Inhalt

VGH München, Beschluss v. 24.10.2022 – 15 ZB 22.31086
Titel:

Anforderungen an die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache

Normenketten:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4
EMRK Art. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Die als grundsätzlich angesehene Frage, „ob aufgrund der schlechten humanitären Bedingungen in Jordanien die Rahmenbedingungen eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK führen kann“, erfüllt schon deshalb nicht die Anforderungen an die Darlegung des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung, weil sie sich abstrakt und losgelöst vom Einzelfall nicht beantworten lässt, sondern nur anhand der individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Sachverhalts geklärt werden kann. (Rn. 4 – 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Jordanien, Antrag auf Zulassung der Berufung (abgelehnt), grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (verneint), Antrag auf Zulassung der Berufung, grundsätzliche Bedeutung, Einzelfallprüfung, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Herzerkrankung, Haftbedingungen
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 07.07.2022 – M 27 K 21.32127
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31559

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

I.
1
Der Kläger ist jordanischer Staatsangehöriger. Er wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. September 2021, mit dem seine Anträge auf Asylanerkennung sowie auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Rechtsschutzes abgelehnt wurden, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und ihm die Abschiebung angedroht wurde. Mit Urteil vom 7. Juli 2022 wies das Verwaltungsgericht München die vom Kläger erhobene Klage mit den Anträgen, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 21. September 2021 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, hilfsweise ihm die Flüchtlingseigenschaft bzw. weiter hilfsweise subsidiären Schutz zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen gem. § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Jordanien vorliegen, ab. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
2
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der vom Kläger allein geltend gemachte Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor bzw. ist nicht gemäß den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG substantiiert dargelegt worden.
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Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht. Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und der Entscheidungserheblichkeit muss hinreichend substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu entscheiden sein könnte (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2021 - 15 ZB 21.31689 - juris Rn. 4 m.w.N.; B.v. 16.3.2022 - 15 ZB 22.30278 - juris Rn. 17). Eine Grundsatzrüge, die sich auf tatsächliche Verhältnisse stützt, erfordert überdies die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind. Insoweit ist es Aufgabe des Rechtsmittelführers, durch die Benennung von bestimmten begründeten Informationen, Auskünften, Presseberichten oder sonstigen Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Bewertungen in der Zulassungsschrift zutreffend sind, sodass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf (BayVGH, B.v. 16.3.2022 a.a.O.; SächsOVG, B.v. 15.9.2021 - 6 A 1078/19 A - juris Rn. 3 m.w.N.).
4
Die vom Kläger als grundsätzlich angesehene Frage,
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„ob aufgrund der schlechten humanitären Bedingungen in Jordanien die Rahmenbedingungen eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK führen kann“,
6
erfüllt schon deshalb nicht die o.g. Anforderungen an die Darlegung des geltend gemachten Zulassungsgrunds, weil sie sich abstrakt und losgelöst vom Einzelfall nicht beantworten lässt, sondern nur anhand der individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Sachverhalts geklärt werden kann.
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Ferner ist der Vorwurf unbegründet, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gehe nicht hinreichend darauf ein, aus welchen Gründen keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegen. Das Verwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils auf die Begründung des angefochtenen Bescheids des Bundesamts vom 21. September 2021 Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und dessen Gründe zum Gegenstand seiner Entscheidung gemacht (UA S. 6). In der Begründung dieses Bescheids wird auf Seiten 11 ff. ausführlich auf die (grundsätzlich schlechten) humanitären Verhältnisse in Jordanien eingegangen und fallbezogen begründet, warum dem Kläger aus Sicht des Bundesamts auch unter Berücksichtigung seiner individuellen Situation kein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V. mit Art. 3 EMRK sowie § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zugutekommt.
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Ergänzend wird auch in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils vom 7. Juli 2022 zur Verneinung eines Anspruchs auf Feststellung eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots „trotz der beim Kläger wiederholt diagnostizierten koronaren Herzerkrankung (an deren Vorliegen kein Zweifel besteht)“ ausgeführt, „dass auch die vom Kläger im gerichtlichen Verfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen und ärztlichen Atteste nicht“ belegten, „dass er bei einer Rückreise nach Jordanien in eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben entsprechend dieser Bestimmung geraten würde“. Hierfür spreche - so das Erstgericht weiter - „insbesondere, dass der Kläger bereits 2013 in einem jordanischen Klinikum hinsichtlich seiner Herzerkrankung behandelt worden war und kein Grund ersichtlich“ sei, „warum er dort nicht erneut behandelt werden könne.“ Das gelte „ebenso für die sonstigen, beim Kläger diagnostizierten Leiden“ (UA S. 8). Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht den Verfolgungsvortrag des Klägers aufgrund widersprüchlicher Angaben als nicht glaubhaft eingestuft (UA S. 7; vgl. auch S. 9 unten des angegriffenen Bescheids des Bundesamts vom 21. September 2021).
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All dem hat die Antragsbegründung nichts Substantielles entgegengesetzt. Dies gilt auch hinsichtlich des Vortrags, im Rahmen einer womöglich anstehenden Haftstrafe Misshandlungen zu befürchten. Die Antragsbegründung verweist ohne weitere inhaltliche Konkretisierung und ohne nähere Quellenangabe hinsichtlich des Veröffentlichungsmediums und des Erscheinungsjahrs auf „Berichte von Amnesty International“, wonach in Haftzentren und Gefängnissen Misshandlungen verbreitet seien und bezieht sich ergänzend auf Berichte zweier Quellen aus dem Jahr 2015, wonach es im Jahr 2014 insgesamt 87 Beschwerden über Folter und andere Misshandlungen sowie „Berichte über weitverbreitete Folter und andere Misshandlungen von Tatverdächtigen durch Sicherheits- und Ordnungskräfte“ gegeben habe. Mit den folgenden, auf einer aktuelleren und konkret angegebenen Quelle aus dem Jahr 2018 gestützten Argumentation im Bescheid des Bundesamts vom 21. September 2021 (Seite 13), die über die erfolgte Bezugnahme gem. § 77 Abs. 2 AsylG auch zum Gegenstand der Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils wurde, hat sich der Kläger in seinem Antragsschriftsatz allerdings nicht auseinandergesetzt:
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„Auch die Verletzung anderer Menschenrechte oder Grundfreiheiten der EMRK kommt nicht in Betracht. Zwar bringt der Antragsteller vor, ihm drohe in Jordanien eine Haftstrafe, die er wegen seiner Erkrankung nicht überleben werde. Die Haftbedingungen dort sind jedoch nach den Erkenntnissen des Bundesamtes nicht so hart, dass sie als unmenschliche Bestrafung i.S.d. Art. 3 EMRK einzustufen wären.
11
Das für die Haftanstalten zuständige Direktorat für Öffentliche Sicherheit erließ 2018 neue politische Richtlinien für die Behandlung von Inhaftierten, einschließlich unabhängiger Überprüfungen ihres Gesundheitszustands und der Kontrolle von Haftanstalten und unternahm Schritte zur Überwachung von Haftanstalten, um die Einhaltung der Haftbedingungen zu fördern. Seit Ende 2019 werden über jeden Häftling elektronische Akten geführt. Die Regierung genehmigt Besuche durch einige lokale und internationale Menschenrechtsbeobachter und -anwälte. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat ebenfalls weitreichenden Zugang zu Gefängnissen. In allen Haftanstalten ist zumindest die medizinische Grundversorgung gewährleistet. Ist ein Häftling so ernst erkrankt, dass er im Gefängnis nicht behandelt werden kann, wird er in ein örtliches Krankenhaus verlegt (US Department of State, Bericht über die Menschenrechtslage in Jordanien 2020 - https://www.state.gov/reports/2020-country-reports-on-human-rights-practices/jordan/ - Zugriff 20.09.2021). Daher stünde auch zu erwarten, dass der Antragsteller im Fall einer Haft bei entsprechender Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustandes in ein Krankenhaus verlegt würde.“
12
Insbesondere vermag der Senat nicht zu erkennen, welche Relevanz der weitere Vortrag auf Seiten 2 (unten) / 3 (oben) des Antragsschriftsatzes vom 17. Oktober 2022 speziell für den Kläger und für das diesen betreffende behördliche / gerichtliche Asylverfahren haben könnte. Soweit dort darauf verwiesen wird, dass von Gerichten in Jordanien „immer noch die Todesstrafe ausgesprochen und Hinrichtungen vollstreckt“ werden, bleibt unklar, warum gerade konkret der Kläger hiervon betroffen sein könnte. Vor allem ist nicht ersichtlich, was der Vortrag auf Seite 3 des Schriftsatzes vom 17. Oktober 2022, wonach „auch im konkreten Fall schwerwiegende Probleme auf die Klägerinnen“ träfen, „deren in der Heimat verbliebene Großfamilie gegen die Ehe“ sei und die „bereits telefonisch verschiedene Gewaltandrohungen gemacht“ habe, speziell mit dem Kläger und seinem Verfolgungsvortrag zu tun hat. Das gilt auch für die weitere (ebenfalls nicht durch exakte Quellenangaben belegte) Behauptung, es gebe laut Angaben von amnesty international fast 89.000 Jordanierinnen, die mit Ausländern verheiratet seien, die ihre Staatsbürgerschaft weiterhin nicht an ihre Ehemänner und Kinder weitergeben könnten und denen damit der Zugang zu staatlichen Leistungen versagt bleibe. Auf konkret die individuelle Situation des Klägers bezogene Fragen eines vom Verwaltungsgericht abgelehnten Anspruchs auf Feststellung von Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AsylG) geht die Antragsbegründung hier offensichtlich nicht ein.
13
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).