Inhalt

VGH München, Beschluss v. 04.11.2022 – 15 ZB 22.1777
Titel:

Erfolglose Nachbarklage gegen Mehrfamilienhaus mit Parkebene

Normenkette:
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2
Leitsatz:
Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme kann in Betracht kommen, wenn sich die Erschließungssituation eines Grundstücks durch eine vorhabenbedingte Überlastung einer das Grundstück des Betroffenen erschließenden Straße oder durch unkontrollierten Parksuchverkehr erheblich verschlechtert. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Mehrfamilienhaus mit Parkgarage, Gebot der Rücksichtnahme, Stichstraße, unzumutbare Verkehrsbeeinträchtigung, Parksuchverkehr, Zugänglichkeit
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 29.03.2022 – RN 6 K 20.620
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31557

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 12.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Kläger wenden sich gegen den Bescheid des Landratsamts R. vom 21. Februar 2020, mit dem der Beigeladenen die Baugenehmigung zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit Parkebene genehmigt wurde.
2
Mit Unterlagen vom 4. Dezember 2019 beantragte die Beigeladene, eine Stiftung, den Abbruch des Bestandsgebäudes und die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit Parkgarage für zwölf Wohneinheiten auf den Grundstücken FlNr. …, …2 Gemarkung E. Gleichzeitig wurde ein Antrag auf Abweichung von der Stellplatzsatzung der Stadt E. gestellt für nur 1,5 statt 2 Stellplätze je Wohnung, da es sich um sozialen Wohnungsbau handle. Das Landratsamt R. erteilte mit Bescheid vom 21. Februar 2020 die beantragte Baugenehmigung und Abweichung.
3
Hiergegen erhoben die Kläger, denen die Baugenehmigung nicht zugestellt wurde, mit Schriftsatz vom 16. April 2020 Klage, die mit Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. März 2022 abgewiesen wurde. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass sich die Kläger, deren Grundstück an die Stichstraße angrenzt, über die die Zuwegung zum Baugrundstück verläuft, nicht auf eine fehlende oder unzureichende Erschließung des Bauvorhabens berufen könnten. Die Kläger sei auch nicht wegen der vorgebrachten Konsequenzen des mit der Realisierung des Bauvorhabens verbundenen erhöhten An- und Abfahrtsverkehrs unzumutbar beeinträchtigt. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Aufhebung der Baugenehmigung weiter.
4
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
5
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die Kläger machen allein ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts geltend (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Kläger als Rechtsmittelführer innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) haben darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Die Kläger machen einen Verstoß des Bauvorhabens gegen das Gebot der Rücksichtnahme wegen einer unzumutbaren Verkehrssituation geltend; ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen hier allerdings nicht.
6
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass dem Gebot der Rücksichtnahme drittschützende Wirkung zukommt, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen dabei wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 24.5.2022 - 15 ZB 22.908 - juris Rn. 8).
7
Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme kann zwar in Betracht kommen, wenn sich die Erschließungssituation eines Grundstücks durch eine vorhabenbedingte Überlastung einer das Grundstück des Betroffenen erschließenden Straße oder durch unkontrollierten Parksuchverkehr erheblich verschlechtert (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2019 - 9 CS 17.2482 - juris Rn. 20; B.v. 30.1.2018 - 15 ZB 17.1459 - juris Rn. 11). Hier kommt das Verwaltungsgericht bei seiner Gesamtschau der örtlichen Verhältnisse - insbesondere auch unter dem Eindruck der im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Augenscheintermins angefertigten Lichtbilder - zu dem Ergebnis, dass bei Verwirklichung des Bauvorhabens und der damit verbundenen Erhöhung der Verkehrsbewegungen in der Stichstraße in dem geplanten Umfang von 13 Stellplätzen keine chaotischen Verhältnisse zu erwarten seien (UA S. 10). Dem tritt das Zulassungsvorbringen mit der bloßen Darlegung der gegenteiligen Rechtsauffassung der Kläger, wie sie weitgehend schon im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen wurde, nicht substantiiert entgegen (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2022 - 15 ZB 22.1487 - juris Rn. 10). Die Kläger legen mit ihren Ausführungen zu fehlenden Wendemöglichkeiten, dem Ausbauzustand und den vorhandenen Sicht- und Verkehrsverhältnissen im Bereich der Stichstraße nicht dar, dass die Zugänglichkeit zu ihrem Anwesen „dem Grunde nach“ und auf Dauer in Frage gestellt wäre (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2022 - 15 ZB 22.1487 - juris Rn. 13; B.v. 15.2.2022 - 15 CS 22.43 - juris Rn. 17). Das Verwaltungsgericht berücksichtigt zudem, dass Lieferungen für das geplante Bauvorhaben nicht über die Stichstraße, sondern über die K. straße erfolgten, da sich dort der Hauseingang befinden soll, weshalb das Maß der Unannehmlichkeiten reduziert werde (UA S. 10). Aufgrund der Stichstraßensituation und den vorhandenen Anliegern ist auch mit keinem über die Wohnnutzung hinausgehenden Verkehr zu rechnen. Die von den Klägern angeführte Vergleichbarkeit der Situation mit einem Kindergarten in beengter Sackgasse ist im Hinblick auf die dort maßgebliche Hol- und Bringsituation in zeitlich engem Rahmen nicht nachvollziehbar. Auf eine eventuell zukünftige Bebauung des unbebauten Grundstücks FlNr. … Gemarkung E. im Bereich der Stichstraße kommt es für die Beurteilung, ob die hier angefochtene Baugenehmigung gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt, nicht an.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Da sich die Beigeladene im Zulassungsverfahren nicht beteiligt und keinen die Sache förderlichen Beitrag geleistet hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
9
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
10
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Entscheidung wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).