Titel:
Entlassungsbericht Bezirksklinikum, Schlüssigkeit des Arztbriefes, Fahrerlaubnisentziehung, Bezirkskliniken als spezialisierte Einrichtungen, Diagnosekriterien nach ICD-10, hohe Verlässlichkeit von Entlassungsberichten
Normenketten:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV i.V.m. § 46 Abs. 1
FeV Nr. 8.3 der Anlage 4 zur
FeV § 11 Abs. 7
Schlagworte:
Entlassungsbericht Bezirksklinikum, Schlüssigkeit des Arztbriefes, Fahrerlaubnisentziehung, Bezirkskliniken als spezialisierte Einrichtungen, Diagnosekriterien nach ICD-10, hohe Verlässlichkeit von Entlassungsberichten
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31662
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Führerscheinklassen A79, A179, AM, B, BE, C1, C1E und L.
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Am 31. Januar 2022 gelangte der Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts … (im Folgenden: Landratsamt) folgender Sachverhalt zur Kenntnis: Aus einer Ereignismeldung der Polizeiinspektion … (Az. …) ergab sich, dass der Antragsteller am 2. Januar 2022 um 23:50 Uhr versucht habe, sich in seiner Wohnung in der … in … zu erhängen. Seine Frau und Tochter hätten ihn jedoch rechtzeitig heruntergeschnitten.
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Die Führerscheinstelle wurde am 27. Januar 2021 von dem für den Vollzug des Bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes (BayPsychKHG) zuständigen Fachbereich darüber informiert, dass der Antragsteller am 10. Januar 2022 freiwillig ins Bezirkskrankenhaus eingeliefert worden sei. Dies ergibt sich auch aus einem Aktenvermerk der Polizeiinspektion … Mit Schreiben des Landratsamts vom 3. Februar 2022 wurde der Antragsteller aufgefordert, bis zum 17. Februar 2022 den Entlassungsbericht des Bezirkskrankenhauses … vorzulegen. Der Führerscheinstelle sei zur Kenntnis gelangt, dass sich der Antragsteller wegen eines Suizidversuches am 2. Januar 2022 zur Behandlung im Bezirkskrankenhaus befunden habe. Der Entlassungsbericht des Bezirkskrankenhauses sei zu übersenden, um weitere Zweifel bzw. körperliche Mängel bezüglich der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen zu können. Für den Fall der Nichtvorlage des Berichts behalte sich das Landratsamt weitere führerscheinrechtliche Maßnahmen vor.
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Am 15. Februar 2022 ging der Entlassungsbericht des Bezirkskrankenhauses … beim Landratsamt ein. Aus dem Bericht ergibt sich, dass beim Antragsteller eine Anpassungsstörung sowie psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol (Abhängigkeitssyndrom, ICD F10.2) sowie psychische und Verhaltensstörungen durch Tabak (Abhängigkeitssyndrom, ICD F17.8) festgestellt wurden. Der Antragsteller sei im Haus bekannt. Es werde auf alte Arztbriefe verwiesen. Aufgrund der Strangulation habe der Antragsteller eine Lungenembolie des linken Unterlappens sowie eine Pneumonie bei Aspiration erlitten und weise eine Laryngitis (supraglottische Enge) auf. Der Antragsteller leide darüber hinaus an Diabetes mellitus Typ 2. Der Antragsteller habe angegeben, in der letzten Zeit viel Stress gehabt und viel gearbeitet zu haben. Er habe die Wohnung renoviert. Außerdem habe ihn die Exfreundin seines Sohnes der Vergewaltigung bezichtigt und dann habe er nicht mehr leben wollen. Er habe vor dem Suizidversuch Alkohol getrunken. Bei dem Antragsteller sei eine Alkoholabhängigkeit sowie ein Alkoholentzugssyndrom aus dem Jahr 2016 bekannt. Seit 45 Jahren trinke der Antragsteller ungefähr drei Bier abends. Am 27. April 2016 sei der Antragsteller zur ersten stationären Entzugsbehandlung von Alkohol in das Bezirkskrankenhaus gekommen. Seit 45 Jahren sei der Antragsteller Raucher. Der Antragsteller habe sich bezüglich seines Alkoholkonsums dissimulierend gezeigt. Während der Behandlung habe sich der Antragsteller glaubhaft von Suizidgedanken oder Suizidplänen distanziert. Zunächst sei er jedoch sehr verschlossen gewesen, was die Suizidalität und den Suizidversuch konkret betreffe. Im Übrigen hätten sich keine Hinweise auf formale und inhaltliche Denkstörungen, auf Sinnestäuschungen, Ich-Störungen, Zwangsgedanken, Zwangshandlungen oder Phobien ergeben. Es seien erhöhte Blutzuckerwerte aufgefallen. Am 22. Januar 2022 habe der Antragsteller den Wunsch geäußert, entlassen zu werden und