Titel:
Kennzeichnungsmängel bei Nahrungsergänzungsmitteln, Hinreichende Bestimmtheit des Verstoßes, Verwendung von Oberbegriffen, Zusammenfassung festgestellter Mängel zu Veröffentlichungszwecken, Unverzüglichkeit der Veröffentlichung
Normenketten:
LFGB § 40 Abs. 1a
VwGO § 123
Leitsätze:
1. Bei einer behördlichen Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB muss der Verstoß so präzise angegeben werden, dass dieser einerseits für den Verbraucher hinreichend klar ist und andererseits, dass das Ausmaß des Mangels eindeutig eingrenzt wird.
2. Die Zusammenfassung festgestellter Mängel/Verstöße unter einem „Oberbegriff“ für Veröffentlichungszwecke ist daher nur zulässig, wenn im Einzelfall keine Gefahr einer Verfälschung des Sachverhalts in sich besteht, namentlich insbesondere in Gestalt des Potentials, Fehlvorstellungen bei Verbrauchern dahingehend zu wecken, es sei in einem größeren Ausmaß gegen lebensmittelrechtliche Anforderungen verstoßen worden, als dies tatsächlich der Fall gewesen ist.
Schlagworte:
Kennzeichnungsmängel bei Nahrungsergänzungsmitteln, Hinreichende Bestimmtheit des Verstoßes, Verwendung von Oberbegriffen, Zusammenfassung festgestellter Mängel zu Veröffentlichungszwecken, Unverzüglichkeit der Veröffentlichung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31697
Tenor
1. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, gemäß § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB folgende Informationen zu veröffentlichen:
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Untersagung der Veröffentlichung von „Kennzeichnungsmängel“ bei einem von ihr in Verkehr gebrachten Produkt … auf der Internetseite des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL).
2
Die Antragstellerin produziert und vertreibt u.a. Nahrungsergänzungsmittel. Am 30.03.2022 entnahm … in den Betriebsräumen der Antragstellerin eine Planprobe des Produkts „… 300“ und legte diese dem LGL mit dem Untersuchungsziel „Zusammensetzung (Zutaten)“ zur Begutachtung vor. Mit Gutachten vom 29.07.2022, eingegangen bei … am 01.08.2022, monierte das LGL beim Produkt „… 300“, Losnummer 2102232, Mindesthaltbarkeitsdatum 08.2026, mehrere Aspekte bezüglich der bei der Kennzeichnung verwendeten gesundheitsbezogenen Angaben betreffend die Vorgaben der sog. Health-Claims-Verordnung (VO (EG) Nr. 1924/2006). Ferner bezweifelte das LGL im Rahmen der „Beurteilung der Zusammensetzung“, ob es sich bei der Zutat „Reisextrakt“ um einen zugelassenen Lebensmittelzusatzstoff handelt.
3
Mit E-Mail vom 02.08.2022 übermittelte … das Gutachten vom 29.07.2022 an die Antragstellerin und forderte diese auf, die Spezifikation des Lieferanten, die Kennzeichnung sowie den Lieferschein des im Produkt eingesetzten Reisextraktes zu übersenden. Die Antragstellerin wurde insoweit zudem im Hinblick auf ein mögliches lebensmittelrechtliches Einschreiten nach Art. 138 VO (EU) 2017/625 bzw. § 39 LFGB angehört.
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Mit Schriftsatz vom 09.09.2022 übersandte … der Antragstellerin das Gutachten des LGL vom 29.07.2022 erneut, diesmal im Rahmen einer Anhörung nach § 40 Abs. 3 Satz 1 LFGB zur beabsichtigten Veröffentlichung von „Kennzeichnungsmängel“ nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB. Insoweit wurde im Wesentlichen ausgeführt, aufgrund des Gutachtens vom 29.07.2022 bestehe der hinreichend begründete Verdacht, dass durch die Herstellung und das Inverkehrbringen des Nahrungsergänzungsmittels „… 300“ gegen sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich des LFGB, die dem Schutz der Endverbraucher vor Täuschung dienen, in nicht nur erheblichem Ausmaß verstoßen werde. Auf Verpackung und Beipackzettel seien die Angaben „hochdosiertes Magnesium … für Muskeln, Nerven, Psyche, Knochen, Zähne, Energiestoffwechsel und bei Müdigkeit bzw. Ermüdung“ zu finden. Unter der Überschrift „Wer sollte besonders auf seine Magnesiumzufuhr achten?“ seien u.a. folgende Angaben getätigt worden: „Da der Körper Magnesium nicht selber bilden und nur begrenzt speichern kann, muss es täglich in ausreichender Menge mit der Nahrung zugeführt werden.“ Weiterhin sei auf dem Beipackzettel folgende Angabe getätigt: „Der tägliche Magnesiumbedarf von 300 bis 400 mg (Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung) kann bei einseitiger Ernährung, magnesiumarmen Diäten, übermäßigem Alkoholgenuss, Stress, starkem Schwitzen (Hitze, Sport), Aufnahmestörungen (Darmresorption) oder harntreibenden Medikamenten oftmals aber nicht abgedeckt werden. Ferner sollten auch ältere Personen und Jugendliche in der Wachstumsphase auf eine ausreichende Magnesiumversorgung achten. Auch Schwangere und Stillende haben einen erhöhten Magnesiumbedarf“. Auf dem Beipackzettel werde unter der Überschrift „Magnesium - das Mineral für die Muskeln“ ausgeführt: „Magnesium ist als unverzichtbarer Bestandteil von mehr als 300 Enzymsystemen an vielen wichtigen Stoffwechselvorgängen im Körper beteiligt. Magnesium trägt zu einer normalen Funktion des Nervensystems und der Muskeln bei und ist somit für die Muskelspannung und -entspannung von Bedeutung.“ Auf der Internetseite werde das Produkt zudem wie folgt beworben: „Die Magnesiumzufuhr von Erwachsenen sollte gemäß der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) bei 300 bis 350 mg pro Tag liegen. Ein erhöhter Magnesiumbedarf ist möglich, z.B. durch eine vermehrte Magnesiumausscheidung aufgrund von Koffein und Alkohol. Auf eine ausreichende Magnesium-Zufuhr sollte besonders geachtet werden bei:
- Starkem Schwitzen/sportlichen Aktivitäten (beim Schwitzen gehen wertvolle Mineralstoffe verloren)
- Regelmäßiger Medikamenteneinnahme (z.B. Magensäure-Blocker, Antibiotika, orale Kontrazeptiva, Bisphosponate, Cortisonpräparate, Entwässerungsmittel)
- Bestimmten Erkrankungen (z.B. Diabetes mellitus)
- Schwangerschaft/Stillzeit
- Regelmäßigem Alkoholkonsum
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Wenn der Mineralstoff nicht in ausreichender Menge zur Verfügung steht, können Muskel-Verspannungen und unkontrollierte Muskelkontraktionen die Folge sein. Besonders bekannt sind Wadenkrämpfe und Lidzuckungen.“ Weiter werde im Internetauftritt die Aussage „Magnesium … unterstützt im Körper in mehr als 300 Enzymsystemen wichtige Stoffwechselvorgänge - dabei unter anderem die Umwandlung von Vitamin D3 zum aktiven Vitamin-D-Hormon. Zudem befindet sich das Mineral zu ca. 50% gebunden im Knochengewebe“ verwendet.
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Durch die vorstehenden Kennzeichnungen des Produkts sowie der zugehörigen Beipackinformationen und die das Produkt auf den Internetseiten werbenden Aussagen liege eine unzulässige Kennzeichnung und Bewerbung des Produkts mittels nährwert- und/oder gesundheitsbezogener Angaben gem. Art. 3 i.V.m. Art. 10 VO (EG) Nr. 1924/2006 vor.
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Die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB seien erfüllt. Vorliegend sei gegen Vorschriften im Anwendungsbereich des LFGB, die dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Täuschung dienen, in nicht unerheblichem Ausmaß und wiederholt verstoßen worden. Sowohl die Menge des in den Verkehr gebrachten Erzeugnisses, als auch die damit verbundene Anzahl der von dem Verstoß betroffenen Verbraucher, die im Glauben an eine besondere Wirkung das Produkt gekauft hätten, führten zu einem erheblichen Verstoß. Zudem liege aufgrund der bereits früheren Beanstandungen ein wiederholender Verstoß vor.
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Gemäß Art. 3 UAbs. 1 VO (EG) Nr. 1924/2006 dürften nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben bei der Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmittel, die in der Gemeinschaft in den Verkehr gebracht werden bzw. bei der Werbung hierfür, nur verwendet werden, wenn sie der VO (EG) Nr. 1924/2006 entsprächen. Nach Art. 3 UAbs. 2 lit. a VO (EG) Nr. 1924/2006 dürften unbeschadet der Richtlinien 2000/13/EG und 84/450/EWG die verwendeten nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben nicht falsch, mehrdeutig oder irreführend sein. Gem. Art. 10 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1924/2006 seien gesundheitsbezogene Angaben verboten, sofern sie nicht den allgemeinen Anforderungen in Kapitel II und den speziellen Anforderungen im vorliegenden Kapitel entsprächen, gemäß dieser Verordnung zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Art. 13 und 14 aufgenommen seien. Für Magnesium seien bezüglich der aufgeführten Funktionen nur die in der VO (EU) Nr. 432/2012 festgelegten gesundheitsbezogenen Angaben zulässig. Das Produkt „… 300“ werde als Nahrungsergänzungsmittel und somit als Lebensmittel im Sinne des Art. 2 VO (EG) Nr. 178/2002 in den Verkehr gebracht. Mit den genannten, auf der Verpackung und dem Beipackzettel verwendeten schlagwortartigen Aussagen bleibe im Unklaren, in welcher Weise die genannten Funktionen durch Magnesium beeinflusst würden. Durch den vorangestellten Hinweis „hochdosiertes Magnesium“ werde der Eindruck erweckt, dass das Produkt bzw. Magnesium die genannten Funktionen fördere und generell bei Müdigkeit/Ermüdung „helfe“. Damit werde der Bedeutungsgehalt der jeweils für Magnesium zugelassenen Aussagen bei weitem überschritten. Gem. Art. 3 UAbs. 2 lit. a VO (EG) Nr. 1924/2006 dürften die verwendeten nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben nicht falsch, mehrdeutig oder irreführend sein. Die Aussage „hochdosiertes Magnesium … für Muskeln, Nerven, Psyche, Knochen, Zähne, Energiestoffwechsel und bei Müdigkeit bzw. Ermüdung“ entspreche nicht den Vorgaben des Art. 3 UAbs. 2 lit. a i.V.m. Art. 10 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1924/2006. Auch die Aussagen „Der tägliche Magnesiumbedarf von 300 bis 400 mg (Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung) kann … oftmals aber nicht gedeckt werden. Ferner sollten auch ältere Personen und Jugendliche in der Wachstumsphase auf eine ausreichende Magnesiumversorgung achten. Auch Schwangere und Stillende haben einen erhöhten Magnesiumbedarf“ seien mehrdeutig und irreführend im Sinne von Art. 3 Abs. 2 lit. a VO (EG) Nr. 1924/2006.
