Titel:
Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch bewusstes Verschweigen einer unzulässigen Abschaltvorrichtung durch Kfz-Hersteller
Normenkette:
BGB § 826
Leitsatz:
Dem Fahrzeughersteller ist ohne weiteres ersichtlich, dass für die Kaufentscheidung eines verständigen Erwerbers der Umstand von zentraler Bedeutung ist, ein den gesetzlichen Vorgaben entsprechendes Fahrzeug zu erwerben. Durch das vorsätzliche Verschweigen der unzulässigen Abschalteinrichtung hat der Fahrzeughersteller über diesen zentralen Umstand getäuscht. Das betrügerische Verhalten erweist sich auch als sittenwidrig. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Sittenwidrigkeit, Kfz-Hersteller, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, bewusste Täuschung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 32094
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 58.971,07 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.06.2021 zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi SQ5 2967 mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ….
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 64.926,44 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klagepartei macht gegen die Beklagte als Herstellerin Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Fahrzeugs wegen dort angeblich verbauter unzulässiger Abschalteinrichtungen geltend.
2
Die Klagepartei erwarb von einem nicht am Rechtsstreit beteiligten Händler mit Kaufvertrag vom 23.06.2015 (Anlage K1) den streitgegenständlichen Pkw Audi SQ5 2967, der mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten 3.0 Liter-V6-Motor ausgestattet ist, als Neuwagen zu einem Kaufpreis von 83.075,01 Euro. Das Fahrzeug hatte im Zeitpunkt des Kaufs eine Laufleistung von 0 km, im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am 01.12.2021 eine Laufleistung von 87.044 km. Für das Fahrzeug wurde eine EG-Typengenehmigung für die Emissionsklasse Euro 6 ausgestellt.
3
Um den Ausstoß von Stickoxid zu optimieren, wird bei dem Fahrzeug im Wege der sog. Abgasrückführung ein Teil des Abgases zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt und nimmt erneut an der Verbrennung teil. Die Abgasrückführung wird außerhalb eines bestimmten Temperaturfensters zurückgefahren (sog. Thermofenster). Dessen konkrete Beschaffenheit ist zwischen den Parteien umstritten.
4
Das streitgegenständliche Fahrzeug ist von einem Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt im Hinblick auf eine unzulässige Abschalteinrichtung betroffen. Auf Anordnung des Kraftfahrtbundesamtes bietet die Beklagte ein Softwareupdate zur Aktualisierung der Motorsoftware der Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs an.
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Mit Schreiben vom 26.03.2021 (Anlage K13) wurde die Beklagte aufgefordert Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs den geltend gemachten Schadensersatz bis spätestens 06.04.2021 zu zahlen. Die Frist verstrich fristlos.
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Die Klage wurde der Beklagten am 23.06.2021 zugestellt.
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Die Klagepartei behauptet, das Fahrzeug verfüge über einen Motor EA897 evo, der mit einer illegalen Motorsteuerungssoftware ausgestattet sei, wobei mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen in dem Fahrzeug verbaut seien. Es erfolge eine unterschiedliche Emissionsbehandlung je nachdem, ob sich das Fahrzeug in der Prüfstandsanordnung oder im Normalbetrieb befindet. Zunächst werde die Abgasrückführungsrate bei Erkennen des Prüfbetriebs substantiell erhöht, im Normalbetrieb abgeschaltet. Zusätzlich finde im Prüfbetrieb eine Leistungsreduzierung statt. Weiterhin verfüge der PKW über eine Aufheizstrategie, die nahezu ausschließlich im NEFZ wirke. Es werde weiter zwischen dem Speicher- und dem Onlinebetrieb unterschieden. Im Prüfstand werde dem Fahrzeug mehr Harnstoff zugeführt, um die Abgase zu reinigen. Im realen Fahrbetrieb werde hingegen weniger Harnstoff zugeführt. Das Fahrzeug verfügte auch nicht über ein ordnungsgemäßes OBD-System.
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Das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge ohne die Manipulation nicht über die Voraussetzungen für die EG-Typengenehmigung, da die zulässigen Schadstoff-Grenzwerte ohne diese nicht erreicht würden. Die Betriebserlaubnis des Fahrzeugs sei dadurch gefährdet.
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Die Manipulation begründe einen Mangel des Fahrzeugs und mindere dessen Wort. Hätte der Kläger gewusst, dass in dem Fahrzeug eine Manipulationssoftware verbaut ist, hätte er von dem Kauf abgesehen. Der Vorstand und zahlreiche Mitarbeiter der Beklagten hätten Kenntnis von dem Einsatz der unzulässigen Software gehabt und diesen zumindest gebilligt. Der Mangel könne durch ein Software-Update nicht beseitigt werden.
