Titel:
Klage gegen Disziplinarverfügung, Unentschuldigtes Fernbleiben von amtsärztlicher Untersuchung durch fehlendes qualifiziertes Attest, Überlange Verfahrensdauer, Einstellung des Disziplinarverfahrens, Kostentragung durch Ruhestandsbeamten
Normenketten:
BeamtStG § 47
BeamtStG Art. 29
BayBG Art. 77
BayDG Art. 33
BayDG Art. 72
Schlagworte:
Klage gegen Disziplinarverfügung, Unentschuldigtes Fernbleiben von amtsärztlicher Untersuchung durch fehlendes qualifiziertes Attest, Überlange Verfahrensdauer, Einstellung des Disziplinarverfahrens, Kostentragung durch Ruhestandsbeamten
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31446
Tenor
I. Unter Aufhebung der Disziplinarverfügung vom 22. Oktober 2019 wird das Disziplinarverfahren eingestellt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich im Klagewege gegen eine Disziplinarverfügung der Landeshauptstadt M. mit einer Kürzung seines Ruhegehalts für die Dauer von 10 Monaten um 1/20.
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Nach vorangegangenem Disziplinarverfahren seit 26. Februar 2013 erließ die Beklagte nach mehreren Ausdehnungen des Verfahrens gegen den Kläger am 22. Oktober 2019 die streitgegenständliche Disziplinarverfügung. Der verfügten Kürzung des Ruhegehalts für die Dauer von 10 Monaten liegt im Wesentlichen der Vorwurf zugrunde, jeweils angeordneten amtsärztlichen Untersuchungsterminen zur Überprüfung der andauernden Dienstunfähigkeit am 31. Juli 2014, 12. Mai 2015 und 7. Juli 2016 ohne Vorlage eines angeordneten qualifizierten Attests bezüglich einer fehlenden Reisefähigkeit des Klägers bzw. dessen Unfähigkeit, die Wohnung zu verlassen, und damit unentschuldigt ferngeblieben zu sein. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Disziplinarverfügung Bezug genommen.
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Mit seiner Klage vom 19. November 2019 ist der Kläger der Disziplinarverfügung entgegengetreten. Zur Begründung wird mit Schriftsatz vom 10. März 2020 ausgeführt. Es habe jeweils gesundheitliche Gründe gegeben, weshalb der Kläger die Termine nicht habe wahrnehmen können. Es könne nicht zu Lasten des Klägers gehen, wenn seine behandelnden Ärzte zwar eine chronische Erkrankung und die Arbeitsunfähigkeit des Klägers bescheinigen würden, aber nicht die Anforderungen des qualifizierten Attests erfüllten. Schließlich sei am 25. Oktober 2016 die Untersuchung erfolgt, bei der auch eine weiterhin andauernde Dienstunfähigkeit des Klägers festgestellt worden sei. Drei Jahre nach der erfolgten Untersuchung gegen den Kläger noch eine Disziplinarmaßnahme auszusprechen, sei jedenfalls unverhältnismäßig. Einer Pflichtenmahnung dem Kläger gegenüber bedürfe es nicht. In der mündlichen Verhandlung am 27. September 2022 stellte der Klägerbevollmächtigte eine „exorbitant lange“ Verfahrensdauer heraus. Eine Einstellung des Verfahrens mit dem Hinweis, dass der Beamte ein Dienstvergehen begangen habe, sei jedenfalls ausreichend Nachdruck und Pflichtenmahnung für zukünftige Untersuchungstermine.
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Der Kläger hat durch seinen Bevollmächtigten zuletzt beantragt,
das Verfahren unter Feststellung eines Dienstvergehens einzustellen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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In der mündlichen Verhandlung am 27. September 2022 nahm die Beklagte im Klageverfahren erstmalig Stellung, insbesondere zum Vorwurf der langen Verfahrensdauer. In der Maßnahmebemessung sei die lange Verfahrensdauer bereits berücksichtigt worden, ebenso, dass der Kläger letztlich der Aufforderung nachgekommen sei. Die Verjährungsvorschriften seien eingehalten worden. An der Maßnahme werde daher festgehalten - auch angesichts einer beabsichtigten neuen Reaktivierungsuntersuchung.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten, insbesondere zur mündlichen Verhandlung am 27. September 2019, wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen. Zudem lagen insbesondere die Disziplinarakte und die Personalakte einschließlich Krankenakte vor.
