Titel:
Duldung aus familiären Gründen (deutsches Kind), Nachholung des Visumverfahrens, „gültige Prognose“, Botschaftsauskunft, Ausweisungsinteresse
Normenketten:
GG Art. 6
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1
Schlagworte:
Duldung aus familiären Gründen (deutsches Kind), Nachholung des Visumverfahrens, „gültige Prognose“, Botschaftsauskunft, Ausweisungsinteresse
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31687
Tenor
1. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt …, …, bewilligt. Die Anwaltsbeiordnung wird auf die Kosten eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts beschränkt.
2. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragsteller vorläufig, bis zur erstinstanzlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren B 6 K 22.449, zu dulden und dem Antragsteller hierüber eine Bescheinigung gemäß § 60a Abs. 4 AufenthG auszustellen.
3. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt die Erteilung einer Duldung im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes.
2
Der Antragsteller ist pakistanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 20. August 2015 ins Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 13. September 2017 abgelehnt. Das abschiebungsbedingte Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG (a.F.) wurde auf 40 Monate befristet. Die gegen den Bescheid vom 13. September 2017 gerichtete Klage wurde vom Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteil vom 24. Juni 2019 (B 5 K 17.33083) abgewiesen.
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Mit Urteil des Amtsgerichts … vom 15. März 2017 (...) wurde der Antragsteller wegen Versuchs des Einschleusens von Ausländern in Tatmehrheit mit falscher Verdächtigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährung wurde in der Folgezeit widerrufen, nachdem der Antragsteller mit Urteil des Landgerichts … vom 24. Januar 2018 (...) wegen uneidlicher Falschaussage zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden war. Die Freiheitsstrafen verbüßte der Kläger bis zur seiner Haftentlassung im April 2021.
4
Bereits am ... 2017 wurde die Tochter S. N. des Antragstellers im Bundesgebiet geboren. Diese ist ebenso wie die Kindsmutter deutsche Staatsangehörige. Der Antragsteller lebte - mit Ausnahme der Zeit seiner Inhaftierung - und lebt auch aktuell mit seiner Tochter und der Kindsmutter in häuslicher Gemeinschaft in … im Landkreis … Nach seiner Haftentlassung erhielt der Antragsteller eine Duldung, die zuletzt bis zum 6. Januar 2022 gültig war. Der Duldungserteilung ging voraus, dass sich der Antragsteller mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 9. Februar 2021 zur Nachholung des Visumverfahrens bereit erklärt hatte, wenn ihm die örtliche Ausländerbehörde hierfür eine Vorabzustimmung erteile.
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Ebenfalls im Februar 2021 hat sich der Antragsteller bei der Deutschen Botschaft in Pakistan elektronisch auf der Warteliste für einen Termin zur Beantragung eines Visums zur Familienzusammenführung registriert. Ein ihm daraufhin im Januar 2022 unterbreitetes Terminsangebot für den 15. Februar 2022 hat der Antragsteller nicht wahrgenommen.
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Am 31. Januar 2022 legte der Antragsteller der Regierung von … - Zentrale Ausländerbehörde - einen ab dem 3. Januar 2022 gültigen pakistanischen Reisepass vor.
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Die von dem Antragsteller begehrte Verlängerung seiner Duldung über den 6. Januar 2022 hinaus lehnte die Zentrale Ausländerbehörde ab, weil der Antragsteller nach behördlicher Auffassung die zugesagte Nachholung des Visumverfahrens nicht bzw. nicht mit der erforderlichen Konsequenz betreibe.
8
Mit Schreiben vom 13. April 2022 beantragte der Antragstellerbevollmächtigte beim Landratsamt … die Erteilung der Vorabzustimmung der örtlichen Ausländerbehörde für die beabsichtigte Nachholung des Visumverfahrens.
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Am 28. April 2022 ließ der Antragsteller Klage (B 6 K 22.449) zum Verwaltungsgericht Bayreuth erheben mit dem Antrag, den Antragsgegner zu verpflichten, dem Kläger eine Duldungsbescheinigung rückwirkend ab dem 7. Januar 2022 auszustellen.
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Zugleich stellte er folgenden Antrag:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller bis zur endgültigen Entscheidung im Klageverfahren eine Duldungsbescheinigung auszustellen.
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Der Antragsteller beantragt außerdem,
ihm Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung zu bewilligen.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Der Antragsteller sei Vater einer minderjährigen deutschen Tochter und übe die Personensorge tatsächlich aus. Die Beziehung zur Tochter habe er auch während der Zeit der Inhaftierung aufrechterhalten. Die Erteilung einer Duldung dürfe nicht davon abhängig gemacht werden, ob bzw. inwieweit sich der Antragsteller um die freiwillige Ausreise und Nachholung des Visumverfahrens bemühe. Der Antragsteller wolle das Visumverfahren mit dem Ziel der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerne betreiben, dieses sei wegen seiner Straffälligkeit jedoch mit erheblichen Unwägbarkeiten behaftet. Er werde das Visumverfahren daher nur dann nachholen, wenn er von sämtlichen beteiligten Behörden eine positive Rückmeldung erhalte. Es sei auch zu berücksichtigen, dass für den Antragsteller im Falle einer Abschiebung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot bestehe, dessen Verkürzung im behördlichen Ermessen stehe. Eine Vorabzustimmung habe die örtliche Ausländerbehörde bisher nicht erteilt. Im Übrigen binde die Vorabzustimmung die deutsche Auslandsvertretung im Visumverfahren nicht. Es müsse davon ausgegangen werden, dass der Trennungszeitraum jedenfalls so lang sei, dass die Tochter des Antragstellers die Trennung als endgültigen Verlust des Vaters empfinden werde.
13
Der Antragsgegner beantragt,
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Die Ausländerbehörde habe der Erteilung einer Duldung nach Haftentlassung nur unter der Bedingung zugestimmt, dass der Antragsteller das Visumverfahren in absehbarer Zeit nachhole. Der Antragsteller habe es in der Folgezeit jedoch versäumt, die erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten und diese der Ausländerbehörde nachzuweisen. Der Abschiebung des Antragstellers stünden keine rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse entgegen, weshalb er nun sobald wie möglich für eine Abschiebung eingeplant werde. Der Antragsteller habe die nun bevorstehenden aufenthaltsbeendenden Maßnahmen selbst verschuldet. Die Tochter des Antragstellers sei über vier Jahre alt. Der mehrwöchige Aufenthalt in Pakistan zur Nachholung des Visumverfahrens könne entweder gemeinsam erfolgen oder der familiäre Kontakt könne in dieser Zeit mit Ferntelekommunikationsmitteln aufrechterhalten werden. Da der Antragsteller sich bereits vor über 14 Monaten für einen Botschaftstermin registriert habe, sei „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ mit einer Rückkehr ins Bundesgebiet innerhalb von sechs Monaten zu rechnen. Nach „aktuellen Erkenntnissen“ sei mit einer Terminvergabe zur Beantragung des Visums Anfang März oder spätestens April 2022 zu rechnen. Die Bearbeitungszeit für „Schengen Visa“ in Pakistan betrage nach den Angaben auf der Internetseite der Deutschen Botschaft in der Regel 14 Tage. Somit hätte der Antragsteller spätestens im April oder Mai 2022 legal wieder in Deutschland sein können. Die Verkürzung der durch die Abschiebung hervorgerufenen Wiedereinreisesperre könne aus dem Ausland beantragt werden. Eine Vorabzustimmung der örtlichen Ausländerbehörde sei nicht unbedingt notwendig; diese diene allein dazu, den Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets zu verkürzen.
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Auf gerichtliche Aufforderung vom 13. Mai 2022 hin nahm die Zentrale Ausländerbehörde Kontakt mit der Ausländerbehörde des Landratsamts … auf. In einem behördlichen Aktenvermerk festgehaltenen Telefonat vom 16. Mai 2022 stellte der Leiter der örtlichen Ausländerbehörde die Erteilung einer Vorabzustimmung für den Fall der Nachholung des Visumverfahrens in Aussicht.
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Am 14. Juni 2022 richtete das Gericht folgende Anfrage an das Amtshilfereferat des Auswärtigen Amtes, welche von der Deutschen Botschaft Is. am 20. Juni 2022 wie nachfolgend wiedergegeben beantwortet wurde (Anfrage des Gerichts kursiv gedruckt):
„Der Antragsteller hat eine E-Mail der Deutschen Botschaft Is. über die Registrierung auf der Warteliste zur Beantragung eines Visums zur Familienzusammenführung mit der Referenznummer …, mutmaßlich vom 04.02.2021, vorgelegt. Darin weist die Deutsche Botschaft darauf hin, dass „angesichts der hohen Nachfrage nach Terminen (…) leider mit einer Wartezeit von über zwölf (12) Monaten zu rechnen“ ist.
Das Gericht bittet die deutsche Auslandsvertretung in Pakistan um Auskunft zu folgenden Fragen:
- Ist der Antrag mit der Referenznummer … weiterhin anhängig und welchen Sachstand weist die Bearbeitung auf?
Der Antrag ist hier weiter anhängig. Sofern im Terminregistrierungssystem seitens des Antragstellers Nachzug zum deutschen Kind vermerkt wird, wird er vorab per E-Mail um Nachweise zur Verwandtschaft mit dem dt. Kind gebeten und erhält anschließend einen zeitnahen Sondertermin zur Beantragung des Visums. Im Terminregistrierungssystem ist vermerkt, dass Herr … unsererseits ein Terminangebot für den 15.2.2022 erhalten habe, dies aber abgelehnt habe, da es ihm zu früh gewesen sei. Der entsprechende Mailwechsel ist hier leider nicht mehr vorhanden.
- Wann kann der Antragsteller mit einem Termin zur Beantragung des Visums realistischerweise rechnen?
Zuletzt konnten Termine an Antragsteller/innen vergeben werden, die sich am 24.01.2021 registrierten. Herr … hat sich am 04.02.2021 registriert. Daher sollte er in den nächsten 3 Monaten mit einem neuen Terminangebot rechnen können.
- Wie lange dauert die Bearbeitung des Visumantrags im Falle des Antragstellers voraussichtlich?
Die durchzuführende Urkundenüberprüfung dauert derzeit aufgrund der Masse an Fällen mindestens 5 Monate. Sollte die Überprüfung ergeben, dass Urkunden korrigiert werden müssen, muss ggf. eine neue Überprüfung durchgeführt werden, für die wir wiederum die o.g. Zeitspanne einkalkulieren. Sollte das Prüfergebnis in Ordnung sein, könnte das Visum anschließend bei Vorliegen einer Vorabzustimmung grds. erteilt werden.
- Wie stellt sich die Entscheidungspraxis der deutschen Auslandsvertretung Pakistan bei straffällig gewordenen Elternteilen eines deutschen Kindes mit Blick auf §§ 28 I Nr. 3, 27 III 2 AufenthG dar? Ich bitte um Verständnis, dass ich mich zu dieser Frage, solange mir der konkrete Antrag und auch das Ergebnis der Urkundenüberprüfung noch nicht vorliegt, nicht konkret äußern kann. Die Entscheidung müsste im Ermessenweg getroffen werden, wir würden uns jedoch um eine möglichst rasche Entscheidung bemühen.“
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Am 24. Juni 2022 richtete das Gericht folgende Nachfrage an die Deutsche Botschaft Is., welche die Botschaft am 8. Juli 2022 wie nachfolgend wiedergegeben beantwortet hat (Anfrage des Gerichts kursiv gedruckt):
- „Lässt sich die Aussage betreffend die Dauer der Bearbeitung des Visumantrags, insbesondere zum Urkundenüberprüfungsverfahren („mindestens 5 Monate“), näher eingrenzen/präzisieren? Kann eine typische und auch maximale Bearbeitungsdauer benannt werden? Das Verwaltungsgericht ist - ebenso wie die Ausländerbehörde - von Verfassungs wegen gehalten, eine „aussagekräftige Prognose“ (BVerfG, B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21) über die Dauer der zu erwartenden Familientrennung im Falle der Nachholung des Visumverfahrens zu treffen.
Die Bearbeitungsdauer hängt wirklich vom Einzelfall ab, z.B. davon, ob der Wohnort der Antragsteller leicht erreichbar ist, ob der Prüfer den Antragsteller selbst und die Registerbeamten zur Einsicht der Register vor Ort antrifft oder vielleicht noch einmal hinfahren muss, ob es sich generell um einen „unkomplizierten“ Fall ohne diverse Vorehen etc. handelt oder nicht usw. In manchen Fällen dauert es lediglich einen Monat, in manchen Fällen auch deutlich länger als die veranschlagten 5 Monate (z.T. auch 7-8 Monate), bis uns das Prüfergebnis vorliegt. Viele unserer Anwälte haben aufgrund der Masse an Fällen auch einen Rückstau an Fällen abzuarbeiten.
- Die zuständige Ausländerbehörde verweist nun darauf, dass das Urkundenüberprüfungsverfahrens durchgeführt werden könne, während sich der Antragsteller in Deutschland aufhalten könne (um die Familientrennung kurz zu halten) und legte dem Gericht Schreiben aus einem anderen Verfahren vor, in dem ein deutsches Standesamt offenbar in Amtshilfe für die deutsche Auslandsvertretung die Urkundenüberprüfung durchführte.
Ist die Aussage der Ausländerbehörde korrekt und wie läuft eine solche Urkundenüberprüfung in Amtshilfe praktisch ab? Kann sie durchgeführt werden, bevor der im Bundesgebiet aufhältige Antragsteller überhaupt Deutschland zum Zwecke der Wahrnehmung des Botschaftstermins verlässt? Nach dem bisherigen Verständnis des Gerichts reist der sich in Deutschland befindliche Ausländer zur Stellung des Visumantrags bei der Deutschen Botschaft aus, muss sich dann während der Bearbeitungsdauer (einschließlich der Dauer der Urkundenüberprüfung) im Ausland aufhalten und kann erst nach Abschluss des Visumverfahrens mit dem dann erteilten Visum wieder einreisen.
Urkundenüberprüfungen im Amtshilfeverfahren werden nicht von der Visastelle, sondern von unserer Rechts- und Konsularabteilung bearbeitet. I.d.R. handelt es sich dabei um Fälle, in denen eine Ehe in Deutschland geschlossen oder andere Amtshandlungen in Deutschland durchgeführt werden sollen (z.B. Einbürgerungen, Eintragung der Eheschließung etc.), nicht um die Nachholung des Visumverfahrens von Deutschland aus. Erfahrungsgemäß dauert eine Urkundenüberprüfung im Amtshilfeverfahren noch länger als im Visumverfahren, da noch Unterlagen auf dem Kurierweg des AA von Deutschland nach Pakistan und wieder zurück geschickt werden müssen. Ihr bisheriges Verständnis, dass der in Deutschland befindliche Ausländer zur Stellung des Visumantrags bei der Deutschen Botschaft ausreisen, sich dann während der Bearbeitungsdauer (einschließlich der Dauer der Urkundenüberprüfung) im Ausland aufhält und erst nach Abschluss des Visumverfahrens mit dem dann erteilten Visum wieder einreisen kann, ist daher richtig.
- Das Gericht versteht Ihre Auskunft so, dass das Urkundenüberprüfungsverfahren den wesentlichen Teil der Bearbeitungsdauer im Visumverfahren ausmacht. Gibt es weitere wesentliche Verfahrensschritte, die die Bearbeitungsdauer zusätzlich zum Urkundenüberprüfungsverfahren verlängern?
Eine zusätzlich zum Urkundenüberprüfungsverfahren verlängerte Bearbeitungsdauer könnte dadurch entstehen, dass die Unterlagen bei Beantragung des Visums nicht vollständig vorgelegt werden und nachgefordert werden müssen. Außerdem kann es, gerade wie in diesem Fall bei Straftätern, sein, dass die erforderlichen Abfragen in den Registern Treffermeldungen ergeben, die durch Rücksprache mit dem AA abgeklärt werden müssen. Die Abfrage der Treffermeldungen dauert i.d.R. wenige Tage, falls Unterlagen fehlen, kommt es darauf an, wie schnell diese seitens des Beantragenden nachgeliefert werden können.“
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Mit Schriftsatz vom 12. Juli 2022 äußerte der Antragsgegner, dass ihm die Erkenntnis, dass die Urkundenüberprüfung nicht von Deutschland aus durchgeführt werden könne, neu sei. Aus der Stellungnahme der Deutschen Botschaft ergebe sich jedoch, dass die Dauer des Visumverfahrens im Regelfall zwischen einem und sieben Monaten und nur in wenigen Ausnahmefällen einen längeren Zeitraum in Anspruch nehme. Des Weiteren formulierte der Antragsgegner verschiedene Rückfragen zur vorliegenden Botschaftsauskunft betreffend die Möglichkeit der Priorisierung von Visaverfahren zum Familiennachzug. Diese möge entweder das Gericht an die Botschaft richten oder der Antragsgegner selbst bei Bekanntgabe des Ansprechpartners bei der Deutschen Botschaft Is..
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Mit weiterem Schriftsatz vom 13. Juli 2022 führte der Antragsgegner aus, dass die Zentrale Ausländerbehörde in einem anderen Verwaltungsverfahren Kontakt mit der deutschen Auslandsvertretung in Äthiopien gehabt und sich dort gezeigt habe, dass die Urkundenüberprüfung durchaus im Wege der Amtshilfe möglich sei, während sich der Ausländer in Deutschland aufhalte. Zudem sei der Herkunftsort des Antragstellers nicht weit von der Hauptstadt Is. entfernt.
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Der Antragstellerbevollmächtigte führte mit Schriftsatz vom 14. Juli 2022 aus, dass die Auskunft der deutschen Auslandsvertretung in Pakistan die Argumentation des Antragstellers bestätigt habe. Auskünfte der Deutschen Botschaft in Äthiopien sagten nichts über das Verfahren der Deutschen Botschaft in Pa. aus.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
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1. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gem. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegen vor. Der Antragsteller hat seine Bedürftigkeit durch Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nachgewiesen. Wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, hat die Rechtsverfolgung auch hinreichende Erfolgsaussicht.
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2. Der zulässige Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist begründet, weil der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat. Der Antrag ist auch nicht auf eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet.
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2.1. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch auf vorläufige Duldung wegen Art. 6 GG glaubhaft gemacht, da die Erfolgsaussichten der ebenfalls auf Erteilung einer Duldung gerichteten Hauptsacheklage derzeit jedenfalls als offen angesehen werden müssen.
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2.1.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Einreise und Aufenthalt zwecks Nachzugs zu bereits im Bundesgebiet lebenden Angehörigen. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles. Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehörigkeit und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte. Bei einer Vater-Kind-Beziehung kommt hinzu, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder dritter Personen entbehrlich wird, sondern eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes haben kann (zum Ganzen BVerfG, B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - NJW 2022, 1804/1806 Rn. 45 f. m.w.N. zur Rspr.).
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Mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ist es grundsätzlich vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Das Visumverfahren bietet Gelegenheit, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen zu überprüfen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen. Eine auch nur vorübergehende Trennung kann aber nicht als zumutbar angesehen werden, wenn das Gericht keine Vorstellung davon entwickelt, welchen Trennungszeitraum es für zumutbar erachtet. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt. Verfassungsrechtlich geboten ist daher eine hinreichend belastbare „gültige Prognose“ (zum Ganzen BVerfG, B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - NJW 2022, 1804/1806 Rn. 48 ff. m.w.N. zur Rspr.).
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2.2.2. Nach diesen Maßstäben muss zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls als offen angesehen werden, ob der Antragsteller unter Berücksichtigung von Art. 6 GG auf die Nachholung des Visumverfahrens verwiesen werden kann.
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Der Antragsteller hat die tatsächliche Beziehung zu seiner Tochter, mit der er seit seiner Haftentlassung in häuslicher Gemeinschaft lebt, glaubhaft gemacht. Neben der (formellen) Erklärung über die gemeinsame elterliche Sorge hat er eine schriftliche Bestätigung der Kindsmutter, dass er die elterliche Sorge tatsächlich ausübt, und eine Bestätigung der von seiner Tochter besuchten Kindertagesstätte vorlegt, wonach er seine Tochter dort regelmäßig abholt. Er hat auch dargelegt, dass er die Beziehung zu seinem Kind auch während seiner Inhaftierung aufrechterhalten hat, und hat hierüber bereits im früheren (übereinstimmend für erledigt erklärten) Eilverfahren B 6 E 20.421 Nachweise vorlegt. Substantiierte Einwände gegen die tatsächliche Vater-Tochter-Beziehung hat der Antragsgegner nicht vorgebracht.
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Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 9. Dezember 2021 (2 BvR 1333/21 - NJW 2022, 1804) insgesamt hohe Anforderungen an die für die Frage der Zumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens erforderliche „gültige Prognose“ (BVerfG, a.a.O., Rn. 51) gestellt (kritisch hierzu mit beachtlichen Argumenten: Dietz, NVwZ-Extra 6/2022, 1). Die Erwägungen des Antragsgegners verfehlen diese Maßstäbe:
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Der Antragsgegner selbst hat vorprozessual entgegen Art. 24 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG keine einzelfallbezogenen Ermittlungen als Grundlage für die gebotene Prognose angestellt, sondern die erforderlichen Ermittlungen allein dem Gericht überlassen. Wie die Ausländerbehörde zu dem Schluss kommt, dass der Antragsteller „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ (Schriftsatz v. 6.5.2022, S. 5, Bl. 34 d.A.) innerhalb von sechs Monaten wieder ins Bundesgebiet einreisen könne, bleibt unklar. Aus dem Zeitpunkt, wann sich der Antragsteller auf der Warteliste für einen Botschaftstermin registriert hat, kann ersichtlich nicht darauf geschlossen werden, wie lange das Visumverfahren insgesamt dauert. Die vorgenannte Prognose des Antragsgegners findet auch keine Bestätigung in den vom Gericht eingeholten Botschaftsauskünften (dazu sogleich unten). An der Sache vorbei geht der Verweis des Antragsgegners auf die vierzehntägige Bearbeitungszeit für ein „Schengen-Visum“, aus welcher der Antragsgegner folgert, dass der Antragsteller „spätestens April/Mai 2022“ legal nach Deutschland hätte einreisen können (Schriftsatz v. 7.6.2022, S. 2, Bl. 88 d.A.). Der Antragsteller benötigt zum Familiennachzug kein Schengen-Visum (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG), sondern ein nationales Visum (§ 6 Abs. 3 AufenthG).
31
Die erforderliche „gültige Prognose“ zur Dauer des Visumverfahrens kann im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes derzeit auch unter Berücksichtigung der von dem Gericht eingeholten Auskünften der Deutschen Botschaft in Pakistan nicht getroffen werden.
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Für die Zumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens spricht zwar Folgendes: Der Antragsteller kann sich als Vater einer deutschen Tochter grundsätzlich auf § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG berufen, welcher - im Grundsatz - einen gebundenen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gewährt. Die Erteilung des Aufenthaltstitels setzt gem. § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nicht voraus, dass der Lebensunterhalt i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gesichert ist. Darüber hinaus hat die örtliche Ausländerbehörde eine Vorabzustimmung im Visumverfahren konkret in Aussicht gestellt. Insofern kann nicht außer Betracht bleiben, dass unbeschadet der eigenständigen Entscheidungskompetenz der deutschen Auslandsvertretung in der Praxis regelmäßig Übereinstimmung zwischen der Auslandsvertretung und der Ausländerbehörde besteht (vgl. BayVGH, B.v. 2.7.2021 - 10 CE 21.392 u.a. - juris Rn. 46). Der Antragsteller dürfte demgegenüber auch nicht mit Erfolg einwenden können, dass die Möglichkeit besteht, dass ihm die Deutsche Botschaft Is. im Visumverfahren ein Ausweisungsinteresse (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) entgegenhält. Denn gem. § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG kann der Aufenthaltstitel abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erteilt werden. Bei der insofern erforderlichen Ermessensentscheidung ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer sich auf ein gewichtiges (insbesondere familienbedingtes) Aufenthaltsinteresse berufen kann, wie es im Ausweisungsrecht in § 55 AufenthG typisiert umschrieben ist (OVG LSA, B.v. 24.11.2020 - 2 L 104/18 - BeckRS 2020, 32469 Rn. 39; Zimmerer in BeckOK MigR, Stand 15.4.2022, § 27 AufenthG Rn. 43). Der Antragsteller wird sich in der Sache auf ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG berufen können, so dass gewichtige Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Ermessensausübung der deutschen Auslandsvertretung im Visumverfahren - falls diese vom Fortbestehen eines Ausweisungsinteresses ausgehen sollte - zugunsten des Antragstellers ausfällt. Es dürfte in diesem Zusammenhang zu weit gehen, wenn der Antragstellerbevollmächtigte die Nachholung des Visumverfahrens erst dann für zumutbar hält, wenn die Deutsche Botschaft Is. vorab erklärt, dem Antragsteller im Visumverfahren kein Ausweisungsinteresse entgegenzuhalten. Die Deutsche Botschaft hat auf gerichtliche Anfrage hin nachvollziehbar erklärt, dass sie sich zur etwaigen Ermessensentscheidung nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nur nach Einzelfallprüfung des konkret vorliegenden Visumantrags äußern könne und werde. Zwar sind nach aktueller Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch „einfachrechtliche Ungewissheiten“, auch betreffend die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG, in die erforderliche Prognose einzustellen (BVerfG, B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - NJW 2022, 1804/1806 f. Rn. 50 u. 55). Diese Ungewissheiten sind wegen der bei der Anwendung des § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG gebotenen Berücksichtigung des Art. 6 GG aus den vorgenannten Gründen jedoch als gering einzustufen. Zudem steht dem Antragsteller auch gegen eine mögliche ablehnende Entscheidung der deutschen Auslandsvertretung effektiver Rechtsschutz zum Verwaltungsgericht Berlin zu (vgl. insoweit BayVGH, U.v. 7.12.2021 - 10 BV 21.1821 - juris Rn. 46; BVerwG, U.v. 30.7.2013 - 1 C 15/12 - juris Rn. 25). Würde man dennoch verlangen, dass Verlauf und Ergebnis des Visumverfahrens bereits vorab - etwa durch entsprechenden Erklärungen der deutschen Auslandsvertretung - in allen Einzelheiten feststehen, würde das Visumverfahren - entgegen der jahrzehntelangen Bekräftigung in der Rechtsprechung (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 23.9.2016 - 10 C 16.818 - juris Rn. 11) - tatsächlich zur bloßen „Förmelei“ herabgestuft. Für eine solche bloße Förmlichkeit würde sich die Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dann aber umso mehr stellen.
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Dennoch kann die erforderliche „gültige Prognose“ nach dem im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorliegenden Tatsachen derzeit nicht hinreichend belastbar getroffen werden. Dies gilt auch, wenn man aufgrund der Auskünfte der deutschen Auslandsvertretung in Pakistan davon ausgeht, dass der Antragsteller zeitnah einen Termin für den Visumantrag erhalten kann (ein erster Termin wurde dem Antragsteller bereits für Februar 2022 angeboten; er hat das Terminsangebot nicht angenommen). Die Deutsche Botschaft Is. hat auf gerichtliche Anfrage hin mitgeteilt, dass das Visumverfahren zum Familiennachzug aufgrund der erforderlichen Urkundenüberprüfung „mindestens fünf Monate“ dauere. Für den Fall, dass die Überprüfung ergebe, dass Urkunden korrigiert werden müssten, sei nochmals die gleiche Zeitspanne hinzuzurechnen. Auf gerichtliche Bitte hin, den Zeitraum für die Bearbeitung des Visumantrags - wegen der verfassungsrechtlich gebotenen Prognose - näher einzugrenzen/zu präzisieren, hat die Deutsche Botschaft Is. im Wesentlichen mitgeteilt, dass die Bearbeitungsdauer maßgeblich vom Einzelfall abhänge. Sie hat zudem darauf hingewiesen, dass viele der von der Botschaft im Urkundenüberprüfungsverfahren beigezogenen Anwälte „aufgrund der Masse an Fällen einen Rückstau an Fällen abzuarbeiten“ hätten. Soweit der Antragsgegner aus der beispielhaften Nennung einer möglichen Bearbeitungsdauer (manchmal „lediglich einen Monat“, „z.T. auch 7-8 Monaten“) ableitet, dass das Visumverfahren regelmäßig zwischen einem und sieben Monate dauere, folgt die Kammer dem aufgrund der im vorliegenden Eilverfahren bisher bekannten Tatsachen nicht. Denn letztlich liegt bisher nur eine Aussage hinsichtlich der mindestens zu veranschlagenden Bearbeitungsdauer vor. Ob bzw. wie die Ausländerbehörde und das Verwaltungsgericht in der ausländerrechtlichen Praxis die in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geforderte belastbare Prognose treffen und eine „Vorstellung“ davon entwickeln können, welchen Trennungszeitraum sie für zumutbar halten (BVerfG, B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - NJW 2022, 1804/1806 Rn. 48), wenn die deutsche Auslandsvertretung keine „Obergrenze“ für die Bearbeitungsdauer angeben kann, sondern auf die Einzelfallabhängigkeit verweist, erscheint nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Dezember 2021 allerdings durchaus unklar.
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Die weitere Argumentation des Antragsgegners, der Antragsteller könne sich während des Urkundenüberprüfungsverfahrens weiterhin in Deutschland aufhalten, greift im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht durch. Die Deutsche Botschaft Is. hat auf ausdrückliche gerichtliche Nachfrage hin ausgeführt, dass sich der Ausländer während des Urkundenüberprüfungsverfahren, das den wesentlichen Teil der zu veranschlagenden Bearbeitungsdauer ausmache, im Ausland aufhalten müsse. Eine Urkundenüberprüfung durch deutsche (Inlands-)Behörden im Wege der Amtshilfe bewirke keine Beschleunigung des Visumverfahrens. Diese Äußerung stammt gerade von der für den Antragsteller im Falle der Nachholung des Visumverfahrens zuständigen deutschen Auslandsvertretung und wird durch die vom Antragsgegner vorgelegte Äußerung der Deutschen Botschaft in Äthiopien nicht hinreichend in Frage gestellt.
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Für das Gericht stellt sich im vorliegenden Fall durchaus die Frage, welche Urkunden denn im Falle des Antragstellers im Visumverfahren tatsächlich überprüft werden müssten. Der Antragsteller hat einen gültigen Reisepass, der von der Ausländerbehörde als echt eingestuft wurde. Seine Tochter ist eine in Deutschland geborene deutsche Staatsbürgerin und die Kindsmutter ist ebenfalls deutsche Staatsangehörige. Die Sorgerechtserklärung wurde vor einem deutschen Jugendamt abgegeben. Allerdings hat das Gericht ebendiesen Sachverhalt der Deutschen Botschaft in dem Auskunftsersuchen mitgeteilt. Die Deutsche Botschaft hat daraufhin nicht ausgeführt, dass eine Urkundenüberprüfung im Falle des Antragstellers gar nicht erforderlich wäre oder die Bearbeitungsdauer im Visumverfahren in diesem Fall deutlich verkürzt sei.
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Es obliegt dem Antragsgegner, diesen Aspekt vor der gerichtlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren aufzuklären. In gleichem Maße ist der Antragsgegner gehalten, seine weiteren gegen die Botschaftsauskünfte vorgebrachten Argumente bzw. diesbezüglichen Nachfragen (Schriftsätze vom 12. u. 13.7.2022, Bl. 154, 157 d.A.) einer tatsächlichen Klärung zuzuführen. Die Kammer sieht keine Veranlassung, in dem bereits seit 28. April 2022 anhängigen Verfahren nach § 123 VwGO - zusätzlich zu den bereits eingeholten Botschaftsauskünften - weitere Aufklärungsmaßnahmen in die Wege zu leiten oder solche dem Antragsgegner vor einer gerichtlichen Eilentscheidung zu ermöglichen. Der Antragsgegner selbst hat vorprozessual keine einzelfallbezogenen Ermittlungen zur Dauer des Visumverfahrens unternommen. Der Antragsteller hat bereits seit 7. Januar 2022 (Ablauf der letzten Duldung) einen ungeklärten Rechtsstatus. Unter Berücksichtigung des Gebots des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG überwiegt deshalb nach der derzeitigen Sachlage das Interesse des Antragsstellers am vorläufigen Verbleib im Bundesgebiet das öffentliche Interesse an der zeitnahen Ausreise und Nachholung des Visumverfahrens. Dem Antragsgegner bleibt es unbenommen, aufgrund einer durch weitere Sachverhaltsaufklärung gewonnenen präziseren Tatsachengrundlage eine Abänderung des gerichtlichen Beschlusses in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO zu beantragen.
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2.2. Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dieser ergibt sich schon daraus, dass der Antragsgegner die Absicht erklärt hat, den Aufenthalt des Antragstellers zeitnah zu beenden (Schriftsatz v. 6.5.2022, S. 4, Bl. 33R d.A.).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 8.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs.