Inhalt

VGH München, Urteil v. 06.10.2022 – 20 N 20.794
Titel:

Corona-Schutzmaßnahmen in Bayern: Verstoß von Betriebsschließungen gegen Gleichheitsgrundsatz

Normenketten:
VwGO § 47
IfSG § 32 S. 1, § 28 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1 S. 2
2. BayIfSMV § 2 Abs. 4, Abs. 5
Leitsätze:
1. Die ernsthafte Absicht zur Erhebung einer Entschädigungsklage kann einer Antragstellerin regelmäßig nicht abgesprochen werden, die bereits einen Normenkontrollantrag gegen die Norm wegen der damit verbundenen Eingriffe erhoben hat (Anschluss an BVerwG, U.v. 19.2.2004 - 7 CN 1.03 - juris Rn. 14) und beabsichtigt, die Entschädigungsklage vor Eintritt der Verjährung zu erheben. (Rn. 40)
2. Betriebsschließungen aufgrund der §§ 32 Satz 1, 28 Abs. 1 IfSG in der Fassung vom 27. März 2020 unterlagen im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes einem strengen Verhältnismäßigkeitsmaßstab. (Rn. 76 – 78)
3. Erlässt der Verordnungsgeber im Falle einer pandemischen bedrohlichen übertragbaren Krankheit mit dem Ziel, die Infektionszahlen in der breiten Bevölkerung zu verringern oder zumindest zu dämpfen, allgemeine, das öffentliche Leben in Gänze oder zumindest in weiten Teilen regulierende Schutzmaßnahmen, verpflichtet ihn Art. 3 Abs. 1 GG zu einer möglichst weitgehenden Herstellung einer Belastungsgleichheit bzw. Belastungsgerechtigkeit. (Rn. 89)
Schlagworte:
Corona-Pandemie, Schließung und Beschränkung des Einzelhandels, Belastungsgleichheit, Typisierung, Normenkontrolle, Entschädigungsklage, Bestimmtheit, Verhältnismäßigkeit, allgemeiner Gleichheitssatz, Willkür
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
BayVBl 2023, 224
BeckRS 2022, 31586
LSK 2022, 31586

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass § 2 Abs. 4 und 5 der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BaylfSMV) unwirksam waren.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

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1. Mit ihrem Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO begehrt die Antragstellerin die Feststellung, dass § 2 Abs. 4 und Abs. 5 der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 16. April 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 205) in der Fassung vom 21. April 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 210) unwirksam waren. Die Antragstellerin ist im Einzelhandel tätig und betreibt seit dem Jahr 2011 Warenhäuser im Premiumsegment in den Bundesländern Bayern, Berlin und Hamburg.
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Der Antragsgegner hat am 20. April 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die streitgegenständliche Zweite Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BaylfSMV) erlassen, die in § 2 Abs. 4 und Abs. 5 folgende Regelung vorsieht:
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„(4) 1Untersagt ist die Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels jeder Art. 2Hiervon ausgenommen sind der Lebensmittelhandel, Getränkemärkte, Banken und Geldautomaten, Apotheken, Drogerien, Sanitätshäuser, Optiker, Hörgeräteakustiker, Verkauf von Presseartikeln, Filialen des Brief- und Versandhandels, Post, Bau- und Gartenmärkte, Gärtnereien, Baumschulen, Tierbedarf, Tankstellen, Kfz-Werkstätten, Fahrradwerkstätten, Reinigungen und der Online-Handel. 3Die zuständigen Kreisverwaltungsbehörden können auf Antrag Ausnahmegenehmigungen für andere, für die Versorgung der Bevölkerung notwendige Geschäfte erteilen, soweit dies im Einzelfall aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist. 4Ausgenommen sind auch Buchhandlungen, Kfz-Handel und Fahrradhandel. 5Die Öffnung von Einkaufszentren und Kaufhäusern ist nur erlaubt, soweit die vorstehend genannten Ausnahmen betroffen sind.
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(5) Abweichend von Abs. 4 Satz 1 und 5 ist die Öffnung von sonstigen Ladengeschäften, Einkaufszentren und Kaufhäusern des Einzelhandels auch zulässig, wenn
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1. deren Verkaufsräume eine Fläche von 800 m² nicht überschreiten und
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2. der Betreiber durch geeignete Maßnahmen sicherstellt, dass die Zahl der gleichzeitig im Ladengeschäft anwesenden Kunden nicht höher ist als ein Kunde je 20 m2 Verkaufsfläche.“
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Mit Beschluss vom 27. April 2020 (Az.: 20 NE 20.793 - juris) hat der Senat im einstweiligen Rechtsschutzverfahren festgestellt, dass § 2 Abs. 4 und 5 der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BaylfSMV) mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sind. Am 29. April 2020 trat die Verordnung zur Änderung der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 28. April 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 225) in Kraft; die angegriffenen Bestimmungen erhielten hierdurch eine neue Fassung. Gegen diese Änderungsverordnung und gegen die 3. BayIfSMV hat die Antragstellerin keinen Normenkontrollantrag oder Eilantrag mehr gestellt.
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2. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 15. April 2020 einen Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO gestellt und zuletzt mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 9. Juni 2021 beantragt,
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festzustellen, dass § 2 Abs. 4 und Abs. 5 der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 16. April 2020 in der Fassung vom 21. April 2020 unwirksam waren.
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Sie trägt zur Begründung ihres Antrages im Wesentlichen vor, durch die Schließungsanordnung der Verordnung bzw. die der vorangegangenen Verordnung und Allgemeinverfügung sei die Antragstellerin verpflichtet worden, den Betrieb ihres Warenhauses ab dem 18. März 2020 vollständig einzustellen. Lediglich eine im Warenhaus belegene Drogerie (mit einer geringen Fläche) habe als abgesonderter Betriebsteil weiter betrieben werden können. Erst durch eine Änderung der Verordnung vom 28. April 2020 sei der Antragstellerin eine Teilöffnung von einer untergeordneten Fläche von 800 m² für das gesamte Sortiment und durch den Erlass der 4. BaylfSMV mit Wirkung zum 11. Mai 2020 wieder eine vollständige Öffnung (unter Auflagen) ermöglicht worden. Da sowohl Liefervereinbarungen als auch Arbeits- und Mietverträge für den Schließungszeitraum uneingeschränkt fortgegolten hätten, sei der Antragstellerin, insbesondere durch den massiven Verlust von Umsatzerlösen verglichen mit der Budgetplanung, hierdurch während des Schließungszeitraums des Warenhauses im Landesgebiet des Antragsgegners vom 18. März 2020 bis zum 10. Mai 2020 ein finanzieller Schaden von insgesamt ca. 5,242 Millionen EUR (vollständige Schließung: ca. 3,764 Millionen EUR, teilweise Öffnung: ca. 1,478 Millionen EUR) entstanden. Sämtliche von der Antragstellerin umgehend getroffenen Maßnahmen zur Schadensreduzierung, insbesondere die Beantragung von Kurzarbeit sowie Vereinbarungen zur Aussetzung von Vertrags- und Lieferbeziehungen, hätten angesichts der umfassenden Schließungsanordnung und des vollständigen Wegfalls der Einnahmen aus dem Kerngeschäft der Antragstellerin zu keiner nennenswerten Abfederung des existenzbedrohenden Schadens geführt. Die eingeschränkte Öffnungsmöglichkeit ab dem 29. April 2020 mit lediglich 800 m² der Verkaufsfläche hätte hieran nichts geändert. Hierbei habe es sich lediglich um einen sehr geringen Bruchteil der Verkaufsfläche gehandelt und es sei zudem auch aus faktischen Gründen nicht möglich gewesen, das Sortiment der Antragstellerin - etwa in verkleinertem Umfang - auf dieser Fläche anzubieten, so dass sich diese begrenzte Öffnungsmöglichkeit für die Antragstellerin wie die Fortsetzung der bisherigen Komplett-Schließung dargestellt habe. Die Verluste der Antragstellerin hätten hierbei nicht - wie in anderen Vertriebsstrukturen - durch Online-Handel oder die Lieferung von Waren kompensiert oder abgemildert werden können, da die gesamte Vertriebsstruktur der Antragstellerin auf den stationären Verkauf ausgerichtet gewesen sei und eine Umrüstung derart kurzfristig nicht habe erfolgen können. Auch nach der Öffnungsmöglichkeit seit dem 11. Mai 2020 sehe sich die Antragstellerin mit erheblichen Anlaufschwierigkeiten in ihrem Kerngeschäft konfrontiert, die im Wesentlichen auf die Wettbewerbsverzerrungen des Schließungszeitraums zurückzuführen seien, insbesondere auf die Abwanderung von Kunden zu Wettbewerbern, denen während des Schließungszeitraums eine uneingeschränkte Fortsetzung ihres Betriebes möglich war, wie der spezialisierte Online-Handel oder Lebensmitteleinzelhandel.
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Der Normenkontrollantrag in seiner zuletzt gestellten Form als Fortsetzungsfeststellungsantrag sei zulässig. Insbesondere liege das erforderliche Feststellungsinteresse der Antragstellerin vor. Das im Zuge des Rechtsschutzbedürfnisses für ein Verfahren nach § 47 Abs. 1 VwGO geforderte berechtigte Interesse folge für die Antragstellerin zunächst aus der Präjudizwirkung der beantragten verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle. Die Antragstellerin verfolge die ernsthafte Absicht, Ersatzansprüche für die streitgegenständliche rechtswidrige Schließungsanordnung vor den hierfür zuständigen Zivilgerichten gegen den Antragsgegner durchzusetzen. Ob und auf welcher Grundlage die Entschädigungsansprüche gegenüber dem Antragsgegner geltend gemacht würden, hänge ganz wesentlich davon ab, ob die streitgegenständliche Schließungsanordnung von dem erkennenden Gericht nach umfassender Prüfung in einem Hauptsacheverfahren als rechtmäßig oder rechtswidrig eingestuft werde. Angesichts dessen, dass die Rechtsprechung für die erforderliche Ernsthaftigkeit der Absicht bereits den Hinweis, Ersatzansprüche gegen den Staat geltend machen zu wollen, gemeinhin jedenfalls dann genügen lasse, wenn ein Antragssteller mit einer Feststellungsklage zunächst primären Rechtsschutz begehrt habe, sich dieses Begehren aber nach Antragserhebung erledigt habe und der Antragssteller sich nunmehr nur noch auf die Geltendmachung von Ausgleichs- und Ersatzansprüchen verwiesen sehe, könnten an der Ernsthaftigkeit, mit der die Antragstellerin Entschädigungsleistungen verfolge, keine Zweifel bestehen. Der am 27. April 2020 ergangene Beschluss des erkennenden Gerichts im Eilverfahren gegen die streitgegenständliche Regelung stelle kein gleichwertiges Präjudiz zu der beantragten Hauptsacheentscheidung dar. Die Bindungswirkung der Zivilgerichte an die Feststellungen des erkennenden Gerichts sei es jedoch, was die Antragstellerin mit dem hiesigen Verfahren verfolge. Der von der Antragstellerin geltend gemachte Entschädigungsanspruch sei auch nicht offensichtlich aussichtslos. Der Entschädigungsanspruch der Antragstellerin gründe sich auf §§ 74, 75 EinlALR i.V. m Art. 14 Abs. 1 GG sowie den durch den Bundesgerichtshof herausgebildeten richterrechtlichen Grundsätzen zum enteignungsgleichen Eingriff. Aus der bereits eingereichten Schadensübersicht ergebe sich hinreichend deutlich und substantiiert, dass die Antragstellerin durch die verfahrensgegenständliche Schließungsanordnung einen Schaden erlitten habe. Eine offensichtliche Aussichtslosigkeit der Entschädigungsansprüche ergebe sich auch nicht aus der vom Antragsgegner zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17. März 2022, in welcher er Entschädigungsansprüche zurückgewiesen habe. Wie der Bundesgerichtshof bereits in der zitierten Entscheidung selbst eindeutig und zutreffend ausführe, liege der Fallgruppe des legislativen Unrechts ein rechtswidriges formelles Gesetz zugrunde, das unmittelbar oder durch Vollzugsakte (Verwaltungsakte, Rechtsverordnungen) Grundrechte verletze, so dass eine Haftung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen anzunehmen sei. Rechtswidrige untergesetzliche Normen, wie die hier verfahrensgegenständliche Verordnung, seien hiervor nur dann erfasst, wenn sie lediglich das rechtswidrige formelle Gesetz vollzögen, nicht aber, wenn der Rechtsmäßigkeitsmangel - wie im hiesigen Verfahren - ausschließlich in ihnen selbst begründet sei. Die Antragstellerin habe auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, um einer Wiederholung der belastenden Schließungsanordnung vorzubeugen. Es komme entscheidend auf das Vorliegen „hinreichend konkreter Anhaltspunkte“ an, wobei die für die Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände „im Wesentlichen unverändert“ fortbestehen müssten. Die Pandemie dauere fort. Trotz des Voranschreitens der nationalen Impf-Kampagne könne die momentane Situation mit den Erfahrungen der letzten Jahre verglichen werden. Die Infektionszahlen bewegten sich weiterhin auf deutlich erhöhtem und vor allem zunehmendem Niveau, sodass die Situation weiter kritisch bleibe. Möglicherweise entspreche es tatsächlich am 22. September 2022 der Intention des Antragsgegners, Geschäftsschließungen nicht anzuordnen. Angesichts dieser ausgewiesenen Dynamik sei es jedoch mitnichten garantiert und feststehend, dass er aufgrund einer sich exponentiell steigernden Infektionslage nicht in einigen Wochen anderer Auffassung sei. Darüber hinaus hätten sich auch die rechtlichen Umstände nicht wesentlich verändert. Zudem sehe der Entwurf zur Neufassung des Infektionsschutzgesetzes ausdrücklich in § 28b Abs. 5 IfSG vor, dass die Schließung von Einrichtungen und Betrieben im Einzelfall nach § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 unberührt blieben.
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Die Antragstellerin habe ferner ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, um die fortdauernd diskriminierende Wirkung, die von der angefochtenen Schließungsanordnung ausgehe, zu beseitigen. Durch die (rechtswidrige) Fortsetzung der Vollschließung ihres Warenhauses, während der kleinflächige Einzelhandel vollständig habe öffnen dürfen, sei nach außen der fälschliche Eindruck entstanden, gerade solche großflächigen Einzelhandelsgeschäfte würden in erheblichem Maße zu einer Steigerung der Ansteckungsgefahr und der Corona-Infektionslage beitragen. Die Antragstellerin werde dadurch mit einem Stigma behaftet.
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Letztlich könne die Antragstellerin ihr berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung auch daraus ableiten, dass die zur gerichtlichen Überprüfung gestellte Norm von Beginn an darauf angelegt gewesen sei, nur für einen kurzen Zeitraum zu gelten und dabei tiefgreifende Grundrechtseingriffe hinterlassen habe. Vor dem Hintergrund eines von Art. 19 Abs. 4 GG geforderten effektiven Rechtsschutzes sei in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass auch solche Eingriffsakte in einem verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren überprüfbar bleiben müssten, denen eine entsprechende Entscheidung wegen ihrer typischerweise kurzfristigen Erledigung regelmäßig verwehrt bleibe. Die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutz zu suchen, sei mit Blick auf den abgeschwächten Prüfungsmaßstab und die Vorläufigkeit der dortigen Entscheidung gerade kein vollwertiges Äquivalent. Die Argumentation des Antragsgegners, eine Überprüfung im Nachhinein sei nur geboten, wenn der Kernbereich der Persönlichkeit betroffen sei, würde zu einem vollständigen Ausschluss juristischer Personen von der effektiven Rechtsschutzgarantie nach Art. 19 Abs. 4 GG in Konstellationen mit schwerwiegenden Grundrechtseingriffen durch kurzfristig geltende Normen führen, was evident kein verfassungskonformes Verständnis sein könne.
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Die angegriffene Verordnung habe auf der Ermächtigungsgrundlage des § 32 Satz 1 IfSG i.V. m.§ 28 Abs. 1 IfSG beruht. § 32 Satz 1 IfSG i.V. m. § 28 Abs. 1 IfSG erlaube als Generalklausel zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten die Anordnung notwendiger Schutzmaßnahmen. Auch wenn die in § 2 Abs. 4 und Abs. 5 der Verordnung geregelte Schließungsanordnung grundsätzlich habe unter den Wortlaut der Maßnahmen nach § 28 Abs. 1 IfSG subsumiert werden können, so verletzte ein solch weites Verständnis doch die rechtsstaatliche Zuständigkeitsverteilung nach dem Grundgesetz, namentlich den Vorbehalt des Gesetzes. Nach dem in diesem Prinzip wurzelnden Wesentlichkeitsgrundsatz beurteile sich nicht nur, ob ein parlamentarisches Gesetz erforderlich sei, sondern zugleich auch die erforderliche Regelungsdichte des Parlamentsgesetzes. Für die Frage, wie konkret die vom Parlament erlassene Ermächtigungsgrundlage ausgestaltet sein müsse, seien die Grundrechtsrelevanz, die Größe des Adressatenkreises sowie mögliche gravierende (finanzielle) Auswirkungen der durch die Verwaltung zu erlassenden Maßnahme entscheidend. Die in dem angefochtenen § 2 Abs. 4 und Abs. 5 der Verordnung angeordnete Schließungsregelung habe aufgrund der fehlenden Möglichkeit, eine Befreiung oder Ausnahmegenehmigung für den Weiterbetrieb des Warenhauses zu erhalten, eine Komplett-Schließung und damit einen Grundrechtseingriff auf der höchsten Stufe dargestellt, habe sich mit nahezu dem gesamten großflächigen Einzelhandel, der betroffen gewesen sei, an einen sehr großen Adressatenkreis gerichtet und habe unmittelbar gravierende finanzielle Auswirkungen verursacht. Daher und wegen des Bestimmtheitsgrundsatzes sei die Norm verfassungskonform dahingehend zu verstehen, dass nur nicht wesentliche Angelegenheiten durch die ermächtigten Behörden geregelt oder nur die ausdrücklich in § 32 Satz 3 IfSG genannten Grundrechte (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 8 GG, Art. 10 GG, Art. 11 GG und Art. 13 GG) wesentlich eingeschränkt werden dürften. Hinzu komme, dass sich der Antragsgegner durch die Ermächtigungsgrundlage offenbar dazu berechtigt gesehen habe, nicht nur kurzfristige, sondern auch mittelfristig bis langfristig wirkende Maßnahmen anzuordnen. Zwar seien die einzelnen Schließungsanordnungen zur Bekämpfung der Ausbreitung des Coronavirus immer nur auf einen Zeitraum von wenigen Tagen und Wochen befristet gewesen. Durch die Aneinanderreihung einer Vielzahl von solchen Verfügungen sei jedoch in der Summe eine mittel- bis langfristige Grundrechtsbeeinträchtigung bewirkt worden. Im Falle der Antragstellerin beispielsweise hätten die Schließungsverfügungen, angefangen bei der Allgemeinverfügung vom 16. März 2020 des Antragsgegners bis hin zum Erlass der 4. BaylfSMV in der Fassung vom 7. Mai 2020 zu einem Zeitraum von insgesamt zwei Monaten geführt, in dem das Warenhaus der Antragstellerin überwiegend vollständig habe geschlossen bleiben müssen. Da es sich hierbei um ein Sechstel der Gesamtöffnungszeit des Jahres handele, könne diese Maßnahme nicht mehr nur als kurzfristig und von untergeordneter Wirkung angesehen werden. Zu solchen, nicht nur kurzfristigen, sondern mittel- bis langfristig wirkenden Grundrechtseingriffen, habe § 32 Satz 1 IfSG i.V. m. § 28 Abs. 1 IfSG ohne Einbindung des parlamentarischen Gesetzgebers aber gerade nicht ermächtigt. Daran ändere auch die nur unzureichende Nachbesserung des IfSG durch den Bundesgesetzgeber am 25. und 27. März 2020 nichts.
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Die konkrete Ausgestaltung der angefochtenen Schließungsanordnung in § 2 Abs. 4 und Abs. 5 der Verordnung habe zudem in nicht zu rechtfertigender Weise den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Die Verletzung sei unter verschiedenen Aspekten erfolgt: Zunächst sei die Differenzierung zwischen Spezialisten und Generalisten ungerechtfertigt gewesen. So sei in § 2 Abs. 4 Sätze 2 und 4 der Verordnung neben den Anbietern von Gütern des täglichen Bedarfs, wie Lebensmittelläden und Drogerien, auch Einzelhandels-Spezialisten, die gerade keine Güter des täglichen Bedarfs anboten, wie Kfz- und Fahrradhändler sowie Buchhandlungen - unabhängig von ihrer Verkaufsfläche - der uneingeschränkte Weiterverkauf gestattet gewesen. Diese Freistellung von der Verkaufsflächenbegrenzung sei durch keinen sachlichen Grund gerechtfertigt gewesen und habe eine Verletzung von Art. 3 GG dargestellt. Auch, dass Bau- und Gartenmärkte vollständig hätten geöffnet bleiben dürfen, habe eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung dargestellt. Bau- und Gartenmärkte wiesen - schon dem Namen nach - ebenfalls ein gemischtes Sortiment auf, das jedoch nur in weit geringerem Umfang der Daseinsvorsorge und dem Bedarf des täglichen Lebens diene, als dies etwa das Warenhaus der Antragstellerin tue. Rechtfertigungsgründe seien diesbezüglich nicht ersichtlich gewesen. Insbesondere sei das vom Antragsgegner herangezogene Differenzierungskriterium der,,Belegenheit der Einzelhandelsgeschäfte“ mit dem Regel-Ausnahme-Verhältnis nicht in systematischer Weise verfolgt worden. Auch Warenhäuser mit gemischtem Sortiment, wie das der Antragstellerin, oder Einkaufszentren würden zu einem Großteil durch individuellen Autoverkehr angesteuert - entweder, weil sie in Randgebieten gelegen oder über eigene Parkhäuser und -flächen verfügt hätten. Die Privilegierung einzelner Betriebe habe der Antragsgegner willkürlich vorgenommen.
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Bei Warenhäusern finde also gerade nicht typischer Weise eine Frequenzerhöhung im ÖPNV statt, welche dann ggf. zu einer Steigerung der Infektionsrate führen könne. Die vom Antragsgegner gebildete Typisierung im spezialisierten Einzelhandel, der unbeschränkt habe betrieben werden dürfen, und in Einzelhandel mit Vollsortiment, der vollständig habe geschlossen bleiben müssen, habe demnach keine Rechtfertigung in einer typischerweise angenommenen Erreichbarkeit dieser Läden gefunden. Die Kategorienbildung sei daher mit Blick auf das Differenzierungskriterium der Belegenheit ungeeignet gewesen, die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Insbesondere sei das Shop-im-Shop Prinzip, wie es dem generalistisch aufgestellten Warenhaus der Antragstellerin immanent sei, unberücksichtigt geblieben. Weder eine etwaige leichtere Überprüfbarkeit der Einhaltung der Schließungsanordnung, noch Zeitdruck vor Erlass der Änderungsverordnung - vor allem da der Verordnung seit Mitte März bereits mehrere Fassungen vorausgegangen gewesen seien - seien taugliche Rechtsfertigungsgründe für die identifizierte Ungleichbehandlung.
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Zudem habe sich die gesamte Differenzierung innerhalb des Einzelhandels durch die Verordnung des Antragsgegners als willkürlich und durch keinen sachlichen Grund gerechtfertigt dargestellt. Die Trennung des Einzelhandels in klein- und großflächige Geschäfte anhand der Grenzmarke von 800 m² Verkaufsfläche sei offensichtlich willkürlich gewesen. Es habe insbesondere keine infektionsschutzrechtlichen Gründe für diese Grenzziehung gegeben. Die Grenzmarke von 800 m² finde sich in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. BVerwG, U.v. 24. November 2005, Az. 4 C 8/05, nach juris, zur Bestimmung von,,großflächigen Einzelhandelsbetrieben“ im Sinne der BauNVO. In diesem Zusammenhang diene sie jedoch allein einer geordneten Stadtentwicklungsplanung, indem konkretisiert werde, in welchen Plangebieten großflächiger Einzelhandel gebietsverträglich sei. Ein infektionsschutzrechtlicher Aspekt könne dem Abgrenzungskriterium aber nicht entnommen werden.
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Unabhängig davon, habe die Komplett-Schließung von Geschäften mit einer Verkaufsfläche von mehr als 800 m² keinen infektionshygienischen Vorteil gegenüber einer Öffnung dieser Geschäfte unter denselben hygienischen Anforderungen, die auch die Geschäfte unter 800 m² Verkaufsfläche einhalten mussten, geboten. Dies entspreche auch der fachlichen Einschätzung in der gutachterlichen Kurzstellungnahme von Professor M.E.,,Zur Frage der Nichtöffnung von Geschäften über 800 m² Verkaufsfläche aus infektiös-hygienischer Sicht“ vom 22. April 2020.
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Weiter seien Einzelhandelsgeschäfte mit größerer Verkaufsfläche per se besser geeignet, die erforderlichen Hygienemaßnahmen zur Verlangsamung der Infektionsrate einzuhalten und so die Versorgung der Kunden mit Gütern des täglichen Bedarfs, aber auch mit anderen Waren unter den notwendigen kontrollierten Bedingungen zu gewährleisten.
