Titel:
Einstellung des Asylverfahrens wegen Nichtwahrnehmung des Anhörungstermins infolge einer polizeilichen Maßnahme
Normenkette:
AsylG § 25 Abs. 4, § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 3
Leitsatz:
Verstößt ein Asylbewerber gegen die räumliche Beschränkung seiner Aufenthaltsgestattung und kann er infolge einer polizeilichen Maßnahme nicht rechtzeitig den Anhörungstermin beim Bundesamt wahrnehmen, so hat er keinen Anspruch auf Aufhebung des wegen Nichtbetreibens des Asylverfahrens ergangenen Einstellungsbescheids. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstellung des Asylverfahrens, Vermutung, Nichtbetreiben des Verfahrens, Einstellungsbescheid, räumliche Beschränkung, Festnahme, Anhörungstermin
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 25.10.2022 – 15 ZB 22.31093
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31562
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich im Hauptsacheverfahren gegen die Einstellung seines Asylverfahrens und begehrt die Verpflichtung der Beklagten, das Asylverfahren fortzusetzen.
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Der ausweislich der vorgelegten Akte des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Weiteren Bundesamt) am … 1973 geborene Kläger, ist georgischer Staats- und Volksangehöriger und gehört den o. Christen an. Aufgrund eines Eurodac-Treffers (FR..) richtete das Bundesamt unter dem 20.12.2021 ein Übernahmeersuchen hinsichtlich des Klägers an Frankreich. Dieses wurde von Frankreich unter dem 30.12.2021 abgelehnt, weil dort das Asylverfahren des Klägers am 27.9.2019 abgelehnt worden war und nicht ausgeschlossen werden konnte, dass der Kläger zwischenzeitlich Frankreich verlassen und zurück nach Georgien gereist sei. Am 17.1.2022 (Datum der förmlichen Asylantragstellung) stellte der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau und seiner minderjährigen Tochter beim Bundesamt einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter.
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Im Rahmen der Asylantragstellung wurde der Kläger über seine Mitwirkungspflichten im Asylverfahren, insbesondere auch die Konsequenzen eines nicht wahr genommenen Anhörungstermins und des Nichtbetreibens des Verfahrens (u.a. bei Verstoß im beschleunigten Verfahren gegen die räumliche Beschränkung) belehrt. Mit Schreiben vom 17.1.2022 wurde der Kläger zur persönlichen Anhörung nach § 25 Abs. 4 AsylG geladen. Das Ladungsschreiben enthält eine Belehrung über die Konsequenzen der Nichtwahrnehmung des Anhörungstermins.
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Dem Kläger wurde am 17.1.2022 eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens erteilt. Diese enthielt eine räumliche Beschränkung auf den Landkreis D..
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Ausweislich eines Aktenvermerks vom 18.1.2022 ist der Kläger unentschuldigt nicht zur Anhörung erschienen.
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Der Kläger teilte dem Bundesamt schriftlich mit, dass er am 17.1.2022 mit zwei Bekannten nach N. gefahren sei, um dort Kopien zu machen. Die Bekannten hätten ihm gesagt, dass er Kopien nur in N. machen könne. Als er mit dem Auto zurück nach D. gefahren sei, sei er von der Polizei angehalten worden und das Auto durchsucht worden. Er habe gesagt, dass er zur Anhörung müsse, aber man habe ihm Handschellen anagelegt und ihn auf das Polizeirevier gebracht. Sein Mobiltelefon sei eingezogen worden. Das Auto sei auch sichergestellt worden und sein georgischer Dienstausweis. Er sei am 18.1.2022 aus dem Polizeigewahrsam entlassen worden und abends mit dem Zug nach D. zurückgekehrt. Er bitte dies als Entschuldigungsgrund anzuerkennen.
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In der Akte befindet sich ein Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 18.1.2022 (Geschäftsnummer …). mit dem der Antrag der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vom 17.1.2022 gegen den Kläger Untersuchungshaft anzuordnen. abgelehnt wurde. Ferner befindet sich das Sicherstellungsprotokoll über den georgischen Dienstausweis des Klägers in den Akten.
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Mit Bescheid vom 18.3.2022 (Gesch.-Z: …), der am 25.3 2022 als Einschreiben zur Post gegeben wurde, stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und stellte das Asylverfahren des Klägers ein (Nummer 1). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nummer 2). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall, dass der Kläger die Ausreisefrist nicht einhalten sollte, wurde seine Abschiebung nach Georgien oder einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht (Nummer 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gem. § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nummer 4). Zur Begründung wurde ausgeführt, der Asylantrag gelte als zurückgenommen, da der Kläger das Verfahren nicht betreibe. Der Kläger habe gegen die räumliche Beschränkung seiner Aufenthaltsgestattung gem. § 56 AsylG verstoßen, der er wegen einer Wohnverpflichtung nach § 30a Abs. 3 AsylG unterliege. Demzufolge werde vermutet, dass er das Verfahren im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG nicht betreibe. Der Kläger sei zudem der Aufforderung zur Anhörung gem. § 25 AsylG nicht nachgekommen. Daher werde auch gem. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 2. Alt. AsylG vermutet, dass er das Verfahren nicht betreibe. Ein Nachweis, dass dies auf Umstände zurückzuführen sei, auf die der Kläger keinen Einfluss gehabt habe, sei nicht eingereicht worden. Insbesondere vermöchten die Ausführungen des Klägers vom 17.1.2022 die Regelvermutung nicht zu entkräften, da der Kläger die Umstände, die zu seiner Pflichtverletzung geführt hätten, selbst vorsätzlich herbeigeführt habe. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG seien weder vorgetragen noch lägen sie nach den Erkenntnissen des Bundesamtes vor.
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Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 1.4.2022 ließ der Kläger gegen diesen Bescheid Klage erheben. Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 17.6.2022 ließ der Kläger einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes stellen (Az.: RN 9 E 22.30940). Dieser wurde mit Beschluss vom 22.6.2022 abgelehnt. Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 23.6.2022 ließ der Kläger einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Az.: RN 9S 22.30971) stellen. Dieser wurde mit Beschluss vom 28.6.2022 abgelehnt. Zur Begründung der Klage wird vorgetragen, der Beklagten sei bekannt gewesen, dass der Kläger am 17.1.2022 von der Polizei festgesetzt worden und sein Fahrzeug beschlagnahmt worden sei. Deshalb habe er erst am Folgetag mit dem Zug anreisen können. Insoweit sei der Kläger ohne eigenes Verschulden an der Wahrnehmung der Anhörung gehindert gewesen.
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.3.2022 zu verpflichten, das Asylverfahren fortzusetzen.
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Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf den streitgegenständlichen Bescheid,
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Die Beklagte hat unter dem 30.6.2022, der Kläger unter dem 25.7.2022 auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der in elektronischer Form vorgelegten Behördenakte und die Gerichtsakte mit den eingereichten Schriftsätzen Bezug genommen. Die Gerichtsakten der Verfahren RN 9 S 22.30971 und RN 9 E 22.30940 wurden zum Verfahren beigezogen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage kann durch Urteil ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten ihr Einverständnis dazu erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)).
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18.3.2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)).
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1. Klagegegenstand ist hier der Einstellungsbescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18.3.2022. Dieser ist ein feststellender Verwaltungsakt, gegen den nach allgemeinen Grundsätzen die Anfechtungsklage die statthafte Rechtschutzform ist (siehe hierzu BeckOK AuslR/ Heusch § 33 AsylG RdNr. 39). Dahingehend ist der seitens des Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 1.4.2022 gestellte Klageantrag auch zu verstehen (§ 88 VwGO). Die daneben beantragte Verpflichtung der Beklagten zur Fortsetzung des Verfahrens bedarf es nicht, da sich diese bereits aus der Aufhebung des Einstellungsbescheides ergeben würde. Nicht zu prüfen war, ob dem Kläger bei Abweisung der Klage hilfsweise ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) zusteht, da ein entsprechender Antrag des Klägerbevollmächtigten nicht gestellt wurde. Die seitens des Klägerbevollmächtigten im Verfahren vorgelegten Unterlagen, mit denen eine Gefährdung des Klägers in Georgien belegt werden soll, waren daher für das streitgegenständliche verfahren nicht entscheidungserheblich.
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2. Gem. § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Dies hat zur Folge, dass das Bundesamt das Verfahren einstellt (§ 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG).
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Gem. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 2. Alt. AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Anhörung gem. § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Der Kläger hat hier seinen Anhörungstermin am 18.1.2022 nicht wahrgenommen. Über die Folgen wurde er im Rahmen seiner Asylantragstellung am 17.1.2022 belehrt. Dem Kläger ist es nicht gelungen, die sich aus der Nichtwahrnehmung des Anhörungstermins ergebende Vermutung, er betreibe das Verfahren nicht, zu widerlegen. Dies würde nämlich voraussetzen, dass der Kläger unverzüglich nachgewiesen hätte, dass er der Aufforderung zur Anhörung gem. § 25 AsylG aus Umständen nicht nachgekommen ist, auf die er keinen Einfluss hatte. Die Aufenthaltsgestattung des Klägers unterlag hier einer räumlichen Beschränkung gem. § 56 Abs. 1 AsylG auf den Landkreis D.. Gegen diese räumliche Beschränkung hat der Kläger dadurch verstoßen, dass er am 17.1.2022 von D. nach N. gefahren ist. Ein zwingender Grund i.S.d. § 57 Abs. 1 AsylG für das Verlassen des Geltungsbereichs der Aufenthaltsgestattung ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers nicht. Vielmehr scheint es sich bei dem Vorbringen, ihm sei von Bekannten gesagt worden, dass er Kopien in N. machen müsse, um eine Schutzbehauptung zu handeln. Es mag zwar sein, dass der Kläger keinen Einfluss darauf hatte, dass er dann in N. von der Polizei kontrolliert und festgehalten wurde. Dies führt aber nicht dazu, dass der Kläger sein Fernbleiben vom Anhörungstermin entschuldigt hätte. Er hat durch den Verstoß gegen die räumliche Beschränkung seiner Aufenthaltsgestattung die Ursache gesetzt, an die die weiteren Ereignisse anknüpfen.
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Entgegen den Ausführungen des Bundesamtes im streitgegenständlichen Bescheid liegen hier allerdings die Voraussetzungen der Vermutung des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 2. Alt. AsylG nicht vor, weil nicht ersichtlich ist, dass der Kläger einer Wohnverpflichtung nach § 30a Abs. 3 AsylG unterlegen wäre. Aus der vorgelegten Behördenakte ergibt sich nicht, dass hier die Voraussetzungen für die Durchführung eines beschleunigten Verfahrens gegeben waren. Im Übrigen wäre im Hinblick auf § 30a Abs. 2 Satz 2 AsylG hier nicht mehr von einem beschleunigten Verfahren auszugehen, da das Bundesamt nicht innerhalb der Wochenfrist über den Asylantrag des Klägers entschieden hat.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
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4. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO, §§ 708 ff ZPO.
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5. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG).