Titel:
Schulpflicht, Sorgetragen
Normenketten:
BayEUG Art. 36
GG Art. 6
GG Art. 7
BayEUG Art. 76 S. 2
Schlagworte:
Schulpflicht, Sorgetragen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31675
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
4. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
1
Die Antragstellerin wendet sich im einstweiligen Rechtsschutz gegen einen Bescheid des Landratsamts …, soweit sie verpflichtet wurde sicherzustellen, dass ihre Tochter die Pflichtschule regelmäßig besucht.
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Mit Schreiben vom 29. Juli 2021 forderte das Landratsamt … (im Folgenden: Landratsamt) die Antragstellerin auf, die Anmeldung der Tochter (…, geboren am … 2014) in der Grundschule … vorzunehmen und hörte sie zur zwangsweisen Durchsetzung der Schulpflicht an. Die Antragstellerin äußerte sich dahingehend, dass das was momentan in den Schulen angeordnet werde, absolut fatal sei. Sie kenne unzählige Schüler, die über Kopfschmerzen, Schwindel und Dauermüdigkeit durch Sauerstoffmangel beim Masketragen klagen würden. Auch die Tests seien kritisch zu sehen. Es entstünden gerade überall alternative Frei Lerner Schulen. Ihre Tochter sei beim 30-jährigen „Gaudium in Vita“ angemeldet. Zusätzlich starte ab Herbst eine Gruppe aus ca. 16 Kindern über die Initiative „…“ des Trägers … Die Umsetzung des § 13 SGB VIII werde durch pädagogische Fachkräfte garantiert. Ihre Tochter werde in dieser Form momentan so absolut besser, gesünder und effektiver unterrichtet.
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Die Antragstellerin meldete ihre Tochter nicht bei der Pflichtschule an. Mit Schreiben vom 15. Oktober 2021 hörte das Landratsamt die Antragstellerin erneut zur zwangsweisen Durchsetzung der Schulpflicht an. Sie äußerte sich dahingehend, dass es nicht nur um die Maskenpflicht gehe, sondern auch die Tests und die Umstände, die seit der Corona-Zeit stattfinden würden. Den Kindern werde psychisch und physisch geschadet. Artikel 13 des UN- Sozialpaktes besage, dass die Vertragsstaaten das Recht auf Bildung erkennen. Sie würden übereinstimmen, dass die Bildung auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und des Bewusstseins ihrer Würde gerichtet sei und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten stärken müsse. Dies alles passiere schon länger nicht mehr in Regelschulen. Für ihre Tochter habe immer außer Frage gestanden, dass sie eine Regelschule besuche. Die einzige Alternative sei damals eine Waldorfschule oder Montessori gewesen. Da aber diese Schulen massiv gegen die Pädagogik verstießen, welche ursprünglich gelehrt werden solle, sehe sie sich gezwungen, ihre Tochter zu schützen. … sei bei dem Forschungsprojekt Gaudium in Vita angemeldet. Dieses Forschungsprojekt gehe 30 Jahre und werde die Unterschiede zwischen Schulkindern und Kindern, die wieder frei und selbstbestimmt lernen dürfen, analysieren. Außerdem mache … an einem sozialpädagogischen Gruppenangebot mit, welches ihre Entwicklung in allen Richtungen positiv stärke und fördere. Sozialer Umgang, Teamgeist, Erkundung der Natur und vieles mehr würden den Kindern nahegelegt, 3 mal die Woche für 5 Stunden. Dieses Jugendschutzprogramm werde von richtigen Pädagogen begleitet. Zusätzlich lerne sie zu Hause mit ihr das Lesen, Rechnen und Schreiben. Sie mache gute Fortschritte.
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Das Landratsamt erließ unter dem 22. Oktober 2021, zugestellt am 23. Oktober 2021, einen Bescheid, mit dem es die Antragstellerin verpflichtete, ihre Tochter unverzüglich bei der Pflichtschule (* … Schule …*) anzumelden (Ziffer 1.a). Weiter habe sie spätestens ab dem 8. November 2021 sicherzustellen, dass ihre Tochter die Pflichtschule regelmäßig besuche (Ziffer 1.b). Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 1.a) dieses Bescheids werde ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 Euro angedroht (Ziffer 2.a). Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 1.b) dieses Bescheids werde ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 Euro angedroht (Ziffer 2.b). Unter Ziffer 3 wurde die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 angeordnet.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Tochter seit 14. September 2021 der Schulpflicht unterliege, welche von ihr an der … Schule in … zu erfüllen sei. Rechtsgrundlage des Bescheids sei Art. 7 Abs. 2 Nr. 1, 6, 9 LStVG, Art. 118 Abs. 1 BayEUG. Die in § 13 der 14. BayIfSMV festgelegte Masken- bzw. Testpflicht an Schulen habe für alle Schüler Gültigkeit. Mit dem 5. Oktober 2021 sei die Maskenpflicht für die Schüler während des Unterrichts weggefallen. Die Darlegung der Antragstellerin, wonach Kinder aufgrund der Maske, Testungen und Distanzierung eine Entwürdigung und Misshandlung erfahren würden, sei in keiner Weise erkennbar. Auch sei nicht ersichtlich, weshalb die Schulen trotz dieser infektionsbedingten Vorsichtsmaßnahmen nicht zugleich ihren Bildungs- und Erziehungsauftrag (Wissen und Können vermitteln, Geist und Körper, Herz und Charakter bilden) wahrnehmen und erfüllen könnten. Der BayVGH habe in seinem Beschluss vom 11. Oktober 2021 (25 NE 21.2525) die Regelung zur Erbringung eines Testnachweises für den Besuch des Präsenzunterrichtes bestätigt. Zudem sei die von ihr favorisierte Initiative,, …“ in Deutschland nicht als Alternative zur Erfüllung der Schulpflicht anerkannt. Dass ihre Tochter mit 7 Jahren schon selber bestimmt, die Regelschule nicht zu besuchen, sei unwahrscheinlich. Durch die Ausfallzeit seit September 2021 drohe der Tochter ein erheblicher Rückstand bei der Integration in die Klassengemeinschaft und ihrer Entwicklung in der Pflichtschule. Gerade diese Versäumnisse aus dem Beginn des Schullebens könnten nur schwer aufgeholt werden. Deshalb könne nicht zugewartet werden, bis der Bescheid bestandskräftig werde, da dann nochmals wertvolle Zeit vergehen würde. Der Termin nach den Herbstferien sei geeignet, um der Tochter den Einstieg in den Klassenverbund zu ermöglichen.
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Die Antragstellerin erhob am 7. November 2021 Widerspruch gegen den Bescheid und meldete ihre Tochter am 8. November 2021 bei der … Schule in … an. Ausweislich des Schülerstammblatts und der Urkunde über die gemeinsame elterliche Sorge sind sowohl die Antragstellerin als auch der Vater ihrer Tochter erziehungsberechtigt. Die Tochter besuchte die Schule in der Folgezeit nicht.
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Mit Schreiben vom 28. November 2021 fragte die Antragstellerin bei der Schule … an, wie nun weiterverfahren werde bezüglich ihrer Tochter. Sie erkundigte sich nach einer Schulfreistellung und dem Erhalt des Schulstoffes, damit sie die Aufgaben zuhause machen könnten.