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Weiterhin dürften gem. Art. 3 UAbs. 2 lit. e VO (EG) Nr. 1924/2006 nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben nicht - durch eine Textaussage oder durch Darstellung in Form von Bildern, grafischen Elementen oder symbolischen Darstelllungen - auf Veränderungen bei Körperfunktionen Bezug nehmen, die beim Verbraucher Ängste auslösen oder daraus Nutzen ziehen könnten. Mit den Aussagen „Wenn der Mineralstoff nicht in ausreichender Menge zur Verfügung steht, können Muskelverspannungen und unkontrollierte Muskelkontraktionen die Folge sein. Besonders bekannt sind Wadenkrämpfe und Lidzuckungen“ werde auf Veränderungen bei Körperfunktionen hingewiesen, die „einen erhöhten Magnesiumbedarf“ nach sich zögen. Mit dem Angebot des vorliegenden Produktes solle dies ausgeglichen werden. Bei einem durchschnittlich informierten verständigen Verbraucher werde durch die verwendeten Aussagen nicht nur ein bloßes ungutes Gefühl oder Unbehagen, sondern die Angst hervorgerufen, bei Auftreten der genannten Situationen einen „erhöhten Magnesiumbedarf“ zu haben, den er durch Einnahme des Produktes decken könne. Insoweit liege ein Verstoß gegen Art. 3 UAbs. 1 i.V.m. UAbs. 2 lit. e und Art. 10 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1924/2006 vor.
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Mit der Aussage „Magnesium ist als unverzichtbarer Bestandteil von mehr als 300 Enzymsystemen an vielen wichtigen Stoffwechselvorgängen im Körper beteiligt“ werde Magnesium eine Bedeutung für „mehr als 300“ Enzymsysteme und (viele wichtige) Stoffwechselvorgänge zugeschrieben. In Bezug auf die Beteiligung von Magnesium an Enzymsystemen seien jedoch keine - und in Bezug auf die Stoffwechsellage lediglich die Angabe „Magnesium trägt zu einem normalen Energiestoffwechsel bei“ - zugelassen. Die Aussage entspreche daher nicht den Vorgaben des Art. 3 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1924/2006. Weiterhin seien in Bezug auf Muskelspannung und Muskelentspannung keine gesundheitsbezogenen Angaben zugelassen. Die Erweiterung der für sich genommenen rechtmäßigen Aussage „Magnesium trägt zu einer normalen Funktion des Nervensystems und der Muskeln bei“ mit dem Zusatz „und ist somit für die Muskelspannung und -entspannung von Bedeutung“ entspreche nicht Art. 3 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1924/2006.
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Die Aussage „Eine normale Funktion des Nervensystems und der Muskeln wird durch Magnesium unterstützt“ könne noch als gleichbedeutend mit dem entsprechenden gem. VO (EU) Nr. 432/2012 zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben eingestuft werden. Mit der vorangestellten Aussage „Der Mensch hat ca. 650 Muskeln, die für Bewegung und Haltung, aber auch für Organe (z.B. Herz, Darm) unerlässlich sind“ werde dem Produkt bzw. Magnesium zumindest mittelbar eine Bedeutung für die Muskelbeweglichkeit und Haltekraft sowie speziell für Herz und Darm zugeschrieben. Diesbezüglich seien für Magnesium keine gesundheitsbezogenen Angaben zugelassen. Die Aussage übersteige damit den Bedeutungsgehalt der für Magnesium zugelassenen Angaben und sei als nicht zulässig im Sinne von Art. 3 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1924/2006 zu beurteilen.
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Die auf dem Internetauftritt getätigte Überschrift „Magnesium - … ein Muskel-Mineral“ sowie die Aussage „Magnesium sorgt für eine normale Funktion der Muskeln und des Nervensystems“ übersteige den Bedeutungsgehalt der für Magnesium diesbezüglich zugelassenen Aussagen und sei als nicht zulässig im Sinne von Art. 3 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1924/2006 einzustufen. Die ebenfalls im Internetauftritt getätigte Aussage „Magnesium … unterstützt im Körper in mehr als 300 Enzymsystemen wichtige Stoffwechselvorgänge - dabei unter anderem die Umwandlung von Vitamin D3 zum aktiven Vitamin-D-Hormon. Zudem befindet sich das Mineral zu ca. 50% gebunden im Knochengewebe“ stelle eine gesundheitsbezogene Angabe der Fallgruppe von Art. 13 Abs. 1 Buchst. a VO (EG) Nr. 1924/2006 dar, da damit auf die Bedeutung von Magnesium für Enzymsysteme, die Bildung von Vitamin D im Körper und den Aufbau der Knochensubstanz hingewiesen werde. Die vorgenannten Angaben seien nicht zugelassen und entsprächen nicht den Vorgaben des Art. 3 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1924/2006, so dass auch insoweit ein entsprechender Verstoß gegeben sei.
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Aufgrund des Gutachtens und der früheren Beanstandungen in den Auslobungen bestehe daher der durch Tatsachen hinreichend begründete Verdacht, dass gegen die vorstehenden Normen wissentlich und willentlich verstoßen worden sei. Die abschließende strafrechtliche Beurteilung obliege der zuständigen Staatsanwaltschaft. Selbst wenn diese das Verfahren wegen einer Straftat einstelle und die Sache zur Verfolgung als Ordnungswidrigkeit an die Verwaltungsbehörde abgeben würde, sei bei fahrlässiger Begehungsweise ein Bußgeld in Höhe von wesentlich über 350,00 EUR zu erwarten (wird weiter ausgeführt).