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Die Klagepartei ist der Ansicht, dass das Fahrzeug über eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 VO-EG 715/2007 verfüge, insbesondere bei dem sog. Thermofenster handele es sich um eine solche. Die Klagepartei sei vorsätzlich getäuscht worden. Dem Fahrzeug drohe der Entzug der Betriebserlaubnis. Es liege eine sittenwidrige Schädigung vor, so dass die Beklagte nach § 826 BGB hafte. Darüber hinaus ergebe sich eine Haftung der Beklagten u.a. aus § 831 BGB. §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 263 StGB und §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.
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Die Klagepartei beantragt:
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei EUR 83.075,01 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.04.2021 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 18.077,95 bei einer Gesamtlaufleistung von 400.000 km Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Audi SQ5 2967 mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer … zu zahlen.
- 2.
-
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 07.04.2021 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
- 3.
-
Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.642,40 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.04.2021 an die Klagepartei zu zahlen.
12
Die Beklagte beantragt:
13
Die Beklagte behauptet, das streitgegenständliche Fahrzeug unterfalle der Emissionsklasse EU-6 und erfülle diese auch. Die Stickoxidwerte des allein maßgeblichen NEFZ würden auf dem Rollenprüfstand erreicht. Eine softwarebedingte Einschränkung im Gebrauch des Fahrzeugs bestehe nicht. Die Motorsteuerungsgerätesoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs verfüge nicht über die bei Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 erhaltene Umschaltlogik. Das KBA habe nicht das Vorliegen von vier oder mehr unzulässigen Abschaltvorrichtungen im streitgegenständlichen Fahrzeugtyp festgestellt. Insofern liege keine unzulässige Manipulation der AdBlue-Einspritzung, keine unzulässige Lenkwinkelerkennung, keine Getriebemanipulation und keine Manipulation des OBD-Systems vor. Auch sei kein AECD-Steuergerät und kein NOx-Speicher-Katalysator verbaut und das Fahrzeug verfüge über keine leistungsreduzierende Funktion auf dem Prüfstand. Auch weise das Fahrzeug keinen erhöhten Kraftstoffverbrauch und CO<tief>2</tief>-Ausstoß auf. Das im Fahrzeug verbaute Thermofenster, auf welches sich der Rückruf nicht bezogen habe, sei in den letzten Jahren in sämtlichen in der EU produzierten Dieselfahrzeugen enthalten gewesen und sei zum Bauteilschutz erforderlich. Im Hinblick auf die Anordnung des Kraftfahrtbundesamts führt die Beklagte aus, dass nach Auffassung des KBA beim Audi SG5 die Bedatung der vom KBA beanstandeten Softwarebestandteile zu ändern bzw. aufzuweiten sei, um einen breiteren Anwendungsbereich im Straßenbetrieb zu gewährleisten. Dies werde durch eine entsprechende Anpassung der Motorsteuerungssoftware sichergestellt. Das Update dauere kürzer als eine Stunde und koste die Beklagte weniger als 100 Euro. Es liege eine wirksame EG-Typgenehmigung vor. Das Fahrzeug sei technisch sicher und könne uneingeschränkt genutzt werden. Es drohe kein Widerruf der bestehenden EG-Typengenehmigung noch das Erlöschen der Betriebserlaubnis.
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Die Beklagte meint, ein Anspruch aus § 826 BGB scheide aus. Der Klagepartei sei kein Schaden entstanden, jedenfalls fehle es an der Kausalität zwischen dem Schädigungsvorwurf und der Entscheidung der Klagepartei zum Abschluss des Vertrages, die im Übrigen nicht substantiiert dargelegt werde. Das Thermofenster stelle keine unzulässige Abschaltvorrichtung dar. Auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheide aus.
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Das Gericht hat am 01.12.2021 mündlich zur Sache verhandelt und keinen Beweis erhoben.
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Zur Ergänzung des Tatbestandes werden die parteilichen Schriftsätze nebst Anlagen sowie der übrige Akteninhalt in Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
18
Die Klage ist insgesamt zulässig. Hinsichtlich des Feststellungsantrags in Ziffer 2) ist zwar festzuhalten, dass der Annahmeverzug grundsätzlich kein eigenständig feststellbares Rechtsverhältnis i.S.v. § 256 Abs. 1 ZPO darstellt. Indes entspricht es allgemeiner Meinung, dass auch der Annahmeverzug aufgrund von Praktikabilitätserwägungen (§§ 756, 765 ZPO) festgestellt werden kann.
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Die gegen die Beklagte gerichteten Anträge sind weitgehend begründet. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte ein Rückzahlungsanspruch Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs abzüglich eines Nutzungsersatzes zu (I.). Ein Anspruch auf Verzinsung besteht (II.). Allerdings ist der Feststellungsantrag unbegründet (III.). Daneben besteht auch der Freistellungsanspruch hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht (IV.). Weitergehende Anspruchsgrundlagen bestehen nicht (V.).