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Der Geschäftsführer des ... antwortete auf Nachfrage der Regierung von …, dass diese ein sozialpädagogisches Gruppenangebot in … begleite, wobei es sich nicht um eine „Einrichtung nach § 45a“, sondern um die Begleitung einer Selbsthilfe-Initiative handele. Es handele sich um ein offenes Angebot, weswegen die Anzahl der anwesenden Kinder nicht feststehe und auch die Zeiten seien variabel. Sie hätten nur bedingt Informationen über die Organisationsstrukturen vor Ort und würden diese nicht vorgeben. Sie würden dort kein Betreuungspersonal beschäftigen. Das Projekt werde ausschließlich von Spendengeldern und finanziellen Leistungen der Teilnehmer finanziert. Das Projekt gründe darauf, Eltern mit Kindern im schulpflichtigen Alter in einer Gruppe von 10 bis max. 20 Kindern ein tägliches Beisammensein ausschließlich im Freien zu ermöglichen. Die „Betreuung“ erfolge ausschließlich durch (sorgeberechtigte) Eltern, die sich zu diesem Zweck selbst organisieren. Sie sähen dies als Selbsthilfe bzw. Wahrnehmung eigener Interessen an, die inzwischen in § 4a SGB VIII auch eine rechtliche Grundlage gefunden habe. Der Einsatz des Trägers ... ziele ausschließlich darauf ab, diese Form der Selbsthilfe zu unterstützen. Inhalt dessen sei es bspw. die Ortsgruppen regelmäßig (in der Regel zweimal monatlich) zu besuchen. Dabei würden die Gruppen im Tagesablauf beobachtet und Gespräche mit dem Organisator/der Organisatoren vor Ort und bei Elternabenden mit den Eltern geführt. Für all diese Tätigkeiten werde ein Stellenumfang von 25 Stunden im Monat eingesetzt. Diese Tätigkeit umfasse niemals die Betreuung von Kindern und Jugendlichen.
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Die Regierung von … erließ unter dem 16. Februar 2022, zugestellt am 24. Februar 2022, den Widerspruchsbescheid, wonach Nr. 2 Buchst. b) des Bescheides des Landratsamtes vom 22. Oktober 2021 folgende Fassung erhalte: Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Nr. 1 Buchst. b) dieses Bescheides wird ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 Euro zur Zahlung fällig (Ziffer 1). Im Übrigen werde der Widerspruch zurückgewiesen (Ziffer 2). Die Widerspruchsführerin habe die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen (Ziffer 3). Die Gebühr für diesen Widerspruchsbescheid werde auf 240,00 Euro festgesetzt. Der Auslagenbetrag werde auf 3,45 Euro festgesetzt (Ziffer 4).
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Eine Unterrichtung zu Hause, wie von der Widerspruchsführerin angestrebt, sei nur in Art. 23 Abs. 2 BayEUG vorgesehen. Es seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Tochter der Widerspruchsführerin einen Anspruch auf Hausunterricht habe, insbesondere seien die von der Widerspruchsführerin geäußerten Bedenken gegen die Maskenpflicht im Unterricht oder das Testen nicht geeignet, Zweifel an der Schulbesuchsfähigkeit ihres Kindes aus gesundheitlichen Gründen aufzuwerfen. Der von der Widerspruchsführerin durchgeführte Privatunterricht sei für die Erfüllung der Schulpflicht nicht geeignet, da anerkannt sei, dass häuslicher Unterrichtauch unter Leitung und mit Unterstützung eines Fernlerninstituts - nicht die Schulpflicht erfülle und eine Durchsetzung der Schulpflicht nicht gegen das verbürgte Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 GG, Art. 126 Abs. 1 BV) verstoße. Ein Unterricht zu Hause sei demnach abgesehen von Art. 23 Abs. 2 BayEUG auch mit Unterstützung z.B. durch Fernunterricht nicht zulässig. Ob ein Heimunterricht geeignet sei, dieselben fachlichen Kenntnisse und Fertigkeiten zu entwickeln wie der Besuch einer Schule, sei ohne Belang, da dies nur ein Teil dessen darstellt, was die Schulpflicht rechtfertige. Durch die Teilnahme an dem Forschungsprojekt Selbstbestimmtes Lernen des Forschungsinstituts „Gaudium in Vita“ könne die Schulpflicht im vorliegenden Fall nicht erfüllt werden. Auch die Teilnahme der Tochter der Widerspruchsführerin an einem sozialpädagogischen Gruppenangebot „…“ kann nicht zu einer Änderung der rechtlichen Beurteilung führen, da es sich hier ebenfalls nicht um den Besuch einer Schule i.S.d. Art. 36 Abs. 1 BayEUG oder einer gemäß Art. 36 Abs. 2 BayEUG gleichwertigen Schule handelt.
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Mit am 21. März 2022 eingegangenen Schriftsatz erhob die Antragstellerin „Klage bezüglich des Widerspruchsbescheids“ und beantragte, das „Verfahren einzustellen“. Unter dem 12. Mai 2022 nahm sie die Anträge betreffend Ziffer 1a und 2a des Ausgangsbescheids zurück und beantragte sodann: „die aufschiebende Wirkung unseres Widerspruchs entsprechend unseres dringenden Rechtsschutzbedürfnisses sofort und erforderlichenfalls vor Beschluss in der Hauptsache festzustellen.“
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass sich aus Art. 76 BayEUG materiell-rechtlich keine Verpflichtung der Eltern ergebe, die Erfüllung der Schulpflicht durch ihre Kinder herbeizuführen. Sie seien lediglich dazu verpflichtet „Sorge zu tragen“, was von der Erfüllung zu unterscheiden sei, wozu lediglich die Kinder verpflichtet seien. Vorliegend sei gegeben, dass die Eltern hinreichend erzieherisch auf ihr Kind eingewirkt haben, deren Handeln aber gleichwohl nicht zum Erfolg geführt habe. Es werde nach dem Schulgesetz nicht geregelt, dass die Behörde die Verpflichtung der Erziehungsberechtigten in eine sie bindende, konkrete Verwaltungsentscheidung umsetzen könne und dementsprechend erst recht nicht, ob der Behörde bei einer solchen Entscheidung Ermessen zustehe oder nicht. Das Schulgesetz bzw. die Verordnung enthalte eine als solche eindeutig erkennbare Befugnisnorm lediglich hinsichtlich eines Ausschnitts von Pflichten der Eltern. Es bestehe keine Rechtsgrundlage für das Zwangsgeld. Es bestehe keine Testobliegenheit, die in der seit 24. November 2021 geltenden 15. BayIfSMV geregelt sei. Selbst wenn dies so wäre, könne eine Verordnung nicht in die Grundrechte eingreifen, wofür es eines Gesetzes bedarf. Auch im Schreiben des Bayerischen Ministeriums für Unterricht und Kultus vom 8. Oktober 2021 sei wiederholt worden, dass es keinen Testzwang gebe. Nach § 11 Abs. 1 VwVG könne ein Zwangsgeld auch nur verhängt werden, wenn eine Handlung durch einen anderen nicht vorgenommen werden könne und sie nur vom Willen des Pflichtigen abhänge, was bedeute, ein Zwangsgeld dürfe nicht eingesetzt werden, wenn die Vornahme aus Umständen unterbleibe, die vom Willen des Pflichtigen unabhängig seien. Hier sei es im Wesentlichen von ihrer Tochter abhängig, ob sie sich testen lassen bzw. zur Schule gehen wolle, wobei sie ersteres auf keinen Fall wolle. Unter der Maske bekomme sie sehr schlecht Luft (wird näher ausgeführt). Seit zwei Jahren würden Kinder nicht ordentlich beschult. Sie würden körperlich und psychisch gequält, was dazu geführt habe, dass nicht nur die Selbstmordrate drastisch angestiegen sei, sondern dass die Praxen der Psychologen und Psychiater überlaufen seien. Der Verwaltungsakt sei auch gemäß § 44 Abs. 2 Nr. 5, Nr. 6 VwVfG nichtig, weil er an einem besonders schweren Fehler leide. Die Testung sei ein körperlicher Eingriff, der mit erzwungener Einwilligung eine Körperverletzung darstelle. Trotz zweiwöchentlicher Änderungen der Verordnungen sei die Widersprüchlichkeit zwischen der Freiwilligkeit der Tests und der Schulpflicht nie behoben worden. Es sei eine falsche Unterstellung, dass durch ihre Verweigerungshaltung das Kindeswohl erheblich gefährdet sei. Sie respektiere den Willen ihrer Tochter, die sich absolut weigere, unter diesen Bedingungen in eine Schule zu gehen. Das OLG Bamberg habe entschieden, Schulverweigerung sei keine Kindeswohlgefährdung. Für ihre Tochter sei alternative Beschulung die bestmögliche Förderung, die sie nicht in ein System dränge und Maßnahmen fördere, die absolut fatal seien. Was von einigen Schulen seit einiger Zeit passiere, sei Kindeswohlgefährdung. Es gebe Studien, die bestätigten, wie schädlich die Masken und Tests seien (wird ausgeführt). Deutschland sei das einzige Land, das auf eine Schulpflicht in Präsenz bestehe. Fast überall sonst gebe es lediglich eine Bildungspflicht und Programme, alternative Schulen, Homeschooling uvm, was den Kindern freiere Entfaltung biete. Sie habe nie geäußert, dass sie sich weigere, ihre Tochter beschulen zu lassen oder ihr gar verwehre, einen Schulabschluss zu machen, … habe große, außergewöhnliche Ziele. Man könne Schulabschlüsse auch extern erzielen. Das BVerfG habe mit Beschluss vom 21.12.1977 - 1 BvL 1/75 und 1 BvR 147/75 entschieden, dass die Schulen stets das elterliche Erziehungsrecht zu beachten hätten. Beigefügt war ein Schreiben der ... an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus, welches sich zum Beschluss des BayVGH vom 7.1.2022 - 7 CS 21.3151 und zum Thema Kindeswohlgefährdung in Zusammenhang mit der Test- und Maskenpflicht äußert. Mit weiterem Schreiben führte die Antragstellerin aus, sie habe als Mutter die Pflicht, ihr Kind zu schützen. Sie wisse, dass ihr Kind einen Schaden erlitten hätte, wenn sie es täglich mit Maske in die Schule und zur Durchführung der Testung gezwungen hätte. Ein medizinischer Gutachter werde das belegen, auch die Untauglichkeit der Tests. Die medizinischen Gutachten beantrage sie nur für den Fall, dass ihr Prozesskostenhilfe gewährt werde. Beigefügt waren eine Gefährdungsanalyse zu den Schnelltests von Dr. …, ein Rechtsgutachten der RAin … zu den PCR-Tests, ein Beschluss des Amtsgericht Weimar vom 8.4.2021, ein (nicht als solches überschriebenes, aber von der Antragstellerin bezeichnetes) Gutachten der Deutschen Unfallversicherung vom Oktober 2020 zur Gefährdung durch die Verwendung einer Mund-Nasen-Bedeckung bei Kindern und Jugendlichen, eine Studie der Dipl. Psych. … zu psychologischen und psychovegetativen Beschwerden durch die aktuellen Mund-Nasenschutz-Verordnungen in Deutschland (Stand Juni/Juli 2020). Durch weiteren Schriftsatz führt sie aus, dass dem Bescheid vom 22. Oktober 2021 die Rechtsgrundlage für die angedrohten Zwangsmaßnahmen fehle. Denn eine staatliche Pflicht, die junge Menschen verpflichte, ihrem Bildungsrecht ausschließlich in öffentlichen Schulen nachzukommen, bestehe in Deutschland nicht. Es werde auf das Recht der Eltern in Art. 26 Abs. 3 AEMR und Art. 25 GG sowie Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verwiesen. Die staatliche Wächterfunktion verhalte sich zum elterlichen Erziehungsrecht subsidiär, sodass der Staat erst eingreifen dürfe, wenn Eltern in ihrem Erziehungsverhalten versagen würden. Eine Schulanwesenheitspflicht lasse sich aus Art. 7 GG nicht ableiten. Der Staat habe die Qualität und Organisation des Schulwesens zu überwachen, nicht jedoch jeden jungen Menschen dem Schulzwang zu unterwerfen, der bereits einer angemessenen Bildung außerhalb von Schulen nachkomme. Insofern die Schulgesetze der Länder eine zwingende Pflicht zum Schulbesuch junger Menschen enthielten, seien diese Regelungen verfassungswidrig. Die ausführenden Sachbearbeiter hätten ihre Remonstrationspflicht nicht erfüllt, die bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Rechtsgrundlage ihres Handelns bestehe. Ihre Tochter unterliege nicht den Schulgesetzen, da diese nur für an öffentlichen bzw. staatlich anerkannten Schulen angemeldete Schüler gelte und sie aktuell an keiner Schule angemeldet sei. Im Urteil des BVerfG vom 6. Dezember 1972 (BVerfGE 34, 165) sei ebenfalls festgestellt worden, dass das Erziehungsrecht von Schulen und Eltern nur innerhalb von Schulen gleichgeordnet sei. Diese Gleichwertigkeit bestehe gesellschaftlich nicht generell. Das AG Meißen habe am 8. Juni 2018 (Owi 161 Js 17796/18) den absoluten Schulzwang ohne hinreichende Ausnahmen als verfassungswidrig anerkannt. Ein Schulzwang sei rechtlich nicht haltbar. Ihrer Tochter komme eine vollwertige Bildung nach ihren Bedürfnissen zu und sie habe sich selbst gegen die Schule entschieden; eine Zwangsmaßnahme gegen ihre Interessen könne nicht dem Kindeswohl entsprechen. Dem Bildungsauftrag könne auch durch Einführung eines freien Bildungsangebotes Rechnung getragen werden. Unter Bildung könne jede Form der Vermittlung verstanden werden, die geeignet ist, um die Entwicklung junger Menschen zu selbstbestimmten und verantwortungsbewussten, in die soziale Gesellschaft integrierten Menschen und ihre Teilhabe an Ausbildung und Beruf zu fördern. Ein Lernen zuhause könne als angemessene Bildung qualifiziert sein. Das Schulgesetz greife unverhältnismäßig in den inneren Wesenskern des Menschen ein und könne nicht rechtmäßiger Bestandteil einer verfassungsmäßigen Ordnung sein. Sie rege an, es auf seine Verfassungsmäßigkeit prüfen zu lassen (Art. 100 GG). Nach § 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG sei eine Beschulung durch die für ihre Tochter unangemessenen Beschulungsmöglichkeiten gemessen an ihren Bedürfnissen faktisch ausgeschlossen und damit „verunmöglicht“. Nach § 44 Abs. 2 Nr. 5 und 6 VwVfG sei eine Zwangsmaßnahme nichtig, wenn von ihr verlangt würde, zur Erfüllung der Forderungen über das erforderliche Maß hinaus erzieherische Methoden anzuwenden, die gegen § 1631 Abs. 2 BGB verstoßen würden. Die Behörde habe entweder eine angemessene Interessenabwägung nicht vorgenommen oder wissentlich wider besseren Wissens gegen Unschuldige ein förmliches Verfahren eingeleitet. Ein überwiegendes Interesse an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts könne nicht vorliegen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genüge nicht § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Es seien nur Textbausteine und Paragraphen des Schulgesetzes angeführt worden, ohne auf die individuelle Situation ihrer Tochter einzugehen. Sie hätten wiederholt auf die Eigeninitiative bezüglich der Aufbereitung des Lernstoffes hingewiesen, weswegen sich die Behörde hiermit auseinandersetzen hätte müssen, ebenso wie mit den möglichen Gesundheitsbeeinträchtigungen als Auslöser für eine selbstbestimmte Bildung ohne Schulbesuch. Das Aussetzungsinteresse überwiege, denn es sei nicht ersichtlich, dass die Behörde die Erklärung zur Kenntnis genommen bzw. erwogen hätte.
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Die Antragstellerin teilte dem Rektor der … Schule unter dem 23. April 2022 mit, dass sich beruflich Änderungen ergeben würden. Sie wolle sich einige Monate auf Reisen begeben und in Deutschland, ab und an auch im Ausland, Seminare geben, bei denen sie ihre Kinder mitnehmen möchte. Schulisch abgedeckt seien sie durch Freilerner-Programme, selbstbestimmtes Lernen und eine Fernschule. Sie wolle sich und ihre Tochter deshalb abmelden bzw. reisend melden für ein paar Monate. Der Rektor antwortete hierauf, dass für Kinder beruflich Reisender einheitliche Regelungen gelten würden, wonach diese wie alle anderen Kinder auch, der allgemeinen Schulpflicht unterliegen würden und ihre Tochter daher an den Orten der Tätigkeiten die örtliche Schule besuchen müsse. Die Stammschule sei diejenige, an der die Kinder während der reisefreien Zeit über einen längeren Zeitraum verweilen, hier … Das Staatliche Schulamt hält die Voraussetzungen nicht für gegeben, es sei denn die Antragstellerin lege eine Reisegewerbekarte nach § 55 GewO vor.
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Das Landratsamt beantragte,
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Es werde auf die Klageerwiderung Bezug genommen. Dort wurde ausgeführt, dass die Antragstellerin ihre Tochter unentschuldigt vom Unterricht fernhalte, da sie sich der Test- und (noch) bestehenden Maskenpflicht entgegenstelle, die Zugangsvoraussetzung sei. Dass der Wille, nicht unter diesen Bedingungen in die Schule zu gehen, von ihrer Tochter komme, sei für ein 7-jähriges Kind sehr unwahrscheinlich. Die Antragstellerin habe nicht vorgetragen, versucht zu haben, auf ihr Kind meinungsbildend und überzeugend einzuwirken. Die mit dem Schulbesuch verbundene Bildung verlange einen möglichst regelmäßigen Schulbesuch ohne lange Fehlzeiten, wofür die Maßnahmen für einen sicheren Schulbetrieb ergriffen worden seien und eine geringere Eingriffsintensität aufwiesen. Die Maskenpflicht entfalle ab dem 3. April 2022, weswegen die Argumentation keinen Bestand mehr habe. Die bleibende Testpflicht würde von den Kindern selbst erfüllt, die Lehrer beaufsichtigten lediglich, sodass kein körperlicher Eingriff durch diese erfolge. Im Eilverfahren wurde weiter ausgeführt, die Tochter der Antragstellerin sei am 16. Mai 2022 zum ersten Mal einen Tag in ihrer Klasse gewesen. Da sie danach über Kopf-, Bauch- und Rückenschmerzen geklagt habe, sei sie von der Antragstellerin seither „entschuldigt“. Zwei Mitarbeiterinnen des Landratsamts, ein Vertreter des Jugendamtes und der Rektor der Pflichtschule hätten die Antragstellerin am 18. Mai 2022 aufgesucht, um nochmals persönlich auf die Durchsetzung der Schulpflicht hinzuweisen. Die Tochter der Antragstellerin sei laut dieser sehr feinfühlig und wolle nicht in die Schule, weil sie das viele Sitzen nicht gewohnt sei und auch durch bestimmte Maßnahmen der Klassenleitung verunsichert sei. Das passende Lernmodell sei das „Freie Lernen“. Auch alternative anerkannte Schulformen (z.B. Waldorf oder Montessori) könnten nicht auf die Einstellungen und Bedürfnisse eingehen. Der Vertreter des Jugendamtes habe darauf hingewiesen, dass für eine Begründung des Fernbleibens von der Schule ein unabhängiges fachärztliches Gutachten erforderlich sei, das die Argumente der Antragstellerin stütze, was weder vorgelegt noch ein Bemühen darum geltend gemacht worden sei. Es sei vereinbart worden, dass die Antragstellerin weiterhin schultäglich versuchen müsse, ihre Tochter zum Schulbesuch zu ermuntern, dass sie zusätzlich Kontakt mit der Beratungslehrkraft der Pflichtschule zur Einbindung auch der Schulpsychologin aufnehme und dass sie die Bemühungen um einen Termin zur fachärztlichen Begutachtung nachweise. Die Tochter sei am 19. und 23. Mai bis einschließlich KW 21 entschuldigt worden. Die Argumente, wonach den Regelungen der Schulpflicht die Rechtsgrundlage fehle, würden nicht durchdringen. In der Rechtsprechung des BayVerfGH wie des BayVGH werde die Schulpflicht ohne weiteres als unbedenklich und vor allem verfassungskonform angesehen (BayVGH, B.v. 3.5.2000 - 7 ZS 00.1136). Durch die Möglichkeit eine anerkannte Privatschule wählen zu können, sei ein ausreichender verfassungsgemäßer Ausgleich der konkurrierenden Rechte gegeben. Eine unabhängige Stellungnahme zur Lernfähigkeit und -bereitschaft der Tochter liege nicht vor, obwohl die Antragstellerin um die Notwendigkeit wisse; auch die übrige Unterstützung sei nicht in Anspruch genommen oder sich darum bemüht worden. Der fehlende Versuch, die eigenen Behauptungen durch fachlich unabhängige Stellungnahmen zu unterstützen, belege, dass es der Antragstellerin im Wesentlichen um die Einführung einer neuen Form des Lernens gehe und sie die Schulpflicht für ihre Tochter ablehne. Sie könne eine den Bedürfnissen der Tochter entsprechende anerkannte Schule auswählen, sie dort beschulen und im privaten Bereich ergänzend zur Schule das freie Lernen fördern.
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Hierauf replizierte die Antragstellerin, dass eine psychologische Abklärung der Situation ihrer Tochter erst im Gespräch am 18. Mai 2022 angesprochen worden sei. Psychologische Praxen seien gerade für Kinder und Jugendliche extrem nachgefragt und die Wartezeiten würden sich auf bis zu ein Jahr belaufen, wobei sie sich bereits selbst darum gekümmert habe und nun in Aussicht stehe, von einer solchen angenommen zu werden. Einer fachlichen Aufklärung und Unterstützung habe sie sich nie entgegengestellt, sondern sich von unabhängigen Vereinen und Institutionen beraten lassen. Auch die Leiterin der Waldorfschule, bei der das Einschulungsgespräch stattgefunden habe, habe ihnen dringend angeraten und nahegelegt, … unbedingt in eine ihren Bedürfnissen entsprechende Schule wie eine Waldorfschule anzumelden, um ihre Entwicklung nicht zu gefährden. Eine weitere Beschulung dort werde nun angestrebt. Eine Beschulung an einer Pflichtschule mit aufwändiger Eingewöhnungsphase sei angesichts der kurzen Zeit voraussichtlich bis zum neuen Schuljahr und kurzer Überbrückungszeit bis zur Beschulung durch eine passende Schule pädagogisch nicht zu rechtfertigen und auch nicht erfolgversprechend, da sie dort nur ihre Zeit absitzen würde. Das Grundgesetz sehe in Art. 4 Abs. 1 GG die Freiheit des Gewissens und seiner Entscheidungen als unverletzlich an, was auch die Freiheit umfasse, von der öffentlichen Gewalt nicht verpflichtet zu werden, gegen Gebote und Verbote des Gewissens zu handeln.
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte, auch im Verfahren B 3 K 22.289, verwiesen.
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1. Das Gericht legt den Antrag so aus (§ 122 Abs. 1, § 88 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)), dass die Antragstellerin beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 1.b) des Ausgangsbescheids in Gestalt des Widerspruchsbescheids wiederherzustellen, sowie gegen Ziffer 2.b) des Ausgangsbescheids in Gestalt des Widerspruchsbescheids anzuordnen. Gegen die übrigen Ziffern des Ausgangsbescheids hat die Antragstellerin die Klage vor Antragstellung im einstweiligen Rechtsschutz zurückgenommen.
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2. Der in obiger Weise auszulegende Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
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Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen.
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Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen. Das Gericht prüft auch, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind.
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Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der vorliegende Antrag abzulehnen, da die Klage der Antragstellerin insoweit nach summarischer Überprüfung aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids wiegt insoweit schwerer als das Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.
