Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 27.10.2022 – B 8 S 22.50212
Titel:

Überstellung einer Familie mit Kleinkindern nach Italien

Normenketten:
GRCh Art. 4
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 S. 2, S. 3, Art. 13 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, Art. 18 Abs. 1 lit. a, Art. 22 Abs. 7, Art. 29 Abs. 2 S. 1
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 2 S. 1, § 77 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Auch unter Berücksichtigung des Alters der drei minderjährigen Kinder bedarf es keiner konkreten, einzelfallbezogenen Zusicherung der italienischen Behörden, dass die Familie in Italien menschenunwürdig behandelt wird. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Familie droht nach nach den Auskünften nicht nur keine Obdachlosigkeit; vielmehr ist nach aktuellen Erkenntnissen die familiengerechte Unterbringung auch angemessen. (Rn. 29 – 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine konkrete, einzelfallbezogene Zusicherung der italienischen Behörden, dass die minderjährigen Antragsteller in Italien in einer ihrem Alter adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammenbleiben kann, musste nicht eingeholt werden. Die ein solches Erfordernis begründende Tarakhel-​Rechtsprechung des EGMR bezieht sich vorrangig auf Neugeborene und Kleinkinder. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Der Überstellung einer Familie mit Kleinkindern nach Italien stehen keine systemischen Mängel im Asylsystem Italiens entgegen., Tarakhel-​Rechtsprechung, Kleinkinder, Italien, systemische Mängel, Gesundheitsversorgung, Dublin-Rückkehr, Familie mit minderjährigen Kindern, einzelfallbezogene Zusicherung, Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber, Aufnahmeeinrichtungen, menschenunwürdige Behandlung, Obdachlosigkeit, familiengerechte Unterbringung, VO (EU) 604/2013
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31730

Tenor

1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wird abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens als Gesamtschuldner.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen die Überstellung nach Italien im Rahmen des sogenannten „Dublin-Verfahrens“.
2
Die Antragsteller sind afghanische Staatsangehörige, dem Volke der T. zugehörig und s. Glaubens. Sie reisten eigenen Angaben zufolge am 28.05.2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wurden am 31.05.2022 in … als Asylsuchende erfasst und die Antragsteller zu 1 und 2 stellten am 26.07.2022 jeweils einen förmlichen Asylantrag, der auch die gemeinsamen Kinder miterfasst.
3
Die E.-Recherche am 31.05.2022 ergab einen E.-Treffer der Kategorie 2 Demnach wurden die Antragsteller bereits am 14.05.2022 in Italien registriert.
4
Am 19.07.2022 richtete die Antragsgegnerin ein Übernahmegesuch an Italien, das dieses mit Schreiben vom 31.08.2022 akzeptierte.
5
Die Antragsteller wurden am 27.07.2022 zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates angehört. Nach Italien seien sie am 14.05.2022 eingereist und hätten sich dort etwa 14 Tage lang aufgehalten. Im Rahmen ihrer Anhörung am 15.09.2022 erklärte der Antragsteller zu 1, dass sie in einem Camp in Italien zunächst warten hätten müssen, bis ihnen Fingerabdrücke abgenommen worden seien. Danach hätten sie das Camp verlassen müssen und seien nach M. gefahren. Die Polizei, die er wegen der Kälte um Hilfe gerufen habe, hätten sie ausgelacht. Nach Weiterreise in die Schweiz seien sie nach Italien zurückgeschickt worden. Dort hätten sie jedoch keine Asylanträge stellen wollen, weil seine Frau, die früher in Afghanistan für Organisationen der Bundesrepublik Deutschland gearbeitet habe, nur nach Deutschland gewollt habe. Er möchte mit seiner Frau in einem Land leben, in dem diese Rechte habe. Außerdem arbeite er in Deutschland ehrenamtlich für die C. und als Dolmetscher.
6
Die Antragstellerin zu 2 ergänzte, dass auch Frankreich sie nach Italien zurückgeschickt habe. In Deutschland hielten sich ihre Schwiegermutter, eine Tante, Cousins und Cousinen sowie drei Schwager auf.
7
Mit Bescheid vom 19.10.2022 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids), stellte fest, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3). In Nr. 4 des Bescheids wurde ein zeitlich befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG ab dem Tag der Abschiebung verfügt. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen. Der Bescheid wurde dem Antragsteller zu 1 und Prozessbevollmächtigten jeweils mit Schreiben vom 20.10.2022 übermittelt. Ein Zugangsnachweis befindet sich nicht in den Akten.
8
Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 21.10.2022, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth haben die Antragsteller Klage erhoben (Az: B 8 K 50213) und zugleich beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
9
Zur Begründung wird angegeben, dass eine Familie nicht nach Italien zurückgeführt werden könne. Die Familie habe Kleinkinder. Ein Leben in Italien sei für Asylbewerber mit Kleinkindern unzumutbar und unmenschlich.
10
Die Antragsgegnerin übersandte die Behördenakte.
11
Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der vorgelegten Behördenakte (§ 117 Abs. 3 S. 2 VwGO analog).
II.
1.
12
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat keinen Erfolg.
13
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Halbsatz VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage anordnen, wenn die Klage - wie hier nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG - keine aufschiebende Wirkung hat. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht insbesondere eine summarische Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache und bei offenen Erfolgsaussichten das Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs mit dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids abzuwägen.
14
Die angegriffene Abschiebungsanordnung stellt sich unter Zugrundelegung der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen derzeitigen Sach- und Rechtslage bei der im Eilverfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig dar, so dass das Aussetzungsinteresse der Antragsteller hinter das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung zurückzutreten hat.
15
Nach § 34 a Abs. 1 AsylG wird die Abschiebung ohne das Erfordernis einer vorherigen Androhung und Fristsetzung insbesondere dann angeordnet, wenn der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG abgeschoben werden soll, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Die Abschiebungsanordnung stellt sich als Festsetzung eines Zwangsmittels dar, die erst dann ergehen darf, wenn alle Voraussetzungen für die Abschiebung erfüllt sind. Dies ist in erster Linie die Zuständigkeit des anderen Staates, daneben muss aber auch feststehen, dass die Abschiebung in den zuständigen Staat nicht - wenn auch nur vorübergehend - aus anderen Gründen rechtlich unzulässig oder tatsächlich unmöglich ist.
16
Diese Voraussetzungen liegen hier im Hinblick auf die beabsichtigte Abschiebung der Antragsteller nach Italien voraussichtlich vor.
1.1
17
Die Asylanträge der Antragsteller sind nach summarischer Prüfung unzulässig, weil Italien für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist.
18
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist.
19
Zuständig für die Prüfung des Antrags der Antragsteller auf internationalen Schutz ist gemäß Art. 13 Dublin III-VO Italien, weil festgestellt wurde, dass die Antragsteller die Grenze Italiens illegal überschritten haben. Das ergibt sich aus dem E.-Treffer mit der Kennzeichnung „IT2…“, der besagt, dass den Antragstellern in Italien Fingerabdrücke abgenommen wurden (vgl. Art. 24 Abs. 4 i.V.m. Art. 14 VO (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments v. 26.06.2013). Aufgrund des Übernahmeersuchens des Bundesamts vom 19.07.2022 erklärten die italienischen Behörden mit Schreiben vom 31.08.2022 daher ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge gem. Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO.
20
Auch fand seitdem kein Zuständigkeitswechsel auf die Antragsgegnerin statt.
21
Die Zuständigkeit Italiens ist nicht nach Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO entfallen, weil seit dem illegalen Grenzübertritt noch keine 12 Monate vergangen sind und die Antragsteller sich zudem nicht für einen Zeitraum von mindestens fünf Monaten in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten haben (Art. 13 Abs. 2 Dublin III-VO).
22
Gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. a Dublin III-VO ist der zuständige Mitgliedstaat (Italien) verpflichtet, einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen. Ausweislich des E.-Treffers und des Vortrags der Antragsteller ist von dieser Alternative auszugehen.
23
Die Zuständigkeit Italiens ist nicht gemäß Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO entfallen, weil das Bundesamt innerhalb der in Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO festgesetzten Frist von zwei Monaten nach Erhalt der Treffermeldung ein Aufnahmegesuch an Italien gestellt hat. Die italienischen Behörden haben das Übernaheersuchen akzeptiert. Italien ist damit verpflichtet, die betreffenden Personen aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen (Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO entsprechend). Das Bundesamt hat in seinem Übernahmeersuchen betreffend die Antragstellerin zu 1 und 2 ausdrücklich auch die minderjährigen Kinder, die Antragsteller zu 3 bis 5 mit Nennung der jeweiligen Geburtsdaten aufgenommen.
24
Die Zuständigkeit ist nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO auf Deutschland übergegangen, weil die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO vorliegend noch nicht abgelaufen ist.
b.
25
Auch gemäß Art. 3 Abs. 2 Sätze 2 und 3 Dublin III-VO ist Deutschland nicht der zuständige Mitgliedstaat geworden. Die Überstellung der Antragsteller nach Italien erweist sich nicht als unmöglich, weil es keine wesentlichen Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Italien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-GR-Charta mit sich bringen. Bei dieser Würdigung kommt der verfahrensrechtlichen Sachaufklärung durch das Gericht auch im Eilverfahren verfassungsrechtliches Gewicht zu (BVerfG, B.v. 10.10.2019, Az. 2 BvR 1280/19, juris). Schwachstellen fallen nur dann unter Art. 4 der EU-GR-Charta, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Einzelfalls abhängt (EuGH, U.v. 19.03.2019, Az. C-163/17, Rn. 89ff, juris).
26
Bei Anlegung dieses Maßstabs ist in Bezug auf Italien auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der aktuellen Erkenntnismittel nicht davon auszugehen, dass den Antragstellern bei einer Überstellung dorthin eine menschenunwürdige Behandlung i.S.d. Art. 4 der EU-GR-Charta droht. Insbesondere Bedarf es auch unter Berücksichtigung des Alters der Antragsteller zu 3 bis 5 keiner konkreten, einzelfallbezogenen Zusicherung der italienischen Behörden, dass die Antragsteller in Italien in einer adäquaten Art und Weise behandelt werden.
27
Sogenannte systemische Mängel des italienischen Asylverfahrens liegen nach Auffassung des Gerichts nicht vor. In Italien existiert nach den Erkenntnissen des österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Italien, vom 11.11.2020, Version 2, ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten (vgl. a.a.O. S. 5; vgl. auch Bericht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Aufnahmesituation von Familien mit minderjährigen Kindern nach einer Dublin-Überstellung in Italien vom 02.04.2020 sowie der Bericht des Bundesamtes vom 01.02.2021).
28
Nach dem aktuellen Stand der Erkenntnisse ist nicht davon auszugehen, dass den Antragstellern bei einer Überstellung nach Italien eine menschenunwürdige Behandlung im vorgenannten Sinne droht (so u.a. VG Trier, U.v. 25.06.2021 - 7 K 4017/20.TR; VG München, B.v. 17.06.2021 - M 3 S 21.50230; VG Augsburg, U.v. 26.05.2021 - Au 1 K 21.50067; VG Bayreuth, GB.v. 30.04.2021 - B 4 K 19.50363 - jeweils juris; a.A. u.a. jüngst OVG NRW, U.v. 20.07.2021 - 11 A 1689/20.A - juris). Das Gericht schließt sich insoweit der Bewertung des umfangreichen aktuellen Erkenntnismaterials (vgl. Ausführungen des Bundesamtes vom 01.02.2021; Bundesamt a.a.O.; österreichisches Bundesamt a.a.O.) sowie der Bewertung durch verschiedene Obergerichte und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an (s. hierzu z.B. OVG NW, U.v. 18.07.2016 - 13 A 1859/14.A - juris, m.w.N., U.v. 07.07.2016 - 13 A 2302/15.A - juris; OVG SH, U.v. 04.04.2018 - 10 LB 96/17 - juris, OVG RhPf, B.v. 09.04.2021 - 7 A 11654/20.OVG - juris, EGMR, U.v. 23.3.2021 - 46595/19 - juris).
29
Den Antragstellern droht nach den Auskünften nicht nur keine Obdachlosigkeit; vielmehr ist nach aktuellen Erkenntnissen die familiengerechte Unterbringung auch angemessen (vgl. Bundesamt v. 02.04.2020 a.a.O. S. 1 Zusammenfassung).
30
Auch der der Vorsitzende des italienischen Flüchtlingsrats (CIR) hat angegeben, dass die Gefahr einer möglichen Obdachlosigkeit einer zurückgekehrten Familie zu keinem Zeitpunkt gegeben sei, obwohl er im Gespräch das Dublin-System als Ganzes kritisierte. Gleichwohl habe das S.-Dekret zu Reduzierungen in allen Bereichen geführt. Regionale Unterschiede würden dadurch aus Sicht des CIR nur mehr verstärkt.
31
Die im Bereich der Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber in der Vergangenheit festgestellten Mängel und Defizite sind weder für sich genommen noch insgesamt als derart gravierend zu bewerten, so dass ein grundlegendes systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen „Dublin-Rückkehrer“ nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGrdRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad nahelegen würde (vgl. OVG NRW, U.v. 18.07.2016 a.a.O). Es ist im Grundsatz davon auszugehen, dass Italien über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, völker- und unionsrechtskonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, das trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. In Italien bestehen ausdifferenzierte Strukturen zur Aufnahme von Asylbewerbern, auch speziell für „Dublin-Rückkehrer“. Diese befinden sich in staatlicher, in kommunaler, kirchlicher oder privater Trägerschaft und werden zum Teil zentral koordiniert (vgl. VG Ansbach, U.v. 11.12.2015 - AN 14 K 15.50316 - juris, m.w.N.). Das italienische Recht gewährt den Asylsuchenden ab dem Zeitpunkt des Asylantrags Zugang zu Unterbringungsmöglichkeiten. In der Praxis wird zwar der Zugang zu den Aufnahmezentren häufig erst von der formellen Registrierung des Asylantrags abhängig gemacht, so dass hierdurch eine Zeitspanne ohne Unterbringung entstehen kann. Die Behörden sind jedoch darum bemüht, diese zu verringern (vgl. VG Ansbach, U.v. 11.12.2015 a.a.O.). Auch „Dublin-Rückkehrer“ haben bei ihrer Ankunft in Italien nach Kapazität sofort Zugang zu bestimmten Unterkünften. Insbesondere wird Dublin-Rückkehrern kein Unterkunftsplatz nach Rückkehr verwehrt (vgl. Bundesamt vom 02.04.2020 a.a.O. S. 1, S. 5).
32
Sinkende Anlandungszahlen und eine Erhöhung der Asylentscheidungen in der ersten Instanz haben im Übrigen zu einer deutlichen, zahlenmäßigen Entlastung der Aufnahmeeinrichtungen in Italien geführt (Bundesamt v. 02.04.2020 a.a.O. S. 8). Bei der Unterbringung von Familien mit minderjährigen Kindern kann es durchaus regionale Unterschiede geben, die auch mit der Größe der Aufnahmeeinrichtung zusammenhängen können. Beispielsweise werden Familien in M. einzeln in einem Zimmer untergebracht. Nicht alle Zimmer verfügen über Bäder. Der Betreiber der Einrichtung achtet darauf, dass vulnerable Fälle und Familien ein Zimmer mit angeschlossenem Bad erhielten (vgl. Informationen zu CAS Casa Suraya Mailand vom 28.01.2020, Bundesamt v. 02.04.2020 a.a.O.). Um Probleme hinsichtlich einer Unterkunft zu vermeiden, verwies beispielsweise die Leiterin der Grenzpolizei auf die festen Uhrzeiten für Überstellungen von Familien und vulnerablen Fällen. Eine Überstellung dieser Fälle werde auch nur akzeptiert werden, wenn sie rechtzeitig angekündigt worden sei. Sollte eine Überstellung mit erheblicher Verspätung erfolgen oder es zu Komplikationen kommen, kann die Grenzpolizei auf CAS-Einrichtungen in M. zurückgreifen, in welchen eine Familie vorrübergehend untergebracht werden kann (Lage im Bereich des Flughafens M. v. 28.01.2020, Bundesamt v. 02.04.2020 a.a.O.).
33
Insgesamt ist die Sorge, dass eine Familie mit minderjährigen Kindern nach ihrer Dublin-Rückkehr nicht unmittelbar angemessen untergebracht wird, nach den vorliegenden Informationen und den gesammelten Eindrücken, die das Bundesamt gesammelt hat, unbegründet. Durch den deutlichen Rückgang der Anlandungszahlen und die rechtlichen und organisatorischen Maßnahmen zur Beschleunigung des Asylverfahrens ist eine Aufnahmesituation in Italien eingetreten, die durch ein zunehmend strukturiertes und auch auf einen Ausgleich zwischen den italienischen Regionen gerichtetes System charakterisiert wird. Hierzu tragen auch die mittlerweile immer stärker greifenden Unterstützungsmaßnahmen der EU-Kommission über das Europäische Asyl Unterstützungsbüro (EASO) in Italien bei (vgl. Bundesamt v. 02.04.2020 a.a.O. S. 8 und S. 51).
