Inhalt

VGH München, Beschluss v. 02.11.2022 – 11 ZB 22.30865
Titel:

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag wegen Gehörsverletzung

Normenketten:
AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4, § 108 Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1 GG
Leitsätze:
1. Die Ablehnung eines Beweisantrags verletzt das rechtliche Gehör nur dann, wenn sie im Prozessrecht objektiv keine Stütze findet (BVerwG BeckRS 2018, 16812; BVerfG BeckRS 1985, 03885) mit der Folge, dass eine Rüge ohne Erfolg bleibt, wenn nicht die in der Begründung des Gerichts genannten, aber andere Gründe des Verfahrensrechts die beantragte Beweiserhebung ausschließen oder es bereits an einem ordnungsgemäßen Beweisantrag fehlt (BayVGH BeckRS 2020, 1196). (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat (BayVGH BeckRS 2019, 7351). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufungszulassungsantrag, rechtsgrundsätzliche Bedeutung, Asylverfahren, Weißrussland, Gehörsrüge, Beweisantrag, Ablehnung, Sachverhaltsaufklärung, Vorladung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 08.06.2022 – AN 10 K 17.34654
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31538

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für den Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht gegeben bzw. nicht den Anforderungen des § 78 Absatz 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt worden sind. Damit war auch der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen.
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1. Der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe sein Recht auf rechtliches Gehör verletzt, weil es den in der mündlichen Verhandlung gestellten unbedingten Beweisanträge - zu der Frage, ob Vorladungen von weißrussischen Gerichten zu einer erheblichen Gefahr der geladenen Person führen - verfahrensfehlerhaft mit der Begründung abgelehnt habe, dass die unter Beweis zu stellende Tatsache nicht entscheidungserheblich sei.
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a) Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO gebietet dem Gericht, formell ordnungsgemäßen, prozessrechtlich beachtlichen Beweisanträgen zu entscheidungserheblichen Fragen nachzugehen (Funke-Kaiser, GK-Asyl, Stand Juli 2022, § 78 Rn. 355). Die Ablehnung eines Beweisantrags verletzt das rechtliche Gehör folglich nur dann, wenn sie im Prozessrecht objektiv keine Stütze findet (BVerwG, B.v. 28.6.2018 - 10 B 20.17 - juris Rn. 9 m.w.N.; BVerfG, B.v. 22.1.2001 - 1 BvR 2075/98 - NJW-RR 2001, 1006 = juris Rn. 16; B.v. 30.1.1985 - 1 BvR 393/84 - BVerfGE 69, 141 = juris Rn. 10 m.w.N.). Die Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs bleibt ohne Erfolg, wenn nicht die in der Begründung des Gerichts genannten, aber andere Gründe des Verfahrensrechts die beantragte Beweiserhebung ausschließen oder es bereits an einem ordnungsgemäßen Beweisantrag fehlt (Funke-Kaiser, a.a.O. § 78 Rn. 356; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 86 Rn. 64; HessVGH, B.v. 10.7.2007 - 7 UZ 422/07.A - juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 7.1.2020 - 11 ZB 19.33226 - juris Rn. 11; vgl. auch BVerwG, B.v. 24.3.2000 - 9 B 530.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 308 = juris Rn. 15). Dabei ist die prozessrechtliche Frage, ob das vorinstanzliche Verfahren an einem Mangel leidet, vom materiell-rechtlichen Standpunkt des Gerichts aus zu beurteilen, selbst wenn dieser Standpunkt verfehlt sein sollte (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 17.6.2013 - 10 B 8.13 - juris Rn. 8; Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 48).
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b) Davon ausgehend ist der Anspruch auf rechtliches Gehör hier nicht verletzt. Das Verwaltungsgericht ist, wie sich aus seinem Urteil (UA S. 10) ergibt, zu der Überzeugung gelangt, dass das Vorbringen des Klägers in Gänze unglaubhaft ist und somit auch die behauptete gerichtliche Vorladung nicht der Wahrheit entspricht. Daher war das an die vorgetragene Vorladung anknüpfende Beweisthema, dass allein diese zu einer erheblichen Gefahr der geladenen Person führe, aus seiner Sicht nicht entscheidungserheblich. Dies stellt einen tragfähigen Ablehnungsgrund dar (vgl. dazu auch Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, § 86 Rn. 70). Diesen Grund hat das Verwaltungsgericht in der Begründung seines Beschlusses, mit dem es die beantragte Beweiserhebung in der mündlichen Verhandlung abgelehnt hat, auch schlagwortartig genannt (Sitzungsprotokoll S. 4). Damit rechtfertigt bereits die gegebene Begründung die Ablehnung des Beweisantrags und findet diese damit eine Stütze im Gesetz.
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c) Mit Blick auf die vorgelagerte Frage, ob der Kläger in Weißrussland gerichtlich vorgeladen wurde, kommt eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht in Betracht. Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs statuiert keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht und gibt den am Prozess Beteiligten keinen Anspruch darauf, dass das Gericht Tatsachen erst beschafft oder von sich aus Beweis erhebt. Zu der Tatsache der gerichtlichen Vorladung in Weißrussland hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht keinen Beweisantrag gestellt. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung aber grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat (vgl. zu alldem BayVGH, B.v. 3.4.2019 - 9 ZB 18.32718 - juris Rn. 5 m.w.N.). Dass sich dem Verwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Sachverhaltsermittlung hätte aufdrängen müssen, wird im Zulassungsantrag nicht dargelegt. Abgesehen davon lässt sich dem Urteil entnehmen, dass das Verwaltungsgericht das gesamte Vorbringen des Klägers über seine Gefährdung aufgrund politischer Aktivitäten in Weißrussland als in nicht auflösbarer Weise widersprüchlich und damit nicht glaubhaft angesehen hat. Diese tatsächliche Bewertung, die das Verwaltungsgericht eingehend begründet hat (UA S. 9 f.), ist nicht zu beanstanden. Unter derartigen Umständen hätte es daher, wie es zutreffend darlegt, selbst einem substantiierten Beweisantrag nicht stattgeben müssen, sondern die Klage ohne Beweisaufnahme abweisen können (vgl. BVerwG, B.v. 2.7.1996 - 9 B 248.96 - juris Rn. 5; B.v. 26.11.2007 - 5 B 172.07 - juris Rn. 3; Schübel-Pfister, a.a.O. Rn. 70).
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d) Die weiteren Verfahrensrügen, die der Kläger in diesem Zusammenhang erhebt, greifen nicht durch.
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Soweit er eine Überraschungsentscheidung geltend macht, weil das Verwaltungsgericht ohne vorherigen Hinweis und ohne dass die Grundlage dieser Erkenntnis ersichtlich sei darauf abgestellt habe, dass nach der Recherche der Beklagten keine Fahndungsausschreibung vorliege, unterliegt er einem Irrtum. Diese Aussage hat das Gericht erkennbar dem angegriffenen Bescheid entnommen (Seite 6), auf den es gemäß § 77 Abs. 2 AsylG verwiesen hat.
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Ohne Erfolg rügt der Kläger einen unzureichenden Umfang der Begründung. Die schlagwortartige Angabe, dass das Beweisthema nicht entscheidungserheblich ist, genügte hier dem Begründungserfordernis des § 86 Abs. 2 VwGO (vgl. dazu Schübel-Pfister, a.a.O. Rn. 63), zumal nicht ersichtlich ist, dass bei einer weitergehenden Begründung eine andere prozessuale Reaktion des Klägers erfolgt bzw. veranlasst gewesen wäre.
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Zu Unrecht vermisst der Kläger eine Darlegung des Verwaltungsgerichts dahingehend, dass die Beweistatsache „ins Blaue hinein“ behauptet worden sei. Eine solche Begründung zielt auf einen sog. Ausforschungsbeweisantrag (vgl. Schübel-Pfister, a.a.O. Rn. 57). Einen solchen bzw. einen unsubstantiierten Beweisantrag hat das Verwaltungsgericht hier jedoch nicht angenommen.
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2. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) zuzulassen.
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Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 36; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 127). Die Zulassung der Berufung kommt damit nur in Betracht, wenn die Frage, so wie sie mit dem Antrag aufgeworfen wird, nach Maßgabe der nicht mit beachtlichen Zulassungsgründen angegriffenen Rechtsansicht und tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich gewesen ist (Funke-Kaiser in GK-AsylG, § 78 Rn. 153). Eine Grundsatzfrage, mit der sich das Verwaltungsgericht nicht befasst hat, kann hingegen nicht zur Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung führen (vgl. Seibert a.a.O. § 124 Rn. 152; HessVGH, B.v. 22.7.1996 - 13 UZ 2109/96.A - juris Rn. 6). Dementsprechend muss zur Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargetan werden, dass die Rechts- oder Tatsachenfrage, so wie sie formuliert ist, für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich gewesen ist (Funke Kaiser a.a.O. Rn. 599).
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Davon ausgehend kommt die Zulassung der Berufung zur Klärung der aufgeworfenen Frage, ob „einem weißrussischen Staatsbürger, der gerichtliche Vorladungen erhalten hat, im Falle einer Rückkehr nach Weißrussland eine asylrechtlich relevante Verfolgung droht“, nicht in Betracht. Diese Frage war für das Verwaltungsgericht, wie oben dargelegt, nicht entscheidungserheblich.
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3. Damit war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Antrag auf Zulassung der Berufung mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg (§ 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 ZPO) abzulehnen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
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5. Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).