Inhalt

VG München, Urteil v. 11.10.2022 – M 1 K 20.3424
Titel:

Erfolglose Klage gegen eine Baueinstellung wegen einer als Grüngutlagerfläche mit Sickersaftbehälter bezeichneten Anlage im Außenbereich 

Normenketten:
BayBO Art. 55, Art. 57 Abs. 1, Art. 75
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Die Genehmigungsfrage ist immer einheitlich für die gesamte bauliche Maßnahme zu stellen. Eine Aufspaltung einer einheitlichen Baumaßnahme in einen genehmigungspflichtigen und einen genehmigungsfreien Teil ist somit unzulässig. Ist auch nur ein (kleiner) Teil einer Baumaßnahme genehmigungspflichtig, so zieht das die Genehmigungspflicht für die gesamte Maßnahme nach sich. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Baueinstellungsverfügung, Außenbereich, Fläche mit Betonmauer zur Lagerung und Kompostierung von Grüngut, Baugenehmigungspflicht des Gesamtbauvorhabens, Kompostieranlage, Sickersaftbehälter
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31438

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen eine Baueinstellung, die der Beklagte wegen einer als Grüngutlagerfläche mit Sickersaftbehälter bezeichneten Anlage im Außenbereich verfügt hat.
2
Der Kläger führt einen landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb. Zu seinen bewirtschafteten Flächen gehört das Außenbereichsgrundstück FlNr. 1295 Gem. … (Vorhabengrundstück).
3
Der Kläger beantragte unter dem ... Oktober 2019 die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau einer landwirtschaftlichen Berge-/Maschinenhalle und einer Grüngutlagerfläche mit Sickerwasserbehälter auf dem Vorhabengrundstück. Hierzu nahm das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten E. (AELF) unter dem 8. Mai 2020 ablehnend Stellung. Bei der in der Halle beabsichtigten Weiterverarbeitung von nur 8 ha eigenem Getreide und 20 ha zugekauftem Getreide liege keine Privilegierung vor. Bei dem geplanten neuen Betriebszweig der Herstellung von Biodünger liege zwar eine zumindest überwiegende Verarbeitung oder Veredelung selbsterzeugter Produkte vor. Jedoch sei das Vorhaben nicht äußerlich erkennbar dem landwirtschaftlichen Betrieb zugeordnet. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass dies als gewerbliche Nutzung wahrgenommen werde. Ferner seien aus pflanzenbaulicher Sicht die vorgelegten Mengenangaben teilweise unplausibel und nicht nachvollziehbar. Außerdem genüge die Wirtschaftlichkeitsberechnung nicht den betriebswirtschaftlichen Anforderungen zur Bewertung in einer Stellungnahme. Mit Schreiben vom *. Juni 2020 nahm der Kläger den Bauantrag zurück.
4
Mit Schreiben vom … Mai 2020 zeigte der Kläger der Gemeinde die Errichtung einer nach seiner Auffassung verfahrensfreien Grüngutlagerfläche mit Sickerwasserbehälter auf dem Vorhabengrundstück an. Ausweislich der Planunterlagen vom 20. Mai 2020 soll eine befestigte Fläche in einer Größe von 30 m auf 40 m, eine angeböschte Betonmauer von 2 m Höhe und 40 m Länge, ein Sickerwasserbehälter von 49 m³, eine geschotterte Hoffläche sowie eine Waage errichtet werden.
5
Das Landratsamt wies den Kläger mit Schreiben vom 28. Mai 2020 darauf hin, dass mit Blick auf die fachliche Bewertung des vorangegangenen Bauantrages von einer Genehmigungspflicht auch dieses Vorhabens auszugehen sei. Eine Betriebsbeschreibung sei nicht vorgelegt worden. Hierauf teilte der Kläger mit, dass er an dem angezeigten Vorhaben festhalten wolle, und begann mit den Bauarbeiten.
6
Mit Bescheid vom 10. Juli 2020 ordnete das Landratsamt gegenüber dem Kläger die Einstellung der Bauarbeiten für den Neubau einer Grüngutlagerfläche mit Sickerwasserbehälter auf Vorhabengrundstück an (Nr. 1 des Bescheids). Für den Fall der Nichtbefolgung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000 EUR angedroht (Nr. 2), eine Kostenentscheidung zulasten des Klägers getroffen (Nr. 3) und der Sofortvollzug angeordnet (Nr. 4). Das Vorhaben sei nicht verfahrensfrei, weil es keinem landwirtschaftlichen Betrieb diene bzw. im Außenbereich errichtet werde. Für das ursprünglich beantragte Vorhaben habe das AELF keine positive Beurteilung abgegeben. Nähere Angaben dazu, warum nun die streitige Lagerfläche alternativlos und notwendig sei, habe der Kläger nicht gemacht. Daher gehe das Landratsamt weiterhin davon aus, dass eine dienende Funktion nicht gegeben sei. Der Bescheid wurde dem Kläger am 11. Juli 2020 zugestellt.