34
Es ist auch gewährleistet, dass die Antragsteller nach ihrer Rückkehr nach Italien ihr Asylverfahren weiterbetreiben und in Italien ihren Asylantrag erstmalig stellen können (s. OVG NRW, U.v. 19.05.2016 - 13A 516/14.A - juris). Sofern der Dublin-Rückkehrer den Antrag in Italien nicht bereits vor seiner Ausreise aus Italien formalisiert haben sollte, hat die Aufnahme in einem der Zentren der Region, in der sich der internationale Ankunftsflughafen befindet, nach den Kriterien (der Verteilung) zu erfolgen, die zuvor von den regionalen Koordinierungsgremien (der Präfekturen) vereinbart worden sind. In allen Fällen besteht die Pflicht, die Einheit der Familie in geeigneten Einrichtungen zu gewährleisten (vgl. Bundesamt v. 02.04.2020 a.a.O. S 6).
35
Die Gesundheitsversorgung von Asylbewerbern entspricht nach der Registrierung in das staatliche System der Versorgung von italienischen Staatsangehörigen. Die vorhandenen bürokratischen Hindernisse bei der Registrierung lassen sich mit Hilfe der Betreiber der Aufnahmeeinrichtungen überwinden. Diese gehört zu deren vertraglichen Aufgaben. Bei allen Einrichtungen, welche im Rahmen der Recherchen zu dem Bericht des Bundesamts vom 02.04.2020 (a.a.O.) besucht wurden, haben die Betreiber geeignete und auf die jeweiligen regionalen Bedingungen angepasste Lösungen für die Registrierung der Migranten in das italienische Gesundheitssystem gefunden (Bundesamt v. 02.04.2020 a.a.O. S. 15).
36
Eine konkrete, einzelfallbezogene Zusicherung der italienischen Behörden, dass die Antragsteller zu 3 bis 5 in Italien in einer ihrem Alter adäquaten Art und Weise behandelt wird und die Familie zusammenbleiben kann, musste die Antragsgegnerin nicht einholen. Die ein solches Erfordernis begründende Tarakhel-​Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bezieht sich vorrangig auf Neugeborene und Kleinkinder (EGMR, Urt.v. 04.11.2014 - 29217/12 - NVwZ 2015, 127; vgl. hierzu BVerfG, Entsch.v. 27.05.2015 - 2 BvR 177/15 - juris). Die Antragsteller zu 3 und 4 wurden ausweislich der Behördenakte am … geboren (Bl. 64, 98), sind mithin keine Kleinkinder mehr. Zudem basiert die genannte EGMR-Rechtsprechung auf den Verhältnissen in Italien zur damaligen Zeit, zu der u.a. eine viel höhere Zahl Schutzsuchender zu verzeichnen war. Das Gericht verweist in diesem Zusammenhang auf die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Trier vom 05.04.2019 - 7 L 1263/19.TR - juris, des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 04.04.2019 - 15 L 3696/18 A. - juris und des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 04.03.2019 - 9 AE 5844/18 - juris, welche im Hinblick auf die aktuelle Lage in Italien eine individuelle Garantieerklärung Italiens vor der Überstellung von Familien mit (Klein-)Kindern nicht für erforderlich halten. Auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (B.v. 09.04.2021 - 7 A 11654/20.OVG - juris) geht nach Auswertung der Erkenntnismittel davon aus, dass insbesondere offensichtlich vulnerable Personen wie Schwangere und Familien mit Kleinkindern bei ihrer Rückkehr im Rahmen des Dublin-Verfahrens ordnungsgemäß und ohne Zeitverzug in einer ihren Bedürfnissen gerecht werdenden staatlichen Aufnahmeeinrichtung untergebracht werden, selbst wenn sie bereits bei einem vorherigen Aufenthalt in Italien in einer solchen untergebracht waren. Den diesbezüglichen Einschätzungen schließt sich das Gericht vollumfänglich an, zumal auch nach den aktuellen Erkenntnissen des Bundesamtes vom 02.04.2020 a.a.O. und der Auskunft des Bundesamtes vom 01.02.2021 a.a.O. eine familiengerechte Unterbringung gewährleistet ist. Darüber hinaus hat das italienische Innenministerium, Dublin Einheit, in einem Rundbrief an alle Kollegen zugesichert, dass im Rahmen des neuen Systems Asylbewerber im SAI-System untergebracht werden können, einschließlich Familiengruppen, um den Schutz eines so grundlegenden Rechts wie die Einheit der Familie zu gewährleisten. Diese speziellen Zentren würden auch Dublin-Familiengruppen mit Minderjährigen aufnehmen, die aus anderen Mitgliedstaaten gemäß dem T.-Urteil aufgenommen werden.
37
Im Übrigen führen die Beschwerden der Antragsteller über ihre Erfahrungen in Italien nicht zu einem anderen Ergebnis. Da diese in Italien keine Asylanträge gestellt haben, können sie denknotwendig auch die Schutzvorkehrungen, die für Asylsuchende geschaffen sind, nicht in Anspruch nehmen.
1.2.
38
Es sind auch keine Anhaltspunkte für innerstaatliche oder zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG, die der Abschiebungsanordnung entgegenstehen würden, ersichtlich.
39
Den Antragstellern droht keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei sind nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten.
40
Eine (individuelle) Gefahr im Sinne dieser Vorschrift kann auch bestehen, wenn der Ausländer an einer Erkrankung leidet, die sich aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat voraussichtlich verschlimmern wird. Erforderlich aber auch ausreichend ist insoweit, dass sich die vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise zu verschlimmern droht, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d.h. eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. BVerwG, U.v. 09.09.1997 - 9 C48.96 -, BVerwGE 105, 383 ff., und U.v. 17.10.2006 - 1 C 18.05 -, BVerwGE 127, 33 (36); B.v. 17.08.2011 - 10 B 13.11 -, juris). Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn in dem Abschiebezielstaat dringend erforderliche Behandlungsmöglichkeiten fehlen oder wenn solche Behandlungsmöglichkeiten zwar vorhanden, für den betreffenden Ausländer aber aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen nicht erreichbar sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 -, DVBl. 2003, 463). Allerdings muss sich der Ausländer grundsätzlich auf den im Zielstaat vorhandenen Versorgungsstand im Gesundheitswesen verweisen lassen. Denn § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG garantiert auch für chronisch Erkrankte keinen Anspruch auf „optimale Behandlung“ einer Erkrankung oder auf Teilhabe an dem medizinischen Standard in Deutschland. Der Abschiebungsschutz soll den Ausländer vielmehr vor einer gravierenden Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter bewahren (vgl. OVG NW, B.v. 14.06.2005 - 11 A 4518/02.A -, juris, und B.v. 30.10.2006 - 13 A 2820/04.A -, juris). Um ein durch eine Erkrankung begründetes Abschiebungshindernis feststellen zu können, ist indes stets eine hinreichend konkrete Darlegung der gesundheitlichen Situation erforderlich, die in der Regel durch ein ärztliches Attest zu untermauern ist (vgl. dazu nur VG München U.v. 24.02.2012 - M 22 K 10.30780 -, juris; VG Gelsenkirchen, U.v. 11.02.2014 - 6a K 2325/12.A - und U.v. 17.07.2012 - 6a K 4667/10.A -, jeweils juris; siehe auch OVG NW, B.v. 02.01.2012 - 13 A 2586/11.A -, juris; Bergmann, in: Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 10. Aufl. 2013, § 74 AsylVfG Rn. 25 ff.).
41
Schließlich sind auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG von der Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen wären (vgl. BVerfG, B. v. 17.9.2014 - 2 BvR 732/14 - juris Rn. 11 f.), weder vorgetragen worden oder sonst ersichtlich.
1.3.
42
Letztendlich begegnet auch die Anordnung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes gem. § 11 Abs. 1 AufenthG keinen Bedenken. Die Befristung auf 15 Monate ab dem Tag der Abschiebung ist ermessensfehlerfrei innerhalb der in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG normierten gesetzlichen Grenzen getroffen worden.
43
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO, wonach die Antragsteller als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
44
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).