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Die Klagepartei hat gegen die Beklagte aus § 826 BGB einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Verwendung einer manipulierenden Motorsoftware im streitgegenständlichen Fahrzeug (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 - I-13 U 81/19 -, juris; LG Krefeld, Urteil vom 15. Januar 2020 - 2 O 470/18 -, juris Rn. 37 ff.; LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 - 12 O 262/17 -, juris Rn. 76 ff.).
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Gemäß § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich einen Schaden zufügt, dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet. So liegt der Fall hier.
22
Die schädigende Handlung der Beklagten liegt in dem arglistigen Inverkehrbringen des mangelhaften Fahrzeugs unter Geheimhaltung der bewusst eingebauten Abschalteinrichtung zur Beeinflussung der Emissionswerte auf dem Prüfstand (vgl. LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 - 12 O 262/17 -, juris Rn. 79 ff.).
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In das Fahrzeug der Klagepartei war zum Zeitpunkt des Verkaufs und der Auslieferung eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, wodurch es sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignete.
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Das Fahrzeug ist unstreitig Gegenstand eines Rückrufs des Kraftfahrtbundesamtes, der sich auf die Motorsteuerung des Fahrzeugs bezieht. Angesichts dieses Umstandes oblag es der Beklagten im Einzelnen darzulegen, worauf konkret sich die Anordnung des Kraftfahrtbundesamts bezogen hat und in welchem Umfang welche Funktionsweise konkret beanstandet wurde. Trotz entsprechenden ausdrücklichen Hinweises des Gerichts mit Verfügung vom 09.08.2021 (Bl. 126 f. der Akte), ist dem die Beklagte in keiner Weise gerecht geworden. Sie hat lediglich rein pauschal ausgeführt, dass nach Auffassung des Kraftfahrtbundesants die Bedatung der beanstandeten Softwarebestandteile zu ändern bzw. aufzuweiten sei, um einen breiteren Anwendungsbereich im Straßenbetrieb zu gewährleisten, was durch eine entsprechende Anpassung der Motorsteuerungssoftware sichergestellt werde. Wie die beanstandete Funktionsweise konkret beschaffen ist, wird nicht näher dargelegt. Vor diesem Hintergrund wird die von der Klagepartei im Einzelnen dargelegte Manipulation in Form der Betriebsarten und der Prüfstanderkennung nicht hinreichend bestritten.
25
Legt man diese im Ergebnis unstreitigen Umstände zugrunde, ist von einer unzulässigen Abschalteinrichtung des Emissionskontrollsystems gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG auszugehen. Das streitgegenständliche Fahrzeug nutzt zwei unterschiedliche Betriebsmodi. Es erkennt anhand verschiedener Parameter, ob es sich auf dem Prüfstand befindet. Dann arbeitet die Abgasreinigung wirksam. Bei Fahrten auf der Straße werden dagegen vor allen weniger Abgase in den Motor zurückgeführt und dadurch mehr Stickoxide ausgestoßen. Insofern ist zu berücksichtigen, dass eine Schadstoffmessung auf dem Prüfstand nur sinnvoll ist, wenn das zu testende Fahrzeug gerade hinsichtlich der Abgasbehandlung dem Zustand entspricht, der auch auf der Straße gegeben ist. Der Prüfstandmodus muss zwar nicht exakt den realen Fahrbetrieb abbilden, die Motorsteuerung muss aber jedenfalls im Wesentlichen identisch wie dort funktionieren (LG Mönchengladbach, Urteil vom 22. Februar 2019 - 11 O 197/18 -, juris Rn. 38; LG Krefeld, Urteil vom 15. Januar 2020 - 2 O 470/18 -, juris Rn. 70). Dies ist hier gerade nicht der Fall, so dass von einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen ist.