Entscheidungsgründe
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Die nach Art. 50 Abs. 2 BayDG i.V.m. §§ 42, 74 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Klage gegen die Disziplinarverfügung der Beklagten ist begründet. Die Disziplinarverfügung ist rechtswidrig und daher aufzuheben, Art. 3 BayDG i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dem liegt zugrunde, dass der Kläger zwar das ihm zur Last gelegte Dienstvergehen begangen hat, aufgrund der langen Verfahrensdauer die an sich gebotene Disziplinarmaßnahme jedoch zu mildern wäre, aber gegen einen Ruhestandsbeamten nicht möglich ist auszusprechen. Insofern ist das Disziplinarverfahren gemäß Art. 33 Abs. 1 Nr. 4 BayDG i.V.m. Art. 57 Abs. 2 Nr. 1, Art. 58 Abs. 1 Satz 1 BayDG einzustellen.
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1. Der am … … 1966 geborene Kläger ist seit 1. März 2012 Beamter im Ruhestand aufgrund andauernder Dienstunfähigkeit. Zuvor war er als Beamter auf Lebenszeit in der 2. Qualifikationsebene bei der Beklagten als Verwaltungssekretär tätig. Er ist ledig und disziplinarisch bislang nicht in Erscheinung getreten. Hinsichtlich seiner weiteren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie Beurteilungen im aktiven Dienst wird auf die Disziplinarverfügung und die vorgelegte Personalakte Bezug genommen.
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2. Gegen den Kläger leitete die Beklagte am 26. Februar 2013 ein Disziplinarverfahren ein, welches am 10. November 2014 und 28. Oktober 2016 ausgedehnt wurde. Unter dem 5. September 2019 hörte die Beklagte den Kläger abschließend an und erließ am 22. Oktober 2019 nach beantragter Beteiligung von Personalvertretung und Schwerbehindertenvertretung den streitgegenständlichen Bescheid.
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3. Dem Kläger liegt im Wesentlichen zur Last, am 31. Juli 2014, 12. Mai 2015 und 7. Juli 2016 zu jeweils beklagtenseits festgesetzten amtsärztlichen Untersuchungsterminen nicht erschienen und mangels Vorlage eines angeordneten qualifizierten Attests über seine fehlende Reisefähigkeit bzw. Unfähigkeit, die Wohnung zu verlassen, unentschuldigt gefehlt zu haben. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Disziplinarverfügung Bezug genommen und von einer wiederholenden Darstellung abgesehen.
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4. Der Kläger hat dadurch ein Dienstvergehen i.S.v. § 47 Abs. 2 Satz 3 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) i.V.m. Art. 77 Nr. 2 Alternative 2 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) begangen, da er seiner Pflicht nach § 29 Abs. 5 BeamtStG nicht nachgekommen ist. Als Beamter im Ruhestand trifft ihn die Pflicht, sich nach Weisung der zuständigen Behörde ärztlich untersuchen zu lassen.
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Voraussetzung ist dabei eine entsprechend rechtmäßige Weisung durch den Dienstvorgesetzten. Hinsichtlich des Termins am 12. Mai 2015 hat dabei vorliegend sogar das Verwaltungsgericht Augsburg einen Eilantrag des Klägers abgelehnt (VG Augsburg, B.v. 11.5.2015 - Au 2 E …*), worauf Bezug genommen wird. Weitere Ausführungen zur Rechtmäßigkeit der Weisung und Anordnung der qualifizierten Attestpflicht gegenüber dem Beamten sind nicht angezeigt. Das Gericht hat vorliegend keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Anordnungen. Auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid wird Bezug genommen.
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Dahinstehen kann im Ergebnis, da auch für die Maßnahmebemessung nicht von größerer Relevanz, ob der Vorwurf des unentschuldigten Fehlens (bereits) zum Untersuchungstermin am 31. Juli 2014 mangels Zustellung der Anforderung eines qualifizierten Attests bei Nichterscheinen in vollem Umfang zu bejahen ist. Dem Ruhestandsbeamten war aus den vorangegangenen Terminsfestsetzungen diese Anforderung durch den Dienstherrn jedenfalls bereits bekannt. Das vorgelegte Attest vom 25. Juni 2014 bezieht sich nur auf eine Arbeitsunfähigkeit und war somit nicht geeignet, die Nichtteilnahme am Untersuchungstermin ohne weiteres und insbesondere nicht angesichts der Vorgeschichte zu begründen. Auch insoweit wird auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen. Der eingeräumten Gelegenheit, ein ausreichendes Attest vorzulegen, ist der Kläger im Folgenden nicht nachgekommen.
