Titel:
Einführung des Studiengangs Molekulare Medizin an der Universität Regensburg
Normenkette:
HZV § 42 Abs. 1 S. 2, § 47
Leitsätze:
1. Die Universität Regensburg war nicht gehalten, für den Studiengang Molekulare Medizin eine gesonderte Lehreinheit zu bilden. Es ist ihr mit Blick auf die in Art. 5 Abs. 3 GG verankerte Freiheit der Wissenschaft ein hinreichender Gestaltungsspielraum eingeräumt, neue Studiengänge auch zu Lasten der Kapazität bestehender Studiengänge einzuführen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Bildung von Anteilquoten ist Ausdruck der Befugnis des Staates, die eingesetzten Mittel für bestimmte Studiengänge zu „widmen“. Dies ist mit dem Kapazitätserschöpfungsgebot vereinbar. Der Staat kann frei darüber entscheiden, ob das von ihm geschaffene Lehrangebot stärker von Studierenden der Humanmedizin oder solchen der Molekularen Medizin in Anspruch genommen werden soll. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Universität R,, Wintersemester 2021/2022, Humanmedizin, 1. Studienabschnitt., Universität Regensburg, Anteilquoten, Molekularen Medizin, Wissenschaftsfreiheit, Humanmedizin, Kapazitätserschöpfungsgebot
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 16.03.2022 – RO 1 E HV 21.10094
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31610
Tenor
I. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen jeweils die Kosten ihres Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird für die Beschwerdeverfahren auf je 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerinnen und Antragsteller (im Folgenden: Antragsteller) begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin, 1. Studienabschnitt, (Vorklinik) im ersten Fachsemester an der Universität R. (im Folgenden: UR) nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Wintersemesters 2021/2022. Sie machen geltend, dass mit der in der Satzung der UR über die Festsetzung von Zulassungszahlen für die im Studienjahr 2021/2022 als Studienanfängerinnen und Studienanfänger sowie in höhere Fachsemester aufzunehmenden Bewerberinnen und Bewerber (Zulassungszahlsatzung) vom 5. Juli 2021 festgesetzten Zulassungszahl von 233 Studienanfängerinnen und Studienanfängern die vorhandene Ausbildungskapazität nicht ausgeschöpft sei.
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Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Anträge mit Beschlüssen vom 16. März 2022 abgelehnt. Es werde nicht als überwiegend wahrscheinlich angesehen, dass über die für das Wintersemester 2021/2022 kapazitätswirksam vergebenen Studienplätze hinaus noch (mindestens) ein weiterer Studienplatz im Studiengang Humanmedizin, 1. Studienabschnitt, im ersten Fachsemester zur Verfügung stehe, der von den Antragstellern in Anspruch genommen werden könnte.
3
Gegen diese Beschlüsse wenden sich die Antragsteller mit den vorliegenden Beschwerden. Sie rügen im Wesentlichen, die Zuordnung des Studiengangs Molekulare Medizin (B.Sc.) zur Lehreinheit Vorklinik entbehre einer gesetzlichen Grundlage. Diese Zuordnung führe zu einer unzulässigen Kapazitätsvernichtung in der einem absoluten Numerus Clausus unterliegenden Humanmedizin. Es könne nicht in das Ermessen der Hochschule gestellt werden, die Ausbildungskapazität in der Humanmedizin durch Zuordnung neuer Studiengänge zu beeinflussen. Eine dezidierte Abwägung der Hochschule fehle insoweit. Daher müsse bei der Kapazitätsberechnung der Curricularanteil für den Studiengang Molekulare Medizin (B.Sc.) außer Betracht bleiben. Zudem fehle es an einer plausiblen Herleitung der Anteilquote. Die Quotierung sei in der Vergangenheit entgegen § 47 Abs. 1 HZV regelmäßig zu Gunsten des Studiengangs Molekulare Medizin (B.Sc.) überschritten worden. Auch im streitgegenständlichen Semester zehre dieser Studiengang Kapazität zu Lasten der Humanmedizin auf. Zudem werde die Überbuchung in Höhe von drei Studienplätzen im Studiengang Molekulare Medizin (B.Sc.) zu Lasten des Studiengangs Humanmedizin, 1. Studienabschnitt, gerügt.
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Der Antragsgegner widersetzt sich den Beschwerden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
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Die Beschwerden sind zulässig, aber unbegründet. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf die sich die Prüfung durch den Verwaltungsgerichtshof beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), wird im Ergebnis nicht erkennbar, dass an der UR über die im Wintersemester 2021/2022 tatsächlich besetzten Studienplätze hinaus noch ungenutzte Ausbildungskapazität im Studienfach Humanmedizin, 1. Studienabschnitt (Vorklinik), vorhanden war. Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die UR ihre Ausbildungskapazität im Studiengang Humanmedizin, 1. Studienabschnitt, ausgeschöpft hat.
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1. Mit ihrem Vorbringen, durch die Zuordnung des Studiengangs Molekulare Medizin (B.Sc.) zur Lehreinheit Vorklinik werde unzulässigerweise Kapazität im Studiengang Humanmedizin, 1. Studienabschnitt, vernichtet, dringen die Antragsteller nicht durch.
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Zum einen werden sie insoweit bereits den Darlegungsanforderungen aus § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht gerecht, denn sie setzen sich mit den diesbezüglichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts im angegriffenen Beschluss (vgl. BA S. 15) nicht hinreichend substantiiert auseinander. Im Übrigen sind diese Feststellungen des Verwaltungsgerichts auch nicht zu beanstanden. Der „neue“ Studiengang Molekulare Medizin (B.Sc.) wurde bereits zum Wintersemester 2011/2012 eingeführt. Es ist nicht zu beanstanden, dass dieser der Lehreinheit Vorklinik zugeordnet wurde (§ 42 Abs. 1 Satz 2 HZV). Entgegen der Auffassung der Antragsteller bedurfte es hierzu keiner gesonderten gesetzlichen Regelung. Die UR war auch nicht - wie die Antragsteller meinen - gehalten, für den Studiengang Molekulare Medizin (B.Sc.) eine gesonderte Lehreinheit zu bilden. Dem steht bereits die Regelung des § 42 Abs. 1 Satz 2 HZV entgegen, nach dem ein Studiengang der Lehreinheit zuzuordnen ist, bei der er den überwiegenden Teil der Lehrveranstaltungsstunden nachfragt. Zudem wurde die Lehreinheit Vorklinik mit Einführung dieses Bachelorstudiengangs im Wintersemester 2011/2012 personell verstärkt. Dies wurde vom Senat bereits geprüft und nicht beanstandet (vgl. B.v. 19.4.2013 - 7 CE 13.10003 - juris Rn. 28). Es ist der UR mit Blick auf die in Art. 5 Abs. 3 GG verankerte Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre ein hinreichender Handlungs- und Gestaltungsspielraum eingeräumt, neue Studiengänge auch zu Lasten der Kapazität bestehender Studiengänge einzuführen, um damit der Schwerpunktbildung, der Internationalisierung oder den Veränderungen in Wissenschaft und Forschung sowie auf dem Arbeitsmarkt Rechnung tragen zu können. Dies hat der Senat bereits mehrfach entschieden (vgl. B.v. 30.6.2015 - 7 CE 15.10108 u.a. - juris Rn. 11; B.v. 19.4.2013 - 7 CE 13.1003 - juris Rn. 26 ff.). Eine von den Antragstellern behauptete „Kapazitätsvernichtung“ liegt hierin nicht. Ob ein vorhandenes Lehrangebot stärker von Studierenden dieses oder jenes Studiengangs in Anspruch genommen wird, ist vor dem Hintergrund des Gebots der erschöpfenden Nutzung der Ausbildungsmöglichkeiten jedenfalls so lange ohne Bedeutung, wenn - wie vorliegend - in beiden Studiengängen die Zahl der Bewerber diejenige der Studienplätze übersteigt (vgl. BVerwG, U.v. 15.12.1989 - 7 C 15.88 - juris Rn. 13) und damit die vorhandene Ausbildungskapazität erschöpft wird.
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2. Die von der UR gebildeten Anteilquoten für die der Lehreinheit Vorklinik zugeordneten Studiengänge Medizin, 1. Studienabschnitt, und Molekulare Medizin (B.Sc.) sind nicht zu beanstanden. Auch diesbezüglich setzt sich die Beschwerdebegründung nicht hinreichend substantiiert mit den ausführlichen Feststellungen des angegriffenen Beschlusses auseinander. Die Antragsteller kommen damit bereits ihrer Darlegungspflicht aus § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht nach. Zudem sind die Feststellungen des Verwaltungsgerichts inhaltlich nicht zu beanstanden.
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Sind - wie hier - einer Lehreinheit mehrere Studiengänge zugeordnet, ist für die Lehreinheit zunächst eine Gesamtkapazität zu ermitteln, die sodann im Verhältnis der festgesetzten Anteilquoten (§ 47 Abs. 1 HZV) auf die zugeordneten Studiengänge aufzuteilen ist. Die Bildung von Anteilquoten ist dabei Ausdruck der grundsätzlichen Befugnis des Staates, die eingesetzten Mittel aufgrund bildungsplanerischer Erwägungen für bestimmte Studiengänge zu „widmen“ (vgl. BVerwG, U.v. 15.12.1989 - 7 C 15.88 - juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 11.2.2021 - 7 CE 20.10047 u.a. - juris Rn. 10; B.v. 12.3.2007 - 7 CE 07.10003 - juris Rn. 11). Dies ist mit dem Kapazitätserschöpfungsgebot grundsätzlich vereinbar. Der Staat kann prinzipiell frei darüber entscheiden, ob das von ihm geschaffene Lehrangebot stärker von Studierenden der Humanmedizin oder solchen der Molekularen Medizin in Anspruch genommen werden soll (vgl. BVerwG, U.v. 15.12.1989 a.a.O. Rn. 14). Bei der Festsetzung der Anteilquote besteht ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum (vgl. BayVGH, B.v. 10.7.2017 - 7 CE 17.10043 - juris Rn. 10 m.w.N.).
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Das Vorbringen der Antragsteller, „es fehle an einer plausiblen Herleitung der Anteilquote“, bei deren Berechnung sei der Schwundfaktor zu berücksichtigen, denn die in § 47 Abs. 1 HZV genannte „Aufnahmekapazität“ sei die tatsächliche „Einschreibungskapazität“, überzeugt nicht. Die Antragsteller übersehen, dass die Anteilquote zunächst eine Rechengröße darstellt, mit Hilfe derer die jährliche Aufnahmekapazität für die Studiengänge einer Lehreinheit ermittelt wird. Die Festlegung der Anteilquoten ermittelt sich dabei üblicherweise aus den tatsächlichen Studienanfängerzahlen der dem Stichtag vorausgehenden zwei Semester. Damit sind über die festgesetzte Ausbildungskapazität sowohl der Schwundfaktor als auch etwaige Überbuchungen aus den vergangenen zwei Semestern rechnerisch berücksichtigt. Die Anteilquote selbst unterliegt hingegen keinem Schwund. Auch der Umstand, dass es im streitgegenständlichen Semester im Studiengang Molekulare Medizin (B.Sc.) im Besetzungsverfahren zur Überbuchung von drei Studienplätzen gekommen ist, kann sich nicht auf die - zeitlich vorgelagerte - rechnerische Festlegung der Anteilquoten auswirken. Im streitgegenständlichen Semester wurden zudem die errechneten Anteilquoten vom Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst gemäß § 47 Abs. 2 HZV zu Gunsten des Studiengangs Humanmedizin, 1. Studienabschnitt, (zp = 0,8940; Molekulare Medizin (B.Sc.) zp = 0,1060) angepasst. Dies führte bereits zu einer Erhöhung der Anzahl der Studienplätze im Studiengang Humanmedizin, 1. Studienabschnitt, im Vergleich zum Studiengang Molekulare Medizin (B.Sc.).
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3. Freie Kapazität ergibt sich auch nicht mit Blick auf den zugeordneten Studiengang Molekulare Medizin (B.Sc.). Denn auch die für diesen Studiengang ermittelte Kapazität ist vergeben. Es sind unter Berücksichtigung einer Überbuchung von drei Studienplätzen insgesamt 35 Studienplätze kapazitätswirksam belegt. Diese Überbuchung hat keine „kapazitätsvernichtende Wirkung“ für den Studiengang Humanmedizin, 1. Studienabschnitt. Denn sie wirkt sich auf die Anzahl der Studienplätze im Studiengang Humanmedizin, 1. Studienabschnitt, nicht aus. Überbuchungen von Studienplätzen bezwecken, die knappen Ausbildungskapazitäten der Hochschulen möglichst zeitnah auszuschöpfen Sie beruhen auf einer hinreichend bestimmten Rechtsgrundlage (§ 7 Abs. 2 HZV i.V.m. § 10 Abs. 1 Satz 4 des Staatsvertrags). Maßgeblich hierfür ist das von der Hochschule prognostizierte Annahmeverhalten anhand der Erfahrungswerte der letzten Jahre. Eine Überbuchung verletzt dabei weder Rechte von Bewerbern um außerkapazitäre Studienplätze noch vermittelt sie ihnen einen Rechtsanspruch auf Zuweisung eines solchen. Dies gilt insbesondere für Überbuchungen in anderen, der Lehreinheit Vorklinik zugeordneten Studiengängen, wie dem Studiengang Molekulare Medizin (B.Sc.).
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Die Überbuchung (in Höhe von 5 Studienplätzen) im Studiengang Humanmedizin, 1. Studienabschnitt, haben die Antragsteller nicht gerügt.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 18.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (Eyermann, 16. Aufl. 2022, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.