Titel:
Selbstständiges Beweisverfahren, Rechtsschutzversicherung, Klageverfahren, Beweissicherungsverfahren, selbständiges Beweisverfahren, Rechtliches Interesse, Hinreichende Erfolgsaussicht, Versicherungsnehmer, Geschäftsgebühr, Streitwertbemessung, Streitwerterhöhung, Außergerichtliche Tätigkeit, Anspruch auf Deckungszusage, Verfahrensgebühr, Gebührenansprüche, Feststellungsantrag, Rechtsverfolgungskosten, Schadenminderungspflicht, Mitversicherte, Prozeßbevollmächtigter
Leitsätze:
1. Maßstab dafür, ob hinreichende Erfolgsaussichten für ein beabsichtigtes Verfahren bestehen, ist in Anlehnung an § 114 I 1 ZPO, ob der Standpunkt des Versicherungsnehmers nach seiner Darstellung und den vorhandenen Unterlagen zumindest vertretbar ist. (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein rechtliches Interesse an der Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens kann auch dann vorliegen, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Versicherungsnehmer von einer Klage absieht, falls das Verfahren zu seinem Nachteil ausgeht. (redaktioneller Leitsatz)
3. Was Weisungsrecht der Versicherung nach § 82 II VVG erlaubt es dieser nicht, Vorgaben hinsichtlich einer aus ihrer Sicht zweckmäßigen Prozessführung – hier Klage statt selbstständiges Beweisverfahren – zu machen. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Prozesskostenhilfe
Fundstellen:
VersR 2023, 1433
LSK 2022, 31523
NJW-RR 2023, 474
BeckRS 2022, 31523
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger und der mitversicherten Ehefrau, Frau A. W., bedingungs-/und tarifgemäße Rechtsschutzdeckung aus dem mit der Beklagten geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag zur Mitglieds-Nr. ... für die Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens im Rechtsschutzfall „… und die dortigen, damals beteiligten Ärzte wegen Arzthaftung, Az. WEN-...“ (Schadennummer: ...) gemäß dem anwaltlichen Entwurf des Antrages auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens vom 03.11.2021 (Anlage K1 b) zu gewähren.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger und die mitversicherte Ehefrau, … vom Gebührenanspruch der G. J. Patientenanwälte, H.-Str. 20, 7. F., in der Angelegenheit „… Zentrum F. B. K. GmbH und die dortigen, damals beteiligten Ärzte wegen Arzthaftung, Az. WEN-...“ in Höhe eines Betrages von 2.770,39 EUR gemäß Vorschussrechnung vom 23.12.2021 mit der Rechnungsnummer: ... (Anlage K17) freizustellen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger und die mitversicherte Ehefrau, …, vom Gebührenanspruch der G. J. Patientenanwälte, H.Str. 20, 7. F., in der Angelegenheit „… A. Rechtsschutz-Versicherungs AG wg. Kostenschutzpflicht der Rechtsschutzversicherung, Az. WEN-0796-21/GJ“ in Höhe einer 1,5 Geschäftsgebühr (VV 2300 RVG) aus dem Kostenschutzstreitwert in Höhe von 29.423,92 EUR (= 1.432,50 EUR) zzgl. Auslagen (VV 7002 RVG) in Höhe von 20,00 EUR und 19 % Umsatzsteuer (VV 7008 RVG), mithin insgesamt 1.728,48 EUR freizustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 29.423,92€ festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die Gewährung von Rechtsschutzdeckung für die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens, welches die Ehefrau des Klägers durchzuführen beabsichtigt.
2
Im Zeitraum vom 01.04.2013 bis zum 01.04.2022 bestand zwischen dem Kläger und der Beklagten ein Rechtschutzversicherungsvertrag. In diesem Vertrag war auch die Ehefrau des Klägers mitversichert. Dem Rechtsschutzversicherungsvertrag lagen die ARB 2012 zugrunde (Anlagen K 2 a, K 2 b).
3
Der Kläger begehrt Deckung für einen Rechtsschutzfall, den seine mitversicherte Ehefrau betrifft. Diese unterzog sich im April 2018 bei der Universitäts-Herzzentrum F. B. K. GmbH einer ärztlichen Untersuchung ihres Herzkatheters. Durch die aus Sicht der Ehefrau des Klägers fehlerhaft durchgeführte Behandlung seien bei ihr unter anderem eine Verletzung einer Arterie, ein Herzinfarkt, ein künstliches Koma, ständige starke Schmerzen im Brustbereich, eine dauerhafte Herzklappeninsuffizienz, Atemnot, Schwindelattacken, Angststörungen, Panikattacken, Schlafstörungen und Zukunftsängste verursacht worden. Der Ehefrau des Klägers stünden aus der fehlerhaft durchgeführten Behandlung u.a. Schmerzensgeldansprüche und Ansprüche wegen entgangener Haushaltsführung für die Vergangenheit und für die Zukunft zu. Den Streitwert eines solchen Verfahrens gab der Klägervertreter zuletzt mit 405.356,40 € an (Anlage K1 b). Wegen der weiteren Einzelheiten wird insbesondere auf den Entwurf des Antrags zur Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens vom 03.11.2021 (Anlage K1 b) verwiesen. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Klägervertreter im Rahmen des Arzthaftungsstreits außergerichtlich tätig geworden ist, indem er etwa zunächst einen Verjährungsverzicht des Universitäts-Herzzentrum F. B. K. GmbH bis 2021 erreichte und dieser bis 31.12.2022 verlängert werden konnte (Anlage K 21).
4
Mit Schreiben vom 09.10.2019 erteilte die Beklagte unbeschränkten Kostenschutz für die außergerichtliche Tätigkeit des Klägervertreters im Arzthaftungsstreit. Mit Schreiben vom 13.10.2020 erteilte die Beklagte Kostenschutz für eine Klage, jedoch nur dem Grunde nach. Nach erneuter Anfrage des Klägervertreters erteilte die Beklagte für die Klageerhebung eine beschränkte Kostenschutzzusage. Sie gewährte Rechtsschutz für die Erhebung einer Klage unter Begrenzung des Schmerzensgeldes auf 50.000,00 € und Begrenzung des Feststellungsinteresses auf 30.000,00 € auf der Grundlage eines Stundensatzes für entgangene Haushaltsführung von 9,50 €.
