Titel:
Abschiebehaft und örtliche Zuständigkeit des Gerichts
Normenketten:
VwGO § 52 Nr. 2 S. 3, § 83 S. 1
GVG § 17a Abs. 2 S. 1
Leitsatz:
Anordnung einer Abschiebehaft stellt keine Aufenthaltsbestimmung im Sinne von § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO dar. (Rn. 21 – 22)
Schlagworte:
Verfahren nach dem Asylgesetz, örtliche Zuständigkeit, Anordnung von Abschiebehaft, Aufenthaltsbestimmung, vorübergehender Aufenthalt
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31715
Tenor
1. Das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth erklärt sich für unzuständig und verweist den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Bayerische Verwaltungsgericht München.
2. Die Kostenentscheidung bleibt dem zuständigen Gericht vorbehalten.
Gründe
1
Der zur Person nicht ausgewiesene Kläger, geb. am …, eigenen Angaben zufolge afghanischer Staatsangehöriger mit h. Volkszugehörigkeit, begehrt die Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 26.09.2022, worin im Wesentlichen die Abschiebung des Klägers nach Polen angeordnet.
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Eigenen Angaben zufolge verließ der Kläger Afghanistan im April 2021, reiste am 13.11.2021 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 04.02.2022 einen förmlichen Asylantrag bei der Beklagten. Er gab an, am 26.04.2021 nach Polen eingereist zu sein und dort einen Asylantrag gestellt zu haben. Er sei dort viermal angehört worden. Sie seien dort wie Tiere behandelt worden. Den Akten sind Eurodac-Treffer der Kategorie 1 vom 12.07.2021 für Polen zu entnehmen. Polen erklärte sich mit Schreiben vom 21.01.2022 bereit, den Kläger wiederaufzunehmen (vgl. Bl. 47 pdf-BA-Akte Az. …).
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In den Akten befindet sich die Fotographie eines afghanischen Heiratsdokuments (Bl. 57 ff. pdf-Akte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Az. …) ohne die auf dem Dokument vorgesehene Unterschrift bzw. ohne einen Fingerabdruck der Brautleute. Ein Teil des Dokuments besteht aus der Übersetzung der persönlichen Daten der Brautleute in die englische Sprache. Bei beiden ist als Aufenthaltsort K. angegeben.
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Im Rahmen seiner Anhörung erklärte der Kläger, bis August 2018 im Iran zwei Jahre lang gelebt zu haben. Dort habe er auch seine Ehefrau kennengelernt und geheiratet. Er sei allein im August 2018 nach Afghanistan abgeschoben worden.
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Der Asylantrag wurde mit Bescheid der Beklagten vom 25.02.2022 als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetztes nicht vorliegen (Ziffer 2). Die Abschiebung nach Polen wurde angeordnet (Ziffer 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes angeordnet und auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Das Bayerische Verwaltungsgericht München lehnte mit Beschluss vom 21.03.2022 den gegen den Bescheid vom 25.02.2022 erhobenen Antrag im einstweiligen Rechtsschutz ab. Auf die Ausführungen zur Begründung wird Bezug genommen. Das Klageverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Die Abschiebung nach Polen wurde am 06.09.2022 vollzogen.
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Am 07.09.2022 wurde der Kläger von der Polizei erneut am Bahnhof G. aufgegriffen und äußerte ein Asylgesuch. Bei seiner polizeilichen Vernehmung am 07.09.2022 erklärte er, dass er seit 2018 seiner Frau versprochen sei, geheiratet hätten sie in Deutschland. Grund für seine Rückkehr nach Deutschland sei, dass seine Frau in Deutschland lebe und Flüchtlinge in Polen nicht so viel Hilfe von der Regierung erhielten (Bl. 38 pdf-Akte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Az. …).
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Die Beklagte richtet am 09.09.2022 ein erneutes Übernahmeersuchen gem. Art. 18.Abs. 1b) Dublin-III-VO an Polen, das mit Schreiben vom 16.09.2022 seine Zuständigkeit gem. Art. 18 Abs. 1c) Dublin-III-VO erklärte. Der Kläger erklärte im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt am 23.09.2022 im Wesentlichen, dass er nicht nach Polen zurückkehren könne und wolle, weil seine Frau und deren Familie in der Bundesrepublik Deutschland seien. Außerdem habe er Magenprobleme, sein rechter Arm sei verletzt und er habe Kopfweh.
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Den Akten ist eine Heiratsbescheinigung des afghanischen Konsulats in M. vom 06.04.2022 zu entnehmen (Bl. 107 pdf-Akte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Az. …).
