Titel:
Haftung des Fahrzeugherstellers in Dieselfall als Teilnehmer der unerlaubten Handlung der Konzernmutter
Normenkette:
BGB § 31, § 826,§ 830 Abs. 2, § 831 Abs. 1 S. 1, 3 840
Leitsätze:
1. Der Senat sieht die objektive Sittenwidrigkeit und das vorsätzliche Handeln in Bezug auf den Vertrieb von Motoren mit einer verbotenen Umschaltlogik als ein einheitliches haftungsbegründendes Tatbestandsmerkmal, das täterschaftlich praktisch nur auf der Leistungsebene der juristischen Person (hier: V. AG) aufzufinden ist. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Frage der Teilnahme an der unerlaubten Handlung eines Dritten genügt es, wenn der Teilnehmer diese Umstände in seinen Vorsatz aufnimmt. Er muss nicht selbst in diesem Sinn sittenwidrig handeln. Von daher ist es unerheblich, ob die Mitarbeiter der Fahrzeugherstellerin, die beim Vertrieb und Einbau des von der Konzernmutter entwickelten EA 189 Motors beteiligt waren, auch selbst den Tatbestand des § 826 BGB in allen Einzelheiten verwirklicht haben. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, sittenwidrige Schädigung, Teilnahme, gesamtschuldnerische Haftung, Kfz-Hersteller, Konzernmutter, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, EA189
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 14.09.2020 – 43 O 2103/19
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31535
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 14.09.2020, Az. 43 O 2103/19, wird zurückgewiesen.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 14.09.2020, Az. 43 O 2103/19, abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 20.021,83 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 03.10.2019 zu zahlen, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A6 2.0, Fahrgestellnummer …623.
Im übrigen bleibt die Klage ab- und wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 31%, die Beklagte 69%, von den Kosten des Berufungsverfahrens der Kläger 19%, die Beklagte 81%.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 2 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt ist, soweit es aufrechterhalten ist, ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des insgesamt vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
5. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 24.812,98 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal.
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Der Kläger kaufte am 28.11.2011 das Fahrzeug Audi A6 als Gebrauchtwagen mit einem Kilometerstand von 28.704 km von seiner Mutter zum Preis von 39.310,14 €. Diese hatte für das am 10.11.2011 erstmals zugelassene Fahrzeug denselben Preis entrichtet. Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs, dieses ist mit einem Motor des Typs EA 189 der V. AG ausgestattet. Der Kilometerstand betrug am 20.07.2020 147.201 km, am 14.07.2022 147.676 km.
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Für diesen Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 erteilt. Die Steuerungssoftware des Motors erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in einen Abgasrückführungsmodus, in dem die Stickoxidgrenzwerte eingehalten werden, während dies außerhalb dieses Modus nicht der Fall ist. Nachdem die V.-AG im September 2015 öffentlich die Verwendung einer entsprechenden Software eingeräumt hatte, erging am 15.10.2015 ein bestandskräftiger Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) mit nachträglichen Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung, der auch das Fahrzeug des Klägers betrifft.
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Der Kläger, der behauptet, das Fahrzeug 2018 stillgelegt zu haben, hat vor dem Landgericht zuletzt beantragt,
- 1.
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 39.310,44 zzgl. Reparaturkosten in Höhe von EUR 3.315,83 sowie Kosten für Zubehör in Höhe von EUR 904,40 nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten seit dem 29.11.2011 bis 28.08.2019 und seither von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abzüglich einer im Termin zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zugum-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A6 2.0 mit der Fahrgestellnummer …623 zu zahlen, mit der Maßgabe, dass die Nutzungsentschädigung auf EUR 14.497,95 beziffert wird.
- 2.
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Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 29.08.2019 mit der Rücknahme des Klageantrag zu 1. Bezeichneten Gegenstands im Annahmeverzug befindet.
- 3.
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Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.613,24 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.08.2019 zu zahlen.
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Die Beklagte hat vor dem Landgericht beantragt,
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Sie war der Auffassung, dass das Fahrzeug nicht mangelhaft sei. Sie sei an dem konkreten Kaufvertragsschluss über das streitgegenständliche Fahrzeug nicht beteiligt gewesen, sodass sie auch keine Verantwortung treffe.
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Das Landgericht hat abgesehen von den Kosten für Zubehör und Reparaturen den Klagebetrag in Höhe von 11.163,99 € zugesprochen und dabei eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 28.146,15 € abgezogen. Den Feststellungsantrag hat es ebenso abgewiesen wie die Anträge auf Deliktszinsen und auf Ersatz vorgerichtlicher Kosten. Dem Kläger stehe ein Anspruch aus § 826 BGB zu, da das Verhalten der Beklagten gegen die guten Sitten verstoße.
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Gegen dieses Urteil, das dem Kläger am 16.09.2020, der Beklagten am 15.09.2020 zugestellt worden ist, wenden sich beide Parteien jeweils mit ihrer Berufung, die der Kläger am 15.10.2020 eingelegt und mit am 13.11.2020 eingegangenem Schriftsatz begründet, und die die Beklagte am 09.10.2020 eingelegt und nach Fristverlängerung bis 15.12.2020 mit am 14.12.2020 eingegangenem Schriftsatz begründet hat.
