Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 04.08.2022 – B 3 K 22.30194
Titel:

Sekundärmigration, Italien, Familie mit Kindern

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
EMRK Art. 3
Schlagworte:
Sekundärmigration, Italien, Familie mit Kindern
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31683

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens als Gesamtschuldner.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Kläger, syrische Staatsangehörige, wenden sich gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge als unzulässig. Sie reisten nach eigenen Angaben am 31.08.2021 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 29.10.2021 stellten sie Asylanträge.
2
Den Klägern wurde laut den vorgelegten italienischen Reisedokumenten internationaler Schutz in Form des Flüchtlingsschutzes in Italien zuerkannt.
3
Bei ihren Anhörungen zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats und der Zulässigkeit der gestellten Asylanträge am 29.10.2021 gaben die Kläger zu 1 und 2 an, dass in Italien die Eltern des Klägers zu 1, eine Schwester und ein Cousin leben würden. In Italien hätten sie einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und ihnen sei dieser auch zugesprochen worden. Sie seien am 27. bzw. 28.06.2017 nach Italien eingereist und hätten dort vier Jahre lang in einem Dorf namens … gelebt.
4
Bei seiner Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 12.11.2021 gab der Kläger zu 1 an, ihm sei der Flüchtlingsschutz in Italien zuerkannt worden. Sie hätten in einem Einzelapartment im Dorf … gelebt. In der Wohnung habe es Schimmel gegeben. Sie hätten im Monat insgesamt 740,00 EUR Unterstützung erhalten (185,00 EUR pro Monat/45,00 EUR bar und 140,00 EUR in Gutscheinen/pro Person). Ihm sei Arbeit als F. versprochen worden, dies sei aber nicht geschehen. Er habe dann bei der Orangen- und Olivenernte gearbeitet. Er habe sich auch bei Freunden Geld geliehen, habe aber dann die Wohnung aufgeben müssen. Seine Frau sei schwanger geworden und deswegen seien sie nach Deutschland. Die medizinische Versorgung in Italien sei nicht gut gewesen. Er habe einen Bandscheibenvorfall gehabt und sei deswegen zweimal in Italien operiert worden. Die Klägerin zu 2 gab bei ihrer Anhörung am 12.11.2021 an, sie seien über das Relocation Programm nach Italien gebracht worden, wo sie internationalen Schutz erhalten hätten. Sie hätten in einem Einzelappartment in … gelebt und 185,00 EUR in bar bzw. Lebensmittelgutscheinen pro Person und Monat erhalten. Nach drei Jahren habe es kein Geld mehr gegeben, sie hätten die Miete für die Wohnung aber nicht bezahlen müssen. Es habe in Italien keinen offiziellen Sprachkurs gegeben und die Kinder hätten keine Schule besucht; auch die medizinische Versorgung sei nicht gut gewesen.
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Mit Bescheid vom 23.02.2022, welcher am 02.03.2022 laut Postzustellungsurkunde zugestellt wurde, wurden die Anträge als unzulässig abgelehnt (Nr. 1). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Kläger wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, ansonsten würden sie nach Italien abgeschoben werden. Die Kläger dürften nicht nach Syrien abgeschoben werden (Nr. 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4). Unter Nr. 5 wurde die Vollziehung der Abschiebungsandrohung ausgesetzt. Auf die Begründung des Bescheids wird verwiesen.
6
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 08.03.2022, welcher am gleichen Tag bei dem Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth einging, ließen die Kläger Klage erheben mit dem Antrag:
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23.02.2022 wird bis auf Satz 4 in Ziffer 3 aufgehoben.
Hilfsweise wird die Beklagte verpflichtet, unter entsprechender Aufhebung der Ziffern 2 bis 4 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23.02.2022 festzustellen, dass bei den Klägern Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
7
Die Beklagte beantragte mit Schreiben vom 10.03.2022,
die Klage abzuweisen.
8
Mit Bescheid vom 07.04.2022 wurde dem in Deutschland geborenen Sohn der Kläger zu 1 und 2 ( …, Az.: …) der Flüchtlingsschutz nicht zuerkannt und der Asylantrag und der Antrag auf subsidiären Schutz abgelehnt. Es wurde festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen und die Abschiebung nach Italien wurde angedroht. Der Bescheid wurde den gesetzlichen Vertretern am 16.04.2022 zugestellt. Klage wurde hiergegen nicht erhoben.
