Titel:
Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge
Normenketten:
StGB § 22, § 23, § 52, § 263 Abs. 1, § 274 Abs. 1 Nr. 2
BayDG Art. 6, Art. 10, Art. 14, Art. 56, Art. 63 Abs. 1 S. 1
BeamtStG § 34 S. 2, S. 3, § 47 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Begeht ein Beamter innerdienstlich eine Straftat, für die das Strafgesetz als Strafrahmen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorsieht, reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. In Fällen des innerdienstlichen Betrugs zum Nachteil des Dienstherrn ist der Beamte in der Regel aus dem Dienst zu entfernen, wenn im Einzelfall Erschwerungsgründe vorliegen, denen keine Milderungsgründe von solchem Gewicht gegenüberstehen, dass eine Gesamtbetrachtung den Schluss rechtfertigt, der Beamte habe das Vertrauen endgültig verloren. Je gravierender die Erschwerungsgründe in ihrer Gesamtheit zu Buche schlagen, desto gewichtiger müssen die Milderungsgründe sein, um davon ausgehen zu können, dass noch ein Rest an Vertrauen zu dem Beamten vorhanden ist. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wesentlich mildernd ist die Länge des behördlichen Disziplinarverfahrens zu berücksichtigten. Denn anders als bei einer statusbeendenden Disziplinarmaßnahme kann bei einer pflichtenmahnenden Disziplinarmaßnahme im Falle einer überlangen Verfahrensdauer das disziplinarrechtliche Sanktionsbedürfnis gemindert sein, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen beruflichen und wirtschaftlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben. Dann kann aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eine unangemessen lange Verfahrensdauer bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme mildernd zu berücksichtigen sein. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
4. Zwar kann eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht des Dienstherrn unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Fürsorgepflicht oder des „Mitverschuldens“ als Mitursache einer dienstlichen Verfehlung bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme mildernd berücksichtigt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für besondere Umstände vorlagen, die ausreichende Kontrollmaßnahmen unerlässlich machten, solche aber pflichtwidrig unterblieben oder nur unzureichend durchgeführt wurden. Dies gilt jedoch nicht für den umgekehrten Fall, nämlich die Verhinderung der Vollendung des Zugriffsdelikts durch effektive Kontrollmaßnahmen. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vermessungshauptsekretär (BesGr. A 8), Manipulationen bei der Bearbeitung des eigenen Vermessungsantrags, Amt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung, Urkundenunterdrückung in Tateinheit mit versuchtem Betrug, Schaden zu Lasten des Dienstherrn 921, 60 €, Vermessungshauptsekretär, Bes. Gr. A 8, Schaden zu Lasten des Dienstherrn 921, 60 EUR, Urkundenunterdrückung, Betrug, Versuch, Tateinheit, Kürzung, Dienstbezüge, Disziplinarklage, Pflicht zur uneigennützigen Dienstausübung, Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten, Beförderungssperre, Persönlichkeit, Erschwerungsgründe, schwierige Lebenssituation, Milderungsgründe, Geständnis, Organisationsstruktur, Kontrollmaßnahmen
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 26.05.2021 – M 19L DK 20.6800
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31573
Tenor
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 26. Mai 2021 wird in Ziff. I abgeändert. Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge im Höhe von einem Zehntel für die Dauer von 36 Monaten erkannt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Tatbestand
1
Dem 1976 geborenen Beklagten, einem Vermessungshauptsekretär (BesGr. A 8) im Dienst des Klägers, wird Urkundenunterdrückung in Tateinheit mit versuchtem Betrug vorgeworfen.
2
Vorwurf der Disziplinarklage ist der Sachverhalt des rechtskräftigen Strafbefehls des Amtsgerichts Ingolstadt vom 7. Oktober 2016, mit dem der Beklagte wegen Urkundenunterdrückung in Tateinheit mit versuchtem Betrug zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 60 € verurteilt worden ist:
3
„Anfang Oktober 2014 ging am Amt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung Ingolstadt eine Mitteilung der Baugenehmigung der Stadt Ingolstadt in Bezug auf Ihr privates Bauvorhaben (Einfamilienhaus mit Doppelgarage) auf dem Grundstück […] mit Angabe der Baukosten in Höhe von 511.000,00 EUR ein. Das Bauvorhaben wurde am 9.10.2014 als Vermessungsantrag mit der Antragsnummer 5016/2014 und der Baufallkategorie 500.000,00 EUR bis 1.000.000,00 EUR unter Angabe der Baukosten in Höhe von 511.000,00 EUR durch die Mitarbeiterin Sabrina H.-F. im Datenverarbeitungssystem des Amtes für Digitalisierung, Breitband und Vermessung erfasst.
4
Die Baufallkategorie ist für die Berechnung der Vermessungsgebühren maßgebend. Eine eigenmächtige Änderung der Baufallkategorie war Ihnen nach der fachlichen Aufgabenzuweisung des Amtes für Digitalisierung, Breitband und Vermessung nicht gestattet. Dies wussten Sie.
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Am 12.1.2016 gegen 9:25 Uhr änderten Sie unter Verwendung Ihrer dienstlichen Benutzerkennung im Datenverarbeitungssystem des Amtes für Digitalisierung, Breitband und Vermessung in den Räumlichkeiten der Behörde die Baufallkategorie des Vermessungsantrags mit der Antragsnummer 5016/2014 von der Stufe 500.000,00 EUR bis 1.000.000,00 EUR auf die Stufe 125.000,00 EUR bis 300.000,00 EUR, indem Sie die Baukosten von 511.000,00 EUR auf 125.000,01 EUR herabsetzten. Überdies entfernten Sie in einer Anmerkungsspalte die Angabe der Baukosten in Höhe von 511.000,00 EUR.
6
Die Änderungen im Datenverarbeitungssystem nahmen Sie vor, um das Amt Digitalisierung, Breitband und Vermessung über die tatsächlichen Baukosten des Bauvorhabens im Hinblick auf die Berechnung der Vermessungsgebühren zu täuschen.
7
Die Gebühr für ein Gebäude der Baufallkategorie 500.000,00 EUR bis 1.000.000,00 EUR beträgt 1.770,40 EUR (einschließlich Umsatzsteuer). Die Gebühr für ein Gebäude der Baufallkategorie 125.000,00 EUR bis 300.000,00 EUR beträgt 748,80 EUR (einschließlich Umsatzsteuer). Dies wussten Sie.
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Es kam Ihnen darauf an, sich ohne rechtlichen Anspruch Vermessungsgebühren in Höhe von 921,60 EUR zu sparen, wobei Sie einen Schaden des Freistaates Bayern in entsprechender Höhe zumindest billigend in Kauf nahmen. Die Änderungen im Datenverarbeitungssystem wurden vor der Berechnung der Vermessungsgebühren durch das Amt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung erkannt.“
9
Darüber hinaus wird dem Beklagten in der Disziplinarklage vorgeworfen, den Originalvermessungsantrag entzogen zu haben, zweimal Baufallanzeigen der Stadt Ingolstadt aus den Messungsunterlagen entfernt zu haben, die Baufallkategorie zwischen 9. Oktober 2014 und 8. Dezember 2015 ein weiteres Mal und die durch den Gebäudemesstruppleiter eingetragenen (zutreffenden) Baukosten auf dem Zweitausdruck des Vermessungsantrags geändert zu haben. Hinzu kommt der Vorwurf, dass der Beklagte trotz unmittelbarer Beteiligung als Grundeigentümer in seinem eigenen Verfahren tätig geworden sei, indem er sich die Messungsunterlagen verschafft habe, um die katastertechnische Ausarbeitung selbst durchzuführen und unzulässige Veränderungen im Datenverarbeitungssystem vorzunehmen.
10
Das Verwaltungsgericht erkannte gegen den Beklagten auf die Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge in Höhe von 1/20 für die Dauer von 36 Monaten und verkürzte den Zeitraum der Beförderungssperre auf 18 Monate. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
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Der Kläger hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt und beantragt,
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den Beklagten unter Abänderung der Ziff. I des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 26. Mai 2021 aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, hilfsweise in ein Amt mit geringerem Endgrundgehalt zu versetzen.
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Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
15
Der Senat hat am 26. Oktober 2022 mündlich verhandelt. Hierzu wird auf das Protokoll Bezug genommen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts-, Straf- und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung des Klägers ist zulässig und hat im tenorierten Umfang Erfolg.
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1. Der Senat legt seiner Entscheidung den Sachverhalt zugrunde, der Gegenstand der Disziplinarklage ist. Der Beklagte hat die Vorwürfe sowohl im behördlichen als auch im gerichtlichen Disziplinarverfahren vollumfänglich eingeräumt.
19
2. Das Fehlverhalten des Beklagten stellt ein einheitliches Dienstvergehen gem. § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG dar. Mit seinem Verhalten hat der Beklagte gegen die Pflicht zur Achtung der Gesetze (§ 274 Abs. 1 Nr. 2, § 263 Abs. 1, §§ 22, 23, 52 StGB), die Pflicht zu uneigennütziger Amtsausübung (§ 34 Satz 2 BeamtStG i.d.F. bis 6.7.2021) und die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG i.d.F. bis 6.7.2021) verstoßen. Das Dienstvergehen ist innerdienstlich.
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3. Im Rahmen der dem Gericht obliegenden Maßnahmebemessung ist die Kürzung der Dienstbezüge um ein Zehntel auf die Dauer von 36 Monaten die gebotene Maßnahme, ohne zugleich die Beförderungssperre zu verkürzen.
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3.1. Welche Disziplinarmaßnahme erforderlich ist, richtet sich gem. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG nach der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild und dem bisherigen dienstlichen Verhalten. Aus den gesetzlichen Vorgaben folgt die Verpflichtung, die Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu bestimmen. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis als einem Mittel der Sicherung der Funktion des öffentlichen Dienstes. Danach ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrechtzuerhalten.
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Bei der Gesamtwürdigung sind die im Einzelfall bemessungsrelevanten Tatsachen nach Maßgabe des Art. 63 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 56 BayDG zu ermitteln und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Bewertung einzubeziehen. Als maßgebendes Bemessungskriterium ist die Schwere des Dienstvergehens richtungsweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Das bedeutet, dass das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des Art. 6 BayDG aufgeführten Disziplinarmaßnahme zuzuordnen ist. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist.
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3.2 Fallen einem Beamten - wie hier - mehrere Dienstpflichtverletzungen zur Last, die in ihrer Gesamtheit das einheitliche Dienstvergehen ergeben, so bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BayVGH, U.v. 11.5.2016 - 16a D 13.1540 - juris Rn. 66). Im vorliegenden Fall wiegen die Urkundenunterdrückung einerseits und (versuchter) Betrug andererseits gleich schwer. Dem Verstoß gegen Art. 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG, wonach in einem Verwaltungsverfahren für eine Behörde nicht tätig werden darf, wer selbst Beteiligter ist, kommt kein eigenes Gewicht zu.
24
Für die disziplinarrechtliche Ahndung der vorgenannten Taten ergibt sich ein Orientierungsrahmen bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.
25
Zur konkreten Bestimmung der Disziplinarmaßnahme ist auch bei einem innerdienstlichen Dienstvergehen auf den Strafrahmen zurückzugreifen, weil der Gesetzgeber mit der Strafandrohung seine Einschätzung zum Unwert des Verhaltens verbindlich zum Ausdruck gebracht hat (BVerwG, B.v. 5.7.2016 - 2 B 24.16 - juris Ls. und Rn. 15). Vorliegend stellen die erwiesenen dienstpflichtverletzenden Handlungen schwere Dienstpflichtverletzungen dar. Dies ergibt sich schon daraus, dass für die Urkundenunterdrückung sowie für Betrug ein gesetzlich bestimmter Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe besteht (vgl. § 274 Abs. 1 Nr. 1, § 263 Abs. 1 StGB). Begeht ein Beamter innerdienstlich eine Straftat, für die das Strafgesetz als Strafrahmen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorsieht (hier sind es bis zu fünf Jahre), reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (BayVGH, U.v. 20.9.2021 - 16b D 19.1302 - juris Rn. 30; BVerwG, U.v. 10.12.2015 - 2 C 6.14 - juris Rn. 20).
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3.3 Die volle Ausschöpfung des in Anlehnung an die abstrakte Strafandrohung gebildeten Orientierungsrahmens ist vorliegend wegen der konkreten Umstände des Dienstvergehens jedoch nicht geboten.
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Die Verwaltung ist bei ihren Entscheidungen im personellen und fürsorgerischen Bereich auf die absolute Ehrlichkeit ihrer Bediensteten angewiesen, also darauf, dass sie bei der Wahrnehmung ihrer Rechte, insbesondere bei der Geltendmachung von Ansprüchen, der Wahrheits- und Offenbarungspflicht ohne jede Einschränkung genügen. Ein Beamter, der seinen Dienstherrn unter Verletzung der Wahrheitspflicht um des eigenen materiellen Vorteils willen in betrügerischer Weise schädigt, belastet deshalb das zwischen ihm und seinem Dienstherrn bestehende Vertrauensverhältnis schwer und nachhaltig. Ob es letztlich erforderlich ist, in derartigen Betrugsfällen die disziplinare Höchstmaßnahme zu verhängen, bestimmt sich nach den besonderen Umständen des Einzelfalls und der Persönlichkeit des Beamten (BVerwG, U.v. 26.9.2001 - 1 D 32.00 - juris Rn. 28 m.w.N.).
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In Fällen des innerdienstlichen Betrugs zum Nachteil des Dienstherrn ist der Beamte in der Regel aus dem Dienst zu entfernen, wenn im Einzelfall Erschwerungsgründe vorliegen, denen keine Milderungsgründe von solchem Gewicht gegenüberstehen, dass eine Gesamtbetrachtung den Schluss rechtfertigt, der Beamte habe das Vertrauen endgültig verloren. Je gravierender die Erschwerungsgründe in ihrer Gesamtheit zu Buche schlagen, desto gewichtiger müssen die Milderungsgründe sein, um davon ausgehen zu können, dass noch ein Rest an Vertrauen zu dem Beamten vorhanden ist. Erschwerungsgründe können sich z.B. aus Anzahl und Häufigkeit der Betrugshandlungen, der Höhe des Gesamtschadens, der missbräuchlichen Ausnutzung der dienstlichen Stellung oder dienstlich erworbener Kenntnisse sowie daraus ergeben, dass die Betrugshandlungen im Zusammenhang mit weiteren Verfehlungen von erheblichem disziplinarischen Eigengewicht, z.B. mit Urkundenfälschungen, stehen. Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich der Grundsatz ableiten, dass bei einem Gesamtschaden von über 5.000 € die Entfernung aus dem Dienst ohne Hinzutreten weiterer Erschwerungsgründe gerechtfertigt sein kann. Die Höhe des Gesamtschadens ist danach ein Erschwerungsgrund neben anderen (BVerwG, B.v. 6.5.2015 - 2 B 19.14 - juris Rn. 11 m.w.N.).
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Ausgehend von diesen Grundsätzen ist hier die Kürzung der Dienstbezüge um ein Zehntel für die Dauer von 36 Monaten die angemessene Maßnahme.
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3.3.1 Zu Lasten des Beamten wirkt, dass er getrieben von der (fixen) Idee, er habe einen Anspruch auf Gebührenrabatt, sich diesen eigenmächtig und ohne jede Rechtsgrundlage einzuräumen versuchte. Er handelte aus rein eigennützigen Motiven um sich einen ungerechtfertigten finanziellen Vorteil zu verschaffen und ging hierbei ausgesprochen hartnäckig vor. Er entfernte zunächst den Originalvermessungsantrag. Beim Zweitausdruck des Vermessungsantrags machte er mittels Tipp-Ex die durch den Gebäudemesstruppleiter eingetragenen Baukosten unkenntlich. Daneben entfernte er zweimal die Baufallanzeige der Stadt Ingolstadt aus den Messungsunterlagen und manipulierte ebenfalls zweimal die Baufallkategorie im Datenverarbeitungssystem. Diesem zielstrebigen Vorgehen kommt ein erhebliches Gewicht zu. Hinzu kommt ein eher negatives Persönlichkeitsbild, das unter dem 5. Mai 2021 erstellt worden ist. Er trete forsch und selbstbewusst auf, erhalte bei den Gesprächen und Unterhaltungen immer einen großen Redeanteil und sei von sich überzeugt. In manchen Situationen sei aber ein Hinterfragen der eigenen Handlungs- und Sichtweise, eine stärker ausgeprägte Selbsteinschätzung und Selbstreflexion wünschenswert. Bei den bisherigen Gesprächen über das laufende Disziplinarverfahren habe der Beklagte eine bewusste Schuld seinerseits zurückgewiesen. Er fühle sich als ein Opfer von Missverständnissen. Erstmals entschuldigt habe er sich für sein damaliges Fehlverhalten anlässlich eines eingeforderten Personalgesprächs am 5. Juni 2020 unter Beteiligung der örtlichen Personalvertretung. Bei der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren konnte auch der Senat den Eindruck gewinnen, dass der Beklagte nach wie vor der Idee des Gebührenrabatts nachhängt. Auch wenn in der Behörde klar kommuniziert worden war, dass ihm ein Rabatt nicht zusteht, hat er sich darüber hinweggesetzt und versucht, sich aus einem ihm eigenen Gerechtigkeitssinn unter Hinweis auf angeblich in der Vergangenheit anderen Mitarbeitern eingeräumte Rabatte einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen, obwohl nach der Verfügung der damaligen Bezirksfinanzdirektion München vom 6. Dezember 1983 zum Thema „Behandlung von Vermessungen für Amtsangehörige“ bestimmt worden war, dass die für Amtsangehörige erbrachten Leistungen der Vermessungsämter wie alle sonstigen Leistungen nach den hierfür geltenden Vorschriften voll zu verrechnen sind.
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3.3.2 Die Höhe des erstrebten finanziellen Vorteils (921,60 €) rechtfertigt für sich genommen nicht die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Zu berücksichtigen ist auch, dass sich sämtliche Manipulationen stets nur auf das eine Bauvorhaben des Beklagten bezogen haben; er ist also nicht in mehreren Vermessungsverfahren strafrechtlich in Erscheinung getreten.
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Wesentlich mildernd ist die Länge des behördlichen Disziplinarverfahrens zu berücksichtigten. Denn anders als bei einer statusbeendenden Disziplinarmaßnahme kann bei einer pflichtenmahnenden Disziplinarmaßnahme im Falle einer überlangen Verfahrensdauer das disziplinarrechtliche Sanktionsbedürfnis gemindert sein, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen beruflichen und wirtschaftlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben. Dann kann aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eine unangemessen lange Verfahrensdauer bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme mildernd zu berücksichtigen sein (stRspr, BVerwG, B.v. 11.10.2021 - 2 A 9.20 - juris Rn. 5).
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So liegt der Fall hier. Nachdem der Strafbefehl des Amtsgerichts Ingolstadt am 19. Januar 2017 beim Kläger eingegangen war, wurde das bis dahin ausgesetzte Verfahren vier Monate später unter dem 23. Mai 2017 wieder aufgenommen. Der für den 26. Juli 2017 bestimmte Termin für die mündliche Anhörung fiel wegen Krankheit der Sachbearbeiterin aus. Sieben Monate später wurde das Verfahren fortgeführt und dem Beklagten die Möglichkeit einer schriftlichen Äußerung eingeräumt, die am 2. März 2018 bei der Disziplinarbehörde einging. Da dort der Vorwurf erhoben wurde, andere Kollegen hätten auch Rabatt erhalten, wurde am 24. Oktober 2018 - sechs Monate später - bei der Dienststelle des Beklagten angefragt, ob es übliche Praxis gewesen sei, Mitarbeitern einen Rabatt bei der Vermessungsgebühr einzuräumen. Diese Anfrage wurde unter dem 9. November 2018 beantwortet. Nach weiteren fünf Monaten Untätigkeit wurde dem Beklagten das Ergebnis der disziplinarrechtlichen Ermittlungen bekannt gegeben. Eine Stellungnahme der Bevollmächtigten des Beklagten hierzu ging am 8. April 2019 bei der Disziplinarbehörde ein. Die Disziplinarakte schließt mit einer Kopie der Bezügemitteilung 2/2020 des Beklagte. Die Disziplinarklage wurde schließlich am 17. Dezember 2020 erhoben. Angesichts der mehrmonatigen Phasen der Untätigkeit, der nur schleppenden Bearbeitung trotz des bereits seit März 2016 feststehenden Sachverhalts (s. Anzeige wegen des Verdachts der Manipulation amtsinterner Unterlagen und Daten sowie Entnahme amtsinterner Unterlagen durch einen Mitarbeiter des Amts zur Erlangung eines finanziellen Vorteils vom 17.3.2016), für die ein sachlicher Grund nicht ersichtlich ist, ist hier eine überlange Dauer des behördlichen Disziplinarverfahrens ohne Weiteres anzunehmen.
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3.3.3 Weitere Milderungsgründe sind entgegen der Meinung des Verwaltungsgerichts nicht gegeben.
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Klassische Milderungsgründe sind vorliegend nicht gegeben. Für Handeln in einer unverschuldet entstandenen, ausweglosen wirtschaftlichen Notlage (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2015 - 2 C 6/14 -, juris Rn. 34) fehlt es an einer existenzbedrohenden Notlage. Das Dienstvergehen stellt sich auch nicht als Folge einer schockartig ausgelösten psychischen Ausnahmesituation des Beklagten dar, da es hier an einem plötzlichen, unvorhergesehenen Eintritt eines Ereignisses fehlt (BVerwG, U.v. 15.8.2000 - 1 D 44.98 - juris Rn. 29). Eine einmalige persönlichkeitsfremde Gelegenheitstat ist bereits deshalb zu verneinen, weil es sich um insgesamt sechs Manipulationen und um ein sich über mindestens fünf Monate erstreckendes Geschehen gehandelt hat (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.2003 -1 D 23.02 - juris Rn. 21). Eine Wiedergutmachung vor Tatentdeckung liegt nicht vor, der Milderungsgrund des geringen Wertes ist nicht einschlägig.
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Es ist auch eine Tatbegehung während einer schwierigen Lebenssituation nicht gegeben (BayVGH, U.v. 30.9.2020 - 16a D 18.1764 - juris Rn. 73). Der Beklagte hat angegeben, sich um den Jahreswechsel 2015/2016 in seiner sehr schwierigen privaten Situation befunden zu haben, weil das Wohnhaus im Dezember 2015 fertiggestellt worden und seine Ehefrau im Januar/Februar 2016 ausgezogen sei. Der Vortrag bezieht sich wohl auf die Depressionen seiner damaligen Frau. Der Beklagte hatte im behördlichen Disziplinarverfahren hierzu angegeben, er habe für die Arbeit nur noch sehr wenig Energie übrig gehabt, weil seine volle Aufmerksamkeit seiner Frau gegolten habe. Privates gehe bei ihm vor. Die Erkrankung seiner Ehefrau mag für den Beklagten durchaus schwierig und belastend gewesen sein, eine durchgreifende schwierige Lebenssituation bzw. negative Lebensphase wird damit jedoch nicht beschrieben. Nachvollziehbare Beweggründe für sein Handeln hat er jedenfalls nicht aufgezeigt.
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Dass die Betrugshandlung im Versuchsstadium stecken geblieben und daher beim Dienstherrn kein Schaden eingetreten ist, kann nicht mildernd berücksichtigt werden (Zängl, Bayerisches Disziplinarrecht, Stand: Aug. 2021, MatR/I Rn. 24; BVerwG, B.v. 11.3.2008 - 2 B 8.08 - juris; BayVGH, U.v. 23.10.2019 - 16b D 18.876 - juris Rn. 22).
38
Es liegen auch keine sonstigen entlastenden Umstände vor, deren Gewicht in der Gesamtheit dem Gewicht anerkannter Milderungsgründe vergleichbar sind. Weder seine durchschnittlichen Leistungen noch die Tatsache, dass er straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet ist, führen zur Verhängung einer milderen Disziplinarmaßnahme. Diese Umstände stellen das normale Verhalten zur Erfüllung der Dienstpflichten dar (BayVGH, U.v. 6.4.2022 - 16a D 20.975 - juris Rn. 51).
39
Auch sein Geständnis kann keine mildernde Berücksichtigung finden. Bei einem als Zugriffsdelikt einzustufenden Dienstvergehen ist ein „Geständnis“ eines Beamten nur dann disziplinar erheblich, wenn es sich als freiwillige, nicht durch Furcht vor Entdeckung bestimmte vollständige und vorbehaltlose Offenbarung des Fehlverhaltens vor Entdeckung der Tat darstellt (BayVGH, U.v. 20.9.2021 - 16b D 19.1302 - juris Rn. 55). Das ist hier nicht der Fall.
40
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist auch nicht maßgeblich entlastend zu werten, dass die Manipulationshandlungen des Beklagten nach den Organisationsstrukturen des Amts für Digitalisierung, Breitband und Vermessung Ingolstadt nicht ohne Weiteres zum angestrebten Ziel der Gebührenreduzierung hätten führen können. Zwar kann eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht des Dienstherrn unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Fürsorgepflicht oder des „Mitverschuldens“ als Mitursache einer dienstlichen Verfehlung bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme mildernd berücksichtigt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für besondere Umstände vorlagen, die ausreichende Kontrollmaßnahmen unerlässlich machten, solche aber pflichtwidrig unterblieben oder nur unzureichend durchgeführt wurden (BVerwG, B.v. 16.12.2021 - 2 B 28.21 - juris Rn. 11). Dies gilt jedoch nicht für den umgekehrten Fall, nämlich die Verhinderung der Vollendung des Zugriffsdelikts durch effektive Kontrollmaßnahmen. Selbst wenn der Beklagte als gesichert ansehen konnte, dass der Vorgang geprüft wird, bedeutet das noch lange nicht, dass dieser Versuch des Betrugs deswegen nicht - und sei es in einem Moment der Unachtsamkeit des Vorgesetzten - hätte zum Erfolg führen können. Der Senat nimmt dem Beklagten nicht ab, dass er von Anfang an auf die Erfolglosigkeit seines Tuns vertraute. Es wäre doch absurd, in strafbarer Weise vorzugehen, sich „erwischen“ zu lassen und auf die Einsicht zu hoffen, dass ihm nunmehr der geforderte Rabatt eingeräumt wird. Der Beklagte setzte wiederholt an, um sich den Rabatt zu gewähren und obwohl die Kontrollmaßnahmen griffen und die Manipulationen korrigiert wurden, ohne ihm Rabatt zu gewähren, machte er unverdrossen weiter.
41
Grundsätzlich kann auch die Verhinderung einer konkret anstehenden Beförderung durch das Disziplinarverfahren maßnahmemildernd wirken (BVerwG, U.v. 21.6.2018 - 2 WD 4.18 - juris Rn. 44; U.v. 18.7.2019 - 2 WD 19.18 - juris). Hier stand die Beförderung des Beklagten jedoch nicht konkret an; eine Beförderungsurkunde war nicht erstellt worden (BVerwG, U.v. 12.5.2022 - 2 WD 10.21 - juris Rn. 53).
42
Entgegen der Meinung des Beklagten ist auch nicht mildernd zu berücksichtigen, dass er „weiterhin mit Angelegenheiten von höchster Wichtigkeit betraut“ ist. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Weiterbeschäftigung des Beamten in der Vergangenheit nach Aufdeckung des Dienstvergehens keinen Milderungsgrund dar, da die Frage der weiteren Tragbarkeit des Beamten von den Disziplinargerichten zu beurteilen ist und die Weiterbeschäftigung auf Gründen (z.B. betriebswirtschaftlicher Art) beruhen kann, die disziplinarrechtlich nicht von Bedeutung sind (BayVGH, U.v. 6.4.2022 - 16a D 20.975 - juris Rn. 50).
43
Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung aller belastenden und entlastenden Umstände sieht der Senat die Disziplinarmaßnahme der der Kürzung der Dienstbezüge in Höhe von einem Zehntel für die Dauer von 36 Monaten als gleichermaßen erforderlich und ausreichend an, um dem Beklagten die Tragweite seines Fehlverhaltens nochmals vor Augen zu führen und ihn dazu anzuhalten, seine Beamtenpflichten in Zukunft zu erfüllen. Hinsichtlich des Kürzungsanteils konnte ein gegenüber dem pauschalen Regelkürzungssatz von einem Fünftel (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 21.3.2001 - 1 D 29.00 - juris Rn. 19 bis 21), der auch für Beamte der Besoldungsgruppe A 8 gilt, ein auf ein Zehntel verdoppelter zugrunde gelegt werden. Der Beklagte verfügt über selbst genutztes Wohneigentum, das nur mit einer geringen Kreditrückzahlung belastet ist. Anders als das Verwaltungsgericht hält der Senat eine Verkürzung des Zeitraums der Beförderungssperre (vgl. Art. 9 Abs. Satz 2 BayDG) nicht für angezeigt.
44
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 BayDG.
45
Das Urteil ist mit seiner Verkündigung rechtskräftig geworden (Art. 64 Abs. 2 BayDG).