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Als weiterer Grund für die differenzierte Ladenöffnung sei von dem Antragsgegner angeführt worden, dass dadurch einer erhöhten Ansammlung von Kunden vorgebeugt werden sollte („Sogwirkung“). Inwieweit dieses Ziel als sachlicher Grund überhaupt geeignet gewesen sei, sei fraglich, denn insgesamt sei bereits ein erheblicher Rückgang des Kundenaufkommens in den deutschen Innenstädten im Zusammenhang mit dem Coronavirus festzustellen gewesen. Es bestehe bereits kein Zusammenhang zwischen Kundenaufkommen und Verkaufsfläche derart, dass die Öffnung von weniger Verkaufsfläche auch zu einem geringeren Kundenaufkommen führe. Die Öffnung aller kleineren Flächen habe hierauf in viel größerem Umfang Einfluss gehabt.
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Zudem sei in unverhältnismäßiger Weise kumulativ in die über Art. 12 Abs. 1 GG geschützte unternehmerische Betätigungsfreiheit, das Eigentumsgrundrecht des Art. 14 Abs. 1 GG sowie das ebenfalls aus Art. 14 Abs. 1 GG folgende Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Antragstellerin eingegriffen worden. Mit der angefochtenen Schließungsanordnung sei der Antragstellerin der Betrieb des Warenhauses fortgesetzt für einen nicht unerheblich langen Zeitraum vollkommen unmöglich gemacht und damit tiefgreifend in ihre freie Unternehmensführung eingegriffen worden. Auch die ebenfalls von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten wirtschaftlichen Gewinnchancen seien durch die rechtswidrige Verfügung in unzulässiger Weise beschnitten worden. Daneben sei zusätzlich von einer Verletzung des Eigentumsgrundrechts auszugehen. Soweit § 2 der Verordnung die (wirtschaftliche) Nutzung des Warenhauses verboten habe, habe diese Regelung unmittelbar in die Nutzungsmöglichkeit der dinglichen und schuldrechtlichen Nutzungsrechte der Antragstellerin eingegriffen, indem sie deren Inhalt erheblich verkürzte. Bei dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sei die Gesamtheit der vorhandenen Substanz an vermögenswerten Rechten des Betriebs, d. h. die Zusammenfassung dieser vermögenswerten Rechte zu einem Ganzen betroffen. Die angefochtene Schließungsanordnung sei den Anforderungen an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hierbei nicht gerecht geworden. Weder sei diese Regelung geeignet noch erforderlich gewesen, um die Infektionsrate mit dem Coronavirus zu verlangsamen. Es habe bereits keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Wiederöffnung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben zu einem erhöhten Kundenaufkommen in der Innenstadt führe. Die Zielerreichung, namentlich eine,,kapazitätsadäquate Verlangsamung der Infektionsrate“, und nicht etwa die Verhinderung der Infektion von Einzelnen, hätte aber ebenso effizient durch eine weniger belastende Ausgestaltung der Schließungsanordnung erreicht werden können. Hierzu habe beispielsweise die Möglichkeit zur Betriebsfortführung unter strengen Hygieneauflagen, wie etwa Abstandsregelungen, Einlassbeschränkungen, Maßnahmen zur Vermeidung von Warteschlangen, Schutzkleidung und -vorkehrungen an den Kassen für die Mitarbeiter (,,Plexiglaskäfig“), regelmäßige Flächendesinfektionen, die Ausgabe von Schutzmasken an die Kunden vor Eintritt in das Warenhaus, verlängerte Öffnungszeiten und Parkplatzbeschränkungen zur Entzerrung der Kundendichte oder Terminvergabe (nur Abholung und Ausgabe vorbestellter Waren) oder die Beschränkung des Warenangebots auf systemrelevante Waren gehört. Insgesamt habe hier - auch unter Berücksichtigung der verbleibenden Ungewissheiten über lnfektionswege des Coronavirus - die Möglichkeit bestanden, ein passgenaues Maßnahmenpaket zu schnüren, das aller Voraussicht nach mit demselben Erfolg zur Verlangsamung der Infektionsrate beigetragen hätte und der Antragstellerin gleichzeitig eine (zumindest eingeschränkte) Betriebsfortführung ermöglicht hätte. Weiter sei die Schließung von gemischten Einzelhandelsbetrieben hinsichtlich einer Verkaufsfläche von mehr als 800 m² auch nicht zielführend und ungeeignet gewesen. Sie hätte zur Erhöhung der Infektionswahrscheinlichkeit beigetragen, anstatt diese zu reduzieren. Denn die Verknappung der Verkaufsflächen hätte gerade durch die Konzentrationswirkung auf die verbleibenden Verkaufsflächen den gegenteiligen Effekt gehabt. Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme sei besonders zu berücksichtigen, dass bei der Anwendung der Generalklausel der §§ 32 Satz 1, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ein strenger Maßstab anzulegen sei. Auch der Einschätzungsspielraum des Verordnungsgebers sei deshalb auch eng zu bemessen. Auf welche Grundlagen der Antragsgegner seine Regelungsentscheidung gestützt habe, sei nicht nachvollziehbar.
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4. Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen und beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Der Normenkontrollantrag sei bereits unzulässig, weil die Antragstellerin kein anerkanntes Feststellungsinteresse besitze. Eine Wiederholungsgefahr sei nicht gegeben, da jede sogenannte Welle der Corona-Pandemie ihre eigenen Besonderheiten aufweise, die eine Wiederholungsgefahr in diesem Sinne ausschlössen. Auch die rechtlichen Umstände hätten sich grundlegend geändert. Soweit die Antragstellerin vortrage, Entschädigungsansprüche geltend machen zu wollen, so sei dies nicht hinreichend dargelegt. Die typischerweise hierfür erforderliche Interessenlage, dass ein Beteiligter nicht um die Früchte seines bisherigen Prozesses gebracht werden solle, sei hier nicht gegeben. Zudem könne eine rechtswidrige Verordnung in der Regel keine Schadensersatzansprüche aus Amtshaftung begründen. Schließlich liege auch kein schwerwiegender Grundrechtseingriff durch die angegriffene Regelung vor. Hierunter verstehe die bisherige Rechtsprechung vorrangig Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Zudem habe die Antragstellerin die Möglichkeit ergriffen, sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gegen die Regelung zu wehren.
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Die Untersagung der Betriebsöffnung habe in § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG jedenfalls für den im vorliegenden Verfahren relevanten Zeitraum eine nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage gefunden. Es habe auch kein Verstoß gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz oder den Parlamentsvorbehalt vorgelegen. Die Geltung des § 2 Abs. 4 und Abs. 5 2. BayIfSMV vom 16. April 2020 beziehe sich auf den Zeitraum vom 20. April 2020 bis 3. Mai 2020 und damit auf genau 14 Kalendertage. Die Antragstellerin habe ihren Normenkontrollantrag erst mit Schreiben vom 22. April 2020 auf die 2. BayIfSMV umgestellt. Am 29. April 2020 sei bereits die Verordnung zur Änderung der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 28. April 2020 in Kraft getreten. Gegen diese Änderungsverordnung und gegen die 3. BayIfSMV habe die Antragstellerin schon keinen Normenkontrollantrag mehr gestellt. Vorliegend stelle sich schließlich allein die Frage, ob bzw. ab welchem Zeitpunkt eine Generalnorm auf Bundesebene durch den Bundesgesetzgeber spezialisiert werden müsse. Der dem vorliegenden Verfahren zugrundeliegende Sachverhalt beziehe sich allein auf den Zeitraum vom 20. April 2020 bis 3. Mai 2020, also auf das erste Stadium der Pandemie. Die Rechtsprechung bestätige für diesen Zeitraum ausdrücklich, dass der Parlamentsvorbehalt nicht verletzt worden sei (vgl. ThürVerfGH, U.v. 1.3.2021 - VerfGH 18/20 - juris). Der Gesetzgeber sei zwar grundsätzlich gehalten, sich als erforderlich erweisende Vorschriften zu erlassen. Allerdings müsse ihm dafür eine angemessene Zeit zugebilligt werden, die auch eine gesellschaftlich-politische Debatte ermögliche und so erst zu einer demokratischen Willensbildung führe. Etwaige Regelungslücken müssten unter diesen Umständen für eine gewisse Zeit hingenommen werden. Würde man dies anders sehen, so führte dies zu einer wenigstens partiellen Handlungsunfähigkeit der Exekutive und zu einer erheblichen Gefährdung der Bevölkerung. Im vorliegenden Falle sei nicht nur zu beachten, dass andernfalls potenziell alle Bürger in ihrem Grundrecht auf Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) bedroht gewesen wären, wobei erheblich erschwerend hinzukomme, dass diese sich bei der gegebenen Gefahrenlage ohne staatlichen Schutz kaum selbst hätten schützen können, was in besonderem Maße für die Schwächsten der Gesellschaft gelte. Gerade den Schwächsten gegenüber obliege dem Staat aber ein besonderer Schutzauftrag. Der Gesetzgeber habe mit § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 IfSG bewusst eine Ermächtigungsgrundlage geschaffen, welche der Exekutive weitreichende Handlungsmöglichkeiten an die Hand gebe, ohne dabei - von bei nahezu jeder infektiologischen Lage benötigten Maßnahmen wie Absonderung oder Quarantäne abgesehen - im Einzelnen vorzugeben, welche Maßnahmen die Exekutive ergreifen könne. Dies werde aus der Entstehungsgeschichte des Seuchen- bzw. Infektionsschutzrechts deutlich (wird ausgeführt). Zudem könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass dem Bundesgesetzgeber die von den Bundesländern im Verordnungswege getroffenen Maßnahmen bekannt gewesen seien und man davon habe ausgehen können, dass er diese Maßnahmen gebilligt habe.
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Den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen habe die Untersagung der Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels jeder Art (§ 2 Abs. 4 Satz 1 2. BaylfSMV) inkl. der Ausnahmen hiervon (§ 2 Abs. 4 Satz 2 und 4, Abs. 5 2. BaylfSMV) genügt. Nach § 2 Abs. 4 Satz 1 2. BaylfSMV sei die Öffnung von Verkaufsflächen in Ladengeschäften jeder Art eindeutig verboten gewesen. Ausnahmen seien im Einzelnen in § 2 Abs. 4 Satz 2 und 4, Abs. 5 2. BaylfSMV genannt gewesen. Insbesondere sei aus Sicht des Antragsgegners auch § 2 Abs. 5 Nr. 1 2. BaylfSMV in seinem Wortlaut hinreichend klar gewesen. Eine Öffnung von sonstigen Ladengeschäften und Kaufhäusern sei hier nur zulässig, wenn die Verkaufsräume eine Fläche von 800 m² nicht überschritten hätten. Wäre eine Beschränkung der Verkaufsfläche möglich gewesen, so hätte der Verordnungsgeber statt dem Wort „wenn“ das Wort „soweit“ verwenden müssen. Die Untersagung der Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels jeder Art (§ 2 Abs. 4 Satz 1 2. BaylfSMV) inkl. der Ausnahmen hiervon (§ 2 Abs. 4 Satz 2 und 4, Abs. 5 2. BaylfSMV) sei auch kohärent gewesen.
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Gegen die Betriebsschließungen als solche sei vom Senat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nichts eingewandt worden. Auch in der nachfolgenden Rechtsprechung zur 11. BayIfSMV im einstweiligen Rechtsschutz habe der Senat die Betriebsschließungen bestätigt. Insbesondere sei maßgeblich, dass vorliegend nur eine ex-ante Betrachtung sowohl hinsichtlich der Gefahreneinschätzung als auch hinsichtlich der geeigneten Maßnahmen relevant sein könne. Im Eilrechtsverfahren zu diesem Hauptsacheverfahren habe der Senat festgestellt, dass zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt sei, welches Mittel zur Gefahrenabwehr das geeignetste sei.