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Daher sei die Veröffentlichung folgender Informationen beabsichtigt:
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Mit Schriftsatz vom 21.09.2022 führte der Bevollmächtigte der Antragstellerin zur geplanten Veröffentlichung im Wesentlichen Folgendes aus: Die im Zusammenhang mit dem Produkt „… 300“ abgebildeten werblichen Angaben seien zulässig, insbesondere sei kein Verstoß gegen die VO (EG) Nr. 1924/2006 gegeben (wird umfassend unter Bezugnahme auf die vorgehaltenen Verstöße ausgeführt). Selbst wenn man fälschlicherweise davon ausginge, dass die Antragstellerin eine nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Angabe verwendet haben sollte, sei dies schuldlos bzw. unwissentlich geschehen. Auch insoweit sei jedenfalls aufgrund der geringen Schuld von der Durchführung eines Veröffentlichungsverfahrens abzusehen. Im Ergebnis seien die Voraussetzungen einer Öffentlichkeitsinformation nach § 40 Abs. 1a Nr. 3 LFGB nicht gegeben.
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Mit Schriftsatz vom 27.09.2022 erwiderte … auf die Einwände der Antragstellerin gegen die geplante Veröffentlichung und hielt an der beabsichtigten Veröffentlichung sowie am „Veröffentlichungstext“ vom 09.09.2022 fest. Dem Bevollmächtigten der Antragstellerin wurde zudem mitgeteilt, dass die Veröffentlichung der Informationen auf den Internetseiten des LGL nach einer Wartefrist von sieben Werktagen erfolge, wenn bis dahin keine gerichtliche Untersagung erfolgt sei.
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Mit Schriftsatz vom 06.10.2022, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag, beantragt der Bevollmächtigte der Antragstellerin sinngemäß,
1. dem Antragsgegner zu untersagen, auf der Internetseite des LGL den mit Schreiben vom 09.09.2022 angekündigten Inhalt zu veröffentlichen.
2. Hilfsweise: Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Inhalt gemäß Ziff. 1 nur gemeinsam mit der Stellungnahme der Antragstellerin gem. Anlage 2 zum Antragsschriftsatz zu veröffentlichen.
18
Zur Begründung des Eilantrags wird im Wesentlichen vorgetragen, der zulässige Antrag sei begründet. Es sei ein Anordnungsgrund und ein Anordnungsanspruch gegeben.
19
Bei amtlichen Verbraucherinformationen über Rechtsverstöße von Lebensmittelunternehmen sei angesichts deren Prangerwirkung regelmäßig ein Anordnungsgrund anzunehmen. Dem Grundrecht der Berufsfreiheit der Antragstellerin aus Art. 12 Abs. 1 GG komme aufgrund der drohenden Schadensfolgen eine besonders hohe Bedeutung zu. Bei einer Veröffentlichung müsse die Antragstellerin damit rechnen, dass für sie mit sofortiger Wirkung gravierende wirtschaftliche Folgen eintreten. Es liege somit auf der Hand, dass die geplante Veröffentlichung für die Antragstellerin erhebliche negative Konsequenzen haben könne, die auch bei einem späteren Obsiegen in der Hauptsache nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten.
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Ein Anordnungsanspruch bestehe ebenfalls, da die streitgegenständliche Veröffentlichung rechtswidrig sei. Die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1a Nr. 3 LFGB seien nicht gegeben. Die im Zusammenhang mit dem Produkt „… 300“ abgebildeten werblichen Angaben seien mit Blick auf die HCVO allesamt zulässig. Ein Verstoß gegen Vorschriften im Anwendungsbereich des LFGB sei nicht gegeben. Damit fehle es bereits an der ersten Tatbestandsvoraussetzung nach § 40 Abs. 1a Nr. 3 LFGB für eine Veröffentlichung (wird umfassend ausgeführt).
21
Darüber hinaus sei eine Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a Nr. 3 LFGB - selbst wenn man bezüglich der werbenden Angaben einen Verstoß annähme - rechtswidrig. Es sei weder die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350,00 EUR, noch eine Sanktionierung wegen einer Straftat zu erwarten. Zwar habe der Antragsgegner durchaus eine wertende Gesamtbetrachtung durchgeführt. Diese sei allerdings unzureichend und berücksichtige nicht alle relevanten Aspekte. In seiner Stellungnahme vom 09.09.2022 führe der Antragsgegner insbesondere aus, dass zu Lasten der Antragstellerin zu werten sei, dass in der Kennzeichnung mehrere Aussagen verwendet worden seien, die jede für sich gegen Vorschriften des Kennzeichnungsrechts verstoßen würden. Zudem sei die Antragstellerin bereits mehrfach in Bezug auf eine unzulässige Produktkennzeichnung in Erscheinung getreten. Ferner behaupte der Antragsgegner ohne jegliche einzelfallbezogene Prüfung, dass das Produkt aufgrund der Firmengröße und der überregionalen Vertriebswege eine Vielzahl an Verbrauchern erreiche, so dass die Kennzeichnungsverstöße umso schwerer wiegen würden. Der Antragsgegner gehe bereits fehl in der Annahme, dass für eine Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a Nr. 3 LFGB ein Gesamtbußgeldbetrag in Höhe von mindestens 350,00 EUR genüge. Die verfassungskonforme Auslegung des § 40 Abs. 1a LFGB gebiete es vielmehr, dass die Bußgelderwartung von mindestens 350,00 EUR für jeden einzelnen Verstoß separat zu beurteilen sei und nicht insgesamt. Mit Blick auf die Natur und die Schwere der einzelnen - vermeintlichen - Rechtsverstöße erweise sich jeder einzelne Vorwurf für sich genommen aber allenfalls als marginal und damit als Bagatellverstoß. Auch lasse sich den Ausführungen des Antragsgegners nicht entnehmen, dass selbst im ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verfahren eine Bebußung in Höhe von mindestens 350,00 EUR oder die Sanktionierung einer Straftat sicher zu erwarten sei. Zudem werte der Antragsgegner zu Lasten der Antragstellerin, dass diese bereits mehrfach in Bezug auf eine unzulässige Produktkennzeichnung in Erscheinung getreten sei. Dies sei nicht zutreffend. Zwei Fälle aus der Vergangenheit im Jahr 2018 bzw. 2021 („…“ und „…“) seien nach fristgerechter Abgabe einer Stellungnahme durch „Nicht-Reaktion“ des Antragsgegners, d.h. ohne jemals eine Antwort, geschweige denn eine Sanktion erhalten zu haben, beendet worden. Eine Anfrage im Jahr 2021 zur Kennzeichnung des Produkts „…“ sei nach übereinstimmender Einigung ohne Feststellung einer Ordnungswidrigkeit beendet worden. Lediglich in Bezug auf das Produkt „…“ im Jahr 2021 habe der Antragsgegner ein Bußgeldverfahren eröffnet. Dass die Antragstellerin damals bemüht und gewillt war, entsprechende Angaben freiwillig und unverzüglich zu ändern, habe der Antragsgegner im Rahmen seiner Gesamtbetrachtung nicht berücksichtigt (wird weiter ausgeführt).