9
Mit Beschluss vom 07.07.2022 wurde der Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
10
Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 23.03.2022 (Eingang bei Gericht am 22.07.2022) ließen die Kläger vortragen, es handele sich um eine Familie mit zwei kleinen Kindern. Es werde auf ein Urteil des VG Ansbach vom 16.03.2022 - AN 14 K 20.50315 - verwiesen. Aus dem Urteil wurden mehrere Passagen zitiert. Zudem wurde auf die Auskunft der SFH vom 29.04.2022 an das VG Karlsruhe Bezug genommen. Daraus ergäbe sich, dass den Klägern in Italien Obdachlosigkeit drohe und damit eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh. Der Kläger zu 1 leide ferner an Diabetes Mellitus Typ II und an einer chronischen Hepatitis 2. Er sei auf die ständige und regelmäßige Einnahme von Medikamenten angewiesen. Der Kläger zu 1 könne die von ihm lebensnotwendig benötigte Behandlung in Italien zumindest nicht dauerhaft und regelmäßig erhalten, da den Klägern bei einer Rückkehr die Obdachlosigkeit drohe und diese nur sehr schwer überhaupt Zugang zu einer Gesundheitsversorgung erhalten könnten. Beigefügt war dem Schreiben ein Arztbericht vom 25.03.2022 des MVZ … mit den Diagnosen:
- Chron. Hepatitis B mit Virussuppression unter Therapie
- Geringgradige Steatosis hepatis
11
Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakten.

Entscheidungsgründe

12
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
I.
13
Das Bundesamt hat die Asylanträge der Kläger zu Recht als unzulässig abgelehnt und festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Die erlassene Abschiebungsandrohung nach Italien sowie die Anordnung und Befristung des Einreis- und Aufenthaltsverbotes sind ebenfalls nicht zu beanstanden.
1.
14
Die Unzulässigkeitsentscheidung über die Asylanträge findet in § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ihre Grundlage. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Dies ist vorliegend der Fall. Die Kläger haben selbst angegeben, internationalen Schutz in Italien erhalten zu haben. Die Schutzgewährung ergibt sich im Übrigen auch aus den vorgelegten italienischen Reisedokumenten der Kläger.
15
Einem Mitgliedstaat ist es nur dann untersagt, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, weil dem Betroffenen zuvor in einem anderen Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, wenn die Lebensverhältnisse, die ihn dort erwarten, ihn der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK aussetzen würden (vgl. EuGH, B. v. 13.11.2019 - C-540/17 - juris Rn. 43). Im Rahmen des gemeinsamen europäischen Asylsystems gilt zunächst die Vermutung, dass die Behandlung der Betroffenen im Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem Mitgliedstaat stößt, sodass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass Personen bei einer Überstellung dorthin in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist (vgl. EuGH, U. v. 19.3.2019 - C-163/17, Jawo - juris Rn. 82 f.). Das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung befasste Gericht ist daher, falls es über Angaben verfügt, die die betreffende Person zum Nachweis des Vorliegens eines derartigen Risikos vorgelegt hat, verpflichtet, auf ausreichender Grundlage unter Beachtung der Bedeutung der Grundrechte zu würdigen, ob systemische, allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (vgl. EuGH, U. v. 19.3.2019 - C-163/17, Jawo - juris Rn. 90 sowie B. v. 13.11.2019 - C-540/17, Hamed - juris Rn. 38).
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Eine auf Grund der Lebensumstände drohende konventionswidrige Behandlung ist nur anzunehmen, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht wird, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Sie wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Die Schwelle wird selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der Person gekennzeichneten Situationen dann nicht erreicht, wenn sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, auf Grund derer sich die Person in einer Lage befindet, die einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichkommt (vgl. EuGH, U. v. 19.3.2019 - C-297/17 u.a., Ibrahim - juris Rn. 89-91 und U. v. 19.03.2019 - C-163/17, Jawo - juris Rn. 91-93).
17
Im Rahmen der hierbei zu treffenden Prognoseentscheidung ist eine tatsächliche Gefahr des Eintritts der maßgeblichen Umstände erforderlich, es darf nicht nur eine auf bloßen Spekulationen gegründete Gefahr bestehen. Die Gefahr einer Art. 3 EMRK - bzw. Art. 4 GRCh - zuwiderlaufenden Behandlung muss auf Grund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und nicht nur hypothetisch sein. Es gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit; die für die Gefahr sprechenden Umstände müssen ein größeres Gewicht haben als diejenigen, die dagegensprechen (vgl. VGHBW, U. v. 17.07.2019 - A 9 S 1556/18 - juris Rn. 31; OVG RhPf, B. v. 17.3.2020 - 7 A 10903/18 - juris Rn. 34, m.w.N.).
18
Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh steht der Ablehnung der Asylanträge der Kläger als unzulässig hier nicht entgegen.
19
Es ist nicht anzunehmen, dass die Kläger unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in eine Situation extremer materieller Not geraten, die es ihnen nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, und die ihre Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt.
a.
20
Den Klägern droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Obdachlosigkeit infolge staatlicher Gleichgültigkeit.
21
Die Versorgung von anerkannten Schutzberechtigten mit Wohnraum ist durch das sog. „S.-Gesetz“, welches seit Oktober 2018 gilt, entscheidend verbessert worden. Die sog. S.-Zentren (Sistema di protezione per richiedenti asilo e refugati) wurden in S. (nun: SAI) umbenannt und stehen seit dem 05.10.2018 nur noch Minderjährigen oder Personen mit Schutzstatus offen. Das im Dezember 2020 in Kraft getretene Gesetz 173/2020 hat die S.-Zentren in Sistema Accoglienza Integrazione (SAI) umgewandelt. (vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, 10.06.2021 S. 5 ff).
22
Die Kläger haben nach einer Rückkehr für sechs Monate Anspruch auf Unterkunft und Versorgung in einer Einrichtung des SAI. SAI-Projekte werden von lokalen Behörden zusammen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren betrieben. Sie sollen Dolmetsch- und sprachlich-kulturelle Vermittlungsdienste, Rechtsberatung, Unterricht in italienischer Sprache und Zugang zu Schulen für Minderjährige, medizinische Versorgung, sozialpsychologische Unterstützung insbesondere für Vulnerable, Aus- und Weiterbildung, Unterstützung bei der Suche nach Arbeitsplätzen, Beratung bei den Dienstleistungen auf lokaler Ebene um die Integration vor Ort zu ermöglichen, Informationen zu freiwilligen Rückkehrprogrammen, sowie Informationen zu Freizeit-, Sport- und Kulturaktivitäten bieten. Stand Januar 2020 gab es 809 Einzelprojekte mit insgesamt 31.284 Plätzen (davon 4003 Plätze in 155 Projekten für unbegleitete Minderjährige und 663 Plätze in 45 Projekten für psychisch beeinträchtigte Personen). Die SAI sind kleinteilig und dezentral organisiert (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation - Italien, 11.11.2020, S. 22 f.). Am 20.04.2022 bestand SAI aus 35.898 Plätzen (28.451 „normale Plätze“, 6644 Plätze für Minderjährige und 803 Plätze für Personen mit psychischen oder physischen Beeinträchtigungen), 3470 Plätze sind für Personen aus Afghanistan und der Ukraine reserviert (vgl. SFH, Auskunft an das VG Karlsruhe vom 29.04.2022, S. 9).
23
Kehren anerkannte Schutzberechtigte aus dem Ausland zurück, kommt es auf den Einzelfall an, ob der Betreffende Zugang zum SAI-System hat. Gemäß Art. 4 des Gesetzes 173/2020 besteht im Rahmen der Kapazitäten Anspruch auf Unterbringung in den SAI-Unterkünften. Ausgeschlossen sind Personen, die zuvor in einem System der Zweitaufnahme untergebracht waren (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien,10.06.2021, S. 11f.).
24
Die Kläger haben trotz eines zwischenzeitlichen Aufenthalts in Deutschland Anspruch auf diese Unterstützung. Sie hätten diesen Anspruch nur verloren, wenn sie bereits zuvor in einem S.- oder S.-Projekt (nun: SAI) untergebracht gewesen wären und es ohne Nachricht verlassen hätten (vgl. SFH u.a., Auskunft an das VG Berlin vom 16.12.2019, S. 1). Dies ist seitens der Kläger nicht geltend gemacht worden. Sie trugen vor, sie seien in einer Unterkunft untergebracht gewesen, die eine Privatperson betrieben habe. Im Übrigen können Personen, die den Anspruch verloren haben, beim Innenministerium einen Antrag aufgrund von neuen Vulnerabilitäten stellen (vgl. Aida, Country Report: Italy, Update 2021, S. 215). Die Zurückerlangung bzw. die Wiederaufnahme ist für vulnerable Personen wahrscheinlicher (vgl. SFH, Auskunft an das VG Karlsruhe vom 29.04.2022, S. 7). Dies dürfte für die Kläger, die nunmehr mit einem weiteren, in Deutschland geborenen Kind, zurückkehren, der Fall sein. Die gesetzlich vorgesehene Aufenthaltsdauer von sechs Monaten in einem SAI-Zentrum kann dabei um sechs weitere Monate verlängert werden, beispielsweise um Integrationsmaßnahmen abzuschließen oder wenn besondere Umstände, wie z.B. gesundheitliche Probleme, vorliegen. Gleiches gilt für vulnerable Personen, zu denen unter anderem unbegleitete Minderjährige, Behinderte, ältere Menschen, schwangere Frauen, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer von Menschenhandel sowie Menschen mit ernsthaften Krankheiten oder psychischen Störungen zählen. Bei schwerwiegenden gesundheitlichen Einschränkungen kann der Aufenthalt im SAI-Zentrum sogar ein zweites Mal um sechs Monate verlängert werden (vgl. hierzu Aida, Country Report: Italy, Update 2021, S. 215). In den SAI-Zentren stehen anerkannten Schutzberechtigten spezielle Integrationsmaßnahmen zur Verfügung, bestehend aus Sprachtraining, Vermittlung von Grundkenntnissen zu Rechten und Pflichten, die in der Verfassung der Italienischen Republik verankert sind, Orientierung bezüglich wesentlicher öffentlicher Dienstleistungen sowie Orientierung bezüglich der Arbeitsvermittlung (vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, 10.6.2021, S. 12, Aida, Country Report: Italy, 31.12.2020, S. 183; Update 2021, S. 215).
25
Selbst wenn keine Plätze in einem SAI-Zentrum bereitstehen sollten, kann nicht davon ausgegangen werden, dass den Klägern Obdachlosigkeit droht. Denn neben den staatlichen Plätzen in SAI-Unterkünften bieten Kirchen Zimmer oder Wohnungen an, wobei Familien mit kleinen Kindern bessere Chancen haben, untergebracht zu werden (vgl. SFH, Auskunft an VGH Kassel v. 29.10.2020, S. 7; Aida, Country Report: Italy, 2020, S.120, Country Report: Italiy Update 2021, S. 134). Die Kläger bestätigten im Übrigen im Rahmen der mündlichen Verhandlung, dass die Eltern des Klägers zu 1 seitens der Kirche eine private Wohnung zugewiesen bekommen haben. Den Klägern kann insoweit zugemutet werden, jedenfalls auch diesen Weg der Hilfeleistung in Anspruch zu nehmen. Dass kirchliche Einrichtungen in Italien einer Familie mit drei Kindern keine Hilfe leisten würden, erscheint nicht beachtlich wahrscheinlich.
26
Neben den staatlich finanzierten SAI-Projekten gibt es für anerkannte Schutzberechtigte auch die Möglichkeit eine Sozialwohnung zu beantragen. Ein solcher Antrag ist direkt in der jeweiligen Stadt bzw. Gemeinde zu stellen, wobei die Zugangsvoraussetzungen unterschiedlich geregelt sind. Dabei hat jede Provinz in Italien ein Netzwerk von Sozialdiensten (ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020, S. 9; AIDA, Country Report: Italy Update 2021, S. 217).
27
Anerkannte Flüchtlinge und Schutzberechtigte haben dabei das selbe Recht auf Zugang zu sozialen Wohnraum wie italienische Staatsbürger (vgl. hierzu Aida, Country Report: Italy, Update 2021, S. 217 f; ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020, S. 9 f.). In einigen Regionen Italiens erfordert der Zugang zu Sozialwohnungen jedoch einen Mindestaufenthalt im Land, wie z.B. in der Region F. - V., wo der Zugang zu Sozialwohnungen auf Personen beschränkt ist, die nachweislich und ununterbrochen fünf Jahre in der Region gewohnt haben. Darüber hinaus ist die Warteliste für derartige Sozialwohnungen vielerorts lang, in Rom beispielsweise beträgt die entsprechende Wartezeit rund sieben Jahre. Zudem muss regelmäßig nachgewiesen werden, dass bereits ein Wohnsitz in der Gemeinde besteht, in der eine Sozialwohnung beantragt wird. Das bedeutet in der Praxis, dass es Personen mit internationalem Schutzstatus regelmäßig sehr schwer fällt, Zugang zu öffentlichem Wohnraum bzw. Sozialwohnungen zu erhalten.
28
Sollte den Klägern keine Anmietung einer Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt gelingen, besteht die Möglichkeit, durch staatliche Stellen und Hilfsorganisationen ihren Bedarf auf Zuteilung von Wohnraum zu erfüllen. Dass in einem solchen Fall Wohnraum bereitgestellt wird, erscheint beachtlich wahrscheinlich (vgl. SächsOVG, U.v. 14.3.2022 - 4 A 341/20.A - juris Rn. 49 m.w.N.).
29
Die Kläger können schließlich auch darauf verwiesen werden, gegebenenfalls bereits hier geeignete Organisationen zu treffen, um bei einer Rückkehr an geeigneten Wohnraum zu gelangen. Verfügbare Wohnungen und Unterkunftsmöglichkeiten können auf diversen frei zugänglichen Onlineplattformen - auch bereits vom Ausland aus - eruiert werden (vgl. VG Gießen, U.v. 15.9.2021 - 8 K 1520/19.GI.A - juris).
30
Die Kläger wären bei einer Rückkehr auch nicht auf sich alleine gestellt. Es leben in Italien die Eltern des Klägers zu 1. Nach Angaben der Kläger wohnen die Eltern in einer privaten Wohnung und sie werden seitens der Kirche unterstützt. Die Kläger haben damit bereits jetzt bzw. haben bei einer Rückkehr nach Italien eine Anlaufstelle. Sie haben zudem vier Jahre in Italien gelebt und sind damit mit Sprache, Gegebenheiten und Organisationsmöglichkeiten vertraut. Sie können auf die Hilfe der Eltern des Klägers zu 1 - zumindest für eine Anfangszeit - zurückgreifen. Diese können jedenfalls bereits vorab oder auch sogleich nach Ankunft der Kläger in Italien Kontakte zu italienischen Behörden oder auch karitativen Organisationen herstellen, um für eine schnellstmögliche Unterbringung der Kläger zu sorgen.
31
Die Kläger haben die Ursache der nunmehr angedrohten Rückführung nach Italien selbst gesetzt, indem sie ihre Unterkunft verlassen haben. Soweit sie in der mündlichen Verhandlung erklärt haben, sie seien aus ihrer Unterkunft „herausgeschmissen“ worden, ist auszuführen, dass sie dies bei ihren Anhörungen nicht vortrugen. Die Kläger haben sich trotz der „beengten“ Verhältnisse in ihrer Wohnung in Italien für ein weiteres Kind entschieden und wollten deshalb die Unterkunft verlassen. Die Kläger hätten sich jedoch in Italien um eine größere Wohnung bemühen müssen. Dass dies möglich und zumutbar ist, ist dem Gericht aus den Anhörungen im Rahmen ähnlich gelagerter Fälle bekannt. Den Klägern ist damit im Hinblick auf die Beschaffung geeigneten Wohnraums ein „höherer Aufwand“ an Selbstorganisation abzuverlangen, als Asylantragstellern, die nach der Schutzgewährung in Italien verbleiben.
32
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Angaben sieht das Gericht für die Kläger, die angehalten sind, auch durch eigene Anstrengungen sich für ihre Unterbringung einzusetzen, keine beachtliche Gefahr der Obdachlosigkeit. Es liegen auch keine Erkenntnismittel vor, wonach tatsächlich ein größerer Teil der anerkannten Schutzberechtigten (insbesondere Familien) obdachlos ist. Vielmehr ist ein im Verhältnis zu ihrer Gesamtzahl eher kleiner Teil der Migranten tatsächlich obdachlos bzw. lebt in besetzten Häusern. Nach Schätzungen der MÈDECINS SANS FRONTIÈRES (= Ärzte ohne Grenzen) gibt es in Italien ungefähr 10.000 obdachlose Menschen (MSF, „OUT of sight“ - Second edition, Stand: 8.2.2018), unter denen sich auch anerkannte Schutzberechtigte befinden. Dass anerkannt Schutzberechtigte damit regelhaft bzw. systematisch der Obdachlosigkeit anheimfallen würden, lässt sich den aktuellen Erkenntnismitteln somit gerade nicht entnehmen, selbst wenn es auch unter diesen immer wieder zu Obdachlosigkeit kommen kann (vgl. VG Bayreuth, U.v. 15.3.2022 - B 7 K 20.30066 - juris).
33
Wie bereits ausgeführt, verfügen die Kläger in Italien über Familienangehörige, die ihnen zumindest in der Anfangszeit behilflich sein werden, was Unterkunft bzw. Organisation einer solchen anbelangt.
b.
34
Es ist weiter nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Kläger nicht die erforderlichen finanziellen Mittel zur Existenzsicherung erhalten können.
35
Anerkannt Schutzberechtigte in Italien sind italienischen Staatsbürgern gleichgestellt und können erforderlichenfalls staatliche Hilfe in Anspruch nehmen, um jedenfalls ihre Grundbedürfnisse zu decken. Gelingt dies nicht sogleich bzw. vollständig, können sie - wie auch Italiener, die arbeitslos sind - die Hilfe caritativer Organisationen erhalten. Das italienische System geht für anerkannte international Schutzberechtigte davon aus, dass sie ab Gewährung des Schutzstatus arbeiten und für sich selbst sorgen. Sie haben vollen Zugang zum Arbeitsmarkt und können für eine Übergangszeit auf staatliche Leistungen zurückgreifen. Der italienische Staat stellt somit sicher, dass anerkannte Schutzberechtigte in einer Übergangszeit nicht in eine existenzielle Notsituation geraten.
36
Besondere Bedeutung für die Integration von anerkannten Flüchtlingen bzw. subsidiär Schutzberechtigten in den Arbeitsmarkt kommt dabei den örtlichen Arbeitsämtern sowie den SAI-Zentren zu. Anerkannte Personen können sich bei den örtlichen Arbeitsämtern anmelden und werden nach einer entsprechenden Registrierung über Stellenangebote informiert (ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020, S. 10). Anerkannte Schutzberechtigte haben somit rein rechtlich den gleichen Zugang zum Arbeitsmarkt wie italienische Staatsangehörige. Die Situation für Arbeitssuchende stellt sich in Italien aufgrund der hohen Arbeitslosenzahl generell als schwierig dar. Allerdings erweist sich der italienische Arbeitsmarkt auf regionaler Ebene als sehr heterogen, mit stark industrialisierten Regionen im Norden und solchen im Süden, in denen Tätigkeiten in der Landwirtschaft und im Tourismus überwiegen. Die Erwerbsmöglichkeiten und Arbeitslosenquoten schwanken damit auch regional stark. Nicht selten finden Schutzberechtigte nur Arbeit auf dem „informellen Arbeitsmarkt“, wo sie häufig ausgebeutet werden (vgl. hierzu etwa SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, 10.6.2021, S. 13).
37
Die Arbeitsmarksituation in Italien mag als angespannt bezeichnet werden. Die Arbeitslosenquote sinkt jedoch seit dem Jahr 2014 (12,78%) im Grunde stetig und lag im Jahr 2021 bei 9,54%. Es wird ein weites Sinken prognostiziert (vgl. https://de.statista.comArbeitslosenquote: Italien 1980 bis 2021 und Prognose bis 2027). Zwischen 2020 und 2024 sind dem italienischen Wirtschaftssystem über 2,5 Mio. der gegenwärtig Beschäftigten zu ersetzen (vgl. auch OVG RhPf, U.v. 15.12.2020 - 7 A 11038.18 - juris). Insbesondere im Handwerk und im Hotel- und Gaststättengewerbe fehlt es an Arbeitskräften. So fehlten im Hotel- und Gaststättengewerbe zuletzt 50.000 Arbeitskräfte (vgl. hierzu etwa VG Würzburg, U.v. 5.10.2021 - W 4 K 20.30192 - juris mit Verweis auf Reuters, Harder to attract staff than visitors at Italy`s tourist hotspots, 29.6.2021; Südtirol-News, Handwerk in Südtirol: Zwischen Tradition und Digitalisierung, 8.4.2021). Auch im Handwerk besteht jedenfalls regional ein erheblicher Bedarf an entsprechenden Fachkräften und Lehrlingen (vgl. hierzu etwa VG Würzburg, U.v. 5.10.2021 - W 4 K 20.30192). Der Kläger zu 1 ist gelernter F. und hat nach seinen eigenen Angaben bereits in Italien als solcher eine Arbeit gefunden und auch gearbeitet. Insoweit waren seine Angaben bei seiner Anhörung beim Bundesamt, er habe keine Arbeit als F. erhalten, offensichtlich unzutreffend. Zwar will der Kläger keinen ordentlichen Arbeitsvertrag erhalten haben, weil ihn sein Arbeitgeber habe nur „schwarz“ beschäftigen wollen. Dies erscheint durchaus glaubhaft. Die Kläger hätten jedoch gegebenenfalls ihren Wohnort wechseln können und z.B. im nördlichen Italien nach geeigneten Arbeitsplätzen für den Kläger zu 1 suchen können. Auch wäre es nicht unzumutbar, dass der Kläger zu 1, der einem gefragten Handwerk nachgeht, zeitweise eine Anstellung in einem anderen Landesteil Italiens nachgeht - wie dies auch italienische Staatsangehörige tun - und zum Wohnort der Familie pendelt. Nach Erkenntnissen der Europäischen Kommission besteht in Italien saisonunabhängig derzeit ein Bedarf an rund 43.000 ungelernten Arbeitskräften. Darüber hinaus gebe es freie Stellen vor allem für Ingenieure und Informatiker, im Handels- und Dienstleistungsbereich sowie für Facharbeiter und Anlagenführer. Die größte Nachfrage nach Arbeitskräften bestehe im Nordwesten und Nordosten des Landes (vgl. EURES, Arbeitsmarktinformationen: Italien, https://ec.europa.eu/eures/public/living-and-working/labour-market-information/labour-market-information-italy_de).
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Es ist damit nicht davon auszugehen, dass der Kläger zu 1 - gegebenenfalls nach einer Übergangszeit - nicht in der Lage sein wird, eine Beschäftigung zu finden, mit der er die elementarsten Bedürfnisse der Familie wird sichern können. Es ist ihm zumutbar, sich den italienischen Arbeitsmarkt zu stellen. Er ist insoweit auch erfahren und hat sowohl als F. als auch als E. bereits in Italien gearbeitet und auch mit dieser Tätigkeit seine Familie versorgen können. Auch wenn es dem Kläger zu 1 zunächst nur gelingen wird, im Bereich der Schattenwirtschaft eine Tätigkeit zu finden, so ist ihm dies im Hinblick auf die in Italien weit verbreite übliche Schwarzarbeit auch zuzumuten, um für seine Familie die Existenzsicherung zu erreichen (vgl. BVerwG, B.v.17.1.2022 - 1 B 66.21 - juris Rn. 29). Die Klägerin zu 2 ist ebenfalls jung und erwerbsfähig. Sie hat nach eigenen Angaben im L. eine Ausbildung zur K. absolviert. Soweit die Kinder in der Schule bzw. in einer Kindertagesstätte untergebracht sind, verbietet es sich nicht, dass auch sie zum Unterhalt der Familie durch eigene Arbeitskraft beiträgt.
c.
39
Anerkannte Schutzberechtigte haben in Italien zwar keinen Anspruch auf staatliche Sozialhilfe, die mit der in Deutschland gewährten Sozialhilfe vergleichbar wäre. Einen solchen Anspruch haben aber auch italienische Staatsangehörige nicht. Der Umfang der Sozialleistungen ist in Italien - wie auch in vielen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union - deutlich geringer als in Deutschland. Das italienische Sozialsystem ist insgesamt sehr schwach ausgebildet, weil es traditionell auf eine Unterstützung durch Familienstrukturen aufgebaut war. Seit März 2019 gibt es eine Art Grundeinkommen, ein sog. Bürgergeld. Voraussetzung für dessen Bezug ist jedoch, dass man mindestens die letzten zehn Jahre in Italien gewohnt hat, sodass anerkannt Schutzberechtigte diese Voraussetzungen in aller Regel nicht erfüllen (vgl. hierzu ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020 S. 11; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation: Italien, 11.11.2020, S. 24). Weiterhin gibt es in Italien einzelne, in den Zuständigkeitsbereich der Regionen oder Kommunen fallende Fürsorgeleistungen, die hinsichtlich ihrer Voraussetzungen, des Empfängerkreises und der Leistungshöhe jedoch stark variieren (Raphaelswerk, 6/2020, S. 14 f.; ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020 S. 11 f.). So ist auch dem Gericht aus weiteren Verfahren bekannt, dass die Fürsorgeleistungen in einigen Kommunen deutlich höher sind als in anderen. Die*Kläger haben selbst erklärt, finanzielle Unterstützung in Höhe von 740 EUR im Monat erhalten zu haben, wobei sie auch für ihre Unterkunft keine Miete bezahlen mussten. Zum März 2022 wurde ferner das „assegno unico“ (Kindergeld) eingeführt. Dieses wird auf Antrag ab Geburt eines Kindes bis zum 18. Lebensjahr monatlich gezahlt. Die Höhe richtet sich nach dem Familieneinkommen und der Anzahl der Kinder und kann bis zu 175 EUR im Monat betragen (vgl. SächsOVG, U.v.14.3.2022 - 4 A 341/20.A -juris Rn. 59). Es ist insoweit nicht erkennbar, dass Italien unionsrechtliche Vorgaben missachtet und Familien mit Kindern, denen der internationale Schutz zuerkannt wurde abweichend zu italienischen Staatsbürgern behandelt bzw. es diesen nicht ermöglichen würde unter würdigen Bedingungen zu leben. Den Klägern kann abverlangt werden, wie sie es schließlich auch in Deutschland tun, sich hinsichtlich der regional gegebenen sozialen Hilfeleistungen zu erkundigen und diese gegebenenfalls durchzusetzen. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass Familien mit minderjährigen Kindern in einer signifikanten Anzahl von Fällen unter unwürdigen Bedingungen leben müssen, da ihnen staatliche Leistungen versagt wurden (vgl. SächsOVG, U.v.14.3.2022 - 4 A 341/20.A - juris Rn. 59).
40
Den Klägern ist es ferner nicht verwehrt, ihren Anspruch, unter würdigen Bedingungen in Italien zu leben, gegebenenfalls gerichtlich in Italien durchzusetzen und gegen die Ablehnung z.B. des Bürgergeldes Klage zu führen (vgl. SächsOVG, U.v. 14.3.2022 - 4 A 341/20.A - juris Rn.60-61).
41
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird im Übrigen auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamtes zu den in Italien gewährten Sozialleistungen (z.B. Familienbeihilfe und Elternbeihilfe) verwiesen
d.
42
Hinsichtlich der medizinischen Versorgung haben Anerkannte in Italien die gleichen Rechte und Pflichten wie italienische Staatsbürger, sobald sie beim Nationalen Gesundheitsdienst registriert sind. Die Registrierung gilt für die Dauer der Aufenthaltsberechtigung und erlischt auch nicht in der Verlängerungsphase. Für die Registrierung ist dabei eine gültige Aufenthaltserlaubnis oder ein Nachweis, dass die Verlängerung bzw. Ausstellung angefordert wurde, ein Wohnnachweis oder bei Nichtvorhandensein eine Erklärung zum aktuellen Wohnort sowie eine Steuernummer notwendig (ACCORD, Anfragenbeantwortung zu Italien, 18.9.2020, S. 11). Zwar bestehen für anerkannte Flüchtlinge ohne Aufenthaltsbewilligung und Wohnsitzmeldung Probleme beim Erhalt der Gesundheitskarte, welche umfassende medizinische Leistungen wie kostenlose Arztbesuche und kostenlose Aufenthalte in Krankenhäusern gewährleistet. Im Falle der Zuweisung in eine Zweitaufnahmeeinrichtung bestünde jedoch ein Wohnsitz, so dass die Beantragung der Gesundheitskarte möglich wäre. Im Falle einer Nichtzuweisung könnten zunächst die Adressen von Hilfsorganisationen angegeben werden, welche jedoch nicht von allen Behörden akzeptiert werden. Es gibt jedoch verschiedene Organisationen, welche beim Zugang zur medizinischen Versorgung behilflich sind. Nach der neueren Rechtslage ist die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst auch bereits auf Basis des sog. „domicilio“ garantiert, der üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 11.11.2020, S. 20). Unabhängig davon besteht auch für anerkannte Schutzberechtigte bis zur Registrierung im Gesundheitssystem ein Zugang zu medizinischen Basisleistungen und insbesondere zu einer medizinischen Notfallversorgung in öffentlichen Krankenhäusern (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, 11.11.2020, S. 19 u. S. 20).
43
Besondere einzelfallbezogene Umstände, aufgrund derer eine mit dem Unionsrecht unvereinbare Behandlung der Kläger in Italien zu erwarten ist, sind damit nicht gegeben. Vielmehr haben die Kläger hier im Hinblick auf die in Italien lebende Verwandtschaft, ihres langen Voraufenthaltes in Italien und den Arbeitserfahrungen des Klägers zu 1 besondere Vorteile, die ihnen im Falle einer Rückkehr die erneute Integration vereinfachen werden.
44
Das Gericht schließt sich insoweit nicht dem seitens des Klägerbevollmächtigen zitierten Urteil des VG Ansbach vom 16.03.2022 (AN 14 K 20.50315) an, welches offenbar lediglich aus dem Umstand, dass es sich bei den dortigen Klägern um eine vierköpfige Familie handelte, auf eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verletzung von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK schließt.
2.
45
Der Hilfsantrag bleibt auch ohne Erfolg.
46
Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides ist rechtlich nicht zu beanstanden.
47
Hinsichtlich § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK stellen sich inhaltlich die gleichen rechtlichen Fragen wie bei § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Die Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass in Bezug auf Italien keine Abschiebungsverbote vorliegen. Es wird auf die Gründe des Bescheides Bezug genommen sowie auf die obigen Ausführungen. Hinsichtlich der gesundheitlichen Situation des Klägers zu 1 ist mit Blick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auszuführen, dass - ohne Zweifel - sowohl die bei dem Kläger zu 1 diagnostizierte Hepatitis B wie auch Diabetes in Italien behandelbar sind und der Kläger zu 1 die medizinische Versorgung auch wird in Anspruch nehmen können. Er hat im Übrigen selbst nicht vorgetragen, keine Behandlung seiner bereits seit mehreren Jahren bestehenden Erkrankungen in Italien erhalten zu haben. Bei seiner Anhörung beim Bundesamt hat er ferner erklärt, er sei zweimal in Italien wegen eines Bandscheibenvorfalls operiert worden.
48
Soweit vorgetragen wird, die medizinische Versorgung sei in der Bundesrepublik Deutschland besser, stellt dies zum einen offenbar nur eine Mutmaßung bzw. Behauptung dar, zum anderen kommt es hierauf aber auch nicht an, denn gemäß § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG ist es nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist.
3.
49
Die nach Maßgabe des § 35 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Die gesetzte Ausreisefrist von einer Woche entspricht der Regelung in § 36 Abs. 1 AsylG.
4.
50
Auch die von Amts wegen vorzunehmende Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Solche wurden zudem auch nicht geltend gemacht.
II.
51
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.