28
Die geltend gemachte Ungleichbehandlung betreffe gerade nicht die Betriebsschließung als solche, sondern lediglich den Vergleich mit Betrieben, denen eine vollständige Öffnung im gleichen Zeitraum gem. § 2 Abs. 4 und 5 2. BayIfSMV erlaubt gewesen sei. Der Verordnungsgeber habe zu Beginn der Lockerungsphase vor der Herausforderung, solche Regelungen zu wählen, die sich sinnvoll und sachgerecht umsetzen lassen, gestanden. Wegen der weiterhin hohen bzw. sehr hohen Gefahr für die Gesundheit und das Leben der Bevölkerung habe er gerade nicht alle Läden und Betriebe gleichzeitig öffnen können. Er habe sachgerechte Kriterien finden und Differenzierungen treffen müssen. Die Grenze der Verkaufsfläche von 800 m² sei ein sachgerechter Anknüpfungspunkt gewesen. Der Verordnungsgeber sei bei der gebotenen generalisierenden Betrachtung bei Dienstleistungsbetrieben davon ausgegangen, dass diese in der Regel eine Fläche von 800 m² nicht überschritten, jedenfalls aber über keine Ladengeschäfte mit Kundenverkehr in dieser Größenordnung verfügten. Die Gefahr einer Sogwirkung habe somit anders als bei großflächigen Ladengeschäften des Einzelhandels in nicht vergleichbarer Weise bei Dienstleistungsbetrieben bestanden. Schließlich habe das Bundesverfassungsgericht den Bundesländern bei zur Bewältigung der Corona-Pandemie erlassenen Rechtsverordnungen auf der Grundlage des § 32 Satz 1 i.V.m. §§ 28 ff. IfSG schließlich allgemein regelmäßig einen Einschätzungsspielraum zuerkannt.
29
Nach dem ersten „Lockdown“ im März/April 2020 hätten deshalb zunächst nur Läden öffnen dürfen, deren Verkaufsräume eine Fläche von 800 m² nicht überschritten hätten. Um Transmissionen zu unterbinden, hätte eine möglichst geringe Kundendichte und eine Kundenobergrenze gewährleistet sein müssen, deshalb sei die Zahl der gleichzeitig im Ladengeschäft anwesenden Kunden auf einen Kunden je 20 m² Verkaufsfläche begrenzt worden. Zudem sei zu beachten, dass große Einkaufszentren und Kaufhäuser Publikumsmagnete darstellen könnten. Es hätte vermieden werden sollen, dass es insbesondere in Fußgängerzonen und Plätzen mit großen Einkaufszentren und Kaufhäusern zu Menschenansammlungen und damit möglichen Infektionsketten gekommen wäre. Es sei auch zu beachten, dass größere Filialketten z. T. besser als der Einzelhandel über ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen verfügt hätten, um längere Einschränkungen bewältigen zu können. Durch die eingeführte Personenobergrenze in Läden mit einer Geschäftsfläche von unter 800 m² sei die Kundenkapazität für ganz Bayern auf diese Weise erheblich reduziert worden. Allein dadurch sei eine Kontaktreduktion erreicht und das öffentliche Leben heruntergefahren worden. Eine Lockerung, die zu früh und zu umfassend oder gar unbedacht erfolgt wäre, hätte die anfänglichen Schutzmaßnahmen innerhalb kürzester Zeit wieder konterkarieren können.
30
Anders als der erkennende Senat hätten das Oberverwaltungsgerichts Hamburg (OVG Hamburg, B.v. 30.04.2020 - 5 Bs 64/20 - juris), das Oberverwaltungsgerichts Lüneburg (Az. 13 MN 98/20 - juris) und das Oberverwaltungsgerichts Magdeburg (Az. 3 R 52/20 - juris) die landesrechtlichen Normen, die jeweils eine Öffnung des Kraftfahrzeughandels, Fahrradhandels und von Buchhandlungen auch über 800 m² tatsächlicher Verkaufsfläche vorsahen, als mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar eingestuft. Eine Differenzierung zwischen diesen Branchen, die sich als Grundbedarf darstellten, und den sonstigen Ladengeschäften und Kaufhäusern des Einzelhandels mit einer Verkaufsfläche von über 800 m² sei sachgerecht. Die Betriebe des Kfzsowie des Fahrradhandels besetzten wichtige Positionen in der Versorgung der Bevölkerung, da sie gerade im ländlichen Raum die Mobilität der Bevölkerung sicherstellten. Dies sei gerade für die Ausübung beruflicher Tätigkeit von Bedeutung. Fahrzeuge seien regelmäßig nur schwer oder gar nicht im Wege des Onlinehandels zu erwerben. In diesen Branchen sei typischerweise nicht mit einem infektionshygienisch bedenklich hohen Kundenverkehr zu rechnen. Die Bedeutung des Versorgungsauftrags von Buchhandlungen ergebe sich mit Blick auf die Informations-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit sowie der Deckung des schulischen Bedarfs. Gerade in Zeiten, in denen die Freizeitbeschäftigungen und die Kontaktmöglichkeiten deutlich reduziert seien, steige der Bedarf an Printmedien und die Notwendigkeit für diese Produkte. Weder die Informationsmöglichkeiten im Internet noch die Online-Bestellmöglichkeiten ersetzten insofern den direkten Vertrieb von Büchern, Schulbüchern, Lernbüchern, Ratgebern, etc. und sonstigen Printmedien. Der Online-Verkauf eröffne lediglich eine gezielte Suche für diejenigen, die insoweit thematisch ausreichend orientiert und technisch ausgestattet seien. Bei dem Zugang im Einzelhandel vor Ort eröffne sich eine bessere Übersicht, insbesondere für Themengebiete und Neuerscheinungen, erleichterter Zugang, Beratung zu einzelnen Themen, bessere Vergleichbarkeit der inhaltlichen Qualität der Druckerzeugnisse etc. Im Hinblick auf hygienische Maßnahmen und Desinfektionsmittel sei in Buchläden insbesondere nicht etwa nur eine schlechtere hygienische Lage zu erreichen als in anderen Geschäften. Auch dort würden Dinge angefasst. Sicherlich sei gerade in Buchhandlungen die persönliche Beratung oft schon zielführend, sodass nicht wie in anderen Geschäften eine unbegrenzte Anzahl an Dingen durch den Kunden berührt werde. Autohäuser, Läden des Fahrradhandels und Buchhandlungen seien nach der Einschätzung des Verordnungsgebers typischerweise weniger frequentiert als sonstige Ladengeschäfte, Einkaufszentren und Kaufhäuser des Einzelhandels mit einer Verkaufsfläche von über 800 m².
31
Im Übrigen seien bei Massenerscheinungen, zu denen die Corona-Pandemie wegen der weitreichenden Betroffenheit zähle, typisierende und generalisierende Regelungen möglich. Dabei entstehende Härten müssten hingenommen werden, wenn nur wenige Personen betroffen seien und ein ggf. vorliegender Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht sehr intensiv sei.
32
Hinsichtlich des geltend gemachten Schadens sei zunächst zu beachten, dass die gesamten Umsatzeinbußen insbesondere nicht aus der allein streitgegenständlichen 2. BayIfSMV bzw. deren Maßnahmen resultierten. Eine Abfrage bei der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern als zuständige Bewilligungsstelle in Bayern für die Überbrückungshilfen und außerordentlichen Wirtschaftshilfen („November-/Dezemberhilfe“) habe ergeben, dass die Antragstellerin keine staatlichen Hilfen beantragt habe. Es hätten im Allgemeinen umfangreiche Hilfen zur Verfügung gestanden, um die Einschränkungen im Einzelhandel zu lindern (wird ausgeführt).
33
Die Betriebsuntersagungen nach § 28, § 28a IfSG führten im Regelfall noch nicht zu einem Eingriff in die Substanz der geschlossenen Betriebe und damit auch nicht zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung des Eigentumsgrundrechts (Art. 14 Abs. 1 GG) oder des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb schütze nur den konkreten Bestand an Rechten und Gütern und keine bloßen Umsatz- und Gewinnchancen; es gehe nicht über die Gewährleistung des Art. 12 Abs. 1 GG hinaus.
34
Die Betriebsschließungen, wie alle in den Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen angeordneten Maßnahmen, seien laufend vom Normgeber evaluiert und auf ihre fortbestehende Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne überprüft worden. So seien immer wieder, auch vor dem Ende des regulären Geltungszeitraumes, Vorschriften geändert, Maßnahmen abgemildert und Beschränkungen zurückgenommen worden. Auch in zeitlicher Hinsicht sei somit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stets beachtet und gewahrt worden.
35
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen. Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Der Normenkontrollantrag ist zulässig und begründet.
37
1. Der Normenkontrollantrag ist auch nach Außerkrafttreten von § 2 Abs. 4 und 5 BayIfSMV zulässig.
38
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entzieht das Außerkrafttreten der zur Prüfung gestellten Norm dem Normenkontrollantrag grundsätzlich seinen Gegenstand. § 47 Abs. 1 VwGO geht von dem Regelfall einer noch gültigen Norm als Gegenstand des Normenkontrollantrags aus. Ein Normenkontrollantrag kann allerdings auch trotz Außerkrafttretens der angegriffenen Rechtsnorm zulässig bleiben, wenn in der Vergangenheit liegende Sachverhalte noch nach ihr zu entscheiden sind oder, wenn während des Normenkontrollverfahrens eine auf kurzfristige Geltung angelegte Norm etwa wegen Zeitablaufs außer Kraft getreten ist. Das Außerkrafttreten der Norm allein lässt den zulässig gestellten Normenkontrollantrag allerdings nicht ohne weiteres zu einem unzulässigen Antrag werden, wenn die Voraussetzung der Zulässigkeit nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO fortbesteht, nämlich, dass der Antragsteller durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung einen Nachteil erlitten hat (BVerwG, U.v. 29.6.2001 - 6 CN 1.01 - juris Rn. 10; B.v. 2.9.1983 - 4 N 1.83 - juris Rn. 9). Der Antragsteller muss nach Außerkrafttreten der angegriffenen Norm allerdings ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung ihrer Ungültigkeit haben (vgl. BVerwG, B.v. 14.6.2018 - 3 BN 1.17 - juris Rn. 19; B.v. 2.9.1983 - 4 N 1.83 - juris Rn. 11). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die begehrte Feststellung präjudizielle Wirkung für die Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit eines auf die Norm gestützten behördlichen Verhaltens und damit für in Aussicht genommene Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche haben kann oder ein schwerwiegender Grundrechtseingriff das Rechtsschutzinteresse fortbestehen lässt (BVerwG, B.v. 26.5.2005 - 4 BN 22.05 - juris Rn. 5; B.v. 2.8.2018 - 3 BN 1.18 - juris Rn. 5). Auch eine Wiederholungsgefahr kann grundsätzlich ein solches Feststellungsinteresse begründen (BVerwG, B.v. 2.8.2018 - 3 BN 1.18 - juris Rn. 4).
39
b) Die Antragstellerin hat ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, dass die Norm ungültig war, weil die angestrebte Feststellung präjudizierende Wirkung für die Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit eines auf die Norm gestützten behördlichen Verhaltens und damit für in Aussicht genommene Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche haben kann und die Antragstellerin eine Entschädigungsklage ernsthaft beabsichtigt (BVerwG, B.v. 2.9.1983 - 4 N 1.83 - juris Rn. 11).
40
Die ernsthafte Absicht zur Erhebung einer Entschädigungsklage kann einem Antragsteller regelmäßig nicht abgesprochen werden, der bereits einen Normenkontrollantrag gegen die Norm wegen der damit verbundenen Eingriffe erhoben hat (vgl. BVerwG, U.v. 19.2.2004 - 7 CN 1.03 - juris Rn. 14). Sie wird hier dadurch unterstützt, dass die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass auf Konzernebene die Entscheidung für eine Entschädigungsklage bereits gefallen sei und sie vor Ablauf der Verjährungsfrist in jedem Fall Entschädigungsklage erheben werde. Nicht erforderlich hingegen ist, dass eine Klage auf Schadensersatz oder Entschädigung anhängig ist oder ihre alsbaldige Erhebung mit hinreichender Sicherheit zu erwarten (i. Erg. a.A. BayVGH, U.v. 26.2.2021 - 1 N 18.899 - juris unter Bezugnahme auf BVerwG, B.v. 9.3.2005 - 2 B 111.04 - juris Rn. 7 zur Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 VwGO) oder bereits ein entsprechendes Verfahren konkret in die Wege geleitet worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 16.10.2008 - 2 A 9.07 NVwZ 2009, 782 Rn. 4). Denn einer entsprechenden Anwendung der Regelungen über die Fortsetzungsfeststellungsklage bedarf es bei der Normenkontrolle nach § 47 VwGO nicht (BVerwG, B.v. 2.9.1983 - 4 N 1.83 - juris Rn. 10; U.v. 19.2.2004 - 7 CN 1.03 - juris Rn. 14).
41
Ein Feststellungsinteresse besteht allerdings dann nicht, wenn eine Entschädigungsklage unter jedem in Betracht kommenden Gesichtspunkt aussichtslos ist. Hierfür bedarf es allerdings keiner eingehenden Bewertung des Vorbringens der Beteiligten zur Begründetheit oder Unbegründetheit einer solchen Klage. Das berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung würde nur dann entfallen, wenn es auf der Hand läge, dass die Rechtsverfolgung aussichtslos ist (BVerwG, U.v. 19.2.2004 - 7 CN 1.03 - juris Rn. 14).
42
Eine solche auf der Hand liegende Aussichtslosigkeit des Begehrens der Antragstellerin vermag der Senat jedoch nicht zu erkennen. Richtig ist zwar, dass der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil vom 17. März 2022 - III ZR 79/21 - entschieden hat, dass § 56 Abs. 1 IfSG und § 65 Abs. 1 IfSG Gewerbetreibenden, die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie als infektionsschutzrechtliche Nichtstörer durch eine auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützte flächendeckende Schutzmaßnahme, insbesondere eine Betriebsschließung oder Betriebsbeschränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten haben, weder in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung noch im Weg verfassungskonformer Auslegung einen Anspruch auf Entschädigung gewähren. Entschädigungsansprüchen aus dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht bzw. aus enteignendem Eingriff steht entgegen, dass die im Zwölften Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes enthaltenen Entschädigungsbestimmungen - jedenfalls für rechtmäßige infektionsschutzrechtliche Maßnahmen - eine abschließende spezialgesetzliche Regelung mit Sperrwirkung darstellen. Weiter hat der BGH in dieser Entscheidung (nicht entscheidungstragend) darauf hingewiesen, dass Amtshaftungsansprüche wegen fehlerhaften Verhaltens insbesondere des Gesetzgebers des Infektionsschutzgesetzes schon deshalb nicht in Betracht kämen, weil die öffentliche Hand insoweit gegenüber dem Betriebsinhaber keine drittbezogene Amtspflicht verletzt hätte. Da Gesetze und Verordnungen durchweg generelle und abstrakte Regeln enthielten, nehme der Gesetz- und Verordnungsgeber in der Regel (anders bei Maßnahme- oder Einzelfallgesetzen) ausschließlich Aufgaben gegenüber der Allgemeinheit, nicht aber gegenüber bestimmten Personen oder Personengruppen als „Dritten“ i. S. d. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB wahr. Der Entschädigungsanspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs erfasse ebenso nicht die Fälle legislativen Unrechts, in denen durch eine rechtswidrige beziehungsweise verfassungswidrige gesetzliche Norm oder auf ihrer Grundlage durch Verwaltungsakt oder eine untergesetzliche Norm in eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition eingegriffen werde.
43
Allerdings entspricht es auf der anderen Seite auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass eine Haftung des Staates nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil die Schaffung einer rechtswidrigen Bestimmung „normatives” Unrecht war. Vielmehr bildet das Institut des enteignungsgleichen Eingriffs eine geeignete Grundlage für eine Staatshaftung für rechtswidrige untergesetzliche Normen, die an eigenen, nicht auf die Ermächtigungsnorm zurückgehenden Nichtigkeitsgründen leiden. Rechtsverordnungen und Satzungen gehören nicht zur Gesetzgebung im formellen Sinn, sondern sind der vollziehenden Gewalt zuzuordnen. Es ist anerkannt, dass sich das Haftungsinstitut des enteignungsgleichen Eingriffs auch auf Eingriffe durch derartige rechtswidrige Rechtsetzungsakte bezieht (BGH, B.v. 11.3.1993 - III ZR 110/92 - juris). Hier mag zwar durchaus zweifelhaft sein, ob mit der streitgegenständlichen Norm eine Berufsausübungsregelung getroffen wurde oder ein enteignungsgleicher Eingriff in den Gewerbebetrieb vorlag (vgl. hierzu BGH, U.v. 7.6.1990 - III ZR 74/88 - BGHZ 111, 349 (352 f.) = NJW 1990, 3260). Die Entscheidung dieser und anderer Fragen liegt jedenfalls nicht auf der Hand und damit auch die Erfolgsaussichten der von der Antragstellerin angestrebten Entschädigungsklage.
44
Der Umstand, dass die Antragstellerin mit dem streitgegenständlichen Antrag nur für einen kurzen Zeitraum eine präjudizielle Wirkung herbeiführen kann und die von ihr geltend gemachten Vermögenseinbußen über einen längeren Zeitraum entstanden sein sollen, ändert am grundsätzlich bestehenden Feststellungsinteresse der Antragstellerin nichts.
45
2. Der Normenkontrollantrag ist auch begründet.
46
§ 2 Abs. 4 und Abs. 5 2. BaylfSMV waren wegen eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unwirksam.
47
a) Allerdings finden die von der Antragstellerin angegriffenen § 2 Abs. 4 und Abs. 5 2. BayIfSMV in § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in der maßgeblichen Fassung, die sie durch das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 27. März 2020 (BGBl. 2020 I S. 587 ff.; BT-Drucks 19/18111) erhielt, eine hinreichende gesetzliche Grundlage.
48
Durch § 32 Satz 1 IfSG werden die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Ge- und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG sind, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, die notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Insbesondere können Personen verpflichtet werden, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.
49
Die Verordnungsermächtigung nach § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG verstieß im hier maßgeblichen Zeitraum der Geltungsdauer der angegriffenen Verordnung nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere das Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen Gesetze, die zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigen, Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmen. Danach soll sich das Parlament seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft nicht dadurch entäußern können, dass es einen Teil der Gesetzgebungsmacht der Exekutive überträgt, ohne die Grenzen dieser Kompetenzen bedacht und diese nach Tendenz und Programm so genau umrissen zu haben, dass der Bürger schon aus der gesetzlichen Ermächtigung erkennen und vorhersehen kann, was ihm gegenüber zulässig sein soll und welchen möglichen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können (vgl. dazu nur BVerfG, B.v. 21.9.2016 - 2 BvL 1/15 - juris Rn. 54 ff. m.w.N.).
50
Die Ermächtigungsnorm muss in ihrem Wortlaut nicht so genau wie irgend möglich gefasst sein; sie hat von Verfassungs wegen nur hinreichend bestimmt zu sein. Dazu genügt es, dass sich die gesetzlichen Vorgaben mit Hilfe allgemeiner Auslegungsregeln erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Entstehungsgeschichte der Norm (stRspr; vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 55).
51
Welche Anforderungen an das Maß der erforderlichen Bestimmtheit im Einzelnen zu stellen sind, lässt sich daher nicht allgemein festlegen. Zum einen kommt es auf die Intensität der Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen an. Je schwerwiegender die grundrechtsrelevanten Auswirkungen für die von einer Rechtsverordnung potentiell Betroffenen sind, desto strengere Anforderungen gelten für das Maß der Bestimmtheit sowie für Inhalt und Zweck der erteilten Ermächtigung.
52
Zum anderen hängen die Anforderungen an Inhalt, Zweck und Ausmaß der gesetzlichen Determinierung von der Eigenart des zu regelnden Sachverhalts ab, insbesondere davon, in welchem Umfang der zu regelnde Sachbereich einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist. Dies kann es auch rechtfertigen, die nähere Ausgestaltung des zu regelnden Sachbereichs dem Verordnungsgeber zu überlassen, der die Regelungen rascher und einfacher auf dem neuesten Stand zu halten vermag als der Gesetzgeber (vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 57).
53
Nach diesen Maßstäben ist hier ein Verstoß des § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht festzustellen. Auch wenn die Befugnisnorm des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG, auf die die Verordnungsermächtigung nach § 32 Satz 1 IfSG (u.a.) Bezug nimmt, zumindest in ihrem ersten Halbsatz als offene Generalklausel ausgestaltet ist und dies nach den Gesetzgebungsmaterialien zur insoweit wortgleichen Vorgängerregelung des § 34 Bundes-Seuchengesetz auch explizit sein sollte (vgl. BT-Drucks 8/2468 S. 27 f.), hat der parlamentarische Gesetzgeber mit der Neufassung des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG zum 28. März 2020 durch Einfügung des zweiten Halbsatzes „sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten“ die Ermächtigungsgrenzen jedenfalls nunmehr insoweit hinreichend bestimmt gefasst, dass § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG zwar keine - mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbare - Globalermächtigung für die Verordnungsgeber enthält, dass zahlreiche Bekämpfungsmaßnahmen - die in besonders erheblichem Maß in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen - von der Befugnis umfasst sein können. Inhalt, Zweck und Ausmaß der vom Gesetzgeber erteilten Verordnungsermächtigung sind daher als hinreichend bestimmt anzusehen. Hinzu kommt, dass während des Gesetzgebungsverfahrens des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, den Mitgliedern des Bundestages durchaus bewusst war, dass die Länder Verordnungen nach § 32 Satz 1 IfSG über Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19 bereits getroffen hatten (vgl. BayVGH, B.v. 4.10.2021 - 20 N 20.767 - juris).
54
Indes finden sich im Wortlaut des § 28 Abs. 1 IfSG a.F. keine unmittelbaren Anhaltspunkte für die Zulässigkeit von Betriebsschließungen und Betriebsbeschränkungen. Sowohl die Möglichkeit von Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 IfSG als auch die Befugnis nach § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG, Ansammlungen zu beschränken und zu untersagen, richten sich nicht an Betriebsinhaber, sondern an Jedermann. Zudem sind lediglich Gemeinschaftseinrichtungen nach § 33 IfSG als Ziel von Schließungen und Beschränkungen in § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG genannt. Allerdings kann aus dem Umstand, dass das Schließen von Einrichtungen, also zur Benützung vorgehaltene Personen- und Sachgesamtheiten, grundsätzlich für zulässig erachtet wird und Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen faktisch zu Betriebsschließungen führen können, da sie nicht von Kunden aufgesucht werden können, gefolgert werden, dass Betriebsschließungen und Betriebsbeschränkungen jedenfalls für einen bestimmten Zeitraum von der Generalklausel abgedeckt sind. Zudem kann es in Betrieben regelmäßig zu Ansammlungen von Personen kommen, welche nach § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG ausdrücklich beschränkt und untersagt werden können.
55
b) Der Wortlaut des § 2 Abs. 4 und Abs. 5 2. BayIfSMV war allerdings nicht eindeutig. Dennoch sind die angegriffenen Bestimmungen mit ihrem durch Auslegung ermittelten Inhalt hinreichend bestimmt. Die Auslegung der Regelungen anhand der anerkannten Auslegungsmethoden ergibt zweifelsfrei, dass der Betrieb von sonstigen (d.h. nicht nach § 2 Abs. 4 Satz 2 und Satz 4 2. BayIfSMV vom Öffnungsverbot ausgenommenen) Ladengeschäften des Einzelhandels, auch soweit sie sich in Kaufhäusern und Einkaufszentren befanden (§ 2 Abs. 4 Satz 5, Abs. 5 2. BayIfSMV), deren Verkaufsräume eine Fläche von 800 m² überschritten, untersagt waren.
56
Aus dem Normtext war auf den ersten Blick nicht zweifelsfrei ersichtlich, ob der Antragsgegner in § 2 Abs. 4 und Abs. 5 2. BayIfSMV Betriebsschließungen von sonstigen Ladengeschäften, Einkaufszentren und Kaufhäusern des Einzelhandels verordnet hatte, wenn deren Verkaufsräume eine Fläche von 800 m² nicht überschritten oder ob er lediglich die Verkaufsfläche dieser Geschäfte auf 800 m² begrenzt hatte. Grundlage der angegriffenen Verordnungsregelungen des Antragsgegners waren vor allem die Bund-Länder-Beschlüsse vom 12., 16. und 22. März 2020 sowie vom 15. April 2020. Nachdem in den „Leitlinien zum Kampf gegen die Corona-Epidemie“ vom 16. März 2020 eine weitgehende Schließung von Geschäften des Einzelhandels vorgesehen war, erfolgte mit den Beschlüssen vom 15. April 2020 eine teilweise Lockerung der Betriebsschließungen. So sollten „alle Geschäfte bis zu 800 m² Verkaufsfläche sowie unabhängig von der Verkaufsfläche Kfz-Händler, Fahrradhändler, Buchhandlungen“ wieder öffnen können. (https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/telefonschaltkonferenz-der-bundeskanzlerin-mit-den-regierungschefinnen-und-regierungschefs-der-laender-am-15-april-2020-1744228).
57
Bei der Umsetzung dieser gemeinsamen Vorgabe durch § 2 der 2. BayIfSMV vom 16. April 2020 (GVBl. 2020 Nr. 11) ist der Antragsgegner vom Wortlaut dieser auf Bund-Länder-Ebene vereinbarten Vorgaben aber insoweit abgewichen, als er die Öffnung von sonstigen Ladengeschäften, Einkaufszentren und Kaufhäusern des Einzelhandels für zulässig erklärte, wenn deren Verkaufsräume, also nicht die Verkaufsfläche, eine Fläche von 800 m² nicht überschreiten und der Betreiber durch geeignete Maßnahmen sicherstellt, dass die Zahl der gleichzeitig im Ladengeschäft anwesenden Kunden nicht höher ist als ein Kunde je 20 m² Verkaufsfläche.
58
Maßgebend für die Auslegung einer Norm ist der in ihr zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Normgebers, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (vgl. BVerfG, U.v. 30.3.2004 - 2 BvR 1520/01 - BVerfGE 110, 226). Für die Erfassung des objektiven Willens des Normgebers sind alle anerkannten Auslegungsmethoden heranzuziehen, das heißt die grammatikalische, systematische, teleologische und historische Auslegung. Diese Methoden ergänzen sich gegenseitig, wobei keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen hat. Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Dieser ergibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich der Richter nicht entgegenstellen darf (vgl. BVerfG, B.v. 26.8.2014 - 2 BvR 2172/13 - juris).
59
Ausgehend davon spricht bereits der Wortlaut der Vorschrift eher für ein vollständiges Betriebsverbot von allen sonstigen Einzelhandelsgeschäften mit Verkaufsräumen über 800 m² Größe. Zum einen hat die Konjunktion „wenn“ im konditionalen Sinne die Bedeutung „unter der Voraussetzung, dass“ oder „unter der Bedingung, dass“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/wenn). Damit sollte eine absolute Obergrenze zum Ausdruck kommen. „Wenn“ meint ein Entweder-Oder, ein Ganz-oder-gar-Nicht. Dagegen lässt „soweit“ Teillösungen zu (Hartmann/Zanger, JuS 2014, 829 <830>). Unterstrichen wird dieses Verständnis dadurch, dass der Normgeber mit der Verwendung des Wortes „Verkaufsräume“ und nicht des Wortes „Verkaufsfläche“ eine Reduzierung der Verkaufsfläche auf 800 m² nicht erlauben wollte. Denn anders als eine zweidimensionale Fläche sind Räume nicht beliebig flexibel reduzierbar, sondern durch ihre Dreidimensionalität begrenzt, sodass eine Verringerung der Verkaufsräume auf 800 m² nur bedingt möglich ist.
60
Für eine Betriebsschließung der Betriebe mit Verkaufsräumen von mehr als 800 m² Fläche spricht auch der Umstand, dass in § 2 Abs. 4 Satz 1 2. BayIfSMV weiterhin pauschal die Schließung von Ladengeschäften des Einzelhandels jeder Art verordnet war und die Öffnung aller Geschäfte in § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 bis zu einer Verkaufsfläche von 800 m² eine damit unvereinbare grundsätzliche Öffnung aller Ladengeschäfte des Einzelhandels bedeutet hätte. Damit spricht auch die Systematik der Vorschrift für das durch den Wortlaut gefundene Auslegungsergebnis. Dass nach dem Vortrag des Antragsgegners schließlich auch der Wille des Verordnungsgebers und der Zweck der Regelung darauf abzielten, die Öffnung aller (sonstigen) Ladengeschäfte des Einzelhandels, die über Verkaufsräume von mehr als 800 m² verfügen, vollständig zu untersagen, bestätigt das Ergebnis der grammatikalischen und systematischen Auslegung.
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c) Die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 32 Satz 1, 28 Abs. 1 IfSG waren im Zeitpunkt des Erlasses und im Geltungszeitraum der Norm erfüllt.
62
aa) § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG verpflichtet die Behörde zum Handeln, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen (sog. gebundene Entscheidung). Sie setzt tatbestandlich lediglich voraus, dass Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder es sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war. Diese Voraussetzungen lagen dem Grunde nach angesichts der anhaltenden SARS-CoV-2-Pandemielage vor. Weitere tatbestandliche Anforderungen an ein Tätigwerden stellt § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG nicht (ständige Rspr. des Senats, vgl. nur B.v. 1.9.2020 - 20 CS 20.1962 - juris Rn. 24).
63
Nachdem § 28 IfSG eine Befugnisnorm zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten ist, setzt die Norm die Feststellung einer solchen Krankheit voraus, was zugleich die Notwendigkeit einer Gefährdungseinschätzung dieser Krankheit für die Bevölkerung beinhaltet. So kennt das Gesetz selbst die „übertragbare Krankheit“, also eine durch Krankheitserreger oder deren toxische Produkte, die unmittelbar oder mittelbar auf den Menschen übertragen werden, verursachte Krankheit (§ 2 Nr. 3 IfSG) und die „bedrohliche übertragbare Krankheit“, also eine übertragbare Krankheit, die auf Grund klinisch schwerer Verlaufsformen oder ihrer Ausbreitungsweise eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit verursachen kann (§ 2 Nr. 3a IfSG). Letztere stellt auf mögliche schwere klinische Verlaufsformen der Krankheit und auf die Weiterverbreitungsweise der Krankheit ab. Dies schließt Krankheiten, die durch neu aufgetretene Erreger oder Erreger mit besonderen Resistenzen verursacht werden, ein. Die genannten Eigenschaften einer übertragbaren Krankheit können jeweils für sich allein oder durch ihr Zusammenwirken eine besondere Gefährlichkeit der übertragbaren Krankheit für die Bevölkerung ausmachen (BR-Drs. 784/16 S. 49).
64
Bei der Beurteilung der Gefährlichkeit einschließlich der Übertragungsgefahr einer solchen Krankheit kann bei bekannten Krankheiten auf die Erfahrungen und das Wissen auf den Gebieten der Medizin und der Epidemiologie der Vergangenheit zurückgegriffen werden. Anders verhält es sich in dem hier maßgeblichen Zeitraum während der Geltungsdauer der Norm dagegen bei Covid-19. Hierbei handelt es sich um eine neuartige Bedrohung, die auch nicht mit den Grippepandemien 1957 bis 1959, 1968 und 1977 vergleichbar ist, da zu diesen Zeiten sowohl klinische und epidemiologische Erkenntnisse über Grippe-Erkrankungen als auch entsprechende Impfstoffe vorhanden waren. Exemplarisch heißt es im Situationsbericht des RKI vom 21. April 2020 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-04-21-de.pdf? blob=publicationFile):
65
„Es handelt sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Bei einem Teil der Fälle sind die Krankheitsverläufe schwer, auch tödliche Krankheitsverläufe kommen vor. Die Zahl der Fälle in Deutschland steigt weiter an. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird derzeit insgesamt als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen als sehr hoch. Die Wahrscheinlichkeit für schwere Krankheitsverläufe nimmt mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu. Diese Gefährdung variiert von Region zu Region. Die Belastung des Gesundheitswesens hängt maßgeblich von der regionalen Verbreitung der Infektion, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen (Isolierung, Quarantäne, soziale Distanzierung) ab und kann örtlich sehr hoch sein. Diese Einschätzung kann sich kurzfristig durch neue Erkenntnisse ändern.“
66
Dabei kam im maßgeblichen Zeitraum der Geltungsdauer der Norm der Einschätzung des RKI besondere Bedeutung zu, denn nach § 4 Abs. 1 Satz 1 IfSG ist das Robert Koch-Institut die nationale Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen. Es erstellt im Benehmen mit den jeweils zuständigen Bundesbehörden für Fachkreise als Maßnahme des vorbeugenden Gesundheitsschutzes Richtlinien, Empfehlungen, Merkblätter und sonstige Informationen zur Vorbeugung, Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung übertragbarer Krankheiten (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 IfSG).
67
bb) Hinzu kommt, dass den Infektionsschutzbehörden bei der Beurteilung der Tatbestandsvoraussetzungen einer „bedrohlichen übertragbaren Krankheit“ (§ 2 Nr. 3a IfSG) ein gerichtlich nicht voll überprüfbarer Beurteilungsspielraum zusteht. Anhaltspunkte dafür, dass der Verordnungsgeber die Grenzen seines Beurteilungsspielraums vorliegend überschritten hätte, sind nicht ersichtlich.
68
Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung ging bei Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren wohl auch bei der Einschätzung der Gefährlichkeit der SARS-CoV-2-Pandemie von einem weitem Einschätzungsspielraum der Exekutive aus (BVerfG, B.v. 11.11.2020 - 1 BvR 2530/20 - juris, BayVerfGH, E.v. 23.11.2020 - Vf. 59-VII-20 - juris., VerfGH NW, B.v. 30.11.2020 - 185/20.VB-1 - juris, SaarlVerfGH, B.v. 28.4.2020 - Lv 7/20 -NVwZ-RR 2020, 514; zur Verordnung über vorläufige Ausgangsbeschränkungen: BayVerfGH, E. v 9.2.2021 - Vf. 6-VII-20 - juris). Eine dogmatische Herleitung dieses Einschätzungsspielraum fand dort jedoch aufgrund der Natur des einstweiligen Rechtsschutzes überwiegend nicht statt. In der Regel wurde pauschal auf die staatliche Pflicht verwiesen, Leben und Gesundheit zu schützen (Art. 2 Abs. 2 GG).
69
Voraussetzung für die Annahme eines Einschätzungs- oder Beurteilungsspielraums ist nach den vom Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätzen zunächst, dass ein entsprechender Spielraum der Ermächtigung ihrer Art und ihrem Umfang nach den jeweiligen Rechtsvorschriften zumindest konkludent entnommen werden kann und dass es für ihn einen hinreichend gewichtigen Sachgrund gibt (BVerfG, B.v. 31.5.2011 - 1 BvR 857/07 - Rn. 99; BVerwG, U.v. 29.6.2016 - 7 C 32.15 - juris Rn. 29). Im Rahmen der rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes ist es Aufgabe des Gesetzgebers, unter Beachtung der Grundrechte die Rechtsposition zuzuweisen und auszugestalten, deren gerichtlichen Schutz Art. 19 Abs. 4 GG voraussetzt und gewährleistet (BVerwG, B.v. 21.12.1995 - 3 C 24.94 - juris Rn. 30).
70
Ob das Gesetz eine solche Beurteilungsermächtigung enthält, ist durch Auslegung des jeweiligen Gesetzes zu ermitteln (BVerwG, U.v. 16.5.2007 - 3 C 8.06 - juris Rn. 26 m.w.N.; BVerwG, U.v. 23.1.2008 - 6 A 1.07 - juris Rn. 43; BVerwG, U.v. 23.11.2011 - 6 C 11.10 - juris Rn. 37).
71
Dem Wortlaut der Bestimmungen des §§ 32, 28 IfSG lassen sich auf den ersten Blick keine Tatbestandsmerkmale entnehmen, welche auf einen entsprechenden Einschätzungsspielraum schließen lassen. Allerdings sollen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.
72
Bei neu auftretenden Erregern kann die Einschätzung schwierig sein, ob es sich um eine „bedrohliche übertragbare Krankheit“ handelt, also um eine übertragbare Krankheit, die auf Grund klinisch schwerer Verlaufsformen oder ihrer Ausbreitungsweise eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit verursachen kann (§ 2 Nr. 3a IfSG). Gerade die Frage, ob der neuartige Erreger eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, erfordert eine prognostische Einschätzung des Gefährdungspotenzials. Um die Gefahren, die von Infektionskrankheiten ausgehen, und damit die Erforderlichkeit von Schutzmaßnahmen erkennen und abschätzen zu können, ist die Exekutive in erheblichem Umfang auf wissenschaftliche Expertise angewiesen. Im Falle neuartiger Krankheitserreger und Erkrankungen kann jedoch denknotwendig die Frage der Gefährdung der Bevölkerung nicht aufgrund einer sicheren und umfassend abgeklärten Tatsachenbasis bewertet und beantwortet werden. Sie kann lediglich aufgrund von Prognosen erfolgen, die zwar ihrerseits tatsachenbasiert und nachvollziehbar sein müssen, jedoch bestehende Unsicherheiten enthalten dürfen. Aus diesem Grund kommt dem Gesetzgeber oder der von ihm zum Verordnungserlass ermächtigten Exekutive im Falle von Ungewissheiten im fachwissenschaftlichen Diskurs und damit einhergehender unsicherer Entscheidungsgrundlage auch in tatsächlicher Hinsicht Einschätzungsspielräume zu (vgl. BVerfG, B.v. 13.5.2020 - 1 BvR 1021/20 -, juris Rn. 10; ThürVerfGH, U.v. 1.3.2021 - 18/20 - juris). Das gilt jedenfalls für die Frage des Vorliegens einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3a IfSG.
73
Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner bei der Einordnung von Covid-19 als bedrohliche übertragbare Krankheit (§ 2 Nr. 3a IfSG) seinen Einschätzungsspielraum überschritten hat, sind aufgrund der bereits geschilderten Einschätzung der epidemiologischen Situation durch insbesondere das RKI nicht feststellbar
74
d) Die angegriffenen Normen verstoßen aber gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil sie im Wesentlichen gleiche Sachverhalte ungleich behandeln, obwohl keine sachliche Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung besteht. Damit waren sie wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht unwirksam.
75
aa) Das generelle Öffnungsverbot von sonstigen Ladengeschäften, Einkaufszentren und Kaufhäusern des Einzelhandels, wenn deren Verkaufsräume eine Fläche von 800 m² überschreiten, ohne diesen die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Verkaufsfläche auf 800 m² zu reduzieren, stellt eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes dar, die zu einer unverhältnismäßigen Belastung der betroffenen Einzelhandelsbetriebe geführt hat.
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(1) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet, alle Personen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende, auch an die Exekutive gerichtete (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG) Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen (BVerfG, B.v. 8.6.2004 - 2 BvL 5/00 - BVerfGE 110, 412, 431). Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (BVerfG, B.v. 18.7.2019 - 1 BvL 1/18, 1 BvL 4/18, 1 BvR 1595/18 - NJW 2019, 3054; vgl. dazu Wollenschläger in v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 99 ff. m.w.N.).
77
Bei der Bestimmung des stufenlosen Prüfungsmaßstabs ist auch von Bedeutung, ob die Betroffenen die Anwendung der eine Ungleichbehandlung auslösenden Regelung durch Gebrauchmachen von einer Wahlmöglichkeit beeinflussen oder gar ausschließen können. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich allerdings nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (BVerfG, B.v. 21.7.2022 - 1 BvR 469/20, 1 BvR 470/20, 1 BvR 471/20, 1 BvR 472/20 - NJW 2022, 2904 m. w. N.).
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Hier knüpft die Ungleichbehandlung mit dem Merkmal der Betriebsgröße stärker an personen- bzw. objektbezogene als an situationsgebundene Kriterien an, denn anders als eine Verkaufsflächenbeschränkung stellt die Bezugnahme auf die Größe der Verkaufsräume an weitgehend unveränderliche Eigenschaften der Betriebsimmobilie ab. Auf der anderen Seite enthalten die Regelungen aber keine Differenzierungsmerkmale, die in der Nähe des Art. 3 Abs. 3 GG angesiedelt sind. Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es ferner wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Zwar handelt es sich bei den temporären Betriebsschließungen (zum damaligen Zeitpunkt) grundsätzlich wohl nur um Berufsausübungsregelungen und um keine Reglementierung der Berufswahl nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 19.11.2019 - 2 BvL 22/14 - NJW 2020, 451). Einer Verschärfung des Maßstabs bedarf es hier jedoch, weil Betriebsschließungen während der Corona-Pandemie erhebliche Grundrechtseingriffe darstellten (BVerfG, B.v. 23.3.2022 - 1 BvR 1295/21 - juris). Dem Eingriff in die Berufs(ausübungs) freiheit durch die angegriffene Regelung kommt erhebliches Gewicht zu. Allen nicht nach § 2 Abs. 4 Satz 2 und Satz 4 2. BayIfSMV zugelassenen Einzelhandelsbetrieben mit Verkaufsräumen über 800 m² war im gesamten Gebiet des Antragsgegners während der Geltungsdauer der Verordnung vollständig verwehrt zu öffnen. Eine berufliche Betätigung war in dieser Zeit nicht möglich und den betroffenen Betrieben die Ausübung ihres Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG de facto vollständig verwehrt. Verstärkt wurde die Eingriffswirkung in zeitlicher Hinsicht dadurch, dass Einzelhandelsbetriebe bereits seit der Bekanntmachung der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 16. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 143) geschlossen gehalten werden mussten (vgl. zu aneinander anknüpfenden Eingriffen BVerfG, B.v. 19.11.2021 - 1 BvR 781/21 u.a. - juris Rn. 223) und Nichtstörer in Anspruch genommen wurden. Intensität und Ausmaß der Ungleichbehandlung sprechen zudem für eine strenge Prüfung (anders i. Erg.: BayVerfGH, E. v. 23.11.2020 - Vf. 59-VII-20 - juris, der die Prüfung der Schutzverordnungen im Rahmen des Art. 118 BV wohl auf eine reine Willkürkontrolle begrenzt).
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(2) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe begegnet zunächst eine grundsätzliche Beschränkung der Verkaufsfläche der wiedergeöffneten Einzelhandelsgeschäfte auf 800 m² im Hinblick auf den Gleichheitssatz für sich genommen keinen durchgreifenden Bedenken. Diese Maßnahme war prinzipiell mit ihrer die Mobilität der Gesamtbevölkerung dämpfenden Wirkung geeignet, das von Verordnungsgeber angestrebte Ziel zu erreichen, die Infektionsraten durch eine Begrenzung der persönlichen Kontakte möglichst gering zu halten. Auch müssen die besonderen Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten für den Verordnungsgeber berücksichtigt werden, das epidemische Geschehen zum damaligen Zeitpunkt richtig einzuschätzen und im Anschluss daran die nach §§ 32, 28 IfSG notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Dies gilt im Besonderen für die historische Situation der streitgegenständlichen Verordnung, nach einer Zeit strenger infektionsrechtlicher Restriktionen (sog. „lock down“) ohne entsprechende Erfahrungswerte und Kenntnisse eine Maßnahmenlockerung schrittweise zu gestalten („Hochfahren“), ohne eine erneute schwere Infektionswelle mit den sich daraus ergebenden drastischen Folgen für die Bevölkerung ernsthaft zu riskieren. Auch dürfte die sich aus der unterschiedslosen Begrenzung auf 800 m² Verkaufsfläche ergebende Ungleichbehandlung von Einzelhandelsbetrieben in Innenstadtlagen und in der Fläche befindlichen Betrieben trotz der unterschiedlichen Situationen des An- und Abfahrtsverkehrs im Hinblick auf die Befugnis des Verordnungsgebers, typisierende Regelungen zu erlassen, den dafür geltenden verfassungsrechtlichen Maßstäben genügen (BVerfG, B.v. 27.11.1998 - 1 BvL 15/87 - BVerfGE 97, 169 = juris Rn. 46). Begünstigungen oder Belastungen können in einer gewissen Bandbreite zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung nach oben und unten pauschalierend bestimmt werden (BVerfG, B.v. 23.4.2004 - 1 BvL 3/98 - BVerfGE 111, 115 <137>).
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(3) Allerdings hat der Antragsgegner pauschal die Öffnung der sonstigen (d.h. nicht nach § 2 Abs. 4 Satz 2 und Satz 4 2. BayIfSMV zugelassenen) Ladengeschäfte, Einkaufszentren und Kaufhäuser des Einzelhandels, deren Verkaufsräume eine Fläche von 800 m² überschreiten, vollständig untersagt, während alle Ladengeschäfte des Einzelhandels mit kleineren, d.h. bis zu 800 m² großen Verkaufsräumen bei Beachtung einer Begrenzung der Kundenzahl (§ 2 Abs. 5 Nr. 2 2. BayIfSMV) vollständig öffnen durften. Eine Möglichkeit der größeren Ladengeschäfte, ihre Verkaufsfläche auf 800 m² zu reduzieren und mit dieser verkleinerten Verkaufsfläche öffnen zu dürfen, war nicht vorgesehen. Der Antragsgegner begründet dies damit, dass die besondere Sogwirkung der großflächigen Einzelhandelsbetriebe auch bei einer Reduzierung der Verkaufsfläche auf 800 m² wegen der nahezu gleichbleibenden Vielfalt des Sortiments gleichgeblieben wäre und damit aber gerade die vom Verordnungsgeber bezweckte Reduzierung der Attraktivität und damit die Verringerung der Anziehungskraft großflächiger Einzelhandelsbetriebe konterkariert worden wären.
81
Dieser Argumentation folgt der Senat nicht. Für diese Annahme haben zum damaligen Zeitpunkt keine hinreichenden Anhaltspunkte bestanden. Zudem hat die allein auf besondere Vorsicht gestützte Entscheidung des Verordnungsgebers die betroffenen Betriebe mit Verkaufsräumen, deren Fläche 800 m² überstieg, gegenüber den Einzelhandelsbetrieben mit kleineren Verkaufsräumen unangemessen benachteiligt.
82
Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt. Willkür des Normgebers kann zwar nicht schon dann bejaht werden, wenn er unter mehreren Lösungen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste gewählt hat. Es genügt aber Willkür im objektiven Sinn, das heißt die tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit der Regelung in Bezug auf den zu ordnenden Regelungsgegenstand. Der Spielraum des Verordnungsgebers endet dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt (BVerfG, B.v. 19.11.2019 - 2 BvL 22/14 - NJW 2020, 451).
83
So liegt der Fall hier. Die streitgegenständlichen Regelungen beruhten auf der Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 15. April 2020 (https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/telefonschaltkonferenz-der-bundeskanzlerin-mit-den-regierungschefinnen-und-regierungschefs-der-laender-am-15-april-2020-1744228). Dort wurde beschlossen bzw. zwischen der Bundeskanzlerin und den - mangels entgegenstehender Hinweise also mutmaßlich aller - Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder „vereinbart“, dass „alle Geschäfte bis zu 800 m² Verkaufsfläche“ unter infektionsschutzrechtlichen Auflagen öffnen können (Ziff. 10 der Vereinbarung). In der weit überwiegenden Mehrzahl der Bundesländer wurde dies in den jeweiligen Schutzverordnungen so umgesetzt, dass grundsätzlich alle Einzelhandelsgeschäfte öffnen konnten, soweit sie ihre Verkaufsfläche auf 800 m² reduzierten. Eine solche Gefährdungseinschätzung war zum damaligen Zeitpunkt grundsätzlich nicht zu beanstanden. Dem Umstand, dass es sich bei den über 800 m² großen Einzelhandelsgeschäften um Geschäfte mit gesteigerter Attraktivität handelte, wurde durch eine entsprechende Reduzierung der Verkaufsflächen, die durchaus - wie bei der Antragstellerin - mehrere 10.000 m² ausmachen konnten, begegnet. Dass ungeachtet dessen die Sogwirkung dieser Betriebe nahezu gleichbleiben würde, war auch zum damaligen Zeitpunkt nicht wahrscheinlich; die gegenteilige Einschätzung des Antragsgegners hat dieser nicht nachvollziehbar erläutert, zumal in allen geöffneten nicht zugelassenen Einzelhandelsgeschäften neben den Schutzmaßnahmen nach § 2 Abs. 6 Satz 1 2. BayIfSMV ergänzend eine strenge Kundenzahlbeschränkung galt (§ 2 Abs. 5 Nr. 2 2. BayIfSMV). Eine solche Regelung hätte voraussichtlich dem Gleichbehandlungsgrundsatz entsprochen, da die Betroffenen die Anwendung der eine Ungleichbehandlung auslösenden Regelung durch Gebrauch machen von einer Wahlmöglichkeit - hier der Verkleinerung ihrer Verkaufsfläche auf 800 m² - hätten beeinflussen oder gar ausschließen können. Das durch die angegriffene Betriebsschließung angestrebte Mehr an Infektionsschutz führte dagegen zu einer nicht mehr durch hinreichende Gründe gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Einzelhandelsbetrieben mit Verkaufsräumen, deren Fläche 800 m² überschritten und Einzelhandelsbetrieben, deren Verkaufsräume diese Fläche unterschritten. Ein - bezogen auf das Gewicht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG und die Eingriffsintensität - hinreichender sachlicher Grund, warum etwa ein Bekleidungs- oder Schuhgeschäft mit mehr als 800 m² umfassenden Verkaufsräumen vollständig zu schließen war, während ein gleichartiges Einzelhandelsgeschäft mit bis zu 800 m² umfassenden Verkaufsräumen von diesem Betriebsverbot vollständig ausgenommen war, ist nicht erkennbar. Insoweit stellt sich die Maßnahme als unverhältnismäßiger, weil nicht angemessener Eingriff dar. Dem Verordnungsgeber nach § 32 IfSG stand - unabhängig von einer möglichen Bindungswirkung der Vereinbarung zwischen der Bundeskanzlerin und den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 15. April 2020 - hier im Gegensatz zum Bundesgesetzgeber (vgl. hierzu: BVerfG, B.v. 21.7.2022 - 1 BvR 469/20 - juris Rn 130) kein Einschätzungs-, Wertungs- oder Gestaltungsspielraum zu.