habe das Bezirkskrankenhaus ohne Rücksprache mit dem Arzt entlassen. Der Antragsteller habe am integrativen Therapieprogramm der gerontopsychiatrischen Depressionsstation teilgenommen. Dieses umfasse die medikamentöse Therapie, regelmäßige ärztliche Visiten und Gespräche, verhaltenstherapeutische Psychotherapie, Entspannungsverfahren, Psychoedukation, diagnostische und therapeutische Ergotherapie in der Gruppe, sowie Physiotherapie und Sport- und Bewegungstherapie. Es seien deutliche Schlafstörungen aufgefallen, die medikamentös behandelt worden seien. Als Therapievorschlag werde die strikte Alkoholabstinenz und eine regelmäßige haus- bzw. fachärztliche Weiterbehandlung des Diabetes mit regelmäßigen Kontrollen des Blutzuckerspiegels und die Anpassung der Insulintherapie empfohlen. Wenn möglich sei ein MRT vom Schädel durchzuführen, um einen hypoxischen Hirnschaden ausschließen zu können. Wenn es keinen Hinweis auf epileptische Anfälle gebe, könne die antikonvulsive Therapie beendet werden. Die Entlassungsmedikation solle wie angegeben beibehalten werden.
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Mit Schreiben des Landratsamts vom 24. Februar 2022 wurde der Antragsteller zur beabsichtigten Fahrerlaubnisentziehung angehört. Ihm wurde Gelegenheit gegeben, sich bis zum 10. März 2022 zu dieser Angelegenheit zu äußern.
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Mit Schreiben vom 7. März 2022, eingegangen beim Landratsamt am 10. März 2022, führte der Antragsteller aus, er habe sich während seines Aufenthaltes im Bezirkskrankenhaus lediglich drei Mal mit dem Psychologen unterhalten. Sein Suizidversuch sei eine Kurzschlussreaktion aufgrund der Anzeige der Exfreundin seines Sohnes gewesen. Der stationäre Aufenthalt im Jahr 2016 sei nur dadurch bedingt gewesen, dass er nach Mobbing, Bedrohung, Beleidigung uvm. keinerlei Hilfe von der Polizei und der Staatsanwaltschaft erhalten habe. In mehreren Verhandlungen sei er als Schuldiger dargestellt worden, obwohl er und seine Familie die Opfer gewesen seien. Die Aussage, er würde seit 45 Jahre täglich drei Bier trinken, treffe nicht zu. Er trinke gerne mal nach Feierabend zum Abendessen ein Bier; dies streite er nicht ab. In seinen knapp 62 Lebensjahren sei er mindestens 13 Jahre als Kraftfahrer im Nachtexpress selbständig tätig gewesen und habe keinen Tropfen Alkohol zu sich genommen. Auch heute sei er an seinen Führerschein gebunden, da er jede Woche von Montag bis Freitag arbeitstechnisch auf Montage unterwegs sei. Zudem herrsche während der Arbeitszeit ein striktes Alkoholverbot in der Firma. Durch die Abgabe des Führerscheins könne er nicht mehr arbeiten gehen und könne den Lebensunterhalt für seine Familie nicht gewährleisten. Die Abgabe des Führerscheins hätte zur Folge, dass er sich entweder arbeitslos melden oder die Rente einreichen müsse. Er fühle sich aber körperlich noch in der Lage, weiterhin arbeiten zu gehen. Er habe noch nie unter Alkoholeinfluss am Straßenverkehr teilgenommen und werde dies auch niemals tun. Selbst wenn eines der Kinder oder Enkelkinder am Wochenende oder in den Ferien zu Besuch komme und er eventuell ein Bier getrunken habe, setze er sich nicht ins Auto, um sie vom Bahnhof abzuholen. In diesem Falle müsse man laufen oder mit Bus oder Taxi fahren. Er bete inständig, ihm den Führerschein nicht zu entziehen.
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Mit Bescheid vom 17. März 2022, zugestellt am 18. März 2022, entzog das Landratsamt dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen A79, A179, AM, B, BE, C1, C1E und L und forderte ihn auf, den Führerschein mit der Nummer … umgehend beim Landratsamt abzugeben (Ziffer 1). Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet (Ziffer 2). Für den Fall, dass der Antragsteller seinen Führerschein nicht innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung dieses Bescheides abliefert, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR angedroht. Sollte die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs angeordnet werden, so wurde die Frist bis zum Ablauf von einer Woche nach Eintritt der Bestandskraft verlängert (Ziffer 3). Es wurde angeordnet, dass der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen hat - eine Gebühr in Höhe von 150,00 EUR sowie Auslagen in Höhe von 4,11 EUR (Ziffer 4).
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Rechtsgrundlage für die Entziehung sei § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 FeV. Danach habe die Fahrerlaubnisbehörde allgemein einem Kraftfahrer die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweise. Dies gelte insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorlägen. Würden Tatsachen bekannt, dass ein Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet oder nur bedingt geeignet sei, fänden die §§ 11 bis 14 der FeV entsprechend Anwendung. Der Antragsteller erweise sich vorliegend nach Anlage 4 Nr. 8.3 zur FeV als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, da bei diesem eine Alkoholabhängigkeit diagnostiziert worden sei. Eine bestehende Alkoholabhängigkeit sei nicht mit dem Führen von Kraftfahrzeugen vereinbar. Die Nichteignung des Antragstellers stehe zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest. Seien die Voraussetzungen zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen, so könne die Eignung erst dann wieder als gegeben angesehen werden, wenn eine erfolgreiche Entwöhnungsbehandlung durchgeführt worden sei und nach Abschluss der Therapie eine dauerhafte, in der Regel einjährige Abstinenz mittels Urinkontrollen oder Haaranalysen in einem Kontrollprogramm eines anerkannten Labors bzw. bei einer Begutachtungsstelle für Fahreignung nachgewiesen werden könne. Vor der Neuerteilung der Fahrerlaubnis sei eine medizinisch-psychologische Untersuchung bei einer Begutachtungsstelle für Fahreignung erforderlich. Bei alkoholabhängigen Personen bestehe krankheitsbedingt jederzeit die Gefahr eines Kontrollverlusts und der Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss. Dabei komme es nicht darauf an, ob der Betroffene bereits mit Alkohol im Straßenverkehr auffällig geworden sei. Wegen der allgemeinen Verfügbarkeit des Alkohols bestehe bei Alkoholabhängigkeit eine hohe Rückfallgefahr, so dass im Einzelfall strenge Maßstäbe anzulegen seien, bevor eine positive Prognose gestellt werden könne. Bereits im Jahr 2016 sei bei dem Antragsteller eine Alkoholabhängigkeit festgestellt und eine Entzugsbehandlung durchgeführt worden. Laut eigenen Angaben trinke er seit 45 Jahren abends 3 Bier und bevor sich der Suizidversuch ereignet habe, habe er auch Alkohol konsumiert. Der Antragsteller habe trotz der Entzugsbehandlung einen Rückfall erlitten. Dies lege den Schluss nahe, dass er die Alkoholabhängigkeit nicht überwunden habe. Zum jetzigen Zeitpunkt könne auch nicht von einer einjährigen Abstinenz ausgegangen werden, da der letzte Konsum von Alkohol am 3. Januar 2022 stattgefunden habe. Der Antragsteller sei ordnungsgemäß angehört worden. Das öffentliche Interesse an dem Schutz der Allgemeinheit vor ungeeigneten Kraftfahrern überwiege das persönliche und finanzielle Interesse des Antragstellers. Die abgegebene Erklärung des Antragstellers könne daher zu keiner anderen Entscheidung führen. Gemäß § 46 Abs. 6 FeV erlösche die Fahrerlaubnis mit der Entziehung, weshalb der Führerschein nach § 47 Abs. 1 FeV unverzüglich abzuliefern sei.
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Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Abgabepflicht sei im öffentlichen Interesse geboten. Die Verkehrssicherheit auf öffentlichen Straßen verlange, dass Verkehrsteilnehmer, die zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet seien, von der weiteren Teilnahme am Straßenverkehr ausgeschlossen würden, auch wenn das bisherige Fahrverhalten nicht zu Unfällen geführt habe. Es bedürfe somit keines Nachweises einer konkreten Gefahr. Aufgrund der diagnostizierten Alkoholabhängigkeit habe eine Teilnahme am Straßenverkehr bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung nicht zugelassen werden können. Es obliege dem Antragsteller, nachzuweisen, dass er eine einjährige Bewährung nach erfolgreich abgeschlossener Entwöhnungsbehandlung vorweise. Solange der Führerschein noch nicht abgegeben worden sei, bestehe die Möglichkeit des Missbrauchs. Durch die unverzügliche Abgabe solle dem entgegengewirkt werden. Das Interesse des Betroffenen, bis zu einer unanfechtbaren Entscheidung den Führerschein behalten zu dürfen, müsse eindeutig hinter dem Interesse der Allgemeinheit auf Schutz vor ungeeigneten Kraftfahrern zurücktreten.
