Inhalt

VGH München, Beschluss v. 04.11.2022 – 20 CE 22.2069
Titel:

Zur Unverzüglichkeit der Information der Öffentlichkeit iSd § 40 Abs. 1a LFGB

Normenketten:
LFGB § 40 Abs. 1a S. 1
VwGO § 146 Abs. 1
VIG § 5 Abs. 2
BGB § 121
Leitsätze:
1. Eine Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB erfolgt nur dann „unverzüglich“, wenn eine Verzögerung auf sachlichen Gründen beruht. Auf ein der Behörde zurechenbares Verschulden kommt es nicht an (a.A. VGH Baden-Württemberg, B.v. 9.11.2020 - 9 S 2421/20 = BeckRS 2020, 33823 - NVwZ-RR 2021, 437 - 440). (Rn. 19 und 24)
2. Alleine eine überlange Verfahrensdauer im Vorfeld einer Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB kann dazu führen, dass der Zweck der Information der Öffentlichkeit nicht mehr erreicht werden kann und die Veröffentlichung gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt, weil sie die betroffenen Unternehmerinteressen aus Art. 12 Abs. 1 GG unangemessen benachteiligt. (Rn. 12)
Schlagworte:
Darlegungserfordernis nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO, Unverzüglichkeit der Verbraucherinformation, Beschleunigungsgrundsatz, Dauer eines Verfahrens zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 VwGO, Unverzüglichkeit, Verbraucherinformation, Verfahrensdauer, Verdacht, Lebensmittel
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 31.08.2022 – AN 14 E 22.130
Fundstellen:
BayVBl 2023, 22
LSK 2022, 31585
LMuR 2023, 89
BeckRS 2022, 31585

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 31. August 2022 wird in den Ziffern 1. und 2. geändert. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, gemäß § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB folgende Informationen zu veröffentlichen:

Verantwortliche Behörde

Datum

Lebensmittel/Futtermittelunternehmen

Betroffenes Lebensmittel/Futtermittelunternehmen

Landratsamt E1.

Einstelldatum: tt.mm.yyyy Verstoß

festgestellt: 19.10.2021 Verstoß

beseitigt: 19.10.2021

Hofladen M., ...

...

Kategorie:

Sonstiges Lebensmittelunternehmen

Verstoß:

Inverkehrbringen von nicht zum Verzehr geeigneten Lebensmitteln: Bereithalten von durch Wachstum von Schimmelpilzen der Gattung Penicillium spp. verdorbenem Käse zum Verkauf.

Produkt:

Schnittkäse mit Bockshornkleesamen

Charge:

MHD: 07.10.2021,

02.11.2021

II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Ablehnung seines Eilantrags gegen eine vom Antragsgegner beabsichtigte Veröffentlichung auf der Internetseite des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL).
2
Am 19. Oktober 2021 wurden anlässlich einer Lebensmittelkontrolle im Hofladen des Antragstellers im Kühlraum 17 Käselaibe vorgefunden, die alle, teilweise stark, mit einem schimmelähnlichen Belag behaftet waren. Einer der Käselaibe (mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum 7. Oktober 2021) wurde als Verdachtsprobe entnommen und vom LGL mikroskopisch und mikrobiologisch untersucht. Mit Gutachten vom 29. Oktober 2021, das dem Antragsteller ausweislich eines Aktenvermerks am 2. November 2021 eröffnet wurde, stellte das LGL fest, dass der untersuchte Käselaib wegen Verderbs aufgrund des Wachstums von Schimmelpilzen der Gattung Penicillium spp. zum Verzehr durch den Menschen ungeeignet und damit nicht sicher im Sinne von Art. 14 Abs. 2 Buchst. b i.V.m. Art. 5 VO (EG) Nr. 178/2002 sei.
3
Die Probeentnahme eines weiteren Käselaibes am 2. November 2021 (MHD 2. November 2021) wurde mit Gutachten des LGL vom 17. November 2021 lebensmittelrechtlich identisch beurteilt. Am 22. November 2021 wurde der Antragsteller zu der auf Grundlage des am 19. Oktober 2021 festgestellten Verstoßes geplanten Veröffentlichung mit Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 6. Dezember 2021 angehört, verbunden mit der Ankündigung, nach erfolgter Stellungnahme über das Festhalten an der Veröffentlichungsabsicht zu informieren. Auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rechtsschutz innerhalb von sieben Werktagen nach dieser Mitteilung wurde hingewiesen. Nach Ablauf dieser Frist werde die Veröffentlichung erfolgen.
4
Am 29. November 2021 zeigte sich die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers an, erbat Akteneinsicht und legte nach entsprechend gewährter Fristverlängerung mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2021 Einwendungen gegen die geplante Veröffentlichung dar. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2021 hörte das Landratsamt die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers unter Einbeziehung der Ergebnisse der Probennahme vom 2. November 2021 erneut unter Bekanntgabe eines veränderten Veröffentlichungstextes (Einbeziehung der Probe mit MHD 2. November 2021) mit Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 4. Januar 2022 an, verbunden mit der Ankündigung, nach erfolgter Stellungnahme über das Festhalten an der Veröffentlichungsabsicht zu informieren. Auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rechtsschutz innerhalb von sieben Werktagen nach dieser Mitteilung wurde hingewiesen. Nach Ablauf dieser Frist werde die Veröffentlichung erfolgen.
5
Nach Stellungnahme der Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 4. Januar 2022 kündigte das Landratsamt mit Schreiben vom 11. Januar 2022, in dem es nochmals den Einwendungen des Antragstellers entgegentrat, an, nach Ablauf einer Wartefrist von sieben Tagen ab Zustellung dieses Schreibens die beabsichtigte Veröffentlichung vorzunehmen, sofern bis dahin keine gerichtliche Untersagung erfolgt sei.
6
Den am 20. Januar 2022 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 31. August 2022 ab, der der Prozessbevollmächtigten am 1. September 2022 zugestellt wurde. Bereits mit Schreiben vom 20. Januar 2022 hatte das Verwaltungsgericht die Behörde aufgefordert, bis zu einer gerichtlichen Entscheidung von Zwangsmaßnahmen abzusehen.
7
Zur Begründung des Beschlusses wurde ausgeführt, die Veröffentlichung erfolge unverzüglich im Sinne des § 40 Abs. 1a LFGB erfolgen. Eine fahrlässige Untätigkeit liege keinesfalls vor. Eine optimale Verfahrensgestaltung werde durch das Unverzüglichkeitserfordernis nicht verlangt. Auch die zweite Anhörung vom 21. Dezember 2021 sei notwendig und die hieraus erwachsene Verzögerung unverschuldet im Sinne des § 121 BGB, auf den zur Bestimmung des Tatbestandsmerkmals „unverzüglich“ nach der Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg (B.v. 9.11.2020 - 9 S 2421/20 - juris Rn. 21 = NVwZ-RR 2021, 437) zurückgegriffen werden könne. Im Übrigen liege ein hinreichend begründeter Verdacht im Fall von Proben nach § 38 Abs. 2a Satz 2 LFGB vor, weil mindestens zwei Untersuchungen durch eine Stelle nach Art. 37 Abs. 4 lit. e VO (EU) 2017/625 mit den Untersuchungen vom 29. Oktober 2021 und vom 17. November 2021 erfolgt seien. Die Gutachten seinen inhaltlich zutreffend, ein Beweisverwertungsverbot bestehe nicht.
8
Mit Schriftsatz vom 15. September 2022, der am selben Tag beim Verwaltungsgerichtshof einging, erhob der Antragsteller Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts. In der Begründung der Beschwerde vom 30. September 2022 rügte die Prozessbevollmächtigte, dass keine zwei Untersuchungen durch eine Stelle nach Art. 37 Abs. 4 lit. e VO (EU) 2017/625 vorlägen. Außerdem bestehe ein Beweisverwertungsverbot.
9
Mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2022 wies der Senat darauf hin, dass aufgrund Zeitablaufs wohl nicht mehr von der Unverzüglichkeit der Veröffentlichung ausgegangen werden könne. Der Antragsgegner verwies mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2022 darauf, dass der Antragsteller einen Verstoß gegen die Frist des § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB in der Beschwerdebegründung nicht gerügt habe und dass der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO bei seiner Prüfung auf die dargelegten Gründe beschränkt sei. Zu einer Verfahrensverzögerung führende, aber nicht der Sphäre des Antragsgegners zuzurechnende Umstände seien grundsätzlich nicht geeignet, die Unverzüglichkeit der Veröffentlichung in Frage zu stellen. Dies gelte grundsätzlich auch für die zeitliche Verzögerung, die maßgeblich auf der Zurückstellung der Veröffentlichung seitens der Behörde mit Blick auf das laufende gerichtliche Eilverfahren beruhe (VGH BW, a.a.O, Rn. 22).
10
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
11
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
12
Dem Antragsteller steht ein (durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu sichernder) Anspruch auf Unterlassung der Veröffentlichung gegenüber dem Antragsgegner zu. Die nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens beabsichtigte Veröffentlichung kann nicht mehr unverzüglich erfolgen. Darüber hinaus erweist sie sich inzwischen als unverhältnismäßig, weil zwischen den lebensmittelrechtlichen Verstößen und der beabsichtigten Veröffentlichung ein überlanger Zeitraum liegt, der dazu führt, dass der Zweck der Verbraucherinformation, wenn überhaupt, nur in geringem Maß zu erreichen ist und deshalb eine unangemessene Grundrechtsbeeinträchtigung des Antragstellers bewirkt. Sie würde auf nicht gerechtfertigte Weise in die Grundrechte des Antragstellers eingreifen, vor allem in dessen Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, B.v. 21.3.2018, 1 BvF 1/13 - NJW 2018,2109, Rn. 25ff; VGH BW, B.v. 28.1.2013 - 9 S 2423/12 - juris Rn. 10; HessVGH, B.v. 8.2.2019 - 8 B 2575/18 - juris Rn. 22).
13
1. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO steht diesem Ergebnis nicht entgegen, auch wenn der Antragsteller mit seiner Beschwerde die fehlende Unverzüglichkeit der Veröffentlichung nicht dargelegt hat. Grundsätzlich ist der Senat zwar auf die Prüfung der vorgebrachten und hinreichend dargelegten Gründe beschränkt (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 146 Rn. 27; Fehling/Kastner, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 146 VwGO Rn. 27 ff.). Allerdings ist Sinn und Zweck der Regelung des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nicht, unzutreffende Entscheidungen im Eilverfahren sehenden Auges aufrechtzuerhalten, um sie erst in einem ggf. nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu korrigieren (Guckelberger in Sodan/Ziekow, 5. Aufl. 2018, § 146 VwGO Rn. 111 m.w.N.; BayVGH, B.v. 27.8.2002 - 8 CS 02.1514 - NVwZ-RR 2003, 154 und B.v. 30.3.2020 - 20 CE 20.286 - juris = LMuR 2020, 263-264). Vielmehr soll die Norm die Arbeit des Rechtsmittelgerichts erleichtern und beschleunigen (Dombert in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 411). Zu Verzögerungen kommt es aber nicht, wenn das Rechtsmittelgericht auf offensichtliche tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte aufmerksam wird, die von den Beteiligten bislang nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden. Dies gilt aus prozessökonomischer Sicht auch im Hinblick auf ein späteres Hauptsacheverfahren. Zudem drängt sich die Tatsache eines erheblichen zeitlichen Abstands zwischen der Feststellung des Verstoßes und der beabsichtigten Veröffentlichung geradezu auf.
14
Hier gebietet die Bedeutung des betroffenen Grundrechts des Antragstellers aus Art. 12 Abs. 1 GG und das Erfordernis effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG sowie die Offensichtlichkeit eines erheblichen Zeitablaufs seit der erstmaligen Feststellung eines Verstoßes eine einschränkende Auslegung des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO. Da die Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB unverzüglich zu erfolgen hat und nach § 40 Abs. 4a LFGB (bereits) nach 6 Monaten wieder zu löschen ist, wird ein Hauptsacheverfahren, in dem die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung umfassend geprüft wird, regelmäßig nicht stattfinden (vgl. hierzu auch BVerfG, B.v. 8.2.1983 - 1 BvL 20/81 - BVerfGE 63, 131), sodass eine Veröffentlichung für den betroffenen Unternehmer zu möglicherweise irreversiblen Schäden und zu empfindlichen Grundrechtseingriffen führen kann (BVerfG, B.v. 21.3.2018 - 1 BvF 1/13 - NJW 2018, 2109; BayVGH, B. v. 2. 4. 2020 - 20 CE 20.286 - BeckRS 2020, 5452).
15
2. Nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB informiert die zuständige Behörde unverzüglich die Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels sowie unter Nennung des Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel oder Futtermittel hergestellt oder behandelt oder in den Verkehr gelangt ist, wenn der durch Tatsachen, im Falle von Proben nach § 38 Abs. 2a Satz 2 LFGB auf der Grundlage von mindestens zwei Untersuchungen durch eine Stelle nach Art. 37 Abs. 4 Buchst. e der Verordnung (EU) 2017/625 hinreichend begründete Verdacht besteht, dass gegen sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes, die dem Schutz der Endverbraucher vor Gesundheitsgefährdungen oder vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, in nicht nur unerheblichen Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden ist und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens dreihundertfünfzig Euro zu erwarten ist oder eine Sanktionierung wegen einer Straftat zu erwarten ist und deswegen gemäß § 41 OWiG eine Abgabe an die Staatsanwaltschaft erfolgt ist.
16
a) Nach Aktenlage dürften die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm vorgelegen haben, sodass die Behörde nach Feststellung des Verstoßes unverzüglich zur Information der Öffentlichkeit verpflichtet war. Im Kühlraum des Hofladens des Antragstellers lagerten 17 zum Verkauf bestimmte Käselaibe, die sensorisch wahrnehmbar von Schimmel befallen waren. Dieser durch Tatsachen hinreichend begründete Verdacht wurde durch die mikroskopische und mikrobiologische Analyse des LGL von zwei beprobten Käselaiben bestätigt. In seinen Gutachten vom 19. Oktober 2021 und 17. November 2021 stellte es fest, dass die Käselaibe aufgrund Wachstums von Schimmelpilzen der Gattung Penicillium ssp. zum menschlichen Verzehr ungeeignet und damit nicht sicher im Sinne des Art. 14 Abs. 2 Buchst. b VO (EG) Nr. 178/2002 waren. Art. 14 VO (EG) Nr. 178/2002 dient vor allem dem Schutz der Verbraucher vor Gesundheitsgefährdungen, in dem das Inverkehrbringen nicht sicherer Lebensmittel untersagt wird, ohne dass es auf das Bestehen einer konkreten Gesundheitsgefahr ankommt (vgl. Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand November 2021, § 40 Rn. 107 und 23; Boch, Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch, 8. Online-Auflage 2019, § 40 Rn. 50).