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Der Kläger greift die Berechnung der Nutzungsentschädigung durch das Landgericht an. Er ist der Meinung, diese müsse nicht degressiv, sondern linear berechnet werden, wobei von einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 400.000 km auszugehen sei.
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Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Ingolstadt vom 14.09.2020, Az. 43 O 2103/19, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 13.648,99 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.10.2019 zu zahlen und im Übrigen die Berufung der Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen.
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Das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 14.09.2020, 43 O 2103/19, wird aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.
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Die Beklagte beantragt, das am 14.09.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Ingolstadt, 43 O 2103/19, im Umfang der Beschwer der Beklagten und Berufungsklägerin abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
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Sie ist der Meinung, dass sie nicht auf der Basis einer sekundären Darlegungslast haften müsse. Das Handeln der V. AG sei ihr nicht zuzurechnen; eine eigene Sorgfaltspflichtverletzung treffe sie nicht. Das Landgericht habe rechtsfehlerhaft einen Kausalzusammenhang angenommen, es hätte die Parteianhörung nicht als Beweismittel verwerten dürfen. Ein wirtschaftlicher Schaden sei der Klägerin nicht entstanden. Jedenfalls müssen sich diese einen linear zu ermittelnden Nutzungsersatz anrechnen lassen.
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Der Senat hat mit der Ladungsverfügung vom 25.03.2022 Hinweise erteilt. Mit Zustimmung der Parteien hat der Senat durch Beschluss vom 08.07.2022 angeordnet, im schriftlichen Verfahren zu entscheiden.
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Weitere Einzelheiten ergeben sich aus dem Ersturteil und den im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.
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Die Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg, da das Landgericht eine zu hohe Nutzungsentschädigung von dem zugesprochenen Schadensersatz abgezogen hat. Die Berufung der Beklagten bleibt erfolglos.
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Zutreffend hat das Landgericht erkannt, dass die Beklagte dem Kläger unter dem Gesichtspunkt des ungewollten Vertragsschlusses haftet. Dabei ist der Anspruch darauf gerichtet, so gestellt zu werden, als ob der Kaufvertrag nicht abgeschlossen worden wäre (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 12 ff.). Die Beklagte hat dem Kläger Zug um Zug gegen die Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs 20.021,83 € zu erstatten, da sich der Kläger aufgrund des Gebrauchs des Fahrzeugs einen Nutzungsvorteil in Höhe von 19.288,31 € anrechnen lassen muss. Die Beklagte schuldet den Schadensersatz sowohl aus einer eigenen täterschaftlichen unerlaubten Handlung (§§ 826, 31, 249 Abs. 1 BGB; dazu B) als auch als gesamtschuldnerisch mithaftende Teilnehmerin der unerlaubten Handlung der V. AG (§ 826 BGB i.V.m. §§ 830 Abs. 2, 826, 831 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB; dazu C).
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Die Beklagte hat den Kläger sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB geschädigt. Die Beklagte hat als Fahrzeugherstellerin den Kläger mit dem Einbau des Motors EA 189 mit der evident unzulässigen Abschalteinrichtung („Umschaltlogik“) im streitgegenständlichen Fahrzeug und dessen Vertrieb im Zeitpunkt des Ankaufs dieses Fahrzeugs am 30.06.2015 vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt (§§ 826, 31 BGB; § 286 ZPO). Das Landgericht hatte sich davon überzeugt, dass Organe der Beklagten in Kenntnis der maßgeblichen Umstände das Fahrzeug mit der unzulässigen Abschalteinrichtung in den Verkehr gebracht hatten (§ 286 ZPO; LGU, S.8 ff.).
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An diese Feststellung ist der Senat gebunden. Denn nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und daher eine erneute Feststellung gebieten. Die grundsätzliche Bindung des Berufungsgerichts entfällt nur dann, wenn eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit besteht, dass die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen keinen Bestand haben werden, sich also deren Unrichtigkeit herausstellen wird (BGH, NJW 2006, 153; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 42. Aufl. 2021, § 529 Rn. 3, 4). Die lediglich abstrakte Möglichkeit, dass das Berufungsgericht bei einer erneuten Vernehmung zu einer abweichenden Beurteilung gelangt, reicht für eine Wiederholung der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren nicht aus.
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Die Feststellung des Landgerichts erfolgte aufgrund der Darstellung des Klägers und der dazu erfolgten Einlassung der Beklagten. Danach konnte das Landgericht sich davon überzeugen, dass der Einbau des Motors EA 189 mit der manipulativen Software in Kenntnis einer Person bei der Beklagten erfolgte, die sich diese nach § 31 BGB als Repräsentant (BGHZ 225, 316 Tz. 43; BGH, Urteil vom 14.03.2013, III ZR 296/11 Tz. 12) zurechnen lassen muss und dass es sich dabei um eine sittenwidrige strategische Entscheidung der Beklagten handelt (im Anschluss an OLG München, Urteil vom 30.11.2020, 21 U 7307/19; OLG Hamm, Urteil vom 21.12.2020, I-8 U 22/20; dazu I. 1.). Die Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) und die Berufung wecken keine Zweifel an deren Richtigkeit (§ 529 ZPO). Auch die von der Beklagten unterbreiteten (gegenbeweislichen) Beweisangebote waren nicht zu erheben (dazu 2.).
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1. Die Haftung der Beklagten beruht auf ihrem eigenen vorsätzlichen deliktischen Handeln, wonach sie das streitgegenständliche Fahrzeug, das, wie sie wusste, mit einer evident unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet war, in den Verkehr brachte.