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Der Kläger handelte bei Begehung des Dienstvergehens im Übrigen auch schuldhaft und ohne erkennbaren, unvermeidbaren Irrtum. Jedenfalls das unentschuldigte Fernbleiben am Termin am 12. Mai 2015 erfolgte dabei nach der ablehnenden Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Augsburg vorsätzlich.
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5. Im Rahmen der Maßnahmebemessung nach Art. 14 BayDG wäre unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls angesichts der Schwere des Dienstvergehens an sich eine Kürzung der Dienstbezüge (a.), aber angesichts der langen Verfahrensdauer eine nur mildere Maßnahme angemessen (b.). Da eine solche gegen einen Beamten im Ruhestand nicht verhängt werden kann, ist das Disziplinarverfahren einzustellen.
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a. Das einheitlich zu betrachtende Dienstvergehen des Klägers hat - unabhängig davon, ob er zwei oder drei Untersuchungsterminen unentschuldigt ferngeblieben ist - durchaus schweres Gewicht. Einen Ruhestandsbeamten treffen nicht (mehr) viele beamtenrechtliche Pflichten. Der Pflicht, sich bei - entsprechend rechtmäßiger - Weisung zum Zwecke der Überprüfung einer Reaktivierung nach vorzeitigem Ruhestand amtsärztlich untersuchen zu lassen, kommt dabei jedoch elementare Bedeutung, vergleichbar einer Kernpflicht für Ruhestandsbeamte zu.
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Bei der gebotenen Betrachtung der Umstände des Einzelfalls ist vorliegend zu berücksichtigen, dass sich das beharrliche Widersetzen und Fernbleiben des Klägers von angesetzten Untersuchungsterminen bereits über mehrere Jahre hingezogen hat und wiederholte. Dabei blieb er sogar noch nach der - seinen Eilrechtsschutz ablehnenden - gerichtlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Augsburg dem Termin fern. Auch die Umstände am 7. Juli 2016 zeigen deutlich, dass der Kläger zum damaligen Zeitpunkt nicht gewillt war, an der Untersuchung teilzunehmen und sich an diesem Tag von seinem Heimat- und dem Untersuchungsort entfernte.
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Die von der Disziplinarbehörde vorgenommene Einstufung der Schwere des Dienstvergehens im (mittleren) Bereich der Kürzung ist damit an sich nicht zu beanstanden (vgl. a. VG Ansbach, U.v. 16.2.106 - AN 13a D 15.00582 - juris Rn. 128 m.w.N.; vgl. VG Düsseldorf, U.v. 15.4.2019 - 38 K 280/19.BDG - juris Rn. 58).
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b. Der Schwere des Dienstvergehens steht vorliegend aber mit erheblich milderndem Gewicht gegenüber, dass das bereits seit 26. Februar 2013 eingeleitete Disziplinarverfahren gegen den Kläger einerseits am 28. Oktober 2016 nochmals ausgedehnt wurde, zu einem Zeitpunkt, als der Kläger schon der Untersuchungsanordnung für den 25. Oktober 2016 nachgekommen war, aber dann fast genau drei Jahre bei der Disziplinarbehörde faktisch ruhte, bis am 5. September 2019 die abschließende Anhörung erfolgte. Insoweit ist kein Grund dafür ersichtlich und auch nicht auf gerichtliche Nachfrage vorgetragen worden, warum das Disziplinarverfahren nach der Ausdehnung - und nach Pflichterfüllung durch den Ruhestandsbeamten - fast drei Jahre lang nicht betrieben wurde.
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Damit liegt zwar kein Maßnahmeverbot nach Art. 16 Abs. 4 Nr. 2, Abs. 2 BayDG vor, da durch die Ausdehnung die dreijährige Frist für die Verhängung von Kürzungen erneut zu laufen beging und der Ablauf durch das anhängige Verfahren bei Gericht gehemmt wurde.
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Eine übermäßig lange Verfahrensdauer stellt jedoch darüber hinaus einen im Disziplinarverfahren bei der Maßnahmebemessung zu berücksichtigenden Faktor dar (vgl. auch BVerwG, U.v. 10.12.2015 - 2 C 50.13 - juris Rn. 44; BVerwG, U.v. 25.7.2013 - 2 C 63/11 - juris Rn. 43 m.w.N.). Dabei kommt es vorliegend nicht (mehr) darauf an, dass die (übermäßig) lange gerichtliche Verfahrensdauer von fast drei Jahren - angesichts des Zeitpunkts der gerichtlichen Entscheidung als maßgeblichen Zeitpunkt für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme - durchaus mitzuberücksichtigen wäre.
