Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 31.08.2022 – AN 1 E 22.01793
Titel:

Vorläufige Versetzung eines Kirchenbeamten in den Ruhestand

Normenketten:
GG Art. 19 Abs. 4, Art. 140
WRV Art. 137 Abs. 3 S. 2
Leitsätze:
1. Der Antrag auf vorzeitige Versetzung eines Kirchenbeamten in den Ruhestand betrifft eine statusrechtliche Frage und damit eine rein innerkirchliche Angelegenheiten, über die infolge des den Kirchen verfassungsgemäß gewährleisteten Selbstverwaltungsrechts (Art. 140 GG iVm Art. 137 Abs. 3 S. 2 WRV) die staatlichen Gerichte nicht zu entscheiden haben. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwar gibt der verfassungsrechtlich garantierte Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG Geistlichen und Beamten einer Religionsgesellschaft das Recht zur Anrufung der staatlichen Gerichte, um dienstrechtliche Maßnahmen dieser Religionsgesellschaft ihnen gegenüber auf ihre Vereinbarkeit mit staatlichem Recht hin überprüfen zu lassen. Die Möglichkeit der Anrufung staatlicher Gerichte setzt jedoch voraus, dass der Betroffene den von einer Religionsgesellschaft eröffneten Rechtsweg erfolglos beschritten hat. (Rn. 39 – 40) (redaktioneller Leitsatz)
3. Staatliche Gerichte sind nicht befugt, dem Betroffenen unter Anwendung kirchlichen Rechts einen Anspruch zuzubilligen und den kirchlichen Dienstherrn zur Leistung zu verurteilen. Aufgrund des Vorbehaltes in Art. 137 Abs. 3 WRV beschränkt sich die staatliche Überprüfung insoweit darauf, ob ein für alle geltendes Gesetz bzw., wenn der Kernbereich der kirchlichen Selbstverwaltung betroffen ist, ob die verfassungsrechtlichen Essentialia iSd Art. 79 Abs. 3 GG verletzt sind. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Rechtsschutzziel, vorläufig in den Ruhestand versetzt zu werden, ist unzulässig, da die Versetzung eines Kirchenbeamten in den Ruhestand als dienstrechtliche Angelegenheit dem Kernbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nach Art. 140 GG iVm Art. 137 Abs. 3 WRV unterliegt. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kirchenbeamter, Antrag, Versetzung, Ruhestand, Rechtsweg, staatliche Gerichte, Eröffnung, statusrechtliche Frage, innerkirchliche Angelegenheit, kirchliches Selbstbestimmungsrecht, Kernbereich, Justizgewährleistungsanspruch
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 04.11.2022 – 3 CE 22.2027
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31603

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 21.744,84 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller ist als Kirchenbeamter auf Lebenszeit bei der Antragsgegnerin beschäftigt. Er begehrt vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach die Anordnung der vorläufigen Versetzung in den Ruhestand.
2
Der am … 1959 geborene Kläger wurde von der Antragsgegnerin mit Wirkung zum … in das Kirchenbeamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen. Mit Wirkung zum … erfolgte die Ernennung zum „Akademischen Direktor“. Derzeit ist der Antragsteller als Dozent für Klassische Philologie an der …Hochschule in … beschäftigt.
3
Das Versorgungsamt hat bei dem Antragsteller einen Grad der Behinderung von 20 festgestellt.
4
Mittels Schreiben vom 3. Dezember 2020 wandte sich der Antragsteller an die Rektorin der …Hochschule, um sie über seine Absicht in Kenntnis zu setzen, in den vorzeitigen Ruhestand versetzt zu werden. Er teilte mit, seine Lehrtätigkeit an der …Hochschule zum … 2022 aus gesundheitlichen Gründen beenden zu wollen.
5
Am 22. Dezember 2020 beantragte der Antragsteller schriftlich seine Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand mit Wirkung zum ... 2022.
6
Nachdem die Antragsgegnerin zunächst untätig geblieben war, wiederholte der Bevollmächtigte des Antragsstellers das Begehren auf Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand mit Schreiben vom 2. Juni 2021.
7
Am 17. Juni 2021 teilte der anwaltliche Bevollmächtigte des Antragstellers der Antragsgegnerin mit, dass der Antragsteller gegen den Bescheid des Versorgungsamtes, der dem Antragsteller einen Gesamtgrad der Behinderung von 20 zuerkannt hat, Widerspruch eingelegt habe.
8
Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag des Antragstellers auf vorzeitigte Versetzung in den Ruhestand mit Schreiben vom 30. November 2021 ab.
9
Hiergegen legte der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten am 5. Dezember 2021 Widerspruch bei der Antragsgegnerin ein. Über den Widerspruch ist bisher nicht entschieden worden.
10
Am 10. Mai 2022 erhob der anwaltliche Bevollmächtigte des Antragstellers Untätigkeitsklage zum Verwaltungsgericht der Ev.-L. Kirche in B. (Az.: ...) mit dem Antrag, den Bescheid vom 30. November 2021 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller mit Wirkung zum … 2022 in den Ruhestand zu versetzen. Über die Klage ist bislang nicht entschieden worden.
11
Am 25. Mai 2022 stellte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers beim Verwaltungsgericht der Ev.-L. Kirche in B. einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Er beantragte, die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller mit Wirkung zum … 2022 in den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen, solange das Verwaltungsgericht der Ev.-L. Kirche in B. in der Hauptsache nicht rechtskräftig entschieden hat.
12
Das Verwaltungsgericht der Ev.-L. Kirche in B. lehnte den Antrag mit Beschluss vom 21. Juli 2022 (Az.: ...) als unbegründet ab.
13
Das Gericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Antragsteller in unzulässiger Weise die Vorwegnahme der Hauptsache begehre. Eine Vorwegnahme der Hauptsache komme nur in Ausnahmefällen aus Gründen eines sonst nicht effektiven Rechtsschutzes in Betracht. Die Versetzung in den Ruhestand erfülle diese Voraussetzungen nicht, da es sich um eine irreversible Entscheidung handle.
14
Darüber hinaus bestehe auch kein Anordnungsanspruch, da die kirchenrechtlichen Bestimmungen keine vorzeitige Ruhestandsversetzung mit Vollendung des 63. Lebensjahres vorsähen. Im Falle des Antragstellers sei der frühestmögliche Zeitpunkt für eine Vorruhestandsversetzung der … 2023 (Vollendung des 64. Lebensjahres).
15
Der Beschluss wurde nach § 57 Abs. 2 KVGG für unanfechtbar erklärt.
16
Mit Schriftsatz vom 5. August 2022 - eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach am 8. August 2022 - stellte der Bevollmächtigte des Antragstellers einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.
17
Er beantragte,
1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antragsteller entsprechend seinem Antrag vom 22. Dezember 2020 mit Wirkung zum … 2022 in den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen, solange das Verwaltungsgericht der Ev.-L. Kirche in B. (Az. ...) nicht rechtskräftig entschieden hat.
2. Es wird beantragt, bis zur Entscheidung der Kammer über den Eilantrag eine Vorsitzenden-Entscheidung nach §§ 123 Abs. 2 Satz 3, 80 Abs. 8 VwGO zu treffen.
18
Zur Begründung führte der anwaltliche Bevollmächtigte des Antragstellers aus, dass der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten eröffnet sei, weil es sich um eine vermögensrechtliche Streitigkeit i.S.v. § 11 KVGG, § 126 Abs. 1 BRRG i.V.m. § 135 Satz 2 BRRG, § 40 Abs. 2 Satz 2 VwGO handle. Darüber hinaus entspreche es mittlerweile ständiger Rechtsprechung, dass der verfassungsrechtlich garantierte Justizgewährleistungsanspruch Beamten einer Religionsgemeinschaft das Recht zur Anrufung der staatlichen Gerichte gebe, um dienstrechtliche Maßnahmen auf ihre Vereinbarkeit mit staatlichem Recht überprüfen zu lassen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn der kirchenrechtliche Rechtsweg erschöpft sei. Der Antragsteller habe mit Schriftsatz vom 10. Mai 2022 Untätigkeitsklage zum Verwaltungsgericht der Ev.-L. Kirche in B. erhoben. Dieses habe mitgeteilt, dass mit einer Entscheidung vor dem 2022 nicht zu rechnen sei. Zu diesem Zeitpunkt wolle der Antragsteller jedoch bereits in den Ruhestand versetzt werden. Die kirchliche Gerichtsbarkeit verweigere dem Antragsteller effektiven Rechtsschutz, sodass der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet sei. Darüber hinaus sei im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes der Rechtsweg bereits erschöpft. Der Beschluss des Kirchengerichts vom 21. Juli 2022 könne nicht angefochten werden.
19
Ein Anordnungsanspruch liege vor, da der Bescheid der Antragsgegnerin vom 30. November 2021 formell und materiell rechtswidrig sei. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand.
20
Die Antragsgegnerin habe den am 22. Dezember 2020 gestellten Antrag verfahrensrechtlich auf unzulässige Weise inhaltlich verkürzt. So habe die Antragsgegnerin den Antrag auf Versetzung in den Ruhestand aus gesundheitlichen Gründen abgelehnt, obwohl der Antragsteller seinen Antrag nicht auf die Prüfung gesundheitlicher Gründe beschränkt habe. Zudem sei nicht zutreffend, dass der Antragsteller eine Versetzung in den Ruhestand vor Erreichen der Regelaltersgrenze ohne Abschläge im Versorgungsanspruch beantragt habe. Der Antragsteller habe Abschläge bewusst in Kauf genommen.
21
Darüber hinaus sei der Bescheid vom 30. November 2021 auch insoweit verfahrensfehlerhaft, als es die Antragsgegnerin unterlasse habe, vor der Entscheidung über den Ruhestandsversetzungsantrag ein Verfahren des „betrieblichen Eingliederungsmanagements“ (§ 167 Abs. 2 SGB IX) einzuleiten.
22
Der Bescheid vom 30. November 2021 leide zudem an materiellen Fehlern; insbesondere liege ein Ermessensfehler in Form von Ermessensnichtgebrauch vor. Die Antragsgegnerin habe nicht erkannt, dass ihr hinsichtlich der Ruhestandsversetzung ein Ermessensspielraum zustehe (vgl.: § 67 Abs. 1 KGB.EKD i.V.m. § 19 Abs. 1 KBErgG). Der Antragsteller habe seine gesundheitlichen Beschwerden ausführlich dargestellt. Im Rahmen ihres Ermessens hätte die Antragsgegnerin diese Beschwerden rechtlich würdigen müssen. Zumindest sei jedoch aufgrund der nur rudimentär festgestellten Tatsachen im Bescheid ein Fall von Ermessensfehlgebrauch anzunehmen.
23
Der Bescheid vom 30. November 2021 verkenne hinsichtlich der Behinderung des Antragstellers überdies die Bedeutung europäischen Rechts. Die EU-RL 2007/78, die dem Schutz behinderter Menschen diene, werde von der Antragsgegnerin überhaupt nicht in den Blick genommen.
24
Der Antragsteller habe einen Anspruch auf Versetzung in den Ruhestand aus § 67 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 KBG.EKD i.V.m. § 19 KBErgG in der Fassung vom 5. Dezember 2011 (KABl 2012 S. 7), in Kraft mit Wirkung zum 1. Dezember 2012. Als der Antragsteller seinen Antrag auf Versetzung in den Ruhestand gestellt habe, sei es nach diesen Vorschriften möglich gewesen, mit Vollendung des 63. Lebensjahres in den Ruhestand versetzt zu werden. Für den Anspruch des Antragstellers sei der Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich. Es sei daher irrelevant, dass sich die Rechtslage mit Wirkung zum 1. Juli 2021 dergestalt geändert habe, dass eine Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand grundsätzlich erst mit Vollendung des 64. Lebensjahres ermöglicht werde, § 67 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 KBG.EKD i.V.m. § 19 Abs. 1 KBErgG in der Fassung vom 1. April 2021 (KABl S. 148), in Kraft mit Wirkung zum 1. Juli 2021. Indem die Antragsgegnerin die Ruhestandsversetzung mit Hinweis auf die Änderung der Rechtslage nach Antragstellung ablehne, verstoße sie gegen das verfassungsrechtliche Verbot echter Rückwirkung.
25
Die Änderung des § 19 Abs. 1 KBErgG sei rechtswidrig, da die Vorschrift ohne Übergangsregelungen erlassen worden sei. Es müsse daher auf die Rechtslage vor Änderung des § 19 Abs. 1 KBErgG abgestellt werden.
26
Der Anordnungsanspruch folge aus der drohenden Vereitelung des Rechts des Antragstellers, mit Wirkung zum … 2022 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt zu werden. Mit einer rechtzeitigen Entscheidung durch das kirchliche Verwaltungsgericht sei nicht zu rechnen. Die Antragsgegnerin schaffe durch ihre Untätigkeit unumkehrbare Fakten. So bleibe der Antragssteller aufgrund der fehlenden Entscheidung durch das kirchliche Verwaltungsgericht über den … 2022 hinaus zur Dienstleistung verpflichtet.
27
Der Antrag stelle keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache dar.
28
Die Antragsgegnerin erwiderte mit Schriftsatz vom 11. August 2022 und beantragte,
Der Antrag wird abgelehnt.
29
Zur Begründung führte sie aus, der Antrag sei unzulässig und unbegründet.
30
Der Antrag müsse als unzulässig abgelehnt werden, da der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nicht eröffnet sei. Es handle sich hier nicht um eine vermögensrechtliche, sondern um eine statusrechtliche Streitigkeit, für welche gemäß § 87 Abs. 1 KBG.EKD der Weg zu den Kirchengerichten eröffnet sei. Die Frage, ob eine vorzeitige Ruhestandsversetzung möglich sei, betreffe primär den Status des Antragstellers in seiner Funktion als Kirchenbeamter.
31
Im Übrigen sei der Antrag auch unbegründet, da der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht habe. Der Antragsteller habe nicht glaubhaft dargelegt, dass ihm ein Anspruch auf vorzeitige Versetzung in den Ruhestand zustehe. Die Voraussetzungen von § 67 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 KBG.EKD i.V.m. § 19 Abs. 1 KBErgG lägen nicht vor. Die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand setze die Vollendung des 64. Lebensjahres voraus. Der Antragsteller sei am … 1959 geboren und vollende sein 64. Lebensjahr mithin am … 2023. Der Antragsteller könne daher nicht mit Wirkung zum … 2022 in den Ruhestand versetzt werden.
32
Dem stehe auch nicht entgegen, dass der Antragsteller den nach § 67 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 KBG.EKD erforderlichen Antrag bereits am 22. Dezember 2020 gestellt habe. Zu diesem Zeitpunkt sei eine vorzeitige Ruhestandsversetzung zwar schon mit Ablauf des 63. Lebensjahres möglich gewesen. Darauf könne sich der Antragsteller jedoch nicht berufen. Die Anhebung der Altersgrenze stelle einen Fall unechter Rückwirkung dar, da die Rechtsänderung einen noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt betreffe. In einem solchen Fall sei das Vertrauen der Betroffenen nur in geringem Maße geschützt, da man auf die Unveränderlichkeit der Rechtslage in der Zukunft nicht vertrauen könne.
33
Auf gerichtlichen Hinweis nahm der anwaltliche Bevollmächtigte des Antragstellers mit Schriftsatz vom 22. August 2022 nochmals Stellung.
34
Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten sei zulässig, da dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften erst im Rahmen der Begründetheit Rechnung getragen werden müsse. Dem Verwaltungsgericht sei eine materielle Prüfung daher auch im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht möglich. Die Antragsgegnerin habe durch die Missachtung des Rückwirkungsverbots rechtsstaatliche Grundsätze verletzt. Darüber hinaus sei das Gericht in der Prüfung ohnehin nicht beschränkt, da der Kernbereich des Selbstbestimmungsrechts nicht betroffen sei. Das vom Antragsteller unterrichtete Fach „klassische Philologie“ zähle nicht zum Verkündungsbereich und damit auch nicht zum Kernbereich des Selbstbestimmungsrechts.
35
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.
II.
36
Der Antrag ist mangels Rechtsschutzbedürfnis als unzulässig abzulehnen. Es fehlt an der Ausschöpfung des kirchlichen Rechtswegs und an der Verfolgung eines zulässigen Rechtsschutzziels.
37
1. Die Anrufung staatlicher Gerichte in statusrechtlichen Angelegenheiten der Kirchenbeamten der Ev.-L. Kirche in B. ist grundsätzlich ausgeschlossen. Jedenfalls setzt die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den staatlichen Gerichten die vollständige Ausschöpfung des kirchlichen Rechtswegs voraus, wovon hier nicht ausgegangen werden kann.
38
Der Antragsteller hat mit seinem Antrag auf vorzeitige Versetzung in den Ruhestand eine statusrechtliche Frage zum Gegenstand des Verfahrens macht. Auch wenn sich an die Ruhestandsversetzung unter Umständen vermögensrechtliche Fragen anschließen, bleibt die Frage nach der Beendigung des Amtes als Ausgangspunkt zentral. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass derartige Statusfragen auch dann nicht nach § 135 Satz 2 BRRG i.V.m. § 126 BRRG, § 11 KVGG in die Kompetenz der staatlichen Gerichte fallen, wenn sie nur als Vorfrage bei einer den staatlichen Verwaltungsgerichten zugewiesenen vermögensrechtlichen Streitigkeit von Bedeutung sind (BVerfG, B.v. 18.9.1998 - 2 BvR 69/93 - juris Rn. 13; BVerfG, B.v. 18.9.1998 - 2 BvR 1476/94 - juris Rn. 30; BVerwG, U.v. 30.10.2002 - 2 C 23/01 - juris Rn. 8 ff.; BVerwG, U.v. 28.4.1994 - 2 C 23/92 - juris Rn. 11). Es handelt sich um rein innerkirchliche Angelegenheiten, über die infolge des den Kirchen verfassungsgemäß gewährleisteten Selbstverwaltungsrechts (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 2 WRV) die staatlichen Gerichte nicht zu entscheiden haben.
39
Zwar gibt der verfassungsrechtlich garantierte Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG Geistlichen und Beamten einer Religionsgesellschaft das Recht zur Anrufung der staatlichen Gerichte, um dienstrechtliche Maßnahmen dieser Religionsgesellschaft ihnen gegenüber auf ihre Vereinbarkeit mit staatlichem Recht hin überprüfen zu lassen. Das verfassungsrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV schließt insoweit nicht bereits den Zugang zu den staatlichen Gerichten aus, sondern bestimmt Umfang und Intensität der Prüfung des Aktes der Religionsgesellschaft durch das staatliche Gericht (BVerwG, U.v. 27.2.2014 - 2 C 19/12 - juris Rn. 12; VGH BW, U.v. 10.11.2015 - 4 S 901/14 - juris Rn. 20).
40
Die Möglichkeit der Anrufung staatlicher Gerichte setzt jedoch voraus, dass der Betroffene den von einer Religionsgesellschaft eröffneten Rechtsweg erfolglos beschritten hat. Die verfassungsrechtlich geschuldete Rücksichtnahme auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften gebietet die Subsidiarität der staatlichen gegenüber der kirchlichen Gerichtsbarkeit (BVerwG, U.v. 27.2.2014 - 2 C 19/12 - juris Rn. 12, 27; BayVGH, B.v. 7.8.2017 - 3 ZB 14.536 - juris Rn. 3). Wird der kirchliche Rechtsweg nicht erschöpft, fehlt der Klage vor dem staatlichen Gericht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (BGH, U.v. 28.3.2003 - V ZR 261/02 - juris Rn. 14; BAG, B.v. 30.4.2014 - 7 ABR 30/12 - juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 7.8.2017 - 3 ZB 14.536 - juris Rn. 7).
41
Auch wenn der ablehnende Beschluss des Verwaltungsgerichts der Evangelisch-Lutherischen Kirche vom 21. Juli 2022 gemäß § 57 Abs. 2 KVGG unanfechtbar ist, geht die Kammer davon aus, dass der kirchliche Rechtsweg noch nicht erschöpft ist. Über die Klage des Antragstellers vor dem Verwaltungsgericht der Ev.-L. Kirche in B. ist bislang nicht entschieden worden. Ebenso steht die Entscheidung der Antragsgegnerin über den Widerspruch, den der Antragsteller gegen den ablehnenden Bescheid vom 30. November 2021 erhoben hat, noch aus. Auch das Widerspruchsverfahren gehört insoweit zum kirchlichen Rechtsweg, da dieser erst dann erschöpft ist, wenn alle gerichtlichen und behördlichen Rechtsschutzmöglichkeiten erfolglos geblieben sind. (vgl. hierzu: VGH BW, U.v. 10.11.2015 - 4 S 901/14 - juris Rn. 34).
42
2. Unabhängig von der Frage nach der Erschöpfung des kirchlichen Rechtswegs ist der Antrag jedenfalls deshalb unzulässig, weil er ein unzulässiges Rechtsschutzziel verfolgt.
43
a) Staatliche Gerichte sind nicht befugt, dem Betroffenen unter Anwendung kirchlichen Rechts einen Anspruch zuzubilligen und den kirchlichen Dienstherrn zur Leistung zu verurteilen. Aufgrund des Vorbehaltes in Art. 137 Abs. 3 WRV beschränkt sich die staatliche Überprüfung insoweit darauf, ob ein für alle geltendes Gesetz bzw., wenn der Kernbereich der kirchlichen Selbstverwaltung betroffen ist, ob die verfassungsrechtlichen Essentialia im Sinne des Art. 79 Abs. 3 GG verletzt sind. Dem entspricht es, dass das staatliche Gericht in seinem Rechtsfolgenausspruch insoweit auch nur die Verletzung staatlichen Rechts bzw. fundamentaler verfassungsrechtlicher Grundsätze feststellen kann (vgl.: BVerwG, U.v. 27.2.2014 - 2 C 19/12 - juris Rn. 33; VGH BW, U.v. 10.11.2015 - 4 S 901/14 - juris Rn. 36).
44
Das Rechtsschutzziel des Antragstellers, vorläufig in den Ruhestand versetzt zu werden, ist unzulässig, da die Versetzung eines Kirchenbeamten in den Ruhestand als dienstrechtliche Angelegenheit dem Kernbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV unterliegt (BVerwG, U.v. 27.2.2014 - 2 C 19/12 - juris). Dem Gericht ist es daher nicht möglich, über einen Antrag des Antragstellers auf Versetzung in den Ruhestand unter Anwendung kirchlicher Rechtsvorschriften (§ 67 Abs. 1 Nr. 1 KBG.EKD i.V.m. § 19 Abs. 1 KBErgG) zu entscheiden.
45
Als Unterfall des Selbstbestimmungsrechts und des Gebots der organisatorischen Trennung von Staat und Kirche gewährleistet Art. 137 Abs. 3 Satz 2 WRV den Religionsgemeinschaften das Recht, ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde zu verleihen. Unter Ämtern sind alle Personalstellen zu verstehen, die der Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts dienen (Sachs/Ehlers, Grundgesetz, 9. Aufl., WRV Art. 137 Rn. 9). Die Ämterhoheit umfasst daher alle geistlichen und kirchlichen Ämter, deren Errichtung und rechtliche Ausgestaltung, die Ausbildung und den Einsatz des Personals.
46
Die Frage der Ruhestandsversetzung ist als statusrechtliche Angelegenheit und als Spiegelbild der Verleihung eines kirchlichen Amtes der kirchlichen Ämterhoheit zuzuordnen (vgl. auch: BVerfG, B.v. 9.12.2008 - 2 BvR 717/08 - juris; BVerwG, U.v. 27.2.2014 - 2 C 19/12 - juris Rn. 16, 33; BayVGH, B.v. 7.8.2017 - 3 ZB 14.536 - juris Rn. 22). Das Amt des Antragstellers dient der Wahrnehmung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts. Der Antragsteller ist als Dozent an einer Theologischen Hochschule für die Ausbildung angehender Theologen und damit für die Vermittlung des kirchlichen Auftrags verantwortlich. Theologie ist ein „bekenntnisgebundener Studiengang“; die Weitergabe und Verbreitung theologischer Lehren und des christlichen Glaubens ist eine zentrale kirchliche Aktivität (Dürig/Herzog/Scholz/Korioth, Grundgesetz-Kommentar, Stand: Januar 2022, WRV Art. 137 Rn. 32). Irrelevant ist, welches Fach der Antragsteller an der Theologischen Hochschule konkret unterrichtet.
47
Aufgrund der Anwendbarkeit von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV ist das Gericht nicht dazu befugt, über einen etwaigen Anspruch des Antragstellers auf eine vorläufige Versetzung in den Ruhestand zu befinden, da staatliche Gerichte im Rahmen des Selbstverwaltungsrechts den kirchlichen Dienstherrn nicht zu einer Leistung verpflichten können.
48
b) Überdies wäre das Gericht selbst dann nicht in der Lage über eine vorläufige Versetzung in den Ruhestand zu entscheiden, wenn das kirchliche Selbstbestimmungsrecht keine Anwendung fände.
49
Der Inhalt einer einstweiligen Anordnung kann nur auf einen rechtlichen Erfolg gerichtet werden, der auch im Rahmen einer Verpflichtungsklage erreicht werden könnte (VG Bayreuth, B.v. 15.12.2016 - B 5 E 16.857 - juris Rn. 31). Der Antrag richtet sich hier auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Antragsteller in den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen, solange das Verwaltungsgericht der Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Hauptsache nicht rechtskräftig entschieden hat. Das Antragsbegehren muss aufgrund der ausdrücklichen zeitlichen Einschränkung als vorläufige Ruhestandsversetzung verstanden werden (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO). Das Dienstrecht der Ev.-L. Kirche in B. (§ 67 Abs. 1 und 3 KBG.EKD i.V.m. § 19 Abs. 1 KBErgG) sieht eine vorläufige Versetzung in den Ruhestand jedoch nicht vor. Eine § 55 BBG vergleichbare Regelung, die die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand ermöglichen würde, enthalten die §§ 66 bis 74 KBG.EKD nicht. Stattdessen kann die Versetzung in den Ruhestand gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 KBG.EKD mit Beginn des Ruhestands nicht mehr zurückgenommen werden. Die Bestimmung dient nicht nur dem Vertrauensschutz des in den Ruhestand versetzten Beamten, sondern auch dem allgemeinen Interesse der Rechtsbeständigkeit der Statusentscheidung und der Rechtsklarheit. Damit erweist sie sich als das Gegenstück der Ämterstabilität. Die Versetzung in den Ruhestand ist - wie die Ernennung des Beamten - ein statusverändernder Verwaltungsakt. Sie ist nach dem Ruhestandsbeginn nicht mehr korrigierbar (vgl. dazu: VG München, B.v. 22.12.2017 - M 21 E 17.5665 - juris Rn. 14; VG Bayreuth, B.v. 15.12.2016 - B 5 E 16.857 - juris Rn. 31). Eine vorläufige Versetzung in den Ruhestand ist aufgrund der Irreversibilität nicht denkbar und kann daher im einstweiligen Rechtsschutz auch nicht beantragt werden.
50
c) Selbst, wenn man das Antragsbegehren als uneingeschränkte Versetzung in den Ruhestand nach § 67 Abs. 1 Nr. 1 KBG.EKD auslegen könnte, würde der Antrag immer noch ein unzulässiges Rechtsschutzziel verfolgen, da das Gericht aufgrund von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV keine Verpflichtung zur Versetzung in den Ruhestand aussprechen könnte (dazu bereits oben). Der Ausspruch einer solchen Verpflichtung würde eine Subsumtion unter kirchliche Rechtsvorschriften erfordern, wozu das Gericht hier nicht befugt ist.
51
Ein solcher Eilantrag würde zudem zu einer „echten“ Vorwegnahme der Hauptsache führen. In der Hauptsache ist jedoch der Rechtsweg zu den kirchlichen Gerichten noch nicht erschöpft, da das Verwaltungsgericht der Ev.-L. Kirche in B. noch nicht über die Klage des Antragstellers entschieden hat. Insoweit steht der aus dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht abzuleitende Grundsatz der Subsidiarität der staatlichen gegenüber der kirchlichen Gerichtsbarkeit einer Entscheidung im Eilrechtsschutz entgegen. Die staatliche Rücksichtnahmepflicht auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht würde unterlaufen, wenn staatliche Gerichte durch die Vorwegnahme der Hauptsache im Eilrechtsschutz die Bindung des Kirchengerichts in der Hauptsache erreichen könnten.
52
Der Antrag ist daher abzulehnen.
53
3. Ebenso ist der Antrag, bis zur Entscheidung der Kammer über den Eilantrag eine Entscheidung durch den Vorsitzenden zu treffen, abzulehnen.
54
Eine Entscheidung durch den Vorsitzenden nach §§ 123 Abs. 2 Satz 3, 80 Abs. 8 VwGO kommt nur dann in Betracht, wenn das Zuwarten bis zum Zusammentreten des Spruchkörpers zu Nachteilen für den vorläufigen Rechtsschutz führen würde (Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 80 Rn. 145). Davon ist hier nicht auszugehen. Der Antragsteller beantragt die vorläufige Ruhestandsversetzung mit Wirkung zum … 2022. Da der Antrag bereits am 8. August 2022 gestellt worden war, hatte das Gericht hinreichend Zeit, um eine Entscheidung in der Kammer zu treffen. Eine damit einhergehende Beeinträchtigung des Rechts des Antragstellers auf effektiven Rechtsschutz war mangels Dringlichkeit nicht zu befürchten.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
56
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 bis 4 GKG. Der Streitwert beträgt danach 1/2 der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge, einschließlich jährlicher Sonderzahlungen (vgl.: BayVGH, B. v. 3.7.2019 - 3 CE 19.1118 - juris Rn. 26), da die Beteiligten über den Zeitpunkt der Versetzung in den Ruhestand im Rahmen eines Amtsverhältnisses auf Lebenszeit streiten. Wegen der Vorläufigkeit der Entscheidung ist nach Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (in der Fassung vom 18. Juli 2013) der so zu ermittelnde Betrag abermals zu halbieren (VG Bayreuth, B. v. 15. Dezember 2016 - B 5 E 16.857 - juris Rn. 41). Der Streitwert war mithin auf 21.744,84 EUR festzusetzen.