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Die Beklagte war im relevanten Tatzeitraum von 2005 bis 2008, in dem die Entwicklung des Motors EA 189 bei der V. AG erfolgte und in dem der gemeinsame Entschluss zu dessen Einsatz in Fahrzeugen der Beklagten fiel, Herstellerin und Entwicklerin von Dieselmotoren und deren Steuerungstechnik. Die Beklagte war selbst mit der technischen und wirtschaftlichen Problematik dieser Technologie vertraut, wie unter Beachtung der wirtschaftlichen Zielsetzung im V.-Konzern die Emissionsgrenzwerte einzuhalten sind. Sie kannte selbst das grundsätzliche Verbot von Abschalteinrichtungen und ihr war in Form der Akustikfunktion auch ein technischer Ansatzpunkt bekannt, diese rechtlichen Vorgaben zu umgehen. Bei der Verwendung der Manipulationssoftware handelt es sich auch nicht um eine Bagatelle, sondern um eine grobe Verletzung der rechtlichen Standards, die eine Täuschung der zuständigen Fachbehörde einschloss. Der Senat folgt daher dem Landgericht, dass ein an der Entscheidung, den mit der manipulativen Software ausgestatteten Motor EA 189 zu übernehmen, beteiligter Repräsentant der Beklagten die Umschaltlogik und die darin liegende Umgehung der rechtlichen Anforderungen im Zulassungsverfahren gekannt hat. Andernfalls hätten auch alle eingerichteten Kontrollmechanismen im Unternehmen der Beklagten kollektiv versagt haben müssen, wovon der Senat ebenfalls nicht ausgeht (§ 286 ZPO).
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Die dagegen vorgebrachten Ausführungen der Beklagten zur Organisationsstruktur, der Arbeitsorganisation, den damaligen internen Zuständigkeiten, den Berichtspflichten und zu den von ihr veranlassten Ermittlungen sprechen nicht gegen diese Annahme. Der Senat glaubt nicht, dass die Entscheidung der Beklagten, den Motor EA 189 zu übernehmen ohne Kenntnis von seiner Abschaltfunktion erfolgte. Die Einhaltung der Abgasgrenzwerte war eine Kernanforderung auch an das Produkt der Beklagten (PKW), ohne die jede Neuentwicklung ins Leere laufen musste. Der Senat glaubt nicht, dass sich Vorstandsmitglieder oder sonstige Repräsentanten der Beklagten nur mit Fragen der „Leistungsmerkmale“ befasst haben wollen, nicht aber mit den Grundlagen der rechtlichen Zulassung des Motors. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Beklagte selbst Dieselmotoren entwickelt und selbst deren rechtliche Anforderungen einhalten muss. Verstärkt wird dies auch mit dem Hinweis der Beklagten, dass der EA 189 eine neue innovative Technologie (Common-Rail-Technik) verbaut hat, womit ein früherer Grundsatzbeschluss umgesetzt wurde. Es geht also nicht um die Übernahme eines xbeliebigen Produkts, sondern um die Kernanforderungen an die Fahrzeuge der Beklagten.
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Soweit die Beklagte vorträgt, dass keine belastbaren Anhaltspunkte für eine Kenntnis der Vorstandsmitglieder im aktienrechtlichen Sinn oder von potentiellen Repräsentanten bestünden, weshalb auch keine Verpflichtung zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen bestehe, steht dies der Überzeugung des Landgerichts nicht entgegen und vermag keine Zweifel im Sinne von § 529 ZPO zu wecken. Der Einsatz des EA 189 in PKWs der Beklagten erfolgte auf Grundlage eines langzeitigen Entscheidungsprozesses, der in den Jahren 2005/2006 begann und sich bis 2007 hingezogen hat. Bereits in den Jahren 2005/2006 wurde vom Produkt-Strategie-Komitee, dem auch nicht namentlich benannte Mitglieder des Vorstands angehört haben, die grundsätzliche Entscheidung getroffen, dass in bestimmten Fahrzeugen der Beklagten der von der Konzernmutter entwickelte Motor vom Typ EA 189 eingebaut wird, was letztlich ab 2007 zu einem serienmäßigen Einsatz geführt hat.
