Titel:
Außervollzugsetzung der Änderung eines Bebauungsplans der Innenentwicklung - fehlende Umweltprüfung
Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 6
BauGB § 13a Abs. 1 S. 1, Abs. 4
Leitsätze:
Die maßgeblichen Ziele der Innenentwicklung müssen (vornehmlich) im Geltungsbereich des Bebauungsplans erreicht werden. Das gilt auch für "andere Maßnahmen der Innenentwicklung" (BVerwG, B.v. 29.6.2021 - 4 CN 6.19 - juris Rn. 18). (Rn. 29)
1. Der Begriff der Innenentwicklung ist nicht legal definiert, sondern wird vom Gesetzgeber als städtebaulicher Terminus vorausgesetzt. Seine Interpretation unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine extensive Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „anderen Maßnahme der Innenentwicklung“, die dazu führt, dass das beschleunigte Verfahren ohne Umweltprüfung im Siedlungsbereich der Gemeinden zum Regelverfahren würde, wäre mit Unionsrecht nicht vereinbar. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Normenkontrolleilantrag, Änderung eines Bebauungsplans, beschleunigtes Verfahren, Zunahme des Verkehrslärms, Maßnahmen der Innenentwicklung, Umweltprüfung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31616
Tenor
I. Die am 9. August 2022 bekannt gemachte 4. Änderung des Bebauungsplans „Westlich der K. H1. Straße“ wird bis zur Entscheidung in der Hauptsache außer Vollzug gesetzt.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Antragsteller wenden sich gegen die im Wege des beschleunigten Verfahrens ergangene 4. Änderung des Bebauungsplans „Westlich der K. H1. Straße“. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren begehren sie deren Außervollzugsetzung.
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Die streitgegenständliche Änderung umfasst ein Gebiet von ca. 1.700 m². Sie erweitert den Geltungsbereich des Bebauungsplans „Westlich der K. H1. Straße“ vom 16. Januar 1978 in der Fassung der 3. Änderung vom 9. Dezember 2005. Es werden im Wesentlichen an Stelle eines zum bisherigen Plangebiet gehörenden Wendeplatzes im Nordwesten eine an die W. … Straße anschließende Straßenverkehrsfläche sowie öffentliche Grünflächen festgesetzt. Die Satzung wurde am 19. Juli 2022 beschlossen, am 9. August 2022 ausgefertigt und am selben Tag ortsüblich, durch Anschlag an der Amtstafel bekanntgemacht.
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Die Antragsteller sind (Mit-) Eigentümer des Grundstücks FlNr. …2 Gemarkung E. … (W. H2.-Str. ...), welches östlich an den bestehenden Wendeplatz bzw. an den Geltungsbereich der Änderungssatzung angrenzt. Sie haben am 15. September 2022 einen Normenkontrollantrag (Az. 9 N 22.2046) gestellt und gleichzeitig vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Die Antragsteller seien als Plannachbarn antragsbefugt, weil zu ihren Lasten das Abwägungsgebot im Hinblick auf ihr Interesse an der Erhaltung einer ruhigen Wohngegend und der Vermeidung von Verkehrslärm beeinträchtigt sei. Durch die geplante Öffnung der W. H1. Straße steige die Zahl der Fahrbewegungen im Bereich des derzeitigen Wendeplatzes stärker als durch die von der Antragsgegnerin zugrunde gelegte Verkehrsuntersuchung prognostiziert. Statt 207 zusätzlichen Fahrzeugen pro Tag ergebe sich eine Zunahme um 376. Dies bringe auch erhöhte Abgas- und Staubimmissionen mit sich, zumal die W. … Straße viel befahren sei und deshalb Rückstaus in die W. H1. Straße drohten. Zudem steige für Fußgänger und Radfahrer das Unfallrisiko.
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Die Änderungssatzung sei unwirksam, weil keine Umweltprüfung erfolgt und kein Umweltbericht erstellt worden sei. Darüber hinaus habe es Fehler bei der Bekanntmachung der öffentlichen Auslegung gegeben. Die benannten Mängel könnten nicht mit dem beschleunigten Verfahren gerechtfertigt werden, weil die Voraussetzungen für seine Anwendung nicht vorgelegen hätten. Die Bebauungsplanänderung diene nicht der Innenentwicklung. Der Grüngürtel zwischen Wendeplatz und W. … Straße gehöre nicht zum Siedlungsbereich. Er werde nicht baulich genutzt, sondern diene mit seinen zahlreichen hochgewachsenen Bäumen seit Jahren einer natürlichen Vegetationsentwicklung. Ein durch ihn führender Weg und bestehende Fahrzeugabstellplätze in diesem Bereich seien unbefestigt.
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Darüber hinaus sei das Abwägungsgebot verletzt. Die Antragsteller führen hierzu u.a. aus, dass das von der Antragsgegnerin eingeholte schalltechnische Gutachten nicht als Abwägungsgrundlage hätte herangezogen werden dürfen. Dessen nah am Immissionsgrenzwert liegende Werte für den Planzustand wichen nur unerheblich vom Ist-Zustand in der W. H1. Straße ab, was mit Blick auf die angestrebte erhebliche Entlastung der K. H1. Straße unlogisch sei. Bei den Schallquellen sei der Verkehr der B 19 nicht korrekt berücksichtigt. Im Schallgutachten von 2017 betreffend das Baugebiet Westring seien deutlich höhere Kraftfahrzeugzahlen angesetzt worden. Ein derartiger Verkehrsrückgang sei nicht nachvollziehbar und stelle ebenfalls die Erforderlichkeit der Entlastung in der K. H1. Straße in Frage. Es sei auch zu bemängeln, dass auf eine Zählstelle an der Kreuzung „nördliche Verbindung der W. H1. Straße zur K. H1. Straße“ verzichtet worden sei. Kfz-Verkehr, der von der W. H1. Straße weiterhin in den Ortskern führe, sei somit nicht berücksichtigt worden. Zudem seien der Durchgangsverkehr im Bereich der W. H1. Straße, die Gefahr von Rückstau und „stop and go“ wegen der geringen Fahrbahnbreite sowie die Umgestaltung der K. H1. Straße, die mindestens vier Jahre dauern werde, zu Unrecht außer Acht gelassen worden.
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Die Antragsteller beantragen,
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den Bebauungsplan „Westlich der K. H1. Straße“ in der Fassung seiner 4. Änderung vom 19. Juli 2022 in E. … bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag vorläufig außer Vollzug zu setzen,
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bis zur Entscheidung über den Antrag gemäß § 47 Abs. 6 VwGO einen Hängebeschluss zu erlassen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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die Anträge abzulehnen.
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Der zulässige Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO sei unbegründet. Das Fehlen des Umweltberichts stelle keinen beachtlichen Fehler dar. Die beiden öffentlichen Auslegungen des Änderungsbebauungsplans seien ordnungsgemäß durch Anschlag an der Amtstafel bekanntgemacht worden. Das beschleunigte Verfahren sei zu Recht zur Anwendung gekommen. Der Geltungsbereich des Bebauungsplans sei als Siedlungsbereich anzusehen, der durch die W. … Straße abgegrenzt werde. Der nicht einmal 15 m breite Grünstreifen wirke wie ein Straßenbegleitgrün und weise zudem eine gewisse bauliche Vorprägung auf. Im Geltungsbereich des Änderungsplans führe ein befestigter Fahrweg zu einer südwestlich benachbarten Betriebsanlage für die Wasserversorgung. Die Grünfläche selbst werde als Stellfläche für Kraftfahrzeuge genutzt, weshalb sie insoweit einer natürlichen Vegetationsentwicklung entzogen sei. Gleiches gelte für den durch sie hindurchführenden „Trampelpfad“. Es gehe außerdem auch sachlich um eine „andere Maßnahme der Innenentwicklung“. Diesbezüglich könne dahinstehen, ob es auf den gesamten Bebauungsplan oder den Änderungsplan ankomme. Die Bauleitplanung diene vor allem der besseren Verkehrsanbindung der W. H1. Straße. Der Umweg für den Kfz-Verkehr über die K. H1. Straße entfalle, an Stelle des ungesicherten „Trampelpfads“ und „wilder“ Stellplätze würden eine fußläufige Anbindung an die W. … Straße und öffentliche Stellplätze geschaffen. Zugleich werde die K. H1. Straße, die direkt an den Geltungsbereich der 4. Änderung des Bebauungsplans angrenze, vom Verkehr entlastet.
