Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 12.09.2022 – B 3 E 22.833
Titel:

Zurückstellung, Schulpflicht, Erfolgsprognose, Aufnahme in die Schule

Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1
BayEUG Art. 37 Abs. 2
GrSO § 2
Schlagworte:
Zurückstellung, Schulpflicht, Erfolgsprognose, Aufnahme in die Schule
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31664

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der am … 2016 geborene Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Einschulung in die …-Grundschule … Der Antragsteller besucht seit Januar 2019 den … Kindergarten … (im Folgenden: Kindergarten). In der Behördenakte findet sich die von den Eltern des Antragstellers am 10. Juli 2020 unterschriebene Anlage „Einwilligung der Erziehungsberechtigten in den Fachdialog zwischen Kindertageseinrichtung und Schule über das Kind“ mit Bezugnahme auf den besuchten Kindergarten und die …-Grundschule (im Folgenden: Grundschule).
2
Am 18. Februar 2021 fand ein Entwicklungsgespräch zwischen den Eltern des Antragstellers und dem Kindergarten statt. Hierzu wurde ein Beobachtungsbogen, aufgeschlüsselt nach fünf Entwicklungsbereichen, mit handschriftlichen Bemerkungen erstellt.
3
Der Antragsteller nahm am … 2022 an einem Schulspiel in der Grundschule teil, wobei die Beratungslehrkraft Fr. …, die Konrektorin Fr. … und zeitweise weiteres Schulpersonal anwesend war. Der hierzu erstellte Beobachtungsbogen (auf einem Formblatt für das Schuljahr 2019/2020) enthält verschiedene Themenbereiche, wobei Kreuze gesetzt und Anmerkungen verfasst werden können. Dabei wurde unter „Ausdauer“ und „Aufmerksamkeit“ das Kreuz bei „nicht erfüllt“ und unter „Flüchtigkeit“ bei „teilweise erfüllt/ unsicher“ gesetzt. Ergänzend wurde bemerkt: „viel ungezügelter Redebedarf, „Geräusche“ beim Melden“. Eine weitere Bemerkung ist nicht lesbar. Im Übrigen sind die Kreuze im Wesentlichen unter „voll erfüllt/ sicher“ gesetzt, insbesondere hinsichtlich der phonologischen Bewertung, der Grob- und Feinmotorik.
4
Daraufhin fand am … 2022 ein gemeinsames Gespräch mit dem Vater des Antragstellers, Fr. …, Fr. … sowie dem Schulleiter statt. Der Vater des Antragstellers wendete sich daraufhin an das Staatliche Schulamt … … (im Folgenden: Staatliches Schulamt) wegen der ihm von der Grundschule mitgeteilten beabsichtigten Zurückstellung.
5
Der Schulleiter teilte dem Schulamt am … 2022 mit, dass bereits im Januar die KiTa signalisiert habe, dass sie eine Einschulung zum kommenden Schuljahr nicht für zielführend halte, was sich beim Schulspiel bestätigt habe. Trotz der Gruppe von vier Kindern sei in den 60 Minuten kein Arbeiten ohne „1:1 Betreuung“ möglich gewesen, was in keiner Weise auf seine kognitiven Fähigkeiten zurückzuführen sei. Er scheitere erheblich an einer angemessenen Konzentrationsfähigkeit, seinem Durchhaltevermögen und der (noch) nicht vorhandenen Fähigkeit, eigene Bedürfnisse und Ansprüche zurückzustellen.
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Die Mutter des Antragstellers meldete diesen mittels Formblattes am … 2022 für das Schuljahr 2022/ 2023 bei der Grundschule an.
7
In der Behördenakte findet sich ein textlich gefasster Entwicklungsbericht/ eine Stellungnahme des Kindergartens an die Grundschule im Rahmen des Fachdialogs im Hinblick auf die Einschulung des Antragstellers vom 28. März 2022.
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Mit Bescheid des Schulleiters vom 21. April 2022 wurde der Antragsteller für das Schuljahr 2022/2023 vom Besuch der Grundschule zurückgestellt (Ziffer 1). Kosten würden nicht erhoben (Ziffer 2). Auf Grundlage fachlicher Einschätzungen und unter Berücksichtigung aller vorliegender Erkenntnisse erfolge die Zurückstellung aufgrund von Entwicklungsdefiziten insbesondere in den Bereichen der Motivation, der Sozialkompetenz und des Arbeitsverhaltens. Die Voraussetzungen des Art. 37 Abs. 2 Satz 1 BayEUG seien gegeben. Bereits bei einem Gespräch mit der Beratungslehrkraft Fr. … habe die für den Antragsteller zuständige Erzieherin, Fr. …, ihre Einschätzung dahingehend geäußert, von einer Einschulung im kommenden Schuljahr abzusehen. Die Begründung habe gelautet, dass der Antragsteller sehr leicht ablenkbar sei und sich selten im geforderten Maße konzentrieren könnte. Er benötige dauernde Motivation, zeige geringe Frustrationstoleranz und sei kaum fähig, seine Meinung klar zu artikulieren. Bei Konflikten weine er zudem häufig. Beim Schulspiel sei es dem Antragsteller sehr schwer gefallen, sich in die vierköpfige Kleingruppe zu integrieren. Der Junge sei durch besonders ungezügelten Redebedarf aufgefallen, habe durchgehend Geräusche verursacht und habe sich zu keiner Zeit zurücknehmen können. Bereits nach etwa 20 Minuten sei er zunehmend ermüdet und habe besondere Motivation benötigt, um angefangene Übungen halbwegs zu Ende zu bringen.
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Hiergegen ließen die gesetzlichen Vertreter des Antragstellers am 17. Mai 2022 durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch erheben. Der Antragsteller habe keine sozial-emotionalen Defizite. Im Januar 2022 habe Fr. … gegenüber der Mutter des Antragstellers erklärt, dass dieser schulfähig sei. Vier Wochen später habe sie das Gegenteil gegenüber dem Vater erklärt. Die Schuluntersuchung vom 24. Februar 2022 habe ergeben, dass der Antragsteller schulfähig sei. Anlässlich eines Telefonats am 4. März 2022 habe Fr. … gegenüber den Eltern erklärt, dass sie alles tun werde, damit der Antragsteller nicht in die Schule komme. Die Ergotherapeutin, die der Antragsteller seit März besuche, habe erklärt, dass die leichte Ablenkbarkeit des Antragstellers bis zum Schulbeginn behoben werden könne. Bei der zweiten Untersuchung am 12. Mai 2022 habe Dr. … (Schulärztin Landratsamt …*) objektivierbare Tests durchgeführt und sich intensiv mit dem Antragsteller befasst. Die Feststellungen beim Schulspiel, welches unter Teilnahme von völlig fremden Personen in völlig fremder Umgebung stattgefunden habe, stünden völlig im Widerspruch zu den Feststellungen bei der schulärztlichen Untersuchung von Dr. … und seinem sonstigen Sozialverhalten. Er spiele Fußball, sei Mitglied in der Freiwilligen Feuerwehr und nehme an der musikalischen Früherziehung teil, wo er sich überall unterordne und es keinerlei Probleme gebe. Die Lehrkräfte hätten sich mündlich nach dem Schulspiel völlig anders geäußert und hätten erklärt, der Antragsteller werde das Klassenziel erreichen. Er würde sich anfangs nur etwas schwer tun, weil er bei allem nachfrage. Im Elterngespräch vom 18. Februar 2021 und vorher habe Fr. … noch keine Ergotherapie empfohlen, sondern dies nachträglich ergänzt. Den dazu erstellten Beobachtungsbogen habe diese mit Schreiben vom 28. März 2022 an die Schule weitergegeben. Der Antragsteller verlöre sein soziales Umfeld, mit welchem er seit drei Jahren den Kindergarten besuche. Ein Verbleib dort würde für ihn eine Unterforderung darstellen.
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Die Schulleitung gab in der Folge am … eine fachliche Stellungnahme an das Schulamt ab. Die im Vorgespräch mit der zuständigen Kindertagesstätte übermittelten Einschätzungen hätten sich im Rahmen des Schulspiels bestätigt und gingen noch darüber hinaus. Es hätten im Rahmen des Schulspiels streckenweise sogar Vorhänge und Jalousien geschlossen werden müssen, um den Fokus des Kindes auf die Aufgaben zu lenken. Selbst dann habe der Antragsteller nur mit individueller Motivation und 1:1-Betreuung zum (konzentrierten) Arbeiten bewegt werden können. Bereits nach 20 Minuten seien Aufmerksamkeit und Ausdauer derart erschöpft gewesen, dass selbst einfachste Aufgaben nicht oder nur mit höchstem extrinsischen Aufwand zu Ende gebracht werden hätten können. Stattdessen habe der Antragsteller die anderen Kinder durchgängig durch nicht zu bremsende Redebeiträge oder anderweitige Geräusche abgelenkt. Besonders bemerkenswert erscheine dies mit Blick darauf, dass es sich um völlig fremde Personen handele. Die Kollegen, die das Schulspiel geleitet hätten, seien einhellig der Meinung gewesen, dass die Defizite nicht bis zum Schuljahresstart behoben werden könnten und zusätzlicher Unterstützungsbedarf (insb. Ergotherapie) bestehe. Die Kolleginnen hätten darüber hinaus betont, dass für das Kindeswohl eine spätere Einschulung insbesondere deshalb förderlich sei, weil zu erwarten sei, dass der Antragsteller ohne die nötige individuelle Betreuung und Motivation innerhalb kürzester Zeit den Anschluss an die Klasse verlieren und der Schuleintritt damit mit Frust und negativen Erfahrungen belastet sein könnte. Die Zurückstellungsentscheidung beruhe nicht auf medizinischen Begründungen oder kognitiven Defiziten, sondern auf den fachlichen Einschätzungen erfahrener pädagogischer Kräfte, die einhellig erhebliche Entwicklungsverzögerungen in den Bereichen der Motivation, der Sozialkompetenz und des Arbeitsverhaltens bescheinigten. Als Anlage wurde insbesondere der Entwicklungsbericht/ die Stellungnahme des Kindergartens vom … beigefügt.
11
Mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2022 wies das Staatliche Schulamt den Widerspruch zurück (Ziffer 1). Die Widerspruchsführer hätten die Kosten des Verfahrens zu tragen (Ziffer 2). Kosten würden nicht erhoben (Ziffer 3).
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Zur Begründung wird auf den Beschluss des VG Bayreuth vom 11. September 2015 - B 3 E 15.582 verwiesen. Der Widerspruchsgegner habe eine ermessensfehlerfreie Entscheidung zur Schulfähigkeit des Kindes getroffen. Er sei von zutreffenden Tatsachen ausgegangen. Die Einschätzung sei zulässigerweise auf das Schulspiel gestützt worden, welches dazu geeignet sei, sichere Erkenntnisse darüber zu gewinnen, ob zu erwarten ist, dass ein Kind mit Erfolg am Unterricht der Grundschule teilnehmen werde. Im Zuge eines standardisierten Verfahrens seien hierbei vielfältige Beobachtungssituationen geschaffen worden, um den Entwicklungsgrad grundlegender Fertigkeiten und Fähigkeiten zu erfassen, die für einen erfolgreichen Schulstart maßgeblich seien. Der Umstand, dass nach Untersuchung aus schulärztlicher Sicht nichts gegen eine zeitgerechte Einstufung des Kindes stehe, vermöge vorliegend kein anderes Ergebnis zu begründen. Die medizinischen Beobachtungen würden in einer 1-zu-1 Situation durchgeführt und konzentrierten sich auf die Disposition des natürlichen Entwicklungsstandes. Die Beobachtungen im Rahmen des „Schulspiels“ würden darüber hinaus jedoch auch den Kontext des schulischen Lernens in einem sozialen Umfeld mit einbinden, wo sich der Antragsteller kaum in den Ordnungs- und Aufgabenrahmen einfinden habe können. Soweit die Widerspruchsführer darauf verweisen, dass der Entwicklungsbericht des Kindergartens vorliegend nicht hätte herangezogen werden dürfen, vermöge dies nicht durchzudringen. Die Rückstellungsentscheidung werde maßgeblich auf die objektiv nachvollziehbaren Beobachtungen im Rahmen des durchgeführten „Schulspiels“ gestützt. Die Empfehlung der Rückstellung sei unstreitig; auch der Besuch der Ergotherapie aufgrund von Konzentrationsdefiziten sei nicht in Abrede gestellt worden. Mit Schreiben vom 10. Juli 2020 sei ausdrücklich die Einwilligung zum Datenaustausch erklärt worden.
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Die Grundschule ordnete mit Bescheid vom 31. August 2022 die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 des Bescheids vom 21. April 2022 an.
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Der Antragsteller ließ durch seine gesetzlichen Vertreter mit am 5. September 2022 eingegangenem Schriftsatz „Eilantrag für Rechtsschutz und Einschulung“ stellen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Sohn in die Schule solle. Die illegalen Absprechungen zwischen der Schule und dem Kindergarten, die schon im Januar stattgefunden hätten, seien rechtswidrig, ebenso habe es immer wieder Falschaussagen des Schulleiters Richtung Schulamt gegeben. Die entstandenen Kosten und der soziale Schaden seien durch die Schule und den Kindergarten zu tragen. Die in der fachaufsichtlichen Stellungnahme des Schulamtes vom 25. Juli 2022 erwähnte Anlage 8 dürfe es wegen Missachtung des Datenschutzes gar nicht geben, vor allem sei der Bogen von 2019. Die im Bescheid empfohlene Ergotherapie sei nie vom Kindergarten und auch nie vom Kinderarzt in Betracht gezogen worden. Dies sei erst nach dem ersten Gespräch mit dem Schulleiter im Januar aufgetreten. Der Antragsteller sei seit März in der Ergotherapie. Bei dem ausgefüllten Beobachtungsbogen werde ein fremdes Kind bewertet und wie solle in 45 Min. alles beobachtet werden. Die fachliche Stellungnahme der Schule vom … sei ein Lügenroman. Der Entwicklungsbericht sei verboten, was sich an den Erläuterungen zum Bogen „Informationen für die Grundschule“ für Pädagogische Fachkräfte zeige. Dies gelte auch für die in der E-Mail vom 18. März 2022 erwähnte Information der KiTa im Januar 2021, dass sie eine Einschulung zum kommenden Schuljahr nicht für zielführend halte. Die weiteren Ausführungen in der E-Mail seien ebenfalls gelogen, es seien keine Jalousien oder Rollos geschlossen worden. Das Schulspiel sei 45 Min. mit drei unbekannten Kindern erfolgt. Fr. … habe den Antragsteller fertiggemacht, weil er das erste Mal einen Stundengong gehört und nachgefragt habe. Mehr sei nicht vorgefallen. In der Besprechung vom 18. März 2022 sei von allen drei Lehrkräften mitgeteilt worden, dass der Antragsteller das Schulziel sicher erreichen werde, aber die Schule ihn nicht aufnehmen werde, weil die Klasse sonst zu groß werde, da es nur noch 20 Kinder geben solle. Sie bräuchten sich keine weitere Mühe geben. Sie hätten als Eltern den Bogen „Informationen für die Grundschule“ nicht unterschrieben. Der Bogen dürfe nur mit den Eltern und dem Kindergarten und der Grundschullehrkraft ausgefüllt werden, was nicht der Fall gewesen sei. Auf einem weiteren Beobachtungsbogen (zum Gespräch vom 18. Februar 2021 erstellt) seien nachträglich Bemerkungen, unter anderem „Ergotherapie empfohlen“ eingefügt worden. Konzentration, Ausdauer und Durchhaltevermögen sei vorhanden, sonst hätte der Antragsteller weder das Seepferdchen noch die Musikalische Früherziehung gemeistert.
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Beigefügt waren zahlreiche Anlagen, unter anderem die Erläuterungen zum Bogen „Informationen für die Grundschule“ für Pädagogische Fachkräfte. Ausweislich einer beigefügten Stellungnahme von Dr. med. … vom 11. August 2022 kenne dieser den Antragsteller seit der Geburt. Er sei nicht sein Kinderarzt, aber durch Akutbehandlungen und als Nachbar sei er bekannt. Der Antragsteller sei ein völlig normales Kind, der sich auch z.B. bei Kindergeburtstagen durchaus kompatibel zeige. Der Mitteilungsbogen des Landratsamts … vom 12. Mai 2022 über die durchgeführte Schuleingangsuntersuchung bemerkt, dass der Antragsteller bei der Untersuchung gute Konzentration und Ausdauer zeige, gute sprachliche Entwicklung habe. Die Handmotorik sei noch etwas fest (Ergotherapie laufe derzeit). Ansonsten sei der Befund altersgerecht. Aus schulärztlicher Sicht spreche nichts gegen eine zeitgerechte Einschulung.
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Der Antragsgegner beantragte,
den Antrag abzulehnen.
18
Grundlage für die Zurückstellung seien die Erkenntnisse aus der Überprüfung der Schulfähigkeit (Schulspiel vom … 2022) und die deckungsgleichen Erkenntnisse, die sich aus dem Fachdialog mit der zuständigen Kindertagesstätte ergeben hätten. Beide Teilbereiche hätten erhebliche Entwicklungsverzögerungen in den Bereichen Motivation, Sozialkompetenz und Arbeitsverhalten gezeigt, die zur Entscheidung führten, dass das Kind erst ein Schuljahr später mit Erfolg oder nach Maßgabe von Art. 41 Abs. 5 BayEUG am Unterricht der Grundschule teilnehmen könne. Die von den Erziehungsberechtigten in ihrem Antrag angemahnten „illegalen Absprechungen“ zwischen Schule und Kindertagesstätte seien gängiger und wichtiger Teil des Einschulungsprozesses, sofern die Eltern diesem Fachdialog zustimmten. Die von den Erziehungsberechtigten unterschriebene Einwilligung in den Fachdialog befände sich in den Akten. Der gestellte Antrag sei als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen den Bescheid der Schule in Gestalt des Widerspruchsbescheids auszulegen. Die Entscheidung nach Art. 37 Abs. 2 Satz 1 BayEUG suspendiere den gesetzlichen Eintritt der Schulpflicht zu einem bestimmten Zeitpunkt, welcher wiederum Voraussetzung für die Einschulung des Kindes sei. Der Antrag sei jedoch bereits unzulässig, weil vorliegend ein Rechtsbehelf in der Hauptsache noch gar nicht eingelegt worden sei, dessen aufschiebende Wirkung durch Entscheidung des Gerichts wiederhergestellt werden könnte. Jedenfalls wäre er unbegründet. Über die Zurückstellung der Einschulung des Kindes sei seitens der Schule auf rein pädagogischer Grundlage unter Einbeziehung aller dafür und dagegen sprechenden Gesichtspunkte entschieden worden, ohne dass insoweit der gerichtlichen Nachprüfung unterliegende Rechtsfehler aufgezeigt oder sonstwie erkennbar wären.
19
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf die Gerichts- und beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
20
Der Antrag hat keinen Erfolg.
21
1. Der Antrag ist zulässig. Er ist mangels anwaltlicher Vertretung wohlverstanden darauf gerichtet, dass der Antragsteller zum Schuljahr 2022/ 2023 die …-Grundschule … besuchen darf.
22
Statthaft ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO. Die Kammer folgt der Begründung des Verwaltungsgerichts Dresden in seinem Beschluss vom 3. August 2010 - 5 L 366/10 - (BeckRS 2011, 49498) und überträgt sie auf das bayerische Schulrecht. Obwohl die Schulpflicht nach Art. 35 Abs. 1 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000, das zuletzt durch § 1 des Gesetzes vom 5. Juli 2022 (GVBl. S. 308) geändert worden ist, regelmäßig mit einer Schulbesuchspflicht (Art. 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayEUG) verbunden ist und die Einschulung von Kindern einer bestimmten Altersstufe (Art. 37 Abs. 1 Satz 1 BayEUG) der Regelfall und die Zurückstellung von der Aufnahme gemäß Art. 37 Abs. 2 BayEUG der Ausnahmefall ist, wird ein grundsätzlich schulpflichtiges Kind, das für den Grundschulbesuch angemeldet wurde, nicht kraft Gesetzes Schüler der Grundschule, in deren Schulsprengel es seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 42 Abs. 1 Satz 1 BayEUG). Aus § 2 Abs. 3 Satz 6 der Grundschulordnung (GrSO) vom 11. September 2008 (GVBl. S. 684, BayRS 2232-2-K), die zuletzt durch § 2 der Verordnung vom 8. Juli 2021 (GVBl. S. 479) geändert worden ist, und Art. 37 Abs. 2 BayEUG ergibt sich, dass über die Aufnahme in die Grundschule oder die Zurückstellung vom Schulbesuch die Schule entscheidet. Weicht die Entscheidung der Schule dabei von dem Beschulungs- oder Rückstellungswunsch des Schülers und der Eltern ab, liegt insoweit eine versagende Entscheidung vor, gegen die der Schüler und die Eltern des Schülers in der Hauptsache mit dem Verpflichtungswiderspruch und der Verpflichtungsklage und im Eilverfahren mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vorgehen können. Dem ohne nähere Begründung anderslautenden Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 8. Januar 2003 - M 3 S 02.6030 - (BeckRS 2003, 30217) und der Auffassung der Antragsgegnerseite wird daher nicht gefolgt (wohl ebenso: Rux, SchulR, § 2 Das Schulverhältnis im engeren Sinne: Die Schulpflicht und das Recht auf Bildung, Rn. 237 mit Verweis auf die einstweilige Anordnung bei vorzeitiger Einschulung unter Rn. 227 sowie Rn. 1592). Die Situation bei einer nach Schulbeginn erfolgenden Zurückstellung (vgl. Art. 37 Abs. 2 2. Hs. BayEUG), bei der auch das Verwaltungsgericht Braunschweig in seinem Urteil vom 15. Mai 2003 - 6 A 11/03 - die Anfechtungsklage in der Hauptsache für statthaft hält, unterscheidet sich bereits dadurch, dass vorher eine Aufnahme entschieden wurde. Für einen Suspensiveffekt nach § 80 Abs. 1 VwGO ist vorliegend kein Raum, weil die Situation der Anfechtungsklage insoweit nicht gegeben ist. Der Antragsteller begehrt daher sinngemäß, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn vorläufig in die 1. Klasse der Grundschule aufzunehmen.
23
Der Antrag konnte bereits vor Einleitung des Hauptsacheverfahrens gestellt werden (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zu den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Antrags nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO gehört das Vorliegen eines „streitigen Rechtsverhältnisses“. Das Vorliegen eines solchen ist nicht deshalb zu verneinen, weil der Antragsteller bisher gegen die ablehnende Entscheidung keine Klage erhoben hat. Wichtig ist nur, dass er dies noch vornehmen kann, also die ablehnende Entscheidung noch nicht bestandskräftig ist, was hier noch nicht der Fall ist (BayVGH, B.v. 24.8.1994 - 12 CE 94.2401 - BeckRS 1994, 23124; VG Karlsruhe, B.v. 3.3.2021 - 8 K 4842/20 - BeckRS 2021, 24088 Rn. 13; VG Würzburg, B.v. 24.8.2015 - 2 E 15.712 - BeckRS 2016, 42736; Schoch/Schneider, VwGO, 42. EL Februar 2022, § 123 Rn. 106; vgl. BVerfG, B.v. 19.1.2021 - 1 BvR 2671/20 - NVwZ-RR 2021, 385 Rn. 26).
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2. Der Antrag ist unbegründet.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Erforderlich ist für einen Erfolg des Antrags, dass der Antragsteller einen materiellen Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Eilbedürftigkeit) gerade im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (Anordnungsgrund) glaubhaft machen kann, § 123 Abs. 3 VwGO, § 920 der Zivilprozessordnung (ZPO). Mit dem Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn vorläufig in die 1. Klasse der Grundschule aufzunehmen, begehrt der Antragsteller keine lediglich sichernde oder vorläufig regelnde Maßnahme, sondern im Wesentlichen die Vorwegnahme der Hauptsache. Ein derartiges Rechtsschutzziel widerspricht grundsätzlich der Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes und kommt daher nur ausnahmsweise aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) in Betracht, nämlich dann, wenn das Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache für den Antragsteller schlechthin unzumutbar wäre (BVerwG, B.v. 6.10.2015 - 1 WDS-VR 1.15 - NVwZ-RR 2016, 60 Rn. 21). Ein derartiger Anordnungsanspruch setzt schon grundsätzlich eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit im zugehörigen Hauptsacheverfahren voraus (HessVGH, B.v. 26.10.2009 - 7 B 2707/09 - BeckRS 2010, 45232).
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An der Eilbedürftigkeit besteht kein Zweifel, nachdem morgen der erste Schultag des Schuljahres 2022/2023 beginnt. Nach diesen Maßgaben wurde jedoch kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es besteht keine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit.
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2.1 Der sechs Jahre alte Antragsteller ist mit Beginn des Schuljahres 2022/2023 grundsätzlich schulpflichtig, Art. 37 Abs. 1 Satz 1 BayEUG. Mit der Pflicht, die dem Wohnsitz zugeordnete Grundschule zu besuchen, korrespondiert ein Rechtsanspruch auf den Besuch dieser Schule. Gegenstand der vorliegenden Entscheidung ist somit allein, ob das Kind die Grundschule besuchen darf, also Anspruch auf die Aufnahme in die Regel-Grundschule hat (BayVGH, U.v. 11.12.1996 - 7 B 96.2568 - BeckRS 1997, 20380). Nach Art. 37 Abs. 2 Satz 1 BayEUG kann ein Kind, das am 30. September mindestens sechs Jahre alt ist, für ein Schuljahr von der Aufnahme in die Grundschule zurückgestellt werden, wenn zu erwarten ist, dass das Kind voraussichtlich erst ein Schuljahr später mit Erfolg am Unterricht der Grundschule teilnehmen kann. Die Entscheidung über die Zurückstellung trifft, wie sich aus § 2 Abs. 1 der Bayerischen Schulordnung (BaySchO) vom 1. Juli 2016 (GVBl. S. 164, 241, BayRS 2230-1-1-1-K), die zuletzt durch die §§ 1 und 2 der Verordnung vom 16. August 2022 (GVBl. S. 570) geändert worden ist, schließen lässt, die Schulleiterin oder der Schulleiter (VG Würzburg, B.v. 18.8.2016 - W 2 E 16.819 - BeckRS 2016, 115948 Rn. 24).
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Für die Zurückstellung i. S. v. Art. 37 Abs. 2 Satz 1 BayEUG kommt es entscheidend auf die Frage der Schulfähigkeit bzw. der Schulreife als materielle Einschulungsvoraussetzung an. Insoweit ist eine pädagogische Prognose über die schulischen Erfolgsaussichten eines Kindes zu erstellen (VG Augsburg, B.v. 7.9.2006 - Au 3 K 06.00804 - BeckRS 2006, 33105). Ein Kind ist schulfähig, wenn es körperlich, geistig-seelisch und sozial so weit entwickelt ist, dass es am Unterricht erfolgreich teilnehmen kann. Die inhaltliche Ausprägung des Art. 37 Abs. 2 BayEUG lässt eine breit angelegte Berücksichtigung der individuellen Voraussetzungen und Fähigkeiten des Kindes zu (Dirnaichner in PdK Bay G-1, BayEUG, Juni 2022, Art. 37 1.). Faktoren, die den Schulerfolg maßgeblich bestimmen, sind beispielsweise soziale Reife und Sozialfähigkeit (Ansprechbarkeit, Kontaktaufnahme zu anderen Kindern in der Gruppe), Sprache (Sprach- und Sprechverhalten, Sprach- und Anweisungsverständnis), Emotionalität (Spannungen, Ängstlichkeit), psychische Stabilität, Selbstvertrauen, Motorik, Wahrnehmung, Logik, Denkfähigkeit, Gedächtnis, Selbstständigkeit, Konzentrationsfähigkeit, Anstrengungsbereitschaft, Belastbarkeit, Ausdauer, Gliederungsfähigkeit und Arbeitstempo. Im Hinblick auf die Beurteilung des Tatbestandsmerkmals der Schulfähigkeit steht dem Schulleiter aufgrund des wertenden Charakters der Entscheidung ein relativ großer und gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer (Beurteilungs-)Spielraum zu (vgl. Rux, Schulrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 227). Der Schulleiter ist dabei an die Auffassung der Erziehungsberechtigten nicht gebunden (VG Augsburg, B.v. 7.9.2006 - Au 3 K 06.00804 - a. a. O.). Die aufgrund pädagogischer Einschätzungen und Abwägungen getroffene und auf prognostischen Überlegungen beruhende Entscheidung des Schulleiters über die Schulfähigkeit eines Kindes ist gerichtlich nur daraufhin zu überprüfen, ob der Schulleiter wesentliche Verfahrensvorschriften oder allgemeine Wertmaßstäbe verletzt hat, ob er willkürlich gehandelt hat oder von sachfremden Erwägungen und unrichtigen Tatsachen ausgegangen ist und ob die zugrunde liegenden Tatsachen einer objektiven Überprüfung standhalten (OVG NW, B.v. 10.8.2006 - 19 B 1513/06 - juris Rn. 2 ff.; VG Bayreuth, B.v. 11.9.2015 - 3 E 15.582 - BeckRS 2015, 53619; ebenso VG Würzburg, B.v. 18.8.2016 - W 2 E 16.819 - BeckRS 2016, 115948).
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Nach diesen Maßgaben ist die Einschätzung der Grundschule, dass der Antragsteller voraussichtlich erst ein Jahr später mit Erfolg am Unterricht der Grundschule teilnehmen kann, nicht zu beanstanden. Der Schulleiter hat im Bescheid berücksichtigt, dass die Erzieherin des Antragstellers in einem Gespräch, welches infolge der Einwilligung der Eltern in den Fachdialog auch zulässig war, ihre Einschätzung dahingehend geäußert hat, von einer Einschulung abzusehen, da insbesondere die nötige Motivation und Frustrationstoleranz noch nicht ausreichend ausgebildet seien. Daneben ist das Schulspiel vom … 2022 ausweislich der Bescheide maßgebliche Grundlage der Einschätzung. Der Schulleiter hat erläuternd zu dem Bescheid vom 21. April 2022 ausgeführt, dass im Rahmen des Schulspiels streckenweise Vorhänge und Jalousien geschlossen werden mussten, um den Fokus des Kindes auf die Aufgaben zu lenken. Selbst dann habe der Antragsteller nur mit individueller Motivation und 1:1-Betreuung zum (konzentrierten) Arbeiten bewegt werden können. Bereits nach 20 Minuten seien Aufmerksamkeit und Ausdauer derart erschöpft gewesen, dass selbst einfachste Aufgaben nicht oder nur mit höchstem extrinsischen Aufwand zu Ende gebracht werden hätten können. Die Lehrkräfte haben danach seinerzeit festgestellt, dass dem Antragsteller noch einige für das erfolgreiche Lernen in der Schule bedeutsame Fähigkeiten und Fertigkeiten fehlten. Dabei handelt es sich um den sozial-emotionalen Bereich der die Schulfähigkeit betreffenden Defizite. Stattdessen habe der Antragsteller die anderen Kinder durchgängig durch nicht zu bremsende Redebeiträge oder anderweitige Geräusche abgelenkt. Besonders bemerkenswert erscheine dies mit Blick darauf, dass es sich um völlig fremde Personen handele. Die Kollegen, die das Schulspiel geleitet hätten, seien einhellig der Meinung gewesen, dass die Defizite nicht bis zum Schuljahresstart behoben werden könnten und zusätzlicher Unterstützungsbedarf (insb. Ergotherapie) bestehe. Die Kolleginnen hätten darüber hinaus betont, dass für das Kindeswohl eine spätere Einschulung insbesondere deshalb förderlich sei, weil zu erwarten sei, dass der Antragsteller ohne die nötige individuelle Betreuung und Motivation innerhalb kürzester Zeit den Anschluss an die Klasse verlieren und der Schuleintritt damit mit Frust und negativen Erfahrungen belastet sein könnte. Abgesehen davon, dass keine Jalousien oder Vorhänge geschlossen hätten werden müssen, stellt die Antragstellerseite die Richtigkeit der Feststellungen nicht infrage. Sie rügt lediglich die Unzulässigkeit der Form.
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Aus diesen Eindrücken eine negative Erfolgsprognose abzuleiten, erscheint unter Berücksichtigung des Prüfungsrahmens des einstweiligen Rechtsschutzes und dem beschränkt überprüfbaren (Beurteilungs-)Spielraum nicht fehlerhaft. Die angestellten Erwägungen sind nachvollziehbar. Die erfolgreich durchgeführte Schuleingangsuntersuchung vom 24. Februar 2022 und die schulärztliche Untersuchung vom 12. Mai 2022, wobei letztere auch im Widerspruchsbescheid berücksichtigt wurde, erschüttern die von der Schulleitung getroffene Einschätzung nicht nachhaltig, da sich die schulärztliche Untersuchung im Kern auf schulrelevante Gesundheitsprobleme beschränkt (vgl. HessVGH, B.v. 26.10.2009 - 7 B 2707/09 - BeckRS 2010, 45232). Eine tragfähige Aussage über die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Schulkindes lässt sich nicht selten erst nach der Erprobung im Schulspiel treffen. Insbesondere sind vertiefte Erkenntnisse über das soziale Verhalten des Kindes erst nach der Kontaktaufnahme mit der Klassengemeinschaft möglich. Diese den Lehrkräften aus der Unterrichtsbeobachtung möglichen Erkenntnisse über die schulbezogenen Fähigkeiten und Fertigkeiten des Schülers stehen bei der ärztlichen Untersuchung noch nicht zur Verfügung (VG Braunschweig, U.v. 15.5.2003 - 6 A 11/03 - BeckRS 2003, 22484 Rn. 25). Es wird insofern im Übrigen auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid (Seite 4 2. Absatz) verwiesen, § 117 Abs. 5 VwGO. Die ärztliche Bescheinigung des Dr. med. … ist sachlich wenig aussagefähig. Eine Bescheinigung der behandelnden Ergotherapeutin wurde nicht vorgelegt. Die Eltern des Antragstellers können auch nicht erfolgreich geltend machen, dass ihre eigenen Beobachtungen zu Hause und in der Freizeit die Bewertungen der Lehrkräfte nicht bestätigen. Der Vortrag im Widerspruchsverfahren, der Antragsteller könne im Kindergarten unterfordert sein, entbehrt auch jeglicher Glaubhaftmachung. Die Einschätzung hinsichtlich einer erfolgreichen Teilnahme am Unterricht ist von der elterlichen Subjektivität geprägt. Zudem kann ihnen keine entscheidende Bedeutung zukommen, da sie sich naturgemäß nicht auf eine breite und vergleichbare fachlich Basis stützen und nicht von dafür ausgebildeten Fachkräften stammen, wie dies bei der Untersuchung eines ganzen Jahrgangs im Rahmen der Einschulung der Fall ist (VG Würzburg, B.v. 18.8.2016 - W 2 E 16.819 - BeckRS 2016, 115948 Rn. 30). Für die Prognose sind die in der Schule zum Ausdruck gekommenen Fertigkeiten und Fähigkeiten des Kindes maßgeblich, weil die Lehrkräfte nur diese aus eigener Anschauung bewerten können. Im Übrigen haben die Eltern nicht hinreichend substanziiert und nachvollziehbar dargelegt, welche Beobachtungen der Prognose der Lehrkräfte entgegenstehen sollen (VG Braunschweig, U.v. 15.5.2003 - 6 A 11/03 - BeckRS 2003, 22484 Rn. 28; VG Dresden, B.v. 3.8.2010 - 5 L 366/10 - BeckRS 2011, 49498).
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2.2 Auch die Ausübung des dem Schulleiter bei der Zurückstellung vom Schulbesuch gesetzlich eingeräumten Ermessens ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Zurückstellung vom Schulbesuch dient dazu, das noch nicht schulfähige Kind vor der durch die Teilnahme am Schulunterricht drohenden ständigen Überforderung, den zu erwartenden Misserfolgserlebnissen sowie den aus Lernschwierigkeiten am Schulanfang resultierenden negativen Langzeitwirkungen zu schützen und ihm Zeit zu geben, die für den erfolgreichen Schulbesuch erforderlichen grundlegenden Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln. Damit soll zugleich erreicht werden, dass der Unterrichtsbetrieb nicht über das erforderliche Maß hinaus beeinträchtigt wird. Diesen Regelungszwecken entspricht die Entscheidung der Schule (VG Braunschweig, U.v. 15.5.2003 - 6 A 11/03 - BeckRS 2003, 22484 Rn. 29).
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Zwar weist die Antragstellerseite darauf hin, dass die Erläuterungen des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus zum Bogen „Informationen für die Grundschule“ für Pädagogische Fachkräfte auf Seite 1 ausführen, dass Voraussetzung für das Ausfüllen des Informationsbogens die vorab erteilte Einwilligung der Eltern sei. Unter Punkt 1.2 heißt es: Andere, von Kindertageseinrichtungen oder Grundschulen selbst entwickelte Bögen seien nicht mehr zugelassen. Ebenso unzulässig sei es, dass Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte Übergabegespräche über die einzuschulenden Kinder ohne vorherige wirksame Einwilligung der Eltern (s. 2.1) führen oder dass Grundschullehrkräfte die einzuschulenden Kinder in Kindertageseinrichtungen systematisch beobachten und testen. Unter Punkt 2.1 heißt es: (…) Ob der Bogen ausgefüllt bzw. der ausgefüllte Bogen der Schule vorgelegt werde, würden allein die Eltern als gesetzliche Vertreter des Kindes entscheiden. Dies gelte selbst dann, wenn sie vorab ihre generelle Einwilligung in den kindbezogenen Fachdialog wirksam erteilt hätten (Formblatt „Einwilligung der Erziehungsberechtigten in den Fachdialog zwischen Kindertageseinrichtung und Schule über das Kind“). Überbringer des Bogens oder ggf. der Bögen an die Schule sind die Eltern und nicht die Kindertageseinrichtung.
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Der Beobachtungsbogen für die Einschulung, der offenbar von der Grundschule ausgefüllt wurde (Formblatt von 2019/2020) sowie der Entwicklungsbericht des Kindergartens vom … 2022 dürften danach in Konflikt mit den Erläuterungen zum Bogen stehen, nachdem sie beide eine andere als die vorgegebene Form aufweisen und zusätzlich der Entwicklungsbericht ohne Unterschrift der Erziehungsberechtigten vom Kindergarten an die Grundschule übermittelt wurde.
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Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Sie hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen, Art. 24 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG). Eine mangelhafte Sachverhaltsmitteilung im Verwaltungsverfahren kann sich bei Ermessensentscheidungen und den Entscheidungen auf Grund einer Beurteilungsermächtigung auf die materielle Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes auswirken (Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 24 Rn. 58). Grds. dürfen nur rechtmäßig erlangte Informationen gegen den Bürger verwandt werden. Das Verwaltungsrecht insgesamt kennt trotzdem kein generelles Beweisverwertungsverbot. Nach der ganz überwiegend vertretenen Auffassung ist ein Beweisverwertungsverbot grundsätzlich nur dann Folge einer rechtswidrig erfolgten Ermittlung, wenn die zur Rechtswidrigkeit der Ermittlungsmaßnahme führenden Verfahrensverstöße schwerwiegend waren oder bewusst oder willkürlich begangen wurden. Auch im Strafprozessrecht gibt es keinen Grundsatz des Inhalts, dass im Fall einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnenen Beweise stets unzulässig wäre. Vielmehr ist über die Verwertbarkeit jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des verletzten Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Für das Verwaltungsverfahren gilt entsprechendes: Bei Fehlen eines ausdrücklichen Verwertungsverbots ist die dargestellte Abwägung für die Verwertbarkeit bestimmend. Einwilligung oder Verzicht desjenigen, dessen Rechte verletzt worden sind, soweit diese Rechte verzichtbar sind, können die Verwertung gestatten. Ebenso kann eine nicht durch eigene Ermittlung auflösbare Interessenkollision zwischen z. B. dem Recht auf Datenschutz und dem höherwertigen Recht eines Dritten auf Leben oder Freiheit die Verwertung der Daten zum Schutz dieses Dritten rechtfertigen (Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 24 Rn. 32 f.).
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Aus den Umständen des Einzelfalls unter Abwägung der Schwere des Eingriffs in das Recht des Betroffenen einerseits sowie dem Interesse an dem Wohl des Kindes und einem funktionierenden Klassenleben in der Schule andererseits sowie dem Umstand, dass die Antragstellerseite selbst die genannten Unterlagen in das Verfahren einführt, ergibt sich für die Kammer im konkreten Fall, dass kein Beweisverwertungsverbot besteht. Die Grundschule verwertete offenkundig lediglich den Entwicklungsbericht des Kindergartens vom … 2022 und die Eindrücke beim Schulspiel, das von ihr selbst durchgeführt wurde (wenn diese auch auf einem wohl unzulässigen Beobachtungsbogen festgehalten wurden). Als das Schulamt eine Stellungnahme der Schulleitung und die Vorlage der Unterlagen forderte, wurde von den als unzulässig gerügten Unterlagen lediglich der Entwicklungsbericht vom … 2022 übermittelt. Allein dieser findet sich auch in der Behördenakte. Dass auch das Schulamt keine weiteren Unterlagen zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat, zeigt insbesondere die fachaufsichtliche Stellungnahme vom 25. Juli 2022, worin die Anlagen aufgezählt werden. Anlage Nr. 7 ist der Entwicklungsbericht vom … 2022 und die von Antragstellerseite als unzulässig gerügte Anlage 8 stellt ausweislich der eigens vorgelegten Unterlagen die E-Mail des Schulleiters an das Schulamt vom 18. März 2022 dar, in der lediglich von einem Gespräch mit dem Kindergarten berichtet wird.
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Ein etwaiger Verstoß wäre daher im konkreten Einzelfall aus dem Grund nicht schwerwiegend, dass von den Eltern des Antragstellers am 10. Juli 2020 die Anlage „Einwilligung der Erziehungsberechtigten in den Fachdialog zwischen Kindertageseinrichtung und Schule über das Kind“ unterschrieben wurde. Die Einwilligung wurde nicht widerrufen. In der Anlage heißt es auszugsweise: „Die Einwilligung der Eltern ermöglicht eine partnerschaftliche Kooperation und den Austausch aller Beteiligten über das Kind. (…) (1) (…) Im Rahmen der arbeitsteiligen Kursdurchführung tauschen sich die jeweils zuständige pädagogische Fachkraft der Kindertageseinrichtung und die Lehrkraft der Grundschule über ihre Beobachtungen der sprachlichen Lern- und Entwicklungsprozesse des Kindes regelmäßig aus und stimmen für eine optimale Förderung des Kindes das weitere pädagogische Vorgehen aufeinander ab. (…) (2) Übergang des Kindes in die Grundschule (…) Wichtig ist, dass alle den Bewältigungsprozess gemeinsam gestalten, damit dieser Übergang gelingt. Gespräche hierzu führen Fach- und Lehrkräfte möglichst im Beisein der Eltern, um auch ihre Kenntnisse und Erfahrungen über ihr Kind mit einzubeziehen. Im Einschulungsverfahren kann für die Grundschule (z.B. Kooperationsansprechpartner/in, Schulleitung) der Austausch mit der Kindertageseinrichtung wichtig sein, insbesondere um sich zu beraten, ob das Kind einer gezielten Unterstützung vor bzw. nach seiner Einschulung bedarf (z.B. Hochbegabten-, Sprachförderung, Besuch einer Sprachlernklasse), oder ob für das Kind die Zurückstellung vom Schulbesuch oder der Besuch einer Förderschule die bessere Entscheidung ist.
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Danach waren die Eltern des Antragstellers ohnehin mit dem Fachdialog einverstanden, wenn auch nicht in der Form, dass vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus nicht vorgegebene Formulare ausgefüllt und weitergeleitet werden. Es handelt sich nach Einschätzung der Kammer im einstweiligen Rechtsschutzverfahren auch um keinen vorsätzlichen Verstoß. Der Regelungszweck der Zurückstellung (s.o.; vgl. auch fachliche Stellungnahme der Schule) wiegt besonders schwer. Dass die Schule sich bei ihrer Entscheidung von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen, ist nicht erkennbar.
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2.3 Aus dem Zweck der Regelung ergibt sich insbesondere, dass die Zurückstellung nur ausgesprochen werden darf, wenn sie angesichts der Art des festgestellten Entwicklungsrückstandes geeignet ist, die noch nicht vorhandene Schulfähigkeit herzustellen („Nachreife“prognose: VG Braunschweig, U.v. 15.5.2003 - 6 A 11/03 - BeckRS 2003, 22484 Rn. 19). Hieran hat nach Aktenlage weder die Schule noch die Kammer Zweifel.
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Der bloße Wunsch von Eltern und Schülern nach der „fristgerechten“ Beschulungsaufnahme an der Regelgrundschule muss vorliegend zurückstehen.
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Nach alledem war der Antrag abzulehnen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffern 1.5 Satz 2, 38.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, da die Hauptsache bei Stattgabe teilweise vorweggenommen würde.