Inhalt

VG München, Urteil v. 22.09.2022 – M 22 K 20.2230
Titel:

Anordnungen zur Hundehaltung, Androhung eines einheitlichen Zwangsgeldes für mehrere Verpflichtungen, Fälligstellung bei unbestimmter Zwangsgeldandrohung (verneint), Androhung eines weiteren Zwangsgeldes ohne Fälligkeit des ersten und ohne Begründung seiner Höhe (verneint)

Normenketten:
VwZVG Art. 31
VwZVG Art. 36 Abs. 6 S. 2
VwZVG Art. 38
Schlagworte:
Anordnungen zur Hundehaltung, Androhung eines einheitlichen Zwangsgeldes für mehrere Verpflichtungen, Fälligstellung bei unbestimmter Zwangsgeldandrohung (verneint), Androhung eines weiteren Zwangsgeldes ohne Fälligkeit des ersten und ohne Begründung seiner Höhe (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31478

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass das fällig gestellte Zwangsgeld in Höhe von …,- Euro nicht zur Zahlung fällig ist. Der Bescheid der Beklagten vom ... 2020 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Fälligstellung eines Zwangsgeldes sowie die Androhung eines weiteren Zwangsgeldes im Vollzug einer bestandskräftigen, die Hundehaltung durch den Kläger betreffenden sicherheitsrechtlichen Anordnung der Beklagten.
2
Die Beklagte hatte mit bestandskräftigem Bescheid vom ... 2019 den Kläger unter anderem verpflichtet, seinen Schäferhund namens „…“ in bewohnten Gebieten und auf öffentlichen Straßen nur mit einer Leine zu führen, Freiauslauf nur mit angelegtem Maulkorb zu gewähren und für eine ausbruchssichere Unterbringung des Hundes in der Wohnung des Klägers im Obergeschoß eines Mehrfamilienhauses in der ... im Gemeindegebiet der Beklagten zu sorgen (Tenor Nr. 2). Für den Fall, dass der Kläger seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von … Euro angedroht (Tenor Nr. 4). Anlass für den Bescheid waren zwei Vorfälle, bei denen der Schäferhund Menschen gebissen hatte.
3
Am ... 2020 informierte das Polizeipräsidium Oberbayern Nord (...) die Beklagte über die Erstattung einer Ordnungswidrigkeitsanzeige gegen den Kläger. Nach den Angaben der Anzeigeerstatterin (Frau ...), die im Erdgeschoß desselben Mehrfamilienhauses wohnt, habe sich der Schäferhund des Klägers in den Morgenstunden des ... 2020 allein, ohne Leine und ohne Maulkorb im Treppenhaus des Mehrfamilienhauses befunden. Der Kläger sei nicht in Sicht- und Hörweite gewesen. Der zuständige Polizeimeister habe den Kläger nicht telefonisch erreichen können. Nach 10 Minuten habe sich die Anzeigeerstatterin nochmals telefonisch gemeldet und mitgeteilt, dass der Kläger seinem Schäferhund einen Maulkorb angelegt und ihn wieder zurück in die Wohnung gebracht habe. Der Kläger habe wenig Einsicht bezüglich der Maulkorbpflicht gezeigt und habe gemeint, die Anzeigeerstatterin habe nicht direkt die Polizei verständigen sollen.
4
Mit Schreiben vom ... 2020, das dem Kläger per Einwurf-Einschreiben am ... 2020 zugestellt wurde, stellte die Beklagte daraufhin das für einen Verstoß gegen die Leinen- und Maulkorbpflicht sowie die sichere Aufbewahrung des Hundes in der Wohnung im Tenor Nr. 2 des Bescheides vom ... 2019 angedrohte Zwangsgeld i.H.v. … Euro fällig und drohte dem Kläger im Bescheidswege für den Fall eines erneuten Verstoßes gegen diese Regelung ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von … Euro an, ohne dessen Höhe gesondert zu begründen.
5
Am ... 2020 ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage erheben. Er beantragt,
1. Es wird festgestellt, dass das mit Schreiben der Beklagten vom ... 2020 fällig gestellte Zwangsgeld in Höhe von … Euro nicht zur Zahlung fällig ist.
2. Der Bescheid vom ... wird aufgehoben.
6
Zur Begründung wurde im Wesentlichen Folgendes vorgetragen: Das Zwangsgeld hinsichtlich der bestandskräftig angeordneten Leinen- und Maulkorbpflicht sowie der sicheren Verwahrung in der Wohnung (Tenor Nr. 2 des Bescheides vom ... 2019) sei nicht fällig geworden. Am ... 2020 sei der Kläger durch das Bellen seines Schäferhundes aufgewacht und mit diesem zwischen … Uhr und … Uhr nach draußen gegangen. Der Hund sei angeleint gewesen und habe einen Maulkorb getragen. Auf dem Rückweg habe die Nachbarin (Frau ...) ihr Fenster geöffnet und den Kläger gefragt, ob sein Hund ausgebüchst sei, und teilte dem Kläger mit, sie habe die Polizei verständigt. Als der Kläger zusammen mit seinem Hund wieder zu Hause gewesen sei, habe er den verpassten Anruf der Polizeidienststelle bemerkt und um … Uhr diese zurückgerufen. Dabei habe man ihm mitgeteilt, dass sich die Sache erledigt habe. Es wurde ausdrücklich bestritten, dass die Anzeigeerstatterin den Eindruck gewonnen haben könne, dass der Hund allein im Treppenhaus gewesen sei. Ihre Wohnungstür habe keinen sogenannten Spion und weise keine Kratzspuren auf. Eine Öffnung der Wohnungstür sei nicht erwähnt worden. Da der Kläger nicht gegen die Anordnungen zur Hundehaltung im Tenor Nr. 2 des Bescheides vom ... 2019 verstoßen habe, sei das im Tenor Nr. 4 angedrohte Zwangsgeld nicht fällig geworden und die Androhung eines weiteren Zwangsgeldes im Bescheid vom ... 2020 sei nicht zulässig. Zum einen sei der Kläger davor nicht angehört worden, zum anderen sei die Entscheidung über die Höhe des Zwangsgeldes ermessensfehlerhaft gewesen und nicht begründet worden. Schließlich gelte die Leinen- und Maulkorbpflicht nicht im privaten Treppenhaus des Mehrfamilienhauses.
7
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
8
Sie trug vor, zum Zwecke des Gerichtsverfahrens sei eine weitere Stellungnahme des zuständigen Mitarbeiters bei der Polizeiinspektion … eingeholt worden. Danach habe man „den Hund“ übers Telefon hören können. Bei dem anschließenden Telefonat mit dem Kläger habe dieser angegeben, er habe geschlafen und der Hund sei wieder in der Wohnung gewesen. Einen Spaziergang habe der Kläger dabei nicht erwähnt.
9
Wegen der weiteren Einzelheiten zur Sach- und Rechtslage wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 22. September 2022 verwiesen.

Entscheidungsgründe

10
Die Klage hat Erfolg.
11
Der Kläger verfolgt im Wege der zulässigen objektiven Klagehäufung (§ 44 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO) ein Feststellungsbegehren (dazu unter 1.) sowie ein Anfechtungsbegehren (dazu unter 2.).
12
1. Die auf Feststellung, dass das Zwangsgeld i.H.v. …,- Euro nicht fällig geworden ist, gerichtete Klage ist zulässig und begründet.
13
1.1. Statthaft ist die Feststellungsklage nach § 43 VwGO.
14
Art. 31 Abs. 3 Satz 2 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) definiert die Androhung eines Zwangsgeldes als aufschiebend bedingten Leistungsbescheid i.S.d. Art. 23 Abs. 1 VwZVG, weil bereits mit der Androhung für den Fall der nicht rechtzeitigen Erfüllung bzw. Nichterfüllung der Handlungspflicht eine Geldleistung gefordert wird. Erfüllt der Pflichtige die ihm auferlegte Pflicht nicht bzw. nicht rechtzeitig, so wird die Zwangsgeldforderung fällig (Art. 31 Abs. 3 Satz 3 VwZVG). Die Voraussetzungen für die Vollstreckung des Leistungsbescheides liegen dann vor (Art. 23 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG).
15
Die Fälligstellung ist kein Verwaltungsakt im Sinne des Art. 35 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG), sondern lediglich eine behördliche Mitteilung über den Eintritt der Bedingung im Hinblick auf die Zwangsgeldandrohung. Da mithin der Kläger seine Rechte nicht im Wege einer vorrangigen Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) geltend machen kann, ist die gemäß § 43 Abs. 2 VwGO grundsätzlich subsidiäre Feststellungsklage statthaft. Die Frage, ob das angedrohte Zwangsgeld fällig geworden ist, stellt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis dar, an dessen Klärung der Kläger ein berechtigtes Interesse hat.
16
1.2. Die Feststellungsklage ist auch begründet, weil die Voraussetzungen für die Fälligstellung des angedrohten Zwangsgeldes in Höhe von …,- Euro (Tenor Nr. 4 des Bescheides vom …2019) nicht vorliegen.
17
a) Die Fälligkeit des Zwangsgeldes setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen gegeben sind, insbesondere bedarf es eines wirksamen und vollstreckbaren Grundverwaltungsakts. Der auf ein Handeln gerichtete Bescheid vom ... 2019 ist bestandskräftig geworden und nicht nichtig, sodass er grundsätzlich bei festgestellten Verstößen als Grundlage für die Fälligstellung eines angedrohten Zwangsgeldes in Frage kommt.
18
b) Die Androhung eines einheitlichen Zwangsgeldes im Hinblick auf eine Vielzahl unterschiedlicher Auflagen ist allerdings keine taugliche Grundlage für eine spätere Zwangsgeldandrohung, wenn nicht erkennbar ist, für welchen Verstoß gegen welche Anordnung ein Zwangsgeld in welcher Höhe angedroht ist (vgl. VGH BW, U.v. 17.8.1995 - 5 S 71/95). Davon ist vorliegend auszugehen.
19
Die Beklagte hat dem Kläger im Tenor Nr. 2 des Bescheides verschiedene Verpflichtungen auferlegt. Diese betreffen unter anderem den Leinen- und Maulkorbzwang und auch die Sicherung der Wohnung des Klägers gegen ein Entweichen seines Hundes. Für den Fall, dass der Kläger den Anordnungen im Tenor Nr. 2 nicht nachkommt, wurde im Tenor Nr. 4 ein einheitliches Zwangsgeld in Höhe von …,- Euro ohne weitere Differenzierung angedroht.
20
Bei mehreren selbständigen Verpflichtungen, die mittels Zwangsgeld durchgesetzt werden sollen, ist grundsätzlich für jede einzelne Maßnahme ein bezifferter Betrag anzugeben. Abweichungen von diesem Grundsatz sind nur im Falle von rechtlich oder tatsächlich zusammenhängenden Anordnungen gerechtfertigt. Vorliegend handelt es sich um selbstständige, nicht im Sinne einer einheitlichen Verpflichtung miteinander verknüpfte Verpflichtungen. Angesichts der unterschiedlichen Bedeutung und der Selbstständigkeit der einzelnen Anordnungen kommt auch eine Auslegung, dass bei jeder einzelnen Pflichtverletzung ein Zwangsgeld in Höhe von …,- € fällig wird, nicht in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 1.2.2010 - 10 CS 09.3202 - Rn. 8 m.w.N.). Dem Bescheid lässt sich auch nicht entnehmen, dass das angedrohte Zwangsgeld erst dann zur Zahlung fällig wird, wenn gegen sämtliche Anordnungen im Tenor Nr. 2 verstoßen wird. Diese Zwangsgeldandrohung kann somit trotz Bestandskraft nicht Grundlage für das Fälligstellen eines Zwangsgeldes in Höhe von …,- Euro sein.
21
Die im Tenor Nr. 4 des Bescheides vom ... 2019 enthaltene Zwangsgeldandrohung ist damit nicht hinreichend bestimmt und daher trotz Unanfechtbarkeit nicht vollstreckungsfähig (vgl. Hanno-Dirk/Lemke in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 6 VwVG Rn. 33).
22
Dem Einwand des Klägers, ein Verstoß gegen Auflagen des Bescheides vom ... 2019 liege nicht vor, da sich sein Hund nicht - wie von der Beklagten vorgetragen - unbeaufsichtigt, ohne Leine und ohne Maulkorb in den Morgenstunden am ... 2020 im Treppenhaus des Mehrfamilienhauses befunden habe (vielmehr sei der Kläger mit dem angeleinten Hund mit angelegtem Maulkorb Gassi gegangen), mit der Folge, dass das angedrohte Zwangsgeld nicht fällig gestellt werden dürfe, braucht daher nicht näher nachgegangen zu werden.
23
Nach alledem hat die Feststellungsklage Erfolg.
24
2. Die auf Aufhebung der erneuten Zwangsgeldandrohung im Bescheid vom ... 2020 gerichtete Klage ist ebenfalls zulässig und begründet.
25
2.1. Statthaft ist vorliegend die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO, da die Zwangsgeldandrohung gemäß Art. 31 Abs. 3 Satz 2 VwZVG einen Leistungsbescheid im Sinne des Art. 23 Abs. 1 VwZVG darstellt. Hiergegen sind gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 1 VwZVG dieselben förmlichen Rechtsbehelfe gegeben, die gegen den Grundverwaltungsakt zulässig sind.
26
2.2. Die Anfechtungsklage hat auch in der Sache Erfolg, da die Zwangsgeldandrohung im Bescheid rechtswidrig ist und den Kläger in seinen subjektiven Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
27
a) Es bestehen zwar keine Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zwangsgeldandrohung. Insbesondere hat die Beklagte vorliegend als zuständige Sicherheitsbehörde gehandelt (Art. 6 Landesstraf- und Verordnungsgesetz - LStVG, Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) BayVwVfG). Sie hat entgegen der Ansicht des Klägers ermessenfehlerfrei von vorheriger Anhörung nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 5 BayVwVfG abgesehen. Die angefochtene Zwangsgeldandrohung ist schriftlich ergangen (Art. 36 Abs. 1 Satz 1 VwZVG) und wurde förmlich zugestellt (Art. 36 Abs. 7 i.V.m. Art. 3 VwZVG, § 180 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO).
28
b) Die Androhung eines Zwangsgeldes i.H.v. …,- Euro ist allerdings materiell rechtswidrig. Zum einen verbietet sich eine erneute Androhung vor dem Hintergrund, dass das erste Zwangsgeld nicht fällig geworden ist. Zum anderen steht die fehlende Bestimmtheit der Zwangsgeldandrohung auch der Vollstreckung des erneut angedrohten Zwangsgeldes entgegen (s.o. unter 1.2.).
29
Darüber hinaus ist die Höhe des Zwangsgeldes nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes innerhalb des gesetzlich festgelegten Rahmens (von 15,- bis EUR 50.000,- Euro) von der Vollstreckungsbehörde festzusetzen (Art. 29 Abs. 3 i.V.m. Art. 31 Abs. 2 VwZVG). Neben dem wirtschaftlichen Interesse sind die Umstände des Einzelfalls wie Verschuldensgründe, Ausmaß des Ungehorsams, Dauer und Intensität der Pflichtverletzung und öffentliches Interesse an der Durchsetzung der Anordnung von Bedeutung (vgl. Kugele/Kugele/Thum/Tegethoff, Verwaltungsrecht in Bayern, Stand Juni 2015, VwZVG 20.31 Anm. 3). Vorliegend wurde die Höhe des neuen Zwangsgeldes in Höhe von …,- Euro überhaupt nicht begründet.
30
Die Festsetzung des erneuten Zwangsgeldes war insofern rechtswidrig. Der Anfechtungsklage war ebenfalls stattzugeben.
31
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).