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Zudem liege auch kein Verstoß im Sinne des § 40 Abs. 1a Nr. 3 LFGB von nicht unerheblichem Ausmaß vor. Nicht nur die Formulierung des § 40 Abs. 1a Nr. 3 LFGB schließe Bagatellverstöße aus, auch die Gesetzesbegründung verweise darauf, dass an den Verstoß von nicht nur erheblichem Ausmaß hohe Anforderungen gestellt werden müssten, um die Regelung als verfassungskonform gelten zu lassen. Dementsprechend könnten nur solche Verstöße als erheblich gelten, die von hinreichendem Gewicht seien, um für die betroffenen Unternehmen potentiell gravierende Folgen zu rechtfertigen. Erheblich sei ein Verstoß demnach nur, wenn er mit besonders nachteiligen Folgen für den einzelnen Verbraucher einhergehe oder eine Vielzahl von Verbrauchern betreffe. Vorliegend falle auf, dass jeder einzelne Vorwurf für sich genommen allenfalls marginal und damit einen Bagatellverstoß darstelle. Inwieweit die werbenden Angaben auf der Produktverpackung, dem Beipackzettel und dem Internetauftritt besonders schwere Nachteile für den einzelnen Verbraucher haben sollen, sei unter keinem Gesichtspunkt nachvollziehbar. Jedenfalls bewirkten die vorgeworfenen Rechtsverstöße keinerlei Gefahr einer nachteiligen Beeinflussung des Lebensmittels selbst. Es seien lediglich Werbemittel von den Vorwürfen betroffen. Die Qualität des Produktes werde nicht einmal ansatzweise tangiert. Von einem erheblichen Verstoß mit hinreichendem Gewicht für den Verbraucher könne daher unter keiner Betrachtungsweise die Rede sein.
23
Die geplante Veröffentlichung stehe zudem nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Einklang. Ein hinreichend begründeter Verdacht eines zu erwartenden Bußgeldes von mindestens 350,00 EUR sei zweifelhaft und bedürfe weiterer Konkretisierungen. Daher überwiege derzeit das Interesse der Antragstellerin von der Veröffentlichung verschont zu bleiben. Eine Veröffentlichung zum Schutz des Verbrauchers erscheine auch nicht unerlässlich, da die Beeinflussung eigenverantwortlicher Konsumentscheidungen als gering einzustufen sei und zur Verhinderung eventueller Schäden für Verbraucher im schlimmsten Fall auch andere Vollstreckungsmaßnahmen im Zuge lebensmittelrechtlicher Verfügungen eingesetzt werden könnten.
24
Die verfassungskonforme Anwendung des § 40 Abs. 1a LFGB gebiete weiterhin, dass die Behörden bei der Rechtsanwendung Vorkehrungen treffen, um die Richtigkeit der veröffentlichten Information zu sichern und Fehlvorstellungen der Verbraucher zu vermeiden. Die allein zur Veröffentlichung vorgesehene Angabe „Kennzeichnungsmängel“ sei zumindest ungenau und für den Verbraucher irreführend. Für den Verbraucher werde nicht ersichtlich, was genau überhaupt gekennzeichnet sein sollte und ob es sich etwa um Mängel der Pflichtkennzeichnung oder der freiwillig angegebenen werblichen Angaben handele. Damit fehle es an einer ausdrücklichen und auch für den juristischen Laien hinreichend verständlichen Umschreibung des Rechtsverstoßes, die dem Verbraucher eindeutig ermögliche, den Verstoß zu erkennen. Im Ergebnis sei die geplante Information daher nicht geeignet, den gesetzlichen Informationszweck zu erfüllen.
25
Soweit dem Hauptantrag entgegen den vorstehenden Ausführungen nicht stattgegeben werden sollte, sei jedenfalls der Hilfsantrag begründet. Der Antragsgegner dürfe die streitgegenständliche Veröffentlichung nur mit der ergänzenden Stellungnahme der Antragstellerin vornehmen (wird weiter ausgeführt).
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Mit Schriftsatz vom 14.10.2021 beantragt … für den Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, bei den verwendeten werblichen Angaben handele es sich insgesamt um unzulässige gesundheitsbezogene Angaben im Sinne der HCVO (wird weiter ausgeführt).
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Gemäß § 40 Abs. 1a LFGB komme es grundsätzlich nicht darauf an, dass bei mehreren Einzelverstößen jeder für sich genommen zu einer Verhängung eines Bußgeldes in Höhe von mindestens 350,00 EUR führen könne. Vielmehr müsse zwischen Tateinheit und Tatmehrheit unterschieden werden. Die Sanktionierung wegen einer Straftat bzw. bei Rückgabe die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350,00 EUR sei sehr wohl zu erwarten (wird weiter ausgeführt).