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b) Jedoch kann das Tatbestandsmerkmal der Unverzüglichkeit der Information der Öffentlichkeit im Sinne des § 40 Abs. 1a LFGB schon zum Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Verfahrens nicht mehr als erfüllt angesehen werden.
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aa) Die konkrete Dauer des Verfahrens allein erlaubt angesichts der unterschiedlich denkbaren Fallgestaltungen und wegen der im Einzelfall erforderlichen Ermittlungsmaßnahmen keine Aussage über die Beachtung des Unverzüglichkeitserfordernisses. Die Festlegung von Zeiträumen, in welchen Ermittlungsmaßnahmen abgeschlossen sein müssen, ist angesichts der unterschiedlichen lebensmittelrechtlichen Fallgestaltungen nicht möglich, sodass die Frage, ob die Veröffentlichung „unverzüglich“ erfolgen soll bzw. erfolgt ist, in jedem Einzelfall zu klären ist. Zur Bestimmung des angemessenen Zeitkorridors im Sinne des § 40 Abs. 1a LFGB kann orientierend die Wertung des § 5 Abs. 2 VIG herangezogen werden: Der Auskunftsanspruch nach dem VIG gilt auch für Erzeugnisse im Sinne des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (§ 1 Nr. 1 VIG). Danach soll die Behörde binnen eines bzw. zwei Monaten über den Anspruch auf Information entscheiden.
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Der Wortlaut der Norm legt zwar nahe, zur Bestimmung des Sinngehalts des Begriffs „unverzüglich“ auf die Legaldefinition des § 121 BGB („ohne schuldhaftes Zögern“), also auf ein subjektives, an vorwerfbares Verhalten anknüpfendes Verständnis abzustellen (so VGH BW, B.v. 9.11.2020 - 9 S 2421/20 - juris Rn. 21 m.w.N.; OVG Bremen, B.v. 25.2.2022 - 1 B 487/21 - juris; VG Bayreuth, B.v. 31.8.2021 - B 7 E 21.945 - juris Rn. 44; VG Frankfurt, B.v. 12.12.2019 - 5 L 3285/19.F. - juris Rn. 27; VG Oldenburg, B.v. 28.8.2019 - 7 B 2221/19 - NVwZ 2020, 492 - juris Rn. 18 ff.). Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Norm und auf den Gesetzeszweck verdeutlicht aber, dass es sich bei dem Begriff „unverzüglich“ nicht um eine nach subjektiven, sondern um eine nach objektiven Kriterien zu bemessende Zeitspanne zwischen dem festgestellten Verstoß und seiner Veröffentlichung handelt. Damit ist eine Veröffentlichung nur unverzüglich, wenn die Verzögerung auf sachlich gerechtfertigten Gründen beruht (vgl. Art. 104 GG).
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Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 21. März 2018 (1 BvF 1/13, NJW 2018, 2109) die Nichtigkeit von § 40 Abs. 1a LFGB wegen der Unvereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG festgestellt hatte, weil die Information der Öffentlichkeit gesetzlich nicht befristet war und sich der Grundrechtseingriff deshalb als unverhältnismäßig erwies, trug der Bundesgesetzgeber der verfassungsrechtlichen Kritik durch Aufnahme des § 40 Abs. 4a LFGB Rechnung, der die Dauer der Information auf sechs Monate befristete (Artikel 1 - Erstes Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches vom 24. April 2019 - 1. LFGBÄndG - BGBl. I S. 498). Das BVerfG hatte in der genannten Entscheidung festgestellt, dass die mit der Regelung einhergehenden Grundrechtsbeeinträchtigungen mit der Dauer der Veröffentlichung außer Verhältnis zu den mit der Veröffentlichung erreichbaren Zwecken gerieten. Je länger die Verbreitung andauere, umso größer werde die Diskrepanz zwischen der über die Zeit steigenden Gesamtbelastung des Unternehmens einerseits und dem abnehmenden Wert der Information für die Verbraucherinnen und Verbraucher andererseits und umso weniger sei den Betroffenen die Veröffentlichung zuzumuten.
21
Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen zum Änderungsgesetz wurde in § 40 Abs. 1a LFGB in diesem Zusammenhang das Wort „unverzüglich“ eingefügt. Den Gesetzesmaterialien lässt sich hierzu entnehmen: „Mit der Ergänzung werden die zuständigen Vollzugsbehörden verpflichtet, nach der abschließenden Ermittlung des Sachverhalts die erforderliche Veröffentlichung ohne Zeitverzug vorzunehmen. Verzögerungen von zum Teil mehreren Monaten zwischen der Feststellung von Verstößen und einer Veröffentlichung, wie in der Vergangenheit teilweise erfolgt, sind im Sinne der Verbraucherinformation nicht zweckdienlich“ (BT-Drs. 19/8349, S. 19). Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens war Kritikpunkt, dass die Festschreibung der Veröffentlichungsdauer auf sechs Monaten die Verbraucherrechte einschränke. Bis zur Gesetzesänderung sei in vielen Bundesländern für die vollziehenden Behörden ein Zeitraum von 12 Monaten Anhaltspunkt für die Dauer der Veröffentlichung gewesen (vgl. BT-Drs. 19/8349, S. 12). Auffassung in der parlamentarischen Beratung war auch, der Verbraucher habe nicht so viel davon, dass die Informationen über die Unternehmen möglichst lange im Internet stünden, sondern er profitiere mehr davon, wenn unverzüglich, nachdem z.B. ein Hygienemangel festgestellt sei, dies veröffentlicht werde (vgl. BT-Drs. 19/8349, S. 16). Weiter heißt es in der Gesetzesbegründung, je weiter der Verstoß zeitlich entfernt sei, desto geringer sei der objektive Informationswert seiner Verbreitung, weil sich vom Verstoß in der Vergangenheit immer weniger auf die aktuelle Situation des betroffenen Unternehmens schließen lasse (BT-Drs. 19/8349 S. 19 unter Hinweis auf BVerfG, B.v. 21.3.2018 - 1 BvF 1/13 - Rn. 58).
22
Damit ist den Änderungen in § 40 Abs. 4a und § 40 Abs. 1a LFGB gemeinsam, dass sie das Bedürfnis nach Verbraucherinformation nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in einen angemessenen Ausgleich mit der Belastung des betroffenen Unternehmens bringen und so dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mit Aufnahme von Zeitelementen in die Norm zum einen im Hinblick auf die Zeitspanne zwischen der Feststellung des Verstoßes und seiner Veröffentlichung und zum anderen zwischen der Veröffentlichung und ihrer Löschung Rechnung tragen sollen. Denn alleiniger Zweck der Veröffentlichung ist die Information des Verbrauchers, der auf der Grundlage der erfolgten Veröffentlichung sein Konsumverhalten steuern können soll (vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 49). Wenn aber zwischen dem festgestellten Verstoß und der Veröffentlichung ein so langer Zeitraum liegt, dass die Verbraucher die Veröffentlichung zur Steuerung ihres Konsumverhaltens nicht mehr im Einklang mit dem Normzweck nutzen können, ist der Eingriff in das Grundrecht des Lebensmittelunternehmers nicht mehr gerechtfertigt. Angesichts der gesetzgeberischen Wertung gilt deshalb im Rahmen des § 40 Abs. 1a LFGB in besonderem Maße der Beschleunigungsgrundsatz, um den Verbraucherschutz durch zeitnahe angemessene Information zu gewährleisten. Damit wird eine objektive, verschuldensunabhängige Pflicht der Öffentlichkeit gegenüber begründet. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB vor und hat die Behörde die notwendigen Ermittlungen abgeschlossen, ist sie zur Information der Öffentlichkeit verpflichtet. Ein Ermessen eröffnet die Norm nicht. Die Gründe, die - nach Abschluss der notwendigen Ermittlungen - zu einer Verzögerung im Verfahren führen, sind angesichts des Informationsbedürfnisses der Öffentlichkeit nach dem Zweck und der Entstehungsgeschichte der Norm unbeachtlich, weshalb ein Rückgriff auf die subjektiven Elemente in § 121 BGB sich nicht als dem Normzweck dienlich erweist.
23
Das Bundesverfassungsgericht hat das Zurücktreten der Unternehmerinteressen hinter die Interessen des Verbraucherschutzes grundsätzlich nicht in Frage gestellt (vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 31 und 49). Den Schutz der Interessen des betroffenen Unternehmens nimmt § 40 Abs. 1a LFGB aber mittelbar und ausschließlich im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in den Blick. Deshalb kann sich der von der Veröffentlichung betroffene Unternehmer nur darauf berufen, dass der Zweck der Veröffentlichung nach Ablauf einer zu großen Zeitspanne nicht mehr oder nur noch in sehr geringem Maße erreichbar ist und deshalb unangemessen in seine grundrechtlich geschützten Positionen aus Art. 12 Abs. 1 GG eingreift. Da der Grundrechtseingriff auf der Seite des Unternehmens nur durch das Verbraucherinteresse an unverzüglicher Information gerechtfertigt ist, kann das Verstreichen von Zeit zwischen der Feststellung des zu veröffentlichenden Verstoßes und der Veröffentlichung dazu führen, dass die Veröffentlichung sich als unverhältnismäßig erweist.
24
Eine Veröffentlichung erweist sich nur solange als unverzüglich im Sinne des § 40 Abs. 1a LFGB, als eine Verzögerung auf sachlichen Gründen beruht. Dazu gehören regelmäßig die zeitlichen Erfordernisse zur Ermittlung des zur Veröffentlichung bestimmten Sachverhalts je nach der konkreten Sachverhaltsgestaltung (etwa die notwendige Dauer bis zur Vorlage von Untersuchungsergebnissen), die Gewährleistung der Verfahrensrechte des Betroffenen im angemessenen Umfang (Anhörung nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG, Akteneinsichtsrecht nach Art. 29 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG) und - jedenfalls grundsätzlich - die Dauer eines gerichtlichen Eilrechtsschutzverfahrens (zum Ganzen vgl. VGH BW, B.v. 9.11.2020 - 9 S 2421/20 m.w.N.; so auch VG Bayreuth, B.v. 31.8.2021 - B 7 E 21.945 -, juris Rn. 44; ebenso OVG Bremen, B.v. 25.2.2022 - 1 B 487/21 -, juris). Auf die Frage der Vorwerfbarkeit der Verzögerung auf Seiten der zuständigen Behörde kommt es hingegen nicht an. Auch sonstige zu einer Verfahrensverzögerung führende Umstände, die nicht der Sphäre der Behörde, sondern derjenigen des Lebensmittelunternehmers zuzurechnen sind, sind grundsätzlich nicht geeignet, die Unverzüglichkeit der Veröffentlichung in Frage zu stellen.
25
§ 40 Abs. 1a LFGB räumt der Behörde bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen (siehe 2a) gerade kein Entscheidungsermessen ein, sondern verpflichtet sie zu einer unverzüglichen Veröffentlichung. Über die Möglichkeit, gerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch zu nehmen, kann der von der Veröffentlichung Betroffene Unternehmer seine Rechte in ausreichendem Umfang wahren, da im Falle seines Obsiegens entweder die Veröffentlichung untersagt wird oder eine bereits erfolgte Veröffentlichung wieder (unter Umständen mit der Verpflichtung zum Ersatz des dem Unternehmen entstandenen Schadens) entfernt werden muss. Dem Kriterium der Unverzüglichkeit, aus dem sich unmittelbar die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme ergibt, ist ein Zuwarten der zum unverzüglichen Tätigwerden verpflichteten Behörde abträglich. Dass der Betroffene versucht, die Veröffentlichung möglichst weit hinauszuschieben, indem wiederholt - möglicherweise auch substanzlose und unbeachtliche - Einwendungen gegen die drohende Veröffentlichung geltend gemacht werden, ist nachvollziehbar. Auf dieses verfahrenstaktische Verhalten des Betroffenen braucht sich die Behörde aber - ist sie sicher, dass ein zu veröffentlichender lebensmittelrechtlicher Verstoß im Sinne des § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB vorliegt - nicht einzulassen, sofern die nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG notwendige Anhörung zur beabsichtigten Veröffentlichung stattgefunden hat sowie die weiteren Verfahrensrechte des Betroffenen in ausreichendem Umfang gewahrt wurden. Im Gegenteil ist sie vielmehr zum Tätigwerden verpflichtet, um den Verbraucherschutzinteressen gerecht zu werden.
26
bb) Unter Anwendung der vorgenannten Grundsätze stellt sich die Veröffentlichung jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung im Beschwerdeverfahren als unverhältnismäßig dar. Dem Antragssteller steht deshalb ein im Eilverfahren zu sichernder Unterlassungsanspruch gegenüber dem Antragsgegner zu.
27
(1) Die geplante Veröffentlichung, die dem Antragsteller am 11. Januar 2022, also knapp drei Monate nach der Feststellung eines lebensmittelrechtlichen Verstoßes, vom Landratsamt endgültig angekündigt wurde, war zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr unverzüglich im Sinne des § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB. Nach Aktenlage wäre der Behörde die Veröffentlichung spätestens nach Ablauf der im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Veröffentlichung eingeräumten Frist zur Stellungnahme schon am 15. Dezember 2021 möglich gewesen. Dass nach Einbeziehung des Ergebnisses der weiteren Probenentnahme vom 2. November 2021 mit der Veröffentlichung bis sieben Werktage nach Zustellung des Schreibens vom 11. Januar 2022 zugewartet werden sollte, begegnet im Hinblick auf die zu schützenden Verbraucherinteressen bereits rechtlichen Bedenken, weil es sich nicht um einen neuen, sondern um den gleichen Verstoß (Bereithaltung aufgrund Schimmelbefalls verdorbener Käselaibe zum Verkauf) handelte. Ein Gewinn für das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit ergab sich aus der Tatsache, dass der Befall eines weiteren Käselaibes mit Schimmelpilzen durch das LGL bestätigt wurde, nur insofern, als der Verderb in diesem Fall bereits vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums aufgetreten war. Die Behörde war auch nicht verpflichtet, auf die wiederholten Einwendungen des Antragstellers einzugehen und jede seiner Einwendungen erschöpfend zu beantworten.
28
(2) Hinzu tritt der Umstand einer überlangen Dauer des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vor dem Verwaltungsgericht. Zwar kann diese der Behörde nicht zugerechnet werden, weil sie während der Dauer eines gerichtlichen Eilverfahrens im Hinblick auf das verfassungsmäßige Recht auf Gewährleistung effektiven Rechtschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG verpflichtet ist, keine vollendeten Tatsachen zu schaffen und möglicherweise irreparable Maßnahmen zu vollziehen, bevor ein Gericht ihre Rechtmäßigkeit überprüft hat (vgl. BVerfG, B.v. 18.7.1973 - 1 BvR 23/73, 1 BvR 155/73, - juris Rn. 64; BVerfG, B.v. 21.3.1985 - 2 BvR 1642/83, - juris Rn. 19; BVerfG, B.v. 4.6.1987 - 1 BvR 620/87 -, NJW 1987, S. 2219). Dies gilt auch für den vorläufigen Rechtsschutz (vgl. BVerfG, B.v. 4.6.1987, a.a.O. S. 2219).
29
Jedoch führt im hier vorliegenden Einzelfall eine Dauer des gerichtlichen Verfahrens bis zur erstinstanzlichen Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes von sieben Monaten dazu, dass der Zweck der Veröffentlichung, die Verbraucher über die lebensmittelrechtlichen Verstöße im Unternehmen des Antragstellers zu informieren und ihnen eine bewusste Konsumentscheidung zu ermöglichen, nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr in einer Aktualität zu erreichen ist, der den erheblichen Eingriff in das Grundrecht des Antragstellers aus Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigen könnte. Sachliche Gründe, die zu dieser Verzögerung geführt haben, lassen sich den Gerichtsakten nicht entnehmen. Die geplante Veröffentlichung erweist sich deshalb im Zeitpunkt dieser Entscheidung als unangemessen.
30
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
31
4. Der Streitwert war mangels Anhaltspunkten für die Bedeutung der Sache für den Antragsteller im Sinne von § 52 Abs. 1 GKG in Höhe des Auffangstreitwerts nach § 52 Abs. 2 GKG festzusetzen. Da der Antrag auf eine Vorwegnahme der Hauptsache abzielte, war dieser nach der Empfehlung der Ziff. 1.5, Satz 2 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht zu halbieren, obwohl es sich vorliegend um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes handelte.
32
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO