Inhalt

LG Bamberg, Endurteil v. 23.05.2022 – 21 O 5/22
Titel:

Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: VW Golf)

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
StGB § 263
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; OLG Bamberg BeckRS 2022, 32236; OLG Nürnberg BeckRS 2021, 52232; OLG Koblenz BeckRS 2022, 25180; BeckRS 2022, 25178; BeckRS 2022, 25176; BeckRS 2022, 25174; BeckRS 2022, 25157; BeckRS 2022, 25155; BeckRS 2022, 25138; BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Weder ein Verweis auf Ermittlungen in den USA noch ein pauschales Abstellen auf die gemeinsame Entwicklungshistorie der Motoren EA 189 und EA 288 bilden ausreichende Anknüpfungstatsachen dafür, dass beim Motor EA 288 - wie bei dem Motor des Typs EA 189 - eine Prüfstand-, Zyklus- und/oder Fahrkurvenerkennung vorliegt. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Angesichts der vom KBA als zulässig gewerteten Motorsteuerungskonfigurationen des Motors EA 288 fehlen Anhaltspunkte dafür, dass beim Motor EA 288 seitens VW in Täuschungsabsicht Einrichtungen eingebaut wurden, die der „Umschaltlogik“ des Motors EA 189 vergleichbar wären. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Thermofenster, Applikationsrichtlinien, Prüfstand-, Zyklus- und/oder Fahrkurvenerkennung, gemeinsame Entwicklungshistorie, Deutsche Umwelthilfe, OBD
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 05.09.2022 – 8 U 68/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 32237

Tenor

1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3.Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhevon 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. Beschluss Der Streitwert wird auf 18.990,91 € festgesetzt.  

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen behaupteter „Abgasmanipulation“.
2
Am 23.07.2021 erwarb der Kläger einen gebrauchten Pkw VW Golf, FahrzeugIdentifikationsnummer WVWZZZ …, Tachostand 62.500 km, zum Preis von 19.361,30 € von der Firma …. Das Fahrzeug ist mit dem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Dieselmotor EA 288 ausgestattet.
3
Das Fahrzeug unterlag keinem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts, und es wurde auch kein „freiwilliges“ Software-Update durchgeführt. Das Fahrzeug verfügt über ein sog. Thermofenster, dessen Funktionsweise zwischen den Parteien streitig ist.
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Der Kläger behauptet, das Fahrzeug sei vom sogenannten VW EA 288-Diesel-Abgasskandal betroffen. Das Fahrzeug bzw. der Motor sei durch die Beklagte manipuliert worden und sei mangelhaft. Es sei vom Einbau zahlreicher unzulässiger Abschalteinrichtungen mit Prüfstanderkennung / Zykluserkennung / Fahrkurvenerkennung auszugehen. Dies ergebe sich aus der sog. Applikationsrichtlinie der Beklagten. Bei dem verbauten Thermofenster handle es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Die Abgasreinigung sei bei normalem Fahrbetrieb größtenteils außer Funktion. Der tatsächliche Schadstoffausstoß im Realbetrieb, insbesondere hinsichtlich Stickoxiden, entspreche bei weitem nicht den gesetzlichen Vorgaben. Dies ergebe sich auch aus Messungen der DUH für Fahrzeuge mit EA 288-Motor. Hierüber habe die Beklagte in sittenwidriger Weise getäuscht.
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Die Beklagte habe vorsätzlich und strategisch gehandelt, um die Behörden, die Öffentlichkeit und die Käufer im Interesse ihres Gewinnstrebens über das Abgasverhalten des Motors EA 288 zu täuschen. Die Angaben der Beklagten im Typengenehmigungsverfahren seien unvollständig gewesen. Eine Zulassung hätte nicht erteilt werden dürfen. Auch das On-Board-DiagnoseSystem habe die Beklagte manipuliert, um ihre Abgasmanipulationen zu verschleiern.
6
Insbesondere habe die Beklagte auch den Kläger getäuscht, dem es auf den Erwerb eines wertstabilen und umweltfreundlichen Fahrzeugs angekommen sei, und der im Vertrauen auf die Einhaltung der gesetzlichen Emissionsgrenzwerte zum Kauf bewogen worden sei. Nur aufgrund der Täuschung habe der Kläger das Fahrzeug erworben. Dieses unterliege zudem wegen der Manipulationen einem massiven Wertverlust.
7
Für einzelne Fahrzeuge mit dem Motor EA 288 sei es bereits zu einem Rückruf des KBA bzw. zu Maßnahmen der Straßenverkehrsbehörde gekommen. Auch seien Fahrzeugbesitzer von VW-Händlern wegen einer „Überprüfung“ angeschrieben worden.
8
Im übrigen treffe die Beklagte eine sekundäre Darlegungslast.
9
Die Organe der Beklagten hätten von den Manipulationen und der gesamten Vorgehensweise Kenntnis gehabt. Die Beklagte habe sittenwidrig gehandelt und einen Betrug nach § 263 Abs. 1 StGB begangen. Der Schaden des Klägers liege in der Eingehung des Kaufvertrags und im Erhalt eines minderwertigen Fahrzeugs.
10
Der Kläger könne deshalb von der Beklagten die Erstattung des gezahlten Kaufpreises verlangen. Nutzungsersatz lässt sich der Kläger auf Basis einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km anrechnen.
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Der Kläger beantragt,
1)
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 18.990,91 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Volkswagen Golf, Fahrzeug-Ident.-Nr. WVWZZZ ….
2)
Es wird festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Entgegennahme des Fahrzeugs aus dem Antrag zu 1) in Annahmeverzug befindet.
3)
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 1.214,99 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit für die außergerichtliche anwaltliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
12
Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
13
Sie verweist darauf, dass das KBA bei eingehender, langjähriger Überprüfung des Motors EA 288 unter Anwendung neuartiger Prüfverfahren keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt habe.
14
Das Fahrzeug des Klägers weise insbesondere weder eine Umschaltlogik, noch eine Fahrkurvenerkennung auf. Das verbaute Thermofenster schalte die Abgasreinigung nur bei Extremtemperaturen von über 70 und unterhalb minus 24 Celsiusgraden ab und sei zum Motorschutz notwendig; das KBA habe dies gebilligt. Die EG-Typengenehmigung sei wirksam.
15
Dass die Emissionswerte im Realbetrieb von den unter Laborbedingungen gemessenen Prüfstandswerten abweichen würden, liege in der Natur der Sache und beruhe auf der bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, im Rahmen der seinerzeit maßgeblichen Regelung allein die Prüfstandswerte heranzuziehen.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschrift vom 25.04.2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet, denn ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Schadensersatz ergibt sich unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt.
18
I. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich gezogener Nutzungen nach § 826 BGB zu.
19
Der Sachvortrag des Klägers ist nicht ausreichend, um die Tatbestandsvoraussetzungen der sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB auszufüllen.
20
Sittenwidrig ist nach der Rechtsprechung des BGH, der das Gericht folgt, ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 - mit zahlr. weit. Nachw.).
21
Die danach erforderliche besondere Verwerflichkeit des Handelns der Beklagten ergab sich hinsichtlich des Motors EA 189 aus der von der Beklagten begangenen vorsätzlichen und langjährigen Täuschung des KBA, der Öffentlichkeit und der Fahrzeugkäufer durch den Einbau einer Motorsteuerungssoftware, die so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte - für die Prüfer der Zulassungsbehörden nicht erkennbar - durch Umschalten in einen anderen, nur beim Prüfstandlauf aktiven Betriebsmodus allein auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Aufgrund dieses durch den BGH als verwerflich eingestuften Handelns konnte eine Schadensersatzpflicht der Beklagten nach § 826 BGB gegenüber den ahnungslosen Käufern betroffener Fahrzeuge gegeben sein (BGH a.a.O.).
22
Dabei konnte aufgrund der konkreten Ausgestaltung der Abschalteinrichtung (spezielle, allein auf das Prüfverfahren abgestimmte Steuerungssoftware, die bei Aktivierung dazu führt, dass das Prüfverfahren keinerlei Rückschlüsse auf die tatsächlichen Eigenschaften des Fahrzeugs im Normalbetrieb zulässt, was erkennbar und bewusst dem Zweck der maßgeblichen Vorschriften der VO (EG) Nr. 715/2007 widersprach) unproblematisch davon ausgegangen werden, dass die handelnden Personen auch subjektiv von den die Sittenwidrigkeit begründenden Tatumständen Kenntnis hatten.
23
Ein auch nur annähernd vergleichbar verwerfliches Handeln der Beklagten in Bezug auf den Motor EA 288 des Klägerfahrzeugs ist vorliegend nicht erkennbar und lässt sich bereits dem Tatsachenvortrag des Klägers, der insoweit die volle Darlegungs- und Beweislast trägt, nicht entnehmen. Der Klägervortrag besteht aus Vermutungen und ersichtlich ins Blaue hinein aufgestellten, nicht näher belegten gehaltlosen Behauptungen und Allgemeinplätzen; ein konkreter Bezug gerade zum Klägerfahrzeug fehlt dabei. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass kein Rückruf des KBA für das Klägerfahrzeug erfolgt ist, und auch kein freiwilliges Update der Motorsteuerungssoftware durchgeführt wurde.
24
a) Ausreichende Anknüpfungstatsachen dafür, dass im vorliegenden Fall - wie bei dem Motor des Typs EA 189 - beim Motor des Klägerfahrzeugs eine Prüfstanderkennung / Zykluserkennung / Fahrkurvenerkennung vorliegt, sind nicht vorgetragen. Ein Verweis auf Ermittlungen in den USA oder Presseberichte ist hierfür nicht ausreichend. Auch ein pauschales Abstellen auf die gemeinsame Entwicklungshistorie der Motoren EA 189 und EA 288 oder auf die sogenannte Applikationsrichtlinie, auf deren Hintergründe die Beklagte in ihrer Klageerwiderung ausführlich und nachvollziehbar eingegangen ist, reicht hierfür nicht aus.
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b) Auch soweit der Kläger auf ein „Thermofenster“ abstellt, das eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen soll, fehlt es an hinreichend substantiiertem Vortrag.
26
Die Klagebegründung beschränkt sich auf die nicht näher belegte und nicht näher ausgeführte Behauptung, die Abgasreinigung des Motors EA 288 werde unter bestimmten Temperaturbedingungen oder auch anhand anderer Parameter (z.B. Drehzahl, gefahrene Geschwindigkeit) reduziert oder ausgesetzt (Klageschrift S. 7, Bl. 7 d. A.). Welchen Bezug die vom Kläger reihenweise in den Raum gestellten unterschiedlichen technischen Gegebenheiten gerade zum Fahrzeug des Klägers aufweisen sollen, ist dabei nicht erkennbar.
27
Zudem hat die Beklagte ausführlich, nachvollziehbar und unter verständlicher Darlegung der technischphysikalischen Zusammenhänge dargelegt, wie die temperaturabhängige Reduktion der Abgasreinigung (“Thermofenster“) beim Motor EA 288 funktioniere und aus welchen Gründen eine solche temperaturabhängige Reduktion in bestimmten Situationen nach dem derzeitigen Stand der Technik zum Schutz des Motors notwendig sei, und sie hat auch ausgeführt, dass die Wirkungsweise dieser Reduktion nur in einem Außentemperaturbereich unter -24 Grad und über +70 Grad zum Zug komme. Diesem substantiierten Vortrag ist der Kläger seinerseits nicht substantiiert entgegengetreten.
28
c) Auch angesichts der von der Beklagten in Einzelheiten dargetanen technischen Funktionsweise der vom KBA als zulässig gewerteten Motorsteuerungskonfigurationen des Motors EA 288 fehlen Anhaltspunkte dafür, dass beim Motor EA 288 seitens der Beklagten in Täuschungsabsicht Einrichtungen eingebaut wurden, die der „Umschaltlogik“ des Motors EA 189 vergleichbar wären.
29
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag der Klagepartei zur angeblichen Manipulation des On-Board-Diagnosesystems.
30
d) Auch der Verweis auf die Ergebnisse von Messungen der Deutschen Umwelthilfe oder anderer Institute betreffend den Schadstoffausstoß von Fahrzeugen mit EA 288-Motorisierung im Realbetrieb weist keinen konkreten Bezug zum Klägerfahrzeug auf und ist nicht geeignet, der Klage zum Erfolg zu verhelfen.
31
e) Der Vortrag der Klagepartei ist daher auch nicht geeignet, eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten auszulösen.
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II. Sonstige deliktische und auf Naturalrestitution gerichtete Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte kommen ebenfalls nicht in Betracht.
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Insbesondere besteht mangels Täuschung (vgl. oben unter I.) kein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 Abs. 1 StGB.
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III. Die aus dem Hauptanspruch abgeleiteten Nebenansprüche auf Feststellung des Annahmeverzugs sowie Zahlung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Zinsen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
35
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
36
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 709 S. 1, 2 ZPO.
37
Der Streitwert wurde gemäß §§ 3 ZPO, 63 GKG festgesetzt.