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Den Vortrag der Beklagten zur Produktion der Fahrzeuge mit dem EA 189 Motor, wonach die Software im Produktionsprozess versiegelt war und vom Konzernserver in der Fertigung aufgespielt worden ist, legt der Senat zugrunde. Es geht hier nicht darum, ob die Mitarbeiter in den Fabriken der Beklagten diese technischen Details kannten oder einsehen konnten, sondern ob die Beklagte - handelnd durch deren Repräsentanten und Vorstände - den Einsatz des EA 189 in Kenntnis von dessen Abschalteinrichtung angeordnet hatte. Davon geht der Senat aber - wie auch schon in anderen Verfahren - aus. Die Beklagte war an dem Prozess zum Einsatz dieses Motors durch oben genanntes Komitee, dem unstreitig auch Organe der Beklagten angehört haben, beteiligt. Der Senat kann - wie das Landgericht - nicht glauben, dass der Einsatz eines Motors in eigenen Fahrzeugen von diesen Personen befürwortet wird, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wie der Motor funktioniert, welche Eigenschaften er hat und wie es gelingt, die gesetzlichen entsprechenden Stickoxidgrenzwerte - die auch für die Beklagte als Motorenherstellerin virulent waren - in einem vernünftigen Kostenrahmen einzuhalten. Bei dem Motor handelt es sich um das Kernstück des Fahrzeugs und bei seiner Verwendung um eine grundlegende, eine Vielzahl von Fahrzeugen betreffende Strategieentscheidung, die mit erheblichen persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen verbunden ist. Da die Beklagte auch selbst Dieselmotoren entwickelt und die Frage, wie die gesetzlichen Grenzwerte technisch und wirtschaftlich kostengünstig eingehalten werden können, unter Kfz-Herstellern zu der damaligen Zeit ein Hauptthema war, kann nicht nachvollzogen werden, dass die Beklagte kein Interesse daran hatte zu wissen, wie es der Mutterkonzern geschafft hat, die strengen Grenzwerte einzuhalten. Es scheint ausgeschlossen, dass die Beklagte den von der Konzernmutter entwickelten Motor ohne Kenntnis der wesentlichen Merkmale „blind“ in ihre eigenen Fahrzeuge eingebaut haben will. Es liegt vielmehr auf der Hand, dass im Unternehmen der Beklagten mindestens ein handelnder Repräsentant an der Entscheidung über die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung beteiligt war, dem die Hintergründe bekannt waren. Auch wird die V. AG - über die Entwicklung des Motors hinaus - wohl kaum dessen Einsatz in allen Fahrzeugen aller Konzernmarken allein vornehmen (können). Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass der Motor nicht nur eingebaut, sondern auch mit seinen Softwarekomponenten auf das jeweilige Fahrzeug abgestimmt wird.
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Die Beklagte kann sich nicht darauf zurückziehen, dass sie den Motor samt Software nur als externes Produkt von der V. AG zugekauft hat und dieser vertrauen durfte. Die Situation war eine völlig andere. Die Beklagte ist selbst Entwicklerin von Dieselmotoren, sie war selbst mit der rechtlichen und wirtschaftlichen Entwicklung von neuen Motoren dieser Art im Tatzeitraum betraut. Zudem handelt es sich bei der V. AG nicht um ein Drittunternehmen, sondern um die Konzernmutter, mit der auch - wie der Kläger aufzeigt - ein reger personeller Austausch auf leitender und höchster Ebene erfolgte. Der Senat kann nicht glauben, dass die Beklagte sich nicht für die konkreten Eigenschaften beim Abgasverhalten des bei der V. AG entwickelten Motors interessierte. Die Beklagte geht sogar selbst davon aus, dass strategische Grundsatzfragen mit allen Entscheidungen auf Leitungsebene getroffen wurden; der Einsatz einer Abschalteinrichtung, mit der zu Täuschungszwecken nur auf dem Prüfstand die gesetzlichen Anforderungen an die Abgaswerte erreicht wird, zählt zwanglos dazu, ebenso wie die vorgelagerte allgemeine Überlegung, wie bei einer technischen Neuentwicklung die gesetzlichen Anforderungen an das Abgasverhalten erfüllt werden. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang den Auszug einer Tagesordnung eines Vorstandsprotokolls aus dem Jahr 2006 vorlegt, bleibt dies ohne jeden Erkenntnisgewinn. Der Senat glaubt nicht, dass die Entscheidung, die Abschalteinrichtung des EA 189 zu übernehmen, als offizieller TOP zur Entscheidung vorgelegt wurde.
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Was das Zulassungsverfahren betrifft, zu dem die Beklagte - von dem Kläger nicht bestritten - vorträgt, dass hier nur Mitarbeiter der V. AG gehandelt hätten, spricht dies nicht gegen eine Kenntnis der Beklagten von der Abschaltfunktion. Dieser Vorgang war unproblematisch, da der Motor so konzipiert war, dass er den Zulassungsvorgang bestehen wird. Die Beklagte nutzte hier die arbeitsteilige Organisation des V.-Konzerns, die technische Abnahme des Motors durch die V. AG durchzuführen. Dies ändert aber nichts daran, dass das Verhalten der Beklagten als vorsätzlich zu bewerten ist, weil sie die Folgen des Handelns ihrer Muttergesellschaft bewusst in Kauf genommen hat. Erst recht vermag die Beklagte nichts für ihren Standpunkt zu gewinnen, dass bei den von ihr durchgeführten Qualitätsprüfungen die Abschalteinrichtung nicht entdeckt worden sei. Da deren Einsatz gewollt war, gab es schon keinen Grund, nach dieser zu suchen.
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Schließlich ist von einem Schädigungsvorsatz der als Repräsentanten handelnden Personen der Beklagten auszugehen, die von den sittenwidrigen, strategischen Unternehmensentscheidungen Kenntnis hatten. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass bei diesem Personenkreis das Bewusstsein gegeben ist, dass die Erwerber von diesen Fahrzeugen diese Verträge nicht haben abschließen wollen (BGH, Urteil vom 25.11.2021, VII ZR 257/20, Tz. 43). Somit ist nicht nur der objektive Tatbestand, sondern auch sämtliche für den Vorsatz nach § 826 BGB erforderlichen Wissens- und Wollenselemente bei den entsprechenden Entscheidungsträgern verwirklicht (OLG München, Urteil vom 30. November 2020 - 21 U 7307/19, Rn. 58 - 64).
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2. Den von den Beklagten benannten Beweisangebote auf Vernehmung der Zeugen Dr. K. und B. war nicht nachzukommen.
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Der Zeuge Dr. C. K. soll zum Typengenehmigungsverfahren aussagen, das von der V. AG durchgeführt wurde und welche Hardware von welchem Zulieferer verbaut wurde (Schriftsatz vom 19.04.2022, S. 27-34). Diesen Vortrag legt der Senat, wie oben ausgeführt, seiner Entscheidung (analog § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 6 StPO) zugrunde, so dass eine Beweiserhebung nicht erforderlich ist.
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Der Zeuge J. B. (Schriftsatz vom 19.04.2022, S. 34-36) soll zur Qualitätskontrolle bei der Beklagten aussagen. Auch dieser Vortrag spricht nicht dagegen, dass die Beklagte die Abschalteinrichtung des EA 189 kannte und für sich nutzen wollte. Diese Technik war darauf angelegt, von den herkömmlichen Prüfverfahren nicht erkannt zu werden und die gewünschten Ergebnisse zu erzeugen. Nichts anderes sagt die Beklagte an dieser Stelle mit dem unter Beweis gestellten Vortrag. Der Einvernahme des Zeugen B. bedarf es daher schon analog § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO nicht. Auch die weiteren Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 11.05.2022 verlangen keine Beweisaufnahme. Die dort unterbreiteten Sachverständigenbeweisangebote sind für die Entscheidung nicht erheblich. Auch der Senat geht davon aus, dass sich die in Europa eingesetzten Dieselmotoren von denen in den USA unterscheiden und dass unterschiedliche rechtliche Anforderungen gelten. Die oben genannten Indizien, die den Schluss auf die Kenntnis der Beklagten tragen, werden dadurch nicht in Frage gestellt.
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Der Kläger hat gegen die Beklagte nach dem vom Landgericht festgestellten Sachverhalt zudem einen Schadensersatzanspruch dem Grunde nach aus §§ 826, 31 BGB (Haftung V. AG) i.V.m. §§ 830 Abs. 2, 831 Abs. 1, 826, 840 Abs. 1 BGB, weil die Beklagte als Teilnehmerin der unerlaubten Handlung der V. AG aus § 826, 31 BGB gegenüber dem Kläger neben der V. AG als Teilnehmerin (§§ 830 Abs. 2, 831 Abs. 1 Satz 1 BGB) gesamtschuldnerisch haftet.
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1. Der Kläger hat nach dem unstreitigen Vortrag, den Feststellungen des Landgerichts und den nach § 291 ZPO bekannten Tatschen wegen des Erwerbs des Audi A6 am 28.11.2011 einen Schadenersatzanspruch gegen die V. AG aus §§ 826, 31 BGB.
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Das streitgegenständliche Fahrzeug, das vor dem 22.09.2015 erworben wurde, verfügte über eine evident unzulässige Abschalteinrichtung (§ 529 ZPO), die von der V. AG entwickelt wurde (§ 138 ZPO). Aufgrund zahlreicher Verfahren und Berichterstattungen ist allgemein bekannt, dass die zugrundeliegende Entscheidung zur Verwendung dieses Motors von einem Repräsentanten der V. AG (§ 31 BGB) im Gepräge einer sittenwidrigen Handlung erfolgte (§ 291 ZPO). Der BGH hat das Verhalten des Herstellers V. AG bei der verwendeten Baureihe EA 189 im Verhältnis zu Klägern, die vor Aufdeckung der Softwaremanipulationen in Unkenntnis dieses Umstandes ein neues oder gebrauchtes Fahrzeug erworben haben, das mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung versehen war, objektiv als sittenwidrig qualifiziert (Katzenstein/Stöhr in: Kullmann/Pfister/Stöhr/Spindler, Produzentenhaftung, Haftung aus § 826 BGB). In der Rechtsprechung des BGH ist zudem anerkannt, dass die V. AG aufgrund dieses Sachverhalts auch Kunden von Konzernmarken nach § 826 BGB haftet, in deren Fahrzeug - wie hier - ein Motor der Baureihe EA 189 eingebaut ist (vgl. auch BGH, Urteil vom 13.01.2022, III ZR 205/20, Rn. 18 ff., juris)
35
Danach hat der Kläger gegen die V. AG einen auf die Rückabwicklung des Kaufvertrages gerichteten Schadensersatzanspruch (§§ 826, 249 Abs. 1 BGB; im Folgenden auch „Haupttat“). Die Beklagte schuldet dem Kläger neben der V. AG als Teilnehmerin (Gehilfin) an deren unerlaubter Handlung ebenfalls Schadensersatz als Gesamtschuldnerin (§§ 830 Abs. 2, 831, 840 Abs. 1 BGB).
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Dieser Anspruch wurde vom BGH in seiner Entscheidung vom 08.03.2021, VI ZR 505/19 (= NJW 2021, 1669) nicht angesprochen; dort wurde der Sachverhalt lediglich unter dem Aspekt geprüft, ob ein Verrichtungsgehilfe der Beklagten den dortigen Kläger sittenwidrig geschädigt habe (vgl. dort Rn. 35).
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a) Der Anwendungsbereich von § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB umfasst die Tatbestände des allgemeinen Deliktsrechts in §§ 823 ff (BeckOGK/Förster, 1.1.2022, BGB § 830 Rn. 9). Hierzu zählt auch § 826 BGB, der damit eine teilnahmefähige „Haupttat“ bildet.
38
b) Da die Mittäterschaft ein willentliches Zusammenwirken verlangt und Teilnahme nur bei einer vorsätzlich begangenen Tat möglich ist (§§ 26, 27 Abs. 1 StGB), kommt eine Anwendung von § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB unabhängig von dem jeweiligen Haftungstatbestand im Einzelfall nur bei vorsätzlicher Deliktsverwirklichung in Betracht (BeckOGK/Förster, 1.1.2022, BGB § 830 Rn. 10). Dies ist bei der hier vorliegenden Haupttat der V. AG aus § 826 BGB der Fall.
39
c) Die Teilnahme an der unerlaubten Handlung eines Dritten, ohne selbst Täter zu sein (§ 830 Abs. 2 BGB), richtet sich nach strafrechtlichen Grundsätzen. Als Anstifter (§ 26 StGB) oder Gehilfe (§ 27 Abs. 1 StGB) haftet demnach, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat oder ihm dazu Hilfe geleistet hat. Nach der allgemeinen zivilrechtlichen Definition erfordert diese Form der Teilnahme neben der Kenntnis der Tatumstände „wenigstens in groben Zügen“ auf der subjektiven Seite den jeweiligen Willen der einzelnen Beteiligten, die Tat als fremde Tat zu fördern. In objektiver Hinsicht muss eine Beteiligung an der Ausführung der Tat hinzukommen, „die in irgendeiner Form deren Begehung fördert und für diese relevant ist“. Eine Teilnahme als Anstifter oder Gehilfe ist auch bei eigenhändigen oder Sonderdelikten möglich, die der Teilnehmer mangels persönlicher Qualifikation nicht als Täter verwirklichen kann (BeckOGK/Förster, 1.1.2022, BGB § 830 Rn. 15, 16).
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Daraus ergibt sich aufgrund der tatsächlichen Überzeugung des Senats und der vom Landgericht getroffenen Feststellungen eine Haftung der Beklagten auch für solche Mitarbeiter, die nicht als Repräsentanten im Sinne von § 31 BGB anzusehen sind (§§ 830 Abs. 2, 831 Abs. 1 Satz 1 BGB; siehe auch BGH, Urteil vom 25.03.2020, VI ZR 252/19 <BGHZ 225, 316-352>, Rn. 43, juris); ein - insoweit allerdings möglicher - Entlastungsbeweis wurde von der Beklagten nicht angetreten (§ 831 Abs. 1 Satz 2 BGB).
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aa) Mitarbeiter der Beklagten, die als Verrichtungsgehilfen nach § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB anzusehen sind, haben die Haupttat der V. AG zum Nachteil des Klägers als Gehilfen im Sinne von § 830 Abs. 2 BGB vorsätzlich gefördert.
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(1) Aufgrund des gesamten Vortrages der Parteien zur Entwicklung des Motors EA 189 ist der Senat überzeugt, dass (auch) in der Fachabteilung bei der Beklagten unterhalb der Leitungsebene bekannt war, dass in diesem Motor eine evident unzulässige Abschalteinrichtung verbaut war. Dies ergibt sich aus den oben angestellten Überlegungen, wie es zu deren Entwicklung des Motors bei der V. AG und dessen Einsatz bei der Beklagten kam.
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(2) Die Mitarbeiter der Beklagten in den Fachabteilungen förderten die Haupttat der V. AG, indem sie den Einbau des Motors EA 189 in die von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge begleiteten und dessen Einbau, ggf. unter technischer Anpassung im Detail anlässlich der Entwicklung des eigenen Produkts unterstützten. Ohne diesen Tatbeitrag der Fachabteilung der Beklagten wäre es der V. AG nicht möglich gewesen, die eigenen Motoren in Fahrzeuge der Beklagten einzubauen.
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(3) Der Senat geht nicht davon aus, dass ein Verrichtungsgehilfe der Beklagten selbst mit einer sittenwidrigen Gesinnung handelte (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2021, VI ZR 505/19, Rn. 35, juris). Die Mitarbeiter der Fachabteilung der Beklagten handelten aber mit Blick auf die sittenwidrige Haupttat und die eigene Tatförderung mit dem erforderlichen doppelten Vorsatz und nahmen auch eine Schädigung von Kunden der Beklagten, die Fahrzeuge mit dem Motor EA 189 erwarben, billigend in Kauf.
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(3.1.) Der Senat sieht die objektive Sittenwidrigkeit und das vorsätzliche Handeln in Bezug auf den Vertrieb von Motoren mit einer verbotenen Umschaltlogik als ein einheitliches haftungsbegründendes Tatbestandsmerkmal, das täterschaftlich praktisch nur auf der Leistungsebene der juristischen Person (hier: V. AG) aufzufinden ist. Für die Frage der Teilnahme genügt es aber, wenn der Teilnehmer diese Umstände in seinen Vorsatz aufnimmt; er muss nach Auffassung des Senats - ähnlich wie bei Delikten mit persönlicher Qualifikation - nicht selbst in diesem Sinn sittenwidrig handeln. Von daher ist es unerheblich, ob die Mitarbeiter der Beklagten, die beim Vertrieb und Einbau des EA 189 Motors beteiligt waren, auch selbst den Tatbestand des § 826 BGB in allen Einzelheiten verwirklicht haben (insoweit ablehnend BGH a.a.O.).
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(3.2.) Der Senat bejaht für diesen technisch versierten Personenkreis der Fachabteilung der Beklagten den nach § 830 Abs. 2 BGB erforderlichen Vorsatz. Dieser muss sich allerdings auch auf den Schadenseintritt erstrecken, da bei § 826 BGB auch das Zufügen des finanziellen Schadens selbst Gegenstand des Tätervorsatzes ist und der Teilnehmervorsatz dahinter nicht zurückbleiben darf (BeckOGK/Förster, 1.1.2022, BGB § 830 Rn. 33).
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Der Senat schließt es aus, dass der Einbau des Motors EA 189 in Fahrzeuge der Beklagten (mit Blick auf die Argumentation der Beklagten, wonach kein Vorstand im aktienrechtlichen Sinn eine solche Kenntnis gehabte habe) im Bereich der technischen Fachabteilung ohne Kenntnis seiner wesentlichen Merkmale bzw. in Unkenntnis der beschriebenen Abschalteinrichtung erfolgte; im Gegenteil muss davon ausgegangen werden, dass diese Wirkungsweise der Software dort bekannt war.
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Die Beklagte war mit den technischen Detailfragen oder einzelnen Softwarekomponenten des Motors befasst. Schließlich darf auch auf die obigen Erwägungen verwiesen werden, mit denen diese Kenntnis sogar auf der Repräsentantenebene festgestellt wurde.
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Selbst das von der Beklagten vorgelegte Rechtsgutachten von Prof. Dr. G. (Anl. BB 01) geht auf S. 23 davon aus, dass „die Möglichkeit der Aufdeckung der Abschalteinrichtung durch die AUDIeigene Entwicklungsabteilung - vermittels einer grundlegenden Prüfung der Software bzw. einer Neuentwicklung von Testverfahren - nicht vollständig ausgeschlossen werden kann […]“. Letztlich scheint die Beklagte diese Kenntnis auf „Arbeitsebene“ wohl nicht einmal bestreiten zu wollen, zumal die Beklagte nicht vorträgt, ihre internen Untersuchungen im Nachgang zur sog. Abgasaffäre auf diesen Personenkreis unterhalb der Führungsebene überhaupt erstreckt zu haben.
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(3.3.) Diese Mitarbeiter der Beklagten hatten (bedingten) Vorsatz, dass der Einsatz der evident unzulässigen Abschalteinrichtung im EA 189-Motor von der Vorstandsebene der V. AG gedeckt war.
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Es entspricht der Lebenserfahrung, dass eine so bedeutende Entscheidung auf der Leistungsebene des Unternehmens getroffen wird. Jedenfalls mussten die Mitarbeiter der Beklagten davon ausgehen. Es war kein Anhaltspunkt im Bereich der Beklagten gegeben, wonach dort ein berechtigter Glaube bestanden haben könnte, dass es sich bei der Entscheidung von V., den EA 189 mit einer illegalen Abschalteinrichtung zu versehen, nur um ein (heimliches) Handeln auf einer untergeordneten Ebene in der Konzernhierarchie gehandelt hätte. Diese Kenntnis vom planvollen Einsatz der Manipulationssoftware haben die Mitarbeiter der Beklagten auch nicht beiläufig („bei Gelegenheit“ oder „privat“) erworben, sondern aus ihrer täglichen Arbeitswirklichkeit entnommen.
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Diese Kenntnis umfasst auch die Tatsachen, dass es sich dabei um eine grob anstößige Entscheidung gehandelt hat, die das Merkmal der Sittenwidrigkeit in sich trägt. Den Mitarbeitern war bekannt, dass die Mitarbeiter der V. AG allein das Typengenehmigungsverfahren betreuten; damit war ihnen vollkommen klar, dass diese auch alles unternehmen werden, dass die manipulative Software im Zulassungsprozess nicht aufgedeckt werden wird. Diese Wertung war einem ausgebildeten Techniker, der die Gepflogenheiten der Entwicklung von Motoren und deren Zulassungsverfahren kennt, ohne weiteres möglich und liegt auf der Hand.
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(3.4.) Schließlich hatten die Mitarbeiter der Beklagten auch den Vorsatz, dass durch die Teilnahme am Vertrieb der illegalen Motoren in den Fahrzeugen der Beklagten deren Kunden geschädigt werden. Die Annahme eines auf den ungewollten Vertragsschluss bezogenen Schädigungsvorsatzes entspricht nach der Rechtsprechung des BGH der Lebenserfahrung (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19 <BGHZ 225, 316-352>, Rn. 63, juris). Dies gilt auch für den hier angesprochenen, gut ausgebildeten Personenkreis: Diesen war die Wirkungsweise der Technik bewusst und der Umstand, dass diese der zuständigen Behörde planvoll verheimlicht wurde. Damit war für sie aber auch nachvollziehbar und im Bewusstsein, dass die Erwerber des Produkts mit der Gefahr einer behördlichen Stilllegung belastet werden. Ein relevanter Unterschied zu einem Repräsentanten besteht bei dieser Sachlage nicht.
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In diesem Zusammenhang ist es auch ohne Bedeutung, dass die haftungsbegründende Software im späteren Fertigungsprozess versiegelt auf die Hardwarekomponenten (vollautomatisch) aufgespielt wurde. Es geht hier nicht um die Haftung der Beklagten für deren Mitarbeiter am Fließband in der Fabrik, sondern um die Mitarbeiter in der Fachabteilung, die diese Fahrzeuge mit dem Motor EA 189 konzipiert und entwickelt haben. Dieser Personenkreis war den gleichen rechtlichen, technischen und wirtschaftlichen Zwängen des V.-Konzern ausgesetzt, wie die entsprechenden Kollegen bei der V. AG.
bb) Die Beklagte ist Geschäftsherrin der Mitarbeiter der (technischen) Fachabteilungen, insbesondere soweit diese mit dem Motor EA 189 der Konzernmutter und dessen Übernahme in Fahrzeuge der Beklagten befasst waren. Deren Tätigkeiten erfolgen in der notwendigen Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit. Die Beklagte haftet daher nach § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB für die von den Mitarbeitern der Fachabteilung begangene unerlaubte Handlung zum Nachteil des Klägers (§§ 831 Abs. 1 Satz 1, 830 Abs. 2 BGB).
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cc) Einen Entlastungsbeweis hat die Beklagte nicht angetreten (§ 831 Abs. 1 Satz 2 BGB).
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Dem Kläger ist durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten ein Schaden entstanden, §§ 826, 249 Abs. 1 BGB, der in dem Abschluss des Kaufvertrags über das bemakelte Fahrzeug liegt (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 44 ff.). Insbesondere ist der Senat hingewiesenermaßen wie bereits das Landgericht aufgrund der Anhörung des Klägers im Termin vom 20.07.2020 davon überzeugt, dass er - ebenso wie zuvor seine Mutter - das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn er gewusst hätte, dass dessen Abgaswerte manipuliert waren. Dies ist glaubhaft, weil im Regelfall nicht anzunehmen ist, dass ein Fahrzeug erworben wird, obwohl berechtigte Zweifel daran bestehen, ob es für seinen Zweck, nämlich die Verwendung im öffentlichen Straßenverkehr, tatsächlich geeignet ist, bzw. dem Fahrzeug eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs nicht absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (BGH, a.a.O., Rn. 49, 51).
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Der Anspruch des Klägers ist nicht verjährt. Die Beklagte hat bereits in erster Instanz die Anmeldung des Klägers zur Musterfeststellungsklage unstreitig gestellt. Der Textbaustein im Schriftsatz Beklagtenvertreter vom 19.04.2022, S. 84-98 erscheint daher unverständlich.
58
Die Anmeldung zur Musterfeststellungsklage bewirkt eine Unterbrechung der Verjährung, so dass es nicht mehr darauf ankommt, dass die Beklagte den ihr obliegenden Nachweis einer Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis des Klägers im Jahr 2015 davon, dass das streitgegenständliche Fahrzeug vom Dieselskandal betroffen war, nicht erbracht hat. Insbesondere ergibt sich allein aus der umfangreichen Medienberichterstattung zum Dieselskandal nicht ohne Weiteres, dass der Kläger im Hinblick auf das konkrete hier streitgegenständliche Fahrzeug von der Betroffenheit Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Hinreichende Anhaltspunkte haben sich insoweit auch aus der persönlichen Anhörung des Kläger nicht ergeben. Diese hat in der Sitzung vom 20.07.2020 u.a. angegeben, er habe 2016 Schreiben von Audi und dem KBA erhalten und anschließend das Software-Update durchführen lassen.
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Die Beklagte hat demnach nicht nachgewiesen, dass der Kläger bereits 2015 Kenntnisse gehabt hätte, die ihm eine Klageerhebung ermöglicht hätten bzw. dass sie sich spätestens am Jahresende 2015 in grob fahrlässiger Unkenntnis von solchen Umständen befunden hätten. Die allgemeine Berichterstattung in der Tagespresse begründet jedenfalls keine fahrlässige Unkenntnis von der Betroffenheit des konkreten eigenen Fahrzeugs.
60
Der Senat teilt nicht die Ausführungen des Landgerichts zum anzurechnenden Nutzungsersatz. Dieser ist vielmehr wie hingewiesen mit einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km zum ursprünglichen Erwerbszeitpunkt durch die Mutter des Klägers (10.11.2011) zu berechnen. Es dürfte auf der Hand liegen, dass die Beklagte nicht für die innerfamiliäre Großzügigkeit des Klägers gegenüber seiner Mutter einzustehen hat. Die Gesamtlaufleistung von 300.000 km ist ins Verhältnis zur tatsächlich von dem Kläger und seiner Mutter erzielten Laufleistung des Fahrzeugs von 147.676 km setzen. Ausgehend von einem Kaufpreis von 39.310,14 € errechnet sich eine Nutzungsentschädigung von 19.288,31 €, die von dem Kaufpreis abzuziehen ist. Eines Gutachtens bedarf es hierzu nicht (vgl. zum Ganzen auch BGH, Urteil vom 18.03.2021, VI ZR 720/20).
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Zinsen sind ab Rechtshängigkeit geschuldet (§§ 291, 288 Abs. 1 BGB).
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO, die Festsetzung des Streitwerts aus §§ 3, 4 ZPO, 47, 48 GKG.