Titel:
Androhung der Entlassung von der Schule, verschärfter Verweis, Gewaltanwendung, zureichende Sachverhaltsermittlung
Normenketten:
BayEUG Art. 86 Abs. 2 S. 1 Nr. 9
BayEUG Art. 86 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
Schlagworte:
Androhung der Entlassung von der Schule, verschärfter Verweis, Gewaltanwendung, zureichende Sachverhaltsermittlung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31669
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Kläger darf die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v. H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
1
Der am … 2005 geborene Kläger wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem ihm die Entlassung von der Schule (...) angedroht wurde sowie einen vorangegangenen verschärften Verweis.
2
Dem Kläger wurden im Jahr 2019 zwei schriftliche Verweise und im Jahr 2020 zwei verschärfte Verweise erteilt. Zur Begründung des Verweises vom 22. März 2019 (erteilt durch den stellvertretenden Schulleiter der Schule) ist ausgeführt, dass der Kläger einem Mitschüler den Stuhl weggezogen habe, sodass dieser umgestürzt und mit dem Kopf auf den Boden aufgeprallt sei. Der Verweis vom 2. Oktober 2019 (erteilt durch den Schulleiter) wurde damit begründet, dass der Kläger eine zunächst verbale Auseinandersetzung mit einem Mitschüler gehabt habe und in der darauffolgenden Pause der Kläger den Mitschüler geschubst und anschließend einen Schlag in den Bauch versetzt habe. Laut verschärftem Verweis vom 8. Januar 2020 (erteilt durch den stellvertretenden Schulleiter) habe der Kläger Mitschüler mehrfach im Gespräch beleidigt, geschubst, in bedrohlicher Weise gegen die Wand gedrückt oder Gewalt angedroht. Der verschärfte Verweis vom 30. September 2020 (erteilt durch den Schulleiter) enthielt die Begründung, dass der Kläger einem Mitschüler gegenüber schwere Drohungen ausgestoßen und dabei eine Gewalttat mithilfe eines Messers angekündigt habe.
3
Am … 2020 fuhr der Kläger mit seinen Mitschülern L., M., J. (alle Klasse ...) sowie L. (Klasse ...) mittags nach Unterrichtsschluss mit dem Bus vom … zum … Es kam zu einem verbalen Streit zwischen L. und der anderen Jungengruppe sowie zu - im Einzelnen strittiger - Gewaltanwendung. Der Schulleiter bzw. sein Stellvertreter führten hierzu mit dem Zeugen J. ein und mit der Zeugin L. (Klasse …) sowie den Zeugen M. und L. jeweils zwei Gespräche. L. äußerte sich gegenüber dem Schulleiter nicht.
4
Den Eltern des Klägers wurde unter dem 3. November 2020 vom Schulleiter das vorläufige Ergebnis der Untersuchung mitgeteilt und sie wurden zum Vorfall angehört. Der Kläger äußerte sich über seinen Rechtsanwalt dahingehend, dass J. sich am … 2020 im mittleren Teil des Busses, die übrigen drei Jungs im vorderen Teil des Busses in der Nähe der vorderen Einstiegstür befunden hätten. Unmittelbar vor Abfahrt des Busses sei noch L. in den Bus gestiegen und habe im Eingangsbereich des Busses unmittelbar vor dem (vom Busfahrer aus gesehen) linken Flügel der vorderen Einstiegstür gestanden. Es sei zutreffend, dass sich im Bus ein verbaler Schlagabtausch zwischen L. und D. entsponnen habe, wobei es von beiden Seiten zu Beleidigungen gekommen sei. Die Provokation habe allerdings von Seiten L. begonnen. Als der Bus am … gehalten habe, seien zunächst der Kläger, L. und M. aus dem Bus gestiegen. L. habe vor ihnen den Bus nicht verlassen können, da der Busfahrer den (vom Busfahrer aus gesehen) linken Flügel der vorderen Einstiegstüre nicht geöffnet habe und die Absperrung im Einstiegsbereich des Busses ihn daran gehindert habe, den Bus sogleich über den anderen Türflügel zu verlassen. Der Kläger, L. und M. seien den Bus entlang zur hinteren Ausstiegstür gegangen, von der aus J. den Bus verlassen habe. L. habe von hinten den Kläger angerempelt. Daraufhin hätten beide sich geschubst, worauf L. mit dem in seiner Hand befindlichen Gitarrenkoffer ausgeholt habe und diesen gegen die linke Wange des Klägers geschlagen habe. Daraufhin habe der Kläger L. zu Boden gedrückt, damit er ihn nicht noch einmal mit dem Gitarrenkoffer schlagen habe können. Er habe L. kurzzeitig am Boden gehalten und dann wieder von ihm abgelassen. In diesem Moment sei …, Schülerin der … Jahrgangsstufe, hinzugekommen. Sie sowie eine ältere Dame hätten die beiden Schüler voneinander getrennt. Es könne keine Schlussfolgerung zu Lasten des Klägers aus der Feststellung gezogen werden, dass L. den Vorfall gegenüber seinen Eltern bestätigte, gegenüber der Schulleitung jedoch keine Aussage tätigte. Die Mutter des Klägers habe am … 2020 eine Hautrötung an der Wange des Klägers festgestellt, dem jedoch keine relevante Bedeutung beigemessen, da sie zu diesem Zeitpunkt von dem Vorfall noch nichts gewusst habe.
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Zum verschärften Verweis vom 30. September 2020 sei auszuführen, dass Ausgangspunkt gewesen sei, dass sich V. im Englisch-Unterricht (3. Stunde) über einen Fehler des Klägers wiederholt lustig gemacht habe. Dieser Streit habe sich in der 4. Unterrichtsstunde zugespitzt, da der Kläger und V. im Fach Französisch nebeneinander gesessen hätten. In der 5. Unterrichtsstunde hätten die beiden gemeinsam Sportunterricht. V. habe dem Kläger hier mit einer körperlichen Auseinandersetzung nach Ende des Unterrichts gedroht. Aus Angst vor einer solchen mit dem ihm körperlich weitaus überlegenen V. (1.70 m gegenüber knapp 2 m) habe der Kläger zu diesem gesagt, dass er ein Messer dabei hätte und V. die Konsequenzen tragen müsse, wenn er ihn angreife. V. und der Kläger hätten sich dann gegenseitig geschubst, worauf V. plötzlich in Tränen ausgebrochen sei. In der 6. Unterrichtsstunde hätten sich V. und der Kläger versöhnt, nachdem sie von der Lehrerin angewiesen worden seien, den Raum zu verlassen. Es müsse berücksichtigt werden, dass der Kläger die Drohung ausgesprochen habe, um V. von einer körperlichen Auseinandersetzung abzuhalten und dass die Schüler das Problem selbst gelöst hätten. Bei dem streitgegenständlichen Messer handele es sich um ein zweiteiliges Essbesteck.
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Zum verschärften Verweis vom 8. Januar 2020 sei auszuführen, dass es unmittelbar nach Ende der Weihnachtsferien im Januar 2020 zwischen dem Kläger und seinem engen Freund J. zu heftigen Streitigkeiten gekommen sei. Der Kläger habe sich aufgrund gegenseitiger Provokationen schlussendlich dazu hinreißen lassen, J. gegen die Wand zu drücken. Aufgrund der ausgeglichenen körperlichen Konstitutionen der beiden sei nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, dass dies in besonders bedrohlicher Weise erfolgt sei, zumal … währenddessen beide mit seinem Handy gefilmt habe bis er vom ebenfalls anwesenden … aufgefordert sei dies zu unterlassen. Bei einer für J. bedrohlichen Situation wäre davon auszugehen, dass zumindest einer der beiden ebenfalls anwesenden Mitschüler … und … helfend eingegriffen hätten. Es sei nicht nachvollziehbar, wie zu der Schlussfolgerung gelangt werde, dass sich zum wiederholten Male bestätigt habe, dass es der Kläger sei, der zuerst handgreiflich werde. Es werde ein Lehrer des Vertrauens sowie ein Mitglied des Elternbeirates benannt.
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Am 26. November 2020 fand die Sitzung des Disziplinarausschusses statt. Die Elternbeiratsvorsitzende verwies darauf, dass der Ablauf des Vorfalls nicht vollständig geklärt sei. Der Lehrer des Vertrauens gab an, dass er den Kläger nie als grundlos gewalttätig erlebt habe. Der Disziplinarausschuss beschloss mit 7 zu 2 Stimmen die Androhung der Entlassung von der Schule.
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Mit Bescheid vom 30. November 2020 sprach der Schulleiter dem Kläger gemäß Art. 86 Abs. 2 Nr. 9 BayEUG die Androhung der Entlassung von der Schule aus. Kosten wurden nicht erhoben.
9
Zu Begründung wird unter anderem ausgeführt, dass die Schülerin der Klasse … den Vorfall dahingehend beschrieben habe, dass alle genannten Personen am … aus dem Bus ausgestiegen seien. Der Kläger sei L. hinterher gelaufen, habe ihn von hinten geschubst, ihn „in den Schwitzkasten“ genommen und zu Boden geworfen. L. und M. hätten beide ohne Zögern den Vorfall wie von … beschrieben geschildert. Der Angriff sei auch in ihren Augen deutlich vom Kläger ausgegangen. Bezüglich des Gitarrenkoffers sei es zu widersprüchlichen Aussagen gekommen. Der Kläger habe den angeblich gegen ihn geführten Schlag gegenüber der Schulleitung zunächst mit keinem Wort erwähnt, wie auch die Zeugen L. und M. Lediglich der Zeuge L. habe ausgesagt, dass der Kläger einen leichten Schlag mit dem Gitarrenkoffer ans Bein bekommen habe, ohne dass dies aber seine Aussage, wonach der Angriff vom Kläger ausging, einschränke. …, die den ganzen Vorfall genau beobachtet hätte, habe auf Nachfrage angegeben, dass sie keinen Schlag mit dem Gitarrenkoffer gesehen habe. M. und L. hätten in ihrer zweiten Vernehmung ausgesagt, dass es einen Schlag mit dem Gitarrenkoffer gegeben habe, allerdings erst nachdem der Kläger L. gepackt habe. Auf die Frage, warum sie dieses wichtige Detail bei ihrer ersten Vernehmung nicht erwähnt hätten, hätten sie keine Antwort geben können. Auf Nachfrage hätten sie erklärt, dass zwischenzeitlich auch die Mutter des Klägers bezüglich des Vorfalls mit ihnen gesprochen habe. J. habe den Schlag mit dem Gitarrenkoffer bestätigt, aber auch eingeräumt, dass dies kein „bewusst geführter Schlag“ gewesen sei. Aufgrund dessen zweifele die Schule die Aussage des Klägers an. Insbesondere … stehe zu keinem der beiden Jungen in persönlichen Kontakt und ihre Aussage sei frei von Widersprüchen und habe sich nicht im Laufe der Zeit verändert. Sie werde als sehr gewissenhaft und glaubwürdig eingestuft. Zu der Frage, ob der Kläger den am Boden liegenden L. noch geschlagen habe, würden der Schulleitung uneinheitliche Zeugenaussagen vorliegen. M. habe in seiner ersten Aussage gesagt, dass der Kläger L. geschlagen habe, dies aber in der zweiten Aussage widerrufen. L. habe auch in der zweiten Aussage erwähnt, dass der Kläger L. gegen die Brust geboxt habe. … habe keine Schläge gesehen, ebenso wenig J. Ob Schläge geführt worden seien, bleibe also zweifelhaft und sollte daher dem Kläger nicht zur Last gelegt werden. Die Beratungslehrkraft, der Elternbeiratsvorsitzende und die Lehrkraft des Vertrauens seien angehört worden. Des Ausspruchs der getroffenen Ordnungsmaßnahme habe es bedurft, weil der Kläger durch das dieser Maßnahme zugrundeliegende Verhalten die für ein funktionierendes Schul- und Klassenleben unabdingbaren Regeln massiv missachtet habe. Zwar habe der Vorfall außerhalb des Schulgeländes stattgefunden, dennoch stehe das Verhalten in direktem Verhältnis zum schulischen Zusammenleben und habe Auswirkung auf die Schulgemeinschaft. Erschwerend komme hinzu, dass gegen den Kläger bereits am 8. Januar 2020 und 30. September 2020 verschärfte Verweise verhängt worden seien, weil er gegenüber Mitschülern verbale oder körperliche Gewalt angewendet habe. Zudem habe es auch im letzten Schuljahr Verweise diese Thematik betreffend gegeben. Es handele sich um eine Wiederholung des getadelten Fehlverhaltens, wobei die bisher anberaumten Ordnungsmaßnahmen offensichtlich nicht den gewünschten pädagogischen Effekt gezeitigt hätten. In Ausübung des zustehenden Ermessens sei die Maßnahme sachgerecht.
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Der Kläger ließ mit am 10. Dezember 2020 eingegangenem Schriftsatz seines Bevollmächtigten Klage erheben und beantragte in der mündlichen Verhandlung zuletzt:
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1. Der Bescheid des … vom 30.11.2020, mit dem gegenüber dem Schüler … die Androhung der Entlassung von der Schule gemäß Art. 86 Abs. 2 Nr. 9 BayEUG ausgesprochen wurde, wird aufgehoben.
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2. Es wird festgestellt, dass der vom … verhängte verschärfte Verweis vom 30.09.2020 rechtswidrig war.
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Zur Begründung werde ausgeführt, dass bei den Sachverhaltsermittlungen im Hinblick auf die Aussage von … lediglich festgestellt werde, dass diese den Sachverhalt bestätige. Dem Akteninhalt ließen sich insofern keine detaillierten Angaben zur Aussage von … entnehmen. Insbesondere sei nicht geklärt, ob … den gesamten Konflikt seit Beginn der Busfahrt mitbekommen habe oder erst die körperliche Auseinandersetzung zwischen … und L. nach dem Aussteigen aus dem Bus. Zwangspunkte, welche die Einlassung des Klägers stützen würden, insbesondere dass L. erst nach ihm aus dem Bus aussteigen habe können, weil nur eine der Türen im Bus geöffnet gewesen sei, seien seitens der Schulleitung nicht aufgeklärt worden. Des Weiteren bleibe innerhalb der Sachverhaltsermittlungen vollkommen außen vor, dass es sich bei L. um einen Schüler handele, der gegenüber Mitschülern bereits mehrfach durch verbale und physische Aggressionen aufgefallen sei. Zulasten des Klägers werde jedoch ausgeschlossen, dass die körperliche Auseinandersetzung, insbesondere auch der Schlag mit dem Gitarrenkoffer in das Gesicht des Klägers, von L. ausgegangen sei. Der zulasten des Klägers gewichtete Sachverhalt stehe nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest. Die spätere Unerweislichkeit gehe nach den Grundsätzen der Verteilung der Feststellungslast zulasten der Schule. Die Schule könne sich nicht darauf berufen, dass J. vom Kläger erst später als „Entlastungszeuge“ genannt worden sei (weswegen er erst einen Monat nach dem Vorfall vernommen worden sei), wobei dieser nach seiner Erinnerung bereits bei seiner ersten Befragung alle drei Mitschüler genannt habe und zudem gehöre die Zeugenermittlung zu einer exakten Aufklärung des Sachverhalts. L. sei nicht befragt worden, was am schwersten wiege und eine einseitige Sachverhaltsermittlung und - wertung darstelle. Das Verhalten rechtfertige trotz des pädagogischen Wertungsspielraums auch die Maßnahme nicht, sie sei unverhältnismäßig. Es werde auf die Entscheidungen des BayVGH, B.v. 18.5.2009 - 7 ZB 08.1801, VG Würzburg, U.v. 16.6.2010 - W 2 K 09.744 oder des VG München, U.v. 6.11.2012 - M 3 K 12.2466 verwiesen. Der verschärfte Verweis habe nicht zulasten des Klägers gewertet werden dürfen. Die Verhängung sei unverhältnismäßig gewesen. Der Sachverhalt sei wiederum unzureichend und ausschließlich zu Lasten des Klägers ermittelt worden. Im Übrigen werden die Ausführungen in der Anhörung wiederholt.
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Der Beklagte beantragte,
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Der Darstellung, der geschädigte L. sei durch die Schulleitung überhaupt nicht befragt worden, sei entschieden entgegenzutreten. Er habe gegenüber dem Schulleiter keine Aussage gemacht, den Vorfall aber gegenüber seinen Eltern bestätigt. Er sei am 27. Oktober 2020 mit der Zeugin … an den Schulleiter herangetreten. Auf Fragen habe er dem Schulleiter jedoch keine Antwort gegeben, was scheinbar ein nicht ungewöhnliches Verhalten von ihm sei, der auch zu ähnlichen Vorfällen stets geschwiegen habe und ein relativ in sich gekehrtes Wesen habe. Am Folgetag habe der Schulleiter ein Gespräch mit dem Vater gehabt. Am Abend dieses Tages sei der Vater von L. von … nochmals informiert worden und dieser habe dann mit seinem Sohn hierüber gesprochen, welcher dann diesem gegenüber die Version des Vorfalls, die … geschildert habe, bestätigt habe. Die aufgeworfene Frage, ob … den gesamten Konflikt seit Beginn der Busfahrt mitbekommen habe, sei bereits im Bescheid dahingehend beantwortet, dass diese ausgesagt habe, den ganzen Vorfall genau beobachtet zu haben. Bei ihrer ursprünglichen Aussage gegenüber dem Schulleiter sowie auf erneute Nachfrage am 23. November 2020 habe sie eindeutig erklärt, bereits den Wortwechsel im Bus wie auch die sich anschließenden Geschehnisse beobachtet zu haben. Soweit die Reihenfolge wer zuerst aus dem Bus ausgestiegen sei, als entlastendes Moment angeführt werde, verfange dies nicht. Ob dieses Sachverhaltsdetail der Wahrheit entspreche - … habe in ihrer ersten Befragung und auch auf Nachfrage erklärt, dass nicht der Kläger, sondern L. zuerst aus dem Bus ausgestiegen sei - mag letztlich dahingestellt bleiben. Scheinbar versuche die Klageseite für ihre Sachverhaltsdarstellung fruchtbar machen zu wollen, dass der Kläger nicht „angefangen“ habe. Dies trage schon deshalb nicht, weil die Reihenfolge des Aussteigens hierüber keine Aussage liefern könne. Es könne sich schließlich auch so dargestellt haben, dass der Kläger auf L. gewartet habe. Jedenfalls hätten andere Zeugen als … keine Aussage zur Reihenfolge getroffen. Hinsichtlich Auffälligkeiten von L. durch aggressives Verhalten in der Vergangenheit, werde dies nicht in Abrede gestellt. Allerdings vermöge dies nicht die eindeutigen Zeugenaussagen zu widerlegen, die ein Angriffsverhalten des Klägers hinsichtlich des konkreten Vorfalls belegen. Zur Befragung von J. werde angemerkt, dass der Kläger bei seiner Befragung eindeutig M. und L. als diejenigen benannt habe, die den Vorfall am besten gesehen hätten und die Version des Klägers bestätigen könnten. Zu J. habe er angegeben, dass dieser den Vorfall nicht gut habe sehen können. Eben deshalb seien diese beiden befragt worden, die aber im Wesentlichen die bereits durch … geschilderte Version des Vorfalls bestätigt hätten. Infolge der späteren Einlassungen des Klägers sei die Befragung dann nachgeholt worden. Zur Verhältnismäßigkeit sei auszuführen, dass der Kläger bereits zuvor Verweise (22.3.2019 wegen körperlicher Auseinandersetzung, 2.10.2019 wegen verbaler und körperlicher Auseinandersetzung, 6.11.2019 wegen Unterrichtsstörung) und verschärfte Verweise (8.1.2020 wegen verbaler und / oder körperlicher Gewalt, 30.9.2020 wegen verbaler und / oder körperlicher Gewalt) erteilt bekommen habe und auch nach diesen sein aggressives Verhalten gegenüber anderen fortgesetzt habe, weshalb die Schule nun zu einer schärferen Sanktion greifen habe dürfen. Seit Ergehen der Maßnahme seien keine weiteren Vorfälle dieser Art der Schulleitung kundig geworden, weswegen davon auszugehen sei, dass diese ihre pädagogische Funktion erfüllt habe bzw. noch erfülle. Hieran zeige sich die Geeignetheit. Zum verschärften Verweis sei anzumerken, dass der Kläger bei sämtlichen Vorfällen dieser Art vorbringen lasse, sich nur habe verteidigen zu wollen, was als bloße Schutzbehauptung zu werten sei. J. und ein weiterer hätten bestätigt, dass ein verbaler Streit vorausgegangen sei und der Kläger V. gedroht habe, diesem ein Messer ins Bein zu stechen sowie ihn mit einem Faustschlag bedroht habe, der nur durch das Dazwischentreten eines anderen Schülers habe abgewendet werden können. Eine Bedrohungslage durch V. bestätige sich durch keine Zeugenaussagen. Der körperlich größere und kräftigere werde aber von seinen Mitschülern und Lehrern als eher sanftmütig beschrieben, wohingegen der Kläger immer wieder durch sein aggressives Verhalten aufgefallen sei, insbesondere nach Aussage des J. bereits zuvor ein Messer mit in die Schule gebracht und seinen Mitschülern gezeigt haben solle. Nicht mehr aufklärbar sei wohl, ob der Kläger tatsächlich ein Messer mitgebracht habe, worauf es aber nicht ankomme, da Gegenstand der Pflichtverletzung dessen Drohung mit körperlicher Gewalt gewesen sei, die von V. ernst genommen worden sei.
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Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll, wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Der Antrag in Ziffer 2 ist in der Form einer allgemeinen Feststellungsklage statthaft (§ 43 VwGO). Bei dem verschärften Verweis als angegriffener Maßnahme handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt, gegen den nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO vorrangig im Wege einer Anfechtungs- oder Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) vorgegangen werden müsste, weil sich der Verweis auf eine erzieherische Bewertung beschränkt und eine solche bloße Missbilligung eines ordnungswidrigen Verhaltens keine Einzelfallregelung darstellt. Der Rechtsstreit betrifft ein konkretes (früheres) Rechtsverhältnis zwischen der Schule und dem Kläger, da es um die Klärung der zwischen den Beteiligten streitigen Frage geht, ob der Schulleiter den verschärften Verweis vom 30. September 2020 unter den damaligen Umständen erlassen durfte. An der gerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Ordnungsmaßnahme hat der Kläger unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitation nach wie vor ein berechtigtes Interesse (BayVGH, U.v. 10.3.2010 - 7 B 09.1906 - BeckRS 2010, 49144 Rn. 17 ff.).
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2. Der Bescheid vom 30. November 2020, mit dem die Androhung der Entlassung von der Schule ausgesprochen wurde, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die streitgegenständliche Ordnungsmaßnahme vom 30. November 2020 findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 86 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen - BayEUG - i.d.F. der Bek. vom 31. Mai 2000 (GVBl S. 414), in der zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Ordnungsmaßnahme gültigen Fassung vom 1. August 2019. Die Androhung der Entlassung von der Schule ist nach der Entlassung selbst die schwerwiegendste Ordnungsmaßnahme, die die Schule selbst verhängen kann. Die Wahl dieser Ordnungsmaßnahme hat sich daher daran zu orientieren, ob dem Schüler in Deutlichkeit vor Augen geführt werden muss, dass sich sein Verhalten - auch unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - ändern muss. Gemessen an den vorstehenden Grundsätzen erweist sich die von der Schule getroffene Ordnungsmaßnahme als rechtmäßig. Die streitgegenständliche Ordnungsmaßnahme der Androhung der Entlassung ist sowohl formell, als auch materiell fehlerfrei ergangen.
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a. Die Auswahlentscheidung wurde vom Disziplinarausschuss der Schule getroffen, der gemäß Art. 58 Abs. 1 Satz 3 BayEUG i.V.m. § 7 Abs. 1 Bayerische Schulordnung (BaySchO) insoweit die Aufgaben der nach Art. 88 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BayEUG zuständigen Lehrerkonferenz wahrnahm. Ausweislich der Niederschrift der Sitzung wurden die Mitglieder fristgerecht unter Mitteilung der Tagesordnung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 BaySchO) geladen und die Beschlussfähigkeit nach § 7 Abs. 6 i.V.m. § 6 Abs. 1 BaySchO festgestellt. Der Disziplinarausschuss hat mit neun Mitgliedern und damit in der nach § 7 Abs. 5, 6 Satz 2 BaySchO vorgesehenen Stärke getagt und entschieden. Beschlüsse werden in offener Abstimmung mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst, § 6 Abs. 3 Satz 2 BaySchO, wie es hier der Fall war. Der Kläger und seine Eltern wurden auch ordnungsgemäß im Verfahren bezüglich der verhängten Ordnungsmaßnahme beteiligt, sie wurden mit Schreiben vom 3. November 2020 auf ihre Rechte gemäß Art. 88 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2, Satz 2, Satz 3 BayEUG hingewiesen und im Rahmen der Sitzung des Disziplinarausschusses am 26. November 2020 angehört. Wie dem Sitzungsprotokoll zu entnehmen ist, konnten sie sich zu dem Vorwurf äußern. Auch wurde die Beratungslehrkraft sowie eine Lehrkraft des Vertrauens am Verfahren beteiligt (Art. 88 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 2 BayEUG). Ein Antrag auf Teilnahme des Elternbeirates wurde durch den Kläger und seine Eltern gestellt und eine Anhörung ist erfolgt. Verstöße gegen das geschilderte Verfahren sind nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen.
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b. Eine Androhung der Entlassung von der Schule ist nach Art. 86 Abs. 2 Nr. 9 BayEUG möglich bei einer schulischen Gefährdung. Eine schulische Gefährdung liegt nach der gesetzlichen Definition in Art. 86 Abs. 2 Nr. 6 BayEUG vor bei einer Gefährdung von Rechten Dritter oder bei einer Gefährdung der Aufgabenerfüllung der Schule durch schweres oder wiederholtes Fehlverhalten.
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Die Voraussetzungen für den Erlass der Ordnungsmaßnahme der Androhung der Entlassung lagen vor, insbesondere ist ein schulischer Bezug gegeben. Zur Sicherung des Bildungs- und Erziehungsauftrags oder zum Schutz von Personen und Sachen können, soweit andere Erziehungsmaßnahmen nicht ausreichen, nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit förmliche Ordnungsmaßnahmen gegenüber einzelnen Schülern getroffen werden (Art. 86 Abs. 1 BayEUG), wobei ein außerschulisches Verhalten dafür nur Anlass sein darf, soweit es die Verwirklichung der Aufgabe der Schule gefährdet (Art. 86 Abs. 3 Nr. 5 BayEUG).
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Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung nicht jedes Verhalten, das sich außerhalb der Unterrichtszeit und außerhalb des Schulgeländes abspielt, bereits ein „außerschulisches“ Verhalten. Entscheidend für die Qualifizierung eines Vorfalls als schulischer Vorfall ist, ob der Vorfall einen engen Bezug zur Schule hat. Ein solch enger Schulbezug ist zu bejahen, wenn ein Vorgang in engem räumlichen, zeitlichen oder personellen Zusammenhang mit Schule und Unterricht steht. Denn der Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schulen hat keine geografischen Grenzen; vielmehr kommt es darauf an, ob das Fehlverhalten störend in den Schulbetrieb hineinwirkt. Schulbezogenes Verhalten ist daher nicht ausschließlich räumlich und zeitlich, sondern auch inhaltlich bestimmt (VG München, U.v. 21.4.2021 - M 3 K 17.5634 - BeckRS 2021, 19852 Rn. 26 ff.; U.v. 29.1.2019 - M 3 K 17.3829 - BeckRS 2019, 9107 Rn. 29 ff.). Im vorliegenden Fall wohnt dem Verhalten des Klägers - Gewaltanwendung auf dem Schulweg gegen einen Mitschüler - der erforderliche schulische Bezug inne. Es ist ein personeller Bezug gegeben. Sowohl der Kläger als auch der Beteiligte L. sind Schüler der Schule. Auch der Kreis derjenigen, die das Geschehen verfolgt haben, besteht - wenn auch nicht ausschließlich - zum großen Teil aus Mitschülern des Klägers als dessen soziale Bezugsgruppe. Die Schüler begegnen einander tagtäglich in der Schule, die Schulgemeinschaft erlangt - wie im vorliegenden Fall - Kenntnis von den Vorfällen. Mitschüler stellen häufig die wichtigste soziale Bezugsgruppe dar. Zusätzlich besteht ein zeitlicher Bezug dadurch, dass der Vorfall auf dem Heimweg von der Schule stattfand.
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Die Schule ist von einem zutreffend ermittelten Sachverhalt ausgegangen. Die hinreichende Sachverhaltsermittlung, insbesondere ob die Schule ihre Entscheidung auf Tatsachen und Feststellungen gestützt hat, die einer sachlichen Überprüfung standhalten, unterliegt der gerichtlichen Kontrolle. Falls ein Schüler die Feststellung, auf denen die Entscheidung beruht, bestreitet, hat das Gericht dem nachzugehen. Die Unerweislichkeit geht nach den Grundsätzen der Verteilung der materiellen Beweislast zulasten des Beklagten (BayVGH, U.v. 13.6.2012 - 7 B 11.2651 - BeckRS 2012, 52873 Rn. 17 ff.).
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Die Schule hat ihre Entscheidung auf Tatsachen und Feststellungen gestützt, die einer sachlichen Überprüfung standhalten. Die Androhung der Entlassung stützt die Schule maßgeblich auf die Zeugenaussagen. Der Schulleiter und sein Stellvertreter haben mit allen Beteiligten Gespräche geführt (bzw. mit L. ein solches versucht) und diese - wie sich in der mündlichen Verhandlung herausgestellt hat - dokumentiert. Nachdem der Kläger einerseits auch in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, dass J. in der Mitte des Busses und damit nicht unmittelbar bei ihm, M. und L. stand und auch den Bus nicht mit ihnen verlassen hat, sowie andererseits die Befragung J. vor der Sitzung des Disziplinarausschusses noch erfolgt ist, führt dies nicht zu einem Ermittlungsdefizit. Sowohl durch die Schule als auch in der mündlichen Verhandlung wurde den Einwendungen des Klägers nachgegangen. Der Schulleiter hat vor allem hinsichtlich des - erst in der Anhörung vorgetragenen - Schlags mit dem Gitarrenkoffer sowohl beim Kläger als auch bei den übrigen Beteiligten Nachfragen angestellt. Der Kläger gab erstmals vor der Kammer an, dass er den Schlag mit dem Gitarrenkoffer bereits bei seiner ersten Aussage am 27. Oktober 2020 erwähnt habe. Dass der Disziplinarausschuss die Schilderung der Zeugen, insbesondere …, als glaubhaft eingestuft hat, während nicht von einem gezielten Schlag des L. mit dem Gitarrenkoffer gegen die Wange des Klägers ausgegangen wurde, führt nicht dazu, dass die Entscheidung nicht auf Tatsachen und Feststellungen gestützt worden ist, die einer Überprüfung nicht standhalten. Bei sich widersprechenden Darstellungen ist eine Würdigung der jeweiligen Aussagen vorzunehmen, was im Disziplinarausschuss erfolgt ist. Die Beteiligten wurden auf Widersprüche und neue Erkenntnisse angesprochen und ihre Stellungnahme daraufhin wiederum dokumentiert. Eine Unerweislichkeit, die zulasten des Beklagten gehen würde, lag in Bezug auf den Beginn des körperlichen Angriffs und die Frage eines als Auslöser dienenden gezielten Schlags mit dem Gitarrenkoffer nicht vor. Die Feststellungen, die als Begründung für den Erlass des Bescheids dienen, lassen sich auf Tatsachen, namentlich die Zeugenschilderungen stützen. Danach haben drei Personen beschrieben, dass der Kläger L. hinterher gegangen ist und diesen körperlich angegriffen hat. Die beteiligten Schüler haben den Vorfall weitgehend übereinstimmend geschildert. Nach der Aussage von … ist auch nicht fraglich, ob diese den gesamten Vorfall beobachtet hat, da diese angab, dass L. den Bus zuerst verlassen hat und der Kläger ihm gefolgt ist, was impliziert, dass sie bereits alles vor dem Angriff von hinten gesehen hat. Soweit tatsächlich eine Unerweislichkeit des Geschehens im Raum steht, ob der Kläger gegen den am Boden liegenden L. Schläge ausgeführt hat, wurde dies ausdrücklich nicht zu seinen Lasten gewertet. Ausweislich des Bescheids wurde auch zur Kenntnis genommen, dass sich die beiden Jungen wieder ausgesöhnt hatten. Außerdem wurde vergangenes Verhalten des Klägers bei Konflikten besprochen. Die diese Verhaltensweisen begleitenden Umstände wurden vom Disziplinarausschuss zur Kenntnis genommen, sodass die Schule von einem zutreffend ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist. Der Kläger hat seine Version der Ereignisse vor dem Disziplinarausschuss vorgetragen und die von den Zeugen getätigten Aussagen wurden dargestellt. Mit diesem Sachverhalt kannte das entscheidende Gremium alle maßgeblichen Tatsachengrundlagen und damit auch die zugunsten des Klägers sprechenden Umstände. Die Mitglieder des Disziplinarausschusses waren somit nach der Wiedergabe der Zeugenbefragungen, der Anhörung des Klägers und seiner Eltern in der Lage, den Sachverhalt eigenständig einzuschätzen und zu beurteilen. Es kann erst recht nicht festgestellt werden, dass die Sachverhaltsermittlung durch die Schule einseitig nur in eine bestimmte Richtung oder zu Ungunsten des Klägers geführt worden wäre. Dass der Schüler L. gegenüber dem Schulleiter keine Fragen beantwortet hat, kann die Kammer nicht als Ermittlungsdefizit erkennen, da eine Befragung versucht worden ist und eine Aussage L. nicht erzwingbar ist. Die Maßnahme wurde nicht auf L. Schweigen, sondern die Aussagen drei weiterer Zeugen gestützt. Dass … L. Vater (und möglicherweise auch L. selbst) bereits vor dem Vorfall kannte, belastet ihre Aussage nicht. Sie hat deswegen nicht per se Belastungseifer gegenüber dem Kläger und im Übrigen existieren zwei weitere dahingehende Aussagen von M. und L. Weiterhin ist auch eine schulische Gefährdung gegeben. Es wurden Rechte Dritter gefährdet.
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Die Verwirklichung der Aufgaben der Schule ist durch die Gefährdung des Erziehungsauftrages aus Art. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 UAbs. 3 Var. 3 BayEUG ebenfalls gefährdet, nachdem die Schule ihre Schüler zu friedlicher Gesinnung und Achtung vor anderen Menschen zu erziehen hat. Wie im Bescheid ausgeführt, hat der Kläger die für ein funktionierendes Schul- und Klassenleben unabdingbaren grundlegenden Regeln massiv missachtet. Es handelt sich bei dem Verhalten des Klägers - wie von der Schule zutreffend gewertet - um ein wiederholtes Fehlverhalten. Der Kläger hat bereits zuvor einem Mitschüler den Stuhl weggezogen und einen anderen Mitschüler gegen die Wand gedrückt (sowie wiederum einem anderen Mitschüler mit der Verwendung eines Messers gedroht, dazu s.u.), ohne dass zuvor ein Angriff von diesen Schülern ausgegangen wäre, der eine Notwehr in dieser Form rechtfertigen würde.
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Die vom Disziplinarausschuss getroffene pädagogische Ermessensentscheidung ist nicht zu beanstanden. Für die Rechtmäßigkeit der Auswahl einer Ordnungsmaßnahme unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit kommt es vor allem darauf an, ob und in welchem Maße die Erfüllung des Anstaltszwecks gestört oder gefährdet und die Erziehungsverantwortung der Schule beeinträchtigt wurde, wie sie in Art. 131 Bayerische Verfassung - BV, Art. 1, 2 BayEUG niedergelegt ist. Die Ordnungsmaßnahme der Androhung der Entlassung darf dabei zur Schwere des zu ahndenden oder zu unterbindenden Verhaltens eines Schülers nicht außer Verhältnis stehen (vgl. BayVGH, B.v. 2.9.1993 - 7 CS 93.1736 - BayVBl 1994, 346; U.v. 13.6.2012 - 7 B 11.2651 - BeckRS 2012, 52873 Rn. 19).
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In den Bereich spezifisch pädagogischer Wertungen und Überlegungen haben die Verwaltungsgerichte nicht korrigierend einzugreifen; sie können nicht anstelle des zuständigen Gremiums der Schule eigene pädagogische Erwägungen anstellen, zu denen sie sachgerecht auch nicht in der Lage wären. Trotz dieser Grenzen der gerichtlichen Kontrolle haben die Gerichte aber den gegen die Maßnahme erhobenen Einwendungen nachzugehen und die pädagogische Bewertung der Schule auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen. Sie haben insbesondere zu kontrollieren, ob die Lehrerkonferenz bzw. der Disziplinarausschuss mit der Maßnahme gegen die vorstehend dargelegten Grundsätze der Verhältnismäßigkeit verstoßen hat (BayVGH, U.v. 13.6.2012 - 7 B 11.2651 - BeckRS 2012, 52873 Rn. 20).
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Die Schule hat ihre Entscheidung bezogen auf den konkreten Einzelfall nachvollziehbar dargestellt und begründet (insbesondere unter Punkt f) des Bescheids). In die Entscheidung wurden alle entscheidungsrelevanten und auch die für den Kläger günstigen Umstände (insbesondere Nichterweislichkeit von Schlägen gegen den am Boden liegenden L.) einbezogen. Es wurden die Aussagen der anwesenden Zeugen, die Einschätzung der Elternbeiratsvorsitzenden, der Beratungssowie Vertrauenslehrkraft einbezogen und gewürdigt. Dass sich ein in der Sitzung des Disziplinarausschusses angesprochenes, möglicherweise stattgefundenes Mobbing gegenüber dem Kläger in der *. Klasse und die Reaktion der Schule hierauf im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen gewesen wäre, hat sich in der mündlichen Verhandlung nicht herausgestellt. Es wurde insbesondere nicht vorgetragen, dass L. etwas hiermit zu tun gehabt hat. Der Kläger hat zwar angegeben, dass es bereits vor dem Vorfall Streit mit L. gegeben habe, insbesondere im Skikurs, was L. bestätigte, welcher jedoch in der *. Klasse gewesen sei. Dass der Kläger unter etwaigem Mobbing oder einem unausgeglichenen Konflikt leide, wurde weder vorgetragen noch ist dies ersichtlich.
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Die Entscheidung der Schule in der angewendeten Gewalt ein Fehlverhalten zu sehen, das die erlassene Ordnungsmaßnahme rechtfertigt, bewegt sich im Rahmen der nur beschränkt gerichtlich überprüfbaren pädagogischen Ermessensentscheidung der Schule. Auch nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes in seinem Urteil vom 13. Juni 2012 - 7 B 11.2651 - (BeckRS 2012, 52873 Rn. 17) kann bei massiver Gewaltanwendung oder - androhung gegenüber Mitschülern je nach den Umständen des Einzelfalls sogar die Entlassung als Ordnungsmaßnahme in Betracht kommen, insbesondere die als ernsthaft empfundene Bedrohung eines Mitschülers mit einem Messer. Insgesamt ist keine Unverhältnismäßigkeit oder die Einstellung sachfremder Erwägungen erkennbar. Die Schule durfte dem in Rede stehenden Fehlverhalten des Klägers im Interesse des Schulfriedens und ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags mit der Ordnungsmaßnahme der Androhung der Entlassung wirksam und mit aller Deutlichkeit entgegentreten. Die Schule durfte auch berücksichtigen, dass sich der Kläger bisherige Ordnungsmaßnahmen nicht zur Warnung dienen ließ und sein Verhalten seitdem nicht geändert hat (Punkt II. 2) des Bescheids). An die Reihenfolge der Ordnungsmaßnahmen des Art. 86 Abs. 2 BayEUG besteht keine Bindung. Es liegt im pädagogischen Ermessen der Schule, eine geeignete und angemessene Ordnungsmaßnahme zu verhängen. Im vorliegenden Fall ist die getroffene Ordnungsmaßnahme angesichts der dargestellten Gründe geeignet und auch verhältnismäßig.
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3. Die Feststellungsklage ist unbegründet, da der verschärfte Verweis vom 30. September 2020 rechtmäßig ist.
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a. Die auf Art. 86 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayEUG gestützte Ordnungsmaßnahme ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Sie wurde vom Schulleiter als dem gesetzlich zuständigen Organ erlassen. Der Kläger erhielt zuvor ausreichend Gelegenheit zur Äußerung, da er vom Schulleiter befragt wurde. Im Übrigen wurden Einwendungen gegen das Verfahren nicht vorgebracht.
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b. Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht ist der verschärfte Verweis nicht zu beanstanden. Die Schule durfte das damalige Verhalten des Klägers als gravierende Pflichtverletzung ansehen und darauf mit ordnungsrechtlichen Mitteln reagieren; die gewählte Maßnahme war der Schwere des Verstoßes angemessen.
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Zur Sicherung des Bildungs- und Erziehungsauftrags oder zum Schutz von Personen und Sachen können, soweit andere Erziehungsmaßnahmen nicht ausreichen, nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit förmliche Ordnungsmaßnahmen gegenüber einzelnen Schülern getroffen werden (Art. 86 Abs. 1 BayEUG). Gemäß Art. 56 Abs. 4 BayEUG haben alle Schülerinnen und Schüler sich so zu verhalten, dass die Aufgabe der Schule erfüllt und das Bildungsziel erreicht werden kann (Satz 1); sie haben alles zu unterlassen, was den Schulbetrieb oder die Ordnung der von ihnen besuchten Schule oder einer anderen Schule stören könnte (Satz 4). Der dem Kläger erteilte verschärfte Verweis durch den Schulleiter gehört zu den im Gesetz vorgesehenen Ordnungsmaßnahmen (Art. 86 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayEUG). Er setzt, anders als der schriftliche Verweis durch die jeweilige Lehrkraft (Art. 86 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayEUG), in der Regel bereits einen schwerwiegenden Verstoß gegen schulische Pflichten voraus (BayVGH, U.v. 10.3.2010 - 7 B 09.1906 - BeckRS 2010, 49144 Rn. 37).
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Für die Auswahl der Ordnungsmaßnahmen kommt es vor allem darauf an, ob und in welchem Maß die Erfüllung des Schulzwecks gestört oder gefährdet und die Erziehungsverantwortung der Schule beeinträchtigt wurden (s.o.). Hinsichtlich des gerichtlichen Prüfungsumfangs wird auf die Ausführungen unter b. verwiesen (vgl. BayVGH, U.v. 10.3.2010 - 7 B 09.1906 - BeckRS 2010, 49144 Rn. 38). Dem ordnungsrechtlichen Einschreiten der Schule lagen erkennbar sachgerechte Überlegungen zugrunde.
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Die Schule hat die Maßnahme auf Tatsachen gestützt, die einer Überprüfung standhalten. Der Schulleiter hat mit dem Sportlehrer gesprochen und mehrere Schüler zu dem Vorfall befragt und dies dokumentiert. Diese haben über den ausgehenden Streit im Englischunterricht einheitlich berichtet und die Drohung des Klägers, V. mit dem Messer zu verletzen, bestätigt. V. habe weiter angegeben, dass der Kläger auch in Aussicht gestellt habe, dass dessen Freunde nach der Schule gegen V. vorgehen würden. Der Kläger hat - unabhängig von der konkreten Formulierung - ohnehin zugegeben, dass er V. gegenüber geäußert habe, dass er ein Messer habe und V. die Konsequenzen zu tragen hätte. Die Drohung mit seinen wartenden Freunden hat er in der mündlichen Verhandlung nicht bestritten. Zusätzlich habe der Zeuge J. angegeben, dass er einen Faustschlag des Klägers gegenüber V. verhindern habe können, was der Kläger in der mündlichen Verhandlung ebenfalls nicht bestritten hat. Selbst wenn sein Vortrag zutrifft, wonach die ausgesprochene Drohung mit dem Messer die Antwort auf V. Drohung ihn zu schlagen gewesen sei, deren Existenz der Schulleiter in der Schilderung der Zeugenaussagen nicht erwähnt hat, war sein Verhalten nach Auffassung der Kammer eine unangemessene Reaktion, mit der er ein enormes Kräfteungleichgewicht hat schaffen wollen. Der Schulleiter hatte Kenntnis von den maßgeblichen Tatsachen. Eine einseitige Sachverhaltsermittlung zulasten des Klägers ist bei der erfolgten Vernehmung aller Beteiligten nicht erkennbar.
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Bei seiner Auswahlentscheidung durfte der Schulleiter davon ausgehen, dass angesichts der Schwere des Verstoßes eine förmliche Ordnungsmaßnahme angezeigt war, weil andere Erziehungsmaßnahmen nicht ausreichen würden (Art. 86 Abs. 1 a. E. BayEUG). Bedrohungen mit Gefahren für Gesundheit oder gar Leben können - auch aus generalpräventiven Gründen - an einer Schule nicht hingenommen werden (vgl. BayVGH, B.v. 4.6.2012 - 7 CS 12.451 - BeckRS 2012, 51774 Rn. 14). Dem Einwand des Klägerbevollmächtigten, die Freundschaft der beiden Beteiligten sei nicht hinreichend gewürdigt worden, ist insoweit die Außenwirkung entgegenzuhalten, nachdem viele Schüler die Auseinandersetzung mitbekommen haben. Der Kläger hat abschließend nicht einmal vorgetragen, dass die ausgesprochenen Drohungen nur als Spaß gemeint gewesen waren. Dies lässt sich lediglich aus dem Vortrag seines Bevollmächtigten folgen, wonach ein Streit zwischen Freunden nun einmal emotional geführt werden kann. Das Verhalten des Klägers kann jedoch allein als Bedrohung gedeutet werden, was dem Kläger auch durchaus bewusst sein muss. Ein nicht erkennbarer Vorbehalt, nicht zustechen zu wollen, ändert am Bedrohungscharakter nichts, ebenso wenig der Umstand, dass der Kläger angibt, gar kein Messer dabei gehabt zu haben und dass es sich bei dem vormals mitgebrachten Gegenstand um ein Essbesteck handelt.
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung basiert auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V. m. § 708 Nr. 11 Zivilprozessordnung (ZPO).