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2.1 Der Antragsgegner hat das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ziffer 1.b) des Ausgangsbescheids - entgegen der Auffassung der Antragstellerin - in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO (noch) genügenden Weise schriftlich begründet, indem er auf die Gefahren und Nachteile einer weiteren Fernhaltung der Tochter von der Schule hingewiesen hat (Rückstand bei der Integration in die Klassengemeinschaft und bei der Entwicklung in der Pflichtschule). Die Tatsache, dass sich hier die Gründe, die nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO für den Sofortvollzug berücksichtigt sind, teilweise mit den Gründen für den Erlass des Verwaltungsakts decken, steht der Annahme einer ausreichenden Begründung nicht entgegen (VG Hamburg, B.v. 27.2.2006 - 15 E 340/06 - BeckRS 2006, 27112; VG München, B.v. 14.12.2021 - M 3 S 21.6390 - juris Rn. 12). Da sich bereits aus dieser Begründung ergibt, dass die „Eigeninitiative“ der Antragstellerin und … den Lernstoff zuhause aufzubereiten, nicht allein maßgeblich sein kann, begegnet die Begründung keinen Bedenken.
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2.2. Ziffer 1.b) des Ausgangsbescheids in Gestalt des Widerspruchsbescheids ist aller Voraussicht nach rechtmäßig.
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2.2.1 Rechtsgrundlage von Ziffer 1.b) des Bescheids ist Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG) in der in der Bayerischen Rechtssammlung (BayRS 2011-2-I) veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. April 2020 (GVBl. S. 236). Danach können die Sicherheitsbehörden, soweit sie nicht anderweitig hierzu ermächtigt sind, Anordnungen für den Einzelfall nur treffen, um rechtswidrige Taten, die den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllen, zu verhüten oder zu unterbinden. Gemäß Art. 76 Satz 1 und 2 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl. S. 414, 632, BayRS 2230-1-1-K), das zuletzt durch Art. 32a Abs. 16 des Gesetzes vom 10. Mai 2022 (GVBl. S. 182) geändert worden ist, sind die Erziehungsberechtigten verpflichtet, auf die gewissenhafte Erfüllung der schulischen Pflichten einschließlich der Verpflichtung nach Art. 56 Abs. 4 Satz 4 BayEUG und der von der Schule gestellten Anforderungen durch die Schülerinnen und Schüler zu achten und die Erziehungsarbeit der Schule zu unterstützen. Die Erziehungsberechtigten müssen insbesondere dafür sorgen, dass minderjährige Schulpflichtige am Unterricht regelmäßig teilnehmen und die sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen besuchen. Mit Geldbuße kann gemäß Art. 119 Abs. 1 BayEUG belegt werden, wer als Schulpflichtige oder Schulpflichtiger am Unterricht oder an den sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen (Art. 56 Abs. 4 Satz 3) vorsätzlich nicht teilnimmt (Nr. 4) oder entgegen Art. 76 Satz 2 nicht dafür sorgt, dass minderjährige Schulpflichtige am Unterricht regelmäßig teilnehmen und die sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen besuchen (Nr. 2). Zur Erfüllung der Verpflichtung aus Art. 76 Satz 2 BayEUG können nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG vollziehbare Anordnungen getroffen werden. Weder Art. 118 Abs. 1 BayEUG noch Art. 119 Abs. 1 Nr. 2 BayEUG treffen abschließende Regelungen; vielmehr bleibt daneben Raum für die zwangsweise Durchsetzung der Schulpflicht gegenüber Erziehungsberechtigten minderjähriger Schulpflichtiger (VG Augsburg, B.v. 7.5.2002 - Au 9 S 02.507 - juris Rn. 17; bestätigt durch BayVGH, B.v. 20.8.2002 - 7 CS 02.1302 - Rn. 20; VG München, B.v. 14.12.2021 - M 3 S 21.6390 - juris; bestätigt durch BayVGH, B.v. 7.1.2022 - 7 CS 21.3152 - BeckRS 2022, 179 Rn. 7, 14). Ob sich Art. 35 Abs. 1 Satz 1 und Art. 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayEUG i.V.m. Art. 76 BayEUG entnehmen lasse, dass die Behörde in Form eines Verwaltungsakts handeln dürfe (für das baden-württembergische Landesrecht ablehnend VG Karlsruhe, U.v. 18.9.2018 - 9 K 4575/17 - juris) kann damit dahinstehen.
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Die Vorschriften des LStVG und des BayEUG gelten auch für die Antragstellerin als Erziehungsberechtigte und ihre Tochter als Schulpflichtige gemäß Art. 35 Abs. 1 Satz 1, Art. 37 Abs. 1 Satz 1 BayEUG, wobei diese Voraussetzungen im September 2021 für die Tochter der Antragstellerin erfüllt waren.
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2.2.2 Das Landratsamt konnte die Antragstellerin verpflichten, den regelmäßigen Schulbesuch ihrer Tochter sicherzustellen. Die Kammer versteht die Formulierung „sicherstellen“ in Ziffer 1 des Bescheids nach dem objektiven Empfängerhorizont nicht dahingehend, dass eine andere Handlung als das gesetzlich vorgeschriebene „Sorgetragen“ gefordert wird. Gemäß Art. 37 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Das bedeutet zum einen, dass der Adressat in die Lage versetzt werden muss, zu erkennen, was von ihm gefordert wird. Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist entsprechend §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist der erklärte Wille maßgebend, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte. Bei der Ermittlung dieses objektiven Erklärungswertes sind alle dem Empfänger bekannten oder erkennbaren Umstände heranzuziehen, insbesondere auch die Begründung des Verwaltungsakts. Die Begründung bestimmt den Inhalt der getroffenen Regelung mit, so dass sie in aller Regel unverzichtbares Auslegungskriterium ist (BVerwG, U.v. 16.10.2013 - 8 C 21/12 - NVwZ 2014, 889 Rn. 14). Der Gesetzeswortlaut muss aber in der Verfügung nicht wiederholt werden (arg. e contrario Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 37 Rn. 27, 33). Ausweislich der Begründung des Bescheids (Seite 2, 3) wird auf den Gesetzeswortlaut Bezug genommen und somit wird deutlich, dass von der Antragstellerin das Sorgetragen und nicht mehr verlangt wird. Auch in der Klageerwiderung wird darauf abgestellt, dass die Eltern meinungsbildend und überzeugend auf ihre Kinder einzuwirken haben. Durch diese Auslegung wird dem Gesetzeswortlaut Rechnung getragen und zwischen der Erfüllung durch den Pflichtigen selbst und den Einwirkungspflichten des Erziehungsberechtigten unterschieden. Diese Differenzierung ist - insoweit im Einklang mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts Karlsruhe in seinem Urteil vom 18. September 2018 - 9 K 4575/17 - (juris Rn. 35) - erforderlich. Bei diesem „Sicherstellen“ handelt es sich nicht um etwas objektiv Unmögliches. Die Verantwortung der Erziehungsberechtigten bezieht sich in diesem Zusammenhang neben der Anmeldung des Kindes an einer Schule darauf, den regelmäßigen Besuch der verpflichtenden schulischen Veranstaltungen durchzusetzen und dementsprechend erzieherisch auf das Kind einzuwirken. Es versteht sich von selbst, dass dies gewaltfrei zu geschehen hat, und es unterliegt auch keinen Zweifeln, dass dies ohne körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen oder entwürdigende Maßnahmen anderer Art möglich ist (vgl. zum Sorgetragen: VGH BW, B.v. 14.7.2014 - 9 S 897/14 - BeckRS 2014, 54436). Das geforderte „sicherstellen“ darf im Ergebnis jedoch nicht darauf abzielen, dass das Landratsamt die Verpflichtung erst und nur dann als erfüllt ansieht, wenn die Kinder ihre Schulpflicht wieder erfüllen, da es durchaus vorkommt, dass sich Kinder dem elterlichen Einfluss vollständig entziehen. So verstanden, begegnet die Formulierung keinen Bedenken. Für die Erfüllung der Schulpflicht sind damit auch die Eltern verantwortlich. Solange die Kinder und Jugendlichen der Schulpflicht im engeren Sinne unterliegen - also spätestens bis zum Eintritt der Volljährigkeit - können und müssen die jeweils zuständigen Behörden die Befolgung dieser Pflicht daher gegebenenfalls zunächst von den Eltern einfordern und dann auch mit Zwangsmitteln gegenüber den Eltern durchsetzen (Rux, Schulrecht, 6. Auflage 2018, § 2 Rn. 389). Der Verwaltungsakt ist daher - anders als die Antragstellerin meint - auch nicht nichtig. Ein Fall des Art. 44 Abs. 2 BayVwVfG, sog. absolute Nichtigkeitsgründe, liegt nicht vor. Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 44 Abs. 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig, den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann (Ziffer 4), der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht (Ziffer 5) oder der gegen die guten Sitten verstößt (Ziffer 6). Die Antragstellerin verkennt, dass sie durch den Bescheid nicht dazu verpflichtet wurde, dafür zu sorgen, dass … in der Schule tatsächlich etwas lernt, sondern dazu, dass sie die Schule regelmäßig besucht. Von der Antragstellerin wird nicht verlangt, eine rechtswidrige Tat zu begehen, wenn sie letztlich inhaltlich verpflichtet wird, meinungsbildend und überzeugend auf die Tochter einzuwirken, was keine Straftat darstellt. Auch bei einer gewaltfreien Erziehung im Sinne des § 1631 BGB bestehen ausreichende erzieherische Möglichkeiten, das Verhalten der Kinder zu beeinflussen, ohne dabei Gewalt auszuüben. Ausweislich des Schreibens des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 8. Oktober 2021, das die Antragstellerin selbst zitiert, sei festzuhalten, dass kein Testzwang bestehe, d.h. die Schülerinnen und Schüler würden nicht zwangsweise (etwa mit Hilfe der Polizei oder des Ordnungsamtes) der Schule zugeführt und auch nicht zwangsweise getestet. Ein Verstoß gegen die guten Sitten ist wie auch eine sonstige Nichtigkeit nach Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG nicht ersichtlich.
