Titel:
Gewerbeuntersagung wegen steuerlicher Pflichtverletzungen
Normenketten:
GewO § 35 Abs. 1 S. 1, S. 2
AO § 3 Abs. 4, § 155, § 162, § 220, § 240, § 361
Leitsätze:
1. Für die erforderliche Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit nach § 35 Abs. 1 S. 1 GewO ist aus den bereits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen, wobei es auf ein Verschulden des Gewerbetreibenden hinsichtlich einer in der Vergangenheit eingetretenen wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit nicht ankommt. (Rn. 20 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Steuerrückstände sind (nur) dann geeignet, einen Gewerbetreibenden als unzuverlässig erscheinen zu lassen, wenn sie sowohl ihrer absoluten Höhe nach als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von Gewicht sind; auch die Zeitdauer, während derer der Gewerbetreibende seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, ist von Bedeutung. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Von einem Gewerbetreibenden wird - wie von jedem Steuerzahler - erwartet, dass er nicht nur fällige Steuern fristgerecht zahlt, sondern auch unabhängig vom Entstehungsgrund aufgelaufene Schulden nach Kräften alsbald verringert. (Rn. 23 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei steuerlichen Pflichtverletzungen und bei ungeordneten Vermögensverhältnissen ist eine gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit regelmäßig gegeben. (Rn. 29 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gewerbeuntersagung (erweitert), gewerberechtliche Unzuverlässigkeit, Eintragungen im Schuldnerverzeichnis (Vollstreckungsportal), Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen, Nichterfüllung von Zahlungsverpflichtungen, Steuerrückstände, Gewerbeuntersagungsverfahren, Eintragungen im Schuldnerverzeichnis, Zahlungsverpflichtung, stehendes Gewerbe, gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 04.10.2022 – 22 ZB 22.1664
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31591
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen die zum Teil zwangsmittelbewehrten Verfügungen aus dem Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2021, mit denen ihm die Ausübung des Gewerbes „Einzelhandel mit Feinkost, Einzelhandel mit alkoholischen Getränken und/oder Alkohol, Abgabe von Speisen und/oder alkoholfreien Getränken (erlaubnisfrei nach dem Gaststättengesetz)“ als selbstständigem Gewerbetreibenden im stehenden Gewerbe untersagt wurde (Nr. 1 des Bescheidstenors) sowie die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter einer Gewerbetreibenden und als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie die Ausübung jeglicher selbständigen Tätigkeit im stehenden Gewerbe (Nr. 2 des Bescheidstenors).
2
Nach Mitteilung des Finanzamts München an die Beklagte vom 3. September 2020 hatte der Kläger zu diesem Zeitpunkt Steuerrückstände in Höhe von insgesamt 116.589,12 Euro. Die Vollstreckung sei im Wesentlichen erfolglos verlaufen. Das Kassen- und Steueramt der Beklagten teilte mit Schreiben vom 9. Oktober 2020 mit, dass Rückstände in Höhe von insgesamt 57.823,90 Euro bestünden.
3
Wegen der Gewerbeabmeldung zum 30. November 2020 wurde das Gewerbeuntersagungsverfahren zunächst nicht weiterverfolgt. Eine erneute Gewerbeanmeldung mit den o.g. Tätigkeiten erfolgte am 22. Dezember 2020.
4
Die Rückstände beim Finanzamt betrugen inzwischen insgesamt 124.619,60 Euro (vgl. Schreiben des Finanzamts vom 24. März 2021) und bei der Stadtkasse 63.195,41 Euro (vgl. Schreiben der Stadtkasse vom 13. April 2021). Nach den aktenkundigen Ermittlungen der Beklagten war der Kläger zudem mit einem Eintrag im Schuldnerverzeichnis wegen „Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen“ erfasst (Eintrag vom 1.3.2021).
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Auf dieser Grundlage hörte die Beklagte den Kläger sowie die Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern jeweils mit Schreiben vom 3. Mai 2021 zur beabsichtigten (erweiterten) Gewerbeuntersagung an.
