Inhalt

VG München, Urteil v. 13.10.2022 – M 10 K 19.3100
Titel:

Rechtmäßige Erhebung der Zweitwohnungssteuer durch die Landeshauptstadt München

Normenketten:
BGB § 573c, § 598, § 604 Abs. 2, Abs. 3, § 1601, § 1602, § 1610
GG Art. 105 Abs. 2a
KAG Art. 3 Abs. 1
ZwStS § 1, § 2 Abs. 2 S. 1, S. 2, § 3 Abs. 1
Leitsätze:
1. Für das Merkmal des Innehabens iSd § 3 Abs. 1, § 2 Abs. 2 ZwStS kommt es entscheidend auf die tatsächliche Verfügungsmacht und die rechtliche Verfügungsbefugnis an. Auch für Angehörige kann eine Zweitwohnung vorgehalten werden, wobei derjenige, der die Wohnung bereitstellt, selbst Aufwand betreibt. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. Überlässt eine Mutter ihrer Tochter mittels Leihvertrages eine Wohnung, ist sie zwar nach § 598 BGB verpflichtet, den Gebrauch der Wohnung unentgeltlich zu gestatten. Sie kann aber, wenn die Dauer der Leihe weder bestimmt noch aus dem Zweck zu entnehmen ist, die Wohnung nach § 604 Abs. 3 BGB jederzeit zurückfordern, außer das mietvertragliche Kündigungsrecht iSd §§ 573c ff. BGB  wurde mit vereinbart oder die Rückforderung der Wohnung wurde im Rahmen eines Leihverhältnisses an den Wegfall eines bestimmten Zwecks (§ 604 Abs. 2 S. 1 BGB) gebunden. (Rn. 41 – 45) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Wiedereinsetzung in eine versäumte Antragsfrist im Wege einer sog. Nachsichtgewährung kommt nur unter sehr engen Voraussetzungen in Betracht, um besonderen Härtefällen Rechnung zu tragen, etwa wenn die Säumnis auf höherer Gewalt beruht. (Rn. 54 – 60) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zweitwohnungsteuer, Innehaben einer Zweitwohnung, Überlassung der Zweitwohnung an Tochter wegen Studium, Leihvertrag, Anwendung die mietrechtlichen Kündigungsvorschriften (verneint), Zweckvereinbarung (nicht nachgewiesen), Zweitwohnungssteuer, Zweckvereinbarung, Kündigung, Mietrecht, Zweitwohnungsteuersatzung, Nebenwohnung, Eigennutzung, unentgeltliche Überlassung, Unterhaltspflicht, Wiedereinsetzung, Nachsichtgewährung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 32181

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zur Zweitwohnungsteuer durch die Beklagte für die Jahre 2012 bis 2017.
2
Von 1. Dezember 2012 bis 31. August 2017 war die Klägerin neben Herrn … …, dem Freund ihrer Tochter, Mitmieterin einer Wohnung in der … straße .. im Stadtgebiet der Beklagten. Die Wohnung wurde von ihrer Tochter und deren Freund bewohnt. Die Nettokaltmiete in Höhe von 1.000 Euro wurde je zur Hälfte von Herrn … und der Klägerin bzw. deren Ehemann getragen. Die Tochter der Klägerin, die zunächst Studentin, später Rechtsreferendarin war, wurde die Wohnung von ihren Eltern unentgeltlich überlassen.
3
Die Beklagte erhebt auf Grundlage ihrer Satzung über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer in der Landeshauptstadt M. (Zweitwohnungsteuersatzung - ZwStS) vom 22. Dezember 2006 eine Zweitwohnungsteuer. Nach § 1 ZwStS erhebt die Beklagte eine Zweitwohnungsteuer für das Innehaben einer Zweitwohnung im Stadtgebiet. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 ZwStS ist Zweitwohnung im Sinne der Satzung jede Wohnung, die melderechtlich als Nebenwohnung erfasst ist. Gem. § 2 Abs. 2 Satz 2 ZwStS ist Zweitwohnung weiterhin jede Wohnung im Stadtgebiet der Beklagten, die eine Person, die in einem anderen Gebäude ihre Hauptwohnung hat, zu ihrer persönlichen Lebensführung oder der ihrer Familienangehörigen innehat. Nach § 2 Abs. 2 Satz 3 ZwStS steht die vorübergehende Nutzung zu anderen Zwecken, insbesondere zur Überlassung an Dritte, der Zweitwohnungseigenschaft nicht entgegen. Steuerpflichtig ist nach § 3 Abs. 1 ZwStS jede natürliche Person, die im Stadtgebiet eine Zweitwohnung i.S.v. § 2 ZwStS innehat.
4
Unter dem 11. Juli 2012 unterzeichneten die Tochter der Klägerin und Herr … als Mietinteressenten ein Selbstauskunftsformular der Vermieterin.
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Unter dem 16. August 2012 unterzeichnete die Klägerin ein weiteres Selbstauskunftsformular.
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Nach Abschluss des Studiums und des Rechtsreferendariats trat die Tochter der Klägerin zum 1. September 2017 anstelle der Klägerin in den Mietvertrag ein. Zudem bezog sie am 31. August 2017 aus beruflichen Gründen ein Apartment in N. und meldete die streitgegenständliche Wohnung in der … straße .. zum 31. August 2017 als Nebenwohnung an, woraufhin die Beklagte ein Verfahren zur Veranlagung der Tochter zur Zweitwohnungsteuer einleitete.
7
Unter dem 24. Juni 2018 gab die Tochter der Klägerin eine Zweitwohnungsteuererklärung ab und führte in einem Begleitschreiben vom selben Tag aus, dass sie seit 1. Dezember 2012 in der Wohnung in der …staße .. wohne. Sie sei seit 1. September 2017 Mitmieterin der Wohnung. Da sie über kein bzw. kein dem Vermieter ausreichendes Einkommen verfügt habe, sei zuvor ihre Mutter Mitmieterin der Wohnung gewesen. Die Nettokaltmiete in Höhe von 1.000 Euro werde von ihr und Herrn … hälftig bestritten.
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Zudem legte sie die ersten zwei Seiten des Mietvertrags zwischen der Vermieterin, der Klägerin und Herrn … sowie die Eintrittsvereinbarung vom 11. August 2017 vor.
9
Daraufhin trat die Beklagte mit Schreiben vom 6. Juli 2018 an die Klägerin wegen einer möglichen Zweitwohnungsteuerpflicht heran und bat um Übersendung einer ausgefüllten Zweitwohnungsteuererklärung.
10
Unter dem 31. Juli 2018 gab die Klägerin die Zweitwohnungsteuererklärung ab und führte in einem Begleitschreiben vom 4. August 2018 unter anderem aus, dass ihre Tochter konsequenterweise mit dem Zeitpunkt, zu dem sie erstmals über ein hinreichendes eigenes Einkommen verfügt habe (1.9.2017), im Einvernehmen mit der Vermieterin an ihre Stelle als Mieterin in den Mietvertrag eingetreten sei. Ein Untermietvertrag mit der Tochter sei nicht abgeschlossen worden und habe aufgrund der Kostentragung durch die Eltern auch wirtschaftlich keinen Sinn gemacht.
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Vorsorglich beantragte die Klägerin die Befreiung von der Zweitwohnungsteuer wegen Unterschreitens der Einkommensgrenze und hilfsweise für den Fall der Säumnis Wiedereinsetzung. Dass ein zweitwohnungsteuerpflichtiger Sachverhalt zur Diskussion stehen könne, habe sie völlig überrascht durch das Schreiben der Beklagten vom 6. Juli 2018 erfahren.
12
Mit Bescheid vom 22. November 2018 setzte die Beklagte gegenüber der Klägerin für die Wohnung in der … straße .. für die Jahre 2012 bis 2017 eine Zweitwohnungsteuer in Höhe von insgesamt 2.565 EUR fest. Dabei beschränkte sie die Steuerfestsetzung für 2012 auf Dezember 2012 und für 2017 auf Januar bis August 2017. In der Begründung wurde ausgeführt, dass aus Billigkeitsgründen eine Aufteilung der angegebenen Nettokaltmiete nach der Anzahl der Wohnungsinhaber erfolgt sei, da nicht alle Wohnungsinhaber zweitwohnungsteuerpflichtig seien.
13
Mit weiterem Bescheid vom 22. November 2018 lehnte die Beklagte den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab und lehnte den Antrag auf Befreiung von der Zweitwohnungsteuer für die Jahre 2012 bis 2017 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass bei der Klägerin der Tatbestand des „Innehabens“ einer Nebenwohnung erfüllt sei, da die tatsächliche Verfügungsmacht und eine rechtliche Verfügungsbefugnis bestanden habe und das Verfügungsrecht nicht durch eine schriftliche oder mündliche Vereinbarung aufgegeben worden sei. Die Frist des Art. 3 Abs. 3 Satz 7 KAG sei eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand grundsätzlich nicht zulasse. Eine von der Rechtsprechung zugelassene Ausnahme von diesem Grundsatz sei nicht gegeben. Soweit die Klägerin angebe, nicht gewusst zu haben, dass sie zweitwohnungsteuerpflichtig sei, dass sie über die Befreiungsmöglichkeiten keine Kenntnis gehabt habe und daher die Anträge nicht fristgerecht habe stellen können, sei darauf hingewiesen, dass die Befreiung aufgrund geringen Einkommens eine Begünstigung darstelle. Im Steuerrecht gelte der Grundsatz, dass derjenige, der eine Begünstigung bzw. Befreiung erhalten möchte, verpflichtet sei, sich selbstständig über die Rechtslage und Voraussetzungen - ggf. unter Hinzuziehung eines sachkundigen Dritten - zu informieren. Insofern sei von behördlicher Seite her auf die entsprechende Sorgfaltspflicht, die es für jeden seine Rechte und Pflichten gerecht werdenden Bürger wahrzunehmen gelte, abzustellen. Für die Besteuerungsjahre 2012-2017 habe der Befreiungsantrag bis zum 31. Januar des Folgejahres vorliegen müssen. Der am 7. August 2018 eingegangen Befreiungsantrag sei daher nicht fristgerecht.
14
Mit Schreiben vom 6. Dezember 2018, eingegangen bei der Beklagten am 7. Dezember 2018, legte die Klägerin gegen die Bescheide vom 22. November 2018 Widerspruch ein. Zudem kündigte sie an, die veranlagte Steuer fristgerecht zu bezahlen.
15
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2019, der Klägerin zugestellt am 19. Juni 2019, wurden die Widersprüche zurückgewiesen. Auf die Begründung wird Bezug genommen.
16
Mit Schriftsatz vom 28. Juni 2019, eingegangen am 1. Juli 2019, hat die Klägerin Klage erheben lassen und beantragt:
17
1. Der Zweitwohnungsteuerbescheid der Beklagten vom 22. November 2018 und der Widerspruchsbescheid der Regierung von O. vom 17. Juni 2019 werden aufgehoben.
18
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die bezahlte Zweitwohnungsteuer in Höhe von 2.565 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2% über dem Basiszinssatz seit 8. Dezember 2018 zurückzuzahlen.
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3. Hilfsweise: die Beklagte wird unter Aufhebung des weiteren Bescheids der Beklagten vom 22. November 2018 und des Widerspruchsbescheids der Regierung von O. vom 17. Juni 2019 dazu verpflichtet, der Klägerin für den Zeitraum 1. Dezember 2012 bis 31. August 2017 Befreiung von der Zweitwohnungsteuer zu gewähren und der Klägerin die von der Klägerin bezahlte Zweitwohnungsteuer in Höhe von 2.565 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2% über dem Basiszinssatz seit dem 8. Dezember 2018 zurückzuzahlen.
20
Zur Begründung wird vorgetragen, die Klägerin habe sich die Möglichkeit der Eigennutzung nicht offengehalten. Während ihr Freund im Jahr 2012 bereits berufstätig gewesen sei, sei die studierende Tochter der Klägerin der Vermieterin der Wohnung nicht hinreichend solvent erschienen. Daraufhin hätten die Klägerin und ihr Ehemann angeboten, der Vermieterin für die Verpflichtungen ihrer Tochter aus dem Mietvertrag zu bürgen. Die Sachbearbeiterin der Vermieterin habe dies mit dem Hinweis abgelehnt, man habe schlechte Erfahrungen mit Bürgschaften gemacht und habe verlangt, dass zur Sicherstellung ihrer Ansprüche aus dem Mietvertrag anstelle der Tochter ein Elternteil zusammen mit deren Freund die Wohnung anmiete. Daher sei die Klägerin zusammen mit Herrn … Mieterin der Wohnung geworden. Die Klägerin habe die Wohnung selbst in keiner Weise jemals genutzt oder auch nur nutzen wollen und hätte, selbst wenn sie dies gewollt hätte, diese nicht nutzen können und dürfen. Vielmehr habe die Klägerin lediglich aus elterlicher Fürsorge im Rahmen der gesetzlichen Unterhaltspflicht zur Beibringung einer Sicherheit für die einkommenslose Tochter in der von der Vermieterin verlangten Weise die Nutzung der Wohnung durch die Tochter und deren Freund ermöglicht. Gewollt sei eigentlich gewesen, dass die Tochter der Klägerin die Wohnung selbst zusammen mit ihrem Freund anmiete, wobei die Eltern, da die Tochter als Studentin einkommenslos gewesen sei, den Mietanteil der Tochter unmittelbar an die Vermieterin oder mittelbar über die Tochter bezahlt hätten. Es sei nicht darum gegangen, dass die Klägerin eine tatsächliche Verfügungsmacht oder rechtliche Verfügungsbefugnis über die Wohnung in der … straße erlange, sondern darum, dass die Klägerin, um den Abschluss des Vertrages zu ermöglichen, eine Sicherheit für ihre einkommenslose Tochter in der von der Vermieterin verlangten Weise im Gewand eines Mietvertrages statt als Bürgin erbringe.
21
Damit korrespondiere zwangsläufig eine konkludente Abmachung der Tochter über eine unentgeltliche und unwiderrufliche Überlassung sämtlicher Befugnisse aus dem Mietvertrag. In gleicher Weise sei mit deren Freund, Herrn …, vereinbart worden, dass ausschließlich die Tochter der Klägerin Berechtigte aus dem Mietvertrag sei. Im Innenverhältnis zwischen der Tochter, deren Freund und der Klägerin hätten folglich rechtsverbindlich entsprechend der offenkundigen (auch für Dritte aufgrund der feststehenden Umstände nachprüfbaren) gemeinsamen Interessenlage der Beteiligten die Verhältnisse gegolten, die auch gegolten hätten, wenn die Tochter der Klägerin, wie allseits eigentlich gewollt, selbst Mieterin geworden wäre. Andernfalls hätten sich ab-struse Konsequenzen ergeben. Die Klägerin hätte dann beispielsweise jederzeit ihre Tochter aus der Wohnung weisen können und statt deren selbst in diese zum Freund der Tochter ziehen können. Soweit die Beklagte moniere, dass keine schriftliche Vereinbarung zwischen der Klägerin, der Tochter und Herrn … vorgelegt werden habe können, sei dieses Ansinnen als unter den konkreten Gegebenheiten weltfremd zurückzuweisen. In Anbetracht der offenkundig gleichgerichteten Interessen aller Beteiligten habe niemand ein Bedürfnis für eine schriftliche Fixierung einer im engsten Familienkreis abgeschlossenen Vereinbarung gesehen. Allen wäre die Situation aus gemeinsamen Erleben einvernehmlich bekannt gewesen. Alle hätten nur gewollt, dass die Tochter der Klägerin und ihr Freund „ihre Wohnung“ bekämen. Dieser Vereinbarung zu Grunde liegende Sachlage werde von der Beklagten auch in tatsächlicher Hinsicht nicht infrage gestellt.
22
Die vereinbarte unentgeltliche Überlassung sämtlicher Befugnisse der Klägerin aus dem Mietvertrag an die Tochter stelle sich als Leihe (§ 598 BGB) im Sinne des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Oktober 2016 (9 C 28.15) dar. Die Klägerin sollte ihre Tochter offenkundig nicht jederzeit nach Gutdünken aus der Wohnung weisen dürfen. Vielmehr sollte es dafür eines schwerwiegenden Grundes im Sinne des Rechts zu einer außerordentlichen Kündigung bedürfen. Derartige Restriktionen würden sich im Übrigen auch schon aus der gesetzlichen Unterhaltspflicht der Klägerin gegenüber der Tochter ergeben (§§ 1601, 1602, 1610 BGB). Die vorgenannte Beschränkung der Rechte der Klägerin aus dem Mietvertrag sei im Übrigen auch im Hinblick auf die berechtigten Interessen von Herrn … geboten gewesen, weshalb auch eine 3-seitige Vereinbarung geschlossen worden sei. Herrn … sei es erst recht nicht zuzumuten gewesen, dass das Zusammenwohnen mit der Tochter der Klägerin und damit faktisch auch sein Verbleib in der Wohnung vom Gutdünken der Klägerin abhängig gewesen wäre oder diese gar anstelle ihrer Tochter zu ihm in die Wohnung hätte ziehen können. Die Behauptung der Beklagten, dass die Klägerin ihrer Tochter die Wohnung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gefälligkeitshalber überlassen habe, sei zurückzuweisen. Vielmehr habe die Klägerin die Wohnung ihrer Tochter und Herrn … rechtsverbindlich auf Dauer zur Begründung eines gemeinsamen Hausstandes überlassen. Damit sei sowohl eine Vereinbarung im Sinne von § 604 Abs. 2 BGB geschlossen worden, wie auch die Geltung der mietrechtlichen Kündigungsvorschriften vereinbart worden.
23
Der Besteuerung stehe zudem der in Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 GG verbürgte Schutz der Familie entgegen. Die Beklagte sei nicht berechtigt, einen von elterlicher Fürsorge und gesetzlicher Unterhaltspflicht der Eltern getragenen und geprägten Sachverhalt als (vermeintlich) gehobene Lebensführung der Klägerin mit einer Aufwandsteuer zu belegen. Die Besteuerung der Klägerin konterkariere gerade den von der staatlichen Ordnung vom Grundgesetz aufgegebenen besonderen Schutz der Familie.
24
Das Tatbestandsmerkmal des Innehabens einer Zweitwohnung sei unter Heranziehung der Regelungen des Melderechts und in Anlehnung an diese auszulegen. Inhaber einer Zweitwohnung sei im Zweifelsfall derjenige, dessen melderechtliche Verhältnisse die Beurteilung der Wohnung als Zweitwohnung bewirkten. Die Klägerin habe in der streitgegenständlichen Wohnung weder einen Haupt- noch einen Nebenwohnsitz anmelden dürfen oder müssen. Gemeldet sei dort vielmehr richtigerweise die Tochter der Klägerin.
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Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass die Klägerin - selbst wenn man sich den Standpunkt der Beklagten zu eigen machen würde - wegen der gemeinschaftlichen Bindung unter Mitmietern ohne die Zustimmung von Herrn … keine die Wohnung betreffende rechtswirksame Entscheidung habe treffen können. Da Herr … nicht mit der Klägerin, sondern mit der Tochter habe zusammenziehen wollen, habe die Klägerin erst recht keine tatsächliche Verfügungsmacht über die Wohnung gehabt.
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Zudem stünde der Erhebung der Zweitwohnungsteuer jedenfalls entgegen, dass die Beklagte die Klägerin nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 und 3 Kommunalabgabengesetz (KAG) von der Zweitwohnungsteuer befreien müsse. Die maßgeblichen Einkünfte der Klägerin hätten im gesamten Veranlagungszeitraum deutlich unterhalb der maßgeblichen Einkommensgrenzen gelegen. Die Frist des Art. 3 Abs. 3 Satz 7 KAG stehe dem nicht entgegen. Die Antragstellung mit Schreiben vom 4. August 2018 führe - da es sich um eine gesetzliche Ausschlussfrist handle und deshalb eine Wiedereinsetzung im förmlichen Sinne nicht statthaft sein dürfte - auch nicht zu einer Verfristung. Die Klägerin habe, da sie bei Anlegung des gebotenen subjektiven Maßstabes keine Kenntnis von der Frist gehabt habe und nicht hätte haben können, schlichtweg nicht anders handeln können, als sie gehandelt habe. Sie habe damit die Frist wegen „höherer Gewalt“ im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung versäumt. Von der Klägerin, die Kunsthistorikerin sei, über keine nennenswerten rechtlichen Kenntnisse verfüge, nicht geschäftserfahren sei und selbst zuvor niemals unmittelbar oder mittelbar etwas mit Zweitwohnungsteuerfragen zu tun gehabt habe, habe auch unter Anlegung eines strengen Maßstabs nicht verlangt werden können, dass sie - obendrein in der atypischen verfahrensgegenständlichen Konstellation - erkenne oder auch nur mutmaße, dass sich eine Zweitwohnungsteuerproblematik hätte stellen können. Es sei darauf hingewiesen, dass die Zweitwohnungsteuer auch in den Kreisen, denen diese steuerbegrifflich geläufig sei, regelmäßig mit einer hier fernliegenden Abgabe für Ferienwohnungen assoziiert werde. Auch die Vermieterin der Wohnung, die … I. GmbH & Co.KG, Eigentümerin der … mit ca. 760 Mietwohnungen, ein vollkaufmännisches Unternehmen, habe den Zweitwohnungsteueraspekt der gewählten Lösung nicht gesehen. Die Klägerin stelle nicht infrage, dass ein Steuerpflichtiger zur Meidung von Rechtsnachteilen auch gehalten sein könne, fachkundigen Rechtsrat einzuholen. Wenn die Klägerin aber den Zweitwohnungsteuerbezug nicht habe erkennen können, habe sie auch keinen einschlägigen Rechtsrat einholen können. Der Zinsantrag folge aus Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b Doppelbuchst. bb) KAG i.V.m. §§ 236, 238 AO, § 247 BGB.
27
Die Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 28. August 2019,
28
die Klage abzuweisen.
29
Zur Begründung wird ausgeführt, dass im relevanten Zeitraum ein steuerbarer Gegenstand nach §§ 1, 2 Abs. 1 und 2 ZwStS vorgelegen habe. Die Klägerin habe als Mieterin für eine gewisse Dauer rechtlich gesichert über die Nutzung der Wohnung verfügen und selbst bestimmen können, ob, wann und wie sie diese nutze, ob sie sich selbst darin aufhalten oder die Wohnung anderen zur Verfügung stellen wolle. Die konkludente Vereinbarung der Klägerin mit ihrer Tochter sei nicht dazu geeignet, die Verfügungsbefugnis abzugeben. Ein Leihvertrag sei zwar an keine Formvorschriften geknüpft, müsse jedoch entweder die Vereinbarung von mietrechtlichen Kündigungsvorschriften zum Bestandteil haben oder Dauer und Zweck der Überlassung regeln. Die Klägerin habe ihrer Tochter die Wohnung ohne die Abrede über die Geltung mietrechtlicher Kündigungsvorschriften überlassen und auch weder die Dauer noch der Zweck der Leihe seien bestimmt worden. Die offenkundige und gemeinsame Interessenlage der Beteiligten und die Nutzung der Wohnung durch die Tochter sei für die Bestimmung des Innehabens irrelevant.
30
Die in Bezug auf die Anträge auf Befreiung für die Vorjahre geltend gemachte Nachsichtsgewährung greife nicht. Ein Sachverhalt, der ausnahmsweise eine Nachsichtgewährung rechtfertigen würde, sei nicht gegeben. Insbesondere sei kein qualifiziertes Fehlverhalten der Beklagten darin ersichtlich, dass die Klägerin erst nach Ablauf der gesetzlichen Ausschlussfrist gem. Art. 3 Abs. 3 KAG die Zweitwohnungsteuerpflicht ihrerseits kannte. Allein mangelnde Rechtskenntnis gehe zulasten des Säumigen. Die Annahme der Klägerin, mit der konkludenten Abmachung zwischen ihr und ihrer Tochter habe sie die Wohnung nicht inne, sei unter dem Begriff „mangelnde Rechtskenntnis“ zu subsumieren und daher der Klägerin zuzurechnen. Der Klägerin habe eine Informationspflicht oblegen, zumal sie bereits in M. wohnhaft gewesen sei und sich der notwendigen Informationen gegebenenfalls unter Hinzuziehung fachkundiger Dritter hätte bedienen können. Der Gesetzgeber habe die Antragstellung auf Befreiung bewusst mit einer Fristsetzung versehen und in Kauf genommen, dass Anträge, die nach Ablauf der Frist gestellt würden, nicht mehr genehmigt werden könnten.
31
Mit Schriftsatz vom 14. September 2019 erwiderte die Klägerin, dass sie die streitgegenständliche Wohnung rechtsverbindlich, unwiderruflich und unentgeltlich ihrer Tochter überlassen habe. Soweit die Beklagte meine, dass Dauer und Zweck der Überlassung nicht bestimmt worden seien, setzte sie sich insbesondere nicht damit auseinander, dass es von vornherein nicht darum gegangen sei, dass die Klägerin eine tatsächliche (Teil-)Verfügungsmacht oder rechtliche (Teil-)Verfügungsbefugnis über die Wohnung erlange oder auch nur habe erlangen wollen, sondern darum, eine Sicherheit für ihre einkommenslose Tochter in der von der Vermieterin verlangten Weise im Gewand eines Mietvertrags statt als Bürgin zu erbringen. Die Beklagte beachte auch nicht, dass einzig und allein die dauerhafte Begründung eines gemeinsamen Hausstandes der Tochter der Klägerin und des Herrn … Zweck des Eintritts der Klägerin in den Mietvertrag gewesen sei.
32
Im Hinblick auf die Befreiung von der Zweitwohnungsteuer scheine die Beklagte zu verkennen, dass der Begriff der „höheren Gewalt“ zwar einerseits enger zu verstehen sei, als der in den Wiedereinsetzungsvorschriften gebrauchte Begriff „ohne Verschulden“, aber andererseits kein von außen kommendes oder der menschlichen Steuerung völlig entzogenes Ereignis voraussetze. Zum anderen übersehe die Beklagte, wenn sie argumentativ darauf abstelle, dass mangelnde Rechtskenntnis zulasten des Säumigen gehe und dieser gegebenenfalls Rechtsrat einholen müsse, dass es hier maßgeblich darum gehe, ob der Klägerin überhaupt abverlangt werden könne, von sich aus vor Zugang des Schreibens der Beklagten vom 6. Juli 2018 einen „Anfangsverdacht“ in Richtung Zweitwohnungsteuer zu entwickeln, was die denknotwendige Voraussetzung für die Einholung von Rechtsrat sei. Es sei nochmals darauf hinzuweisen, dass auch die Vermieterin, ein vollkaufmännisches Immobilienunternehmen, den Zweitwohnungsteueraspekt der von ihr verlangten Lösung nicht gesehen habe.
33
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2022 den (ehemaligen) Freund der Tochter der Klägerin als Zeugen zur Frage des Bestehens einer Nutzungsvereinbarung bezüglich der angemieteten Wohnung vernommen.
34
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

35
Die zulässige Klage ist sowohl in den Hauptanträgen als auch im Hilfsantrag unbegründet. Die Bescheide der Beklagten vom 22. November 2018 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
36
Der Zweitwohnungsteuerbescheid vom 22. November 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
37
1. Rechtsgrundlage für die Steuererhebung durch die Beklagte ist ihre Zweitwohnungsteuersatzung vom 22. Dezember 2006. Hinsichtlich der Gültigkeit der Satzung bestehen keine Bedenken. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht haben die Gültigkeit der Zweitwohnungsteuersatzung in mehreren Entscheidungen nicht beanstandet (BayVGH, B.v. 17.3.2009 - 4 CS 09.25; U.v. 15.10.2009 - 4 ZB 09.521; U.v. 28.9.2009 - 4 ZB 09.923; BVerfG, B.v. 17.2.2010 - 1 BvR 529/09 - juris).
38
2. Die Klägerin ist durch die Beklagte zu Recht auf Grundlage ihrer Zweitwohnungsteuersatzung für den streitgegenständlichen Zeitraum zur Zweitwohnungsteuer herangezogen worden.
39
a) Die Klägerin hatte die streitgegenständliche Wohnung in den Jahren 2012 bis 2017 als Zweitwohnung zur Lebensführung einer Angehörigen „inne“ i.S.v. § 3 Abs. 1, § 2 Abs. 2 ZwStS, sodass sie gem. § 1 ZwStS der Zweitwohnungsteuer unterlag. Trotz der Überlassung an ihre Tochter war die Klägerin weiterhin als Inhaberin der Wohnung anzusehen.
40
b) Für das Merkmal des Innehabens kommt es entscheidend auf die tatsächliche Verfügungsmacht und die rechtliche Verfügungsbefugnis an. Auch für Angehörige kann eine Zweitwohnung vorgehalten werden (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 3 ZwStS). Wer eine Wohnung einem Angehörigen unentgeltlich zur Verfügung stellt, betreibt selbst Aufwand. Er ist Inhaber der Wohnung, soweit er sie weiterhin hält und sich der Verfügungsmacht über sie nicht begibt, sich also die Möglichkeit der Eigennutzung offenhält. Grundsätzlich ist es aber möglich, dass sich ein Eigentümer der Nutzungsmöglichkeiten auch gegenüber einem Angehörigen begibt, etwa durch Vereinbarung eines Leihvertrages mit entsprechender Geltung der mietvertraglichen Kündigungsvorschriften gem. §§ 573c ff. BGB oder einer Zweckbestimmung i.S.v. § 604 Abs. 2 BGB (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 11.10.2016 - 9 C 28.15 - juris). Zu klären ist dabei zunächst anhand der Interessenlage der Beteiligten, ob die unentgeltliche Überlassung überhaupt auf einen Rechtsbindungswillen zurückgeht, oder nicht (vgl. OVG SH, U.v. 14.9.2017 - 2 LB 14/16 - juris Rn. 45). Dabei ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt, dass ein rechtlich verbindliches Leihverhältnis auch stillschweigend vereinbart werden kann, wenn sich dies aus den Umständen, etwa der praktizierten Nutzung ergibt. So kann die unentgeltliche dauerhafte Nutzung von Wohnraum auf einem gegebenenfalls geschlossenen konkludenten Leihvertrag beruhen (BGH, U.v. 10.10.1984 - VIII ZR 152/83 - juris Rn. 12; s. auch OVG SH, U.v. 14.9.2017 - 2 LB 14/16 - juris Rn. 45). Ob darüber hinaus eine (mündlich vereinbarte) Zweckbestimmung i.S.v. § 604 Abs. 2 BGB vorliegt, ist anhand einer umfassenden Würdigung aller Tatsachen des Einzelfalls zu klären (vgl. OVG SH, U.v. 14.9.2017 - 2 LB 14/16 - juris Rn. 42). Bei der Feststellung eines Rechtsbindungswillens zu einer Zweckvereinbarung sind aber erhöhte Anforderungen zu stellen, wenn es um die Frage geht, ob die Zweckvereinbarung auch das Recht zur ordentlichen Kündigung nach § 604 Abs. 3 BGB ausschließen soll (Lohss in BeckOGK BGB, Stand 1.3.2022, § 604 Rn. 8). Notwendig ist daher eine ernsthafte, klare und eindeutige Vereinbarung, die vor Beginn des Leistungsaustauschs in rechtswirksamer Weise abgeschlossen wurde und entsprechend des Vereinbarten auch durchgeführt wurde (vgl. VG München, U.v. 7.5.2020 - M 10 K 19.327 - juris Rn. 39 m.w.N.). Ob eine mündlich vereinbarte Zweckvereinbarung i.S.v. § 604 Abs. 2 BGB tatsächlich getroffen wurde, unterliegt insofern der Überzeugungsbildung des Gerichts i.S.v. § 108 Abs. 1 VwGO (s. etwa zu einer Nutzungsüberlassung einer Wohnung zur Ermöglichung eines Studiums: VG München, U.v. 7.5.2020 - M 10 K 19.327 - juris Rn. 38 ff. [Zweckvereinbarung nicht nachgewiesen]; anders bei VG Köln, U.v. 22.7.2015 - 21 K 330/15 - juris Rn. 34).
41
c) Gemessen hieran steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich die Klägerin der rechtlichen Verfügungsbefugnis über die streitgegenständliche Wohnung begeben hat. Die Tochter der Klägerin nutzte die Wohnung unentgeltlich. Dabei kann offenbleiben, ob die Überlassung rein faktisch bzw. als familienrechtliche Unterhaltsleistung oder, wie von der Klägerin vorgetragen, auf Grundlage eines mündlichen (auch konkludenten) Leihvertrags erfolgte. Denn durch einen Leihvertrag wird der Verleiher einer Wohnung zwar nach § 598 BGB verpflichtet, dem Entleiher den Gebrauch der Wohnung unentgeltlich zu gestatten. Der Entleiher kann deshalb die Herausgabe der Wohnung an den Eigentümer auf Grund seines Rechts zum Besitz verweigern. Allerdings kann der Verleiher, wenn die Dauer der Leihe weder bestimmt noch aus dem Zweck zu entnehmen ist, die Wohnung nach § 604 Abs. 3 BGB jederzeit zurückfordern. Diese Möglichkeit ist dagegen ausgeschlossen, wenn der Verleiher vertraglich an das mietvertragliche Kündigungsrecht i.S.v. §§ 573c ff. BGB gebunden ist oder etwa eine Rückforderung im Rahmen eines Leihverhältnisses an den Wegfall eines bestimmten Zwecks (§ 604 Abs. 2 Satz 1 BGB) gebunden ist.
42
Eine Bindung der Klägerin an die mietrechtlichen Kündigungsvorschriften nach §§ 573c ff. BGB erscheint nach den glaubhaften Angaben des Zeugen … in der mündlichen Verhandlung ausgeschlossen. Das Gericht teilt seine Einschätzung, es erscheine „absurd“, dass die Klägerin und ihre Tochter ohne einen bestimmten Anlass über Kündigungsfristen gesprochen hätten.
43
Das Bestehen einer (mündlichen) Zweckvereinbarung i.S.v. § 604 Abs. 2 BGB hat die Klägerin ebenso nicht nachweisen können.
44
Die Klägerin macht (im Wesentlichen) geltend, dass die streitgegenständliche Wohnung gerade aus dem Grund von ihr angemietet wurde, um ihrer Tochter am Studienort M. auch unter Unterhaltsgesichtspunkten eine Wohnmöglichkeit zur Verfügung zu stellen, sowie ihr mit ihrem Freund einen gemeinsamen Hausstand zu ermöglichen. Der konkrete Kontext, weshalb der Tochter der Klägerin die Wohnung unentgeltlich überlassen wurde, mag zwar nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für einen konkludent geschlossenen Leihvertrag sprechen. Bezüglich der höheren Anforderungen an eine Zweckvereinbarung i.S.v. § 604 Abs. 2 BGB, die das Recht zur ordentlichen Kündigung nach § 604 Abs. 3 BGB ausschließt, genügt aber insbesondere der Vortrag der zur „offenkundig gleichgerichteten Interessenlage aller Beteiligten“ nicht. Das Gericht stellt nicht in Abrede, dass bei der unentgeltlichen Überlassung der Wohnung an die Tochter der Kläger auch Ausbildungsunterhaltsaspekte (vgl. §§ 1601, 1602, 1610 BGB) eine Rolle gespielt haben, wenngleich es für das Gericht nicht besonders wahrscheinlich erscheint, dass diese rechtlichen Gesichtspunkte den maßgeblichen inneren Anstoß zwischen der Klägerin und ihrer Tochter für die unentgeltliche Überlassung der Wohnung an sie gegeben haben. Hiergegen spricht auch der Vortrag des Klägerbevollmächtigten, dass der maßgebliche Anstoß gerade auf die Intervention der Vermieterin zurückzuführen sei, die nicht mit einer Bürgschaft der Klägerin einverstanden war. Jedenfalls hat der Klägerbevollmächtigte auch auf Nachfrage des Gerichts nicht näher nachvollziehbar ausgeführt, dass gerade die Gewährung von Ausbildungsunterhalt der bestimmende Zweck für die unentgeltliche Überlassung der Wohnung war. Da die Klägerin nicht persönlich in der Verhandlung erschienen ist, konnte das Gericht diese als insoweit sachnächste Person auch nicht befragen. Ebenso konnte die Interessenlage der Tochter nicht näher aufgeklärt werden, da der Bevollmächtigte einen Beweisantrag nicht gestellt hat und sich eine weitere Aufklärung von Amts wegen angesichts der Angaben des Zeugen … in der mündlichen Verhandlung nicht aufgedrängt hat. Die Tatsache, dass die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt gegenüber ihrer Tochter unterhaltspflichtig war, führt für sich genommen nicht zur rechtlichen Unmöglichkeit der Ausübung des Kündigungsrechts nach § 604 Abs. 3 BGB. Letztendlich beschränken sich die (umfangreichen) Ausführungen des Klägerbevollmächtigten darauf, eine (innerfamiliäre und wirtschaftliche) Motivlage für die unentgeltliche Überlassung der Wohnung an die Tochter darzustellen. Persönliche oder wirtschaftliche Motive sind aber für die Frage der Zweitwohnungsteuerpflicht nicht ausschlaggebend. Entscheidend ist allein, ob die rechtliche Verfügungsbefugnis bindend auf einen Dritten übertragen wurde (vgl. VG München, U.v. 7.5.2020 - M 10 K 19.327 - juris Rn. 39). Dass die Klägerin nach glaubhafter Darstellung die rechtliche Verfügungsbefugnis über die streitgegenständliche Wohnung faktisch nicht ausgeübt hat, genügt nicht, um einen rechtlich bindenden Übergang der Verfügungsbefugnis auf die Tochter festzustellen. Nicht zuletzt hat der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung auch auf Nachfrage des Gerichts nicht nachvollziehbar darlegen können, worin der konkrete Inhalt der von ihm behaupteten Zweckvereinbarung zu sehen sei. Seine diesbezüglichen Ausführungen beschränkten sich insoweit (erneut) auf eine (allgemeine) Darstellung der Motiv- und Interessenlage bezüglich der Anmietung der Wohnung für die Tochter durch die Klägerin.
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d) Ein anderes Ergebnis ergibt sich schließlich nicht, wie von der Klägerin gerügt, aus der wertentscheidenden verfassungsrechtlichen Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG, wonach der Staat die Familie zu fördern und zu schützen hat. Die höchstrichterlich vom Bundesverwaltungsgericht geklärten rechtlichen Maßstäbe (BVerwG, U.v. 11.10.2016 - 9 C 28.15 - juris Rn. 14 ff.) tragen den Interessen Familienangehöriger bei der unentgeltlichen Überlassung von Wohnraum im zweitwohnungsteuerrechtlichen Kontext hinreichend Rechnung. Insofern scheint der Bevollmächtigte zu übersehen, dass eine Zweitwohnungsteuerpflicht in Fällen wie dem vorliegenden Fall kein zwingender rechtlicher Automatismus ist, sondern maßgeblich mit tatsächlichen Fragestellungen zusammenhängt, welche die Behörde bzw. das Gericht aufzuklären haben (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 28). Sofern wegen des Fehlens eines schriftlichen Leihvertrags besonders präziser und zielbezogener Vortrag zum Nachweis einer mündlichen Zweckvereinbarung i.S.v. § 604 Abs. 2 BGB erforderlich ist, betrifft dies ein verfahrensprozessuales Erfordernis, das nicht in verfassungswidriger Weise in den in Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG enthaltenen Schutzauftrag eingreift.
46
3. Die Berechnung der Steuerhöhe ist weder gerügt, noch sind Zweifel an deren Rechtmäßigkeit ersichtlich.
II.
47
Die in Nummer 2 der Klage beantragte Rückzahlung der gezahlten Zweitwohnungsteuer bleibt nach alledem ohne Erfolg, weil die Zahlung der Zweitwohnungsteuer aufgrund des rechtmäßigen Zweitwohnungsteuerbescheids vom 22. November 2018 nicht ohne rechtlichen Grund erfolgt ist.
III.
48
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Befreiung von der Zweitwohnungsteuer, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
49
Die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Zweitwohnungsteuer nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 ff. KAG liegen für die Jahre 2012 bis 2017 nicht vor.
50
Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 KAG wird eine Steuer auf das Innehaben einer Wohnung nicht erhoben, wenn die Summe der positiven Einkünfte des Steuerpflichtigen nach § 2 Abs. 1, 2 und 5a des Einkommensteuergesetzes (EStG) im vorletzten Jahr vor Entstehen der Steuerpflicht 25.000 EUR bzw. 29.000 EUR (seit 1. Januar 2015, vgl. KAG-Änderungsgesetz vom 11. März 2014) nicht überschritten hat; bei nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten und Lebenspartnern beträgt die Summe der positiven Einkünfte 33.000 bzw. 37.000 EUR (Art. 3 Abs. 3 Satz 3 KAG).
51
1. Ungeachtet der Frage, ob die Klägerin betreffend die Jahre 2012 bis 2017 die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Befreiung von der Zweitwohnungsteuerpflicht aufgrund der normierten Einkommensgrenzen erfüllt hat, fehlt es an einem fristgerechten Befreiungsantrag i.S.v. Art. 3 Abs. 3 Satz 7 KAG.
52
Nach dieser Vorschrift setzt die Entscheidung über die Nichterhebung der Steuer nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 bis 6 KAG einen Antrag voraus, der bis zum Ende des Kalendermonats, der auf das Steuerjahr folgt, gestellt sein muss.
53
Der Befreiungsantrag der Klägerin vom 4. August 2018 war damit für die Jahre 2012 bis 2017 verfristet, da er für die einzelnen Jahre jeweils bis zum 31. Januar des Folgejahres hätte gestellt werden müssen.
54
2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in die versäumten Fristen.
55
a) Bei der Antragsfrist des Art. 3 Abs. 3 Satz 7 KAG handelt es sich um eine sogenannte materiell-rechtliche Ausschlussfrist, deren Nichteinhaltung den Verlust einer materiellen Rechtsposition zur Folge hat (BayVGH, U.v. 26.1.2017 - 4 B 16.1541 - juris). Sie ist für die Behörden und die Beteiligten verbindlich und steht nicht zur Disposition der Verwaltung oder der Gerichte. Art. 32 Abs. 5 BayVwVfG schließt daher die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in materiell-rechtliche Ausschlussfristen gerade aus. Fehlt es an einem fristgerechten Antrag, können Entscheidungen nach Art. 3 Abs. 3 Sätze 2 bis 6 KAG daher grundsätzlich nicht mehr ergehen.
56
b) Der Klägerin ist auch nicht ausnahmsweise im Wege einer sogenannten „Nachsichtgewährung“ Wiedereinsetzung in die versäumten Antragsfristen zu gewähren.
57
Eine solche Nachsicht kommt nur unter sehr engen Voraussetzungen in Betracht, um besonderen Härtefällen Rechnung zu tragen. Das ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung anzunehmen, wenn die Säumnis auf höherer Gewalt beruht (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2013 - 8 C 24.12 - juris Rn. 29; BVerwG, U.v. 23.4.1985 - 9 C 7.85 - juris Rn. 16) oder wenn sie auf ein rechts- oder treuwidriges Verhalten der Behörde zurückgeht (vgl. BVerwG, U.v. 28.3.1996 - 7 C 28.95 - juris Rn. 17 ff.), etwa wenn die Behörde durch eine falsche oder irreführende Rechts(behelfs) belehrung die verspätete Antragstellung mitveranlasst hat (BVerwG, U.v. 18.4.1997 - 8 C 38.95 - juris Rn. 17).
58
Allein mangelnde Rechtskenntnis geht demgegenüber zu Lasten des Säumigen (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.1984 - 6 C 33.83 - juris Rn. 23).
59
Ein solcher Sachverhalt, der ausnahmsweise eine Nachsichtgewährung rechtfertigen könnte, ist vorliegend nicht gegeben. Soweit sich der Klägerbevollmächtigte u.a. unter Verweis auf die oben zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Dezember 2013 auf den Begriff der „höheren Gewalt“ bezieht, kann er hiermit nicht durchdringen. Die vom Bevollmächtigten dort zitierte Rechtsprechungspassage passt nicht auf die Versäumung einer Frist infolge Rechtsunkenntnis. Es ist schon nicht nachvollziehbar, inwiefern das Versäumen einer Frist ein „Ereignis“ sein soll, das „nicht […] abgewendet werden konnte“. Jedenfalls wird aus der oben zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. März 1984 deutlich, dass Rechtsunkenntnis gerade kein Grund für eine Nachgesichtgewährung ist und daher entgegen der Ansicht des Klägerbevollmächtigten die von ihm zitierten Entscheidungen auch nicht so interpretiert werden können.
60
c) Nicht zuletzt ist kein qualifiziertes Fehlverhalten der Beklagten darin ersichtlich, dass sie die Klägerin nicht rechtzeitig über die Möglichkeit einer Befreiung und die Fristbindung des Befreiungsantrags nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 und 7 KAG informiert hat (siehe aber aktuell https://.../10...2/ - dort wird auf die Möglichkeit eines Befreiungsantrags für den Fall des Einkommens unter den genannten Freigrenzen hingewiesen). Den gesetzlichen Regelungen Unterworfenen obliegt es grundsätzlich selbst, sich über ihre Rechte und Pflichten zu informieren. Dies gilt insbesondere im Steuerrecht und auch dann, wenn ein bestimmter Sachverhalt steuerrechtlich „unverdächtig“ erscheint. Vor allem bei komplizierten Sachverhalten erfasst diese Obliegenheit im Einzelfall auch, vorausschauend zu Zwecken der rechtlichen Störfallvorsorge qualifizierte Hilfe etwa durch einen Rechtsanwalt oder Steuerberater in Anspruch zu nehmen.
IV.
61
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht gem. § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.