Inhalt

VGH München, Urteil v. 26.10.2022 – 16a D 20.2695
Titel:

Entfernung aus dem Beamtenverhältnis wegen Verletzung der Pflicht zur Verfassungstreue (hier: Reichsbürger)

Normenketten:
BeamtStG § 33 Abs. 1 S. 3, § 34 Abs. 1 S. 3, § 47 Abs. 1 S. 1
BayDG Art. 11, Art. 14 Abs. 1 S. 2, Art. 56, Art. 63 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Die Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises unter fortgesetzter Verwendung der Angaben eines Bundestaates des Deutschen Kaiserreichs („Königreich Bayern“) und dem Hinweis auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz mit dem Stand von 1913 stellt eine Verletzung der Verfassungstreuepflicht in schwerwiegender Weise dar (ebenso BVerwG BeckRS 2021, 47865) (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Darin liegt zugleich ein Verhalten, das typisch für die Reichsbürger-Szene ist, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnt, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation abspricht oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definiert. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Verletzung der Pflicht zur Verfassungstreue ist so schwerwiegend, dass bei der Maßnahmebemessung von der höchsten Maßnahme, der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, auszugehen ist; dies folgt aus der Unverzichtbarkeit der Verfassungstreue im Beamtenverhältnis, die ein Eignungsmerkmal für Beamte darstellt. (Rn. 33 und 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Disziplinarrecht, Steuerobersekretär (BesGr. A 7), Antrag auf Erteilung eines Staatsangehörigkeitsausweises mit mehrfachem Beziehen auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz „Stand: 1913“ und Bezugnahme auf das „Königreich, Bayern“, Freiheitliche demokratische Grundordnung, Verfassungstreue, Entfernung, Entfernung aus dem Dienst, Staatsangehörigkeitsausweis, Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz „Stand: 1913“, Reichsbürger, Bezugnahme auf das „Königreich Bayern“
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 28.07.2020 – AN 12b D 19.1099
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31565

Tenor

I. Die Ziff. I des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 28. Juli 2020 wird abgeändert. Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Tatbestand

1
Auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung wird Bezug genommen, weil sich der Senat die Feststellungen des Verwaltungsgerichts in vollem Umfang zu eigen macht (§ 130b Satz 1 VwGO).
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Auf die am 3. Juni 2016 erhobene, auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gerichtete Disziplinarklage des Bayerischen Landesamts für Steuern hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 28. Juli 2020 gegen den Beklagten auf die Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge auf die Dauer von 12 Monaten um 1/20 erkannt. Der Beklagte habe sich durch den Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit reichsbürgertypisch verhalten. In dem Antrag habe sich der Beklagte sowohl hinsichtlich seiner Person als auch der seines 1948 geborenen Vaters jeweils auf das „Königreich Bayern“ bezogen und mehrmals die Gesetzesangabe „§ 4 (1) RuStaG Stand 1913“ verwendet. Nach Erhalt des Staatsangehörigkeitsausweises habe er einen Antrag auf Selbstauskunft aus dem Register „Entscheidungen in Staatsangehörigkeitsangelegenheiten (Register EStA)“gestellt, dem mit Schreiben des Bundesverwaltungsamts vom 11. August 2015 stattgegeben worden sei. Der Beklagte sei weder im behördlichen noch im gerichtlichen Disziplinarverfahren in der Lage gewesen, einen tragfähigen Ansatz für sein Verhalten darzulegen. Allerdings dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass keine weiteren Anzeichen für eine Zugehörigkeit des Beklagten zur Reichsbürgerszene vorhanden seien. So habe er sich nicht in rechtsbürgertypischer Diktion auf das Disziplinarverfahren eingelassen. Er bezahle nach seinem unbestrittenen Vortrag regelmäßig Steuern und besitze mittlerweile wieder einen Personalausweis. Auch lägen keine Erkenntnisse vor, dass die Beklagte gegenüber staatlichen Stellen unberechtigte Forderungen geltend gemacht hätte. Auch sei das Zentralfinanzamt Nürnberg in seinem Bericht vom 24. Juli 2017 zu dem Ergebnis gekommen, dass bei der in Bezug auf den Arbeitsbereich des Beklagten durchgeführten Anlassprüfung kein einziger Hinweis oder Vermerk erkannt worden sei, der einen Zweifel an der Loyalität des Beklagten gegenüber dem Kläger