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Dem Vortrag der Antragstellerin, ein Verstoß in nicht nur unerheblichem Ausmaß liege nicht vor, werde entgegengetreten. Durch die Verwendung unzulässiger gesundheitsbezogener Angaben, die über den Bedeutungsgehalt zugelassener Angaben hinausgehen, sei der Endverbraucher getäuscht worden. Damit sei das Vertrauen der Verbraucher in rechtskonform gekennzeichnete Produkte in besonderem Maße beeinträchtigt.
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Die geplante Veröffentlichung zur sachlichen Information über die Verstöße sei geeignet, indem sie sachlich zutreffend und in der für einen Laien verständlichen präzisen Art und Weise die Verstöße wiedergebe. Eine etwaige Fehlvorstellung beim Verbraucher sei vorliegend nicht gegeben. Die Veröffentlichung unter der Angabe „Kennzeichnungsmängel“ sei dem Umstand geschuldet, dass es sich um eine Vielzahl von Verstößen handele, die einheitlich als „Kennzeichnungsmängel“ zu führen seien. Eine, dem einzelnen Wortlaut der bestehenden Kennzeichnungen völlig wiedergebende, Veröffentlichung stünde bei der Vielzahl der dem gleichen Oberbegriff unterfallenden Verstöße nicht im Einklang mit der Zielrichtung des § 40 Abs. 1a LFGB. Die Information müsse für den Laien einfach verständlich und der Verstoß für diesen eindeutig, gegebenenfalls durch eine verständliche Umschreibung, erkennbar sein. Durch die Verwendung des Oberbegriffs sei dies vorliegend unzweifelhaft der Fall. Eine detaillierte Veröffentlichung überfrachte den Verbraucher mit Informationen, was in der Folge das Verständnis und die Herstellung eines Zusammenhangs hinsichtlich des Verstoßes unnötig erschwere. Zudem werde hierdurch dem Umstand Rechnung getragen, dass die gesamte Verpackung und Bewerbung an vielen Stellen mangelhaft und falsch sei. Dies werde durch den Oberbegriff und die Konkretisierung auf dieses Produkt deutlich.
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Der Hilfsantrag sei ebenfalls unbegründet und daher abzulehnen (wird weiter ausgeführt).
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Im Übrigen wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Der zulässige Antrag auf Untersagung der geplanten Veröffentlichung hat auch in der Sache Erfolg.
34
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden.
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Voraussetzung ist hierbei, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sogenannten Anordnungsanspruch, und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sogenannten Anordnungsgrund, glaubhaft macht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Über den Erfolg des Antrags ist aufgrund einer im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und auch nur möglichen summarischen Prüfung zu entscheiden. Ergibt die überschlägige rechtliche Beurteilung auf der Grundlage der verfügbaren und vom Antragsteller glaubhaft zu machenden Tatsachenbasis, dass von überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache auszugehen ist, besteht regelmäßig ein Anordnungsanspruch. Ein Anordnungsgrund setzt voraus, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen unzumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (vgl. SächsOVG, B.v. 22.9.2017 - 4 B 268/17 - juris Rn. 10; Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 123 Rn. 26 m.w.N.).
36
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung der vorläufigen Sicherung eines Anspruchs bzw. der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Wird mit der begehrten Entscheidung die Hauptsache vorweggenommen, sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache spricht und dem Antragsteller durch das Abwarten in der Hauptsache schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, B.v. 25.10.1988 - 2 BvR 745/88 - juris Rn. 17; vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2016 - 12 CE 16.66 - juris Rn 3 f.).
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Gemessen hieran hat die Antragstellerin sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
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1. Der Anordnungsgrund ergibt sich unschwer aus der grundrechtlichen Relevanz der unmittelbar bevorstehenden Veröffentlichung durch … (vgl. hierzu beispielsweise VG Bayreuth, B.v. 29.7.2021 - B 7 E 21.810 - juris Rn. 55).
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2. Die Antragstellerin hat darüber hinaus glaubhaft gemacht, dass ihr ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch gegen die von der Behörde beabsichtigte Veröffentlichung zusteht. Dieser Anspruch findet seine Rechtsgrundlage in der Abwehrfunktion der Grundrechte, hier insbesondere in der durch Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG geschützten Berufsfreiheit der Antragstellerin und setzt voraus, dass sich die Veröffentlichung als rechtswidriger Eingriff in dieses Grundrecht darstellt.
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Als den Eingriff rechtfertigende Befugnisnorm kommt zwar § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB in Betracht. Nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB informiert die zuständige Behörde die Öffentlichkeit unverzüglich unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels sowie unter Nennung des Lebensmittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel hergestellt oder behandelt oder in den Verkehr gelangt ist, wenn der durch Tatsachen hinreichend begründete Verdacht besteht, dass gegen Vorschriften im Anwendungsbereich des LFGB, die der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, in nicht unerheblichem Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden ist und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens dreihundertfünfzig Euro zu erwarten ist.
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a) Vorliegend erweist sich jedoch jedenfalls die Zusammenfassung der Verstöße im geplanten Veröffentlichungstext unter dem Oberbegriff „Kennzeichnungsmängel“ als zu unbestimmt und damit als rechtswidrig. Zwar regelt das Gesetz die konkrete Art und Weise der Öffentlichkeitsinformation als Rechtsfolge bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB nicht. Sie ist daher grundsätzlich der Behörde freigestellt, muss aber angesichts der Betroffenheit des Unternehmers in seinen Rechten - allen voran Art. 12 Abs. 1 GG - die Grenzen der Verhältnismäßigkeit wahren. Die Veröffentlichung muss mithin sachlich zutreffend und präzise sein. Ausführungen, die eine sachliche Information über den jeweiligen Verstoß überschreiten, entsprechen nicht dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Erforderlich ist außerdem, dass der Verstoß präzise angegeben wird, und zwar so, dass dieser einerseits für Laien verständlich ist und es dem Verbraucher damit ermöglicht, den Verstoß zu erkennen sowie auf der anderen Seite - insbesondere um den Unternehmer entsprechend zu schützen - aber auch, dass das Ausmaß dieser Mängel eindeutig eingrenzt wird (OVG NW, B.v. 14.3.2019 - 13 B 67/19 - juris Rn. 28 ff.; OVG Lüneburg, B.v. 30.9.2020 - 13 ME 377/19 - juris Rn. 30 ff.; VG Bayreuth, B.v. 29.9.2021 - B 7 E 21.1038 - juris Rn. 105; Rathke in: Zipfel/Rathke, LebensmittelR, Stand März 2021, § 40 LFGB Rn. 132, 135). Die Zusammenfassung festgestellter Mängel/Verstöße unter einem Oberbegriff für Veröffentlichungszwecke werden in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung unter dem Aspekt der von Anfang an anzustrebenden Gewähr größtmöglicher Richtigkeit mit Recht als bedenklich angesehen (vgl. zum Ganzen: OVG Lüneburg, B.v. 30.9.2020 - 13 ME 377/19 - juris Rn. 32 mit Verweis u.a. auf VG Regensburg, B.v. 19.11.2019 - RN 5 E 19.1890 - juris Rn. 40: „Mängel in der Betriebshygiene/Reinigungsmängel“, „Inverkehrbringen von nicht zum Verzehr geeigneten Lebensmitteln“ und „Verbrauchertäuschung“; VG München, B.v. 9.1.2013 - M 18 E 12.5834 - juris Rn. 58: „bauliche Mängel“, „Mängel in der Betriebshygiene“ und „Temperaturverstöße“), selbst wenn sie an den Gesetzeswortlaut angelehnt sein mögen. Denn sie bergen wegen der mit ihnen einhergehenden Pauschalierung und Generalisierung die Gefahr einer Verfälschung des Sachverhalts in sich, namentlich in Gestalt des Potentials, Fehlvorstellungen bei Verbrauchern dahin zu wecken, es sei in einem (sachlich, räumlich, zeitlich oder persönlich) größeren Ausmaß gegen lebensmittelrechtliche Anforderungen verstoßen worden, als dies tatsächlich der Fall gewesen ist. Nur soweit diese Gefahr im Einzelfall nicht besteht, können Zusammenfassungen - z.B. aus Vereinfachungs- und Übersichtlichkeitsgründen bei einer Vielzahl festgestellter gleichartiger oder ähnlicher Verstöße - zulässig sein (OVG Lüneburg, B.v. 30.9.2020 - 13 ME 377/19 - juris Rn. 32).
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Gemessen hieran birgt der von … im vorliegenden Fall verwendete Obergriff „Kennzeichnungsmängel“ die nicht unerhebliche Gefahr von Fehlvorstellungen über das Ausmaß der Verstöße bei Verbrauchern. Der durchschnittliche Verbraucher dürfte mit einem „Kennzeichnungsmangel“ primär einen Mangel in der stofflichen Zusammensetzung des Produktes verbinden, d.h. davon ausgehen, dass die Art bzw. das Verhältnis der Inhaltsstoffe des Produkts fehlerhaft gekennzeichnet ist. Dass unter Kennzeichnungsmängel aus fachlicher Sicht - neben der Abweichung der Kennzeichnung eines Lebensmittels von der tatsächlich vorliegenden stofflichen Beschaffenheit bzw. Zusammensetzung - auch Abweichungen in der Kennzeichnung von rechtlichen Vorschriften verstanden werden (vgl. https:// www.lgl.bayern.de/lebensmittel/kennzeichnung/taeuschungsschutz/kennzeichnungsmaengel/index.htm), dürfte dem „Durchschnittsverbraucher“ nicht ohne weiteres in den Sinn kommen, geschweige denn bekannt sein. Diese Differenzierung erscheint jedoch für den effektiven Verbraucherschutz essentiell, insbesondere dürfte eine Vielzahl von Verbraucher bei einer Kaufentscheidung deutlich mehr Wert auf eine korrekte „Inhaltskennzeichnung“ - teils schon aus gesundheitlichen Gründen, insbesondere bei etwaigen Unverträglichkeiten - legen, als auf teils „spitzfindige Werbeaussagen“ in der „Grauzone“ zum nach EU-Recht insoweit Zulässigen. Dementsprechend ist bei einem „Kennzeichnungsmangel“ bzw. bei „Kennzeichnungsmängeln“ im Rahmen einer Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB jedenfalls zu fordern, dass dem Veröffentlichungstext klar und unmissverständlich zu entnehmen ist, ob Mängel/Verstöße in der stofflichen Beschaffenheit bzw. der Zusammensetzung des Produktes vorliegen oder „nur“ Mängel/Verstöße bei gesundheitsbezogenen Angaben auf Verpackung, Beipackzettel, etc. Insoweit verfängt auch der Vortrag des Antragsgegners in der Antragserwiderung vom 14.10.2022 (Seite 12) nicht, wonach die Verwendung des Oberbegriffs im konkreten Fall ausreichend sei, da „eine detailliertere Veröffentlichung den Verbraucher mit Informationen überfrachten würde und das Verständnis und die Herstellung eines Zusammenhangs hinsichtlich des Verstoßes unnötig erschweren würde.“ Vielmehr bedarf es für die notwendige Klarstellung/Präzisierung nur weniger Worte, die ihrerseits aber den „Kennzeichnungsmängeln“ aus Sicht des Verbrauchers und zu dessen Schutz sowie im Hinblick auf das Ansehen des Unternehmers ein andere „Qualität“ verleihen.
