Inhalt

VGH München, Beschluss v. 10.10.2022 – 24 ZB 22.1806
Titel:

Elektronischer Rechtsverkehr und Anforderungen an eine Ersatzeinreichung

Normenkette:
VwGO § 55d, § 124a Abs. 4 S. 1
Leitsätze:
1. Gem § 55d VwGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen (hier: Berufungszulassungsantrag), die u.a. durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Die Einhaltung der Vorschrift des § 55d VwGO ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten; sie steht nicht zur Disposition der Beteiligten. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist aber gem § 55d S. 4 VwGO bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich - also ohne schuldhaftes Zögern - danach glaubhaft zu machen. Hierbei wird regelmäßig eine Wochenfrist anzunehmen sein. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unzulässiger Berufungszulassungsantrag, Begründungsschriftsatz per Fax eingereicht, Berufungszulassungsantrag, Zulässigkeit, Frist, elektronischer Rechtsverkehr, Ersatzeinreichung, Fax
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 27.06.2022 – W 9 K 21.1392
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 20.12.2022 – 24 ZB 22.1806
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31598

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.750, - Euro festgesetzt.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist bereits unzulässig, da die Begründung des Zulassungsantrages die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht gewahrt hat.
2
Gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und 5 VwGO sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteiles bei dem Oberverwaltungsgericht die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Dabei ist zu beachten, dass nach dem seit dem 1. Januar 2022 geltenden § 55d VwGO (eingeführt durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 10. Oktober 2013, BGBl. I S. 3786) vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die u.a. durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln sind (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 55d Rn. 1). Die aktive Nutzungspflicht der elektronischen Form ist nicht von einem weiteren Umsetzungsakt abhängig und gilt ab dem 1. Januar 2022 für sämtliche Verfahren. Sie bezieht sich auf alle an das Gericht adressierten Schriftsätze, Anträge und Erklärungen. Die Einhaltung der Vorschrift ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten; sie steht nicht zur Disposition der Beteiligten (BT-Drs. 17/12634 S. 27 zur Parallelvorschrift des § 130d ZPO; Schmitz in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.7.2022, § 55d Rn. 2). Für die genannte Personengruppe ist eine herkömmliche Einreichung - etwa auf dem Postweg oder per Fax - prozessual unwirksam (Braun Binder in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 55d Rn. 7).
3
Zwar ist der - nicht begründete - Antrag auf Zulassung der Berufung innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO beim Verwaltungsgericht Würzburg eingelegt worden. Die gesetzliche Frist des § 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO für die erforderliche Begründung des Zulassungsantrages wurde jedoch nach Maßgabe der obigen Ausführungen nicht gewahrt. Denn ausweislich des in der erstinstanzlichen Akte befindlichen elektronischen Empfangsbekenntnisses (Blatt 21 der Gerichtsakte des Verwaltungsgerichtes) ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers das verfahrensgegenständliche Urteil am 8. Juli 2022 elektronisch übermittelt worden, sodass die Zwei-Monats-Frist mit Ablauf des 8. September 2022 (§ 57 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 BGB) endete. Innerhalb dieser Frist ist indes beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof keine Zulassungsbegründung in der erforderlichen Form des § 55d VwGO, also als elektronisches Dokument, eingegangen. Eingegangen ist lediglich ein Fax, das jedoch als unwirksame Prozesserklärung die gesetzliche Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht wahrt.
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Der Klägerbevollmächtigte hat bislang nicht dargetan oder i.S.d. § 294 ZPO glaubhaft gemacht, dass ihm gem. § 55d Satz 3 VwGO aus technischen Gründen eine Übermittlung vorübergehend nicht möglich war. Ist eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist aber gem. § 55d Satz 4 VwGO bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich - also ohne schuldhaftes Zögern - danach glaubhaft zu machen (vgl. OVG SH, B.v. 25.1.2022 - 4 MB 78/21 - juris Rn. 3). Hierbei wird regelmäßig eine Wochenfrist anzunehmen sein (vgl. BAG, U.v. 8.12.2011 - 6 AZR 354/10 - juris Rn. 33; LAG SH, U.v. 13.10.2021 - 6 Sa 337/20 - juris Rn. 128, zur Parallelvorschrift des § 46g Satz 4 ArbGG).
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Dass der Prozessbevollmächtigte möglicherweise die Rechtslage verkannt hat, wird nicht vorgebracht, würde aber am Ergebnis nichts ändern, da ihm als Rechtsanwalt und Organ der Rechtspflege die Rechtslage bekannt sein musste. Der Rechtsanwalt hat das Recht zu kennen (LAG SH a.a.O. Rn. 134).
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2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 50.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 18. Juli 2013 (abgedruckt in Eyermann, VwGO, Anhang) und entspricht der nicht in Frage gestellten Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
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3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 124a Abs. 5 Satz 4, 152 Abs. 1 VwGO).