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2.2.3 Die unstreitig schulpflichtige Tochter der Antragstellerin kommt mit eintägiger Unterbrechung seit September 2021 der Schulpflicht und der daraus folgenden Schulbesuchspflicht nicht nach. Die Weigerung, der infektionsschutzrechtlich in § 12 Abs. 2 Satz 1 der 15. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung - BayIfSMV angeordneten Zugangsvoraussetzung nachzukommen und deshalb nicht am Präsenzunterricht teilnehmen zu können, führt jedenfalls seit dem Inkrafttreten der Verordnung zur Änderung der 14. BayIfSMV vom 5.10.2021 (BayMBl Nr. 715) zu einer Verletzung der Schulpflicht. Seit diesem Zeitpunkt besteht eine unbedingte Testpflicht für schulpflichtige Schülerinnen und Schüler. Mit § 1 Nr. 3 Buchst. a der Änderungsverordnung in § 13 Abs. 2 14. BayIfSMV vom 1.9.2021, der Vorgängerregelung von § 12 Abs. 2 15. BayIfSMV, wurde die Regelung eingefügt, dass die Schulpflicht unberührt bleibe. Der Begründung der Änderungsverordnung (abgedruckt in BayMBl Nr. 716) ist hierzu unter anderem zu entnehmen, dass Schülerinnen und Schüler, die die erforderlichen Testnachweise nicht erbrächten, nicht nach § 20 Abs. 1 Satz 1 der Bayerischen Schulordnung - BaySchO aus zwingenden Gründen verhindert seien, am Unterricht oder einer sonstigen verbindlichen Schulveranstaltung teilzunehmen und fehlten damit unentschuldigt. Denn nach den insoweit eindeutigen Vorgaben in Art. 36 Abs. 1 und Art. 56 Abs. 4 Satz 3 BayEUG wird die bestehende Schulpflicht in der Regel durch Besuch des Präsenzunterrichts erfüllt. Ein Verstoß der Antragstellerin gegen die Pflicht nach Art. 76 Satz 2 BayEUG entfällt daher auch nicht etwa deswegen, weil ihrer Tochter D. nach § 19 Abs. 4 BaySchO zu erteilen wäre. Weder ist die Schule derzeit von einer Schließung betroffen bzw. die Klasse oder ein Kurs der Tochter der Antragstellerin ausgeschlossen, § 19 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 Buchst. a) BaySchO, noch der Ausschluss der Tochter der Antragstellerin i.S.v. § 19 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 Buchst. b) BaySchO durch die zuständigen Behörden zum Schutz von Leben oder Gesundheit angeordnet oder genehmigt (BayVGH, B.v. 7.1.2022 - 7 CS 21.3152 - NVwZ-RR 2022, 218 Rn. 9 ff.; VG München, B.v. 14.12.2021 - M 3 S 21.6390 - juris). Dass die Regelung in § 12 Abs. 2 Satz 1 15. BayIfSMV, beruhend auf § 28 Abs. 1, § 28a Abs. 1 Nr. 16 IfSG (Auflagen für die Fortführung des Schulbetriebs), auf einer verfassungsmäßigen Rechtsgrundlage beruht, wurde ebenfalls bereits obergerichtlich geklärt. Auch die erkennende Kammer hat bei der gebotenen summarischen Prüfung keine durchgreifenden Bedenken, dass die vorgenannten Bestimmungen eine ausreichende Verordnungsermächtigung für den durch sie erfolgenden Grundrechtseingriff darstellen und sie insbesondere auch dem Wesentlichkeitsgrundsatz und dem Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG entsprechen. Die Testpflicht ist ebenfalls nach summarischer Prüfung verhältnismäßig. Auf die Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes in seinem Beschluss vom 7. Januar 2022 - 7 CS 21.3152 - (BeckRS 2022, 179 Rn. 16 ff.) wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen verwiesen. Dies gilt auch für die Pflicht zum Tragen einer Maske im Unterricht, wobei sich das Gericht den obergerichtlichen Ausführungen vollumfänglich anschließt (BayVGH, B.v. 28.9.2021 - 25 NE 21.2372 - BeckRS 2021, 30952 Rn. 24 ff.). Sowohl die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung als auch die Pflicht zur Durchführung der Tests zur Feststellung einer Erkrankung mit dem Coronavirus ist ohnehin zwischenzeitlich weggefallen, sodass sie als Argument gegen eine Schulpflichtverletzung nicht weiterführen.
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2.2.4 Eine von der Antragstellerin vorgenommene Unterweisung ihrer Tochter zu Hause stellt keinen Unterricht im Sinne des Art. 76 Satz 2 BayEUG dar. Daher verfängt ihr Einwand auch nicht, wonach sie wiederholt auf ihre Eigeninitiative bezüglich der Aufbereitung des Lernstoffes hingewiesen hätte, was bei Bescheiderlass nicht berücksichtigt worden sei.
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Nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 BayEUG haben die Schulen den in der Verfassung verankerten Bildungs- und Erziehungsauftrag zu verwirklichen. Art. 36 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 BayEUG nennt die Schularten, an denen die Schulpflicht erfüllt werden kann. In Betracht kommen dabei sowohl die öffentlichen Schulen als auch die privaten Ersatzschulen (Art. 90 Satz 3 BayEUG) der angeführten Schularten. Nach Art. 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BayEUG kann an einer Ergänzungsschule die Schulpflicht nur erfüllt werden, wenn das Staatsministerium die Eignung der Schule hierfür festgestellt hat; dies gilt auch für Grundschulen (Dirnaichner in PdK Bay G-1, BayEUG Art. 36 1.). Die Angebote, die die Tochter der Antragstellerin nutzt, erfüllen diese formellen Voraussetzungen nicht, was sie auch selbst nicht behauptet. Es steht der Antragstellerin frei, ihre Tochter an einer anerkannten privaten Ersatzschule anzumelden, in der sie ihrem Bildungsrecht nachkommen kann.
