Inhalt

VGH München, Beschluss v. 25.10.2022 – 19 CE 22.1817
Titel:

Kein Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Unterlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen aus Gründen der Familienzusammenführung (Nordmazedonien)

Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1, § 146 Abs. 4 S. 6
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8
AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1, S. 2, § 36a Abs. 2 S. 3, § 50 Abs. 1, § 58 Abs. 1, Abs. 2, § 60a Abs. 2 S. 1, § 81 Abs. 3, Abs. 4
Familienzusammenführungs-RL Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3, Art. 13, Art. 16
Leitsätze:
1. Die Aussetzung der Abschiebung zur Sicherung der effektiven Verfolgung und Geltendmachung eines Aufenthaltstitels, dessen Beantragung nicht die Fiktionswirkung nach § 81 AufenthG auslöst, widerspricht grundsätzlich der durch § 50 Abs. 1 AufenthG , § 58 Abs. 1 und 2 AufenthG, § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG vorgegebenen Systematik und Konzeption des Aufenthaltsgesetzes. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Art. 6 GG (wie auch Art. 8 EMRK) gewährt keinen unmittelbaren Anspruch auf einen Aufenthalt im Bundesgebiet. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein auf Familienzusammenführung gestützter Aufenthaltsanspruch setzt nach Art. 5 Abs. 3 Familienzusammenführungs-RL und Art. 13 Familienzusammenführungs-RL voraus, dass der Antrag auf Familienzusammenführung vor der Einreise in den Aufnahmestaat gestellt und geprüft wird. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nordmazedonien, Zumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens, Aussetzung der Abschiebung, Eilrechtsschutz, Abschiebungshindernis, Ehe und Familie, Familienzusammenführung, Kindeswohlgefährdung, mangelnde Sprachkenntnisse, RL 2003/86/EG
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 22.07.2022 – AN 5 E 22.1479
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31579

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250 Euro festgesetzt.

Gründe

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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
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Die Prüfung der für die Begründetheit der Beschwerde streitenden Gründe ist im Grundsatz auf das in der Beschwerdebegründung Dargelegte beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Danach ergibt sich nicht, dass die Antragsgegnerin entgegen der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten wäre, alle aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegenüber der am ... März 2006 geborenen und nach eigenen Angaben am 20. Juli 2020 gemeinsam mit ihrer am ... Oktober 1979 geborenen Mutter (Antragstellerin im Verfahren 19 CE 22.1817) und ihrem am ... Oktober 2008 geborenen Bruder (Antragsteller im Verfahren 19 CE 22.1815) in das Bundesgebiet zu ihrem sich seit 21. Januar 2019 im Bundesgebiet aufhaltenden und bis zum 12. Juni 2020 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18 Abs. 3 AufenthG a.F. i.V.m. § 26 Abs. 2 BeschV besitzenden Vater (über dessen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist noch nicht entschieden worden) eingereisten Antragstellerin, allesamt nordmazedonische Staatsangehörige, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über ihre Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Aufhebung des Bescheids der Antragsgegnerin vom 24. Mai 2022, zu unterlassen. Mit diesem Bescheid lehnte die Antragsgegnerin die Erteilung eines Aufenthaltstitels ab (Nr. I des Bescheids), drohte der Antragstellerin unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise die Abschiebung insbesondere nach Nordmazedonien an (Nrn. II und III des Bescheids), und erließ für den Fall einer Abschiebung ein auf zwei Jahre befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot (Nr. IV des Bescheids).
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Das Verwaltungsgericht führt zur Begründung des Eilantrags im angegriffenen Beschluss aus, der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO erforderliche Anspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG sei nicht glaubhaft gemacht worden. Die Antragstellerin sei gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig, da sie den gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG für den Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitze. Sie dürfe zwar als nordmazedonische Staatsangehörige für einen Kurzaufenthalt von 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen (Art. 20 Abs. 1 SDÜ) visumfrei einreisen. Da sie aber bereits am 20. Juli 2020 eingereist sei, habe sie jedenfalls diesen Zeitraum überschritten. Die Ausreisepflicht sei vorliegend gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG auch vollziehbar. Tatsächliche oder rechtliche Gründe, die die Abschiebung i.S.d. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG unmöglich machen würden, seien nicht substantiiert dargelegt und auch nicht ersichtlich. Weder begründe der noch nicht rechtskräftig entschiedene Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ein Abschiebungshindernis noch habe die Antragstellerin einen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG glaubhaft gemacht. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis habe keine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgelöst, da sich die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Beantragung am 28. Juni 2021 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Bezüglich § 32 Abs. 1 AufenthG scheide ein Anspruch auf Verfahrensduldung aufgrund des Ausnahmecharakters schon deswegen aus, weil ein etwaiger Titelerteilungsanspruch nicht von einem noch bestehenden Aufenthalt im Bundesgebiet abhängig sei und damit durch eine etwaige Abschiebung nicht im obigen Sinne rechtsvernichtend in die Rechte der Antragstellerin eingegriffen würde. Im Übrigen sei auch ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 1 AufenthG nicht glaubhaft gemacht worden. Die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 32 Abs. 1 AufenthG lägen nicht vor, da weder beide Elternteile noch ein allein sorgeberechtigter Elternteil (jeweils) einen der dort genannten Aufenthaltstitel besitze. Die Mutter der Antragstellerin sei nicht im Besitz eines in § 32 Abs. 1 AufenthG aufgeführten Aufenthaltstitels und habe auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Insoweit werde auf die Gründe des am heutigen Tag erlassenen Beschlusses im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes der Mutter (Az. AN 5 E 22.01475) verwiesen. Außerdem seien auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG - nach summarischer Prüfung anhand der Aktenlage - nicht gegeben. Jedenfalls die Voraussetzung der Einreise mit dem für die beantragte Aufenthaltserlaubnis erforderlichen Visum aus § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sei nicht erfüllt. Selbst wenn von diesem Erfordernis nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden könnte - was bereits aufgrund des Fehlens der besonderen Erteilungsvoraussetzungen hypothetisch bleiben müsse - seien die hilfsweise von der Antragsgegnerin im Bescheid angeführten Ermessenserwägungen nicht zu beanstanden. Die Antragstellerin habe auch keinen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG glaubhaft gemacht. Vorliegend sei bereits nicht ersichtlich, dass es der Antragstellerin und ihrer Familie, insbesondere ihrem Vater, nicht zumutbar wäre, die Lebensgemeinschaft in Nordmazedonien fortzuführen. Der Vater der Antragstellerin sei - wie die Mutter und der Bruder - nordmazedonischer Staatsangehöriger und lebe erst seit Januar 2019 im Bundesgebiet. Er sei bislang nur im Besitz von befristeten Aufenthaltserlaubnissen gewesen und habe daher auch kein berechtigtes Vertrauen auf einen dauerhaften Aufenthalt im Bundesgebiet. Dass sein derzeitiger Aufenthalt verlängert werden könne, sei - insbesondere, da eine Lebensunterhaltssicherung für die gesamte Bedarfsgemeinschaft einschließlich der Kindsmutter und den Kindern nicht glaubhaft gemacht worden sei bzw. ersichtlich sei, - nach Aktenlage nicht sicher. Hinzu komme, dass sich der Vater der Antragstellerin Anfang 2019, also nach ca. 13 Jahren Ehe mit der Kindsmutter, bewusst dafür entschieden habe, seine Familie in Nordmazedonien zu verlassen, ohne zu wissen, ob und wann ein Nachzug der Familie erfolgen können werde. Seine beiden Kinder seien zu diesem Zeitpunkt bereits zehn und zwölf Jahre alt gewesen. Die Familie habe aufgrund des freiwilligen Entschlusses des Vaters der Antragstellerin, das Heimatland zu verlassen, von Januar 2019 bis Juli 2020, also ca. eineinhalb Jahre, getrennt gelebt. Vor diesem Hintergrund erscheine es auch im Lichte des Art. 6 Abs. 1 GG in der Gesamtschau nicht als unverhältnismäßig, die Antragstellerin - und auch ihre übrigen Familienmitglieder - auf die Möglichkeit der Herstellung der Lebensgemeinschaft im Herkunftsland oder auf das Visumverfahren zum Familiennachzug zu verweisen. Letzteres auch denn, wenn das Visumverfahren aus Sicht der Antragstellerin - nach ihrem Vortrag ohnehin nur in Bezug auf ihre Mutter - mit unsicheren Erfolgsaussichten verbunden sei. Auch vermittle der Schulbesuch der Antragstellerin - anders als von ihrem Bevollmächtigten geltend gemacht - keinen tatsächlichen Duldungsgrund. Zwar könne einem Ausländer eine Duldung aus dringenden persönlichen Gründen erteilt werden, worunter wohl auch ein unmittelbar bevorstehender schulischer Abschluss falle. Dass ein Schulabschluss bei der Antragstellerin unmittelbar bevorstünde, sei aber von ihr nicht geltend gemacht worden und ergebe sich auch nicht aus den vorgelegten Zeugnissen und Bescheinigungen.
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Zur Begründung der Beschwerde lässt die Antragstellerseite vortragen, der Familiennachzug zu in Deutschland lebenden Ausländern mit Aufenthaltserlaubnis sei ein Anspruchsnachzug, bei dem ein Absehen von dem an sich erforderlichen Visum möglich sei. Grundsätzlich gelte § 27 AufenthG. Die Aufenthaltserlaubnis werde zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG erteilt und verlängert. Hiernach sei ausreichend, dass derjenige, zu dem der Nachzug erfolgen soll, einen Aufenthaltstitel habe, solange dieser über ein Jahr gültig sei. Die Erlangung eines dauerhaften Aufenthaltsrechts müsse lediglich möglich sein, sie müsse aber nicht unmittelbar bevorstehen. Auch müsse kein ständiges, sondern nur ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erlangt werden. Dies werde nicht ausschließlich durch eine Niederlassungserlaubnis, sondern könne durch die normale verlängerte Aufenthaltserlaubnis begründet werden. Deshalb finde die Daueraufenthaltsrichtlinie keine Anwendung auf Personen wie beispielsweise Au-Pair oder Saisonarbeitnehmer oder bei Personen im Sinne des § 8 Abs. 2 AufenthG etc. Damit finde die oben genannte Richtlinie vorliegend ihre Anwendung. Die Anwendbarkeit ergebe sich auch aus § 30 Abs. 1 AufenthG, deren Voraussetzungen für den hier lebenden Ausländer vorlägen. Damit bestehe ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Familienangehörigen im Sinne des §§ 27 ff. AufenthG. Der Ehegatte müsse in der Lage sein, sich zumindest auf rudimentäre Weise in Deutsch zu verständigen. Er müsse zu geläufigen Alltagsdingen wenigstens Verb und Objekt bilden und entsprechende Sätze anderer mehr als nur selten verstehen können. Maßgeblich sei nicht die Vorlage eines entsprechenden Zertifikates, sondern seien die tatsächlichen Sprachkenntnisse. Zumindest rudimentäre Kenntnisse der deutschen Sprache habe die Kindsmutter nachgewiesen. Die antragstellenden Kinder könnten ohnedies Deutsch. Die Antragsgegnerin habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass der Spracherwerb der Kindsmutter insofern kein Hindernis sei, als ihr gestattet werden könne, den Spracherwerb in Deutschland nachzuholen. Für diese Dauer könne den Antragstellern ohne weiteres eine Duldung, jedenfalls Schutz vor Abschiebung, erteilt werden, solange, bis der formelle Spracherwerb durch Nachweis einer Sprachprüfung erfolgreich sei. Das Argument des Verwaltungsgerichts, dass die Familie ja auch im Herkunftsland gemeinsam leben könnte, verfange schon unter Kindeswohlgesichtspunkten nicht. Denn sowohl das Kontinuitätsprinzip als auch das Forderungsprinzip sprächen hier deutlich dagegen. Die Kinder lebten nunmehr bereits seit 2 Jahren in Deutschland. Es könne ihnen nicht mehr zugemutet werden, wieder auszureisen und nochmals neu anzufangen, insbesondere abzuwarten, ob ihre Mutter nun endlich den Sprachtest schaffe oder nicht. Auch sehe die Familienzusammenführungsrichtlinie dieses Argument ebenfalls nicht. Auf § 36a Abs. 2 Satz 3 AufenthG werde insofern verwiesen. Insbesondere wäre noch auf den Gedanken hinzuweisen, dass die Mutter gewillt wäre, ihr Sorgerecht abzugeben. Dies wäre aber unter Berücksichtigung des Gedankens des Art. 6 GG eine Motivation, die gerade durch das Gesetz vermieden werden soll. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei insofern weder mit Art. 6 GG noch mit dem geltenden Recht in Einklang zu bringen. Art. 6 GG könnte, wie im vorliegenden Fall, erforderlich machen, dass den Ausländern die Möglichkeit eröffnet werde, da nach dem sie vergebliche Bemühungen des Spracherwerbs nachgewiesen hätten, den Spracherwerb in Deutschland noch nachzuholen. Dazu wäre eine ausreichende Frist zu setzen gewesen. Dies sei nicht erfolgt. Die übrigen Voraussetzungen lägen vor. Dies auch dann, wenn über den Verlängerungsantrag des Ausländers, zu dem nachgezogen werden soll, noch nicht entschieden worden sei. Denn eine Versagung der Aufenthaltserlaubnis für den Ausländer, zu dem nachgezogen werden soll, sei wohl nicht ansatzweise angedacht.
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Diese Rügen greifen nicht durch.
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1. Der Antragstellerin steht kein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens zu.
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Die Aussetzung der Abschiebung zur Sicherung der effektiven Verfolgung und Geltendmachung eines Aufenthaltstitels, dessen Beantragung nicht die Fiktionswirkung nach § 81 AufenthG auslöst, widerspricht grundsätzlich der durch §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 1 und 2, 81 Abs. 3 und 4 AufenthG vorgegebenen Systematik und Konzeption des Aufenthaltsgesetzes, denenzufolge für die Dauer eines Erteilungsverfahrens nur unter den in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG geregelten Voraussetzungen ein vorläufiges Bleiberecht besteht. Zur Sicherung eines effektiven Rechtschutzes ist nach Art. 19 Abs. 4 GG eine Ausnahme dann zu machen, wenn nur durch eine vorläufige Aussetzung der Abschiebung sichergestellt werden kann, dass eine ausländerrechtliche Regelung, die einen Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzt, einem möglicherweise Begünstigten zugutekommt (vgl. BayVGH, B.v. 14.1.2019 - 19 CE 18.120 - Rn. 9 m.w.N.).
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Diese Voraussetzung liegt nicht vor. Das Beschwerdevorbringen setzt sich insoweit bereits mit der maßgeblichen (und insoweit zutreffenden) Auffassung des Verwaltungsgerichts, bezüglich § 32 Abs. 1 AufenthG scheide ein Anspruch auf Verfahrensduldung aufgrund des Ausnahmecharakters schon deswegen aus, weil ein etwaiger Titelerteilungsanspruch nicht von einem noch bestehenden Aufenthalt im Bundesgebiet abhängig sei und damit durch eine etwaige Abschiebung nicht im obigen Sinne rechtsvernichtend in die Rechte der Antragstellerin eingegriffen würde, nicht auseinander.
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Soweit man auch eine Ausnahme bei sonstigen (nicht den Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzenden) Aufenthaltstiteln in Betracht ziehen sollte, wenn Gründe für eine Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens glaubhaft gemacht werden, die zwingend ein Absehen von der Voraussetzung des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erfordern (folglich zu einer Ermessensreduzierung auf Null führen), und die übrigen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, sind hier bereits (unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 30 AufenthG) zwingende Gründe für ein Absehen von der Regelvoraussetzung der Nachholung des Visumverfahrens nicht glaubhaft gemacht. Soweit in der Beschwerdebegründung grundsätzlich ausgeführt wird, „dass der Familiennachzug zu in Deutschland lebenden Ausländern mit Aufenthaltserlaubnis ein Anspruchsnachzug ist, bei dem ein Absehen von dem an sich erforderlichen Visum möglich ist.“, wird folglich auch von Antragstellerseite nicht von zwingenden Gründen für ein Absehen von der Regelvoraussetzung ausgegangen (siehe auch die Ausführungen unter Nr. 2).
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2. Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch auf Erteilung einer Duldung gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen eines rechtlichen Abschiebehindernisses aus Art. 6 GG glaubhaft gemacht.
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Art. 6 GG (wie auch Art. 8 EMRK) gewährt keinen unmittelbaren Anspruch auf einen Aufenthalt im Bundesgebiet. Die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach der der Staat Ehe und Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiäre Bindung des den Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, bei ihrer Ermessensausübung pflichtgemäß, d.h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Es ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (BVerfG, B.v. 31.8.1999 - 2 BvR 1523/99 - juris Rn. 7 m.w.N.).
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Das Verwaltungsgericht ist insoweit in nicht zu beanstandender Weise in Anbetracht der maßgeblichen Umstände (insbesondere: alle Familienmitglieder sind nordmazedonische Staatsangehörige; eine Verlängerung der befristeten Aufenthaltserlaubnis des Vaters der Antragstellerin ist noch nicht sicher; die Familie hat bereits ca. eineinhalb Jahre getrennt gelebt) davon ausgegangen, dass es auch im Lichte des Art. 6 Abs. 1 GG in der Gesamtschau nicht als unverhältnismäßig erscheine, die Antragstellerin - sowie ihre Mutter und ihren Bruder - auf die Möglichkeit der Herstellung der Lebensgemeinschaft im Herkunftsland oder auf das Visumverfahren zum Familiennachzug zu verweisen (letzteres auch dann, wenn das Visumverfahren aus Sicht der Antragstellerin wegen der Deutschkenntnisse ihrer Mutter mit unsicheren Erfolgsaussichten verbunden ist).
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Soweit im Rahmen der Beschwerdebegründung angeführt wird, das Argument des Verwaltungsgerichts, die Familie könne auch im Herkunftsland gemeinsam leben, verfange schon unter Kindeswohlgesichtspunkten nicht, weil die Kinder nunmehr bereits seit zwei Jahren in Deutschland lebten und es ihnen nicht mehr zugemutet werden könne, wieder auszureisen und nochmals neu anzufangen, insbesondere abzuwarten, ob die Mutter nun endlich den Sprachtest schaffe oder nicht, die Familienzusammenführungsrichtlinie dieses Argument auch nicht sehe und insofern auf § 36a Abs. 2 Satz 3 AufenthG hinzuweisen sei, greift dieses Vorbringen nicht durch. Dem Beschwerdevorbringen sind keinerlei substantiierte Anhaltspunkte zu entnehmen, dass eine Rückkehr der mittlerweile 14 und 16 Jahre alten Kinder zu einer Kindeswohlgefährdung führen würde. Im Übrigen weist die Antragsgegnerin zurecht darauf hin, dass die Kinder sich erst seit zwei Jahren im Bundesgebiet aufhalten und den Großteil ihres Lebens in ihrem Herkunftsland verbracht haben. Eine Unzumutbarkeit der Ausreise liegt folglich insoweit fern. Darüber hinaus kann sich die Antragstellerseite insoweit auf die Familienzusammenführungsrichtlinie bereits nicht berufen. Ein auf Familienzusammenführung gestützter Aufenthaltsanspruch setzt nämlich nach Art. 5 Abs. 3 und Art. 13 RL 2003/86/EG voraus, dass der Antrag auf Familienzusammenführung vor der Einreise in den Aufnahmestaat gestellt und geprüft wird. Daran fehlt es hier, was zur Folge hat, dass die Antragstellerseite aus der RL 2003/86/EG keine Ansprüche herzuleiten vermag. Die Gestattung der Einreise und des Aufenthalts nach Art. 4 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. a RL 2003/86/EG steht nicht nur unter dem Vorbehalt der in Kapitel IV sowie Art. 16 der Richtlinie genannten Bedingungen. Vielmehr gestatten die Mitgliedstaaten die Einreise und den Aufenthalt gemäß Art. 4 Abs. 1 Satz 1 RL 2003/86/EG ausdrücklich nur „gemäß dieser Richtlinie“. Folglich gilt insoweit auch Art. 5 Abs. 3 RL 2003/86/EG, wonach der Antrag für die Gestattung der Einreise zu stellen und zu prüfen ist, wenn sich die Familienangehörigen noch außerhalb des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats aufhalten, selbst wenn sich diese Vorschrift im Kapitel III der Richtlinie befindet (BayVGH, B.v. 28.2.2014 - 10 ZB 13.2410 - juris Rn. 12; SächsOVG, B.v. 8.4.2014 - 3 B 412/13 - juris Rn. 13). Auch der Hinweis auf § 36a Abs. 2 Satz 3 AufenthG geht fehl, da es vorliegend nicht um einen Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten geht.
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Sollte die Antragstellerseite mit den Ausführungen im Beschwerdevorbringen, der Kindsmutter hätte eine ausreichende Frist zur Nachholung der Sprachkenntnisse in Deutschland gesetzt werden müssen, da sie vergebliche Bemühungen des Spracherwerbs nachgewiesen habe, beabsichtigt haben, besondere Gründe des Einzelfalls i.S.d. § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG geltend zu machen, verkennt sie, dass die Sprachkenntnisse vor der Einreise hätten erworben werden müssen. Besondere Umstände des Einzelfalls i.S.d. § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG stellen die vergeblichen Bemühungen jedenfalls unter keinen Umständen dar.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2, § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Nrn. 1.5 und 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).