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Die Antragsgegnerin führt des Weiteren aus, warum die 4. Änderung des Bebauungsplans nicht an einem Verstoß gegen das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB leide. Dabei hält sie die Einwendungen der Antragsteller in Bezug auf die Verkehrsuntersuchung und das schalltechnische Gutachten für nicht nachvollziehbar. Sie habe sich mit ihnen im Rahmen ihrer Abwägung im Detail auseinandergesetzt und sie widerlegen können. Wieso mit einer höheren Verkehrszunahme als mit gutachterlich ermittelten zusätzlichen 207 Kfz/24 h zu rechnen sei, sei unklar und werde von den Antragstellern nicht erläutert
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Normaufstellungsakten sowie auf die Gerichtsakten in den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und des Hauptsacheverfahrens Bezug genommen.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO hat Erfolg. Der Antrag auf den Erlass einer Zwischenentscheidung (eines sogenannten „Hängebeschlusses“), ist durch die vorliegende Entscheidung gegenstandslos geworden.
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1. Gemäß § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Es hat das tatsächliche Rechtsschutzbegehren zu ermitteln (BVerwG, B.v. 1.9.2010 - 9 B 80.09 - juris Rn. 3 m.w.N). Hiervon ausgehend ist der vorliegende Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO dahingehend auszulegen, dass die Antragsteller nicht den gesamten Bebauungsplan in der Fassung seiner 4. Änderung angreifen, sondern sich nur gegen die jüngste Änderungssatzung wenden und deren Außervollzugsetzung begehren.
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2. Der so zu verstehende Antrag ist zulässig; insbesondere sind die Antragsteller antragsbefugt (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
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Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann einen Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder verletzt zu werden. Ist eine Bebauungsplansatzung Gegenstand der Normenkontrolle und der Betroffene nicht Eigentümer von Grundstücken im Plangebiet, so kann die Antragsbefugnis insbesondere aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung der eigenen Belange aus § 1 Abs. 7 BauGB folgen (vgl. BVerwG, B.v. 12.12.2018 - 4 BN 22.18 - juris Rn. 6 m.w.N.; BayVGH, B.v. 22.6.2022 - 9 NE 22.705 - juris Rn. 17).
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Die Antragsteller tragen vorliegend hinreichend substantiiert Tatsachen vor, die es möglich erscheinen lassen, dass sie durch die Festsetzungen der angefochtenen Bebauungsplanänderung in ihren subjektiven Rechten verletzt sind (vgl. BVerwG, B.v. 27.9.2021 - 4 BN 17.21 - juris Rn. 4). Mit ihrem mit einem Wohnhaus bebauten, außerhalb des Plangebiets liegenden Grundstück könnten sie jedenfalls im Hinblick auf mögliche planbedingte Verkehrslärmauswirkungen betroffen sein, die im Rahmen der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB als Abwägungsmaterial einzustellen waren und fehlerhaft abgewogen worden sind.
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Das Interesse der Eigentümer eines Grundstücks außerhalb des Plangebiets, von einer planbedingten Zunahme des Verkehrslärms verschont zu bleiben, kann nach den Umständen des Einzelfalls einen abwägungserheblichen Belang darstellen, wenn sich der durch die Planung ausgelöste Verkehr innerhalb eines räumlich überschaubaren Bereichs bewegt und vom übrigen Straßenverkehr unterscheidbar ist. Dabei kann eine Lärmzunahme auch unterhalb der Grenzwerte zum Abwägungsmaterial gehören. Nur wenn der Zuwachs an Lärm geringfügig ist, mithin über die Bagatellgrenze nicht hinausgeht, oder sich nur unwesentlich auswirkt, muss er nicht in die Abwägung eingestellt werden. Dabei lässt sich allerdings die Schwelle der Abwägungsrelevanz bei Verkehrslärmerhöhungen nicht allein durch einen Vergleich von Lärmmesswerten markieren. Selbst eine Lärmzunahme, die, bezogen auf einen rechnerisch ermittelten Dauerschallpegel, für das menschliche Ohr kaum wahrnehmbar ist, kann zum Abwägungsmaterial gehören. Es bedarf stets einer einzelfallbezogenen, wertenden Betrachtung der konkreten Verhältnisse unter Berücksichtigung der Vorbelastung sowie der Schutzwürdigkeit des jeweiligen Gebiets (vgl. BVerwG, B.v. 16.6.2020 - 4 BN 53.19 - juris Rn. 10 m.w.N.).
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Die Antragsteller haben konkrete Einwendungen gegen die von der Antragsgegnerin ihrer Abwägung zugrunde gelegte Verkehrsuntersuchung („Ermittlung von Verkehrsbelastungsdaten zur Anbindung der W. H1. Straße an die W. … Straße in E. …“ der ... GmbH vom 23.2.2022; im Folgenden: Verkehrsuntersuchung) und das u.a. hierauf basierende schalltechnische Gutachten der ... GmbH (vom 11.2.2020, überarbeitet am 25.2.2022; im Folgenden: schalltechnisches Gutachten) erhoben. Letzterem zufolge sei davon auszugehen, dass die zu erwartende Umverteilung des Verkehrs nach der Öffnung der W. H1. Straße (Planfall mit Neuanbindung 2021) verglichen mit den Pegeln des Bestands zu einer maximalen Erhöhung der Beurteilungspegel von 1 dB(A) führe. Bei einem Immissionspunkt (IP01 auf dem Grundstück der Antragsteller) würden die Immissionsgrenzwerte gemäß 16. BImSchV für ein allgemeines Wohngebiet in der Nacht sowohl im Bestand wie auch im Planfall um bis zu 2 dB(A) überschritten. Ursächlich hierfür seien aber die Emissionen der Bundesstraße B 19 und der W. … Straße. Bei einem zweiten Immissionspunkt (IP09) liege die Überschreitung bei nur 1 dB(A) (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 16. BImSchV). Die Antragsteller wenden gegen die Richtigkeit der Verkehrsuntersuchung und in der Folge das schalltechnische Gutachten u.a. ein, dass am bestehenden Wendeplatz, an den ihr Wohngrundstück anschließt, im Ist-Zustand lediglich von einer Verkehrsbelastung von 90 täglichen Fahrbewegungen (statt von 259) und somit von einer planbedingten Zusatzbelastung von 376 Fahrzeugbewegungen pro Tag statt 207 auszugehen sei (s. Antragsbegründung vom 15.9.2022, S. 11, 22). Dieser Einwand ist ausreichend schlüssig (vgl. BVerwG, B.v. 14.10.2021 - 4 BN 3.21 - juris Rn. 4). Nach der Verkehrsuntersuchung sei von einer Querschnittsbelastung von 259 Kfz/24 h im Bereich des Wendeplatzes im Bestand und einer Belastung im Planfall mit Neuanbindung (2021) von 466 Kfz/24 h auszugehen. Es kämen somit planbedingt 207 Kfz/24 h hinzu. Dieser Einschätzung lag allerdings keine separate Zählung am Wendeplatz zugrunde. Wie sich ohne weiteres aus der Verkehrsuntersuchung ergibt, wurde das Ergebnis der Zählstelle Knotenpunkt 3: W. H1. Straße/V. straße (259 Kfz/24 h in und aus Richtung Norden bzw. am Querschnitt H) auf den Bereich des Wendeplatzes übertragen (vgl. Verkehrsuntersuchung, S. 11, Tabelle 1).
