es aufgrund der unklaren Rechtslage frühestens 2017 zumutbar gewesen, Klage zu erheben. Durch das Aufspielen des Softwareupdates, das auf einen verpflichtenden Rückruf des KBA hin erfolgt sei, sei ein neues, einen weiteren Schaden verursachendes Ereignis gesetzt worden, da mit dem Update erneut eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters aufgespielt worden sei. Zudem führe das Update zu negativen Auswirkungen auf das Fahrzeug, insbesondere zu Leistungseinbußen.
7
Der Kläger hat in der ersten Instanz mit seiner am 15.03.2021 erhobenen Klage die im Ersturteil enthaltenen Anträge gestellt.
8
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
9
Die Beklagte hat u. a. die Einrede der Verjährung erhoben.
10
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen.
11
Das Landgericht hat die Klage mit Endurteil vom 20.08.2021 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Ansprüche des Klägers verjährt seien und die Beklagte deshalb berechtigt sei, die Leistung zu verweigern. Auch ein Restschadensersatzanspruch des Klägers aus § 852 BGB bestünde im konkreten Fall nicht, weil dieser durch die vom Kläger gezogenen Nutzungsvorteile aufgrund der mit dem Fahrzeug gefahrenen Kilometer vollständig aufgezehrt sei.
12
Mit der Berufung wiederholt und vertieft der Kläger seinen Vortrag aus dem Verfahren erster Instanz. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 27.04.2022 Bezug genommen (Bl. 347 ff. d. A.).
1. Das Urteil des Landgerichts Schweinfurt vom 20.08.2021, 24 O 174/21 wird aufgehoben und wie folgt abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei € 20.250,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.11.2020 zu bezahlen, abzüglich einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Entschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs VW Polo (Fahrzeugidentifikationsnummer: ...) und Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs VW Polo (Fahrzeugidentifikationsnummer: ...).
3. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Klägerpartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerpartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 1.127,53 freizustellen.
14
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
15
Sie verteidigt das Ersturteil. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungserwiderung vom 30.06.2022 (Bl. 370 ff. d. A.) Bezug genommen.
16
Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien nimmt der Senat Bezug auf die Schriftsätze der Parteivertreter nebst Anlagen.
17
Die Voraussetzungen einer Aussetzung des Verfahrens entsprechend § 148 ZPO sind nicht gegeben. Denn es entspricht der - für den Senat verbindlichen - höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die vom Kläger genannten Vorschriften keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 25.05.2020 - VI ZR 252/19; Urt. v. 30.07. 2020 - VI ZR 5/20; Beschluss vom 04.05.2022 - VII ZR 656/21; zuletzt Urt. v. 13.06.2022 - VIa ZR 680/21, Tz. 24). Soweit der Generalanwalt Rantos in seinen Schlussanträgen vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 (ECLI:ECLI:EU:C:2022:420) eine abweichende Ansicht vertritt, ist diese weder für die deutschen Gerichte noch für den Gerichtshof der Europäischen Union rechtsverbindlich. Abgesehen hiervon kommt es auf die Frage des Drittschutzes der Vorschriften aus nachstehenden Gründen nicht an.
18
Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
19
Ein Anspruch des Klägers ist gegen die Beklagte aus § 826, § 31 BGB in Höhe von 1.635,80 € zwar entstanden, weil die Beklagte dem Kläger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich einen Schaden zugefügt hat. Dieser Anspruch ist aber nicht durchsetzbar, § 214 BGB, weil verjährt.
20
1. Hinsichtlich der rechtlichen Begründung schließt sich der Senat den Rechtsausführungen des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 25.05.2020, Aktenzeichen VI ZR 252/19 (veröffentlicht u. a. in NJW 2020, 1062) in vollem Umfang an und macht sich diese zu eigen. Dem Kläger ist durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten insbesondere ein Schaden entstanden, der in dem Abschluss des Kaufvertrags liegt (BGH a.a.O., Rn. 44). Die Kausalität ist zu bejahen, weil davon auszugehen ist, dass der Kläger das Fahrzeug nicht gekauft hätte, wenn er gewusst hätte, dass diesem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht (BGH a.a.O., Rn. 49). Der Kläger hat auch hinreichende Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands der Beklagten von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung dargelegt, so dass die Beklagte im Hinblick auf § 31 BGB eine sekundäre Darlegungslast trifft, der sie nicht nachgekommen ist.
21
2. Dem Kläger ist durch den Abschluss des Kaufvertrags über das Fahrzeug ein Schaden in Höhe des Kaufpreises von 20.225,00 € entstanden. Von diesem Schadensbetrag sind jedoch die vom Kläger gezogenen Nutzungen abzuziehen.
22
Der Senat nimmt die Anrechnung linear durch Multiplikation des Bruttokaufpreises mit den gefahrenen Kilometern, geteilt durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt des Fahrzeugs vor. Dies ist zulässig (BGH a.a.O., Rn. 79 ff.; Urt. v. 30.07.2020 - VI ZR 397/19, Rn. 35 f.). Der Senat hält unter Berücksichtigung des betroffenen Fahrzeugtyps den Ansatz einer voraussichtlichen Gesamtlaufleistung von 250.000 km für sachgerecht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Motoren der Beklagten zwar eine überdurchschnittliche Qualität haben. Es ist jedoch zu beachten, dass allgemein Fahrzeuge, die eine Laufleistung von mehr als 250.000 km aufweisen, auf dem Markt wegen der durch den Betrieb entstandenen Abnutzung aller Fahrzeugteile nahezu keinen nennenswerten wirtschaftlichen Verkehrswert mehr haben.
23
Der Kläger hat mit dem Fahrzeug 229.780 km zurückgelegt.
24
Dies ergibt vorliegend einen auszugleichenden Gebrauchsvorteil in Höhe von 18.589,20 €, der vom Kaufpreis von 20.225,00 € in Abzug zu bringen ist. Insgesamt ist dem Kläger daher ein Anspruch in Höhe 1.635,80 € entstanden.
25
3. Die Beklagte kann die Leistung jedoch nach § 214 Abs. 1 BGB verweigern, da der Anspruch auf Schadensersatz verjährt ist. Die Verjährungsfrist hat spätestens mit Ablauf des Jahres 2016 zu laufen begonnen und endete am 31.12.2019. Die am 15.03.2021 beim Landgericht eingegangen Klage konnte sie daher nicht mehr hemmen.
26
a) Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist 3 Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
27
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorhanden, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB stellt nur auf die Kenntnis der tatsächlichen Umstände ab, mithin des Lebenssachverhalts, der die Grundlage des Anspruchs bildet. Dabei ist weder notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Die erforderliche Kenntnis ist vielmehr bereits vorhanden, wenn die dem Geschädigten bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners als naheliegend erscheinen zu lassen. Es muss dem Geschädigten lediglich zumutbar sein, aufgrund dessen, was ihm hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufs bekannt ist, Klage zu erheben, wenn auch mit dem verbleibenden Prozessrisiko, insbesondere hinsichtlich der Nachweisbarkeit von Schadensersatz auslösenden Umständen. Die dreijährige Verjährungsfrist gibt dem Geschädigten dann noch hinreichende Möglichkeiten, sich für das weitere Vorgehen noch sicherere Grundlagen, insbesondere zur Beweisbarkeit seines Vorbringens, zu verschaffen (BGH, Urt. v. 17.12.2020 - VI ZR 739/20, juris Rn. 8 m. w. N.).
28
Grob fahrlässig handelt der Gläubiger, wenn seine Unkenntnis darauf beruht, dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen (BGH, Urt. v. 23.09.2008 - XI ZR 395/07, juris Rn. 14). Es muss ihm persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in eigenen Angelegenheiten bei der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können (BGH, Urt. v. 10.11.2009 - VI ZR 247/08, juris Rn. 13). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Geschädigte, der sich die Kenntnisse in zumutbarer Weise, ohne nennenswerte Mühe beschaffen könnte, die auf der Hand liegenden Erkenntnismöglichkeiten nicht ausnutzt. Dabei besteht jedoch für den Gläubiger keine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiativen zur Klärung von Schadenshergang und Person des Schädigers zu entfalten. Das Unterlassen einer Nachfrage ist nur dann grob fahrlässig, wenn weitere Umstände (Aufdrängen einer Schädigung aufgrund konkreter Anhaltspunkte) hinzutreten, die das Unterlassen schlicht als unverständlich erscheinen lassen (BGH, Urt. v. 08.07.2010 - III ZR 249/09, juris Rn. 28).
29
b) Bei Anwendung der vorstehend wiedergegebenen Grundsätze ist vorliegend davon auszugehen, dass der Kläger bereits im Jahr 2015 von der öffentlichen Berichterstattung und damit dem sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen Kenntnis erlangt hat (vgl. BGH, Urt. v. 29.07.2021 - VI ZR 1118/20, Rn. 18).
30
Denn nach den von der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts ist es unstreitig, dass der VW-Abgasskandal im September 2015 durch eine entsprechende Pressemitteilung der Beklagten offengelegt wurde und dass sich hieran eine breite, intensive und langdauernde Berichterstattung in sämtlichen Medien angeschlossen hat. Weiter hat das Landgericht festgestellt, dass es allgemein und auch dem Kläger bekannt war, dass bei einem beträchtlichen Teil der von dem Volkswagenkonzern bis zu diesem Zeitpunkt produzierten und vertriebenen Diesel-Pkw eine entsprechende Manipulationssoftware eingesetzt wurde, die auf dem Prüfstand die Einhaltung der gesetzlichen Abgaswerte vorspiegelt, obwohl diese tatsächlich in dem normalerweise aktivierten Betriebsmodus nicht eingehalten werden. Besondere Umstände, weshalb der Kläger von diesen Vorgängen generell keine Kenntnis erlangt habe, seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Auch diese Feststellungen werden von der Berufung nicht angegriffen.
31
Naturgemäß war dem Kläger weiter positiv bekannt, dass bzw. ob er beim Kauf des Fahrzeugs die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben als selbstverständlich vorausgesetzt hatte und dass bzw. ob er das Fahrzeug auch gekauft hätte, wenn er von dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung und den damit möglicherweise verbundenen (rechtlichen) Konsequenzen gewusst hätte. Kenntnis von der abstrakten Gefahr der Betriebsbeschränkung oder -untersagung, die aufgrund der dem Kläger generell aufgrund der Medienberichterstattung bekannten Funktionsweise der Software bestand, war nicht erforderlich, weil es sich insoweit nicht um einen tatsächlichen Umstand im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, sondern um eine rechtliche Schlussfolgerung handelt (vgl. BGH, Urt. v. 17.12.2020 a.a.O., Rn. 21).
32
Hinsichtlich der konkreten Betroffenheit des von ihm erworbenen streitgegenständlichen Fahrzeugs musste es sich dem Kläger spätestens bis Ende 2016 aufgrund der von der Beklagten ab September 2015 verbreiteten Informationen und der nachfolgenden, dem Kläger bekannten Berichterstattung in den Medien aufdrängen, dass sein Fahrzeug ebenfalls betroffen sein konnte. Die Tatsache, dass er trotzdem nicht bis spätestens Ende 2016, also mehr als 1 1/4 Jahre nach dem erstem Bekanntwerden des Skandals, weitere Nachforschungen angestellt hat, ist unter den dargelegten Umständen schlechterdings nicht nachvollziehbar und daher jedenfalls als grob fahrlässig zu bewerten. Jeder Halter bzw. Eigentümer eines potentiell betroffenen Fahrzeugs hätte sich bereits aus Gründen des Eigeninteresses spätestens im Jahr 2016 aufgrund der fortwährenden Berichterstattung und öffentlicher Diskussionen auch über die möglichen Konsequenzen für die Fahrzeughalter - wie bspw. eine drohende Stillegung, die Notwendigkeit eines Updates u.Ä. - dazu veranlasst sehen müssen, solche Nachforschungen anzustellen. Dies gilt auch, soweit die Beklagte anfänglich mitteilte, auf die betroffenen Fahrzeugeigentümer zugehen zu wollen. Diese Mitteilung kann es allenfalls für das Jahr 2015 begründen, eine grobe Fahrlässigkeit zu verneinen. Spätestens im Jahr 2016 war jeder Fahrzeughalter, der über die eigene Betroffenheit noch nicht informiert war, aus o.g. Gründen gehalten, sich diese Informationen zu verschaffen. Ein längeres Zuwarten erscheint insbesondere unter Berücksichtigung der fortdauernden Berichterstattungen und den möglichen persönlichen Konsequenzen schlechterdings unverständlich. Die gebotenen Nachforschungen, die der Kläger beispielsweise durch eine FIN-Abfrage bereits im Jahr 2015, eine Anfrage beim VW-Kundenservice oder eine Anfrage bei einem VW-Händler hätte vornehmen können, hätten dazu geführt, dass er die konkrete Betroffenheit des von ihm erworbenen Fahrzeugs festgestellt hätte.
33
Damit wusste der Kläger infolge grober Fahrlässigkeit nicht, dass sein Fahrzeug mit der vom Kraftfahrtbundesamt beanstandeten Software ausgestattet war, die im Rahmen der medialen Aufbereitung des sogenannten Dieselskandals als „Schummelsoftware“ in sämtlichen Medien über Monate hinweg Thema war.
34
Damit reichten die dem Kläger bekannten Umstände aus bzw. hätten die infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt gebliebenen Umstände ausgereicht, um zumutbar eine Klage gegen die Beklagte spätestens bis Ende 2016 erheben zu können (vgl. dazu im Einzelnen: BGH, Urt. v. 17.12.2020 a.a.O., Rn. 18 ff.). Hierfür ist es insbesondere nicht erforderlich, dass der Kläger bereits 2016 aus den ihm grob fahrlässig unbekannt gebliebenen Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zog, insbesondere aus ihnen einen Anspruch aus § 826 BGB herleitete. Der eng begrenzte Ausnahmefall, dass die Erhebung einer (Feststellungs-)Klage wegen unsicherer und zweifelhafter Rechtslage unzumutbar war und der Verjährungsbeginn daher hinausgeschoben wurde, liegt hier nicht vor. Der Durchsetzung des Anspruchs aus § 826 BGB stand eine höchstrichterliche Rechtsprechung nicht entgegen. Es war im Gegenteil ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 826 BGB (insbesondere Sittenwidrigkeit und Schaden) sowie zur sekundären Darlegungslast erkennbar, dass sich diese Rechtsprechung auf die hier vorliegende Fallkonstellation übertragen lassen würde, so dass die Rechtsverfolgung schon 2016 hinreichende Aussicht auf Erfolg versprach und zumutbar war (vgl. im Einzelnen: BGH, Urt. v. 17.12.2020 a.a.O., Rn. 26 ff.).
35
2. Eine anderweitige Hemmung der Verjährungsfrist ist nicht ersichtlich. Der Kläger hat sich unstreitig nicht an der Musterfeststellungsklage beteiligt.
36
Soweit der Kläger geltend macht, dass das auf sein Fahrzeug aufgespielte Softwareupdate eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines sog. „Thermofensters“ enthalte und dass das Softwareupdate zu Folgemängeln führe und dass hierdurch ein eigener, nicht verjährter, Anspruch aus § 826, § 31 BGB entstanden sei, trifft dies nicht zu.
37
1. Die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten setzte sich nicht deshalb in lediglich veränderter Form fort, weil die Beklagte mit einem Software-Update eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) implementiert hat. Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist. Der darin liegende - unterstellte - Gesetzesverstoß reicht aber nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Denn nach dem Vortrag des Klägers unterscheidet die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflußte Steuerung der Abgasrückführung nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Sie weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Es bedarf daher der Darlegung weiterer Umstände im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates (vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2021 - VI ZR 889/20, Tz. 25 - 30; BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20 Tz. 16 - 20). Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen der Kläger als Anspruchsteller (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19, Tz. 19).
38
Derartige weitere Umstände hat der Kläger nicht vorgetragen. Der Kläger trägt hierzu lediglich vor, dass durch das Softwareupdate die Nutzer der Fahrzeuge darüber getäuscht würden, dass nunmehr die gesetzlich festgelegten Emissionswerte eingehalten würden, was jedoch aufgrund durchgeführter Messungen tatsächlich nicht der Fall sei. Dass die bei der Beklagten im Sinne des § 31 BGB verantwortlichen Personen bei der Entwicklung und beim Aufspielen des Softwareupdates vorsätzlich gegen gesetzliche Vorschriften, insbesondere der VO(EG) Nr. 715/2007 erneut verstoßen haben, trägt der Kläger nicht vor. Bei Abschalteinrichtungen, die - wie hier - im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeiten wie im realen Fahrbetrieb und bei denen die Frage der rechtlichen Zulässigkeit nicht eindeutig unzweifelhaft beantwortet werden kann, kann bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen, sodass es insoweit an einer objektiven Sittenwidrigkeit fehlt. Aus der Entscheidung des EuGH in Bezug auf die Unzulässigkeit eines Thermofensters lässt sich bereits entnehmen, dass bis zu diesem Zeitpunkt eine breit geführte Diskussion um die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters geführt wurde. Eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt jedoch nicht, um eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens der Mitarbeiter der Beklagten erkennen zu können. Allein aus der hier zu unterstellenden objektiven Unzulässigkeit der vorgetragenen Abschalteinrichtungen folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20). Auch aus einer etwaigen unterbliebenen Offenlegung der genauen Funktionsweise des Thermofensters und der anderen behaupteten Abschalteinrichtungen gegenüber dem KBA ergibt sich nicht, dass für die Beklagte tätige Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden (BGH, a. a. O., Rn. 26).
39
2. Soweit der Kläger darauf abstellt, dass das Softwareupdate negative Auswirkungen insbesondere auf die Leistung des Fahrzeugs habe, führt auch dieser Vortrag nicht zum Erfolg der Klage. Dies rechtfertigt den Vorwurf besonderer Verwerflichkeit in der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht. Der Umstand, dass mit dem Update nicht nur die unzulässige Manipulationssoftware entfernt wird, sondern auch eine - unterstellt nachteilige - Veränderung insbesondere der Leistung des Fahrzeugs verbunden ist, reicht nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren (BGH, Beschluss vom 09.03.2021 - VI ZR 889/20, Rn. 30).
40
3. Soweit der Kläger vorbringt, mit dem Softwareupdate sei in 1,2 l Motoren eine neue unzulässige Abschalteinrichtung implementiert worden, ist dieser Einwand unbeachtlich, denn er erfolgt ohne Bezug zum streitgegenständlichen Motor, in dem ein 1,6 l Motor verbaut ist.
41
Der Kläger kann von der Beklagten keinen Restschadensersatz gemäß §§ 826, 31, 852 Satz 1 BGB verlangen. Denn der vom Kläger geltend gemachte Schaden ist durch die Nutzung vollständig ausgeglichen.
42
1. Dem Kläger steht zwar im Grundsatz ein Anspruch auf Restschadensersatz in Höhe von 17.191,25 € nach § 852 BGB zu. Die Vorschrift ist in der Konstellation des Kaufs eines Neuwagens anwendbar, wenn - wie vorliegend - das Fahrzeug bei einer Händlerin gekauft wird, die es ihrerseits bei der Beklagten bestellt hat (vgl. BGH, Urt. v. 21.02.2022 - VIa ZR 57/21; Urt. v. 21.03.2022 - VIa ZR 275/21).
43
a) Die Voraussetzungen des § 852 Satz 1 BGB liegen dem Grunde nach vor. Die Beklagte hat - wie vorstehend dargestellt - dem Kläger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich einen Schaden zugefügt. Der Anspruch ist aber wegen der durchgreifenden Verjährungseinrede nicht durchsetzbar.
44
b) Rechtsfolge ist die Verpflichtung zur Herausgabe des auf Kosten des Schädigers Erlangten nach den Vorschriften des Bereicherungsrechts, wobei es sich dabei um eine Rechtsfolgenverweisung handelt (BGH, Urt. v. 26.03.2019 - X ZR 109/16, juris Rn. 15).
45
aa) Der Senat schließt sich bei der Frage der Bemessung der Höhe des Erlangten der in den zitierten Urteilen wiedergegebenen Auffassung des Bundesgerichtshofs vollumfänglich an. Danach hat die Beklagte zunächst eine Forderung gegen die Händlerin aus dem Kaufvertrag mit ihr erlangt, die sich nach der Erfüllung dieser Forderung am Händlereinkaufspreis fortgesetzt hat (BGH, Urt. v. 21.02.2022 - VIa ZR 57/21, Tz. 13).
46
bb) Die Händlermarge für das streitgegenständliche Fahrzeug schätzt der Senat auf 15%. Zur Ermittlung deren Höhe hat der Senat von der Beweiserleichterung des § 287 Abs. 2 ZPO Gebrauch gemacht und von der Erholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen.
47
Die Voraussetzungen des § 287 Abs. 2 ZPO zur Schätzung der Händlermarge liegen hier vor, da der Anspruch als solcher dem Grunde nach feststeht, seine Höhe aber nur mit unverhältnismäßigem Aufwand (wenn überhaupt) vollständig aufklärbar wäre, so dass ein Sachverständiger die konkrete Marge für das streitgegenständliche Fahrzeug nach Ansicht des Senats daher selbst nur schätzen könnte. Seine Hauptarbeit läge letztlich darin, eine erhebliche, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit für die Schätzung (vgl. hierzu Musielak/Voit/Foerste, 18. Aufl. 2021 Rn. 11, ZPO § 287 Rn. 11) herzustellen, namentlich einen Vergleich der Margen von Dieselfahrzeugen der Beklagten im Allgemeinen und von Fahrzeugen des streitgegenständlichen Typs im Speziellen.
48
Eine solche Grundlage ist jedoch vorliegend bereits vorhanden. Der Senat kann hierbei auf den unbestritten gebliebenen Vortrag der Beklagten in der ersten Instanz und das in diesem Rahmen vorgelegte (Rechts-)Gutachten von Professor Martinek vom 22.10.2020 („Beilage § 852 BGB“) zurückgreifen.
49
Auf S. 61 f. des Gutachtens vom 22.10.2020 wird ausgeführt, was Fahrzeughersteller durchschnittlich für einen Neuwagen im Jahr 2019 im Ergebnis verdient haben und dabei eine durchschnittliche, allgemeine und bezogen auf alle verschiedene Fahrzeughersteller benannte Händlermarge von 16,5% des Nettolistenpreises berechnet. Hierbei beruft sich das vorgelegte Gutachten als Quelle auf Berechnungen des Instituts für Automobilwirtschaft (IFA), aber auch auf zahlreiche weitere Internetquellen. Der dort ermittelte Wert bewegt sich auch im Rahmen der in sonstigen öffentlich zugänglichen Quellen genannten Händlermargen zwischen in der Regel 10 und 20%.
50
Daneben war zu berücksichtigen, dass es sich bei den streitgegenständlichen Fahrzeug um einen Kleinwagen handelt, bei welchem die Händlermargen und Gewinne niedriger sind als bei sog. Premiumfahrzeugen (vgl. Martinek, a.a.O., S. 62). Demzufolge erscheint im konkreten Fall eine Händlermarge von 15% als realistisch. Damit beträgt der Händlereinkaufspreis vorliegend 17.191,25 € (Kaufpreis 20.225,00 € abzüglich 3.033,75 € = 15% Händlermarge).
51
2. Der dem Kläger damit grundsätzlich zustehende Anspruch auf Restschadensersatz ist vorliegend aber wegen der vom Kläger mit dem Fahrzeug gefahrenen Kilometer vollständig aufgezehrt.
52
a) Der dem Kläger zustehende Restschadensersatzanspruch nach § 852 BGB kann nicht weiter gehen als der Anspruch aus § 826 BGB, der grundsätzlich der Vorteilsausgleichung unterliegt. Der Kläger muss sich deshalb eine Nutzungsentschädigung für die von ihm mit dem Fahrzeug gefahrenen Kilometer anrechnen lassen (vgl. BGH, Urt. v. 21.02.2022 - VIa ZR 57/21, Tz. 16).
53
Nicht abzustellen ist vorliegend auf einen Nutzungsersatz, dessen Berechnung sich nur am etwaigen Händlereinkaufspreis des von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs orientieren würde. Denn auch wenn der Restschadensersatzanspruch auf das durch die Beklagte Erlangte, also deren Vermögensmehrung beschränkt ist, handelt es sich bei dem verjährten und dem Restschadensersatzanspruch zugrundeliegenden Anspruch aus § 826 BGB um einen solchen, der den gesamten vom Endkunden aufgewendeten Fahrzeugpreis umfasst (BGH, Urt. v. 20.07.2021 - VI ZR 633/20). Daher ist auch dieser vom Endkunden gezahlte Preis für das Fahrzeug für die Bestimmung des Nutzungsersatzes zugrunde zu legen, denn Nutzungen hat er gerade durch die Verwendung dieses Fahrzeugs gezogen. Die zwischenzeitlich eingetretene Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB ändert an den gezogenen Nutzungen nichts.
54
Auch Billigkeitserwägungen rechtfertigen keine abweichende Beurteilung. Denn die dem Anspruch nach § 852 BGB durch seine Abschöpfungsfunktion immanente Begrenzung auf die Höhe des Erlangten kann rechtlich nicht dazu führen, dass die haftungsauslösende und zum Vorteilsausgleich führende Schädigung fiktiv auf den Gegenstand des Erlangten reduziert würde, denn dies würde den Geschädigten, der sich durch Zahlung des Kaufpreises die Nutzung des Fahrzeugs erkauft und diese Nutzungen auch realisiert hat, zu Lasten des Schädigers in unbilliger Weise besser stellen.
55
b) Wie oben unter I. 2. bereits ausgeführt worden ist, beträgt die Nutzungsentschädigung vorliegend 18.589,20 €, so dass der Anspruch des Klägers vollständig ausgeglichen ist.
56
Weitergehende Ansprüche auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und auf Verzugs- bzw. Prozesszinsen ergeben sich nicht.
57
1. Der auf Freistsellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten gerichtete Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB ist verjährt und daher nicht mehr durchsetzbar (vgl. BGH, Urt. v. 21.02.2022 - VIa ZR 8/21, Rn. 74 ff.).
58
Die Beklagte ist nicht nach §§ 826, 852 Satz 1 BGB zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten verpflichtet, da die dem Kläger insoweit entstandenen Vermögensnachteile nicht zu einer Vermögensmehrung bei der Beklagten geführt haben (BGH aaO, Tz. 77).
59
Die Beklagte ist auch nicht aus § 280 Abs. 1 und 2, § 286 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerverzugs zum Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten verpflichtet. Die Kosten der den Verzug begründenden Mahnung stellen keinen Schaden infolge des Verzugs dar (BGH aaO, Tz. 78).
60
2. Der Kläger hat auch keinen Zinsanspruch aus § 291 BGB. Es ist seinem Sachvortrag mangels Kilometerangaben nicht entnehmbar, dass das Fahrzeug bei Eintritt der Rechtshängigkeit einen Kilometerstand ausgewiesen hat, der nicht zum vollständigen Ausgleich seines Anspruchs geführt hat. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass dies zum Zeitpunkt des außergerichtlichen Tätigwerdens der Klägervertreter der Fall war, so dass auch kein Anspruch auf Ersatz von Verzugszinsen besteht.
61
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
62
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
63
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 ZPO nicht vorliegen. Die streitgegenständlichen Rechtsprobleme im Zusammenhang mit dem sogenannten „Dieselskandal“ sind zwischenzeitlich durch den BGH rechtskräftig entschieden worden. Insoweit wird auf die oben genannten Urteile hingewiesen.