5
Der Klägervertreter stellte sowohl für seine außergerichtliche Tätigkeit als auch für das beabsichtigte Klageverfahren Zwischen- und Vorschussabrechnungen. Er geht dabei von einem Schadens- und Streitwert des Arzthaftungsverfahrens von insgesamt 405.356,40 € aus. Die für das selbstständige Beweisverfahren zu erwartenden Kosten belaufen sich nach den unstreitig gebliebenen Angaben des Klägervertreters auf 36.779,90 €. Die Zwischen- und Vorschussrechnungen des Klägervertreters hat die Beklagte nach Korrespondenz mit dem Klägervertreter und Differenzen über die Höhe der zutreffenden Geschäftsgebühr im Ergebnis in Höhe von bisher 12.319,01 € bezahlt.
6
Zuletzt forderte der Klägervertreter die Beklagte mehrfach, unter anderem mit Schreiben vom 03.11.2021 und unter Beifügung eines entsprechenden Antragsentwurfs (Anlagen K1 a, K1 b), dazu auf, Kostenschutz für ein selbstständiges Beweisverfahren gemäß § 485 Abs. 2 ZPO zu erteilen. Mit Schreiben vom 23.12.2021 rechnete er ab und begehrte unter Anrechnung der von der Beklagten bereits im Hinblick auf das Klageverfahren bezahlten Beträge einen Vorschuss von EUR 2.770,39 (Anlage K 17). Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 15.11.2021, vom 07.12.2021 und vom 07.02.2022 eine Deckung ab. Die Beklagte begründete diese im Wesentlichen damit, dass das selbstständige Beweisverfahren bzw. „ein Beweissicherungsverfahren“ im konkreten Fall unstatthaft seien und deshalb die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete (Anlagen K 13, K 15).
7
Der Kläger meint, ihm stehe aus § 125 VVG in Verbindung mit dem Rechtsschutzversicherungsvertrag (§ 17 Abs. 2 Satz 1 ARB 2012) ein Anspruch auf Deckungszusage im Hinblick auf die Einleitung eines selbstständigen Beweisverfahrens im vorliegenden Rechtsschutzfall zu. Die Angaben seiner Ehefrau im Hinblick auf die fehlerhafte Behandlung seien hinreichend substantiiert. Die Beklagte sei nicht berechtigt, von der Geschädigten eine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge oder medizinisches Fachwissen hierüber zu verlangen. Genauso wenig müsse der Geschädigte zuvor ein Privatgutachten auf eigene Kosten einholen, welches er dann dem Rechtsschutzversicherer zur Verfügung stellen müsse. Der Antrag auf Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens sei in dieser Hinsicht ausreichend begründet (Anlage K1 b). Schließlich sei auch in der Rechtsprechung anerkannt, dass Rechtsschutz auch für selbstständige Beweisverfahren in Zusammenhang mit ärztlichen Behandlungs- und Aufklärungsfehlern gewährt werden müsse.
8
Der Kläger meint darüber hinaus, der Ansatz lediglich einer 1,3 Geschäftsgebühr im Zusammenhang mit der Bearbeitung der arzthaftungsrechtlichen Streitigkeit sei evident unbillig. Ihm stehe hinsichtlich der vorgerichtlichen Tätigkeit ein Anspruch auf Bezahlung einer 2,5 Gebühr zu (Anlage K17).
I. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger und der mitversicherten Ehefrau, Frau A. W., bedingungs-/und tarifgemäße Rechtsschutzdeckung aus dem mit der Beklagten geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag zur Mitglieds-Nr. 3065497400 für die Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens im Rechtsschutzfall „W., An. ./. Universitäts-Herzzentrum F. B. K. GmbH und die dortigen, damals beteiligten Ärzte wegen Arzthaftung, Az. WEN-...“ (Schadennummer: ...) gemäß dem anwaltlichen Entwurf des Antrages auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens vom 03.11.2021 (Anlage K1 b) zu gewähren.
II. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger und die mitversicherte Ehefrau, Frau A. W., vom Gebührenanspruch der G. J. Patientenanwälte, H.-Str. 20, 7. F., in der Angelegenheit „W., A. ./. Universitäts-Herzzentrum F. B. K. GmbH und die dortigen, damals beteiligten Ärzte wegen Arzthaftung, Az. WEN-...“ in Höhe eines Betrages von 2.770,39 EUR gemäß Vorschussrechnung vom 23.12.2021 mit der Rechnungsnummer: ... (Anlage K17) freizustellen.
III. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger und die mitversicherte Ehefrau, Frau A. W., vom Gebührenanspruch der G. J. Patientenanwälte, H.-Str. 20, 7. F., in der Angelegenheit „W., P. und W., A. ./. A. Rechtsschutz-Versicherungs AG wg. Kostenschutzpflicht der Rechtsschutzversicherung, Az. WEN-...“ in Höhe einer 1,5 Geschäftsgebühr (VV 2300 RVG) aus dem Kostenschutzstreitwert in Höhe von 36.779,90 EUR (= 2.017,65 EUR) zzgl. Auslagen (VV 7002 RVG) in Höhe von 20,00 EUR und 19 % Umsatzsteuer (VV 7008 RVG) freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte meint, der Kläger bzw. dessen Ehefrau hätten ihre Schadensminderungspflicht verletzt, so dass die Beklagte leistungsfrei geworden sei. Die Anstrengung eines Klageverfahrens, für welches die Beklagte (beschränkt) bereits Deckungszusage erteilt habe, sei gegenüber einem selbstständigen Beweisverfahren vorrangig. Denn Letzteres sei nur dann vorgesehen, wenn der Verlust eines Beweismittels zu besorgen sei oder die Benutzung eines Beweismittels infolge Zeitablaufs erschwert werde. Ein solches Eilverfahren sei vorliegend aber nicht zielführend, weil die maßgeblichen Ereignisse bereits im Jahr 2018 geschehen seien. Zudem müsse der Maßstab gelten, wie sich eine vernünftige und unversicherte Person im konkreten Fall verhalten würde. Nachdem die Beklagte bereits (beschränkt) auf ein Klageverfahren Rechtsschutz erteilt habe, würde eine vernünftige und unversicherte Person kein selbstständiges Beweisverfahren, sondern auf der Grundlage der bereits erteilten Deckung das Klageverfahren anstrengen.
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Die von der Ehefrau des Klägers geltend gemachten Vorwürfe seien darüber hinaus „völlig aus der Luft gegriffen“. Der Ansatz einer Haftung sei nicht einmal dargelegt oder nachvollziehbar. Ohne jeden Ansatz würde ein Behandlungsfehler behauptet, es fehlte darüber hinaus an substantiierten Angaben zur Kausalität. Hinreichende Erfolgsaussichten seien nach wie vor nicht dargelegt. Ein erfahrener Anwalt wie der Klägervertreter müsse daher „mit besonderer Vorsicht an die Sache herangehen“. In der Höhe, in welcher die Beklagte bereits Rechtsschutz zugesagt habe, lasse sich der Fall leicht gerichtlich überprüfen.
13
Die Beklagte meint darüber hinaus, die Ansprüche gegen die Beklagte seien verjährt. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Verjährungsbeginn sei die Entstehung des Anspruchs. Dies sei im Jahr 2018 gewesen, weil die angeblich fehlerhafte Behandlung im Jahr 2018 stattgefunden habe. Da die Ehefrau des Klägers auch Kenntnis von Ihrem Rechtsschutzversicherungsvertrag gehabt habe und die vorliegende Klage erst im Jahr 2022 erhoben worden sei, sei Verjährung eingetreten.
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Hinsichtlich der Klageanträge Ziffer 2. und 3. meint die Beklagte, dass insoweit keine Fälligkeit gegeben sei. Mithilfe einer Rechtsschutzzusage der Beklagten (Abwehrdeckung) müsse nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zunächst im Verhältnis Mandant zu Anwalt geklärt werden, welche gesetzlichen Gebühren tatsächlich angefallen seien und dem Anwalt nach dem RVG zustünden.
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Soweit Vorschüsse eingeklagt würden, stehe dem Anspruch des Klägers der Risikoausschluss gemäß § 3 Abs. 2 lit. G ARB 2012 entgegen.
16
Das Gericht hat mit Beschluss vom 11.10.2022 eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO angeordnet, nachdem der Kläger am 27.09.2022 und die Beklagte am 12.10.2022 ihre Zustimmung erteilt hatten. Als Zeitpunkt, bis zu welchem Schriftsätze eingereicht werden konnten, bestimmte das Gericht den 02.11.2022. Termin zur Verkündung einer Entscheidung wurde nach Verlegung bestimmt auf den 14.11.2022.
17
Der Rechtsstreit wurde dem Einzelrichter mit Beschluss vom 05.07.2022 zur Entscheidung übertragen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist weit überwiegend begründet, I. Die Klage ist zulässig.
19
1. Die sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts folgt für alle Anträge aus §§ 23 Nr. 1 GVG, 3, 4 ZPO. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus §§ 12, 17 ZPO.
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2. Hinsichtlich des Feststellungsantrags (Ziffer 1. der Klage) besteht ein Rechtsschutzbedürfnis, weil der Kläger ein hinreichendes rechtliches Interesse daran hat, feststellen zu lassen, dass die Beklagte zur Deckung der Rechtsverfolgungskosten im Hinblick auf das selbstständige Beweisverfahren infolge des abgeschlossenen Versicherungsvertrags verpflichtet ist. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt auch nicht wegen des Vorrangs der Leistungsklage. Eine auf Kostenbefreiung gerichtete Leistungsklage wäre erst dann nötig, wenn der Versicherungsnehmer vor der Deckungsschutzklage bereits die Haftungsklage erhoben hatte, was vorliegend nicht der Fall ist.
21
II. Die Klage ist weit überwiegend begründet.
22
1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Erteilung einer Deckungszusage im Hinblick auf das beabsichtigte selbstständige Beweisverfahren zu (Ziff. 1. der Klage).
23
Aus der von der Beklagten erteilten (beschränkten) Deckungszusage im Hinblick auf die Durchführung des Klageverfahrens bzw. aus der Deckungszusage im Hinblick auf die außergerichtliche Tätigkeit des Klägervertreters lässt sich zwar kein solcher Anspruch auch im Hinblick auf das selbständige Beweisverfahren ableiten. Denn der Inhalt der von der Beklagten erteilten Deckungszusage ist gemäß §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Gegen eine Deckungszusage auch im Hinblick auf das selbstständige Beweisverfahren spricht schon der Wortlaut der jeweiligen Deckungszusage. Die Beklagte hat eine Kostenübernahme eindeutig nur im Hinblick auf die außergerichtliche Tätigkeit bzw. ein Klageverfahren erklärt. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass es sich beim selbstständigen Beweisverfahren gemäß § 485 Abs. 2 ZPO um ein vom Klageverfahren prozessual zu unterscheidendes weiteres Verfahren in der ZPO handelt. Die Zusage, eine Deckung für ein Klageverfahren zu übernehmen, enthält daher nicht automatisch auch die Zusage dahingehend, auch die Kosten für ein anderes Verfahren wie etwa ein selbstständiges Beweisverfahren zu übernehmen.
24
Der Kläger hat indes einen Anspruch auf Kostenübernahme des selbstständigen Beweisverfahrens aus §§ 1, 2 lit. a), 4 Abs. 1, 15 ARB 2012, 125 VVG.
25
a) Der Kläger ist aktivlegitimiert. Da seine Ehefrau mitversichert ist, besteht gemäß §§ 15 ARB 2012, 44 Abs. 2 VVG e.c. ein Anspruch des Klägers auch auf Erstattung bzw. Deckung der Rechtsschutzkosten seiner Ehefrau.
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b) Das behauptete Schadensereignis im Jahr 2018 lag nach dem Beginn des Versicherungsschutzes im Sinne von § 4 Abs. 1 lit. a) ARB 2012.
27
c) Der Anspruch des Klägers ist nicht gemäß § 3 a Abs. 1 ARB 2012 ausgeschlossen.
28
aa) Entgegen der Beklagten scheitert der Anspruch des Klägers nicht am Erfordernis hinreichender Erfolgsaussichten im Sinne von § 3 a Abs. 1 lit. a) ARB 2012.
29
(1) Maßstab hierfür ist in Anlehnung an § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO, ob der Standpunkt des Versicherungsnehmers aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen zumindest vertretbar ist (BGH NJW 1994, 1161; 1988, 266; OLG Celle MDR 2016, 1016; OLG Karlsruhe BeckRS 2016, 20806). In tatsächlicher Hinsicht muss zumindest die Möglichkeit der Beweisführung bestehen. Gemäß den zu § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO entwickelten Grundsätzen sind hinreichende Erfolgsaussichten auch dann zu bejahen, wenn die Entscheidung von der Beantwortung einer schwierigen Rechts- oder Tatsachenfrage abhängt (BVerfG NJW 2013, 1727; 2004, 1789; BGH NJW 2015, 1020; VersR 2007, 966). Zu beachten ist, dass es dem Gericht bei der Beurteilung des Vorliegens dieser Kriterien nicht obliegt, bereits im Rahmen des selbstständigen Beweisverfahrens eine Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung hinsichtlich des Hauptverfahrens vorzunehmen. Der Antragsteller muss also keinen schlüssigen Klagevortrag halten (OLG Karlsruhe, NJOZ 2013, 1814; OLG Brandenburg, IBR 2010, 544).
30
Der Kläger bzw. dessen Ehefrau begehren Rechtsschutz für die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens im Sinne von § 485 Abs. 2 ZPO - und nicht, wie die Ausführungen der Beklagten in ihren Ablehnungsschreiben und auch teilweise die Ausführungen der Beklagtenvertreterin in ihren Schriftsätzen nahelegen, die Anstrengung eines Beweissicherungsverfahrens. Das selbstständige Beweisverfahren gemäß § 485 Abs. 2 ZPO unterscheidet sich vom Beweissicherungsverfahren (§ 485 Abs. 1 ZPO) im Wesentlichen dadurch, dass (nur) das Beweissicherungsverfahren gemäß § 485 Abs. 1 ZPO die Beweissicherung bei drohendem Verlust bezweckt. Demgegenüber hat der Gesetzgeber die Einführung eines selbstständigen Beweisverfahrens durch Neuregelung in § 485 Abs. 2 ZPO unter anderem damit begründet, dass in Anlehnung an das amerikanische Recht vor dem Eintritt in die eigentliche Verhandlung ein Verfahren geschaffen werden sollte, welches dem Zweck dient, den streitgegenständlichen Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht weitestgehend aufzuklären und insoweit den Hauptprozess vorzubereiten, was - so der Gesetzgeber - gerade bei Arzthaftungsprozessen zielführend erscheine. Der Gesetzgeber hat sich ausweislich der Regierungsbegründung deswegen dazu entschieden, dass „bisherige Beweisverfahren zu erweitern und auf den Sicherungszweck für das schriftliche Sachverständigengutachten ganz, im Übrigen bei Zustimmung des Gegners zu verzichten“ (BT-Drucks 11/3621, S. 23).
31
Es war umstritten, ob ein selbstständige Beweisverfahren gemäß § 485 Abs. 2 ZPO bei arzthaftungsrechtlichen Streitigkeiten in Betracht kommt. Teilweise wurde hierfür das rechtliche Interesse im Sinne von § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO verneint (so etwa OLG Köln NJW 1999, 875; OLG Nürnberg MDR 1997, 501; Rehborn MDR 1998, 18). Der Bundesgerichtshof hat diese Frage indes grundsätzlich bejaht. Er entschied mit Beschluss vom 25.09.2013, dass grundsätzlich auch dann ein rechtliches Interesse im Sinne von § 485 Abs. 2 ZPO besteht, wenn zwar die Feststellung eines Gesundheitsschadens der Vermeidung des Rechtsstreits dienen kann, jedoch für die abschließende Klärung des Sachverhalts weitere Aufklärungen, wie etwa die regelmäßig durchzuführende Parteianhörung, erforderlich erscheinen (BGH NJW 2013, 3654).
32
Für Beweisfragen betreffend das Vorliegen von Aufklärungsmängeln war ebenfalls zunächst umstritten, ob ein selbstständiges Beweisverfahren gemäß § 485 Abs. 2 ZPO in Betracht kommt. Der BGH hat indes auch diese Frage bejaht (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2020 - VI ZB 51/19 -, Rn. 10, juris).
33
(2) Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus, dass das beabsichtigte selbstständige Beweisverfahren nicht von vornherein unzulässig ist und deshalb entgegen der Auffassung der Beklagten hinreichende Erfolgsaussichten im Sinne von § 3 a Abs. 1 lit. a) ARB 2012 bestehen.
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Sowohl die beantragten Feststellungen im Hinblick auf den Behandlungsfehler, dessen Schwere sowie auch die Frage der Verletzung ärztlicher Aufklärungspflichten (Ziffern 1.-3. der Antragsschrift, Anlage K1 b) und schließlich auch die Frage des Umfangs des eingetretenen Schadens (Ziffer 4. der Antragsschrift) sind nach höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich, vom Umfang eines selbstständigen Beweisverfahrens gemäß §§ 485 Abs. 2 ZPO erfasst. Ob sich die klägerischen Behauptungen bestätigen werden bzw. ob hierfür eine hinreichende Erfolgswahrscheinlichkeit besteht, bleibt - wie oben dargelegt - im Rechtsschutzprozess und auch bei der Prüfung der Zulässigkeit eines selbstständigen Beweisverfahrens außer Betracht. Denn das Gericht ist im Rahmen eines selbstständigen Beweisverfahrens nicht verpflichtet, eine Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung durchzuführen. Im Rahmen des Prozesses für die Deckung der Kosten eines selbstständigen Beweisverfahrens dürfen daher keine anderen Anforderungen gelten. Zudem kann vorliegend ohnehin nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass sich einer der zahlreichen behaupteten Behandlungs- und/oder Aufklärungsfehler bestätigen wird.
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Soweit die Beklagte meint, die behaupteten Behandlungsfehler seien „völlig aus der Luft gegriffen“, teilt das Gericht diese Auffassung schon deshalb nicht, weil etwa in der Antragsschrift auf Seite 9 f. (Anlage K1 b) ausführlich dazu Stellung genommen wird, weshalb auch ungeachtet etwaiger Aufklärungsfehler gravierende Behandlungsfehler und daraus folgend Gesundheitsschädigungen bei der Antragstellerin aufgetreten sind. So werden neben dem Umstand einer Arterienverletzung und der hierdurch notwendigen Stent-Setzung auch Reanimationsversuche und die Einsetzung eines passageren Schrittmachers behauptet, wobei alle vorstehenden Umstände auf den ärztlichen Behandlungsfehler zurückgeführt werden.
36
Ein rechtliches Interesse der Antragstellerin besteht u.a. aber auch deshalb, weil zumindest die Möglichkeit besteht, dass jedenfalls die Antragstellerin von der Erhebung einer Klage absieht, sofern das selbstständige Beweisverfahren zu ihrem Nachteil ausgeht. Insoweit kann die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens also auch im vorliegenden Fall der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen, so dass das rechtliche Interesse im Sinne von § 485 Abs. 2 ZPO auch nicht deshalb entfällt, weil ein etwaiges „Obsiegen“ der Antragstellerin im selbstständigen Beweisverfahren von vornherein keine Auswirkungen auf ein späteres Klageverfahren hätte (siehe weiterführend OLG München Endurteil v. 30.6.2017 - 25 U 4236/16, BeckRS 2017, 135281 Rn. 10, beck-online).
37
Es ergibt sich auch nichts anderes aus der Behauptung der Beklagten, Ansprüche in der Hauptsache betreffend die Behandlungsfehler seien zwischenzeitlich verjährt. Die Behauptung ist unzutreffend, da die Haftpflichtversicherung des Behandlers einen Verjährungsverzicht bis zum 31.12.2022 erklärt hat.
38
bb) Dem Anspruch des Klägers auf Deckung steht auch nicht § 3 a Abs. 1 lit. b) (Mutwilligkeit) ARB 2012 entgegen.
39
(1) Dabei ist zunächst grundsätzlich zu berücksichtigen, dass der Beklagten der Einwand der Mutwilligkeit abgeschnitten ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich der Versicherer nach Ablehnung des Rechtsschutzbegehrens und Hinweises auf das Schlichtungsverfahren nicht auf Mutwilligkeit berufen, wenn er diese nicht im Ablehnungsschreiben bereits als Ablehnungsgrund genannt hat. Dies ist, so die Rechtsprechung, letztendlich Kehrseite des Umstands, dass zur Beschleunigung des Rechtsschutzgewährungsverfahrens ein Stichentscheid beantragt werden kann (siehe hierzu nur BGH, Urteil vom 19.3.2003 - IV ZR 139/01 (Celle); OLG Düsseldorf, Hinweisbeschl. v. 21.9.2017 - I-4 U 87/17, r+s 2017, 633).
40
Vorliegend ist der Beklagten der Einwand der Mutwilligkeit daher abgeschnitten, weil sie sich in den Ablehnungsschreiben lediglich auf die fehlenden Erfolgsaussichten des selbstständigen Beweisverfahrens zurückgezogen hat und gerade nicht die Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung behauptet hat.
41
Selbst wenn man dies anders sähe (und die Einwendung insoweit zuließe), ergäbe sich nichts anderes:
42
(2) Nach § 3 a Abs. 1 lit. b) ARB 2012 kann Rechtsschutzdeckung versagt werden, wenn die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen mutwillig ist. Mutwilligkeit liegt nach § 3 Abs. 1 lit. b) Satz 2 ARB 2012 vor, wenn der durch die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen voraussichtlich entstehende Kostenaufwand unter Berücksichtigung der berechtigten Belange der Versichertengemeinschaft in einem groben Missverhältnis zum angestrebten Erfolg steht. Nicht versichert sind in Anlehnung an § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO somit solche Maßnahmen, die auch eine vermögende unversicherte und wirtschaftlich denkende Partei unterlassen würde (OLG Hamm, NJW-RR 2022, 259 Rn. 20; Harbauer/Schmitt, 9. Aufl. 2018, ARB 2010 § 3 a Rn. 23 (m.w.N.)). Hierbei ist der Zweck der Rechtsschutzversicherung zu berücksichtigen, der darin besteht, dem Versicherungsnehmer, der sich die Abwälzung von Rechtskostenrisiken durch freiwillige Beitragszahlung erkauft, die Wahrnehmung seiner Rechte ohne die Kostenüberlegungen zu ermöglichen, die ein Nichtrechtsschutzversicherter in gleicher Lage anstellen würde. Lediglich die Finanzierung sinnloser oder wirtschaftlicher in hohem Maße unvernünftiger rechtlicher Maßnahmen ist daher ausgeschlossen (OLG Hamm, NJW-RR 2022, 259 Rn. 20).
43
Gemessen daran erscheint die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens gemäß § 485 Abs. 2 ZPO vorliegend nicht mutwillig. Zunächst ist in wirtschaftlicher Hinsicht zu berücksichtigen, dass das selbstständige Beweisverfahren sowohl für die Antragstellerin als auch die Beklagte insoweit Vorteile bietet, als die Gerichtsgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens mit einer 1,0 Gerichtsgebühr niedriger ausfällt als die Verfahrensgebühr des Klageverfahrens (3,0 Gerichtsgebühren). Außerdem ist die Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens auf die Verfahrensgebühr des etwaig nachfolgenden Rechtsstreits angerechnet (Vorbem. 3 Abs. VV-RVG). In wirtschaftlicher Hinsicht ist das selbstständige Beweisverfahren aus Sicht der Beklagten auch deshalb vorteilhaft, da die Antragstellerin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon absehen wird, ein Klageverfahren anzustrengen, sollte das selbstständige Beweisverfahren zu ihrem Nachteil ausgehen. Inwieweit die Haftpflichtversicherung des behandelnden Krankenhauses nach der Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens möglicherweise einem Vergleich zugeneigt ist, erscheint vorliegend ebenfalls offen, so dass sich auch mangels ausdrücklich ablehnender Haltung der Haftpflichtversicherung daraus nichts für die Beklagte ergibt.
44
Die Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens ist auch nicht deshalb mutwillig, weil der Klägervertreter bereits insgesamt einen 5-stelligen Betrag von der Beklagten als Vorschuss erhalten hat. Auch eine wirtschaftlich denkende und unversicherte Partei dürfte grundsätzlich dem Rat ihres Prozessbevollmächtigten folgen, wenn dieser ihr, obwohl er zunächst von der Durchführung eines Klageverfahrens ausging und auf dieser Grundlage Vorschüsse abrechnete, nunmehr empfiehlt, anstelle des Klageverfahrens zunächst ein selbstständiges Beweisverfahren gemäß § 485 Abs. 2 ZPO durchzuführen. Mit anderen Worten würde eine vernünftig und wirtschaftlich denkende Partei in diesem Fall anstelle der Durchführung eines Klageverfahrens ihre Zustimmung zur Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens gemäß 485 Abs. 2 ZPO erteilen, weil sie in aller Regel dem Rat ihres Prozessbevollmächtigten folgt.
45
Der Umstand, dass bereits Vorschüsse für die Durchführung eines Klageverfahrens geleistet worden sind und den die Beklagte zur Ablehnung der Deckung ins Feld führt, steht dem nicht entgegen. Vielmehr würde eine wirtschaftlich denkende Prozesspartei der Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens auch vor dem Hintergrund geleisteter Vorschüsse für das Klageverfahren zustimmen. Sie würde dies indes höchstwahrscheinlich mit der Forderung gegenüber ihrem Prozessbevollmächtigten verknüpfen, die bereits geleisteten Vorschüsse auf die Kosten anzurechnen, die nunmehr für die Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens zu erwarten sind. Dem entsprechend ging der Klägervertreter vorliegend indes gerade vor und rechnete die von der Beklagten geleisteten Vorschüsse selbst bereits im Rahmen des selbstständigen Beweisverfahrens und der hierzu an die Beklagte übersandten Kostennote mit Schreiben vom 23.12.2021 an (Anlage K 17).
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d) Ein Verstoß des Klägers gegen seine Schadensminderungspflicht im Sinne von § 82 Abs. 1 VVG liegt ebenfalls nicht vor.
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aa) Danach trifft den Versicherungsnehmer die Obliegenheit, die in der jeweiligen Situation sich anbietenden und zumutbaren Rettungsmaßnahmen unverzüglich und mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt zu ergreifen, als ob er nicht versichert wäre (BGH NJW 2006, 2482 Rn. 17 = NJW-RR 2006, 1296 Ls.; NJW 1972, 1809 Rn. 10). Es fehlt vorliegend bereits an Anhaltspunkten dafür, dass der Kläger etwaige „Rettungsmaßnahmen“ unterlassen haben könnte. Wie dargelegt, hat der Klägervertreter auch hinreichende Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass es bei der Behandlung im Jahr 2018 zu Behandlungsfehlern gekommen sein könnte. Anders als die Beklagte meint, sind seine Vorwürfe nicht „völlig aus der Luft gegriffen“. Sonstige Anhaltspunkte, die über die bereits erläuterten Umstände hinausgehen und eine etwaige Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit des Klägers begründen könnten, sind nicht ersichtlich.
48
bb) Soweit die Argumentation der Beklagten dahin geht, sie könne dem Kläger über ihr Weisungsrecht gem. § 82 Abs. 2 VVG Vorgaben im Hinblick auf die aus ihrer Sicht zweckmäßige Verfahrensführung (Klageerhebung statt selbstständiges Beweisverfahren) machen, ist auch dieser Einwand unrichtig. Ein solches Weisungsrecht ist abzulehnen, weil mit dem Anerkenntnis eines solchen Weisungsrechts unzulässig in die Prozessführung durch den Klägervertreter eingegriffen würde und insoweit beim Versicherungsnehmer ein abzulehnender Entscheidungskonflikt entstünde (siehe hierzu OLG Karlsruhe, Urteil vom 7. April 2022 - 12 U 285/21 -, Rn. 79 (m.w.N.)). Abgesehen davon ist das selbstständige Beweisverfahren gegenüber dem Klageverfahren wegen der geringeren Gerichtsgebühr (zunächst) sogar das günstigere Verfahren. Im sich an das Beweisverfahren ggf. anschließenden Rechtsstreit wird die Verfahrensgebühr im Übrigen angerechnet (Vorbem. 3 Abs. 5 VV-RVG). Etwaig zu erwartende Zusatzkosten für das Hauptsacheverfahren sind gegenüber den Vorteilen des selbstständigen Beweisverfahrens (schnelleres Hauptsacheverfahren, Einigungsmöglichkeit nach Abschluss des Beweisverfahrens, ggf. vorab Klärung des Behandlungsfehlers mit der Folge, dass Patient ggf. auf Hautpsacheverfahren verzichtet) jedenfalls nicht derart unverhältnismäßig, dass pauschal von einer Verletzung von Obliegenheiten durch den Versicherungsnehmer ausgegangen werden könnte.
49
e) Soweit die Beklagte meint, dem Klageantrag stehe der Risikoausschluss von § 3 Abs. 2 lit. g) ARB 2012 entgegen, ist dies ebenfalls unrichtig. Der von der Beklagten ins Feld geführte Deckungsausschluss in § 3 Abs. 2 lit. g) ARB 2012 gilt nur für solche Streitigkeiten, die aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag mit der Beklagten erwachsen. Dafür begehrt der Kläger aber vorliegend keine Deckungszusage.
50
f) Der Verjährungseinwand der Beklagten ist ebenfalls unrichtig. Maßgeblich für den Verjährungsbeginn ist §§ 14 Abs. 1 VVG, 14 Abs. 2 ARB, 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Danach kommt es auf die Entstehung und Fälligkeit der einzelnen Ansprüche auf Vorsorgeleistung bzw. Schuldbefreiung an (siehe hierzu BGH VersR 1999, 706 = ZfS 1999, 439 = r+s 1999, 285; BGH NJW 2006, 1281 = VersR 2006, 404). Maßgeblich ist deshalb der Zeitpunkt, in welchem der Klägervertreter eine Vorschussrechnung betreffend das selbstständige Beweisverfahren übersandte, weil mit dieser seine Gebührenforderung erstmals fällig wurde. Dies war erst im Jahr 2021 der Fall. Die Ansprüche sind deswegen noch nicht verjährt.
51
g) Dem Kläger steht daher der in Ziff. 1. der Klage genannte Anspruch zu. Die von der Beklagten erhobenen Einwände sind unbegründet. Es kann daher dahinstehen, ob die Beklagte auch deshalb mit Einwendungen ausgeschlossen ist, weil sie, wie der Klägervertreter etwa unter Verweisung auf OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.2019, Az. 9 U 11/18 vorträgt, ihre Hinweispflicht gem. § 128 S. 2, S. 3 VVG nicht hinreichend beachtet hat.
52
2. Dem Kläger steht aus §§ 1, 2 lit. a), 4 Abs. 1, 15 ARB, 125 VVG auch ein Anspruch auf Erstattung der vom bereits bezahlten Vorschuss abzuziehenden, derzeit ungedeckten Rechtsanwaltskosten zu, da auch diese Rechtsverfolgungskosten vom Versicherungsschutz erfasst sind.
53
Die vom Kläger angesetzte Gebührenhöhe zur Begründung von Ziff. 2. der Klage ist nicht zu beanstanden.
54
a) Die Höhe der Gebühren für die außergerichtliche Tätigkeit, die der Klägervertreter mit einer 2,5 Gebühr angesetzt hat, richten sich nach § 34 RVG, Ziff. 2300 VV-RVG. Gemäß Ziffer 2300 Abs. 1 VV-RVG beträgt der Gebührenrahmen 0,5 bis 2,5 Gebühren. Eine Gebühr von mehr als 1,3 kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war (Ziff. 2300 VV-RVG), wobei sich dies nach den Umständen im konkreten Einzelfall richtet (BGH, Urteil vom 10. Mai 2022 - VI ZR 156/20 -, Rn. 17 (m.w.N.)). Eine ausnahmsweise besonders umfangreiche Tätigkeit ist bei einem zeitlichen Aufwand anzunehmen, der erheblich über dem Durchschnitt liegt. Die Schwierigkeit einer Angelegenheit im Sinne von Ziff. 2300 Abs. 1 VV-RVG bestimmt sich nach den Kenntnissen eines durchschnittlichen, nicht spezialisierten Rechtsanwalts (siehe etwa OLG Stuttgart, Urteil vom 20. Dezember 2019 - 5 U 202/18 -, Rn. 82, juris (m.w.N.)). Anhaltspunkte für besonders schwierige Fragestellungen sind etwa im Normalfall nicht auftretende Fragestellungen in juristischer und/oder tatsächlicher Hinsicht.
55
Es handelt sich bei Ziffer 2300 Abs. 1 VV-RVG um eine sogenannte Rahmengebühr, die ebenfalls unter den Versicherungsschutz fällt und vom Anwalt im Rahmen seiner Ermessensausübung gemäß §§ 14 Abs. 1 RVG, 315 Abs. 1 BGB festgesetzt wird. Ob eine Tätigkeit besonders umfangreich oder schwierig ist, obliegt daher grundsätzlich der Einschätzung des Rechtsanwalts. Unrichtig ist der Einwand der Beklagten, der Kläger müsse zunächst einen (weiteren) Rechtsstreit darüber führen, welche konkrete Gebühr angemessen sei. Denn die vom Rechtsanwalt im Rahmen von §§ 14 Abs. 1 RVG, 315 Abs. 1 BGB getroffene Bestimmung der Gebührenhöhe ist gerichtlich auch im vorliegenden Fall voll überprüfbar (siehe nur BGH v. 11.07.2012 - VIII ZR 323/11 - DAR 2012, 552; siehe ferner BGH, Urteil vom 5. Februar 2013 - VI ZR 195/12 -, Rn. 8, juris). Die Notwendigkeit der Führung eines weiteren Prozesses über die vorliegend ohnehin zu entscheidende Frage wäre zudem auch nicht prozessökonomisch.
56
Beweisbelastet für die Unbilligkeit der vom Rechtsanwalt getroffenen Bestimmung ist grundsätzlich derjenige, der sich auf die Unbilligkeit beruft, mithin vorliegend die Beklagte (siehe BGH, Beschl. v. 20.1.2011 - V ZB 216/10 -, Rn 10; OLG Stuttgart, Urteil vom 20. Dezember 2019 - 5 U 202/18 -, Rn. 78, juris (m.w.N.)).
57
b) Es fehlt nach diesen Grundsätzen vorliegend bereits an substantiiertem Vortrag der Beklagten dazu, weshalb die vom Klägervertreter angesetzte 2,5 Gebühr im vorliegenden Fall unangemessen ist. Weder in der Klageerwiderung noch in der Duplik führt die Beklagte näher dazu aus, weshalb der Rechtsstreit über den Behandlungsfehler weder schwierig noch umfangreich sei. Das Gericht ist auf der Grundlage der vorhandenen Angaben jedenfalls davon überzeugt, dass der dem Rechtsschutzfall zugrunde liegende Streit über den Behandlungsfehler von erhöhter Komplexität ist.
58
Dies folgt in tatsächlicher Hinsicht daraus, dass der Klägervertreter über medizinisches Grund- und Spezialwissen verfügen muss, um die dem Behandlungsfehler zugrunde liegende Behandlung, deren Fehler und die in diesem Zusammenhang verwendeten Fachbegriffe in die juristische Fachsprache zu übersetzen und daraus einen für das Gericht bzw. für die an der vorgerichtlichen Korrespondenz beteiligten Personen verständlichen Schriftsatz zu erstellen.
59
Auch in rechtlicher Hinsicht ist eine besondere Schwierigkeit im Sinne von Ziffer 2300 VV-RVG gegeben. Dies zeigt sich etwa daran, dass der Klägervertreter als Fachanwalt tätig ist und zur fachgerechten Vertretung über (rechtliches) Spezialwissen verfügen muss, welches vom durchschnittlichen Rechtsanwalt nicht erwartet werden kann. Darüber hinaus ist auch das in §§ 630 a ff. BGB geregelte und insoweit maßgebliche Arzthaftungsrecht von besonderer Komplexität geprägt. Dies zeigt sich einerseits in der auch vorliegend relevanten Frage, ob das selbstständige Beweisverfahren gemäß § 485 Abs. 2 ZPO im Arzthaftungsrecht überhaupt statthaft ist und andererseits beispielhaft auch darin, dass wegen der besonderen Komplexität gemäß § 72 a Abs. 1 Nr. 3 GVG spezialisierte Kammern für Streitigkeiten aus Heilbehandlungen eingerichtet werden.
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Zwar ließe sich daran zweifeln, ob konkret eine 2,5 Gebühr verlangt werden kann oder ob nicht vielmehr eine 1,8-Gebühr oder 2,1-Gebühr angemessen wäre. Indes bedarf diese Frage mangels substantiierten Beklagtenvortrags keiner Entscheidung. Abgesehen davon hat sich die Beklagte selbst außergerichtlich bereits dahingehend erklärt, einer Abrechnung auf Basis einer 2,1-Gebühr zuzustimmen.
61
Nach den bis zum Jahr 2020 maßgeblichen Gebühren beträgt die Netto-Vergütung EUR 7.132,50. Unter Anrechnung der von der Beklagten bereits geleisteten Vorschüsse hinsichtlich der Tätigkeit des Klägervertreters ergibt sich der von ihm in Anlage K17 zutreffend ermittelte Differenzbetrag von EUR 2.770,39.
62
Dem Klageantrag in Ziff. 2. ist somit vollumfänglich zu entsprechen.
63
3. Außerdem steht dem Kläger aus §§ 280, 286 BGB dem Grunde nach ein Freistellungsanspruch für die Rechtsverfolgungskosten hinsichtlich des streitgegenständlichen Verfahrens gegen die Beklagte als Rechtschutzversicherung zu (Ziff. 3. der Klage), weil die Beklagte mit der ernsthaften und endgültigen Ablehnung der Deckungszusage in Verzug geriet und dem Kläger infolge der unberechtigten Ablehnung Schadensersatz in Form der Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gemäß §§ 249 ff. BGB schuldet.
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Der Höhe nach wäre, wie oben dargelegt, zwar grundsätzlich gem. Ziff. 2300 VV-RVG eine Gebühr von 1,3 anzusetzen (Ziff. 2300 Abs. 1 VV-RVG). Indes hält sich die vom Klägervertreter angesetzte 1,5 Gebühr (Anlage K17) im 20-%-Rahmen (siehe hierzu BeckRA-HdB, § 57. Rechtsanwaltsvergütung nach dem RVG Rn. 124 (m.w.N.)). Zudem ist vorliegend die besonders umfangreiche außergerichtliche Korrespondenz mit der Beklagten zu berücksichtigen, die jedenfalls den üblichen Rahmen für außergerichtliche Tätigkeit wohl deutlich überschritten hat.
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Da der Klägervertreter bei der Berechnung der vorgerichtlichen Anwaltskosten hinsichtlich Ziff. 3. der Klage indes von einem unrichtigen Streitwert ausgeht, da er es versäumt, von dem ermittelten Streitwert der Deckungsklage von 36.779,90 € den von ihm auf S. 13 der Klageschrift selbst erläuterten Abschlag von 20 % wegen des Feststellungsantrags vorzunehmen, war dem Klageantrag in Ziff. 3. nur teilweise zu entsprechen. Auf der Grundlage eines Streitwerts von 80 % der im selbstständigen Beweisverfahren zu erwartenden kosten (36.779,90 € × 80 % = 29.432,92 €) folgen aus Ziff. 2300 VV-RVG auf der Grundlage einer 1,5 Geschäftsgebühr vorgerichtliche Kosten von 1432,50 € zzgl. 20,00 € Auslagenpauschale gem. Ziff. 7002 VV-RVG sowie Umsatzsteuer in Höhe von 275,98 €, mithin insgesamt 1.728,48 €, die entsprechend zu tenorieren waren. Im Übrigen war die Klage abzuweisen, soweit in Ziff. 3. der Klage Feststellung der Freistellungspflicht aus einem darüber hinausgehenden Streitwert begehrt wird.
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das geringfügige Unterliegen der Klagepartei in Ziff. 3. der Klage wirkt sich dabei nicht aus, weil es sich insoweit lediglich um eine die Kostenquote nicht beeinflussende Nebenforderung handelt.
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IV. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 709 S. 2 ZPO, weil hinsichtlich der vom Kläger zu vollstreckenden Kosten die Schwelle des § 708 Nr. 11 Alt. 2 ZPO überschritten ist.
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V. Der Streitwert bemisst sich nach §§ 48 Abs. 1 S. 1 GKG, 3 ff. ZPO. Maßgeblich ist hins. Ziff. 1. der Klage das klägerische Interesse an der Deckung der Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens. Wegen des Feststellungsantrags ist ein Abschlag von 20 % vorzunehmen. Unter Berücksichtigung der zu erwartenden Sachverständigenkosten im selbstständigen Beweisverfahren, die der Klägervertreter nach Ansicht des Gerichts angemessen mit 5.000,00 € ansetzt, ergeben sich für das Arzthaftungsverfahren nach den unstreitig gebliebenen Angaben des Klägervertreters Deckungskosten von 36.779,90 €. Abzüglich von 20 % (Feststellungsantrag) folgt daraus für den vorliegenden Deckungsprozess ein Streitwert von 36.779,90 € × 80 % = 29.423,92 €. Ziff. 2. und 3. der Klage wirken nicht streitwerterhöhend, da die insoweit ersetzt verlangten Beträge in der vorgenannten Summe bereits enthalten sind bzw. es sich bei Ziff. 3. der Klage ohnehin um eine den Streitwert nicht erhöhende Nebenforderungen im Sinne von § 4 Hs. 2 ZPO handelt.