in dienstlichen Angelegenheiten rechtfertigen würde. Auch lägen ausweislich des Schreibens des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz vom 11. Juli 2017 keine Erkenntnisse mit Extremismusbezug, insbesondere zur Reichsbürgerszene, in Bezug auf den Beklagten vor. In den Blick zu nehmen sei schließlich, dass das Ordnungsamt der Stadt N. das Verfahren wegen waffenrechtlicher Zuverlässigkeit des Beklagten eingestellt habe. Der Beklagte habe möglicherweise in der Vergangenheit Sympathien für die Reichsbürgerszene gehabt, die sich durch die Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises und reichsbürgertypische Angaben auch nach außen manifestiert hätten. In der Gesamtschau könne jedoch ein fehlendes Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung und damit ein Verstoß gegen die politische Treuepflicht nicht festgestellt werden. Der Beklagte habe jedoch durch sein Verhalten gegen seine beamtenrechtliche Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes verstoßen. Ein Beamter sei im Interesse des Vertrauens der Öffentlichkeit in eine dem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat verpflichtete Beamtenschaft gehalten zu vermeiden, dass er durch sein öffentliches außerdienstliches Verhalten in vorhersehbarer und ihm daher zurechenbarer Weise den Anschein setze, sich mit der Reichsbürgerszene zu identifizieren. Der Beklagte habe pflichtwidrig gehandelt, da er, obwohl kein Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, durch sein konkretes Verhalten aber diesen Rechtsschein hervorgerufen habe. Er habe ein mittelschweres Dienstvergehen begangen. Zur rechtlich gebotenen Pflichtenmahnung des Beklagten sei die Kürzung der Dienstbezüge in der Höhe von einem Zwanzigstel auf die Dauer von zwölf Monaten angemessen und ausreichend.
3
Mit seiner Berufung erstrebt der Kläger die mit der Disziplinarklage beantragte Disziplinarmaßnahme. Er beantragt,
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den Beklagten unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 28. Juli 2020 aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil.
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Der Senat hat am 26. Oktober 2022 mündlich verhandelt. Hierzu wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
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Zur Ergänzung wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung des Klägers ist erfolgreich. Wegen des begangenen inner- und außerdienstlichen Dienstvergehens war nicht auf die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Disziplinarmaßnahme der Kürzung um 1/20 auf die Dauer von 12 Monaten zu erkennen, sondern die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis auszusprechen.
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1. Der Senat geht von folgendem Sachverhalt aus:
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Der Beklagte beantragte am 4. August 2015 beim Einwohneramt Nürnberg die Erteilung eines Staatsangehörigkeitsausweises. Er benutzte hierfür den sog. Antrag F, der über die Seite des Bundesverwaltungsamts im Internet heruntergeladen werden kann und für Personen gedacht ist, die im Ausland leben. In dem Antragsformular wird als Geburtsort „unmittelbare Stadt N.“, als Geburts- und Wohnsitzstaat wiederholt „Königreich Bayern“ und hinsichtlich der am 13. Dezember 2013 geschlossenen Ehe „Nürnberg, Königreich Bayern“ angegeben. Bei den Angaben zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit wird unter Sonstiges angeben: „Abstammung gem. § 4 (1) RuStaG Stand 1913“. Die gleiche Angabe findet sich bei den Angaben zu anderen Staatsangehörigkeiten. Hier gibt der Beklagte an, neben der deutschen Staatsangehörigkeit auch die Staatsangehörigkeit „in Bayern“ zu haben, erworben durch
„Abstammung gem. § 4 (1) RuStaG Stand 1913“. Bei den Aufenthaltszeiten seit Geburt wird neben dem Ort jeweils der Staat „Bayern“ angeben. In der Anlage V (Vorfahren) wird für den 1948 geborenen Vater jeweils das „Königreich Bayern“ als Geburtsstaat angegeben. Auch hier findet sich der Hinweis auf „Abstammung gem. § 4 (1) RuStaG Stand 1913“ und die Angaben der „bayerischen“ neben der deutschen Staatsangehörigkeit. Hinzu kommt, dass bei der aktuellen Adresse des Beklagten die Postleitzahl vor der Ortsangabe Nürnberg fehlt, er Fragen nach dem Besitz eines deutschen Ausweises ebenso unausgefüllt ließ wie die Angaben zu den Militärzeiten und einen Antrag auf Selbstauskunft aus dem Register Entscheidungen in Staatsangehörigkeiten (Register EStA) gestellt hat.
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2. Diese Feststellungen beruhen auf dem vom Beklagten ausgefüllten Antragsformular samt Anlagen, den Einlassungen des Beklagten in der mündlichen Verhandlung sowohl vor dem Verwaltungsgericht als auch dem Senat und seinen Angaben im behördlichen Disziplinarverfahren.
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3. Durch das festgestellte Verhalten hat der Beklagte ein Dienstvergehen begangen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Er hat vorsätzlich und schuldhaft seine aus § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG folgende Verfassungstreuepflicht (3.1) sowie außerdienstlich seine Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG (3.2) verletzt.
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3.1 Nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG muss sich ein Beamter durch sein gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten. Die Stellung eines schriftlichen Antrags eines Beamten auf Erteilung eines Staatsangehörigkeitsausweises unter Angabe des Staates „Königreich Bayern“ und der Angabe „Abstammung (Geburt) nach § 4 (1) RuStaG Stand 1913“ für antragsrelevante Umstände im Zeitraum nach Mai 1949 verletzt die dem Beamten obliegende Pflicht zur Verfassungstreue.
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Da nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG das gesamte Verhalten des Beamten erfasst ist, ist die Treuepflicht als beamtenrechtliche Kernpflicht als solche unteilbar und nicht auf den dienstlichen Bereich beschränkt. Vielmehr ist auch das außerdienstliche Verhalten mit der Folge erfasst, dass bei einem pflichtwidrigen Verhalten wegen der Dienstbezogenheit stets ein innerdienstliches Dienstvergehen gegeben ist. Dementsprechend kommt es auf die besonderen Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG für die Qualifizierung eines außerhalb des Dienstes gezeigten Verhaltens als Dienstvergehen nicht an.
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3.1.1 Beamte, die zum Staat in einem besonderen öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen, die für diesen Anordnungen treffen können und damit dessen Machtstellung durchsetzen, müssen sich zu der freiheitlichen demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Grundordnung des Grundgesetzes bekennen und für sie einstehen. Die Beamten müssen sich nicht die Ziele oder Maxime der jeweiligen Regierungsmehrheit zu eigen machen; sie müssen jedoch die verfassungsmäßige Ordnung als schützenswert annehmen und aktiv für sie eintreten. Im Staatsdienst können nicht solche Personen tätig werden, die die Grundordnung des Grundgesetzes ablehnen und bekämpfen. Diesen Personen fehlt die Eignung für die Ausübung eines öffentlichen Amtes.
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Geht es um die Pflicht zur Verfassungstreue, muss dem Beamten die Verletzung dieser Dienstpflicht konkret nachgewiesen werden. Das Dienstvergehen besteht nicht einfach in der „mangelnden Gewähr“ des Beamten dafür, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten werde. Auch das bloße Haben einer Überzeugung und die bloße Mitteilung, dass man diese habe, reichen nicht aus. Ein Dienstvergehen ist erst dann gegeben, wenn der Beamte aus seiner politischen Überzeugung Folgerungen für seine Einstellung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, für die Art der Erfüllung seiner Dienstpflichten, für den Umgang mit seinen Mitarbeitern oder für politische Aktivitäten im Sinne seiner politischen Überzeugung zieht. Die zu beanstandende Betätigung muss zudem von besonderem Gewicht sein (vgl. dazu: BVerwG, U.v. 2.12.2021 - 2 A 7.21 - juris Rn. 26 bis 28).
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3.1.2 Nach diesen Grundsätzen stellt die Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises unter fortgesetzter Verwendung der Angaben eines Bundestaates des Deutschen Kaiserreichs („Königreich Bayern“) und dem Hinweis auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz mit dem Stand von 1913 eine Verletzung der Verfassungstreuepflicht dar. Denn wer auch bei Sachverhalten seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Staatsangehörigkeit auf Verhältnisse vor dieser Zeit - hier auf das Anfang November 1918 untergegangene Deutsche Kaiserreich - abstellt, verneint damit die rechtliche Existenz der Bundesrepublik Deutschland. Es ist schlechterdings unmöglich, die rechtliche Existenz dieses Staates zu leugnen und sich zugleich zu dessen Grundordnung zu bekennen und sich für diese einzusetzen, wie es § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG verlangt. Er negiert damit zugleich die Grundlagen seines Beamtenverhältnisses und verletzt seine Verfassungstreuepflicht in schwerwiegender Weise (BVerwG, U.v. 2.12.2021 a.a.O. Rn. 30).
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Mit dem vorbeschriebenen Verhalten hat der Beklagte, anders als das Verwaltungsgericht meint, nicht nur den Anschein (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 17.5.2001 - 1 DB 15.01 - juris Rn. 36: Teilnahme an Skinhead-Konzert, Tragen eines Siegelrings mit gegebenenfalls verfassungsfeindlichem Kennzeichen) hervorgerufen, Gegner der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu sein. Er hat vielmehr mit den Angaben im Antrag auf Erteilung des Staatsangehörigkeitsausweises im Rechtsverkehr gegenüber einer staatlichen Behörde - und damit nach außen - zum Ausdruck gebracht, dass er von der Weitergeltung vorkonstitutionellen Rechts ausgeht, mithin die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland in Abrede gestellt und die freiheitliche demokratische Grundordnung abgelehnt. Diese Erklärung ist, eben weil sie im Rechtsverkehr mit einer Behörde abgegeben wurde, auch von erheblichem Gewicht: Als Beamter wusste der Beklagte auch um die Bedeutung eines so formulierten förmlichen Antrags (a.A. VG Düsseldorf 22.2.2017 - 35 K 12521/16.O - juris; VG Münster 10.7.2017 - 13 K 5475/16.O - juris).
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Zudem ist nicht erkennbar, welchen objektiven Zweck die Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises für denjenigen haben kann, der ihn im Rechtsverkehr nicht benötigt. Seine deutsche Staatsangehörigkeit ist seit seiner Geburt seitens einer Behörde nie in Frage gestellt worden. Jedenfalls hat die Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises mit Angaben zur Staatsangehörigkeit nicht auf die Bundesrepublik Deutschland, sondern auf einen längst nicht mehr existierenden Bundesstaat bezogen den objektiven Erklärungsinhalt der Leugnung der rechtlichen Existenz der Bundesrepublik Deutschland. Es handelt sich um ein vorbereitetes, planvolles und zielgerichtetes - also nicht lediglich spontanes - Agieren gegenüber einer Behörde mit rechtserheblichem Inhalt (vgl. zu Vorstehendem: BVerwG, U.v. 2.12.2021 a.a.O. Rn. 30 - 32).
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Darin liegt zugleich ein Verhalten, das typisch für die Reichsbürger-Szene ist. „Reichsbürger“ sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen - unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht - die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren und deshalb die Besorgnis besteht, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen. Charakteristisch für die Szene ist ihre personelle, organisatorische und ideologische Heterogenität. Ihre Angehörigen agieren - sofern es sich nicht um Einzelpersonen ohne strukturelle Einbindung handelt - in Kleinst- und Kleingruppierungen, überregional tätigen Personenzusammenschlüssen und virtuellen Netzwerken. „Reichsbürger“ lehnen die Bundesrepublik Deutschland unter Berufung auf ein wie auch immer geartetes „Deutsches Reich“ ab. In ihrer Gesamtheit ist die Szene der „Reichsbürger“ als staats- und verfassungsfeindlich gegenüber (der staatlichen Rechtsordnung) der Bundesrepublik Deutschland einzustufen. Beim Thema Gebiets- und Geschichtsrevisionismus, bei völkischem und teilweise nationalsozialistischem Gedankengut sowie beim Antisemitismus finden sich ideologische Überschneidungen zur rechtsextremistischen Szene (Verfassungsschutzbericht 2021 des Bundesministeriums des Innern und für Heimat, S. 102 f.).
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Der Beklagte hat zwar sowohl im behördlichen als auch im gerichtlichen Disziplinarverfahren angegeben, sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekennen, hat aber auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht plausibel erklären können, warum er sich in dieser Weise verhalten hat.
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Mit der Stellung des Antrags mit den - durchgängigen - Angaben „Königreich Bayern“ sowie „gem. § 4 (1) RuStaG Stand 1913“ hat der Beklagte die rechtliche Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren verfassungsmäßige Ordnung - objektiv - negiert. Seine Verhaltensweise hat er weder im behördlichen Disziplinarverfahren noch in der mündlichen Verhandlung in einer Weise erläutern können, dass seiner Vorgehensweise eine andere Bedeutung beigemessen werden könnte. Der Senat nimmt dem Beklagten seinen gesamten Vortrag zu den angeblichen Beweggründen für die Beantragung eines Staatsangehörigkeitsnachweises mit den Angaben „Königreich Bayern“ und „gem. § 4 (1) RuStaG Stand 1913“ nicht ab.
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Im behördlichen Disziplinarverfahren hat der Beklagte die Stellung des Antrags damit begründet, er habe Ahnenforschung betrieben. Er sei einfach gerne Bayer, weshalb er „in Bayern“ und „Königreich Bayern“ angegeben habe. Er fühle sich Deutschland sehr verbunden, habe sich an eine - nicht näher genannte - Ausfüllanleitung gehalten und gemeint, er müsse sich auch bezüglich seiner Abstammung auf das Recht von 1914 beziehen, da er seine Abstammung auf seinen im Jahr 1911 geborenen Großvater bezogen habe. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht war dann davon die Rede, es habe es aus „Jux und Tollerei“ gemacht. Diesen Vortrag wiederholte er in der Berufungsverhandlung; er habe es aus Interesse getan. Sein Prozessbevollmächtigter fügte hin, es sei eine Torheit bzw. Dummheit gewesen.
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3.2 Durch sein vorsätzliches und schuldhaftes Verhalten hat der Beklagte zugleich seine Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten (§ 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG) verletzt. Die Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises mit Angaben, die die rechtliche Existenz der Bundesrepublik Deutschland und ihre verfassungsmäßige Ordnung leugnen, begründet angesichts der Schwere des Pflichtenverstoßes ernstliche Zweifel, dass der Beamte seinem dienstlichen Auftrag als Sachwalter einer an Recht und Gesetz gebundenen Verwaltung gerecht wird (BVerwG, U.v. 2.12.2021 a.a.O. Rn. 44).
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4. Im Rahmen der dem Gericht obliegenden Maßnahmebemessung ist die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis die gebotene Maßnahme, ungeachtet des Umstandes, dass sein Verhalten nicht strafbar ist. Durch sein schweres Dienstvergehen hat der Beklagte das Vertrauen seines Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren.
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4.1 Welche Disziplinarmaßnahme erforderlich ist, richtet sich nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG nach der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild und dem bisherigen dienstlichen Verhalten. Aus den gesetzlichen Vorgaben folgt die Verpflichtung, die Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu bestimmen. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis als einem Mittel der Sicherung der Funktion des öffentlichen Dienstes. Danach ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrechtzuerhalten.
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Bei der Gesamtwürdigung sind die im Einzelfall bemessungsrelevanten Tatsachen nach Maßgabe des Art. 63 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 56 BayDG zu ermitteln und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Bewertung einzubeziehen. Als maßgebendes Bemessungskriterium ist die Schwere des Dienstvergehens richtungsweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Das bedeutet, dass das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des Art. 6 BayDG aufgeführten Disziplinarmaßnahme zuzuordnen ist. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist.
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Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit i.S.v. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (vgl. zu Vorstehenden: BVerwG, U.v. 2.12.2021 a.a.O. Rn. 46 bis 48).
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4.2 Ausgehend von diesen Grundsätzen ist hier die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis die angemessene Maßnahme.
32
Im Streitfall ist hinsichtlich der Schwere des Dienstvergehens auf die Verletzung der Verfassungstreuepflicht (§ 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG) abzustellen; dem ebenfalls verwirklichten Verstoß gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten (§ 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG) kommt daneben keine die Maßnahmebemessung zusätzlich beeinflussende Bedeutung zu.
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Die Verletzung der Pflicht zur Treue zur Verfassung (§ 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG) ist so schwerwiegend, dass es bei der Maßnahmebemessung nach Art. 14 BayDG von der höchsten Maßnahme, der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (Art. 11 BayDG), auszugehen ist. Dies folgt aus der Unverzichtbarkeit der Verfassungstreue im Beamtenverhältnis. Die Verfassungstreue ist ein Eignungsmerkmal für Beamte. Personen, die sich nicht zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und nicht für deren Erhaltung eintreten, kann von den Bürgern nicht das für die Wahrnehmung des öffentlichen Amtes berufserforderliche Vertrauen entgegengebracht werden (BVerwG, U.v. 2.12.2021 a.a.O. Rn. 51). Dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung schließt sich auch der Senat an. Dem Beklagten ist, anders als Lehrern, die in der Regel nicht schwerpunktmäßig hoheitliche Aufgaben wahrnehmen (BayVGH, U.v. 20.7.2022 - 16a D 20.1464 - juris), kein minderer Gefährdungsgrad für die freiheitliche demokratische Grundordnung zuzubilligen.
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Allein die Beantragung des Staatsangehörigkeitsausweises mit mehrfachem Beziehen auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz „Stand: 1913“ und Bezugnahme auf das „Königreich Bayern“ ist bereits ein schweres Dienstvergehen und kann - anders als der Bevollmächtigte des Klägers meint - nicht mit einem erstmaligen Ladendiebstahl verglichen und als niederschwellig betrachtet werden. Eine Differenzierung und Ausbildung verschiedener Grade einer Verfassungsuntreue verbieten sich. Es gibt keine minderschwere Verletzung der Pflicht zur Verfassungstreue.
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Weiter ist zu berücksichtigen, dass sich der Beklagte, einschlägigen Internetseiten folgend, am 19. Mai 2015 einen vorläufigen Reisepass ausstellen ließ, mit dem er sich bei dem Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit (4.8.2015) ausgewiesen hatte. In der Reichsbürgerszene scheint dieses Dokument von besonderer Bedeutung zu sein, was wohl mit der Anzahl der Federn pro Schwinge des auf dem Dokument befindlichen Bundesadlers zu tun hat. Der Beklagte hat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren angegeben, er habe erst auf Anraten seines damaligen Prozessbevollmächtigten im Jahr 2017 einen Personalausweis beantragt. Auch das wirft ein negatives Licht auf den Beklagten, da die Antragstellung offensichtlich nicht aus eigenem Antrieb erfolgte.
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Die Weiterbeschäftigung des Beklagten nach Aufdeckung des Dienstvergehens bis zur Berufungsverhandlung stellt keinen Milderungsgrund dar, da die Frage der weiteren Tragbarkeit des Beamten von den Disziplinargerichten zu beurteilen ist und die Weiterbeschäftigung auf Gründen (z.B. betriebswirtschaftlicher Art) beruhen kann, die disziplinarrechtlich nicht von Bedeutung sind (BayVGH, U.v. 6.4.2022 - 16a D 20.975 - juris Rn. 50; BVerwG, U.v. 11.11.2021 - 2 WD 28.20 - juris Rn. 66).
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Ebenfalls nicht mildernd kann die Einstellung des waffenrechtlichen Widerrufsverfahrens gegen den über ein beachtliches Waffenarsenal verfügenden Beklagten berücksichtigt werden. Die Verwaltungsbehörden müssen selbständig beurteilen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG vorliegen. Mitarbeitern des Ordnungsamts der Stadt N. und der Regierung von Mittelfranken sowie des Polizeipräsidiums Mittelfranken sind nach einer vom Bevollmächtigten des Beklagten angeregten Waffenaufbewahrungskontrolle am 7. März 2018 zu dem Ergebnis gekommen, der Beklagte gehöre nicht der „Reichsbürgerszene“ an (weshalb er auch aus der Liste der Reichsbürger entfernt wurde). Diese Einschätzung der Exekutive ist indes kein Präjudiz für die nunmehr zu treffende Disziplinarmaßnahme durch die unabhängige Judikative. Selbst wenn man den Verwaltungsbehörden zubilligen wollte, dass Anfang des Jahres 2018 möglichweise noch Unsicherheiten darüber bestanden haben sollten, wie die „Reichsbürgerszene“ einzuschätzen ist, entspricht es nunmehr einhelliger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, dass Anhänger der „Reichsbürgerszene“ als waffenrechtlich unzuverlässig anzusehen sind, da mit der Verleugnung des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland zwangsläufig die Gefahr einhergeht, dass die Betreffenden die geltenden Gesetze der Bundesrepublik Deutschland, und damit auch das Waffengesetz, nicht als für sich verbindlich anerkennen und deshalb die Gefahr besteht, dass die Vorschriften nicht eingehalten werden. Anhänger der „Reichsbürgerszene“ ist dabei schon eine Person, die in einem Antrag auf Erteilung eines Staatsangehörigkeitsausweises als Geburts-, Wohnsitz- und Aufenthaltsstaat auch für die Zeit nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland durchgehend „Königreich Bayern“ angegeben und sich mehrfach auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) „Stand 1913“ bezogen hat (BayVGH, U.v. 11.8.2022 - 24 B 20.1363 - juris).
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Zugunsten des Beklagten ist in die Betrachtung einzustellen, dass er disziplinarrechtlich nicht vorbelastet ist, ihm unter dem 22. Januar 2019 ein ausgesprochen positives Persönlichkeitsbild attestiert wurde und im Rahmen der Anlassprüfung keinerlei Anhaltpunkte dafür gefunden werden konnten, die Zweifel an seiner Loyalität des gegenüber dem Freistaat Bayern in dienstlichen Angelegenheiten rechtfertigen würden (s. Bericht über die Anlassprüfung beim FA Nürnberg-Zentral vom 24.7.2017). Auch sind weitere, die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Rechtsordnung leugnende Äußerungen des Beklagten nicht bekannt geworden.
39
Angesichts der Schwere des Verstoßes gegen die Verfassungstreuepflicht können den Beklagten diese Milderungsgründe nicht vor der Höchstmaßnahme bewahren. Die Grundlagen des Beamtenverhältnisses lassen es nicht zu, Personen mit der Ausübung staatlicher Gewalt zu betrauen, die die freiheitliche demokratische Verfassungsordnung ablehnen.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 BayDG.
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Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig geworden (Art. 64 Abs. 2 BayDG).