Titel:
Staatlicher Rechtsweg bei dienstrechtlichen Maßnahmen einer Religionsgesellschaft
Normenketten:
GVG § 17a Abs. 3 S. 2, Abs. 5
GG Art. 79 Abs. 3
Leitsätze:
1. Wenn das Verwaltungsgericht unter Verstoß gegen § 17a Abs. 3 S. 2 GVG nicht vorab über die Zulässigkeit des Rechtsweges befunden und die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren an ihrer Zuständigkeitsrüge festgehalten hat, hat das Oberverwaltungsgericht zu entscheiden, ob der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist; § 17a Abs. 5 GVG ist in einem solchen Fall nicht anwendbar. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der verfassungsrechtlich gewährleistete Justizgewährungsanspruch gibt Geistlichen und Beamten einer Religionsgesellschaft das Recht zur Anrufung der staatlichen Gerichte, um dienstrechtliche Maßnahmen dieser Religionsgesellschaft ihnen gegenüber auf ihre Vereinbarkeit mit staatlichem Recht hin überprüfen zu lassen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die staatliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob die verfassungsrechtlichen Essentialia iSd Art. 79 Abs. 3 GG verletzt sind. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kirche, Akademischer Direktor, Dozent für Klassische, Philologie, Verwaltungsrechtsweg, Rechtschutzbedürfnis (einstweilige) Versetzung in den Ruhestand, Ausschöpfen des kirchlichen Rechtswegs (allgemeiner) Justizgewährungsanspruch, Religionsgemeinschaft, Beamter, Versetzung in den Ruhestand, dienstrechtliche Maßnahme, Rechtsschutz, staatlicher Rechtsweg, kirchlicher Rechtsweg, Eröffnung, Ausschöpfung, Justizgewährungsanspruch
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 31.08.2022 – AN 1 E 22.1793
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31602
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 21.744,84 € festgesetzt.
Gründe
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Der 1959 geborene Antragsteller, Akademischer Direktor und Dozent für Klassische Philologie im Dienst der Antragsgegnerin, beantragte im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn entsprechend seines Antrags vom 22. Dezember 2020 mit Wirkung zum 30. September 2022 in den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen, solange das Verwaltungsgericht der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern über die dort anhängige Untätigkeitsklage (Az. VG-341) nicht rechtskräftig entschieden hat. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag abgelehnt. Er sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, da der kirchliche Rechtsweg noch nicht erschöpft sei, und verfolge ein unzulässiges Rechtsschutzziel. Eine vorläufige Versetzung in den Ruhestand sei aufgrund der Irreversibilität nicht denkbar und könne daher im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht beantragt werden.
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Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde.
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1. Da das Verwaltungsgericht unter Verstoß gegen § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG nicht vorab über die Zulässigkeit des Rechtsweges befunden und die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren an ihrer Zuständigkeitsrüge festgehalten hat, hat der Senat zu entscheiden, ob der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. § 17a Abs. 5 GVG ist in einem solchen Fall nicht anwendbar, weil andernfalls die in § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG eingeräumte Möglichkeit, die Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges auch im Fall ihrer Bejahung durch das Gericht erster Instanz durch das Rechtsmittelgericht prüfen zu lassen, aufgrund eines Verfahrensfehlers des Gerichts abgeschnitten würde (BVerwG, B.v. 28.1.1994 - 7 B 198.93 - juris Rn. 5). Eine solche Rechtswegkontrolle durch die übergeordnete Instanz unterliegt bei ordnungsgemäßem Verfahren der Disposition der Beteiligten, denen es freisteht, die Entscheidung der ersten Instanz zu akzeptieren oder sie mit der Beschwerde anzugreifen. Diese Kontrolle wird deshalb auch unter den hier gegebenen Voraussetzungen nur auf eine ausdrückliche Rüge hin eröffnet.
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Der verfassungsrechtlich gewährleistete Justizgewährungsanspruch gibt Geistlichen und Beamten einer Religionsgesellschaft das Recht zur Anrufung der staatlichen Gerichte, um dienstrechtliche Maßnahmen dieser Religionsgesellschaft ihnen gegenüber auf ihre Vereinbarkeit mit staatlichem Recht hin überprüfen zu lassen (BVerwG, U.v. 27.2.2014 - 2 C 19.12 - juris Rn. 12 ff.; Wöckel in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Aufl. 2022, § 40 Rn. 91; Sodan in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 40 Rn. 470; Mager in von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 7. Aufl. 2021, § 140 GG Rn. 39).
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2. Die zulässige Beschwerde des Antragstellers hat in der Sache keinen Erfolg. Die von ihm fristgerecht dargelegten Beschwerdegründe, auf die sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unter Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses zu entsprechen.
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Es kann dahin gestellt bleiben, ob dem Antrag das erforderliche Rechtschutzinteresse fehlt, weil der kirchliche Rechtsschutz in der Hauptsache noch nicht erschöpft ist (vgl. hierzu Hotstegs in NVwZ 2014, 1106), jedenfalls ist der Senat mangels Rechtsgrundlage nicht befugt ist, die begehrte Sachentscheidung zu treffen. Der allgemeine Justizgewährungsanspruch garantiert lediglich Rechtsschutz, bietet aber weder in materieller noch prozessualer Hinsicht eine rechtliche Handhabe für die beantragte einstweilige Ruhestandsversetzung. Insoweit ist unerheblich, ob in der Hauptsache eine Vornahme oder eine Bescheidung beantragt werden soll. Die staatliche Überprüfung des Senats ist darauf beschränkt, ob die verfassungsrechtlichen Essentialia im Sinn des Art. 79 Abs. 3 GG verletzt sind. Dem entspricht es, dass das staatliche Gericht im Rechtsfolgenausspruch auch nur die Verletzung staatlichen Rechts bzw. fundamentaler verfassungsrechtlicher Grundsätze feststellen kann (BVerwG, U.v. 27.2.2014 - 2 C 19.12 - juris Rn. 28). Der Antragsteller hat in seiner Beschwerdebegründung indes mit keinem Wort eine solche Verletzung behauptet, geschweige denn dargelegt. Hinzu kommt, dass der Antragsteller mit der Verpflichtung, ihn vorläufig in den Ruhestand zu versetzen, ein rechtlich unmögliches Ziel verfolgt. Die allgemeinen wie auch kirchlichen Ruhestandsregelungen sehen eine „vorläufige“ Zurruhesetzung nicht vor. Eine solche wäre mit Blick auf den statusändernden Charakter dieser Maßnahme und die einzelnen Rechtsfolgen mit der Formenstrenge des Dienstrechts unvereinbar und kann entgegen der Ansicht der Beschwerde auch nicht mit Rechtsschutzerwägungen oder der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Sachen „Egenberger“ (U.v. 17.4.2018 - C-414/16 - juris) gerechtfertigt werden.
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c. Der Senat hat auch die weiteren Argumente des Antragstellers, die dieser in der Beschwerdebegründung vom 5. Oktober 2022 vorgebracht hat, erwogen. Er hat sie jedoch ebenfalls nicht für eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung geeignet gehalten, ohne dass es insoweit im vorliegenden Beschluss einer ausdrücklichen Auseinandersetzung bedurft hätte.
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3. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 40, § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Sätze 1 bis 4 GKG (wie Vorinstanz).
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4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG unanfechtbar.