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Der Kläger äußerte sich auf das Anhörungsschreiben, welches ihm am 10. Mai 2021 zugestellt wurde, nicht. Die Bevollmächtigte des Klägers wandte sich mit Schreiben vom 27. April 2021 lediglich an das Finanzamt und teilte diesem mit, dass der Kläger infolge der Corona-Pandemie enorme Einkommensverluste habe hinnehmen müssen. Die Vorauszahlungen/Einkommenssteuer 2020 würden sich voraussichtlich verringern, gleiches gelte für die Schätzungen bei den vorausgegangenen Jahren. Der Kläger könne derzeit nur eine Rate von 500 Euro monatlich anbieten.
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Die Industrie- und Handelskammer erhob keine Einwände.
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Am 17. Juni 2021 erließ die Beklagte den angefochtenen Bescheid, der dem Kläger am 22. Juni 2021 zugestellt wurde.
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Zur Begründung berief sich die Beklagte im Wesentlichen auf die Rückstände des Klägers beim Finanzamt (Stand 16.6.2021: 129.633,12 Euro) und bei der Stadtkasse der Beklagten (Stand 16.6.2021: 64.893,20 Euro) sowie die Eintragungen des Klägers im Schuldnerverzeichnis wegen „Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen“ (Einträge vom 1.3.2021 und 12.4.2021). Der Ratenzahlungsantrag war vom Finanzamt abgelehnt worden, da die angebotene Ratenhöhe in keinem Verhältnis zur Höhe der Steuerschuld stünde.
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Mit Schreiben vom ... Juli 2021, bei Gericht eingegangen am 7. Juli 2021, ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigte Klage erheben und beantragen,
den Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2021 aufzuheben.
11
Zur Begründung führte die Klägerbevollmächtigte im Wesentlichen aus, dass gegen den Kläger auch ein Strafverfahren anhängig sei, das mit dem streitgegenständlichen Verfahren zusammenhänge. Die Steuerrückstände würden im Wesentlichen die Jahre 2012 bis 2018 umfassen. Der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2019 weise keine Rückstände, sondern ein Guthaben in Höhe von 1.831 Euro auf, das mit den Rückständen des Jahres 2012 verrechnet worden sei. Die Einkommenssteuererklärung 2021 sei in Bearbeitung. Im genannten Strafverfahren sei der Kläger zwischenzeitlich vom Amtsgericht … zu einer Geldstrafe von 300 Tagessätzen verurteilt worden, die der Kläger in Raten tilge. Die Jahre 2020 und 2021 seien von der CoronaPandemie geprägt gewesen, der Kläger habe daher kaum noch Umsätze erzielt. Die staatliche Unterstützung von 8.000 Euro sei vom Finanzamt gepfändet worden.
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Die Beklagte beantragt,
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Auf die Stellungnahme der Beklagten im gerichtlichen Verfahren vom 1. September 2021 wird Bezug genommen.
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Mit Beschluss vom 1. März 2022 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 26. April 2022 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Der Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger damit nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Die Beklagte hat dem Kläger zu Recht die weitere Ausübung des Gewerbes „Einzelhandel mit Feinkost, Einzelhandel mit alkoholischen Getränken und/oder Alkohol, Abgabe von Speisen und/oder alkoholfreien Getränken (erlaubnisfrei nach dem Gaststättengesetz)“ im stehenden Gewerbe nach § 35 Abs. 1 Satz 1 Gewerbeordnung (GewO) untersagt.
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Nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist die Ausübung eines Gewerbes ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit u.a. des Gewerbetreibenden in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist. Diese Voraussetzungen lagen zum maßgeblichen Zeitpunkt des Wirksamwerdens des angefochtenen Bescheids vor (Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG).
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1.1 Unzuverlässig ist ein Gewerbetreibender, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird. Tatsächliche Anhaltspunkte für eine solche Unzuverlässigkeit bestehen bei einem Gewerbetreibenden mit erheblichen Steuerrückständen sowie Zahlungsrückständen bei den Trägern der Sozialversicherung oder bei Straftaten im Zusammenhang mit der gewerblichen Betätigung. Überschuldung und wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit begründen grundsätzlich die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden. Im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftsverkehrs muss von einem Gewerbetreibenden erwartet werden, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit ohne Rücksicht auf die Ursachen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten seinen Gewerbebetrieb aufgibt. Dieser Grund entfällt nur dann, wenn der Gewerbetreibende zahlungswillig ist und trotz seiner Schulden nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitet. Für die Beurteilung der Zuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden und der Rechtmäßigkeit einer Gewerbeuntersagung kommt es dabei nicht darauf an, wie sich die tatsächlichen Verhältnisse nach Abschluss des behördlichen Untersagungsverfahrens weiterentwickelt haben. Haben sich die tatsächlichen Umstände geändert, muss vielmehr die Initiative zur Wiederzulassung nach § 35 Abs. 6 GewO vom Gewerbetreibenden ausgehen (st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 - 8 C 6.14 - juris Rn. 13 ff. m.w.N.). Für die erforderliche Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit ist aus den bereits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen (vgl. BVerwG, B.v. 26.2.1997 - 1 B 34.97 - juris Rn. 8).
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Auf ein Verschulden des Gewerbetreibenden hinsichtlich der wirtschaftlichen Leis tungsunfähigkeit kommt es nicht an. Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit setzt kein subjektiv vorwerfbares Verhalten voraus, sondern bestimmt sich ausschließlich nach objektiven Kriterien. Auch der Gewerbetreibende ist unzuverlässig, der zwar willens, aber nicht in der Lage ist, das Gewerbe ordnungsgemäß auszuüben (st. Rspr., vgl. BVerwG, B.v. 2.12.2014 - 8 PKH 7.14 - juris Rn. 4; BVerwG, B.v. 16.2.1998 - 1 B 26.98 - juris Rn. 4 m.w.N.; BVerwG, B.v. 9.3.1988 - 1 B 17.88 - juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 8.5.2015 - 22 C 15.760 - juris Rn. 20). Die Gründe für die mangelnde Leistungsfähigkeit - wie das Ausbleiben von Zahlungen von Schuldnern des Gewerbetreibenden - sind folglich nicht maßgeblich (BayVGH, B.v. 19.10.2020 - 22 ZB 20.1088 - juris Rn. 10).
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Steuerrückstände sind (nur) dann geeignet, einen Gewerbetreibenden als unzuverlässig erscheinen zu lassen, wenn sie sowohl ihrer absoluten Höhe nach als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von Gewicht sind; auch die Zeitdauer, während derer der Gewerbetreibende seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, ist von Bedeutung (vgl. BVerwG, B.v. 9.4.1997 - 1 B 81.97 - juris Rn. 5). Auf die „materielle Rechtmäßigkeit“ der Steuerfestsetzung kommt es hierbei nicht an. Steuerrückstände sind Beträge, die der Steuerpflichtige noch nicht gezahlt hat, obwohl er sie von Rechts wegen bereits hätte entrichten müssen. Die Steuern bedürfen, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, der Festsetzung durch Steuerbescheid (§ 155 AO). Dies gilt auch für die Fälle, in denen die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO nicht exakt ermittelt, sondern geschätzt werden. Wann die Steuerschuld fällig ist, ergibt sich aus den einzelnen Steuergesetzen und im Übrigen aus § 220 AO. Ein Steuerbescheid ist grundsätzlich, auch wenn ein Rechtsbehelf dagegen eingelegt wird, vollziehbar. Ist die Vollziehung ausgesetzt (§ 361 AO, § 69 FGO), braucht der Steuerpflichtige die festgesetzte Steuer noch nicht zu entrichten. Bei alledem ist eine auf einer Schätzung der Besteuerungsgrundlage beruhende Steuerfestsetzung nicht von einer anderen rechtlichen Qualität und daher im Rahmen des § 35 GewO nicht anders zu würdigen als eine Steuerschuld, die sich aus exakt ermittelten Besteuerungsgrundlagen ergibt (vgl. BVerwG, B.v. 25.10.1996 - 1 B 214.96 - juris Rn. 3 f.; BVerwG, B.v. 12.1.1996 - 1 B 177.95 - juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 27.8.2018 - 22 ZB 18.1562 - juris Rn. 25).
23
Auch kommt es nicht darauf an, ob es sich um Steuern oder steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 AO) handelt. Von einem Gewerbetreibenden wird - wie von jedem Steuerzahler - erwartet, dass er nicht nur fällige Steuern fristgerecht zahlt, sondern auch unabhängig vom Entstehungsgrund aufgelaufene Schulden nach Kräften alsbald verringert. Dafür spricht die gesetzliche Regelung, wonach außer den Zinsen auf Steuerschulden (§§ 233 bis 239 AO) auch Säumniszuschläge (§ 240 AO) zu entrichten sind (vgl. BayVGH, B.v. 19.10.2020 - 22 ZB 20.1088 - juris Rn. 10).
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Daran gemessen war der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt des Wirksamwerdens des angefochtenen Bescheids gewerberechtlich unzuverlässig und die Prognose der Beklagten gerechtfertigt, dass der Kläger sein Gewerbe auch künftig nicht ordnungsgemäß ausüben wird.
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So hatte der Kläger erhebliche, die Veranlagungsjahre 2012 bis 2020 umfassende Steuerrückstände. Auch arbeitete er nicht nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept. Ein erfolgversprechendes Sanierungskonzept setzt grundsätzlich voraus, dass mit den Gläubigern eine Ratenzahlungsvereinbarung geschlossen wird, die eine Tilgung der Verbindlichkeiten innerhalb überschaubarer Zeit mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten lässt, und tatsächlich und konsequent verwirklicht wird (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2016 - 22 ZB 16.2177 - juris Rn. 16). Von einem absehbaren Zeitraum kann dann nicht mehr ausgegangen werden, wenn der dem Gläubiger unterbreitete Tilgungsvorschlag eine vollständige Begleichung der Rückstände erst nach mehreren Jahren erwarten lässt (vgl. BFH, B.v. 12.12.2005 - VII R 63/04 - juris Rn. 12 ff. m.w.N., der die Annahme einer zügigen Tilgung bei einem Zeitraum von mehr als fünf Jahren ablehnte). Neben den genannten Rückständen belegen zudem auch die Eintragungen des Klägers im Schuldnerverzeichnis dessen wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit.
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Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, wird darauf hingewiesen, dass sich die wirtschaftliche Situation des Klägers auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht maßgebend zu dessen Gunsten geändert hat. Danach bestanden am 19. April 2022 Steuerrückstände beim Finanzamt in Höhe von über 144.000 Euro und Rückstände bei der Stadtkasse in Höhe von rund 63.000 Euro. Weiterhin war der Kläger mit zwei Eintragungen im Schuldnerverzeichnis eingetragen und wurde zwischenzeitlich vom Amtsgericht … mit Urteil vom ... November 2021 rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 300 Tagessätzen verurteilt.
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1.2 Die Gewerbeuntersagung ist auch nicht unverhältnismäßig. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen kann (BVerwG, B.v. 19.1.1994 - 1 B 5.94 - juris Rn. 8). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen extremen Ausnahmefalls sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
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2. Auch die Erweiterung der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO auf eine Tätigkeit des Klägers als Vertretungsberechtigter einer Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie die Ausübung jeglicher selbständigen gewerblichen Tätigkeit im stehenden Gewerbe ist nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen für den Erlass einer erweiterten Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO lagen im maßgeblichen Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Untersagungsverfügung vor. Die Beklagte hat das ihr insoweit eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei (§ 114 Satz 1 VwGO) ausgeübt.
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2.1 Nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO kann die Gewerbeuntersagung auf die vorgenannten Tätigkeiten erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig ist. Insoweit müssen Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf die „Ausweichtätigkeit“ dartun („gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit“).
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Diese sind bei steuerlichen Pflichtverletzungen und bei ungeordneten Vermögensverhältnissen - wie hier - aber regelmäßig gegeben. Das Vorliegen geordneter Vermögensverhältnisse ist eine Zuverlässigkeitsvoraussetzung, die für jeden Gewerbebetrieb gilt und sich nicht auf eine bestimmte gewerbliche Tätigkeit beschränkt. Das rechtfertigt die Annahme der Beklagten, dass der Kläger ein entsprechendes Verhalten auch bei Ausübung eines anderen Gewerbes an den Tag legen wird (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 - 8 C 6.14 - juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 27.8.2018 - 22 ZB 18.1562 - juris Rn. 22, 26, jeweils m.w.N.).
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2.2 Die erweiterte Gewerbeuntersagung ist auch erforderlich, weil eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für ein Ausweichen des Gewerbetreibenden vorliegt.
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Dabei folgt die Wahrscheinlichkeit der anderweitigen Gewerbeausübung schon daraus, dass der Gewerbetreibende trotz Unzuverlässigkeit an seiner gewerblichen Tätigkeit festgehalten hat, wodurch er seinen Willen bekundet hat, sich auf jeden Fall gewerblich zu betätigen. Die erweiterte Gewerbeuntersagung ist unter dem Gesichtspunkt wahrscheinlicher anderweitiger Gewerbeausübung schon dann zulässig, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende das andere Gewerbe in Zukunft ausübt, eine anderweitige Gewerbeausübung nach Lage der Dinge also ausscheidet (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 - 8 C 6.14 - juris Rn. 17 m.w.N.). Besondere Umstände im Einzelfall, die hier eine andere Bewertung hätten zulassen können, lagen nicht vor; dies hat die Beklagte zutreffend erkannt.
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2.3 Ermessensfehler sind nicht ersichtlich, § 114 Abs. 1 VwGO.
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Ist ein Gewerbetreibender in Bezug auf andere - nicht ausgeübte - gewerbliche Betätigungen unzuverlässig und ist die Untersagung auch hinsichtlich dieser Betätigungen erforderlich, so ist eine Ermessensentscheidung, die von der Möglichkeit der erweiterten Gewerbeuntersagung Gebrauch macht, nicht rechtswidrig, wenn der Verwaltungsentscheidung zumindest konkludent die maßgebliche Erwägung entnommen werden kann, die anderweitige Gewerbeausübung sei so wahrscheinlich, dass sich die Untersagung auch darauf erstrecken soll (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 - 8 C 6.14 - juris Rn. 18 m.w.N.).
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Eine Ermessenserwägung dieser Art lässt sich der angefochtenen Untersagungsverfügung entnehmen.
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2.4 Die Erweiterung der Gewerbeuntersagung ist auch nicht unverhältnismäßig.
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In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der Ausschluss eines gewerbeübergreifend unzuverlässigen Gewerbetreibenden aus dem Wirtschaftsverkehr auch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in seiner Ausprägung durch Art. 12 Grundgesetz im Einklang steht. Sind die Voraussetzungen auch der erweiterten Gewerbeuntersagung erfüllt, kann die Untersagung grundsätzlich nicht hinsichtlich der Folgen unverhältnismäßig sein (BVerwG, B.v. 12.1.1993 - 1 B 1.93 - juris Rn. 5). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines extremen Ausnahmefalls sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
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3. Gegen die dem Kläger eingeräumte Abwicklungsfrist von zehn Tagen nach Unanfechtbarkeit der Untersagungsverfügung (Nr. 3 des Bescheidstenors) bestehen ebenso wenig Bedenken wie - angesichts der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit des Klägers - gegen die Androhung des unmittelbaren Zwangs (Nr. 4 des Bescheidstenors). Auch die behördliche Kostenentscheidung der Beklagten (Nr. 5 des Bescheidstenors) ist nicht zu beanstanden.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.