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Der umfassende Bildungs- und Erziehungsanspruch des Staates bedarf durchaus einer eigenen Rechtfertigung (Rux, SchulR, 6. Aufl. 2018, § 2 Das Schulverhältnis im engeren Sinne: Die Schulpflicht und das Recht auf Bildung, Rn. 140). Durch die Erziehung in der staatlichen Schule werden zwangsläufig Grundrechte von Eltern und Schülern berührt, dies nicht nur wegen der Schulpflicht, sondern auch deswegen, weil die staatliche Schule, die allen jungen Bürgern gemäß ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröffnen soll, der Verwirklichung des Rechts auf Bildung dient (BVerwG, U.v. 15.11.1974 - VII C 12/74 - NJW 1975, 1182). Die Rechtfertigung wird aus Art. 7 Abs. 1 GG gefolgert. Es besteht nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts „kein Zweifel daran, dass der historische Begriff der Schulaufsicht nicht nur Aufsichtsrechte im engeren Sinne umfasst, sondern dass darunter der Inbegriff der staatlichen Herrschaftsrechte über die Schule, nämlich die Gesamtheit der staatlichen Befugnisse zur Organisation, Planung, Leitung und Beaufsichtigung des Schulwesens zu verstehen ist“ (BVerwG, B.v. 28.12.1957 - VII B 9.57 - BeckRS 1957, 102895). „Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG erkennt die Pflege und Erziehung der Kinder als das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht an. Andererseits enthält diese Vorschrift keinen ausschließlichen Erziehungsanspruch der Eltern. Der Staat ist in der Schule nicht auf das ihm durch Art. 6 Abs. 2 GG zugewiesene Wächteramt beschränkt. Der staatliche Erziehungsauftrag in der Schule, von dem Art. 7 Abs. 1 GG ausgeht, ist in seinem Bereich dem elterlichen Erziehungsrecht nicht nach-, sondern gleichgeordnet. Die Eltern haben das Recht, den Bildungsweg des Kindes zu bestimmen. Das Wahlrecht der Eltern zwischen den vom Staat zur Verfügung gestellten Schulformen darf nicht mehr als notwendig begrenzt werden, ohne dass daraus ein Recht der Eltern abgeleitet werden könnte, dass der Staat eine bestimmte, an deren Wünschen orientierte Schulform zur Verfügung stellen muss“ (BVerfG, U.v. 9.2.1982 - 1 BvR 845/79 - NJW 1982, 1375).
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Das Grundgesetz selbst normiert die Schulpflicht nicht ausdrücklich. Auch wenn das Grundrecht aus Art. 6 GG keinem Gesetzesvorbehalt unterliegt, ist es Einschränkungen zugänglich, die sich aus der Verfassung selbst ergeben. Hierzu gehört der dem Staat in Art. 7 Abs. 1 GG erteilte Erziehungsauftrag. Infolge dessen erfährt das elterliche Erziehungsrecht durch die zur Konkretisierung dieses staatlichen Auftrags erlassene allgemeine Schulpflicht in grundsätzlich zulässiger Weise eine Beschränkung. Der staatliche Erziehungsauftrag richtet sich nicht nur auf die Vermittlung von Wissen und die Erziehung zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit. Er richtet sich auch auf die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die gleichberechtigt und verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilhaben. Soziale Kompetenz im Umgang auch mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung können effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind (BVerfG, B.v. 31.5.2006 - 2 BvR 1693/04 - BeckRS 2009, 38783 Rn. 9 ff.). Nach der einhelligen Meinung der Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, wird das Elternrecht durch die allgemeine Schulpflicht in verfassungskonformer Weise eingeschränkt, weswegen ein Vorlageverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG daher nicht infrage kommt. Die Eltern können die Erfüllung der Schulpflicht nicht unter Berufung auf eine Glaubens- und Gewissensfreiheit oder auf andere Gründe, aus denen sie die öffentliche Schule für ungeeignet halten, verweigern.
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Im Einzelfall sind Konflikte zwischen dem Erziehungsrecht der Eltern und dem Erziehungsauftrag des Staates im Wege einer Abwägung nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz zu lösen.
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Rux führt zwar aus, dass die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit der Schulpflicht nicht ausschließe, dass Schüler von der Schulpflicht befreit werden können, wenn sie selbst zeigen, dass und wie sie in der Lage sind, sich die erforderlichen Kompetenzen anzueignen („Freilerner“) und aufgrund der individuellen Umstände kein Zweifel bestehe, dass sie sich der Gesellschaft öffnen und auf ein Leben in einer pluralistischen Gesellschaft vorbereiten. Eine Ausnahme von der Schulpflicht sei aber nur dann gerechtfertigt, wenn zum einen ein wichtiger Grund vorliege und zum anderen hinreichender Unterricht oder eine anderweitige gleichwertige Förderung gewährleistet sei. Kein wichtiger Grund für eine vollständige Befreiung von der Schulpflicht sei die Teilnahme am Heim- oder Hausunterricht („Home-Schooling“) oder der Besuch - bzw. die Teilnahme am Fernunterricht - einer nicht als Ersatzschule anerkannten Privatschule. Die Eltern könnten auch nicht eine „Privatschule“ gründen, die nur von ihren eigenen Kindern besucht werde. Im Falle der „Freilerner“ gehe es um die (kleine) Gruppe von Kindern und Jugendlichen, die aus eigener Initiative zu dem Entschluss kommen, sich der Schulpflicht zu verweigern, weil sie für sich andere und bessere Wege gefunden haben, sich die erforderlichen Kompetenzen anzueignen und die den für die Durchsetzung der Schulpflicht zuständigen Behörden deutlich machen können, dass es ihnen nicht darum geht, sich der pluralistischen Gesellschaft zu verweigern. Dies müsse von den zuständigen Stellen sorgfältig geprüft werden - auch durch Einzelgespräche mit den betroffenen Kindern und Jugendlichen. Es müssten regelmäßig Gespräche stattfinden und die Kinder und Jugendlichen müssten sich auch Lernstandskontrollen unterwerfen (Rux, SchulR, 6. Auflage 2018, § 2 Das Schulverhältnis im engeren Sinne: Die Schulpflicht und das Recht auf Bildung, Rn. 168, 369 ff.). Der Vortrag der Antragstellerin erfüllt dies jedenfalls nicht. Es ist schon kein wichtiger Grund bzw. ein begründeter Einzelfall für eine Befreiung des Kindes ersichtlich. Die Antragstellerin wird nicht in ihren verfassungsmäßigen Rechten verletzt.
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2.2.5 Vorliegend sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Tochter der Antragstellerin einen Anspruch auf Hausunterricht durch die Schule hätte. Die Voraussetzungen für Hausunterricht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 1 BayEUG liegen nicht vor. Die Antragstellerin hat lediglich ausgeführt, dass eigene gesundheitliche Beeinträchtigungen ihrer Tochter bestanden hätten, die ein Fernbleiben von der Schule gerechtfertigt hätten, ohne dies zu konkretisieren. Auch die - bisher lediglich am 16. Mai 2022 - aufgetretenen Kopf-, Bauch- und Rückenschmerzen führen ohne weitere Erkenntnisse und weiterem Vortrag nicht zu einer längerfristigen Erkrankung oder eine fehlende Schulbesuchsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen i.S.d. Art. 23 Abs. 2 BayEUG.
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2.2.6 Die Tochter der Antragstellerin ist weder vom Schulbesuch beurlaubt noch hat sie einen Anspruch hierauf. Nach § 20 Abs. 3 Satz 1 BaySchO, können Schülerinnen und Schüler auf schriftlichen Antrag in begründeten Ausnahmefällen vom Unterricht in einzelnen Fächern befreit oder vom Schulbesuch beurlaubt werden. Ein derartiger Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben. Auch was den Schulbesuch an sich angeht, ist nicht ersichtlich, dass dieser für die Tochter der Antragstellerin mit (gegenüber der Situation anderer Kinder) weitergehenden Gefährdungen oder anderweitigen Belastungen verbunden wäre. Die Möglichkeit der Beurlaubung nach § 20 Abs. 3 Satz 1 BaySchO soll Ausnahmesituationen Rechnung tragen, nicht aber ein Wahlrecht der Eltern eröffnen, ob ihre Kinder die Schule besuchen (VG München, B.v. 14.12.2021 - M 3 S 21.6390 - juris Rn. 24).
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2.2.7 Die Ausführungen der Antragstellerin sprechen dagegen, dass sie als nach Art. 76 Satz 2 BayEUG hierzu Verpflichtete bislang alles getan hat, ihre minderjährige schulpflichtige Tochter zu einer regelmäßigen Teilnahme am verpflichtenden Präsenzunterricht anzuhalten. In diesem Zusammenhang reicht es nicht aus, lediglich zu behaupten, das Kind sei nicht bereit, die Schule zu besuchen und dessen Wille werde respektiert, wie es die Antragstellerin hier vorträgt. Es geht vorliegend darum, dass die Antragstellerin meinungsbildend auf ihr Grundschulkind einwirken soll. Da die Schule ein abwesendes Kind nicht - vor allem nicht gegen den Willen der Erziehungsberechtigten - überzeugen kann, liegt es an der Antragstellerin als Erziehungsberechtigter dies zu tun. Hierzu soll sie durch den streitgegenständlichen Bescheid unter Androhung von Zwangsgeld angehalten werden. Die Antragstellerin ist verpflichtet, auf die Teilnahme ihres Kindes am Präsenzunterricht hinzuwirken. Zwar erkennt die Kammer an, dass Fälle denkbar sind, in denen die Erziehungsberechtigten hinreichend erzieherisch auf ihr Kind einwirken, ihr Handeln aber gleichwohl nicht zum Erfolg führt, etwa wenn das Kind sich nicht nur dem schulischen, sondern auch dem elterlichen Einfluss entzieht. Dass dieser Einflussverlust im vorliegenden Fall bei der Tochter der Antragstellerin bereits so weit fortgeschritten wäre, kann nicht festgestellt werden. Vielmehr legen es die Umstände nahe, dass die Antragstellerin ihren Einfluss nicht dergestalt ausüben will, was sie auch bestätigt, wenn sie schreibt, dass sie … Willen respektiere, die sich absolut weigere, unter diesen Bedingungen in die Schule zu gehen. Für diese Annahme spricht, dass … im Zeitpunkt dieses Vortrags bislang keinen einzigen Tag in der Schule verbracht hat. Wie es daher sein kann, dass … nun wieder Lebensfreude und Selbstbewusstsein zeige und das Lernen ihr wieder Spaß mache, was vorher an der Schule nicht gegeben gewesen sei, ist nicht nachvollziehbar. Darüber hinaus gibt die Antragstellerin selbst an, dass sie der Meinung ist, dass das was an vielen Schulen seit einiger Zeit passiere, Kindeswohlgefährdung sei. Es überzeugt daher nicht, dass die Tochter diesem Thema vollkommen verschlossen sein soll. Die Antragstellerin trägt aber nicht einmal vor, dass sie der Tochter erklärt hat, dass sie verpflichtet ist, den Präsenzunterricht zu besuchen. Die Kammer ist nach allgemeiner Lebenserfahrung zuversichtlich, dass derartige Bestrebungen bei der siebenjährigen Tochter zur Einsicht führen werden. Die Kammer zweifelt auch nicht an dem Vermögen der Antragstellerin, die Tochter einfühlsam zu informieren und anzuleiten. Notfalls ist sie aber auch gehalten, sich professioneller pädagogischer Hilfe zu bedienen. Unabhängig von der Frage wann sie hierüber informiert wurde, hat die Antragstellerin bisher lediglich pauschal darauf verwiesen, sich darum gekümmert zu haben und es sei in Aussicht bei einer Praxis angenommen zu werden.
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2.2.8 Nach alledem war nach pflichtgemäßen Ermessen darüber zu entscheiden, ob das Landratsamt zur Verhütung bzw. Unterbindung dieser Ordnungswidrigkeit für den Einzelfall eine Anordnung gegenüber den Erziehungsberechtigten erlässt. Es kommt also nicht darauf an, ob „nach dem Schulgesetz nicht geregelt werde (…) ob der Behörde bei einer solchen Entscheidung Ermessen zustehe“, da das LStVG als maßgebliche Rechtsgrundlage diese Voraussetzungen erfüllt. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Zwar wird im - zugegebenermaßen - sehr knapp gefassten Bescheid nicht ausdrücklich herausgestellt, dass es sich um eine Ermessensentscheidung handelt. Ein Ermessensausfall ist darin aber nicht zu erkennen. Das Landratsamt verkennt nicht, dass Entscheidungsspielraum besteht. Es führt aus, dass die Anordnung ergeht, weil die Antragstellerin bisher trotz entsprechender Aufforderung nicht bereit gewesen sei, ihrer Verpflichtung nachzukommen. Aus diesem Grund hält das Landratsamt ein Einschreiten für geboten und wägt im Anschluss die Schulpflicht, die im Grundgesetz (Art. 7 GG) wurzelt, gegen das elterliche Erziehungsrecht ab. Im Übrigen macht jedenfalls der Widerspruchsbescheid deutlich, dass es sich um einen Ermessensverwaltungsakt handelt und wägt die betroffenen Positionen gegeneinander ab. Weniger einschneidende Maßnahmen sind vorliegend zur Durchsetzung der elterlichen Verpflichtung zur Sicherstellung des regelmäßigen Schulbesuchs der Tochter der Antragstellerin nicht ersichtlich. Der Bescheid enthält Ausführungen zur Testpflicht und dazu, dass die von der Antragstellerin dargelegten Gründe zu keiner anderen Beurteilung führen würden, sodass sie zur Kenntnis genommen wurden. Es kann daher nicht erkannt werden, dass das Vorbringen der Antragstellerin, d.h. die „besonderen Umstände der Pandemie“ und die „diesbezüglichen möglichen Gesundheitsbeeinträchtigungen als Auslöser und maßgeblicher Entscheidungsgrund für eine selbstbestimmte Bildung ohne Schulbesuch“ unberücksichtigt geblieben sind, nur weil sie nach Auffassung des Landratsamtes und der Regierung nicht durchgreifen.
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2.3 Ziffer 2.b) des Bescheids in der Form, die diese durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat, ist aller Voraussicht nach rechtmäßig. Die Einwände der Antragstellerin verfangen nicht. Mit Zwangsmitteln soll im streitgegenständlichen Bescheid durchgesetzt werden, dass die Antragstellerin ihrer Verpflichtung zum Sorgetragen nachkommt, nicht die Pflicht ihrer Tochter die Schule zu besuchen. Wie bereits ausgeführt, kann es sein, dass Eltern ihren Einfluss auf ihre Kinder verlieren, weswegen die Eltern ihre Verpflichtung zum Sorgetragen erfüllt haben mögen und das Kind (aus eigenem Antrieb) trotzdem nicht die Schule besucht, aber hiervon geht die Kammer nach obigen Ausführungen nicht aus. Der Widerspruchsbescheid führt zur Abänderung nunmehr zutreffend aus, dass das angedrohte Zwangsgeld von 1.000 Euro in der Höhe angemessen und nicht unverhältnismäßig sei, da es sich im unteren Bereich des durch Art. 31 Satz 1 VwZVG eröffneten Rahmens bewege und in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck stehe, die Widerspruchsführerin dazu anzuhalten, ihrer Verpflichtung nachzukommen. Nachdem der Behörde innerhalb des gesetzlichen Rahmens (15 Euro bis 50.000 Euro) ein weiter Entscheidungsspielraum zukommt, bei dem die Umstände des Einzelfalls und die persönlichen Verhältnisse des Pflichtigen zu berücksichtigen sind, ist vorliegend kein Fehler zu erkennen. Eine besondere Begründung für die geschätzte Höhe des wirtschaftlichen Interesses ist regelmäßig nicht erforderlich (BayVGH, B.v. 9.11.2021 - 9 ZB 19.1586 - BeckRS 2021, 36719 Rn. 10).
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Da die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, war auch der Antrag auf Prozesskostenhilfe abzulehnen (§ 166 VwGO, § 114 ZPO).
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5. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffern 1.5, 1.7.2, 38.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).