Titel:
Erfolgloses Nachbareilverfahren gegen Baugenehmigung
Normenkette:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a, § 146 Abs. 4 S. 3, S. 6
Leitsatz:
Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bauvorhabens ist das tatsächliche Maß der Abstandsflächenüberschreitung zum Zeitpunkt der Genehmigung des angefochtenen Bauvorhabens. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarbeschwerde, Abstandsflächen Grenzgarage, Gebot der Rücksichtnahme, erdrückende Wirkung, Eilrechtsschutz, Beschwerdeverfahren, einfacher Bebauungsplan, Nachbar, Bauordnungsrecht, Grenzabstand, Rücksichtnahmegebot
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 10.08.2022 – Au 5 S 22.1303
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31552
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antragsteller wendet sich gegen eine von der Antragsgegnerin zugunsten der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.
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Die Beigeladenen beantragten mit Unterlagen vom 15. Dezember 2021 den Abbruch des Bestandsgebäudes und die Neuerrichtung eines Einfamilienhauses mit Garage auf dem Grundstück FlNr. …10 Gemarkung F. Der Antragsteller ist Eigentümer des daran nördlich angrenzenden Grundstücks FlNr. …9 Gemarkung F., das mit einem Wohngebäude bebaut ist. Zum Gebäude gehört ein Wintergarten, der einen Abstand von ca. 1,80 m zur gemeinsamen Grundstücksgrenze aufweist, an der die Beigeladenen die Errichtung einer 13,99 m langen Garage mit Überdachung bei einer mittleren Wandhöhe von 3 m planen. Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des einfachen Bebauungsplans Nr. 2/I der Antragsgegnerin vom 18. März 1995 und im Geltungsbereich der Abstandsflächensatzung der Antragsgegnerin vom 1. Februar 2021. Mit Bescheid vom 7. Mai 2022 erteilte die Antragsgegnerin die beantragte Baugenehmigung.
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Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 12. Juni 2022 ließ der Antragsteller Klage (Az. Au 5 K 22.1302) zum Verwaltungsgericht Augsburg erheben, über die noch nicht entschieden ist. Gleichzeitig stellte er einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, den das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 10. August 2022 ablehnte. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass das Bauvorhaben die Abstandsflächenvorschriften einhalte und gegenüber dem Antragsteller nicht rücksichtslos sei. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde.
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Der Antragsteller ist der Ansicht, sein Bestandsgebäude sei legal und der Wintergarten stehe aufgrund seiner Genehmigung, die offensichtlich unter Befreiung von Abstandsflächenvorschriften erteilt worden sei, im Einklang mit dem Baurecht. Das Verwaltungsgericht stelle daher zu Unrecht darauf ab, dass er sich nicht auf eine Verletzung des Abstandsflächenrechts berufen könne. Im Übrigen liege kein vergleichbarer abstandsflächenrechtlicher Verstoß vor. Während das Vorhaben der Beigeladenen auf ca. 14 m Länge eine mittlere Wandhöhe von 3 m aufweise, nehme sein Wintergarten nur einen Bruchteil dieser Länge ein. Die subjektive, nicht näher begründete Einschätzung des Verwaltungsgerichts, das Vorhaben habe keine erdrückende Wirkung sei nicht nachvollziehbar. Schließlich spiele bei einer Einzelfallbetrachtung immer auch die Entfernung eine Rolle.
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die Entscheidung des Verwaltungsgerichts aufzuheben.
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Die Antragsgegnerin hat sich nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
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Die Beigeladenen beantragen,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
10
Das genehmigte Bauvorhaben stehe in Übereinstimmung mit den Abstandsflächenvorschriften, während der Wintergarten des Antragstellers nicht genehmigt sei und die Abstandsflächen nicht einhalte. Selbst wenn der Wintergarten genehmigt wäre, hätte der Antragsteller den geringen Abstand aber selbst zu vertreten und müsste sich dies nach dem Grundsatz von Treu und Glauben zurechnen lassen. Eine erdrückende Wirkung komme dem Vorhaben nicht zu, da der Baukörper nicht wesentlich höher sei als das betroffene Gebäude des Antragstellers.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt. Die allein zu prüfenden Beschwerdegründe, auf die die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, wie sie das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnet, hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers zu Recht abgelehnt, weil seine Klage gegen die Baugenehmigung vom 17. Mai 2022 im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleibt. Die angefochtene Baugenehmigung verstößt nach Aktenlage voraussichtlich nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften, die - worauf es allein ankommt - zumindest auch dem Schutz des Antragstellers zu dienen bestimmt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; vgl. BayVGH, B.v. 13.9.2022 - 15 CS 22.1851 - juris Rn. 8). Die vorzunehmende Abwägung der gegenseitigen Interessen geht hier demnach zulasten des Antragstellers aus.
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Mit seiner Beschwerde wendet sich der Antragsteller gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, das Vorhaben sei ihm gegenüber nicht rücksichtslos. Dies führt jedoch nicht zum Erfolg der Beschwerde.
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Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass dem Rücksichtnahmegebot drittschützende Wirkung zukommt, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem gegenüber Rücksicht genommen werden muss, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BA S. 10 f.; vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2021 - 15 CS 21.2324 - juris Rn. 17).
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a) Der Antragsteller ist der Ansicht, sein Wintergarten stehe aufgrund seiner Genehmigung, die offensichtlich unter Befreiung von Abstandsflächenvorschriften erteilt worden sei, im Einklang mit dem Baurecht. Hierauf kommt es jedoch nicht an, denn das Verwaltungsgericht lässt bei der Prüfung des Rücksichtnahmegebots die Frage der Genehmigung des Wintergartens ausdrücklich offen und lehnt eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme auch bei Annahme einer bestandskräftigen Baugenehmigung für den Wintergarten ab (BA S. 13, 14). Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts dazu, dass es dem Verantwortungsbereich des Antragstellers zuzurechnen sei, dass sein Wintergarten in nur 1,80 m Abstand zur gemeinsamen Grundstücksgrenze errichtet worden sei (BA S. 14 f.), werden mit dem Beschwerdevorbringen nicht in Frage gestellt. Das Verwaltungsgericht stellt zudem ausdrücklich auch im Rahmen seiner Ausführungen zu Treu und Glauben darauf ab, dass es unerheblich sei, ob der Wintergarten seinerzeit in Übereinstimmung mit geltenden Bauvorschriften errichtet worden sei oder Bestandsschutz genieße (BA S. 15). Hiermit setzt sich die Beschwerde ebenfalls nicht auseinander.
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b) Soweit die Beschwerde anführt, es liege kein vergleichbarer abstandsflächenrechtlicher Verstoß vor, weil das Bauvorhaben der Beigeladenen eine Länge von fast 14 m aufweise, während der Wintergarten nur einen Bruchteil dieser Länge einnehme, bleibt der Antrag ebenfalls erfolglos. Das Verwaltungsgericht stellt hier zutreffend auf das tatsächliche Maß der Abstandsflächenüberschreitung zum Zeitpunkt der Genehmigung des angefochtenen Bauvorhabens ab. Nichts Anderes lässt sich der vom Verwaltungsgericht zitierten Rechtsprechung des 2. Senats entnehmen (BA S. 15; vgl. BayVGH, B.v. 1.9.2016 - 2 B 14.2605 - juris Rn. 10 und nicht die in der Beschwerde zitierten Rn. 4 - 9). Die Beschwerde übersieht jedoch, dass eine tatsächliche Überschreitung der Abstandsflächen nur vom Wintergarten des Antragstellers ausgeht, während das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis kommt, dass sowohl das genehmigte Wohngebäude als auch der Carport und der überdachte Stauraum den Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO sowie des § 2 der Abstandsflächensatzung der Antragsgegnerin entsprechen. Dies wird durch das Beschwerdevorbringen nicht in Frage gestellt.
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c) Das Bauvorhaben hat gegenüber dem Antragsteller auch keine erdrückende Wirkung. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht zunächst davon ausgegangen, dass eine „erdrückende“ oder „einmauernde Wirkung“ nur bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht komme (BA S. 13; vgl. BayVGH, B.v. 25.4.2022 - 15 ZB 22.908 - juris Rn. 11). Eine derartige Situation lässt sich weder dem Beschwerdevorbringen noch den genehmigten Plänen entnehmen. Das Verwaltungsgericht hat zudem die konkrete örtliche Situation, die tatsächlichen Abstände und die vorhandene sowie die vorgesehene Bebauung sowohl für das Wohngebäude (BA S. 13) als auch für den Carport und Stauraum (BA S. 14) bewertet. Es hat dabei zu Recht auch auf eine Indizwirkung der Abstandsflächen abgestellt (vgl. BayVGH, B.v. 11.8.2021 - 15 CS 21.1775 - juris Rn. 28) und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das Bauvorhaben keine erdrückende Wirkung gegenüber dem Antragsteller habe. Den Genehmigungsakten, den Lageplänen und einer Gesamtschau der örtlichen Gegebenheiten lässt sich nicht entnehmen, dass das Bauvorhaben - selbst bei einem Grenzabstand des Wintergartens des Antragstellers von nur 1,80 m - derart übermächtig erscheint, dass das Gebäude des Antragstellers nur noch oder überwiegend wie eine von einem herrschenden Grundstück dominierte Fläche ohne eigene baurechtliche Charakteristik wahrgenommen wird (vgl. BayVGH, B.v. 10.2.2022 - 15 ZB 21.2428 - juris Rn. 33). Die örtliche Situation mag im Ergebnis für den Antragsteller unbefriedigend sein. Eine Rücksichtslosigkeit ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen jedoch nicht, zumal es der Antragsteller, der sich seine Bauwünsche erfüllt hat, nicht in der Hand hat, durch die Art und Weise seiner Bauausführung unmittelbaren Einfluss auf die Bebaubarkeit anderer Grundstücke zu nehmen (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.1996 - 4 B 215.96 - juris Rn. 11; BayVGH, U.v. 4.12.2004 - 15 ZB 12.1450 - juris Rn. 23).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladenen im Beschwerdeverfahren einen eigenen Antrag gestellt haben und damit auch ein Kostenrisiko übernommen haben (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, dass diese ihre außergerichtlichen Kosten erstattet erhalten (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).