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Mit Beschluss vom 08.09.2022 ordnete des Amtsgericht Dresden Haft zur Sicherung der Überstellung bis einschließlich 19.10.2022 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an (Bl. 17 pdf-Akte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Az. …).
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Mit Schreiben vom 23.09.2022 zeigte sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Vorlage einer Vollmacht an (Bl. 105 pdf-Akte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Az. …).
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Mit Bescheid vom 26.09.2022 ordnete die Beklagte die Abschiebung nach Polen an (Ziffer 1), ordnete das Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes an und befristete dieses auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 2). In Ziffer 3 des Bescheids wird erklärt, dass der Bescheid des Bundesamts vom 25.02.2022 hinsichtlich der Ziffern 1 und 2 unberührt bleibe.
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Zur Begründung ist u.a. ausgeführt, dass Ehe nicht glaubhaft gemacht sei. Auf die Ausführungen zur Begründung wird Bezug genommen.
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Der Bescheid wurde ausweislich der Empfangsbestätigung des Klägers am 28.09.2022 dem Kläger persönlich übergeben.
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Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 30.09.2022, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am gleichen Tag, Klage auf Aufhebung des Bescheids. Die Klage ist unter dem Az. B 8 K 50195 registriert. Er beantragt,
- 1.
-
Der Bescheid der Beklagten vom 26.09.2022 Gesch.Z. …, wird aufgehoben.
- 2.
-
Hilfsweise wird die Beklagte verpflichtet, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach §§ 60 V und VII AufenthG festzustellen.
- 3.
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Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 26.09.2022 Gesch.Z. …, wird angeordnet.
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Mit gleichem Schriftsatz beantragte der Kläger, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Dieses Verfahren ist unter dem Aktenzeichen B S 22.50194 registriert. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass die Ehe des Klägers verfassungs- und europarechtlich schutzwürdig sei. Sie nimmt Bezug auf ein Urteil des EuGHs vom 02.04.2019 - C-582/17.
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Sie legte den Bescheid der Regierung von O. vom 31.05.2022 über die Zuweisung des Klägers ab dem 09.06.2022 nach E. vor.
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Die Parteien wurden zusammen mit der Erstzustellung auf die mögliche Verweisung der Rechtsstreitigkeiten an das VG München hingewiesen.
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Ergänzend wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
19
Das Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth ist nach § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO örtlich unzuständig.
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Nach dieser Sonderregelung ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Ausländer nach dem Asylverfahrensgesetz seinen Aufenthalt zu nehmen hat. Ist eine örtliche Zuständigkeit danach nicht gegeben, bestimmt sie sich nach Nr. 3 der Vorschrift.
21
Vorliegend ist der Kläger mit Bescheid der Regierung von O. vom 31.05.2022 nach E./B. und damit dem Zuständigkeitsbereich des VG München zugewiesen worden. Diese Zuweisung ist auch noch nach der Entscheidung des AG Dresden zur Abschiebehaft bis einschließlich 19.10.2022 maßgeblich und nicht der tatsächliche Aufenthalt des Klägers in der Abschiebehafteinrichtung in … Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass diese durch die Abschiebung nach Polen unwirksam geworden wäre.
22
Die Anordnung der Abschiebehaft steht dieser Auffassung nicht entgegen. Denn die Abschiebehaft ist auf die kürzest mögliche Dauer zu befristen, § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Ist die Abschiebung aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, innerhalb der nächsten drei Monate sicher nicht möglich, so ist die Abschiebungshaft als Sicherungshaft unzulässig, § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG. Es handelt sich somit bei der Abschiebungshaft lediglich um ein kurzfristiges Sicherungsinstrument, um eine Aufenthaltsbeendigung sicherstellen zu können, nicht aber um eine Aufenthalts- bzw. Wohnsitzbestimmung i.S.d. § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO. Im Übrigen entspricht dieses Ergebnis auch der gesetzgeberischen Absicht zur Aufrechterhaltung einer gleichmäßigen Verteilung im Rahmen des Königsteiner Schlüssels. Andernfalls wäre die gerichtliche Zuständigkeit im Wesentlichen von Zufälligkeiten, z.B. wie dem Einreiseort und der freien Kapazität von Abschiebehafteinrichtungen, abhängig. Im Übrigen werden im Ergebnis diese Verfahren mit dem bereits anhängigen Klageverfahren am VG München verbunden und die Zuständigkeit unterschiedlicher Gerichte vermieden.
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Der Rechtsstreit ist deshalb nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das nach § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO zuständige Verwaltungsgericht München zu verweisen.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 83 Satz 2 VwGO unanfechtbar.