Titel:
Erfolglose Nachbarklage gegen Mehrfamilienhaus mit Parkebene
Normenketten:
BauGB § 34 Abs. 1, Abs. 2
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2
BGB § 917 Abs. 1
Leitsätze:
1. Einem Nachbarn kann unter dem Gesichtspunkt des Erschließungserfordernisses allenfalls dann ein Abwehrrecht zustehen, wenn ihm durch die Zulassung des Vorhabens ein Notwegerecht aufgedrängt oder das Gebot der Rücksichtnahme verletzt würde. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Notwegerecht entsteht in der Regel nicht, wenn lediglich Abkürzungen von zumutbaren Umwegen ermöglicht und damit reine Unannehmlichkeiten vermieden werden sollen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots kann unter dem Gesichtspunkt des durch ein Vorhaben verursachten An- und Abfahrtsverkehrs nur dann angenommen werden, wenn es aufgrund der örtlichen Verhältnisse zu chaotischen Verhältnissen im unmittelbaren Umfeld des betroffenen Nachbargrundstückes kommen würde. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Mehrfamilienhaus mit Parkebene, Nachbarklage, Erschließung, Notwegerecht, Abkürzung, erhöhter An- und Abfahrtsverkehr, Gebot der Rücksichtnahme
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 04.11.2022 – 15 ZB 22.1777
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31558
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich gegen eine der Beigeladenen vom Landratsamt R.-I. (LRA) erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit Parkebene (GKl. 4) auf den Grundstücken FlNrn. 180 und 180/2 der Gemarkung … ( …straße 5 und 6, 8. …).
2
Die im Eigentum der Beigeladenen stehenden Grundstücke FlNrn. 180 und 180/2 der Gemarkung … liegen im Stadtkern der Stadt … und sind mit zwei in geschlossener Bauweise aneinandergebauten Mietshäusern bebaut, die aktuell vollständig unbewohnt sind. Östlich davon befindet sich - getrennt durch die Grundstücke FlNr. 167 und 167/8 - das im Eigentum der Kläger stehende Grundstück FlNr. 167/6 der Gemarkung …, das mit einem Reihenwohnhaus bebaut ist. Sämtliche genannten Grundstücke sind durch eine von der S.gasse abzweigende, kleine St. erreichbar, über die unter anderem das klägerische Grundstück erschlossen wird. Die Erschließung der Grundstücke FlNrn. 180 und 180/2 erfolgt aktuell noch über die westlich gelegene …straße.
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Mit Bauantrag vom 4. Dezember 2019 beantragte die Beigeladene beim LRA die Baugenehmigung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit Parkebene auf den Baugrundstücken. Nach der zugehörigen Eingabeplanung soll nach Abriss der Bestandsgebäude ein vierstöckiges Mehrfamilienhaus mit zwölf Wohneinheiten entstehen. Im Bereich des Erdgeschosses ist zudem die Errichtung einer Parkebene geplant, die dreizehn Parkplätze umfassen soll. Die Erschließung soll dabei - anders als bislang über die …straße - über die von der S.gasse abzweigende St..straße, über die auch die anderen in dem Bereich befindlichen Wohngrundstücke erschlossen werden, erfolgen. Zudem wurde ein Antrag auf Erteilung einer Abweichung von der Stellplatzsatzung der Stadt … im Sinne einer Reduzierung des Stellplatzschlüssels von den geforderten zwei auf lediglich eineinhalb Stellplätze pro Wohnung gestellt. In diesem Zusammenhang führte die Beigeladene auch aus, dass das Bauvorhaben von der Regierung von N. im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus gefördert werde und die geplanten Wohnungen nach vorgegebenen Kriterien errichtet und von sozial schwachen Mietern belegt würden, welche die Voraussetzungen dafür erfüllten.
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Unter dem 12. Dezember 2019 bzw. dem 14. Dezember 2019 erteilten die jeweiligen Eigentümer der Grundstücke FlNrn. 167 und 181 der Gemarkung … ihre Zustimmung zu genauer bezeichneten Abstandsflächenübernahmen gem. Art. 6 Abs. 2 BayBO.
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Mit Beschluss vom 17. Dezember 2019 erteilte die Stadt … ihr gemeindliches Einvernehmen zum Bauvorhaben.
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Mit Bescheid vom 21. Februar 2020 erteilte das LRA die Baugenehmigung für das Bauvorhaben.
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Mit Schreiben vom 6. März 2020 zeigte der Bevollmächtigte der Kläger deren Vertretung gegenüber dem LRA an und erklärte, dass klägerseits Kenntnis davon bestünde, dass für die Grundstücke FlNrn. 180 und 180/2 der Gemarkung … von der Beigeladenen ein Bauantrag gestellt worden sei. Es bestünden insofern Bedenken hinsichtlich einer Erschließung des Bauvorhabens über die S.gasse und die von ihr abzweigende St..straße. Es wurde darum gebeten, eine Baugenehmigung - sofern eine solche erlassen werde - zu übersenden. Auf die weiteren Einzelheiten des Schreibens wird Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 15. April 2020 erklärte das LRA gegenüber dem Bevollmächtigten der Kläger, dass aus Sicht des LRA die Kläger bei dem streitgegenständlichen Bauvorhaben nicht als Nachbarn zu beteiligen seien. Eine Kopie der Baugenehmigung werde nun übermittelt.
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Mit am 16. April 2020 beim Verwaltungsgericht Regensburg eingegangenem Schriftsatz ihres Bevollmächtigten haben die Kläger Klage gegen den Bescheid vom 21. Februar 2020 erheben lassen. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Baugenehmigung aufzuheben sei, weil es durch die neue Erschließung des Grundstücks über die kleine, das Grundstück der Kläger erschließende St..straße zu einer Überlastung des Straßennetzes, einhergehend mit erheblichen Beeinträchtigungen der Grundstücksnutzung der Kläger durch eine erschwerte Zugänglichkeit ihres Grundstücks und zu zusätzlichen Emissionen durch Lärm und Abgase sowie zu einer Verschlechterung der Wohnverhältnisse komme. Diese Einschränkungen seien nicht zumutbar. Die Erschließung sei nicht gesichert. Die Straße sei lediglich ein schmaler Kiesweg ohne Beleuchtung. Wegen der Breite von lediglich 3,11 m sei kein Begegnungsverkehr dort möglich. Schon bei der Zufahrts straße FlNr. 156, von der die St..straße auf FlNr. 167/11 abzweige, sei kein Begegnungsverkehr möglich, was regelmäßig und tagtäglich mehrfach zu Stauungen im Fahrzeugverkehr mit einer Vielzahl von Rangiervorgängen führe. Aufgrund der Anzahl der Bewohner bzw. der Stellplätze gebe es täglich ca. 80 Fahrzeugbewegungen in der einspurigen St..straße. Hinzu komme, dass Versorgungsfahrzeuge die Gasse mangels Wendemöglichkeit nicht befahren könnten. Für den gesamten Block gebe es noch nicht einmal eine Fläche zum Abstellen der abzuholenden Mülltonnen. Alle Anwohner müssten diese zur Abholung an FlNr. 156 bringen. Auch dadurch komme es zu Behinderungen. Post- und Paketlieferdienste, die in die Gasse hineinführen und für das Ausliefern dort zwangsläufig mitten auf der Straße stehen bleiben müssten, blockierten regelmäßig die Durchfahrt und verursachten durch das rückwärtige Hinausfahren aufwändigen Rangierverkehr der wartenden Pkw. Täglich fahre vor Ort der Krankenwagen, was ebenfalls zu einer erheblichen Auslastung und Blockade der Straße führe. Das Heizölfahrzeug, das regelmäßig bei Öllieferungen in die St..straße einfahre, blockiere zwangsläufig während des Tankvorgangs längere Zeit die gesamte Straße. Bei den angrenzenden Grundstücken gebe es 19 Stellplätze für 21 Wohneinheiten zuzüglich Laden und Gewerbe. Die Straße vertrage keinen zusätzlichen Verkehr für das Neubauvorhaben. Allenfalls könne dieses, wie bislang, über die …straße erschlossen werden. Zusätzlicher Begegnungsverkehr über die St..straße sei unmöglich. Dies würde zu chaotischen Verhältnissen führen. Dadurch würden auch die Kläger erheblich beeinträchtigt, sowohl hinsichtlich Ein- und Ausfahrtsmöglichkeit zu ihrem Grundstück als auch durch Lärm und Abgase aus dem Rangierverkehr. Zudem bestünden Bedenken hinsichtlich des erforderlichen Rettungswegs. Gesunde Wohnverhältnisse seien nicht mehr gewahrt. Auch komme es zu einer erheblichen Zunahme von Verkehrslärm und Abgasen am Grundstück der Kläger. Die Grenze der Zumutbarkeit sei überschritten und die Straße völlig überlastet. Das Rücksichtnahmegebot sei verletzt. Jegliche Verkehrsteilnehmer seien gefährdet, denn zum einen sei der Gehweg sehr schmal, zum anderen werde dieser bereits durch die S.gasse relativ hoch frequentiert und zwar einmal von den Bewohnern des in der Nähe befindlichen Altenheims, aber vor allem auch durch die Personen, die den Bahnhaltepunkt am M.weg aufsuchten oder von dort kämen. Auch werde das vorgelegte Brandschutzkonzept und dessen Richtigkeit bezweifelt, denn es dürfte unrichtig sein, dass der Gebäudekomplex über die Gasse mit Feuerwehrfahrzeugen von der Rückseite angefahren werden könne, da die Straßenbreite an der schmalsten Stelle nur 3,10 m betrage und auch nicht gerade verlaufe. Die durch das Bauvorhaben ausgelöste Verkehrszunahme rufe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die regelmäßige Inanspruchnahme und Benutzung privater Grundstücksflächen der Kläger hervor. Auf dem Grundstück der Kläger befinde sich neben der öffentlichen Straße ein Betonsockel, durch den der Gartenbereich eingefasst sei. Zwischen diesem Sockel und dem Grundstück bestehe ein ca. 50 cm breiter Streifen, der zum Grundstück gehöre. Begegnungsverkehr sei, wie bereits dargelegt, grundsätzlich nicht möglich, außer am Anfang der Straße auf Höhe des Grundstücks der Kläger. Die Verkehrsteilnehmer seien daher gezwungen, auf das Privatgrundstück der Kläger auszuweichen, um den entgegenkommenden Verkehr vorbei zu lassen. Insoweit entstehe eine dem Notwegerecht ähnliche Situation.
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Die Kläger beantragen,
den Bescheid des Landratsamts R.-I. vom 21. Februar 2020 (Az. G-...) aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die zusätzlichen Stellplätze aus verkehrsrechtlicher Sicht entsprechend der durchgeführten Verkehrsschau nicht zu beanstanden seien. Das Grundstück der Kläger befinde sich im Stadtzentrum unweit der viel befahrenen … Straße und des Stadtplatzes. In dieser Lage müssten gewisser Verkehrslärm und gewisse Autoabgase hingenommen werden. Im Übrigen sei bei den geltend gemachten Rechtsverletzungen in Zweifel zu ziehen, ob die angesprochenen Normen Drittschutz verliehen.
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Die Beigeladene hat bislang keinen eigenen Antrag gestellt und erklärt zum Verfahren, dass sich unter anderem durch das Bauvorhaben nichts an der Situation für Versorgungsfahrzeuge ändere. Der Neubau werde durch Post- und Paketlieferdienste nicht über die St..straße angefahren, sondern über die …straße, da sich dort der Hauseingang des streitgegenständlichen Bauvorhabens mit den Namensschildern und den Türklingeln befinde. Der Krankenwagen befahre die S.gasse, da sich dort ein Pflegeheim befinde und nicht die St..straße. Ob der Krankenwagen täglich fahre, entziehe sich der Kenntnis der Beigeladenenseite. Der Neubau werde mit Gas versorgt, ein Heizölfahrzeug sei schlicht nicht notwendig. Eine Hausdurchfahrt auf die …straße, wie sie aktuell vorhanden ist, sei beim neuen Objekt nicht zu realisieren, da eine solche so schmal sein müsse, dass mit einem Auto von normaler Breite nicht mehr hindurch gefahren werden könne. Diese aktuell noch vorhandene Situation führe vielmehr dazu, dass das Objekt seit mehreren Jahren nicht mehr vermietet werden könne. Daher solle das Vorhaben so realisiert werden wie geplant und über die St..straße befahren werden.
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Nach einem Aktenvermerk über eine am 9. Juni 2020 durchgeführte Verkehrsschau in der St..straße wurde festgestellt, dass die ursprüngliche Zufahrt über die …straße nicht mehr genutzt werde und auch aufgrund der Breite von vielen Fahrzeugen nicht mehr befahrbar sei. Das neue Mehrfamilienhaus umfasse auch 13 Stellplätze, die über die St..straße angefahren würden. Bei einer Anfahrt über die …straße müsse der Gehweg überfahren werden. Da hier viele Fußgänger, Radfahrer und vor allem auch Kinder beim Schulweg unterwegs seien, sei die Sicherheit dieser Verkehrsteilnehmer durch eine unscheinbare Ausfahrt aus einer geschlossenen Gebäudefront gefährdet. Zudem solle die …straße als Hauptverkehrsstraße in … nicht mehr weiter belastet werden. Vor allem zu Stoßzeiten sei auch die Nähe zur Einmündung in die … Straße sehr kritisch zu sehen. Hier komme es schon jetzt täglich zu langen Staus. Eine zusätzliche Durchfahrt sei für den fließenden Verkehr nicht mehr verträglich. Die St..straße sei eine öffentlich gewidmete Straße. Hier herrsche nur Anliegerverkehr. Bedingt durch die Sackgasse sei ein Durchgangsverkehr nicht möglich. Das Verkehrsaufkommen sei dadurch sehr gering und die 13 zusätzlichen Stellplätze bzw. Fahrzeuge könnten aus verkehrsrechtlicher Sicht durch die St..straße aufgenommen werden. In einem Teilbereich der St..straße sei kein Begegnungsverkehr möglich, jedoch werde es aufgrund der geringen Fahrzeugbewegungen zu keinen größeren Beeinträchtigungen des Fließverkehrs kommen. Pakete würden über die …straße geliefert und Heizöllieferungen für das Gebäude gebe es aufgrund der geplanten Gasheizung nicht.
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Am 9. Februar 2022 fand in der Sache ein Ortstermin statt. Auf das zugehörige Protokoll wird Bezug genommen.
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Für weitere Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29. März 2022 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
18
1. Die Klage ist zulässig.
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Insbesondere sind die Kläger klagebefugt im Sinne des § 42 Abs. 1 VwGO.
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Für die Annahme der baurechtlichen Nachbareigenschaft ist es ausreichend, dass eine Rechtsbeeinträchtigung durch Verletzung nachbarschützender Baurechtsvorschriften geltend gemacht wird und diese tatsächlich zumindest möglich erscheint. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Es kann zumindest die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Kläger - entsprechend ihrem Vortrag - als Eigentümer eines Grundstücks, das baurechtlich aufgrund durch das Vorhaben verursachter Belästigungen durch Zu- und Abfahrtsverkehr trotz nicht unmittelbaren Angrenzens an das Baugrundstück ein Nachbargrundstück darstellt, durch die Baugenehmigung in eigenen Rechten verletzt sind.
21
2. Die Klage ist jedoch unbegründet.
22
Der Bescheid des LRA R.-I. vom 21. Februar 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
23
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 59 f. Bayerische Bauordnung (BayBO) ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Einem Nachbarn des Bauherrn steht ein Anspruch auf Versagung der Baugenehmigung grundsätzlich nicht zu. Er kann eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg anfechten, wenn Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn das Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf das Grundstück des Nachbarn fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt. Nur daraufhin ist das genehmigte Vorhaben in einem nachbarrechtlichen Anfechtungsprozess zu prüfen (vgl. BVerwG, B.v. 28.7.1994 - 4 B 94/94 - juris; BVerwG, U.v. 19.9.1986 - 4 C 8.84 - juris; BVerwG, U.v. 13.6.1980 - IV C 31.77 - juris). Es ist daher unerheblich, ob die Baugenehmigung einer vollständigen Rechtmäßigkeitsprüfung standhält.
24
In diesem Zusammenhang führen vorliegend die von der Klägerseite im Wesentlichen vorgetragenen und befürchteten Belästigungen durch den im Rahmen des Bauvorhabens zu erwartenden Zu- und Abfahrtsverkehr aus Sicht des Gerichts nicht dazu, dass eine Rechtsverletzung der Kläger anzunehmen ist.
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a) Eine Rechtsverletzung ergibt sich zunächst nicht aus der behaupteten fehlenden oder unzureichenden Erschließung.
26
Die Erschließung eines Baugrundstückes ist nicht nachbarschützend, da die ausreichende Erschließung eines Grundstückes nicht im Interesse der Nachbarn des Baugrundstückes besteht, sondern ausschließlich im öffentlichen Interesse (Umwälzung der Erschließungskosten) und im Interesse des Bauherrn (Zugang zum öffentlichen Verkehrs- und Versorgungsnetz; vgl. BayVGH, B. v. 29.08.2014 - 15 CS 14.615 -; VG Gelsenkirchen, U. v. 23.06.2015 - 6 K 71/14 - jeweils zitiert nach juris).
27
Einem Nachbarn kann unter dem Gesichtspunkt des Erschließungserfordernisses allenfalls dann ein Abwehrrecht zustehen, wenn ihm durch die Zulassung des Vorhabens ein Notwegerecht aufgedrängt oder das Gebot der Rücksichtnahme verletzt würde (zum Notwegerecht vgl. z. B. BVerwG, B. v. 11.5.1998 - 4 B 45/98 - NJW-RR 1999, 165 ff, unter Hinweis auf BVerwGE 50, 282; BayVGH, B. v. 24.10.1996 - 2 B 94.3416 - BayVBl 1997,758). Begründet wird dies damit, dass für den Fall, dass eine notwegeerhebliche rechtswidrige Baugenehmigung bestandskräftig wird, dem Eigentümer des mit einem Notweg belasteten Grundstücks der Einwand fehlender Ordnungsmäßigkeit der Benutzung im Sinne des § 917 Abs. 1 BGB abgeschnitten würde. Darin liegt, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist, ein vom öffentlichen Recht ausgehender Eingriff in das Eigentum, gegen den sich der Betroffene mit den Rechtsbehelfen des öffentlichen Rechts wehren kann (BVerwG, U. v. 26.03.1976 - 4 C 7.74 - BVerwGE 50, 282, 291; BayVGH, a. a. O., Rn. 18; VGH Baden-Württemberg, B. v. 21.12.2001 - 8 S 2749/01 - zitiert nach juris, Rn. 3).
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Ein solcher Fall ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Die Kläger können sich nicht im obigen Sinne darauf berufen, dass im Bereich ihres Grundstückes die Entstehung eines Notwegerechts zu befürchten ist.
29
Voraussetzung für die Entstehung eines Notwegerechts gem. § 917 Abs. 1 BGB ist, dass dem im Einzelfall betroffenen Grundstück die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt. Es muss folglich eine Situation gegeben sein, in der für das Grundstück eine tatsächliche oder rechtliche Zugangsmöglichkeit zum öffentlichen Wegenetz entweder gar nicht besteht (vgl. BeckOK BGB/Fritzsche, 61. Ed. 1.2.2022, BGB § 917 Rn. 5) oder sich ein tatsächlich vorhandener Zugangsweg nicht zur ordnungsgemäßen Benutzung des Grundstückes eignet (vgl. BeckOK BGB/Fritzsche, 61. Ed. 1.2.2022, BGB § 917 Rn. 5). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Baugrundstücke finden - vermittelt über das Grundstück FlNr. 178 der Gemarkung … - eine direkte Verbindung zur über das Grundstück FlNr. 167/11 der Gemarkung … führenden St..straße, welche in die S.gasse (FlNr. 156 der Gemarkung …) einmündet. Bei der St..straße handelt es sich um eine durch Beschluss des Bauausschusses des Stadtrates der Stadt … vom 29. Juni 2011 zur Zufahrt für die angrenzenden Grundstücke öffentlich gewidmete Straße. Der Zugang der Baugrundstücke zum öffentlichen Wegenetz ist somit gegeben. Die St..straße ermöglicht zudem in diesem Zusammenhang die An- und Abfahrt der Anwohnerfahrzeuge im Rahmen der auf den Baugrundstücken geplanten Wohnnutzung. Die zur bestimmungs- und ordnungsgemäßen Nutzung der Grundstücke notwendige wegemäßige Verbindung kann somit über die St..straße hergestellt werden. Dass in Teilen der St..straße möglicherweise kein Begegnungsverkehr vollzogen werden kann und daher gewisse, mit Rangiervorgängen verbundene Unannehmlichkeiten auftreten könnten, ist dabei aufgrund der Tatsache, dass ein Notwegerecht i.d.R. nicht entsteht, wenn lediglich Abkürzungen von zumutbaren Umwegen ermöglicht und damit reine Unannehmlichkeiten vermieden werden sollen (vgl. Ring/Grziwotz/Schmidt-Räntsch, NK-BGB, Band 3: Sachenrecht 5. Auflage 2022, Rn. 22), unschädlich. Es ist bei dieser Sachlage demzufolge nicht zu befürchten, dass die Kläger im Rahmen des § 917 BGB verpflichtet werden könnten, die Nutzung ihres Grundstücks mit der FlNr. 167/7 der Gemarkung … (S.gasse 14) zur Überfahrt oder dergleichen zu dulden.
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b) Überdies ist vorliegend auch kein Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme gegeben, unabhängig davon, ob sich dieses im hier vorliegenden unbeplanten Innenbereich aus dem Merkmal des „Einfügens“ in § 34 Abs. 1 BauGB oder aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO i.V.m. § 34 Abs. 2 BauGB ergibt.
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Dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (BVerwG, U.v. 5.12.2013 - 4 C 5.12 - juris). Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, ist abhängig von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, welcher das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1993 - 4 C 5/93 - juris; BVerwG, U.v. 13.3.1981 - 4 C 1/78 - juris). Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls wesentlich auf die Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 25.10.2010 - 2 CS 10.2137 - juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die dem Kläger aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihm als Nachbar billigerweise noch zumutbar ist.
32
Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass durch die von der Klägerseite vorgebrachten Konsequenzen des mit der Realisierung des Bauvorhabens verbundenen erhöhten An- und Abfahrtsverkehrs eine unzumutbare Situation entstehen könnte. Selbst wenn es beispielsweise in Einzelfällen oder sogar vermehrt aufgrund der beengten Situation in der von der S.gasse abzweigenden St..straße zu gewissen Verzögerungen bei Durchfahrtsvorgängen in entgegengesetzte Richtungen fahrender Autos kommen sollte, die wiederum zur Folge hätten, dass den jeweiligen Anliegern sodann ein kurzes Warten bei der Zufahrt bzw. dem Zutritt zu ihrem oder dem Verlassen ihres Grundstücks abverlangt wird, so sind diese letztlich als lästige Unannehmlichkeiten zu bewerten, die jedoch nicht den Grad einer Unzumutbarkeit für die im Einzelfall Betroffenen erreichen und damit die Schwelle zur Rücksichtslosigkeit überschreiten können. Gleiches gilt für die von der Klägerseite angesprochenen Situationen, in denen Fahrzeuge kurzzeitig vor den Grundstücken parken. Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass nach den Angaben der Beigeladenenseite Lieferungen für das geplante Wohnvorhaben, beispielsweise von Paketlieferdiensten, nicht über die St..straße, sondern auf der Ostseite über die …straße erfolgen sollen, da sich dort auch der Hauseingang befinden soll und dies das Maß der zu befürchtenden Unannehmlichkeiten, etwa durch Parkvorgänge, nochmals erheblich reduziert. Darüber hinaus sind die mit einer Bebauung verbundenen Beeinträchtigungen und Unannehmlichkeiten durch den dadurch verursachten An- und Abfahrtsverkehr im Regelfall hinzunehmen, was selbst dann gilt, wenn sich die Situation gegenüber dem bisherigen Zustand verschlechtert (vgl. BayVGH, B.v. 8.11.2021 - 15 CS 21.2447 - juris Rn. 25). Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots kann in Fällen wie dem vorliegenden letztlich nur dann angenommen werden, wenn es aufgrund der örtlichen Verhältnisse zu chaotischen Verhältnissen im unmittelbaren Umfeld des betroffenen Nachbargrundstückes kommen würde (vgl. BayVGH, B.v. 8.11.2021 - 15 CS 21.2447 - juris Rn. 25; zum An- und Abfahrtverkehr einer Kindertagesstätte in einer beengten Sackgasse vgl. NdsOVG, B.v. 20.12.2013 - 1 ME 214/13 - NVwZ-RR 2014, 296 ff.; vgl. auch BayVGH, B.v. 20.3.2018 - 15 CS 17.2523 - juris Rn. 36; B.v. 30.4.2020 - 15 ZB 19.1349 - juris Rn. 11 ff.). Solche chaotischen Verhältnisse sind vorliegend aus Sicht des Gerichts bei einer Gesamtschau der örtlichen Verhältnisse - insbesondere auch unter dem Eindruck der im Rahmen des Ortstermins angefertigten Lichtbilder - bei Verwirklichung des Bauvorhabens und damit verbundener Erhöhung der Verkehrsbewegungen in der St..straße in dem geplanten Umfang (13 weitere Stellplätze) nicht zu erwarten. Das sich so ergebende Verkehrsaufkommen im Bereich der St..straße bewegt sich noch in einem solchen Umfang, der von den weiteren Anliegern der Straße als solcher hinzunehmen ist und erreicht nicht ein derart einschneidendes Maß, dass von Unzumutbarkeit und somit von einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots gesprochen werden könnte.
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Weitere Anhaltspunkte dafür, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung in bauplanungs- oder bauordnungsrechtlicher Hinsicht drittschützende Normen verletzt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, sind nicht ersichtlich.
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Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 159 S. 2 VwGO abzuweisen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht für erstattungsfähig zu erklären, da sie keinen Antrag gestellt und sich somit keinem eigenen Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat, §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Entscheidung bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).