Inhalt

VGH München, Beschluss v. 08.11.2022 – 15 ZB 22.31119
Titel:

unzulässiger Asylfolgeantrag (Jordanien)

Normenketten:
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 108 Abs. 2
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Die Gerichte sind nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich und im Detail auseinanderzusetzen, denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylbewerber aus Jordanien, Folgeantrag, Antrag auf Zulassung der Berufung (abgelehnt), Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (verneint), Gehörsrüge, inländische Fluchtalternative, Existenzminimum
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 12.05.2022 – M 27 K 22.30268
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31563

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

I.
1
Der Kläger ist nach eigenen Angaben jordanischer Staatsangehöriger und arabischer Volkszugehörigkeit. Auf seinen ersten Asylantrag erließ das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 31. Juli 2020, mit dem u.a. seine Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurden und festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen.
2
Mit - hier streitgegenständlichem - Bescheid vom 11. Januar 2022 lehnte das Bundesamt einen Asylfolgeantrag des Klägers als unzulässig ab und lehnte zudem auch den Antrag auf Abänderung des bestandskräftigen Bescheids des Bundesamts vom 31. Juli 2020 bezüglich der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG ab. Es seien keine neuen Umstände vorgetragen worden, die möglicherweise zu einer günstigeren Entscheidung im Hinblick auf §§ 3 ff. AsylG führen könnten. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG seien ebenfalls nicht erfüllt. Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG gem. § 49 VwVfG rechtfertigten, lägen ebenfalls nicht vor. Mit Urteil vom 12. Mai 2022 wies das Verwaltungsgericht München die vom Kläger erhobene Klage mit den Anträgen, den Bescheid des Bundesamts vom 11. Januar 2022 aufzuheben sowie hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Jordanien festzustellen, ab.
3
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
4
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
5
1. Der vom Kläger allein geltend gemachte Berufungszulassungsgrund der Versagung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V. mit § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor bzw. ist nicht gemäß den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG substantiiert dargelegt worden.
6
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG, vgl. auch § 108 Abs. 2 VwGO) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Es gewährleistet im Sinn der Wahrung eines verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes, dass ein Kläger die Möglichkeit haben muss, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche vortragen zu können. Eine Verletzung des Grundsatzes liegt vor, wenn das Gericht einen entscheidungserheblichen Vortrag der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen bzw. bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat oder einen entsprechenden Vortrag dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat, und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war. Im Übrigen brauchen sich die Gerichte nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich und im Detail auseinanderzusetzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Abweichendes gilt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (zusammenfassend zum Ganzen BayVGH, B.v. 16.3.2022 - 15 ZB 22.30278 - juris Rn. 11 m.w.N.). Gemessen daran ist ein Gehörsverstoß nicht dargetan.
7
a) Eine Verletzung des Gehörsanspruchs liegt nicht vor, soweit mit der Antragsbegründung moniert wird, das Verwaltungsgericht habe einen neuen Sachvortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 12. Mai 2022 bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt. Dies betreffe das Vorbringen, dass seine Eltern im Jahr 2021 durch dieselbe kriminelle Bande bedroht worden seien, die auch ihn in Jordanien verfolgt habe. Dieser Vortrag sei - so die Antragsbegründung - in den Urteilsgründen unerwähnt geblieben, sodass eine Auseinandersetzung mit diesem nicht stattgefunden habe.
8
Eine Zulassung der Berufung wegen der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör scheitert schon daran, dass nicht konkret dargelegt wurde, dass und warum die neu vorgetragene Bedrohung seiner Familie einen entscheidungserheblichen Umstand darstellt. Denn der Kläger hat sich in der Antragsbegründung nicht bzw. nicht substantiiert mit den folgenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu § 3c Nr. 2 und Nr. 3 AsylG sowie zur inländischen Fluchtalternative (UA S. 7 f.) auseinandergesetzt [zu Letzterem vgl. auch im Folgenden b) ]. Insbesondere der (durch Fettdruck hervorgehobene) letzte Satz der im Folgenden zitierten Passage des angegriffenen erstinstanzlichen Urteils zeigt zudem, dass das Erstgericht den in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Sachvortrag des Klägers zur Bedrohung seiner Eltern durch die „kriminelle Bande“ tatsächlich zur Kenntnis genommen und diese bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat:
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„Unabhängig von der Frage des Vorliegens von Wiederaufgreifensgründen, ergibt sich daraus - selbst bei Wahrunterstellung der behaupteten Verfolgung - jedenfalls keine potentiell für den Kläger günstigere Entscheidung. Vielmehr handelt es sich dabei um kriminelles Unrecht, welches aber nicht die Annahme einer flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgefahr oder eines ernsthaften Schadens begründen kann. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die geschilderten Verfolgungshandlungen von einem Akteur im Sinne des § 3c AsylG ausgegangen sind. Selbst wenn es sich um eine einflussreiche Bande handeln sollte, kommt dieser jedenfalls keine staatsähnliche Herrschaftsgewalt zu, sodass es sich nicht um quasistaatliche Akteure i.S.d. § 3c Nr. 2 AsylG handelt (…). Zudem ist aus verfahrensgegenständlichen Erkenntnismitteln nicht ersichtlich, dass die staatlichen Sicherheitsorgane in Jordanien nicht in der Lage oder willens wären, dem Kläger als Opfer kriminellen Unrechts hinreichend Schutz zu gewähren, sodass auch § 3c Nr. 3 AsylG nicht einschlägig ist. Die Behauptung des Klägers, dass seine Anzeige bei der Polizei ‚nicht mehr auffindbar‘ gewesen sei, entbehrt jeder Grundlage und ist auch vom Kläger nicht weiter substantiiert worden, etwa durch Nennung eines polizeilichen Aktenzeichens, der damit befassten Polizeidienststelle etc.
10
Unabhängig davon sind die Voraussetzungen für eine inländische Fluchtalternative (vgl. §§ 3e, 4 Abs. 3 AsylG) gegeben. Konkrete Anhaltspunkte, dass die Verfolger von einer Rückkehr des Klägers Kenntnis erlangen würden, wurden nicht vorgebracht. Es ist auch nicht ersichtlich, dass diese als nichtstaatliche Akteure unschwer in der Lage wären, den Kläger bei der Einreise und sodann außerhalb seiner Herkunftsregion aufzuspüren und zu verfolgen, zumal in Jordanien keine Meldepflicht besteht (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft v. 20.7.2020). Anderes folgt auch nicht aus dem pauschalen klägerischen Vortrag, es handele sich um eine einflussreiche Bande mit Kontakten in Regierungskreise. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Verfolger bei staatlichen Stellen ein entsprechendes Verfolgungsinteresse durchsetzen könnten und daraufhin Verfolgungsmaßnahmen zulasten des Klägers eingeleitet werden würden, wurden nicht zur Überzeugung des Gerichts vorgetragen. Es ist dem Kläger daher zuzumuten, sich in einem anderen Gebiet Jordaniens als seinem Heimatort Zarqa niederzulassen, weil es sich bei ihm um einen jungen gesunden arbeitsfähigen Mann ohne Unterhaltslasten handelt, der in Jordanien die Schule mit dem Abitur abgeschlossen und den Beruf des Elektrikers erlernt und acht Jahre als solcher gearbeitet hat. Er verfügt damit über Erfahrungen auf dem heimischen Arbeitsmarkt, weshalb davon auszugehen ist, dass es ihm möglich sein wird, ein existenzsicherndes Einkommen auch in einem anderen, für ihn sicheren Landesteil zu erwirtschaften. Soweit er ausführt, seine Familie in Jordanien werde ebenfalls bedroht, könnte sich diese gemeinsam mit dem Kläger in einem sicheren Teil des Landes niederlassen, was zusätzlich gegenseitige familiäre Unterstützung bedeuten würde.“
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b) Die in der Antragsbegründung erhobene Rüge eines Verstoßes gegen das Recht auf rechtliches Gehör hinsichtlich eines Abschiebungsverbots wegen existenzieller Notlage (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK) ist ebenfalls unbegründet. Das Erstgericht hat sich mit einem solchen Abschiebungsverbot tatsächlich befasst und dieses ergänzend zu den bereits vorher zitierten Passagen mit folgenden Erwägungen zu seiner beruflichen Qualifikation und seiner Berufserfahrung abgelehnt (UA S. 9):
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„(…) Denn dieser verfügt mit seinem abgeschlossenen Abitur über eine gute Schulbildung und auch über Arbeitserfahrung als Elektriker. Es dürfte ihm daher - wie bereits oben ausgeführt - gelingen, auf dem jordanischen Arbeitsmarkt ein existenzsicherndes Auskommen zu erwirtschaften, zumal er keine Unterhaltslasten trägt. Der pauschale Verweis auf die schlechte arbeitsmarktpolitische Lage in der mündlichen Verhandlung ändert daran ebenfalls nichts, weil der Kläger nicht dargelegt hat, wieso trotz seiner guten Schul- und Berufsbildung und seiner achtjährigen Arbeitserfahrung als Elektriker die beachtlich wahrscheinliche Gefahr der Arbeitslosigkeit und damit einhergehender Verelendung bestünde. Denn es handelt sich bei einem solchen handwerklichen Beruf regelmäßig um einen recht krisensicheren Beruf. In einer Gesamtschau der persönlichen Umstände ist bei der Rückkehr nach Jordanien daher prognostisch keine Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK zu erwarten.“
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Übergangener Sachvortrag des Klägers ist hier nicht ersichtlich. Wie die zitierten Passagen des Urteils belegen, hat sich das Verwaltungsgericht auch (bejahend) mit der Frage befasst, ob sich der Kläger auch außerhalb seiner Heimatregion ein Existenzminimum erwirtschaften kann. Dass er selbst dies anders bewertet als das Erstgericht, indem er vorbringt, dass er über keinerlei Anlaufstellen außerhalb seiner Heimatregion - wohin er auch aufgrund aktueller Bedrohungen gegenüber seiner Familie nicht mehr zurückkehre könne - verfüge und im Übrigen in ganz Jordanien derart schlechte wirtschaftliche Bedingungen herrschten, dass Rückkehrer keine Chance besäßen, zur Sicherung ihres Existenzminimums eine Arbeit zu finden, vermag eine Gehörsverletzung im o.g. Sinn selbst dann nicht zu begründen, wenn (wozu es zudem an einem hinreichend substantiierten Gegenvortrag in der Antragsbegründung fehlt) die diesbezügliche Rechtsanwendung des Erstgerichts fehlerhaft wäre. Denn die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gewährleistet nicht, dass die angefochtene Entscheidung frei von einfach-rechtlichen materiellen Rechtsfehlern oder sonstigen Verfahrensfehlern ist, sondern sie soll nur sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Rechtsfehlern ergeht, die ihren Grund gerade in der unterlassenen Kenntnisnahme oder in der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben (BayVGH, B.v. 5.12.2019 - 15 ZB 19.34099 - juris Rn. 10 m.w.N.; B.v. 27.9.2021 - 15 ZB 20.32485 - juris Rn. 55; vgl. auch BVerfG, B.v. 15.2.2017 - 2 BvR 395/16 - juris Rn. 5 m.w.N.).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).