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Die Androhung eines Zwangsgeldes beruhe auf Art. 29, 30, 31 und 36 BayVwZVG. Ein Zwangsgeld sei geeignet und erforderlich, da hiermit die Pflicht zur Abgabe durchgesetzt werden solle. Als Regelzwangsmittel sei das Zwangsgeld das am wenigsten einschneidende Mittel zur Durchsetzung der behördlichen Anordnung. Der Betrag in Höhe von 500,00 EUR erreiche das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers an der Nichtvorlage des Führerscheins besitze und stelle eine empfindliche finanzielle Belastung dar, welche den Antragsteller zur Ablieferung veranlassen werde, um unmittelbaren Zwang zu vermeiden. Die Abgabe innerhalb von 5 Tagen nach Zustellung des Bescheides sei zumutbar.
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Der Antragsteller hat seinen Führerschein am 22. März 2022 bei der Polizeiinspektion … abgegeben. Er ging am 30. März 2022 beim Landratsamt ein. Am 29. März 2022 stellte das Landratsamt das angedrohte Zwangsgeld fällig.
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Am 19. April 2022 hat der Antragsteller zur Niederschrift beim Landratsamt Widerspruch gegen den Entziehungsbescheid vom 17. März 2022 erhoben. Die Aussage, dass er seit 45 Jahren ungefähr drei Bier trinke, stimme so nicht. Auch die Diagnose der Alkoholabhängigkeit entspreche nicht der Wahrheit. Er sei nicht desorientiert und suizidgefährdet. Er sei beruflich auf seinen Führerschein angewiesen. Des Weiteren beziehe er sich auf seine Stellungnahme im Rahmen der Anhörung vom 7. März 2022.
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Am gleichen Tage stellte der Antragsteller zu Protokoll der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts Bayreuth einen Eilrechtsantrag gegen den Entziehungsbescheid.
gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung des heute von ihm gegen den Entziehungsbescheid des Landratsamts vom 17. März 2022, Az. …, eingelegten Widerspruchs anzuordnen.
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Zur Begründung seines Antrages verweise er auf das Vorbringen im Rahmen der hinsichtlich der heutigen Widerspruchserhebung am Landratsamt gefertigten Niederschrift. Diesbezüglich werde nochmals darauf hingewiesen, dass die Ausführungen im Entlassungsbericht des Bezirkskrankenhauses vom 24. Januar 2022 insbesondere im Hinblick auf eine angeblich bei ihm bestehenden Alkoholabhängigkeit, Desorientierung und Suizidgefährdung nicht der Wahrheit entsprächen. Zu keinem Zeitpunkt habe er die Aussage getätigt, seit 45 Jahren abends 3 Bier zu trinken. Am 3. Januar 2022 habe er einen einmaligen „Blackout“ gehabt und habe sich zunächst im Klinikum befunden. Am 10. Januar 2022 habe er sich dann freiwillig ins Bezirkskrankenhaus begeben. Der Psychologe habe dort lediglich drei 30minütige Gespräche mit ihm geführt. Er sei der Ansicht, dass dieser sich in dieser kurzen Zeit kein wirklich zutreffendes Bild von ihm habe machen können und deshalb die nicht nachvollziehbaren Ausführungen im Bericht getätigt habe. Würden diese auch nur annährend der Wahrheit entsprechen, so wäre er durch seinen Arbeitgeber in Anbetracht der von ihm zu verrichtenden durchaus verantwortungsvollen Arbeiten, dies häufig in großen Höhen zwischen 35 und 50 m, längst entlassen worden. Er sei beruflich auf den Führerschein angewiesen und könne daher eine möglicherweise länger dauernde Bearbeitungszeit bis zur Entscheidung über den Widerspruch nicht abwarten.
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Das Landratsamt beantragt
mit Schreiben vom 28. April 2022, den Antrag abzuweisen.
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Zur Begründung werde auf den Bescheid vom 17. März 2022 verwiesen. Im Entlassungsbericht vom 24. Januar 2022 sei beim Antragsteller eine psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol (Alkoholabhängigkeit) diagnostiziert worden. An dieser Diagnose bestünden keine begründeten Zweifel. Beim Bezirkskrankenhaus handele es sich um eine Einrichtung gemäß Art. 48 Abs. 3 Nr. 1 der Bezirksordnung für den Freistaat Bayern, die unter anderem zur Behandlung von Suchtkranken dient. Der Diagnose komme deshalb ein hoher Grad an Verlässlichkeit zu. Hinzu komme, dass sich der Antragsteller bereits im Jahr 2016 aufgrund von Alkoholabhängigkeit zur Entzugsbehandlung im Bezirkskrankenhaus befunden habe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
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Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen. Das Gericht prüft im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auch, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind.
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1. Entsprechend der Wortlautauslegung des Antrages (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) begehrt der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis und gegen die Anordnung der sofortigen Abgabe des Führerscheins (Ziff. 1) und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Zwangsgeldandrohung (Ziff. 3).
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2. Bei Zugrundelegung der genannten Maßstäbe sind die Erfolgsaussichten des Widerspruchs in Bezug auf Ziffer 1 des Bescheides bei summarischer Überprüfung offen. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids wiegt schwerer als das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Ziffer 3 des Bescheides erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig. Der zulässige Antrag hat in der Sache deshalb keinen Erfolg und ist abzulehnen.
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a. Die Rechtmäßigkeit der Ziffer 1 bleibt bei summarischer Prüfung offen.
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aa. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides genügt jedenfalls den formalen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs reicht es bei einer Fahrerlaubnisentziehung aus, die für den Fall typische Interessenlage aufzuzeigen; die Darlegung besonderer zusätzlicher Gründe für die Erforderlichkeit der sofortigen Vollziehung ist nicht geboten (so z.B**BayVGH, B.v. 24.8.2010 - 11 CS 10.1139 - juris Rn. 29; B.v. 25.5.2010 - 11 CS 10.227 - juris Rn. 12; VGH BW, B.v. 24.1.2012 - 10 S 3175/11 - juris Rn. 4). Die Behörde kann sich bei der Abwägung zwischen den Beteiligteninteressen im Wesentlichen auf die Prüfung beschränken, ob nicht ausnahmsweise in Ansehung der besonderen Umstände des Falles die sofortige Vollziehung weniger dringlich als im Normalfall ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2008 - 11 CS 08.1890 - juris Rn. 18). Dem werden die Ausführungen in der Begründung des Bescheides gerecht. So stellte der Antragsgegner zu Recht auf die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs ab.
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bb. Gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet oder bedingt geeignet ist, so finden gem. § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung.
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Alkoholabhängigkeit führt nach Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV zum Ausschluss der Eignung oder bedingten Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Wer alkoholabhängig ist, hat grundsätzlich nicht die erforderliche Fähigkeit, den Konsum von Alkohol und das Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr zu trennen. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob der Betreffende bereits mit Alkohol im Straßenverkehr auffällig geworden ist (BVerwG, B.v. 21.10.2015 - 3 B 31.15 - DAR 2016, 216). Bei alkoholabhängigen Personen besteht krankheitsbedingt jederzeit die Gefahr eines Kontrollverlusts und der Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss. Eine hinreichend feststehende und nicht überwundene Alkoholabhängigkeit hat damit zwangsläufig die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge, ohne dass es hierfür weiterer Abklärung bedarf (BayVGH, B.v. 19.7.2019 - 11 ZB 19.977 - juris Rn. 11). Nach der Nr. 8.4 besteht die Fahreignung erst wieder, wenn die Abhängigkeit nicht mehr besteht und in der Regel ein Jahr Abstinenz nachgewiesen wurde. Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt nach § 11 Abs. 7 FeV die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens. Bei feststehender Ungeeignetheit ist die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde ein Ermessensspielraum zukäme. Eine hinreichend feststehende und nicht überwundene Alkoholabhängigkeit hat damit zwangsläufig die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge, ohne dass es hierfür der Abklärung durch ein Fahreignungsgutachten bedarf. Die Anordnung gemäß § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV, ein ärztliches Gutachten beizubringen, ist nur erforderlich, wenn zwar Tatsachen die Annahme einer Alkoholabhängigkeit begründen und daher Zweifel hinsichtlich der Fahreignung vorliegen, aber nicht mit hinreichender Gewissheit feststeht, ob der Betreffende tatsächlich alkoholabhängig ist.
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Hier hat der Antragsteller selbst den Arztbericht des Bezirksklinikums … vorgelegt, mit dem eine Alkoholabhängigkeit diagnostiziert worden ist. Nach den Begutachtungsleitlinien für Kraftfahreignung (Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung Kommentar, 3. Aufl. 2018, S. 279) soll die sichere Diagnose „Abhängigkeit“ gemäß den diagnostischen Leitlinien nach ICD-10 nur gestellt werden, wenn irgendwann während des letzten Jahres drei oder mehr der dort genannten sechs Kriterien gleichzeitig vorhanden waren (starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren; verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums; körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums; Nachweis einer Toleranz; fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Substanzkonsums; anhaltender Substanzkonsum trotz des Nachweises eindeutig schädlicher Folgen, die dem Betroffenen bewusst sind). Derartige Ausführungen enthält der Entlassbericht nicht.
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Dennoch ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den bayerischen Bezirkskliniken um Einrichtungen handelt, die nach Art. 48 Abs. 3 Nr. 1 der Bezirksordnung für den Freistaat Bayern unter anderem der Betreuung von Suchtkranken dienen. Das Bezirkskrankenhaus … ist auch auf die klinische Suchtmedizin spezialisiert. Dieses Fachkrankenhaus verfügt deshalb u.a. über einen hohen Grad an Spezialisierung auf Suchterkrankungen. Attestiert eine Bezirksklinik einer Person, die sich dort über eine Woche stationär aufgehalten hat, eine Abhängigkeitssymptomatik, kommt einer solchen Diagnose ein hoher Grad an Verlässlichkeit zu (BayVGH, B.v. 10.7.2017 - 11 CS 17.1057 - juris Rn. 13). Denn eine so lange Befassung mit einem Patienten verschafft den behandelnden Ärzten ein mehr als nur oberflächliches Bild von seinen Lebensgewohnheiten und Lebenseinstellungen, seiner psychischen Verfassung und seinen nutritiven Gewohnheiten und damit von Faktoren, die für die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit von Bedeutung sind (BayVGH, B.v. 27.7.2012 - 11 CS 12.1511 - juris Rn. 27 ff.; B.v. 17.12.2015 - 11 ZB 15.2200 - juris Rn. 20; B.v. 16.11.2016 - 11 CS 16.1957 Rn. 11). Deshalb ist nach den für die Begutachtungsstellen entwickelten Beurteilungskriterien die Tatsache, dass eine Alkoholabhängigkeit bereits extern diagnostiziert wurde, ein Kriterium für das Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit, insbesondere wenn die Diagnose von einer suchttherapeutischen Einrichtung gestellt oder eine Entgiftung durchgeführt wurde. Es ist folglich festzuhalten, dass der Entlassungsbericht des Bezirkskrankenhauses … als spezialisierte Fachklinik mit der Diagnose einer Alkoholabhängigkeit zumindest ein verlässliches Indiz für das tatsächliche Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit darstellt, da sich im vorliegenden Fall der Antragsteller dort auch nahezu zwei Wochen aufgehalten hat.
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Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat jedoch in seiner aktuellsten Entscheidung zur Fahrerlaubnisentziehung auf Grundlage eines Entlassungsberichts aus einem Bezirksklinikum (dort allerdings nur Aufenthalt von einem Tag) betont, dass die bisherige obergerichtliche Rechtsprechung nicht bedeutet, dass die Diagnosen der Bezirkskliniken ungeprüft und unter Verzicht auf jedes Maß nach Nachvollziehbarkeit übernommen werden können. Vielmehr setzt die Übernahme einer fremden diagnostischen Einordnung durch einen Gutachter voraus, dass dieses nachvollziehbar nach den gültigen Diagnosekriterien der ICD-10 und durch einen qualifizierten Facharzt erfolgt sind. So hält der BayVGH folgende Indikatoren für eine übernahmefähige Diagnose der Alkoholabhängigkeit fest (BayVGH, B.v. 31.8.2021 - 11 CS 21.1631 - juris Rn. 31):
„Indikatoren für eine übernahmefähige externe Abhängigkeitsdiagnose sind u.a., dass sie sich erkennbar an anerkannten Diagnosekriterien orientiert und ein entsprechender Arztbericht oder eine vergleichbare Bestätigung der Diagnose vorliegt, wobei dieser zu entnehmen sein muss, auf welche Befunde sich die Diagnose stützt (qualitative Ausprägung der Abhängigkeit). Weitere Indikatoren (…) sind Entzugs- oder Entwöhnungsbehandlungen mit der Eingangsdiagnose ‚Alkoholabhängigkeit‘ oder Entgiftungen unter ärztlicher Betreuung oder die ärztliche Verordnung von Medikamenten zur Reduktion von Entzugserscheinungen. Dabei muss die Diagnose ‚Alkoholabhängigkeit‘ stets nachvollziehbar attestiert sein.“
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Die Nachvollziehbarkeit betrifft die logische Ordnung (Schlüssigkeit) des Entlassungsberichts im Hinblick auf die darin gestellte Diagnose. Unter Zugrundlegung dieses vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs für die Übernahme externer Diagnosen formulierten Maßstabes hat das Gericht zumindest Zweifel an der Übernahmefähigkeit des vorliegenden Entlassungsberichts des Bezirksklinikums … ohne weitere Prüfung. Problematisch ist vor allem, dass sich der Entlassungsbericht nicht unter Heranziehung der Diagnosekriterien zur qualitativen Ausprägung der diagnostizierten Alkoholabhängigkeit verhält. Insbesondere bleibt unklar, auf welche Befunde sich die Diagnose stützt. Fraglich bleibt damit u.a. die in diesem Zusammenhang wichtige Frage, ob die Diagnose der Alkoholabhängigkeit auf Grundlage aktueller Untersuchungen und Befunde oder im Wesentlichen auf Grundlage der bereits im Jahr 2016 diagnostizierten Alkoholabhängigkeit gestellt wurde. Aus dem Gutachten ergibt sich nicht, ob der Antragsteller, der sich wegen eines gescheiterten Suizidversuchs in Behandlung im Bezirksklinikum befand, auch in Bezug auf eine etwaige Alkoholproblematik untersucht wurde. Zwar ergibt sich aus dem Entlassungsbericht eine Entzugsbehandlung aus dem Jahr 2016 zusammen mit der damals gestellten Diagnose einer Alkoholabhängigkeit und eines Alkoholentzugssyndroms, im Übrigen wird aber auf frühere Arztberichte verwiesen, die jedoch im Dunkeln bleiben. Der Entlassungsbericht lässt allenfalls Vermutungen darüber zu, dass auch der diagnostizierte Diabetes mellitus Typ 2 und der Suizidversuch nach Alkoholkonsum zumindest im weiteren Sinne mit der festgestellten Alkoholabhängigkeit in Verbindung stehen. Auch unter Anstellung einer solchen Vermutung verbleiben Lücken im Entlassungsbericht im Hinblick auf die Diagnosekriterien, da er keine Untersuchungsbefunde zu sonstigen körperlichen und psychischen Symptomen einer Alkoholabhängigkeit enthält, die das Landratsamt auch nicht durch eine Nachfrage beim Bezirksklinikum bzw. durch anderweitige Erkenntnisse aufgeklärt hat.
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Im Widerspruchsverfahren trifft die Widerspruchsbehörde im Fall der Nichtabhilfe durch die Ausgangsbehörde die abschließende Verwaltungsentscheidung, also die endgültige Regelung des Sachverhalts aus Sicht der Verwaltung (vgl. Kastner in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 73 VwGO Rn. 23). Die Widerspruchsbehörde ist insbesondere verpflichtet, im Falle der Feststellung einer für die Entscheidung nicht ausreichenden Tatsachengrundlage, gemäß Art. 24 BayVwVfG weitere Ermittlungen anzustellen. Deshalb sind die Erfolgsaussichten des Widerspruchs des Antragstellers derzeit als offen zu bewerten.
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Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts kann die Widerspruchsbehörde im Rahmen des Widerspruchsverfahrens entweder vom Bezirksklinikum weitere Untersuchungsbefunde nachfordern bzw. dieses um Konkretisierung des bereits vorliegenden Entlassungsberichtes im Hinblick auf die gestellte Diagnose einer Alkoholabhängigkeit sowie die Einordnung des Sachverhalts aus 2016 zum jetzigen Vorfall ersuchen.
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Das Gericht weist die Beteiligten ausdrücklich darauf hin, dass auch der Antragsteller im Widerspruchsverfahren die Möglichkeit hat, durch Vorlage medizinischer Nachweise (z.B. durch Ausfüllen eines Gesundheitsfragebogens und durch Nachreichen eines Arztbriefs des Hausarztes oder durch die Vorlage einer Stellungnahme des Bezirksklinikums etc.) die von diesem gestellte Diagnose der Alkoholabhängigkeit in Frage zu stellen (vgl. so auch BayVGH, B.v. 10.7.2017 - 11 CS 17.1057 - juris Rn. 14 zu einem ähnlich gelagerten Fall VG Bayreuth, B.v. 28.4.2017 - B 1 S 17.281, BeckRS 2017, 117027).
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Legt der Antragsteller weitere entlastende Dokumente vor, die gegen eine Alkoholabhängigkeit sprechen, so ist das Landratsamt jedenfalls verpflichtet, weitere Aufklärungsmaßnahmen zur Frage des Vorliegens einer Alkoholabhängigkeit vorzunehmen. In Betracht käme hier insbesondere die Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens.
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Bis dahin ist allerdings weiterhin von der vom Bezirksklinikum diagnostizierten Alkoholabhängigkeit auszugehen.
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bb. Damit sind auch die Erfolgsaussichten des Widerspruchs im Hinblick auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Ablieferungspflicht des Führerscheins offen, da sich die Rechtmäßigkeit der Ablieferungspflicht nach der Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung richtet. Denn die Ablieferungspflicht dient als begleitende Anordnung der Durchsetzung der Fahrerlaubnisentziehung. Die Anordnung zur Abgabe des Führerscheins hat sich insbesondere nicht durch die zwischenzeitlich erfolgte Abgabe an das Landratsamt erledigt, sondern stellt die Rechtsgrundlage für das Einbehalten des Dokuments dar (BayVGH, B.v. 6.10.2017 - 11 CS 17.953 - juris Rn. 9; B.v. 12.2.2014 - 11 CS 13.2281 - juris Rn. 22).
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cc. Sind die Erfolgsaussichten des Widerspruchs - wie hier - offen, so muss eine reine Interessenabwägung vorgenommen werden. Es sind alle schutzwürdigen Interessen des Betroffenen am Suspensiveffekt zu ermitteln und in die Erwägungen mit einzubeziehen. Auch die Vollzugsinteressen sind - ohne Bindung an den Vortrag oder gar die Begründung nach Abs. 3 - zu ermitteln und ebenfalls gewichtet in die Abwägung mit einzubeziehen (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 93). Aufgrund der im Entlassungsbericht des Bezirkskrankenhauses … vom 24. Januar 2022 diagnostizierten Alkoholabhängigkeit spricht einiges dafür, dass der Antragsteller tatsächlich alkoholabhängig ist, auch wenn diese Diagnose bisher wohl nicht ausreichend schlüssig im Arztbericht dargelegt wurde. Auch die Entzugsbehandlung des Antragstellers im Jahr 2016 spricht für eine Alkoholabhängigkeit. Deshalb steht die Ungeeignetheit des Antragstellers im Hinblick auf das Führen von Kraftfahrzeugen in Frage, weshalb bei seiner weiteren Teilnahme am Straßenverkehr als Führer eines Kraftfahrzeuges eine nicht hinnehmbare Gefährdung der anderen Verkehrsteilnehmer zu besorgen ist. Am Vorliegen der typischen Interessenlage in sicherheitsrechtlichen Fallkonstellationen ändert im vorliegenden Fall auch nichts, dass der Antragsteller bisher im Straßenverkehr keinen Schaden verursacht hat. Bereits die relativ geringe Kontrolldichte im Straßenverkehr bringt es mit sich, dass häufig trotz fortbestehender Alkoholproblematik über einen langen Zeitraum keine Zuwiderhandlungen aktenkundig werden (vgl. OVG NRW, B.v. 7.4.2014 - 16 B 89/14 - juris Rn. 13). Auch der Sachvortrag des Antragstellers, den Führerschein zu benötigen, um zu seiner Arbeit fahren zu können, führt zu keinem anderen Ausgang der Interessenabwägung, denn diese Umstände ändern nichts an den Gefahren, die von einem ungeeigneten Fahrerlaubnisinhaber ausgehen. Die privaten, finanziellen und beruflichen Interessen des Antragstellers*müssen vor den öffentlichen Interessen an der Sicherheit des Straßenverkehrs zurücktreten. Auch bei der vom Verwaltungsgericht vorzunehmenden eigenständigen Interessenabwägung überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der getroffenen Feststellung der Fahrerlaubnisbehörde. Dabei ist das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs und der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG abzuleitende Auftrag des Staates zum Schutz der Verkehrsteilnehmer vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben zu beachten (vgl. BayVGH B.v. 11.3.2015 - 11 CS 15.82 - juris Rn. 19).
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2. Die Zwangsgeldandrohung in Höhe von 500,00 EUR in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids, die auf den Art. 18 Abs. 1, 19 Abs. 1 Nr. 3, 29, 30, 31, 36 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) beruht, ist bei summarischer Prüfung rechtmäßig. Die Androhung hat sich nicht infolge der Abgabe des Führerscheins bei der Polizeiinspektion … erledigt. Das Landratsamt hat das angedrohte Zwangsgeld gemäß Art. 31 Abs. 3 Satz 3 VwZVG mit Schreiben vom 29. März 2022 fällig gestellt. Obwohl es das Zwangsgeld gemäß Art. 37 Abs. 4 VwZVG nicht mehr beitreiben darf, weil ihm der Führerschein inzwischen vorliegt, steht nunmehr eine Forderung gegen den Kläger im Raum. Damit entfaltet die Androhung solange eine Beschwer, als die Zwangsgeldforderung nicht erloschen ist oder das Landratsamt nicht zugesichert hat, diesen Anspruch nicht mehr geltend zu machen (vgl. BayVGH, B.v. 14.09.2006 - 11 CS 06.1475, 11 C 06.1476 - juris, Rn. 31). Die Vollstreckungsvoraussetzungen - insbesondere auch ein vollstreckbarer Grundverwaltungsakt - liegen vor. Insbesondere wurde auch das Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes bewegt sich im unteren Bereich des Rahmens, den Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG vorgibt.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt. Die Höhe des Streitwertes richtet sich nach § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5, 46.3 und 46.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).