84
Damit war § 2 Abs. 5 Nr. 1 2. BayIfSMV nicht mit dem Gebot der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Eine verfassungskonforme Auslegung bzw. Reduktion der Vorschrift dahingehend, dass alle sonstigen Einzelhandelsbetriebe - entsprechend der Vereinbarung zwischen Bund und Ländern vom 15. April 2020 - bei einer Verkaufsflächenbegrenzung auf 800 m² öffnen konnten (vgl. BayVGH, B.v. 28.4.2020 - 20 NE 20.793 - juris Rn. 40), kommt nicht in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Norm nur dann verfassungswidrig, wenn keine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist. Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen nur eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, so ist diese geboten (BVerfG, B.v. 9.1.1991 - 1 BvR 929/89 - BVerfGE 83, 201, 214 f.). Dies gilt auch bei der Auslegung untergesetzlicher Normen (BVerwG, B.v. 24.1.2019 - 10 BN 2.18 - BeckRS 2019, 1813). Hier sind allerdings bereits die Voraussetzungen einer verfassungskonformen Auslegung insofern nicht erfüllt, als die anerkannten Auslegungsmethoden (grammatikalisch, systematisch, entstehungsgeschichtlich und teleologisch) - wie oben dargelegt - nicht mehrere gleichermaßen denkbare Regelungsinhalte ergeben haben (vgl. auch Voßkuhle in v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 93 Rn. 52). Angesichts des Wortlauts der Vorschrift, dem klar geäußerten Willen des Verordnungsgebers und dem Umstand, dass es sich bei den Maßnahmen nach § 32 Satz 1 IfSG um ein Gesamtkonzept (vgl. BVerfG, B. v 11.11.2020 - 1 BvR 2530/20 - juris) handelte und es Sache des Verordnungsgebers war, Anpassungen dieses Konzeptes aufgrund des festgestellten Gleichheitsverstoßes vorzunehmen, scheidet eine verfassungskonforme Auslegung auch aufgrund dieser Besonderheit aus.
85
bb) Weiter ist im Hinblick auf den Gleichheitssatz zu beanstanden, dass lediglich „sonstige“ Einzelhandelsbetriebe, also solche, die nicht schon unter die Ausnahmetatbestände des § 2 Abs. 4 Satz 2 und Satz 4 2. BayIfSMV fallen, neben der Beschränkung auf Ladengeschäfte mit höchstens 800 m² großen Verkaufsräumen verpflichtet wurden, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass die Zahl der gleichzeitig im Ladengeschäft anwesenden Kunden nicht höher ist als ein Kunde je 20 m² Verkaufsfläche (§ 2 Abs. 5 Nr. 2 2. BayIfSMV). Ein sachlicher Grund für eine solche lediglich für bestimmte Einzelhandelsbranchen geltende Kundenzahlbegrenzung in Einzelhandelsgeschäften ist nicht ersichtlich. Zwar mag es zum damaligen Zeitpunkt fraglich gewesen sein, ob gerade auch der Lebensmittelhandel angesichts hoher Kundenzahlen und drohender Hamsterkäufe eine entsprechende Kundenbeschränkung überhaupt hätte durchführen können. Für die übrigen von dieser Beschränkung freigestellten Betriebe des § 2 Abs. 4 Satz 2 und Satz 4 2. BayIfSMV wie etwa Bau- und Gartenmärkte oder Buchhandlungen gilt diese Erwägung aber nicht. Die Differenzierung beruhte damit auf keinem sachlichen Grund und führte zur Unwirksamkeit des § 2 Abs. 5 Nr. 2 2. BayIfSMV.
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cc) Schließlich stellte die Freistellung von Buchhandlungen, Kfz-Handel und Fahrradhandel von der Begrenzung der Verkaufsfläche und der Kundenzahlbegrenzung nach § 2 Abs. 4 Satz 4 BayIfSMV eine sachlich nicht gerechtfertigte Ausnahme gegenüber dem übrigen Einzelhandel dar, der den Beschränkungen und Verboten nach § 2 Abs. 5 2. BayIfSMV unterlag.
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Die Einschränkungen im Einzelhandel waren nach den am 16. März 2020 auf der Bund-Länder-Konferenz beschlossenen „Leitlinien zum Kampf gegen die Corona-Epidemie“ (https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/leitlinien-zum-kampf-gegen-die-corona-epidemie-vom-16-03-2020-1730942) so konzipiert, dass der Einzelhandel grundsätzlich geschlossen bleiben sollte. Dagegen durften Geschäfte, die einen (nahezu) täglichen Bedarf (z.B. Lebensmittel) oder einen Bedarf von besonderer Bedeutung (z.B. Apotheken, Reinigungen) deckten, ausnahmsweise geöffnet haben. Entsprechend waren die Regelungen der 1. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung konzipiert. Zusätzlich bestand dort auch noch die Möglichkeit, im Einzelfall administrative Ausnahmen für andere „für die Versorgung der Bevölkerung notwendige Geschäfte“ zu erteilen (§ 2 Abs. 4 Satz 3 1. BayIfSMV).
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Durch die allgemeine Öffnung des Einzelhandels für Geschäfte mit Verkaufsräumen bis zu 800 m² mit Inkrafttreten der 2. BayIfSMV zum 20. April 2020 wurde sodann eine grundsätzlich neuartige und gegenüber dem Vorzustand (§ 2 Abs. 4 1. BayIfSMV) deutlich abgeschwächte Verbotsregelung eingeführt. Ausnahmen hiervon müssen sich aber ebenso am Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG messen lassen. Dies gilt auch für § 2 Abs. 4 Satz 4 2. BayIfSMV, der es der Bund-Länder-Vereinbarung aufgrund der Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 15. April 2020 folgend erlaubte, Buchhandlungen, Kfz-Handel und Fahrradhandel unabhängig von der Größe der Verkaufsräume (§ 2 Abs. 5 Nr. 1 2. BayIfSMV) und ohne Begrenzung der Kundenzahl (§ 2 Abs. 5 Nr. 2 2. BayIfSMV) zu öffnen. Für diese Ungleichbehandlung gegenüber den von § 2 Abs. 5 2. BayIfSMV erfassten „sonstigen“ Einzelhandelsgeschäften ist jedoch kein sachlich zu rechtfertigender Grund ersichtlich. Es ist zwar zutreffend, dass der Kraftfahrzeughandel, der Fahrradhandel (Mobilität) und die Buchhandlungen (Bildung und Wissenschaft) ins Gewicht fallende Versorgungsaufträge für die Bevölkerung erbringen. Wobei hier auf der anderen Seite auch zu berücksichtigen ist, dass eine erhöhte Mobilität in der Bevölkerung in der Regel mit einer erhöhten Infektionszahl einhergeht. Dies entsprach auch zum damaligen Zeitpunkt dem Stand der Wissenschaft und war auch bekannt (vgl. die Nachweise unter: https://www.rki.de/DE/Content/Forsch/Projektgruppen/Projektgruppe_4/P4_node.html; https://www.tagesschau.de/inland/corona-handydaten-101.html; https://www.reuters.com/article/deutschland-virus-rki-idDEKBN21A1AQ). Des Weiteren ist die Öffnung der Buchhandlungen ohne Verkaufsflächen- und Kundenzahlbegrenzungen und der damit mit Literatur verbundene Versorgungsauftrag nicht ohne weiteres mit der zu diesem Zeitpunkt noch vollständigen Schließung von Bibliotheken nach § 2 Abs. 1 Satz 2 2. BayIfSMV in Einklang zu bringen. Letztlich ist nicht ersichtlich, warum in dieser Phase der Pandemie der (möglicherweise) herausgehobene Versorgungsauftrag der Buchhandlungen, des Kfz-Handels und Fahrradhandels nicht ohne Weiteres durch den Onlinehandel und den kleinflächigen bzw. auf 800 m² Verkaufsfläche begrenzten stationären Einzelhandelsbetriebe hätte erfüllt werden können. Auch unter der späteren Geltung des durch das Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite eingefügten § 28a IfSG war es nach dessen § 28a Abs. 6 Satz 2 IfSG nur möglich, einzelne soziale, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Bereiche, die für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind, von den Schutzmaßnahmen auszunehmen, soweit ihre Einbeziehung zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) nicht zwingend erforderlich ist. Dass ein vergleichbares Bedürfnis bei großflächigen Buchhandlungen, dem Kfz-Handel und Fahrradhandel bestanden hätte, kann im Gegensatz zu der Mehrzahl der in § 2 Abs. 1 Satz 1 2. BayIfSMV genannten Handelsbetriebe nicht festgestellt werden.
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Außerhalb der Typisierungsbefugnis (s.o.) bestand für den Verordnungsgeber insoweit auch kein gerichtlich nicht voll überprüfbarer Gestaltungsspielraum. Ein solcher ist auch der Generalklausel des § 28 Abs. 1 IfSG nicht zu entnehmen (vgl. BayVGH, B.v. 4.10.2021 - 20 N 20.767 - juris; B.v. 7.3.2022 - 20 N 21.1926 - BeckRS 2022, 5016). Auf die Befugnis zur Typisierung kann sich der Antragsgegner zur Rechtfertigung einer - wie hier - Ausnahmeklausel nicht berufen. Eine generalisierende und typisierende Regelung ist zulässig, wenn sie sich realitätsgerecht am typischen Fall orientiert, die mit ihr verbundenen Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären und lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und wenn der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (BVerfG, U.v. 28.4.1999 - 1 BvL 22/95 u.a. - BVerfGE 100, 59 (90); B.v. 7.5.2013 - 2 BvR 909, 1981/06 u.a. - BVerfGE 133, 377 Rn. 87 f.; BVerwG, U.v. 28.6.2022 - 8 CN 1.21 - juris Rn. 35). Die Privilegierung des Kraftfahrzeughandels, Fahrradhandels und Buchhandels gegenüber „sonstigen“ Geschäften stellte aber gerade keine typisierende Regelung im Rahmen der verordneten Betriebsschließungen des Einzelhandels dar. Eine typisierende Regelung darf nämlich nur in besonders gelagerten Fällen Ungleichheiten entstehen lassen und nicht ganze Gruppen von Betroffenen stärker belasten (BVerfG, B.v. 15.10.1985 - 2 BvL 4/83 - BVerfGE 71, 39 (50)) oder bevorzugen (BVerfG, B.v. 30.5.1990 - 1 BvL 2/83 -BVerfGE 82, 126 (152)). Hier stellt die branchenspezifische Ausnahme für Einzelhandelsgeschäfte des Kraftfahrzeug-, Fahrrad- und Buchhandels gerade eine Abweichung von der typisierenden Regelung dar, die Öffnung von Einzelhandelsgeschäften zur Verhinderung von Infektionen weiterhin grundsätzlich zu untersagen und eine Öffnung nur bei Unterschreitung einer Verkaufsraumfläche von 800 m² und Beachtung einer Kundenzahlbegrenzung zuzulassen. Bei der Anwendung des Gleichheitssatzes bei der Prüfung von Schutzmaßnahmen nach den §§ 32 Satz 1, 28 IfSG ist die Zielrichtung der Maßnahmen vor allem während eines allgemeinen, flächendeckenden und nahezu sämtliche Lebensbereiche regelnden sog. Lockdowns zu berücksichtigen, die Infektionszahlen in der breiten Bevölkerung zu verringern oder zumindest zu dämpfen. Erlässt der Verordnungsgeber mit einem solchen Ziel allgemeine, das öffentliche Leben in Gänze oder zumindest in weiten Teilen regulierende Schutzmaßnahmen, verpflichtet ihn Art. 3 Abs. 1 GG zu einer möglichst weitgehenden Herstellung einer Belastungsgleichheit bzw. -gerechtigkeit. Verstößt der Verordnungsgeber bei der Ausgestaltung der Ausnahmen von den Verbotsregeln gegen den Gleichheitssatz, so kann sich dies auch auf die Adressaten der Verbotsregeln auswirken. Denn jede gleichheitswidrige Ausnahme von einer Verbotsmaßnahme schmälert die Effektivität der Maßnahme und kann damit zu einer längeren und damit intensiveren Belastung der von einschränkenden Schutzmaßnahmen Betroffenen führen. Hier hatte der Antragsgegner daher auch bei den Öffnungsverboten zulasten von Einzelhandelsgeschäften eine möglichst weitgehende Belastungsgleichheit sicher zu stellen, denn die Vielzahl von Ausnahmetatbeständen konnte aufgrund der dort stattfindenden Infektionen zu einer unangemessenen Verlängerung der Maßnahmen gegenüber den von den Verboten betroffenen Personen und Betrieben führen. Dem Gebot der Belastungsgleichheit wird die angegriffene Bestimmung mit der nicht durch zwingende Gründe gerechtfertigten Ausnahmeregelung für großflächige Buch-, Kraftfahrzeug- und Fahrradhandlungen nicht mehr gerecht.
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Damit verstieß die Herausnahme des Kraftfahrzeughandels, Fahrradhandels und Buchhandels gegen den Gleichheitssatz. Die festgestellten Verstöße der angegriffenen Rechtsvorschrift gegen Art. 3 Abs. 1 GG hatten die Unwirksamkeit der Vorschrift zur Folge.
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3. Der Antragsgegner trägt gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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4. Die Revision wird zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).