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Dies gilt im vorliegenden Fall auch vor dem Hintergrund, dass das Gutachten des LGL vom 29.07.2022 ebenfalls zwischen der „Beurteilung der gesundheitsbezogenen Angaben“ und der „Beurteilung der Zusammensetzung“ differenziert und bei letzterer die Verwendung der Zutat „Reisextrakt“ noch für klärungsbedürftig angesehen wird. Insoweit hat … ein gesondertes Verwaltungsverfahren eingeleitet (vgl. Ermittlungs-Kontrollakte zum Kennzeichnungsverstoß des Produktes „…“ und Schriftsatz … vom 07.10.2022, Bl. 64 der GA) und klargestellt, dass das hiesige Veröffentlichungsverfahren nur die Beanstandungen bezüglich der gesundheitsbezogenen Angaben betreffe. Von daher wäre vorliegend erst recht im Veröffentlichungstext die maßgebliche „Unterart“ der Kennzeichnungsmängel anzugeben gewesen.
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Obwohl die „Kennzeichnungsmängel“ im Veröffentlichungstext präzisierungsfähig sind, ist bereits allein wegen der Unbestimmtheit des Verstoßes bzw. der Verstöße dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung zugunsten der Antragstellerin stattzugeben (vgl. BayVGH, B.v. 15.11.2021 - 20 CE 21.2568 - juris Rn. 15).
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b) Im Übrigen - und ohne dass es noch entscheidungserheblich darauf ankommt - hegt das Gericht auch Zweifel, ob alle im Raum stehenden Verstöße bei den gesundheitsbezogenen Angaben überhaupt unzulässige Angaben/Täuschungen sind bzw. ob diese jedenfalls tatsächlich von nicht nur unerheblichem Ausmaß i.S.d. § 40a Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB sind. Im Anhörungsschreiben vom 09.09.2022 (Seite 2 und 4) bzw. in der Stellungnahme vom 27.09.2022 zum Vorbringen der Antragstellerseite (Seite 6) finden sich bezüglich des „nicht nur unerheblichen Ausmaßes“ nur sehr allgemein gehaltene Ausführungen, ohne den konkreten Einzelfall, der teils von grammatikalischen Nuancen und Auslegungen geprägt ist (vgl. insoweit beispielsweise die Ausführungen auf Seite 11/12 der Antragsschrift bzw. auf Seite 5 der Antragserwiderung), die dem Durchschnittverbraucher nicht annähernd in den Sinn kommen dürften, näher einzubeziehen. Auch die Antragserwiderung vom 14.10.2022 (Seite 11) lässt eine weitergehende Aufarbeitung dieses Tatbestandsmerkmals vermissen. Insbesondere die dortige Aussage „Durch die Verwendung unzulässiger gesundheitsbezogener Angaben, die über den Bedeutungsgehalt zugelassener Angaben hinausgehen, wurde der Endverbraucher getäuscht. Damit wurde das Vertrauen der Verbraucher in rechtskonform gekennzeichnete Produkte in besonderem Maße beeinträchtigt.“, wirft die Frage auf, ob der Antragsgegner diesem Tatbestandsmerkmal die notwendige (eigenständige) Bedeutung beigemessen hat.
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c) Abschließend weist das Gericht noch darauf hin, dass erhebliche Bedenken bestehen, ob eine - ggf. von der Behörde weiterhin beabsichtigte - Veröffentlichung noch „unverzüglich“ gemäß § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB erfolgen kann. Nach der Rechtsprechung der Kammer ist dabei auf die Verhältnisse des Einzelfalls abzustellen, wobei freilich angesichts der notwendigen Sachaufklärung und eines angemessenen Prüfungs- und Überlegungszeitraums eine ins Auge gefasste Veröffentlichung innerhalb von wenigen Wochen regelmäßig noch unverzüglich sein dürfte (vgl. hierzu ausführlich: VG Bayreuth, B.v. 4.1.2022 - B 7 E 21.1321 - juris Rn. 21 ff. sowie VG Bayreuth, B.v. 31.8.2021 - B 7 E 21.945 - juris Rn. 42 ff.; VG Bayreuth, B.v. 16.5.2022 - B 7 E 22.461 - juris Rn. 25 ff., jeweils m.w.N.). Vorliegend hatte … mit Eingang des Gutachtens des LGL vom 29.07.2022 am 01.08.2022 Kenntnis von den „Verstößen bei gesundheitsbezogenen Angaben“ erlangt. Weitere Nachermittlungen sind insoweit nicht ersichtlich. Insbesondere konnte das Benehmen mit der Staatsanwaltschaft zur Veröffentlichung offensichtlich problemlos durch ein kurzes Telefonat hergestellt werden (vgl. Bl. 35 der Behördenakte - Akte zur Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a Nr. 3 LfGB). Während sich … bezüglich der Fragen zur Zutat „Reisextrat“ unmittelbar nach Eingang des Gutachtens an die Antragstellerin gewandt hat, wurde die Antragstellerin hinsichtlich der beabsichtigten Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB erst am 09.09.2022 - also erst knapp sechs Wochen später - angehört, obwohl sich die Veröffentlichung ausdrücklich nur auf die „Verstöße bei gesundheitsbezogenen Angaben“ bezieht und die Darlegungen zu den gesundheitsbezogenen Angaben im Anhörungsschreiben nahezu wortgleich dem Gutachten vom 29.07.2022 entnommen sind.
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3. Nach alledem ist dem Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit