Titel:
Ghana, Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, Absolutes Titelerteilungsverbot wegen sicherem Herkunftsland (besteht nicht mehr, weil durch Behörde aufgehoben), aber Allgemeine, Titelerteilungssperre, Familiennachzug (Personensorge für deutsche Kinder, Passpflicht erfüllt), Identitätsklärung durch Vorlage eines ghanaischen Reisepasses (offengelassen), Erfüllung der Visumpflicht (nicht gegeben), Humanitäre Aufenthaltserlaubnis: Freiwillige, Ausreise möglich, weil familienfreundlich gestaltetes Visumverfahren mit dreimonatiger Trennung, anfallenden Kosten für Flug und, Aufenthalt in Ghana und nicht auszuschließendem Arbeitsplatzverlust zumutbar, Duldung aus familiären Gründen als Ersatz.
Normenketten:
AufentG § 5 Abs. 1 Nr. 1a
AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1
AufenthG § 10 Abs. 3 S. 1
AufenthG § 10 Abs. 3 S. 3 Halbs. 1
AufenthG § 11 Abs. 7 S. 1 Nr. 1
AufenthG § 25 Abs. 5 S. 1
AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
AufenthV § 39 S. 1 Nr. 5
Schlagworte:
Ghana, Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, Absolutes Titelerteilungsverbot wegen sicherem Herkunftsland (besteht nicht mehr, weil durch Behörde aufgehoben), aber Allgemeine, Titelerteilungssperre, Familiennachzug (Personensorge für deutsche Kinder, Passpflicht erfüllt), Identitätsklärung durch Vorlage eines ghanaischen Reisepasses (offengelassen), Erfüllung der Visumpflicht (nicht gegeben), Humanitäre Aufenthaltserlaubnis: Freiwillige, Ausreise möglich, weil familienfreundlich gestaltetes Visumverfahren mit dreimonatiger Trennung, anfallenden Kosten für Flug und, Aufenthalt in Ghana und nicht auszuschließendem Arbeitsplatzverlust zumutbar, Duldung aus familiären Gründen als Ersatz.
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31690
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, um im Bundesgebiet mit seiner deutschen Lebensgefährtin und seinen beiden deutschen Kindern zusammenleben zu können.
2
Der Kläger, geboren am …1986 in Ku. (Region Ashanti, Republik Ghana), nach eigenen Angaben ein Christ, ohne je getauft worden zu sein, ist Staatangehöriger seines Herkunftslandes. Im November 2017 reiste er erstmals ins Bundesgebiet ein. Dabei führte er weder ein Visum noch einen gültigen Reisepass mit sich.
3
Am 11.04.2018 stellte er einen Asylantrag. Zur Durchführung des Asylverfahrens erhielt er eine Aufenthaltsgestattung, wurde verpflichtet, seinen Wohnsitz in der Aufnahmeeinrichtung … in … zu nehmen und das Stadtgebiet … nicht unerlaubt zu verlassen. Zuständige Ausländerbehörde wurde und blieb bis heute die Regierung von …, Zentrale Ausländerbehörde, Dienststelle … (ZAB).
4
Nach vorheriger Anhörung am 13.04.2018 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 07.05.2018, der ihm am 11.05.2018 persönlich übergeben wurde, die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf subsidiären Schutz jeweils als offensichtlich unbegründet ab (Ziff.1 - 3), stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Ziff. 4), drohte dem Kläger die Abschiebung nach Ghana an, wenn er die Bundesrepublik Deutschland nicht innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung verlassen habe (Ziff. 5), verfügte ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG, das auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet wurde (Ziff. 6) und ordnete schließlich ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG mit einer Dauer von 30 Monaten ab dem Tag der Abschiebung an (Ziff. 7).
5
Die Ablehnung der Anträge als offensichtlich unbegründet begründete die Behörde damit, dass der Kläger aus Ghana, einem sicheren Herkunftsstaat, stamme und nicht habe begründen können, dass ihm, abweichend von der allgemeinen Lage, Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden drohe.
6
Der nicht angefochtene Bescheid wurde am 19.05.2018 bestandskräftig. Im Anschluss daran verließ der Kläger die Aufnahmeeinrichtung, ohne den Behörden seinen Aufenthaltsort mitzuteilen und wurde seit 29.05.2018 als „unbekannten Aufenthalts“ geführt. In der Folgezeit blieb sein Aufenthalt bis 07.12.2021 ungeregelt.
7
Am 01.09.2018 brachte die deutsche Staatsangehörige … in … nichtehelich das Mädchen … zur Welt, die nach der Mutter die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Ein Abstammungsgutachten ergab, dass Vater des Kindes der Kläger ist.
8
Am 04.10.2018 ließ der Kläger, anwaltlich vertreten, unter Hinweis auf das Zusammenleben mit seiner Tochter ein Aufenthaltsrecht und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes beantragen. Am 23.01.2019 wurde von der Klägerseite eingeräumt, er halte sich „zu Besuch“ bei seiner Tochter in … auf und beantrage die Befreiung von der Pflicht zur Wohnsitznahme in der Aufnahmeeinrichtung.
9
Unter Aufhebung eines am 21.02.2019 ergangenen fehlerhaften Bescheides verpflichtete der Beklagte am 08.04.2019 den Kläger sofort vollziehbar zur Wohnsitznahme nunmehr in der Ausreiseeinrichtung …, …, … (AEO), und beschränkte seinen Aufenthalt auf Stadt und Landkreis … Dieser Bescheid wurde bestandskräftig. Der Kläger befolgte die Anordnung aber zunächst nicht, sondern hielt sich weiterhin ständig in der Stadt … auf.
