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VG München, Urteil v. 07.07.2022 – M 27 K 21.32127
Titel:

Kein Abschiebungsverbot nach Jordanien wegen einer Herzerkrankung

Normenkette:
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Es besteht kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG in Bezug auf Jordanien trotz einer bei dem Asylbewerber wiederholt diagnostizierten koronaren Herzerkrankung. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unbegründeter Antrag auf internationalen Schutz, Unbegründeter Antrag auf Asylanerkennung, Unglaubwürdiger Verfolgungsvortrag, Zwischenzeitliche Einreise in das Bundesgebiet und Rückkehr nach Jordanien, Vorliegen von Abschiebungsverboten (verneint), Koronare Herzerkrankung, Nierenentfernung, Jordanien, widersprüchliches Vorbringen, Glaubwürdigkeit, Herzerkrankung, Abschiebungsverbot
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 24.10.2022 – 15 ZB 22.31086
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31560

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der 1966 in Jordanien geborene Kläger ist jordanischer Staatsangehöriger mit arabischer Volkszugehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben zuletzt am 6. Dezember 2018 mit einem für 90 Tage geltenden Schengen-Visum auf dem Luftweg in das Bundesgebiet ein und stellte dort am 9. Mai 2019 einen Asylantrag.
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In einer Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 4. Juni 2019 trug der Kläger im Wesentlichen zur Begründung seines Asylantrags vor, er habe in Jordanien 12 Jahre lang die Schule besucht und mit Abitur abgeschlossen. Von Beruf sei er selbstständiger Fahrlehrer und Geschäftsmann sowie Manager in einem Geschäftsmodell gewesen. In Jordanien habe er Probleme mit hochrangigen Offizieren und Polizisten gehabt, sei deshalb im August bzw. September 2016 dort in Haft gewesen und gefoltert worden, unter anderem durch einen Tritt in die Niere, welche daraufhin entfernt worden sei. Anschließend habe er sich zwischen August 2016 bis zu seiner Ausreise im März 2018 verstecken müssen. Mit diesen Offizieren und Polizisten habe er ein Geschäftsmodell gehabt, wonach er junge Frauen für den Haushalt nach Jordanien geholt habe. Ab März 2018 habe er sich drei Monate in Deutschland aufgehalten, sei dann im Juni 2018 nach Ägypten gereist und schließlich im Dezember 2018 wieder nach Deutschland gekommen, nachdem er in Ägypten einen Herzinfarkt erlitten habe. In München habe er dann den vierten Herzinfarkt erlitten. Er habe keine Frau und keine Familie, und bitte in Deutschland um medizinische Hilfe. In Jordanien sei er in Abwesenheit zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt worden, wogegen er Einspruch erhoben, jedoch dann zwei Monate später Jordanien verlassen habe. Auf die Frage des Bundesamts, warum in einem ärztlichen Attest vom 31. Mai 2019 (Verein … e.V.) stehe, dass ihm die rechte Niere 2018 nach einem Autounfall entfernt worden sei, entgegnet er, er sei gezwungen gewesen, zu behaupten, dass die Nierenschädigung von einem Autounfall herrühre, weil mehrere Leute dabei gewesen sein, als er den Arzt in der Unterkunft aufgesucht habe. Der Dolmetscher sei nicht vereidigt gewesen, sondern einer der Mitbewohner. Ermittlungen des Bundesamts zufolge sind in Jordanien 26 Verfahren zu Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Kläger (u.a. ein Vorführ-Befehl) in einem Zivilregister aufgeführt, unter anderem mit dem handschriftlichen Hinweis „Scheck-Angelegenheit“. Der Kläger legte dem Bundesamt zahlreiche medizinische Unterlagen zwischen 2019 und 2021 vor, in welchen u.a. eine schwere koronare Herzerkrankung und ein Leistenbruch (Leistenhernie) diagnostiziert werden. Ermittlungen des Bundesamts hierzu ergaben, dass der Kläger 2013 in einem jordanischen Hospital am Herzen operiert wurde und ihm dort Stents eingesetzt wurden. Mit Schreiben vom 30. Juni 2021 führte der Kläger ergänzend gegenüber dem Bundesamt aus, die jordanische Stammesgesellschaft würde für ihn die Todesstrafe fordern. Ihm drohe dort lebenslange Freiheitsstrafe, die er wegen seiner Herzprobleme nicht überstehen würde. Es gehe um 29 „Scheck-Klagen“ in Jordanien.
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Mit Bescheid vom 21. September 2021, dem Kläger am 25. September 2021 mit Post zustellungsurkunde zugestellt, lehnte das Bundesamt dessen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, dessen Asylantrag sowie dessen Antrag auf subsidiären Schutz als unbegründet ab (Nr. 1 bis 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde unter Androhung der Abschiebung nach Jordanien aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keine begründete Furcht vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden glaubhaft machen können. Insbesondere habe er keine Verfolgungshandlung im flüchtlingsrechtlichen Sinn vorgetragen. Die von ihm vorgetragene Strafverfolgung in Jordanien drohe ihm nicht aus politischen Gründen, sondern wegen Vermögensdelikten. Den Tritt in den Nieren als Grund für deren Entfernung habe er nicht glaubhaft gemacht, seine Verfolgungsgeschichte sei frei erfunden. Auch gebe es keine Hinweise auf das Vorliegen von Abschiebungsverboten. Zwar leide er an einer koronaren Herzerkrankung, doch sei diese in Jordanien behandelbar. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass er bei einer Rückkehr nach Jordanien sofort daran sterben würde. Das gelte auch für den diagnostizierten Leistenbruch. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
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Der Kläger ließ am ... Oktober 2021 zur Niederschrift Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und sinngemäß beantragen
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unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 21. September 2021 die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, hilfsweise, festzustellen, dass bei ihm die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen, hilfsweise, diese zu verpflichten, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, hilfsweise, diese zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 5 sowie Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei ihm vorliegen.
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Zur Begründung seiner Klage lässt der Kläger zahlreiche weitere ärztliche Atteste vorlegen, insbesondere von einem hausärztlichen Zentrum in … vom 21. Oktober 2021, zu einer schweren koronaren Herzerkrankung und weiteren Krankheitsbildern (Zustand nach Pharynx-Karzinom, Schwindelanfälle, Verdacht auf chronische Schmerzzustände).
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Die Beklagte legte am 15. Oktober 2021 die Behördenakten vor und beantragt mit Schriftsatz gleichen Datums,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung bezieht sich auf die Gründe in der angefochtenen Entscheidung.
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Mit Beschluss vom 1. Februar 2022 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
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In der mündlichen Verhandlung am 7. Juli 2022 ließ der Kläger weitere medizinische Unterlagen zum Nachweis seiner Herzerkrankung sowie zu einer Kombination von zwei verschiedenen Kopfschmerzerkrankungen vorlegen (ärztliche Atteste vom 2. und 4. März sowie vom 1. Juni 2022), auf die Bezug genommen wird. Auf Nachfrage des Gerichts zu entsprechenden Ein- und Ausreisestempeln in seinem Pass erklärt der Kläger, er sei im September 2017 für ein bis zwei Tage von Jordanien aus mit dem Flugzeug nach Deutschland gekommen und dann mit dem Flugzeug wieder nach Jordanien zurückgekehrt. Er fürchte, bei der Rückkehr nach Jordanien für 30 Jahre in Haft genommen zu werden aufgrund von nach seiner Ansicht ungerechten Urteilen gegen ihn. Man habe in erpresserischer Weise Summen von ihm verlangt, die er nicht habe zahlen können, und daraufhin sei es zu diesen Urteilen gekommen. Er habe in Jordanien nichts Unrechtes getan, insbesondere nicht gestohlen und noch nicht betrogen. Anders, als in Jordanien üblich, hätten seine Geschäftspartner es nicht so gesehen, dass man an Gewinnen und Verlusten von beiden Seiten gleichermaßen beteiligt werde. Von seinen jordanischen Gegnern habe er auch in Deutschland Drohungen erhalten. Auf Vorhalt des Gerichts zum ärztlichen Attest vom 31. Mai 2019, wonach ihm aufgrund eines Autounfalls im Jahr 2018 die rechte Niere entfernt worden sei, erklärt er, er habe in Begleitung eines Freundes gegenüber einem einfachen Arzt im Asylantenheim gesagt, dass das so aufgrund eines Unfalls gewesen sei, weil er in diesem Moment nicht bei Gericht gewesen sei und deshalb es nicht habe näher ausführen wollen. Er habe aber mit anderen Unterlagen ausreichend bewiesen, dass eine Niere aufgrund eines Schlages hätte entfernt werden müssen. Im Jahr 2017 habe es mit seinen jordanischen Gegnern eine Vermittlung und eine Versöhnung gegeben. Man habe ihm gesagt, er solle weiterarbeiten und sich zusammen mit Ihnen im Geschäftsmodell sozusagen weiterbewegen, um dann Schulden zurückzuzahlen. Im März 2018 habe er bei seiner Einreise nach Deutschland deshalb keine Gedanken daran gehabt, Asyl zu beantragen, doch dann sei er 10 Tage später von einem Bruder darauf aufmerksam gemacht worden, dass man in Jordanien seitens seiner dortigen Gegner davon ausgehe, dass er sich seiner Verpflichtungen durch Asylantrag in Deutschland entziehen wolle.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung anwesend oder vertreten waren, da in den Ladungsschreiben auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die Klage ist unbegründet, da der angegriffene Bescheid auch bei Beurteilung der Sach- und Rechtslage zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, der auf die von ihm begehrte Verpflichtung der Beklagten keinen Anspruch hat (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die vom Kläger zur Begründung seines Asylantrags genannten Gründe sind ohne flüchtlings- bzw. asylrechtliche Relevanz. Wegen der näheren Begründung wird insoweit unter Absehen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Begründung des angegriffenen Bescheids des Bundesamts, der das Gericht folgt, Bezug genommen. Ergänzend ist auszuführen, dass der Kläger auch im gerichtlichen Verfahren keine Gründe genannt hat, aus denen sich nach Art oder nach Intensität eine asylerhebliche Verfolgungs- oder Bedrohungslage entnehmen lässt, und dass er auch hiernach weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG noch auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG und auch nicht auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG hat. Aus denselben Gründen hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
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Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gegebenen Erklärungen zu seinen Asylgründen und hierbei insbesondere zu einer angeblichen Versöhnung mit seinen jordanischen Gegnern im Jahre 2017 stehen im Widerspruch zu seinen Ausführungen gegenüber dem Bundesamt, wonach er sich nach einer Folterung im August oder September 2016 (Tritt in die Nieren) und einer hierdurch bedingten Entfernung eine Niere bis zu seiner Ausreise im März 2018 habe verstecken müssen. Ebenso widersprüchlich ist sein Vorbringen von einer ihm angeblichen Jordanien drohenden 30-jährigen Freiheitsstrafe, während er gegenüber dem Bundesamt von einer Freiheitsstrafe von einem Jahr gesprochen hatte. Auch das ärztliche Attest vom 31. Mai 2019 mit der darin enthaltenen Aussage, 2018 seien die rechte Niere nach einem Autounfall entfernt worden, kann er nicht glaubwürdig erklären. Seine Angabe hierzu, er habe die Unwahrheit deshalb gesagt, weil andere Leute dabei gewesen sein, ist nicht nachvollziehbar und unglaubwürdig. Im Übrigen hat der Kläger selbst eingeräumt, noch im März 2018 nicht an das Stellen eines Asylantrags im Bundesgebiet gedacht zu haben, was sein ganzes vorheriges Vorbringen zu einer ihm angeblich in Jordanien drohenden Verfolgung gegenüber dem Bundesamt für den Zeitraum zwischen 2016 und 2018 unglaubwürdig macht. Ebenso unglaubwürdig ist jedoch auch sein Vorbringen, 10 Tage nach seiner Einreise nach Deutschland im März 2018 habe ihn sein Bruder darauf aufmerksam gemacht, dass man in Jordanien seitens seiner dortigen Gegner davon ausgehe, dass er sich seine Verpflichtungen durch Asylantrag in Deutschland entziehen wolle, und dass ihm deshalb nun in Jordanien Misshandlung drohe.
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Hinsichtlich der Feststellung des Bundesamts, dass insbesondere kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG trotz der beim Kläger wiederholt diagnostizierten koronaren Herzerkrankung (an deren Vorliegen kein Zweifel besteht) besteht, ist ergänzend zu den Ausführungen im Bescheid auszuführen, dass auch die vom Kläger im gerichtlichen Verfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen und ärztlichen Attesten nicht belegen, dass er bei einer Rückreise nach Jordanien in eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben entsprechend dieser Bestimmung geraten würde. Hierfür spricht insbesondere, dass der Kläger bereits 2013 in einem jordanischen Klinikum hinsichtlich seiner Herzerkrankung behandelt worden war und kein Grund ersichtlich ist, warum er dort nicht erneut behandelt werden könne. Das gilt ebenso für die sonstigen, beim Kläger diagnostizierten Leiden, insbesondere die Leistenhernie und die Kombination von zwei verschiedenen Kopfschmerzerkrankungen.
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Auch die vom Bundesamt nach Maßgabe der § 34, § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind rechtlich nicht zu beanstanden. Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken. Auch insoweit wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Begründung im Bescheid des Bundesamts Bezug genommen.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.