Titel:
Keine hinreichende Erfolgsaussicht für eine "Dieselklage"
Normenketten:
BGB § 826
ZPO § 114
VVG § 125, § 128
ARB 2008 § 1, § 2, § 3a
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn der Standpunkt des Versicherungsnehmers zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife nach den von ihm aufgestellten Behauptungen und den ihm bekannten Einwendungen des Gegners zumindest vertretbar sein und beweisbar erscheinen muss. (Rn. 21 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Allein der Vortrag, in einem Kraftfahrzeug sei ein "Thermofenster" verbaut, das bei bestimmten Außentemperaturen die Abgasrückführung beeinflusse, begründet den Vorwurf der Sittenwidrigkeit des Herstellerverhaltens nicht. (Rn. 29 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Abweichung der Messwerte im Realbetrieb von den Messwerten nach NEFZ ist als Indiz für eine Abschalteinrichtung oder gar Manipulationssoftware angesichts der gravierenden Unterschiede der Messbedingungen ungeeignet. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rechtsschutz, Deckungsablehnung, Schiedsgutachterverfahren, hinreichende Erfolgsaussicht, Manipulationssoftware, Abschalteinrichtung, Dieselfahrzeug, Abgasrückführung, Sittenwidrigkeit, NEFZ, VO (EG) 715/2007
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg vom -- – 8 U 2697/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 32169
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird auf 5.395,29 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um eine Deckungszusage aus einem Rechtsschutzversicherungsvertrag für eine beabsichtigte außergerichtliche und erstinstanzliche Rechtsverfolgung gegenüber der BMW AG wegen behaupteter Manipulation der Abgassteuerung eines erworbenen Dieselfahrzeugs sowie um die der Klägerin im Rahmen des Streits um die Deckung entstandenen vorgerichtlichen Anwaltskosten.
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Die Klägerin unterhielt im März 2020 bei der Beklagten unter der Versicherungs-Nummer …66 eine Rechtsschutzversicherung. Die Versicherungsbedingungen sehen die Möglichkeit der Deckungsablehnung wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers und die Durchführung eines Schiedsgutachterverfahrens für diesen Fall vor.
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Die Klägerin erwarb am 14.03.2020 nicht von der BMW AG, sondern einem Dritten einen gebrauchten Pkw BMW 220d (FIN: …42) zum Preis von 20.900,00 €. Im Fahrzeug ist der Dieselmotor des Typs B47 verbaut, das Fahrzeug wird der Schadstoffklasse Euro 6 zugeordnet und wurde am 19.02.2016 erstmals zum Straßenverkehr zugelassen.
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Für das Fahrzeug liegt ein vom Kraftfahrtbundesamt angeordnete verpflichtende Rückruf nicht vor, nach Angaben der BMW AG erfüllt das Fahrzeug die gesetzlichen Anforderungen hinsichtlich der Verbrauchs- und Abgasemissionen.
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Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin wurden von dieser mit der rechtlichen Vertretung gegenüber der BMW AG beauftragt. Die Klägerin beabsichtigt, aus dem Kauf resultierende Schadensersatzansprüche geltend zu machen.
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Nach Erhalt einer Deckungsanfrage der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 20.05.2021 für die außergerichtliche und erstinstanzliche Vertretung der Klägerin gegen die BMW AG lehnte die Beklagte eine Deckung für die beabsichtigte Rechtsverfolgung mit Schreiben vom 25.05.2021, hinsichtlich dessen Inhalts auf die Anlage B1 Bezug genommen wird, wegen fehlender Erfolgsaussicht ab.
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Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 14.06.2021 beantragte die Klägerin die Einleitung des Schiedsgutachterverfahrens. Der von der Rechtsanwaltskammer Nürnberg zum Schiedsgutachter bestellte Rechtsanwalt O. T. verneinte in Übereinstimmung mit der Deckungsablehnung der Beklagten eine hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung.
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Für die im Zusammenhang mit dem begehrten Deckungsschutz gefertigten Schriftsätze stellten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin ihr auf der Grundlage eines Gegenstandswertes von 5.474,00 € - berechnet nach dem Kostenrisiko der außergerichtlichen und erstinstanzlichen Vertretung - und einer 1,3 Geschäftsgebühr 627,13 € brutto in Rechnung.
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Die Klägerin trägt vor, die BMW AG habe in dem Pkw eine illegale Abschalteinrichtung verbaut, die unter bestimmten Umständen die Abgasreinigung deaktiviert oder weniger wirksam macht. Das Fahrzeug verfüge über ein sogenanntes „Thermofenster“, das so gestaltet sei, dass die Abgasreinigung nur im Bereich zwischen 17 und 33 °C vollständig arbeite. Unter 11 °C und über 33 °C Außentemperatur werde die Abgasrückführung vollständig deaktiviert. Außerdem werde die Abgasrückführung ab 2.900 U/Min reduziert und ab 3.300 U/Min ganz deaktiviert. Schließlich werde sie bei einem Umgebungsdruck von 90 kPa reduziert und ab 88 kPa gänzlich deaktiviert. Messreihen zu dem streitgegenständlichen Motortyp zeigten, dass die gesetzlichen Grenzwerte bei Messungen im NEFZ eingehalten, außerhalb des NEFZ aber massiv überschritten würden. Dies belege das Vorhandensein einer weiteren Abschalteinrichtung neben dem „Thermofenster“. Eine solche sei mit dem „Kaltstartheizen“ auch nachgewiesen, das nur im NEFZ zu einem rascheren Erreichen der Betriebstemperatur des Speicherkatalysators führe.
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Ihr könne auch eine mangelnde Erfolgsaussicht einer Klage gegen die BMW AG nicht entgegengehalten werden, da sie einen Anspruch nach § 826 BGB gegen die BMW AG schlüssig vortragen könne. Das Verhalten der BMW AG sei als objektiv sittenwidrig zu qualifizieren, weil auf der Grundlage einer strategischen Entscheidung im eigenen Gewinninteresse Fahrzeuge in den Verkehr gebracht würden, deren Steuerungssoftware bewusst so programmiert sei, dass die gesetzlichen Abgaswerte auf dem Prüfstand, aber nicht im sonstigen Betrieb mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung eingehalten werden. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin richte sich auf die Erstattung des gesamten Kaufpreises, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges. Gegebenenfalls sei eine Gesamtlaufleistung des Pkw von 300.000 km bei der Berechnung eines Vorteilsausgleichs zugrunde zu legen. Der Argumentation mit einer fehlenden Erfolgsaussicht stehe per se entgegen, dass der Ausgang des beabsichtigten Rechtsstreits von einem Sachverständigengutachten abhängig sei, dessen Inhalt nicht vorhergesehen werden könne. Auch sei zu berücksichtigen, dass die BMW AG im Hauptprozess eine sekundäre Darlegungslast treffe.
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Die Klägerin beantragt,
- 1.
-
Es wird festgestellt, dass die Beklagte aus dem Versicherungsvertrag Nr. …66 im Zusammenhang mit der Schadennummer …57 verpflichtet ist, die Kosten der außergerichtlichen und erstinstanzlichen Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der Klagepartei gegen die BMW AG aus dem Kauf eines BMW 220d (FIN …42) und der unterstellten Manipulation der Abgassteuerung dieses Fahrzeugs zu tragen.
- 2.
-
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den Kosten des in Zusammenhang mit der Schadennummer …57 gefertigten außergerichtlichen Anschreibens der KAP Rechtsanwaltsgesellschaft mbH vom 16.03.2021 in Höhe von Euro 627,13 freizustellen.
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Die Beklagte beantragt
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Die Beklagte führt aus, dass die beabsichtigte Klage habe keine ausreichende Erfolgsaussicht, da ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB nicht bestehe. Der Vortrag der Klägerin sei nicht geeignet, einen solchen Anspruch zu begründen. Es werde bestritten, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ein „Thermofenster“ verbaut sei. Ebenso werde bestritten, dass die von der Klägerin herangezogenen Messungen einen Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug hätten. Schließlich werde auch das Vorhandensein einer unzulässigen Prüfstanderkennungssoftware bestritten. Im Übrigen rechtfertige die Verwendung eines „Thermofensters“ alleine einen Schadensersatzanspruch gegen den Hersteller nicht. Ein sittenwidriges Handeln der BMW AG sei nicht schlüssig dargelegt. Die BMW AG treffe in dem beabsichtigten Prozess auch keine sekundäre Darlegungs- und Beweislast.
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Zu den geltend gemachten Rechtsanwaltsgebühren führt die Beklagte aus, dass die Einholung einer Deckungszusage sowie die Übernahme der Korrespondenz mit den Rechtsschutzversicherer ein einheitlicher Vorgang sei. Die Gebühr sei bereits mit der Erteilung des Auftrags zur Einholung der Deckungszusage entstanden. Zu diesem Zeitpunkt habe sich die Beklagte nicht in Verzug befunden. Auch auf eine Pflichtverletzung der Beklagten aus dem Versicherungsvertrag lasse sich der Anspruch nicht stützen, da es jedenfalls an der Kausalität eines Schadens fehle.
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Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze in die vorgelegten Anlagen Bezug genommen.
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Mit Beschluss vom 21.06.2022 hat die Kammer die Entscheidung des Rechtsstreits dem Einzelrichter übertragen. Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden. Mit Zustimmung der Parteien ist mit Beschluss vom 21.06.2022 die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung angeordnet worden. Als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, ist der 01.08.2022 bestimmt worden.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
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I. Die Klägerin hat aus dem streitgegenständlichen Rechtsschutzversicherungsvertrag keinen Anspruch auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, die begehrte Deckung für eine Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der Klägerin gegenüber der BMW AG zu gewähren. Die Beklagte hat die begehrte Deckung zutreffend wegen mangelnder Erfolgsaussicht versagt.
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1. Die vereinbarten Versicherungsbedingungen eröffnen dem Versicherer die Möglichkeit, den Rechtsschutz abzulehnen, weil die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
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Das Erfordernis der hinreichenden Aussicht auf Erfolg ist wörtlich § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO entnommen und ein im Prozesskostenhilferecht seit langem verwendeter und feststehender Rechtsbegriff. Bei seiner Auslegung können daher die in der Rechtsprechung zur Prozesskostenhilfe entwickelten Grundsätze übernommen werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 16. September 1987 - IVa ZR 76/86 -, juris).
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Dies bedeutet, dass der Standpunkt des Versicherungsnehmers nach den von ihm aufgestellten Behauptungen und den ihm bekannten Einwendungen des Gegners zumindest vertretbar sein muss. Es muss zudem als möglich erscheinen, dass der Versicherungsnehmer den Nachweis der von ihm zu beweisenden Tatsachen mit Hilfe zulässiger und geeigneter Beweismittel zu führen vermag. Eine Beurteilung der Beweischancen durch antizipierte Beweiswürdigung darf jedoch bei der Prüfung der Erfolgsaussichten grundsätzlich nicht stattfinden (st. Rspr.; BGH, aaO). Auch kann es für die Frage der hinreichenden Erfolgsaussicht auf die Verteilung der Darlegungslast im Hauptprozess ankommen, so dass eine sekundäre Darlegungslast des Prozessgegners dem Einwand fehlender Erfolgsaussicht entgegenstehen kann (Prölss/Martin/Piontek, 31. Aufl. 2021, ARB 2010 § 1 Rn. 10).
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Bei der Prüfung der Frage, ob die beabsichtigte Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers hinreichende Erfolgsaussicht hat oder mutwillig ist, ist auf den Zeitpunkt der sog. Bewilligungsreife abzustellen, d.h. auf den Zeitpunkt, in dem der Rechtsschutzversicherer seine Entscheidung trifft (Harbauer/Schmitt, Rechtsschutzversicherung, 9. Aufl. 2018, ARB 2010 § 3a Rn. 13).
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2. Entscheidender Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Vorgehens gegen die BMW AG ist damit der Zeitpunkt des Ablehnungsschreibens der Beklagten vom 25.05.2021.
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Der streitgegenständliche PKW wurde gebraucht von einem Dritten erworben, damit scheiden vertragliche Ansprüche gegen die BMW AG aus.
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Auch kann die Klägerin einen Anspruch nicht auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB stützen, da es jedenfalls an der „Stoffgleichheit“ des von ihr behaupteten Schadens und einer etwaigen Bereicherung der BMW AG fehlt (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20 -, juris). Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheitert daran, dass die genannten Vorschriften der EG-FGV ebenso wie Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG nicht dem Vermögensschutz eines Kraftfahrzeugerwerbers dienen (BGH, aaO).
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Die Voraussetzungen der damit noch verbleibenden Anspruchsgrundlage des § 826 BGB hat die Klägerin bei Zugrundelegung des Stands der obergerichtlichen Rechtsprechung am 25.05.2021 nicht schlüssig dargelegt, sodass ihr die Beklagte zutreffend eine mangelnde Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung entgegenhält.
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Es fehlt bereits an einem schlüssigen Vortrag der Sittenwidrigkeit des Verhaltens der BMW AG.
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2.1. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 -, juris).
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2.2. Nach diesen Grundsätzen reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug der Klägerin nach ihrem Vortrag ein sog. „Thermofenster“ enthält, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die BMW AG handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei kann zugunsten der Klägerin in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist. Der darin liegende Gesetzesverstoß ist auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der BMW AG für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die BMW AG handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände (BGH aaO).
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Diese liegen nicht darin, dass die Klägerin vorträgt, es komme zu weiteren Minderungen der Leistung der Abgasrückführung oder deren völliger Abschaltung ab 2.900 U/Min bzw. ab 3.300 U/Min sowie bei einem Umgebungsdruck von 90 kPa bzw. ab 88 kPa. Mögen auch diese Maßnahmen der Steuerungssoftware - zu Gunsten der Klägerin unterstellt - als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren sein, so ist auch insoweit entscheidend, dass diese Maßnahmen auch im realen Verkehr und nicht nur auf dem Prüfstand greifen, mögen sie dort auch nicht relevant sein. Sie sind damit nicht anders als ein „Thermofenster“ zu behandeln. Gleiches gilt für das behauptete „Kaltstartheizen“.
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2.3. Bei dieser Sachlage ist der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der BMW AG nur gerechtfertigt, wenn zu dem - hier unterstellten - Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (vgl. BGH, aaO).
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2.4. Ein solches Vorstellungsbild der für die BMW AG handelnden Personen trägt die Klägerin nicht schlüssig vor.
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2.4.1. Zwar trifft den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei eine sekundäre Darlegungslast, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Dem Bestreitenden obliegt es im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Nachforschungen zu unternehmen, wenn ihm dies zumutbar ist. Die sekundäre Darlegungslast führt jedoch weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und 2 ZPO) hinausgehenden Verpflichtung des in Anspruch Genommenen, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Genügt der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (st. Rspr., vgl. BGH, Die sekundäre Darlegungslast wird aber erst ausgelöst, wenn die primär darlegungsbelastete Partei hinreichende Anhaltspunkte für ihre Behauptung aufzeigt (st. Rspr.; vgl. BGH, aaO Rn. 38 f und Beschluss vom 15. September 2021 - VII ZR 2/21 -, juris Rn. 16). Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, BGHZ 225, 316 Rn. 37).
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Konkret müssen sich die erforderlichen Anhaltspunkte hier darauf beziehen, dass die Steuerung des Emissionskontrollsystems eine Funktion aufweist, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 -, juris und Beschluss vom 15. September 2021 - VII ZR 2/21 -, juris Rn. 19).
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2.4.2. Dem Vortrag der Klägerin, die Messwerte im Realbetrieb überträfen die Grenzwerte um ein Mehrfaches, lässt sich allenfalls in Teilen ein konkreter Bezug zu dem hier streitgegenständlichen Fahrzeug entnehmen. Darauf kommt es aber nicht entscheidend an. Die Abweichung der Messwerte im Realbetrieb von den Messwerten nach NEFZ ist als Indiz für eine Abschalteinrichtung, und noch dazu für eine Manipulationssoftware, die die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen könnte, angesichts der unstreitigen gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messung erfolgt, ungeeignet (OLG Frankfurt, Urteil vom 27. November 2020 - 10 U 3/20 -, juris, nachfolgend bestätigt durch BGH, Beschluss vom 15. September 2021 - VII ZR 2/21 -, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 16. Juni 2020 - 16a U 228/19 -, juris).
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II. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung im Rahmen der Geltendmachung des Deckungsanspruchs entstandener vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
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1. Die Klägerin trägt nicht vor, dass sich ein Anspruch aus dem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrag ergibt.
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2. Ein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten besteht als Schadenersatzanspruch bei Verzug des Schuldners (§§ 280 Abs. 1 u. 2, 286 BGB) oder nach einer zu einem Schaden führenden Pflichtverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB), soweit die Beauftragung des Rechtsanwalts gem. § 249 BGB aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (vgl. Hunecke, NJW 2015, 3745).
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben, da die Beklagte wie dargelegt, einen Deckungsanspruch der Klägerin zutreffend verneint hat.
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III. 1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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2. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO.
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Der Streitwert einer Klage auf Feststellung der Gewährung von Deckungsschutz aus einer Rechtsschutzversicherung richtet sich dabei nach den voraussichtlichen durch die gerichtliche oder außergerichtliche Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers entstehenden Kosten, deren Übernahme durch den Versicherer er erstrebt, abzüglich eines Feststellungsabschlags von 20% (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - IV ZR 141/10 -, juris).
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Entsprechend dem Begehren der Klägerin einer Kaufpreiserstattung ohne Abzug für die Nutzung des PKW hat die Kammer für die Berechnung der voraussichtlich anfallenden Gebühren einen Gegenstandswert bzw. Streitwert von 20.900,00 € zu Grunde gelegt. Für die außergerichtliche Interessenwahrnehmung ergeben sich voraussichtliche Kosten von 1.295,43 €. Für die gerichtliche Interessenwahrnehmung ergeben sich voraussichtliche Kosten von 1.833,43 € für den Anwalt der Klägerin, 2.469,25 € für den gegnerischen Anwalt und 1.146,00 € für die Gerichtskosten (berechnet mit juris Prozesskostenrechner).
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Der Streitwert für Ziffer 1 der Klage liegt damit bei 5.395,29 € (6.744,11 € x 0,8). Ziffer 2 der Klage bleibt gem. § 43 Abs. 1 GKG unberücksichtigt.