10
Beim dortigen Jugendamt erkannte er am 20.08.2020 die Vaterschaft für seine Tochter an. Die Mutter des Kindes stimmte zu. Am gleichen Tag erklärten beide gegenüber der Behörde, die elterliche Sorge gemeinsam ausüben zu wollen.
11
Am 30.08.2010 ließ der Kläger durch seine Verfahrensbevollmächtigten eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG beantragen.
12
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 05.10.2020, zugestellt am 09.10.2020, lehnte die ZAB nach vorheriger Anhörung den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 AufenthG ab.
13
Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 3 AufenthG vor der Ausreise an den bestandskräftig abgelehnten Asylbewerber sei gesperrt. Gegenüber der Anwendung der Titelerteilungssperre könne sich der Kläger nicht mit Erfolg darauf berufen, die Voraussetzungen eines gesetzlichen Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis lägen vor. Der Kläger erfülle weder die Pass- noch die Visumpflicht. Außerdem bestehe ein Ausweisungsinteresse wegen des fortwährenden Verstoßes gegen die Wohnsitzverpflichtung.
14
Mit Telefax vom 09.11.2020, das am gleichen Tag bei Gericht einging, hat der Kläger Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth erheben lassen.
15
In der mündlichen Verhandlung am 11.08.2022 hat er nunmehr beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 05.10.2020 eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
16
Zur Begründung wird ausgeführt, dem Kläger sei eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, ohne dass er zuvor das Visumverfahren nachhole. Die Lebensgefährtin des Klägers habe am 01.07.2021 ein weiteres deutsches Kind, …, zur Welt gebracht. Für seinen nichtehelichen Sohn habe der Kläger am 01.12.2021 beim Stadtjugendamt … die Vaterschaft anerkannt und am 16.05.2022 erklärt, die elterliche Sorge gemeinsam mit der Kindsmutter ausüben zu wollen. Insbesondere diesem gut einjährigen Kind, das momentan in der Bindungsphase sei, sei es nicht zuzumuten, wenn der Kläger monatelang aus seinem Leben verschwinde.
17
Der Beklagte hat beantragt,
18
Zur Begründung verweist er auf die Titelerteilungssperre für abgelehnte Asylbewerber, die anwendbar sei, weil der Kläger das Visumverfahren, das familienverträglich gestaltet werden könne, nicht nachgeholt habe.
19
Im Dezember 2021 legte der Kläger seinen am 19.06.2019 ausgestellten, bis 18.06.2029 gültigen, ghanaischen Reisepass der Ausländerbehörde vor.
20
Am 07.12.2021 erteilte ihm der Beklagte im Hinblick auf das familiäre Zusammenleben mit seinen beiden deutschen Kleinkindern erstmals eine Duldung, die seither dreimal bis nunmehr 07.11.2022 verlängert wurde. Der Aufenthalt des Klägers ist inzwischen nur noch auf den Freistaat Bayern beschränkt. Er ist aber weiterhin verpflichtet, seinen Wohnsitz in der AEO in … zu nehmen. Außerdem gestattete die Ausländerbehörde ihm am 24.02.2022 die Erwerbstätigkeit bei einer … Leiharbeitsfirma, für die er bis heute als Lagerhelfer bei einer Firma in … (Landkreis …*) für 1.200 EUR/mtl. netto im Einsatz ist, so dass er nicht auf Sozialleistungen angewiesen ist. Die Erlaubnis wurde inzwischen um weitere sechs Monate bis Anfang 2023 verlängert.
21
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 10.12.2021 hob die ZAB das vom Bundesamt angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG (Ziffer 6 des Bescheides vom 07.05.2018) auf.
22
Auf Anforderung des Gerichts legte der Beklagte am 24.03.2022 eine Auskunft der Deutschen Botschaft in Accra (Republik Ghana) vom 21.03.2022 zur Dauer eines Visumverfahrens zum Familiennachzug vor. Beigefügt wurde ein aktuelles Merkblatt zur Urkundenüberprüfung von Deutschland aus.
23
Mit Gerichtsbescheid vom 24.05.2022, zugestellt am 27.05.2022, wies das Verwaltungsgericht Bayreuth die Klage ab. Auf die Entscheidung wird verwiesen. Am 24.06.2022 wurde Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Mit Beschluss vom 18.07.2022 übertrug das Gericht den Rechtsstreit dem bisherigen Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
24
Am 01.08.2022 führte der Klägerbevollmächtigte aus, dem Kläger sei die Aufenthaltserlaubnis ohne Nachholung des Visumverfahrens zu erteilen. Wie ein beim Verwaltungsgericht Ansbach anhängiger anderer Rechtsstreit zeige, werde eine Vorabzustimmung von der Stadt … nicht zu erhalten sein. Ohne Vorabzustimmung der Stadt … dauere das Visumverfahren mindestens sechs Monate, könne aber durchaus neun Monate bis ein Jahr dauern. Dem hielt der Beklagte am 09.08.2022 entgegen, die Stadt … habe auf Nachfrage mitgeteilt, wenn ein Ausländer angebe, er wolle das Visumverfahren nachholen und sei bereit, freiwillig auszureisen, prüfe die Behörde einzelfallbezogen, ob im Inland abschließend beurteilt werden könne, dass die Erteilungsvoraussetzungen für den beantragten Aufenthaltstitel gegeben seien und stimme gegebenenfalls der Erteilung des Visums gegenüber der Auslandsvertretung vorab zu.
25
Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 10.08.2022, die Gerichts- und die Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
26
Die Klage wird abgewiesen.
27
Die Ablehnung der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ist nicht rechtswidrig und der Kläger deshalb nicht dadurch in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dem Kläger steht zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts weder eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG noch ist das Ermessen des Beklagten, was eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG angeht, dahingehend reduziert, dass der Beklagte nur dann ermessensgerecht handelt, wenn er dem Kläger, gestützt auf diese Rechtsgrundlage, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt.
28
I. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet, soweit sie auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG gerichtet ist.
29
Der Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis steht, wie der Beklagte im Ergebnis zu Recht im Bescheid vom 05.10.2020 ausgeführt hat, die Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen.
30
Einem Ausländer, dessen Asylantrag nach § 30 Abs. 3 Nr. 1 bis 6 AsylG abgelehnt wurde, darf vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden (§ 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Wurde der Asylantrag zwar unanfechtbar abgelehnt, aber nicht auf der Grundlage einer dieser Normen, darf ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe der §§ 22 bis 26 AufenthG erteilt werden (§ 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). § 10 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG gelten dann nicht, wenn der Ausländer einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat (§ 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG).
31
1. Rechtsgrundlage des Erteilungsverbotes sind nicht die absoluten Titelerteilungsverbote gem. § 11 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, sondern § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG.
32
a) Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, das das Bundesamt gemäß § 11 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gegenüber einem aus einem sicheren Herkunftsstaat stammenden Ausländer, dessen Asylantrag gemäß § 29a Abs. 1 AsylG unanfechtbar abgelehnt wurde, wie hier gegenüber dem Kläger, angeordnet hat, geht als Spezialvorschrift zwar der allgemeinen Titelerteilungssperre gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG vor (Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 11 AufenthG Rn. 103). Der Vorrang dieser absoluten Titelerteilungssperre (§ 11 Abs. 7 Satz 1 Nr.1 AufenthG, § 11 Abs. 7 Satz 3 AufenthG, § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) gilt aber hier nicht mehr, seit der dafür zuständige Beklagte mit Bescheid vom 10.12.2021 die Anordnung des Bundesamtes (Ziffer 6 des Bescheides vom 07.05.2018) aufgehoben hat.
33
b) Dem Kläger, dessen Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, ist weiter kein auf § 10 Abs. 3 Satz 2 i.V. m. § 30 Abs. 3 Nr. 1 bis 6 AufenthG beruhendes absolutes Titelerteilungsverbot entgegenzuhalten. Das Bundesamt hat sich für die Entscheidung nicht auf § 30 Abs. 3 Nr. 1 bis 6 AsylG, sondern wegen der Herkunft des Klägers aus dem sicheren Herkunftsstaat Ghana (nur) auf § 29a Abs. 1 und 2 AsylG i.V. m. Anlage II zum AsylG gestützt.
34
2. Die Anwendung der deshalb einschlägigen Titelerteilungssperre gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist nicht nach § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG dadurch ausgeschlossen, dass alle allgemeinen und speziellen Erteilungsvoraussetzungen einer aufenthaltsrechtlichen Norm, die einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels verleiht, vorliegen.
35
Der Kläger erfüllt zwar nahezu alle erforderlichen allgemeinen und speziellen Erteilungsvoraussetzungen der allein einschlägigen Familiennachzugsvorschrift des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG. Es fehlt aber jedenfalls an der Erfüllung der Regelerteilungsvoraussetzung der Durchführung eines Visumverfahrens (§ 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG), so dass das Gericht offenlassen kann, ob die Identität des Klägers ausreichend geklärt ist.
36
Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Die Sicherung des Lebensunterhalts braucht dazu nicht nachgewiesen sein (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG i.V. m. § 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Die übrigen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen, d.h. geklärte Identität, kein Ausweisungsinteresse sowie der Erfüllung der Pass- und der Visumpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1a, 3, 4 AufenthG und § 5 Abs. 2 AufenthG) müssen dagegen gegeben sein.
37
a) Der Kläger erfüllt die speziellen Voraussetzungen, die § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG aufstellt. Er hat am 20.08.2020 bzw. am 16.05.2022 gegenüber dem Jugendamt … erklärt, die (gemeinsame) Personensorge über seine am …09.2018 geborene deutsche Tochter bzw. seinen am …07.2021 geborenen Sohn übernehmen zu wollen, und übt sie nach Auffassung der Beteiligten auch in dem von § 1631 Abs. 1 BGB umschriebenen Umfang tatsächlich aus. Zu diesem Zweck wurden ihm seit 07.12.2021 Duldungen erteilt und die Aufenthaltsbeschränkung auf Stadt und Landkreis … aufgehoben.
38
b) Der Kläger hat der ZAB im Dezember 2021 einen bis 18.06.2029 gültigen ghanaischen Reisepass vorgelegt. Dieses Dokument wurde am 19.06.2019 amtlich von der Ghanaischen Botschaft ausgestellt und ist damit nach dem insoweit maßgeblichen Recht der Republik Ghana gültig (Beiderbeck, in: Decker/Bader/Kothe, BeckOKMigrR, Stand 15.07.2022, § 3 AufenthG Rn. 9). Mit einem gültigen Reisepass kann der ghanaische Kläger seine Passpflicht erfüllen (§ 5 Abs. 1 Nr. 4, § 3 Abs. 1 Satz 1 AufenthG i.V. m. Allgemeinverfügung des Bundesministeriums des Innern über die Anerkennung eines ausländischen Passes oder Passersatzes v. 06.04.2016, BAnzAT 25.04.2016 unter „Ghana“).
39
Außerdem besteht auch kein Ausweisungsinteresse gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG (mehr), seit der Kläger die ihm gegenüber bestandskräftig verfügte Wohnsitzverpflichtung einhält.
40
c) Offenlassen kann das Gericht, ob die Identität des Klägers gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG geklärt ist.
41
„Identität“ bedeutet die Übereinstimmung personenbezogener Daten wie Geburtsdatum, Geburtsort, Name, Vorname, Name der Eltern mit einer natürlichen Person, die in der Regel durch Vorlage eines gültigen und anerkannten Passes nachgewiesen wird. Ein Pass bescheinigt auch, dass die in ihm angegebenen Personendaten den Personalien des durch Lichtbild und Unterschrift ausgewiesenen Inhabers des Papiers entsprechen. Daher hat das Erfordernis der geklärten Identität neben dem der Erfüllung der Passpflicht in der Regel keine besondere Bedeutung mehr. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn in dem Verwaltungsverfahren, das der Urkundenausstellung vorangeht, nicht effektiv kontrolliert wird, ob Person und Name richtig miteinander verbunden sind (VG Schleswig, U. v. 25.09.2017 - 1 A 106/14 - juris Rn. 35f.; Beiderbeck, in: BeckOKMigR, Stand 15.07.2022, § 5 AufenthG Rn. 4).
42
Das ist bei dem als unzuverlässig geltenden Urkundenwesen in Ghana der Fall. Staatliche ghanaische Behörden vertrauen ausschließlich auf die Angaben der Antragsteller, lassen es an Sorgfalt und Kontrolle fehlen und stellen deshalb häufig formal echte Urkunden (z.B. Geburtsurkunden, Pässe) aus, die unzutreffende Angaben enthalten. Diese Erkenntnisse galten, als dem Kläger im Juni 2019 ein Reisepass ausgestellt wurde (Lagebericht Auswärtiges Amt v. 25.02.2018, Stand Dezember 2017, S. 28; VG Schleswig, a.a.O. Rn. 35f.) und gelten bis heute (Lagebericht Auswärtiges Amt v. 13.05.2021 i. d. F. v. 20.09.2021, S. 25; Stellungnahme der Deutschen Botschaft an die ZAB v. 21.03.2022).
43
Gegen einen Nachweis seiner Identität (allein) mittels des Reisepasses spricht, dass der Kläger, erstmals in der mündlichen Verhandlung, angegeben hat, im Rahmen der Ausstellung des Reisepasses sei ein Affidavit eines ghanaischen Rechtsanwalts erforderlich gewesen, um nachzuweisen, dass er nicht am 22.04.1984, sondern am 22.04*1986 geboren worden sei. Dafür, dass der Reisepass dazu ausreicht, ist ins Feld zu führen, dass er im gesamten Verwaltungs- und Gerichtsverfahren immer als personenbezogene Daten „…, geb. am …1986 in Kumasi“ genannt hat (zu diesem Argument vgl. BVerfG-K, B. v. 09.12.2022 - 2 BvR 1333/21- NJW 2022, 1804 Rn. 58), dass er diese Daten, insbesondere seinen Geburtsort, auf Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung auch bestätigt und dass er beteuert hat, er verfüge weder über einen Taufschein noch über Schulzeugnisse.
44
d) Es fehlt jedoch in jedem Fall an der Erfüllung der Visumpflicht.
45
Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist.
46
Der Kläger bedurfte gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet grundsätzlich eines Visums. Er ist Staatsangehöriger der Republik Ghana und damit eines Staates, der bei seiner Einreise im November 2017 in Anhang I zur Visa-VO aufgeführt war.
47
Daran ändert nichts, dass der Kläger im November 2017 eingereist war, um ein Asylverfahren durchzuführen. Nach Abschluss ihres erfolglosen Asylverfahrens sind Ausländer im Hinblick auf einen asylunabhängigen Aufenthaltszweck nicht (mehr) von der Beachtung bestehender Visumvorschriften befreit (st. Rspr., vgl. BayVGH, B. v. 24.06.2021 - 10 CE 21.748, 10 C 21.752 - juris Rn. 31; Beiderbeck, in: Decker/Bader/Kothe, BeckOKMigR, Stand 15.07.2022, § 5 AufenthG Rn. 13).
48
Der Kläger war auch nicht nach Maßgabe des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV zur Einholung des Aufenthaltstitels im Bundesgebiet berechtigt. Nach dieser Regelung kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn seine Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und er auf Grund der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat.
49
Die Vorschrift setzt voraus, dass die Duldung aus anderen Gründen erteilt wurde als denen, auf die jetzt der Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gestützt wird (sog. „Doppelverwertungsverbot“ der Geburt eines Kindes; vgl. BayVGH, B. v. 30.07.2021 - 19 ZB 21.738 - juris Rn. 32; Engels, in: Decker/Bader/Kothe, BeckOKMigrR, Stand 15.07.2022, § 39 AufenthV Rn. 18 m. w. N.).
50
Der Kläger verfügt derzeit eine über einebis 07.11.2022 gültige Duldung, die ihm erteilt wurde, um ihm das Zusammenleben mit seinen beiden deutschen Kindern zu ermöglichen. Damit würde die Geburt der beiden deutschen Kinder für die Aussetzung der Abschiebung und zugleich für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge über die beiden im Bundesgebiet geborenen Nachkömmlinge, also doppelt, verwertet. Deshalb kann sich der Kläger, anders als z.B. ein Ausländer, der nicht abgeschoben werden kann, weil ihm sein Herkunftsland keinen Pass ausstellt, und der während seines Aufenthalts im Bundesgebiet hier Vater wurde, nicht mit Erfolg auf § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV berufen.
51
e) Zwar kann gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG im Wege des Ermessens von der Anwendung des § 5 Abs. 2 AufenthG abgesehen werden. Wenn es aber erforderlich ist, dass die Behörde ihr Ermessen ausübt und vom Visumerfordernis absieht, damit das unterbliebene Visumverfahren der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht entgegensteht, fehlt es am von § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG geforderten gesetzlichen Anspruch. Ein solcher Anspruch setzt als strikter Rechtsanspruch voraus, dass alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsmerkmale vorliegen und sich deshalb unmittelbar aus dem Gesetz ein strikter Rechtsanspruch ergibt (BVerwG, U. v. 26.05.2020 - 1 C 12.19 - BVerwGE 168, 159 = InfAuslR 2020, 159, jew. Rn. 52; Beiderbeck, a.a.O. § 10 AufenthG Rn. 10.2).
52
Nach alledem muss der Kläger das Visumverfahren nachholen, wenn er eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erhalten will. Außerdem vergibt er sich auch die Chance, gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nach drei Jahren, den Nachweis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse vorausgesetzt, eine Niederlassungserlaubnis als unbefristeten Aufenthaltstitel (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) zu erhalten.
53
II. Die Klage ist auch insoweit zulässig, aber unbegründet, was die begehrte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG angeht.
54
Gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist (§ 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG).
55
1. Der Erteilung dieser Aufenthaltserlaubnis steht nicht von vornherein die Titelerteilungssperre gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen. Die Vorschrift erlaubt ausdrücklich die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des 5. Abschnitts und damit nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG vor der Ausreise an unanfechtbar abgelehnte Asylbewerber.
56
2. § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ist als Rechtsgrundlage auch anwendbar für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für familiäre Zwecke z.B. einer Vater-Kinder-Beziehung (dafür mit eingehender Begründung BayVGH, B. v. 07.12.2021 - 10 BV 21.1821 - juris Rn. 24 - 33).
57
3. Die Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kommt aber schon tatbestandlich nicht in Betracht. Eine (freiwillige) Ausreise des vollziehbar ausreisepflichtigen Klägers ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung auch unter Berücksichtigung der familiären Bindungen des Klägers im Bundesgebiet nicht aus rechtlichen Gründen unmöglich. Eine Versagung der Aufenthaltserlaubnis verletzt deshalb den Kläger auch nicht in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG.
58
a) Aus der verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie gemäß Art. 6 GG leitet sich ein Anspruch des Trägers des Grundrechts ab, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen berücksichtigen. Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinen Kindern nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, weil die Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und ihnen wegen der Beziehungen zu ihrer Mutter das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zumutbar ist, drängt die Pflicht, die Familie zu schätzen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück. Bei einer Vater-Kinder-Beziehung kommt hinzu, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich wird, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung der Kinder haben kann.
59
Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie ist es allerdings grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen, damit in einem Visumverfahren die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen überprüft werden können. Den mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf hat der Ausländer regelmäßig hinzunehmen.
60
Das Gericht darf aber nicht außeracht lassen, dass der persönliche Kontakt von Kindern zu ihren Eltern und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen. Deshalb kann sich bei einem noch sehr kleinen Kind, das den nur vorübergehenden Charakter der räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und ihn deshalb als endgültigen Verlust erfährt, auch eine nur vorübergehend Trennung dahin gehend auswirken, dass auch eine zeitweilige Trennung unzumutbar ist (BVerfG-K, B. v. 09.12.2021- 2 BVR 1333/21 - NJW 2022, 1804 Rn. 45 - 48).
61
Hat das Gericht deshalb zu prüfen, ob auch eine nur zeitweilige Trennung insbesondere den Kindern zumutbar und damit die dafür erforderliche vorübergehende Ausreise des Klägers rechtlich möglich ist, ist einzubeziehen, ob der Familiennachzug grundsätzlich möglich ist, ob absehbar ist, wie lange das Visumverfahren dauert, wenn der Kläger im erforderlichen und zumutbaren Umfang mitwirkt und ob die Dauer des Verfahrens bei familienverträglicher Gestaltung zumutbar ist (BayVGH, U. v. 07.12.2021 - 10 BV 21.1821 - juris Rn. 40,42).
62
Falls die zu erwartende befristete Trennung des Ausländers von seinen deutschen Familienangehörigen auch im Hinblick auf das Kindeswohl der Nachholung des Visumverfahrens nicht entgegensteht, hat das Gericht sich schließlich weiter mit anderen gegen die Zumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens vorgebrachten Argumenten auseinanderzusetzen.
63
b) Die vom Gericht zu prognostizierende Dauer einer durch ein familienfreundlich gestaltetes Visumverfahren bedingte Trennung ist dem Kläger und seinen Kindern zuzumuten, so dass die freiwillige Ausreise zur Nachholung des Visumverfahrens nicht deshalb rechtlich unmöglich ist.
64
aa) Das Gericht geht davon aus, dass die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG an den Kläger grundsätzlich möglich ist.
65
Der Kläger, der die Personensorge für seine zwei deutschen Kinder rechtlich innehat und nach übereinstimmender Ansicht der Beteiligten auch tatsächlich im gebotenen Umfang ausübt, seiner Passpflicht nachkommt und keinen Ausweisungsgrund erfüllt, sieht sich damit, anders als Landsleute, die ihren Nachzugsanspruch nur auf § 36 Abs. 2 AufenthG stützen können (zu den Hürden bei der Erteilung dieser Aufenthaltserlaubnis vgl. BayVGH, a. a. O. juris Rn. 45f.), voraussichtlich nur der „einfachrechtlichen Unwägbarkeit“ ausgesetzt, dass vor Erteilung des Sichtvermerks gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG seine Identität mithilfe aller zur Verfügung stehender Unterlagen zu klären ist.
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bb) Was die voraussichtliche Dauer des Visumverfahrens angeht, hat die Deutsche Botschaft in Ghana am 21.03.2022 mitgeteilt, in der Regel dauere ein Visumverfahren drei Monate ab der Antragstellung vor Ort in Accra. Wenn die Angaben im Reisepass als Nachweis des Namens, des Geburtsdatums und des Geburtsortes nicht ausreichten, werde eine Urkundenüberprüfung erforderlich, die das Verfahren um drei Monate verlängere. Allerdings könne eine Urkundenüberprüfung auch auf Veranlassung einer deutschen Behörde von der Auslandsvertretung im Amtshilfe vorab durchgeführt werden. Lägen der Botschaft vollständige Antragsunterlagen, einwandfreie Urkunden und eine Vorabzustimmung der Stadt, wo der Kläger nach Erteilung des Visums seinen Wohnsitz nehmen wolle, vor, könne die Bearbeitungszeit auf wenige Tage reduziert werden.
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Legt man diese nachvollziehbaren Ausführungen zu Grunde, hat es der Kläger in der Hand, seinen Teil dazu beinzutragen, die Dauer des Visumverfahrens voraussichtlich erheblich zu verkürzen. Dazu hat er die für die Beantragung eines Visums zum Nachzug zu einem deutschen Kind von der Deutschen Botschaft in Ghana verlangten Unterlagen, die die in der mündlichen Verhandlung angesprochene Checkliste der Auslandsvertretung auflistet, (abrufbar unter: www. accra.diplo.de/gh-de/service/05-VisaEinreise/langzeitvisa) möglichst vollständig zu beschaffen. Weiter hat er einen Termin für eine persönliche Vorsprache bei der Botschaft zu buchen, wenn, anders als bei einem Aufruf durch das Gericht am 09.08.2022, auf der Internetseite der Auslandsvertretung wieder Termine freigeschaltet sind. Außerdem hat er, wie vom Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung angeboten, an die ZAB heranzutreten, damit von dort aus eine Urkundenüberprüfung, insbesondere der bereits bei der bei der Ghanaischen Botschaft vorgelegten im Rahmen des Verfahrens auf Erteilung eines Reisepasses vorgelegte Geburtsurkunde veranlasst werden kann. Schließlich hat er bei der Stadt … einen Antrag auf Vorabzustimmung zu stellen, den die dortige Ausländerbehörde dann einzelfallbezogen prüfen wird.
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Bei der Prognose, wie lange das Sichtvermerkverfahren voraussichtlich dauern wird, hat das Gericht nicht davon auszugehen, dass der Kläger, der allerdings bislang keine der genannten Maßnahmen ergriffen hat, weil er darauf hofft, dass er das Visumverfahren nicht nachholen muss, weiterhin nichts unternimmt, um das Verfahren zu verkürzen, also z.B. keine Urkundenüberprüfung vom Bundesgebiet aus veranlasst und keine Vorabzustimmung beantragt hat, so dass die Zustimmung der Ausländerbehörde der Stadt … und die Prüfung der insbesondere zur Identitätsklärung vorgelegten Urkunden erst nach der Antragstellung in Accra veranlasst werden und das Verfahren sich dann mglw. zusätzlich über weitere Monate hinzieht. Vielmehr ist bei der Voraussage, wie viel Zeit das Verfahren in Anspruch nehmen wird und der daran anknüpfenden Entscheidung, ob das Sichtvermerkverfahren nicht über Gebühr lange dauert, davon auszugehen, dass dem Kläger Aufgrund seiner Mitwirkungspflicht gemäß § 82 Satz 1 AufenthG anzusinnen ist, genügt, die Dauer des Visumverfahrens möglichst kurz zu halten (BayVGH, B. v. 30.07.2021 - 19 ZB 21.738 - juris Rn. 21; BVerfG-K, B. v. 09.12.2021 - 2 BvR 1333/21, NJW 2022, 1804 Rn. 55; BayVGH, B. v. 07.12.2021 - 10 BV 21.1821 - juris Rn. 42).
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Deshalb prognostiziert das Gericht eine Bearbeitungszeit seitens der Botschaft, die reicht von wenigen Tagen bei Vorlage vollständiger, den Anforderungen genügender Unterlagen bis hin zu drei Monaten, die nach Aussage der zuständigen Auslandsvertretung im Regelfall anzusetzen sind. Der Regelzeitraum kann dabei umso eher eingehalten werden, wenn die vorgelegten Urkunden bereits von Deutschland aus überprüft wurden und eine Vorabzustimmung vorliegt.
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cc) Was die sich daraus ergebende Trennungszeit des Klägers von seiner Familie betrifft, hat der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass die ZAB bereit sei, sich in einer Ausreisevereinbarung zu verpflichten, den Kläger auf jeden Fall so lange zu dulden, dass er erst unmittelbar vor dem gebuchten Vorsprachetermin nach Accra fliegen muss und sich in der Zwischenzeit um die Vorabzustimmung und die Urkundenüberprüfung kümmern kann (und muss).
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dd) Legt man die voraussichtliche Verfahrensdauer von bis zu drei Monaten und die familienfreundliche Ausgestaltung des Visumverfahrens zugrunde, ist die damit verbundene vorübergehende Trennung des Klägers von seinen beiden Kindern noch zumutbar.
72
Zwar sind die Kinder des Klägers, mit denen er in einer schützenswerten familiären Lebensgemeinschaft lebt, zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts erst drei Jahre und elf Monate (* …*) bzw. ein Jahr und ein Monat (* …*) alt. Nach der Lebenserfahrung ist aber davon auszugehen, dass der Sohn des Klägers kognitiv noch keine eigene gefestigte Vorstellung entwickelt hat, welche Bedeutung tatsächlich ein Zeitraum von mehreren Monaten hat. Deshalb können etwaige Nachfragen des Kindes beispielsweise durch die Nutzung der Telekommunikation wie etwa Videotelefonie überbrückt werden und dem Kleinkind damit das Gefühl gegeben werden, dass der Kläger, auch wenn er nicht körperlich anwesend ist, dennoch weiterhin im Leben des Kindes präsent ist (BayVGH, B. v. 30.07.2021 - 19 ZB 21.738 - juris Rn. 23). Was die Tochter des Klägers angeht, obliegt es den Eltern, dem Kind in Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgabe auf die Abwesenheit des Klägers vorzubereiten und ihm altersgerecht zu vermitteln, dass seine vorübergehende Abwesenheit nicht mit einem endgültigen Verlust seiner Person verbunden ist (BayVGH, a.a.O.; zustimmend BayVGH, B. v. 07.12.2021 - 10 BV 21.1821 - juris Rn. 43; zur noch höhere Anforderungen stellende, aber zumeist gelingenden Kompensation einer endgültigen Trennung durch „Scheidungskinder“ vgl. Dietz, NVwZ - Extra 6/2022,1/7 m. w. N.). Außerdem kann der Kontakt mit dem älteren Kind erst recht mittels moderner Telekommunikationsmittel aufrechterhalten werden. Zustatten kommt den Eltern dabei, dass der Kläger erst dann ausreisen muss, wenn sein Termin bei der Deutschen Botschaft gekommen ist, den er derzeit noch nicht einmal buchen kann. Deshalb werden die Kinder zum Ausreisezeitpunkt dementsprechend älter sein und es wird ausreichend Zeit zur Verfügung stehen, insbesondere das Mädchen auf die Trennungsphase vorzubereiten (zu diesem Argument vgl. BayVGH, B. v. 07.12.2021 - 10 BV 21.1821 - juris Rn. 43).
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Das Gericht verkennt nicht, dass unter diesen Umständen gleichwohl der Kontakt des Klägers zu seinen Kindern, der für beide Seiten wichtig ist, zeitweilig im Vergleich zur jetzigen Situation, in der er regelmäßig nur während der Arbeit in …, die mit einer jeweils einstündigen Bahnfahrt am Morgen und am Abend verbunden ist, abwesend ist, nur eingeschränkt möglich ist. Doch sind diese Beeinträchtigungen hinzunehmen. Denn die Nachholung des Visumverfahrens, das die Schwierigkeiten mit sich bringt, ist kein vor Art. 6 GG nicht zu rechtfertigender Formalismus. Vielmehr kann das Visumverfahren seine Funktion als wirksames Steuerungsinstrument der Zuwanderung nach Deutschland dann, wenn sich der Ausländer bereits im Bundesgebiet aufhält, nur erfüllen, wenn er ausreist, das Visumverfahren vom Herkunftsstaat aus durchläuft und erst dann auf Dauer einreist (Dietz, a.a.O. 1/1).
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c) Über die mehrmonatigen Trennung hinaus sind dem Kläger auch die übrigen mit dem Visumverfahren verbundenen belastenden Umstände zumutbar und begründen keine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise.
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Zum einen entspricht es ständiger Verwaltungspraxis, die ihren Niederschlag in Ziffer 5.2.3 AVwVAufenthG gefunden hat, dass die Kosten der Reise zur Nachholung des Visumverfahrens für sich allein genommen keine besonderen Umstände darstellen, die es rechtfertigen von der Nachholung eines Visumverfahrens abzusehen (zustimmend Huber, in: Huber/Mantel, AufenthG/AsylG, 3. Aufl. 2021, § 5 AufenthG Rn. 23).
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Dies gilt umso mehr für den Kläger; als ein einfacher Flug nach Accra als Billigflug bereits ab 246 EUR angeboten wird. Was den Aufenthalt während des Visumverfahrens angeht, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung zwar pauschal beteuert, er habe niemanden, bei dem er in Accra unterkommen könne. Auf Vorhalt des Gerichts, er habe bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 13.04.2018 erklärt, er habe in Accra einen Cousin wusste er jedoch lediglich zu erwidern, er könne sich nicht an diese - im von ihm unterschriebenen Protokoll festgehaltene - Aussage nicht erinnern. Außerdem gab er beim Bundesamt an, er habe in Ghana eine Großfamilie, so dass von ihm zu verlangen ist, mit deren Unterstützung für einige Zeit z.B. in Accra, Kumasi oder in dem Dorf, in dem er laut Niederschrift über die Anhörung beim Bundesamt mit seiner Großmutter lange gelebt hat, zeitweilig unterzukommen.
77
Zusätzlich werden für die Urkundenüberprüfung von Deutschland aus für den aus der Region Ashanti stammenden Kläger laut dem vom Beklagten vorgelegten Merkblatt zwar 550 EUR fällig. Lässt es der Kläger aber auf eine Urkundenüberprüfung erst nach Antragstellung in Ghana ankommen, verlängert sich das Visumverfahren je nach dem Umfang der Urkundenüberprüfung um jedenfalls drei Monate und es entstehen ihm ggf. dadurch zusätzliche Kosten.
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Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Kläger derzeit mit seiner Erwerbstätigkeit 1.200 EUR netto/mtl. verdient. Deshalb kann er die Kosten seiner Ausreise, bis er tatsächlich das Bundesgebiet zeitweilig verlassen muss, nach und nach ansparen (vgl. dazu Dietz, a.a.O. 1/8).
79
Des Weiteren macht der Kläger geltend, wenn er für Monate das Bundesgebiet verlassen müsse, drohe er seine Arbeitsstelle in … zu verlieren. Auch dieser Einwand schlägt aber nicht durch. Der Kläger hat es als reflexhafte Folge der zumutbaren Durchführung eines Visumverfahrens hinzunehmen, dass er nicht zugleich im Bundesgebiet einer Erwerbstätigkeit nachgehen und in seinem Herkunftsland das Sichtvermerkverfahren nachholen kann. Zudem erscheint es keinesfalls ausgeschlossen, mit dem Arbeitgeber Abreden zu treffen, dass wegen der zeitweiligen Abwesenheit die Arbeitsstelle nicht aufs Spiel gesetzt wird (BayVGH, B. v. 02.07.2021 - 10 CE 21. 392, 10 CE 21.389 - juris Rn. 43, 51). Schließlich kommt beim Kläger hinzu, dass er ohnehin nur eingeschränkt darauf bestehen kann, gerade in … als Lagerhelfer zu arbeiten, weil er diese Tätigkeit nicht im Rahmen eines Dauerarbeitsverhältnisses dort, sondern als zeitweiligen Einsatz im Rahmen eines Zeitarbeitsverhältnisses ausübt.
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Des Weiteren machte der Prozessbevollmächtigte des Kläger in der mündlichen Verhandlung geltend, eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG sei zu erteilen, weil keinesfalls unwahrscheinlich sei, dass sich bei der Nachholung des Visumverfahrens im Rahmen der Urkundenprüfung vom Inland aus herausstelle, dass die Auslandsvertretung dem Kläger kein Visum erteile, weil er seine Identität mit dem ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen in dem für erforderlich gehaltenen Umfang nicht nachweisen könne oder weil die Stadt … die Zustimmung verweigere. Auch dieses Argument überzeugt nicht. Denn der Vertreter des Beklagten hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sich der Kläger nach einer solchen, im Vergleich zur jetzigen Sachlage grundlegenden Änderung der Umstände, dann beim Beklagten einen neuen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen der dann neu zu beurteilenden rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise stellen könne.
81
3. Selbst wenn man demgegenüber, anders als das Gericht es für richtig hält, der Argumentation des Klägers folgt, seine Ausreise sei rechtlich unmöglich, weil zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts mit einer ungewiss langen Trennungszeit von seinen Kindern zu rechnen sei, wenn er einen vorher gebuchten Termin bei der Deutschen Botschaft in Accra wahrnehme und nach Ghana fliege, darf dem Kläger keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.
82
Gemäß § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG darf eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Ausreisehindernisses nicht erfüllt (§ 25 Abs. 5 Satz 4, Alt. 3 AufenthG).
83
Unternimmt der Ausländer deshalb nichts, um das Visumverfahren und damit die Trennung von seinen Kindern möglichst kurz zu halten, wirkt er nicht dabei mit, das Ausreisehindernis einer über Gebühr langen Trennung von seinen Kindern zu beseitigen (BayVGH, B. v. 07.12.2021 - 10 B 21.1821 - juris Rn.48).
84
Deshalb ist dem Kläger auch dann keine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er weiterhin weder eine Vorabzustimmung beantragt noch eine Urkundenüberprüfung vom Bundesgebiet in die Wege leitet und sich stattdessen darauf beruft, wenn erst nach der Antragstellung in Ghana die Urkunden überprüft würden und die Zustimmung der Stadt … zum Visum eingeholt würde, sei nicht abzusehen, wie lange er in Ghana bleiben müsse, bis das Visumverfahren dort abgeschlossen sei.
85
4. Liegen damit bereits die speziellen tatbestandlichen Voraussetzungen der Anspruchsnorm nicht vor, kommt es nicht mehr darauf an, ob auch die Regelerteilungsvoraussetzungen erfüllt sind und ob der Beklagte nur dann sein Ermessen pflichtgemäß ausübt, wenn er die Aufenthaltserlaubnis erteilt.
86
5. Damit hat das Ansinnen des Klägers keinen Erfolg, ohne das Visumverfahren zu absolvieren, um eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zu erhalten, sich mit einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG im Bundesgebiet aufhalten zu dürfen..
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Vielmehr kann er nur eine Duldung beanspruchen, so lange der Beklagte bei seiner Rechtsauffassung bleibt, dass seine Abschiebung wegen der familiären Lebensgemeinschaft mit zwei deutschen Kindern gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG, Art. 6 Abs. 1 und 2 GG rechtlich nicht möglich ist.
88
III. Als unterliegender Teil trägt der Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 11 ZPO, § 711 ZPO.