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Dass die Beklagte die Verfahrensdauer bei ihrer Maßnahmebemessung hinreichend berücksichtigt hätte, so die Argumentation der Beklagten, vermag das Gericht nicht hinreichend zu erkennen. Mit 10 Monaten verfügter Kürzung kann jedenfalls kein derart großer Abschlag im Umfang der Kürzung vorgenommen worden sein, wie er aufgrund nahezu dreijähriger Untätigkeit der Disziplinarbehörde im vorliegenden Verfahren geboten wäre, sondern nur vom mittleren Bereich der Kürzung in den unteren Bereich.
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Zwar ließ die klägerische Pflichterfüllung im Oktober 2016 - nach mehreren Jahren beharrlichen Widerstands gegen die Untersuchung - die Notwendigkeit einer Pflichtenmahnung nicht ohne weiteres entfallen, zumal erneute Untersuchungstermine im Raume standen bzw. stehen.
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Angesichts des Zeitmoments und der Umstände des Einzelfalls ist eine Disziplinarmaßnahme im Bereich der Kürzung des Ruhegehalts jedoch nicht mehr angemessen.
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Folglich ist nicht nur die Disziplinarverfügung mit der Kürzung des klägerischen Ruhegehalts auf die erhobene Anfechtungsklage hin gemäß Art. 3 BayDG i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben, sondern zugleich das Disziplinarverfahren gemäß Art. 58 Abs. 1 Satz 1, Art. 57 Abs. 2 Nr. 1, Art. 33 Abs. 1 Nr. 1 BayDG einzustellen. Zwar hat der Kläger dies nicht ausdrücklich mitbeantragt, ist dies jedoch in gebotener sachdienlicher Auslegung der Anträge vom Klagebegehren als mitumfasst anzusehen. Gegen Ruhestandsbeamte sind außer der Kürzung des Ruhegehalts und der Aberkennung des Ruhegehalts keine Disziplinarmaßnahmen möglich (Art. 6 Abs. 2 BayDG).
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6. Die Kostenentscheidung folgt aus Art. 72 Abs. 2 BayDG. Danach können die Kosten dem Beamten ganz oder teilweise auferlegt werden, wenn die Disziplinarverfügung - wie vorliegend - trotz Vorliegen eines Dienstvergehens aufgehoben wird.
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Soweit die Auffassung vertreten wird, eine Kostentragungspflicht nach Art. 72 Abs. 2 BayDG komme nur dann in Betracht, wenn die Disziplinarverfügung im Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe rechtmäßig war und die Gründe, die zur Aufhebung der Verfügung im Rahmen der Anfechtungsklage erst danach eingetreten sein (vgl. Conrad, Bayerisches Disziplinarrecht, Art. 72 Rn. 8 f.), folgt dem das Gericht nicht. Dem Wortlaut des Art. 72 Abs. 2 BayDG lässt sich diese einschränkende Auslegung gerade nicht entnehmen. Art. 38 Abs. 2 Satz 2 BayDG ermöglicht schon der Disziplinarbehörde, bei Einstellung trotz Vorliegens eines Dienstvergehens die Auslagen dem Beamten aufzuerlegen. Das behördliche Disziplinarverfahren ist wie das gerichtliche gebührenfrei, Art. 38 Abs. 4, Art. 73 Abs. 1 BayDG. Folglich ist es konsequent, den Anwendungsbereich des Art. 72 Abs. 2 BayDG nicht gegenüber dem des Art. 38 Abs. 2 Satz 2 BayDG zu beschränken. Im Rahmen des eröffneten gerichtlichen Ermessens ist sodann unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls über die Kostenverteilung zu entscheiden. Wenn, wie vorliegend, die Klage nicht nur mit dem Ziel der Einstellung des Verfahrens wegen Maßnahmeverbots oder Milderung wegen langer Verfahrensdauer, sondern auch in der Sache bezüglich des Vorliegens eines Dienstvergehens erhoben und zunächst betrieben wurde, ist es ermessensgerecht, dem Beamten die Kosten aufzuerlegen, der durch sein Fehlverhalten von einigem disziplinarischem Gewicht das Disziplinarverfahren gegen ihn zu verantworten hat und dies zur Überprüfung durch das Gericht stellte.