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Aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung weist das Fahrzeug im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses einen erheblichen Mangel auf. Unerheblich ist hierbei, dass die Beklagte angibt, dass das Fahrzeug die Vorgaben der Euro-6-Norm erfüllen würde. Aus dem Umstand, dass das Kraftfahrtbundesamt die Nachbesserung für verpflichtend erklärt hat, kann ohne weiteres geschlussfolgert werden, dass das Fahrzeug ohne Update nicht zulassungsfähig ist, weil es den einschlägigen Abgasnormen nicht entspricht (LG Mönchengladbach, Urteil von 22. Februar 2019 - 11 O 197/18 -, juris Rn. 42). Die Rückrufaktion der Beklagter ist nicht freiwillig erfolgt oder eine bloße Kulanzmaßnahme, sondern notwendig, um den Anforderungen des Kraftfahrtbundesamtes zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu genügen. Den Fahrzeughaltern ist es nicht freigestellt, das Update durchführen zu lassen oder nicht. Da bei Fahrzeugen, die entgegen zwingender unionsrechtlicher Vorschriften installierte Abschalteinrichtungen aufweisen, zur Herstellung ihrer Vorschriftsmäßigkeit eine entsprechende Nachrüstung erforderlich ist, sieht sich der Halter eines solchen Fahrzeugs, einer drohenden Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV ausgesetzt, solange eine ordnungsgemäße Nachrüstung nicht durchgeführt worden ist. Aufgrund der gesetzeswidrigen Manipulation besteht zumindest die latente Gefahr, dass im Falle einer noch nicht erfolgten Nachrüstung die Betriebszuiassung widerrufen wird. Diese Gefahr hat aus kaufrechtlicher Sicht zur Folge, dass bei den betroffenen Fahrzeugen die Eignung für die gewöhnliche Verwendung fehlt und damit ein Sachmangel vorliegt. Denn der Käufer eines solchen Fahrzeugs muss damit rechnen, es aufgrund behördlicher Anordnung nicht mehr im öffentlichen Straßenverkehr nutzen zu dürfen. Dies gilt unabhängig davon, ob dem Fahrzeug derzeit eine entsprechende Zulassung entzogen wurde oder ob eine solche zunächst unterblieben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 08. Januar 2019 - VIII ZR 225/17 -, juris Rn. 17 ff.; OLG Nürnberg, Urteil vom 24. April 2018 - 6 U 409/17 -, juris Rn. 38).
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Die schädigende Handlung der Beklagten erfolgte sittenwidrig und die Klagepartei ist auch vom Schutzbereich des § 826 BGB umfasst.
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a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkender verstößt, wobei dies aufgrund einer umfassenden Würdigung von Inhalt, Zweck und Beweggründen des Handelns zu beurteilen ist. Diese Voraussetzungen sind nicht bei jedem Pflichtverstoß zu bejahen, sondern es muss eine besondere Verwerflichkeit hinzukommen, die im Falle einer Pflichtverletzung durch Unterlassung erfordert, dass das geforderte Handeln einem sittlichen Gebot entsprechen muss. Hierbei ist die Ersatzpflicht eines Schädigers - wie bei allen deliktsrechtlichen Ansprüchen - auf solche Schäden beschränkt, die in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fallen. Auf eine derartige Eingrenzung kann, um das Haftungsrisiko in angemessenen und zumutbaren Grenzen zu halten, auch im Rahmen des § 826 BGB nicht verzichtet werden. Ein Verhalten kann daher hinsichtlich bestimmter Personen und Schadensfolgen als sittlich anstößig zu qualifizieren sein, während diese Bewertung für andere ebenfalls adäquat verursachte Schadensfolgen ausscheidet. Die Ersatzpflicht beschränkt sich auf diejenigen Schäden, die dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich entstammen.
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b) Geht man von diesen Grundsätzen aus, haftet die Beklagte gegenüber der Klagepartei nach § 826 BGB. Ein Verstoß gegen die guten Sitten liegt hier seitens der Beklagter dahingehend vor, als Kaufinteressenten durch eine bewusste Täuschung zum konkreten Kauf bewegt werden (allgemein LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 - 12 O 262/17 -, juris Rn. 86 f.). Wer bewusst täuscht, um einen anderen zum Vertragsschluss zu bewegen, handelt in der Regel sittenwidrig (Sprau, in: Palandt, 79. Auflage 2020, § 826 BGB Rn. 20). Der Fahrzeughersteller täuscht die Erwerber der manipulierten Fahrzeuge vorsätzlich, wenn er die bewusst eingebaute unzulässige Abschalteinrichtung nicht offenlegt.
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Die unzulässige Abschalteinrichtung wurde von der Beklagten bewusst eingesetzt, eine fahrlässige Programmierung der Software scheidet aus. Dies ergibt sich im Hinblick auf die unterschiedlichen Betriebsarten bereits aus dem Umstand, dass diese Funktion im praktischen Ergebnis einer Umschaltlogik entspricht, da bei Fahrten auf der Straße vor allem die Abgasrückführung zurückgefahren wird und dadurch mehr Stickoxide ausgestoßen werden.
31
Dem Fahrzeughersteller ist ohne weiteres ersichtlich, dass für die Kaufentscheidung eines verständigen Erwerbers der Umstand von zentraler Bedeutung ist, ein den gesetzlichen Vorgaben entsprechendes Fahrzeug zu erwerben. Durch das vorsätzliche Verschweigen der unzulässigen Abschalteinrichtung hat der Fahrzeughersteller über diesen zentralen Umstand getäuscht. Das betrügerische Verhalten erweist sich auch als sittenwidrig. Denn Zweck der Konstruktion war es, die Fahrzeuge für umweltbewusste Käufer interessant zu machen, dadurch eine größere Anzahl von Fahrzeugen zu verkaufen und höhere Gewinne zu generieren. Ein anderes Motiv für den bewussten Einsatz von unzulässigen Abschalteinrichtungen, die ansonsten keinerlei legitimen Zweck hatten, ist nicht ersichtlich und wurde von der insoweit sekundär darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten auch nicht aufgezeigt. Die Sittenwidrigkeit ist dahingehend begründet, dass die Beklagte einen unmittelbaren Vorteil aus der Täuschung zieht, da sie Fahrzeug kostengünstiger als ihr sonst möglich produzieren und damit ihren Gewinn erhöhen kann. Die Täuschung bezieht sich aus Sicht des Fahrzeugherstellers vor diesem Hintergrund gerade darauf, Kunden zum Kauf der Fahrzeuge zu bewegen. Zugleich musste den handelnden Personen auch bewusst sein, dass durch diese Vorgehensweise zumindest die Möglichkeit eines beträchtlichen Schadens für die Erwerber bestand. Denn es besteht zumindest die latente Gefahr, dass die Betriebszulassung aufgrund der Abschalteirrichtung entzogen wird. Diese mögliche Folge wurde offensichtlich von den handelnden Personen billigend in Kauf genommen, um weitere Gewinne erzielen zu können. Die Beklagte hat daher nicht nur gegen Vorschriften zum Umweltschutz verstoßen, sondern auch gegenüber Verbrauchern planmäßig das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung verschleiert, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, und so aus Gewinnstreben gegenüber den Erwerbern des Fahrzeugs sittenwidrig gehandelt. Ein solches Handeln verstößt ersichtlich gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und erfüllt damit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB.
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Die Beklagte hat durch Personen gehandelt, für deren sittenwidrige Schädigung sie gemäß § 31 BGB einzustehen hat. Ein verfassungsmäßiger Vertreter der Beklagten hat den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BOB verwirklicht.
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Zwar trifft hierfür grundsätzlich die Klagepartei die Darlegungs- und Beweislast. Allerdings ist es vorliegend der Beklagten ausnahmsweise zuzumuten, nähere Angaben über die zu ihrem Wahrnehmungsbereich gehörenden Verhältnisse zu ermöglichen, weil sie im Gegensatz zu dem außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs stehenden Kläger die wesentlichen Tatsachen kennt (BGH, Urteil vom 11.05.2021, Az. VI ZR 154/20; LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 - 12 O 262/17 -, juris Rn. 89).
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Der Vorstand der Beklagten kann sich das Wissen verschaffen, wer die Entscheidung getroffen hat, die unzulässige Abschalteinrichtung zu entwickeln und einzusetzen. Die Klagepartei behauptet, Vorstandsmitglieder der Beklagten hätten hiervon Kenntnis gehabt. Dies ist nachvollziehbar und lebensnah. Bei dem Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei einem ganzen Fahrzeugtyp handelt sich um eine weitreichende unternehmerische Entscheidung, die von untergeordneten Mitarbeitern grundsätzlich nicht ohne Einbeziehung von Entscheidungsträgern getroffen wird. Auch ist im Hinblick auf die gesetzlichen Vorgaben davon auszugehen, dass bei der Beklagten Berichtspflichten gegenüber dem Vorstand für alle wesentlichen Entscheidungen eingerichtet sind und deren Einhaltung durch Kontrollmaßnahmen auch gewährleistet waren. Hier muss davon ausgegangen werden, dass der Vorstand eines Fahrzeugherstellers sich hinreichende Kenntnis davon verschafft, ob der eingesetzte Motor den gesetzlichen Vorgaben gerecht wird. Der Vortrag der Klagepartei ist somit als hinreichend substantiiert anzusehen. Vor diesem Hintergrund oblag es der Beklagten im Einzelnen darzulegen, welche Entscheidungsträger wann und in welchem Umfang von dem Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung Kenntnis erlangten und aufgrund welcher Umstände sie gegebenenfalls davon hätten ausgehen können, dass es sich nicht um eine solche handelt. Die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen, so dass die betreffende Behauptung der Klagepartei, dass Vorstandsmitglieder Kenntnis von dem Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung und diesen gebilligt hätten, als zugestanden im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO gilt.
35
Der Annahme einer sekundären Darlegungslast steht hierbei nicht entgegen, dass möglicherweise einzelnen Vertreter der Beklagten ein Schweigerecht im Hinblick auf die Gefahr einer Strafverfolgung zustehen könnte. Der Beklagten als eigenständige juristische Person steht ein solches Schweigerecht jedenfalls nicht zu (OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 - I-13 U 81/19 -, juris, Rn. 45).
36
Der Klagepartei ist ferner durch das Handeln der betreffenden Personen der Beklagten ein kausaler Schaden entstanden.
37
a) Im Rahmen der Haftung nach § 826 BGB liegt ein Schaden auch dann vor, wenn der Geschädigte durch eine auf sittenwidrigem Verhalten beruhende „ungewollte“ Verpflichtung belastet ist, selbst wenn dieser eine objektiv gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht (vgl. insgesamt BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, BGH NJW-RR 2015, 275, 276). Entscheidend und ausreichend ist, dass der Geschädigte durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrags gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte und dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist.
38
b) Diese Voraussetzungen liegen vor (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 - I-13 U 81/19 -, juris Rn. 26 ff.).
39
aa) Es steht außer Zweifel, dass unter normalen Umständen kein verständiger Autokäufer ein Kraftfahrzeug kauft, welches zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses entscheidenden gesetzlichen Anforderungen nicht genügt und dessen Hersteller die behördlicherseits gleichwohl erteilte Typgenehmigung durch Manipulationen erschlichen hat. Denn es besteht zumindest die latente Gefahr, dass das Kraftfahrtbundesamt eine Betriebsuntersagung ausspricht, wodurch das Fahrzeug zur gewöhnlichen Verwendung überhaupt nicht mehr geeignet wäre. Dass der Käufer das Risiko bewusst eingegangen wäre, ist vorliegend nicht ersichtlich. Soweit das hypothetische Verhalten der Klagepartei bei Vertragsschluss nicht bereits als offenkundig angesehen werden kann, streitet nach der allgemeinen Lebenserfahrung zumindest eine tatsächliche Vermutung im Sinne eines Anscheinsbeweises dafür, dass er den Vertrag nicht abgeschlossen hätte (vgl. auch OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 - 20 U 3219/18 -, juris Rn. 38). Die so begründete Vermutung wurde seitens der Beklagten noch nicht einmal im Ansatz erschüttert.
40
bb) Zudem besteht kein Zweifel daran, dass im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Leistung für Zwecke der Klagepartei nicht voll brauchbar war. Dies ist bei einer ungewollt eingegangenen Verbindlichkeit als einschränkendes Korrektiv für die weite Fassung des Vermögensschadensbegriffs zu sehen. Die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung darf nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen werden, sondern auch die Verkehrsanschauung muss bei Berücksichtigung der Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansehen (BGH DNotZ 1998, 349, 354). Zumindest ex ante bestand die nicht nur theoretische Gefahr einer Betriebsuntersagung und Außerbetriebsetzung. Da hiermit der hauptsächliche Verwendungszweck (allgemeine Nutzung im Straßenverkehr) gefährdet ist, begründet bereits dies nach der Verkehrsanschauung eine Nachteiligkeit des Vertrags (vgl. OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 - 20 U 3219/18 -, juris Rn. 32 f.).
41
cc) Auch die etwaige Möglichkeit der Durchführung eines Software-Updates beseitigt den Schaden nicht. Das Update kann den bereits entstandenen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB nicht im Nachhinein beseitigen, selbst wenn hierdurch die Mängel beseitigt sein sollten. Maßgeblich ist vielmehr der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (ebenso OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 - 20 U 3219/18 -, juris Rn. 34).
42
Die verantwortlichen verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten handelten auch vorsätzlich.
43
a) Für § 826 BGB ist zu fordern, dass der Täter Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände, des Schadenseintritts und der Kausalität hat. Hierbei reicht das Bewusstsein aus, dass die Schädigung im Bereich des Möglichen liegt und das Schädigungsrisiko billigend in Kauf genommen wird (vgl. Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 826 BGB Rn. 25 ff.).
44
b) Für die verantwortlichen Personen der Beklagten war ohne weiteres ersichtlich, dass aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung zumindest die latente Gefahr eines Widerrufs der Betriebszulassung bestand und dass die Kunden ihrer Kaufentscheidung zugrunde legen, dass das Fahrzeug den gesetzlichen Zulassungsvorgaben entspricht. Auch war ihnen der Zweck des Einbaus der Abschalteinrichtung bewusst. Die betreffenden verfassungsmäßig berufenen Vertreter hatten daher Kenntnis von allen maßgeblichen haftungsbegründenden tatsächlichen Umständen und handelten vorsätzlich. Auch insoweit kommt eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zum Tragen, der diese nicht nachgekommen ist (vgl. auch OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 - 20 U 3219/18 -, juris Rn. 46 ff.).
45
Nach §§ 249 ff. BGB kann die Klagepartei eine Rückgängigmachung der Folgen des Vertrags und damit eine Rückzahlung des von ihr aufgewendeten Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs verlangen. Hierbei muss sich die Klagepartei nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019 - 13 U 142/18 - juris Rn. 112 ff.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 04. März 2020 - 4 U 65/19 -, juris Rn. 50 ff.; OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 - 20 U 3219/18 -, juris Rn. 63 ff.).
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Dem steht nicht entgegen, dass das Fahrzeug von der Beklagten gesetzeswidrig manipuliert wurde und sie wegen sittenwidriger Schädigung haftet. Bei dem Schadensausgleich im Rahmen des § 826 BGB kommt es darauf an, den Schaden auszugleichen, welcher durch den Vertrag entstanden ist. Der Schaden ist bei der Klagepartei aber nicht in der vollen Höhe des Kaufpreises eingetreten, da diese dafür die Nutzungsmöglichkeit eines Fahrzeugs erlangte. Tatsächlich konnte die Klagepartei das Fahrzeug ohne Einschränkungen nutzen, so dass sie sich jedenfalls Aufwendungen für eine anderweitige Fortbewegungsmöglichkeit ersparte. Wäre eine Nutzungsentschädigung vorliegend nicht zu berücksichtigen, würde dies zu einer Besserstellung des Käufers führen und gegen das Bereicherungsverbot verstoßen. Im deutschen Recht ist lediglich ein Schadensausgleich, nicht jedoch ein Strafschadensersatz vorgesehen (vgl. insgesamt BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 64 ff.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019 - 13 U 142/18 - juris Rn. 112 ff.).
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Auf den zurückzuerstattenden Kaufpreis hat sich die Klagepartei daher eine Nutzungsentschädigung errechnen zu lassen. Da der Wertersatz für die gezogenen Nutzungen auf den Zeitpunkt des Leistungsaustausches zu bemessen ist, ist er über die Laufleistung abstrakt zu bestimmen. Der Nutzungsersatz bestimmt sich nach der Formel:
(Bruttokaufpreis × gefahrene Kilometer) / Restnutzungsdauer.
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Bei Übergabe hatte das streitgegenständliche Fahrzeug einen Kilometerstand von 0 km (Anlage K1). Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung betrug der Kilometerstand 87.044 km. Das Gericht schätzt die Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs gemäß § 287 ZPO auf 300.000 km (ebenso OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 - I-13 U 81/19 -, juris Rn. 50). Hinsichtlich der zu schätzenden Gesamtlaufleistung bedurfte es keiner Erholung eines Sachverständigengutachtens (BGH, Urteil vom 18.05.2021, Az. VI ZR 720/20; BGH, Urteil vom 27.04.2021, Az. VI ZR 812/20).
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Es ist hierbei der Brutto-Kaufpreis zugrunde zu legen. Insoweit verfängt der Einwand der Beklagtenseite nicht, dass die Klagepartei zum Vorsteuerabzug berechtigt sei. Es ist bereits von keiner substantiierten Darlegung des Einwands auszugehen, vielmehr erfolgt dieser „ins Blaue“ hinein. Die Beklagte führt insofern Keine einzelfallbezogenen Tatsachen oder wenigstens Vermutungen aus, aus denen sich die Berechtigung zum Vorsteuerabzug der Klagepartei im konkreten Einzelfall ergeben würde. Der Einwand, dass es sich aufgrund der Beschaffenheit und der Preisklasse des streitgegenständlichen Pkws in der Regel um ein Geschäftsführer-Fahrzeug handle, verfängt insoweit mangels Bezugs zum konkreten Einzelfall nicht. Gleiches gilt für den Einwand, dass die Beklagte in Parallelverfahren die Erfahrung gemacht habe, dass die Vorsteuerabzugsberechtigung verschwiegen worden sei. Auch dieser Einwand ist nicht auf den konkreten Fall bezogen. Eine Vergleichbarkeit der einzelnen Verfahrer muss hierbei schon deshalb ausscheiden, da nicht von einer einheitlichen Klagepartei bzw. Klagevertretung auszugehen ist. Aus der vorgelegten Rechnung (Anlage K1) ergibt sich, dass es sich bei den 83.075,01 Euro um den Bruttobetrag handelt. Diesen hat der Kläger auch ausweislich des eingereichten Überweisungsbelegs gezahlt.
50
Hiernach ergibt sich ein Betrag von 24.103,94 Euro (83.075,01 Euro × 87.044 km: 300.000 km), so dass der Zahlungsanspruch beschränkt auf die erhobene Klageforderung in Höhe von 58.971,07 Euro (83.075,01 Euro abzüglich 24.103,94 Euro) besteht.
51
Der tenorierte Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1 S. 2, 288 Abs. 1 BGB. Die Klage wurde am 23.06.2021 zugestellt, wobei die Verzinsung am Tag nach der Zustellung beginnt, § 187 Abs. 1 BGB analog.
52
Es war nicht festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs gem. §§ 298, 293 BGB in Annahmeverzug befand, da es hierfür an einem ordnungsgemäßen Angebot gefehlt hat.
53
a) So konnte die Klagepartei die Beklagte zunächst nicht mittels des außergerichtlichen Anwaltsschreibens vom 26.03.2021 in Verzug setzen, da das Angebot mangels Berücksichtigung der richtigerweise zu zahlenden Nutzungsentschädigung nicht ordnungsgemäß i.S.d. §§ 293 ff. BGB war (BGH, Urt. vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 85).
54
b) Auch die Klageschrift stellt kein ordnungsgemäßes Angebot dar.
55
Zwar kann der im Rahmen der Klage gestellte Leistungsantrag grundsätzlich als ordnungsgemäßes Angebot ausgelegt werden, wenn dort die Rückzahlung des um die korrekt berechnete Nutzungsentschädigung gekürzten Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Pkws verlangt wird. Dies setzt jedoch voraus, dass die Nutzungsentschädigung - bezogen auf den Zeitpunkt des Zugangs des Angebots - auch korrekt berechnet wurde.
56
Vorliegend kann dahinstehen, ab wann unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) das Angebot aufgrund marginaler Rechenunterschiede noch als ordnungsgemäß zu betrachten ist, da vorliegend von einer erheblichen Abweichung auszugehen ist.
57
So hat die Klagepartei im maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs des in der Klageschrift niedergelegten Angebots am 23.06.2021 eine Nutzungsentschädigung i.H.v. 18.148,57 Euro zugrunde gelegt. Unter richtiger Anwendung der Formel ergibt sich jedoch ein Betrag i.H.v. 21.173,33 Euro (83.075,01 Euro × 76.461 kn) / 300.000 km) und damit eine erhebliche Differenz i.H.v. 3.024,76 Euro.
58
Auch war der Klagepartei der Ersatz ihrer vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu versagen.
59
a) Zwar steht dem Geschädigten grundsätzlich ein Anspruch auf Ersatz bzw. Freistellung gem. §§ 826, 249 BGB hinsichtlich der angefallenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu, ohne dass es eines gesonderten Zahlungsverzugs der Beklagten bedurft hätte.
60
Allerdings setzt dies im Innenverhältnis zwischen Geschädigten und seinem Prozessbevollmächtigten voraus, dass der Gebührentatbestand des 2300 RVG VV verwirklicht wurde. Dies setzt wiederum voraus, dass dem Prozessbevollmächtigten zunächst ein unbedingter Auftrag zur außergerichtlichen Geltendmachung erteilt wurde, da die hierfür anfallenden Kosten ansonsten gem. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 RVG als zum Rechtszug gehörig anzusehen sind und sodann mit der Verfahrensgebühr 3100 RVG VV abgegolten werden (BGH, Urteil vom 22.06.2021; Az. VI ZR 353/20; BGH, Urt. Vom 15.08.2019, III ZR 205/17, NJW-RR 2019, 1332 Rn. 43).
61
b) Vorliegend hat die Beklagte in zulässiger Art und Weise mit Nichtwissen bestritten, dass der Auftrag zur außergerichtlichen Geltendmachung unbedingt erteilt wurde. Hierzu hat sich die Klageparte: nicht weiter geäußert und auch keine entsprechenden Beweisangebote unterbreitet. Die Klagepartei hat somit bereits nicht vorgetragen, einen entsprechenden unbedingten Klageauftrag erteilt zu haben, jedenfalls ist sie beweisfällig geblieben.
62
Ob weitere Anspruchsgrundlagen durchgreifen kann offen bleiben, weil sich aus ihnen jedenfalls kein weitergehender Anspruch ergibt.
63
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, da die Zuvielforderung der Klagepartei lediglich verhältnismäßig geringfügig war, da die allgemein anerkannte Grenze von 10 % vorliegend nicht überschritten wurde.
64
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt für die Klagepartei aus § 709 ZPO.
65
Der Streitwert war mit 64.926,44 Euro festzusetzen. Die als Nebenforderung eingeklagten Rechtsanwaltskosten wirken nicht streitwerterhöhend, § 4 Abs. 1 Hs. 2 ZPO. Gleiches gilt für den Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs, da die Frage des Annahmeverzugs nur ein rechtlich unselbstständiges Element der umstrittenen Leistungsverpflichtung darstellt und deshalb mit dieser wirtschaftlich identisch ist (BGH, Beschluss vom 13.10.2020 - VIII ZR 290/19, NJW 2020, 1517 Rn. 7 BGH, Beschluss vom 01.07.2021, Az. III ZR 253/20).