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Abgesehen davon, dass bereits die gutachterlich prognostizierte Anzahl von zusätzlichen 207 Kfz/24 h die Überschreitung der Bagatellgrenze nahelegt (vgl. BayVGH, B.v. 25.7.2022 - 1 NE 22.1358 - juris Rn. 18; B.v. 25.6.2020 - 15 N 19.2132 - juris Rn. 16; U.v. 12.8.2019 - 9 N 17.1046 - juris Rn. 21 m.w.N.; U.v. 16.5.2017 - 15 N 15.1485 - juris Rn. 23), könnte der Schluss auf eine gleich hohe Verkehrsbelastung im Bereich des Wendeplatzes wie am Knotenpunkt 3 im Querschnitt H unzulässig sein. Infolge der fehlenden Durchlässigkeit zur W. … Straße, weshalb nördlich des Knotenpunkts 3 in erster Linie Anliegerverkehr stattfinden dürfte, ist fraglich, ob der Wendeplatz genauso häufig wie der Knotenpunkt 3 am Querschnitt H passiert wird. Da das schalltechnische Gutachten auf den von der Verkehrsuntersuchung ermittelten Querschnittsbelastungen basiert (vgl. schalltechnisches Gutachten, S. 8), erscheint es schon aus diesem Grund nicht von vornherein ausgeschlossen, dass das Interesse der Antragsteller, von planbedingtem Verkehrslärm verschont zu bleiben, sowohl abwägungsbeachtlich war als auch fehlerhaft abgewogen wurde.
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3. Der Antrag ist auch begründet.
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Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage wird sich die 4. Änderung des Bebauungsplans „Westlich der K. H1. Straße“ voraussichtlich als unwirksam erweisen. Aufgrund der fehlerhaften Wahl des beschleunigten Verfahrens gemäß § 13a BauGB und einer deswegen zu Unrecht unterlassenen Umweltprüfung bzw. eines zu Unrecht nicht erstellten Umweltberichts leidet die 4. Bebauungsplanänderung an einem nach § 214 Abs. 1 Nr. 3 BauGB beachtlichen und auch nicht nach § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB unbeachtlich gewordenen Verfahrensfehler, der zu ihrer Gesamtunwirksamkeit führt. Angesichts dessen sprechen gewichtige Gründe für die Außervollzugsetzung der angefochtenen Bebauungsplanänderung (vgl. BVerwG, B.v. 30.4.2019 - 4 VR 3.19 - juris Rn. 4 m.w.N.).
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a) Gemäß § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB kann ein Bebauungsplan für die Wiedernutzbarmachung von Flächen, die Nachverdichtung oder andere Maßnahmen der Innenentwicklung (Bebauungsplan der Innenentwicklung) im beschleunigten Verfahren aufgestellt werden. Dies gilt entsprechend für die Änderung und Ergänzung eines Bebauungsplans gemäß § 13a Abs. 4 BauGB. Der Begriff der Innenentwicklung ist dabei nicht legal definiert, sondern wird vom Gesetzgeber als städtebaulicher Terminus vorausgesetzt. Seine Interpretation unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle (vgl. BVerwG, U.v. 25.6.2020 - 4 CN 5.18 - BVerwGE 169, 29 = juris Rn. 25 m.w.N.; BayVGH, B.v. 4.7.2017 - 2 NE 17.989 - juris Rn. 20).
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aa) Der räumliche Anwendungsbereich des § 13a Abs. 1 BauGB wäre vorliegend zwar voraussichtlich eröffnet.
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Nach der summarischen Prüfung dürfte das insgesamt nur ca. 1.700 m² große Plangebiet (vgl. § 13a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BauGB) nach den maßgeblichen tatsächlichen Verhältnissen zum Siedlungsbereich gehören, innerhalb welchem Innenentwicklung allein zulässig ist (vgl. BVerwG, U.v. 27.8.2020 - 4 CN 4.19 - BVerwGE 169, 219 = juris Rn. 15 m.w.N.). Dies gilt insbesondere auch für die nur etwa 15 m breite und 70 m lange, mit Büschen und Bäumen bestandene Grünfläche auf dem Grundstück FlNr. …1 Gemarkung E. … außerhalb des bisherigen Plangebiets. Es handelt sich bei ihr wohl nicht um eine Außenbereichsfläche jenseits der äußeren Grenze des Siedlungsbereichs. Vielmehr spricht das Bild- und Kartenmaterial, das in den Akten und im Bayernatlas auffindbar ist, dafür, dass der Siedlungsbereich an dieser Stelle auch noch das westlich benachbarte, bebaute Grundstück FlNr. …2 einschließt und nördlich durch die W. … Straße, die zum Teil im Geltungsbereich der streitgegenständlichen Änderungssatzung liegt, abgegrenzt wird. Die besagte Grünfläche wirkt danach als Teil des im Zusammenhang bebauten Ortsteils. Soweit es sich bei ihr um eine freie Fläche handelt, die wegen ihrer natürlichen Beschaffenheit einer Bebauung entzogen ist, ändert dies nichts an ihrer Eigenschaft als Bestandteil des Bebauungszusammenhangs (vgl. BVerwG, U.v. 30.6.2015 - 4 C 5.14 - BVerwGE 152, 275 = juris Rn. 13).
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bb) Die streitgegenständliche Bebauungsplanänderung hat jedoch inhaltlich keine Innenentwicklung im Sinne des § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB zum Gegenstand.
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§ 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB beschränkt den Anwendungsbereich des beschleunigten Verfahrens auch inhaltlich. Begünstigt werden nur Bebauungspläne für die Wiedernutzbarmachung von Flächen, die Nachverdichtung oder eine andere Maßnahme der Innenentwicklung. Nachdem der vorliegende Änderungsbebauungsplan, auf den es hinsichtlich der Erfüllung der Voraussetzungen des § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB allein ankommt (vgl. § 13a Abs. 4 BauGB; BVerwG, U.v. 29.6.2021 - 4 CN 6.19 - juris Rn. 20), eindeutig nicht auf eine Wiedernutzbarmachung von Flächen oder eine Nachverdichtung abzielt, kommt für ihn nur eine andere Maßnahme der Innenentwicklung als tatbestandlicher Anknüpfungspunkt infrage. Der unbestimmte Rechtsbegriff der „anderen Maßnahme der Innenentwicklung“ dient nach der Konzeption des § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB als Auffangtatbestand. Er umfasst alle Maßnahmen der Innenentwicklung, die nicht als Wiedernutzbarmachung von Flächen oder als Nachverdichtung zu beurteilen sind. Aus den genannten Beispielsfällen folgt jedoch eine inhaltliche Begrenzung zulässiger Maßnahmen. Sie bezeichnen städtebauliche Maßnahmen in dem Gebiet, welches überplant wird, und bringen damit zum Ausdruck, dass die maßgeblichen Ziele der Innenentwicklung (vornehmlich) im Geltungsbereich des Bebauungsplans erreicht werden müssen. Das gilt auch für „andere Maßnahmen der Innenentwicklung“. Diese müssen nach Ziel und Inhalt der Entwicklung der überplanten Fläche dienen, ein Bebauungsplan nach § 13a BauGB muss mithin die bauplanungsrechtliche Grundlage für Maßnahmen der Innenentwicklung selbst schaffen. Es reicht daher nicht aus, wenn aufgrund eines nur mittelbaren Ursachenzusammenhangs die Innenentwicklung in anderen Teilen des Siedlungsbereichs positiv beeinflusst wird (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2021 - 4 CN 6.19 - juris Rn. 18 m.w.N.; OVG NW, U.v. 11.11.2021 - 10 D 80/19.NE - juris Rn. 21; VGH BW, U.v. 7.5.2018 - 3 S 2041/17 - juris Rn. 35; Külpmann in jurisPR-BVerwG 21/2021 Anm. 5).
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Diese enge Auslegung ist unionsrechtlich geboten. Nach § 2 Abs. 4 BauGB bedarf im Grundsatz jede Bebauungsplanung einer Umweltprüfung; das gilt über § 1 Abs. 8 BauGB auch für die Änderung, Ergänzung oder Aufhebung eines Bebauungsplans. Mit dieser Vorgabe setzt der nationale Gesetzgeber die Vorgaben aus dem Unionsrecht um, insbesondere aus der RL 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. L 197 S. 30 vom 21.07.2001). Das beschleunigte Verfahren nach § 13a BauGB versteht sich dazu als Ausnahme, weil hier auf die Durchführung einer Umweltprüfung (§ 13a Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 13 Abs. 3 Satz 1 BauGB) verzichtet werden kann. Das ist unionsrechtlich zwar zulässig. Eine extensive Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „anderen Maßnahme der Innenentwicklung“, die dazu führt, dass das beschleunigte Verfahren ohne Umweltprüfung im Siedlungsbereich der Gemeinden zum Regelverfahren würde, wäre hiermit jedoch nicht vereinbar (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2021 a.a.O. Rn. 19 m.w.N.; VGH BW, U.v. 12.10.2021 - 8 S 48/19 - juris Rn. 59).
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Danach wird mit der angefochtenen Planänderung inhaltlich keine Innenentwicklung im Sinne des § 13a BauGB betrieben. Die nach der Begründung vornehmlich verfolgten Ziele, die Verkehrsbeziehungen im Bereich der Wendeanlage durch die Schaffung einer Anbindung an die W. … Straße zu verbessern und zugleich die K. H1. Straße zu entlasten (vgl. Begründung, S. 4 bis 6), werden nicht im Geltungsbereich des Bebauungsplans erreicht. Sie sind auf positive verkehrliche Entwicklungen für die benachbarten Siedlungsflächen und damit auf Folgewirkungen außerhalb des Plangebiets ausgerichtet. Die letztlich allein hierfür vorgenommene Überplanung einer bestehenden Verkehrsfläche sowie einer Grünfläche, ohne damit zugleich im Geltungsbereich der Satzung selbst wesentliche Ziele zu verfolgen (vgl. dagegen Beispielsfall von Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand April 2022, § 13a Rn. 30), ist nur Mittel zum Zweck und beeinflusst eine Innenentwicklung allenfalls mittelbar (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2021 a.a.O. juris Rn. 16 f.). Soweit daneben der Schaffung einer kleineren öffentlichen Parkfläche als Ersatz für bestehende „wilde“ Stellplätze grundsätzlich die Qualität einer im Plangebiet wirkenden Maßnahme der Innenentwicklung zugesprochen werden könnte, fällt diese neben den hier vordergründig verfolgten Zielen jedenfalls nicht ins Gewicht (vgl. VGH BW, U.v. 7.5.2018 - 3 S 2041/17 - juris Rn. 36; BayVGH, U.v. 18.10.2016 - 15 N 15.2613 - juris Rn. 12).
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cc) Die Aufstellung des Änderungsbebauungsplans im beschleunigten Verfahren kann auch nicht in ein vereinfachtes Verfahren gemäß § 13 BauGB, in dem eine Umweltprüfung und ein Umweltbericht ebenfalls nicht erforderlich gewesen wären, umgedeutet werden. Unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 BauGB vorliegen würden, ist der Weg einer Umdeutung jedenfalls deshalb versperrt, weil sich das vereinfachte Verfahren nach § 13 BauGB und das beschleunigte Verfahren nach § 13a BauGB schon nach Verfahrensanforderungen und -zweck erheblich unterscheiden (vgl. BVerwG, B.v. 21.12.2016 - 4 BN 14.16 - juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 7.6.2022 - 15 N 21.1884 - juris Rn. 34; OVG NW, U.v. 11.11.2021 - 10 D 80/19.NE - juris Rn. 25; Külpmann in jurisPR-BVerwG 14/2017, Anm. 4).
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dd) Die falsche Wahl des beschleunigten Verfahrens anstelle des Regelverfahrens unter Missachtung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13a BauGB zählt zwar an sich nicht zu den beachtlichen Fehlern nach § 214 BauGB. Sie führt aber zu gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB beachtlichen Folgefehlern, weil die Antragsgegnerin in Folge dessen weder eine Umweltprüfung vorgenommen (§ 2 Abs. 4 BauGB) noch einen Umweltbericht (§ 2a Satz 2 Nr. 2 BauGB) erstellt hat, der einen (gesonderten) Teil der Begründung (§ 2a Satz 3, § 9 Abs. 8 BauGB) bildet und als solcher zudem nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB mit dem Entwurf öffentlich auszulegen gewesen wäre (vgl. § 13a Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 13 Abs. 3 BauGB; BVerwG, U.v. 29.6.2021 - 4 CN 6.19 - juris Rn. 21 m.w.N.; BayVGH, U.v. 10.5.2022 - 15 N 21.2929 - juris Rn. 14). Der Mangel der fehlerhaften Anwendung des beschleunigten Verfahrenes wurde von den Antragstellern auch innerhalb der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB gerügt (zur Rüge durch Schriftsatz im Normenkontrollverfahren vgl. BVerwG, U.v. 14.6.2012 - 4 CN 5.10 - juris Rn. 27). Ob die Antragsteller, die die Frage der inhaltlichen Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht aufwerfen, dabei der Anforderung gerecht geworden sind, den die Verletzung begründenden Sachverhalt darzulegen, kann dahingestellt bleiben. Die Jahresfrist ist zum Entscheidungszeitpunkt jedenfalls noch nicht abgelaufen und die Kontrollbefugnis des Senats somit nicht eingeschränkt (vgl. BayVGH, U.v. 24.5.2022 - 15 N 21.2545 - juris Rn. 25 m.w.N.).
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b) Nachdem der Normenkontrollantrag im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach zulässig und begründet ist, spricht bereits indiziell Überwiegendes dafür, dass der Vollzug des Bebauungsplans bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 - 4 VR 5.14 - juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 13.4.2018 - 9 NE 17.1222 - juris Rn. 44). Da - unwidersprochen - sowohl die Rodung der Bäume als auch die Errichtung des Straßenkörpers alsbald zu erwarten sind, drohen im Fall der weiteren Vollziehbarkeit der Änderungssatzung Tatsachen, die nicht bzw. allenfalls mit großem Aufwand rückgängig zu machen wären. Dass sich hieraus schwere Nachteile sowohl für die Antragsteller wie auch für Dritte ergeben, kann nicht ausgeschlossen werden. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass wegen des erforderlichen Verfahrenswechsels kein ergänzendes Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB in Betracht kommen dürfte (vgl. Kukk in Schrödter, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 214 Rn. 73) und der weitere Verlauf offen ist. Es besteht insoweit zudem die Gefahr, dass die in einem regulärem Aufstellungsverfahren gebotene Umweltprüfung nach § 2 Abs. 4 BauGB nicht mehr durchführbar wäre. Der Bebauungsplan ist daher auch zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der in § 2 Abs. 4 BauGB umgesetzten unionsrechtlichen Pflicht zur Umweltprüfung nach Art. 3 Abs. 1 der RL 2001/42/EG vorläufig außer Vollzug zu setzen (vgl. OVG SH, B.v. 24.11.2020 - 1 MR 10/20 - juris Rn. 43 m.w.N.).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts resultiert aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 sowie 8 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 1.5 und 9.8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).