7
Mit Schreiben vom … Juli 2020 wandte sich der Kläger an das Landratsamt und legte dar, dass er das streitgegenständliche Vorhaben unbedingt zur Aufwertung seiner schlechten landwirtschaftlichen Flächen benötige. Ein nachhaltiger Humusaufbau für die angebauten Früchte sei Grundlage für einen guten Bio-Ackerbaubetrieb. Daher wolle er, wie er es schon seit 2017 teilweise praktiziere, organische Substanzen wie Mist, Stroh, Grassilage und Hackschnitzel zu einem Biokompost für die eigene Landwirtschaft als Dünger einsetzen.
8
Der Kläger hat am … Juli 2020 Klage erheben lassen und beantragt,
9
Der Bescheid vom 10. Juli 2020 wird aufgehoben.
10
Das Vorhaben sei als Lagerplatz nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a BayBO verfahrensfrei zulässig. Die Fläche, seine Ausgestaltung und seine Lage im Außenbereich seien insoweit bedeutungslos. Angesichts einer zu erwartenden Jahresmenge an organischer Biomasse sei der Platz nicht zu groß dimensioniert. Der Standort sei ideal. Die Sinnhaftigkeit der Düngerherstellung und die Betriebsdienlichkeit des Vorhabens werde auch durch eine Stellungnahme der Sachverständigen für landwirtschaftliche Bewertung, Schätzung und Betriebsführung Fr. Dipl.-Ing. B* … vom 8. April 2022 belegt.
11
Der Beklagte beantragt
12
Klageabweisung.
13
Für die Rechtmäßigkeit der Baueinstellung genüge es, wenn wie hier eine formelle Baurechtswidrigkeit vorliege. Unabhängig von der Frage der Dienlichkeit des Vorhabens, die das AELF in einer Stellungnahme vom 28. September 2022 nunmehr bejahe, sei keine Verfahrensfreiheit gegeben. Der Kläger plane neben der Lagerfläche auch die Errichtung einer Betonmauer, die im Außenbereich nicht verfahrensfrei möglich sei.
14
Zu Inhalt und Verlauf der mündlichen Verhandlung am 11. Oktober 2022 wird auf die Niederschrift, zu dem Vortrag im Übrigen und den weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15
Die zulässige Klage ist unbegründet.
16
Der angefochtene Baueinstellungsbescheid vom 10. Juli 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
17
Rechtsgrundlage für die Baueinstellungsverfügung ist Art. 75 Satz 1 BayBO. Hiernach kann die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung der Arbeiten anordnen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt werden.
18
1. Mit den Bauarbeiten der sogenannten Grüngutlagerfläche und den zusätzlichen Einrichtungen werden Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet. Die Einstellung von Bauarbeiten kann grundsätzlich bei jedem sowohl materiellen als auch formellen Verstoß gegen Vorschriften verfügt werden, die vom Anwendungsbereich des Art. 75 BayBO erfasst werden. Hier ist jedenfalls von formeller Illegalität auszugehen, weil das Vorhaben einer Baugenehmigung bedarf, die nicht vorliegt.
19
Eine Verfahrensfreiheit nach Art. 57 BayBO besteht nicht.
20
a) Die Genehmigungsfrage ist immer einheitlich für die gesamte bauliche Maßnahme zu stellen. Eine Aufspaltung einer einheitlichen Baumaßnahme in einen genehmigungspflichtigen und einen genehmigungsfreien Teil ist somit unzulässig. Ist auch nur ein (kleiner) Teil einer Baumaßnahme genehmigungspflichtig, so zieht das die Genehmigungspflicht für die gesamte Maßnahme nach sich (Decker in Busse/Kraus, BayBO, 146. EL Mai 2022, Art. 55 Rn. 33 m.w.N.).
21
Bei der Errichtung der Grüngutlagerfläche mit Sickersaftbehälter, Betonmauer und Waage handelt es sich um ein Gesamtbauvorhaben, weil die einzelnen Baumaßnahmen räumlich, zeitlich und funktional miteinander verbunden sind (BayVGH, B.v. 12.12.2018 - 1 ZB 17.936 - juris Rn. 3). In der Anlage auf dem Vorhabengrundstück soll Grüngut zu Biodünger siliert werden.
22
b) Das Vorhaben ist nicht verfahrensfrei nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. f BayBO. Von dieser Vorschrift sind Dungstätten, Fahrsilos, Kompost- und ähnliche Anlagen mit Ausnahme von Biomasseanlagen für Biogasanlagen erfasst. Voraussetzung für die Anwendung dieses Tatbestands ist, dass es sich bei dem Vorhaben um einen Behälter handelt, vgl. Art. 57 Abs. 1 Nr. 6 BayBO: „Verfahrensfrei sind […] folgende Behälter: […]“.
23
Kriterium für den Begriff des Behälters ist, dass die Einrichtung von außen mit dem zu lagernden oder aufzubewahrenden Gegenstand oder Stoff beladen oder befüllt wird, also bei der normalen Nutzung nur das Lagergut ins Innere verbracht wird, ohne dass sich hierbei Menschen hinein begeben müssen; nicht mehr umfasst sind demgemäß Einrichtungen, bei denen der Stoff von Menschen durch Betreten der Anlage hineingebracht und abgelegt wird (Lechner/Busse in Busse/Kraus, BayBO, 146. EL Mai 2022, Art. 57 Rn. 191, vgl. auch Molodovsky/Famers/Waldmann, BayBO, Stand Mai 2022, Art. 57 Abs. 1 Nr. 6, Rn. 76).
24
Die vom Kläger geplante Grüngutkompostieranlage ist kein Behälter und unterfällt damit nicht der Verfahrensfreiheit. Hier soll ausschließlich an der Ostseite des Vorhabens eine Wand errichtet werden, eine Umwandung der gesamten Fläche ist hingegen nicht geplant. Damit ist eine Unterscheidung zwischen Innen und Außen, die der Behälter begrifflich voraussetzt, nicht möglich. Auch ermöglicht es die geplante Anlage, dass Menschen die Fläche mit dem zu kompostierenden Grüngut betreten und dieses dort ablegen.
25
Zu einer erweiternden Auslegung, etwa im Sinne eines a maiore ad minus-Schlusses, besteht keine Veranlassung. Denn Art. 57 BayBO ist als Ausnahmeregelung zu der grundsätzlich bestehenden Baugenehmigungspflicht, Art. 55 Abs. 1 BayBO, eng auszulegen (vgl. BayVGH, U.v. 30.1.2012 - 1 BV 11.62 - juris Rn. 20 m.w.N.).
26
c) Das Gesamtbauvorhaben ist baugenehmigungspflichtig, weil jedenfalls die geplante Betonmauer nicht der Verfahrensfreiheit unterfällt. Die Mauer unterfällt auch nicht als Einfriedung dem Privilegierungstatbestand des Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. a BayBO, weil dies im Außenbereich nicht verfahrensfrei zulässig wäre. Angesichts ihrer Ausführung als Betonwand handelt es sich auch nicht um ein verfahrensfreies Vorhaben nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. b BayBO, weil hierfür (unter anderem) Voraussetzung wäre, dass sie offen und sockellos ausgeführt wird.
27
d) Daher erübrigt sich die Beantwortung der Frage, ob es sich bei der Fläche um einen verfahrensfreien Lager- oder Abstellplatz im Sinne von Art. 57 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. a BayBO handelt. Hieran bestehen insoweit Zweifel, als die Nutzung der Anlage den bloßen Vorgang des Lagerns oder Abstellens überschreiten dürfte. Das Hinbringen des Grünguts und der sonstigen Stoffe zu der Anlage erfolgt nämlich nicht mit dem Zweck des Aufbewahrens und späteren Wiederverwendens, wie dies beispielsweise bei der Lagerung von Holz der Fall ist. In der Anlage kommt es neben der freilich ebenfalls durchgeführten Lagerung vielmehr zu einer Bearbeitung und Veränderung des eingelieferten Guts in Form des Silierens. Durch die planvolle Vermischung unterschiedlicher Substanzen und der turnusmäßigen Umwendung entsteht ein neues Produkt. Die Silage oder der Biodünger unterscheidet sich von „gelagertem Grüngut“ qualitativ erheblich, sodass eher eine Produktion als die Lagerung inmitten stehen dürfte. Angesichts der Genehmigungsbedürftigkeit der Gesamtanlage aus anderen Gründen muss dies, wie oben dargelegt, jedoch nicht entschieden werden.
28
e) Die Baugenehmigungspflichtigkeit bezieht sich nach dem Vorgenannten damit auch auf die beabsichtigte Errichtung des Sickersaftbehälters, der ansonsten dem Privilegierungstatbestand nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. c BayBO unterfiele, und unabhängig vom Privilegierungstatbestand nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. f BayBO auch auf die Waage.
29
2. Die Anordnung erging auch ansonsten rechtmäßig, insbesondere weist der Bescheid keine Ermessensfehler auf. Soweit sich der Beklagte vormals auf die fehlende Privilegierung stützte, erfolgte ein ohne weiteres zulässiger Austausch der Begründung. Bei Bauarbeiten ohne notwendige Genehmigung ist von einem intendierten Ermessen auszugehen (vgl. BayVGH B.v. 16.9.2013 -14 CS 13.1383 - juris Rn. 8), also vom regelhaften Erlass einer Baueinstellung bei Erfüllung des Tatbestands. Dabei stellt eine Baueinstellung in der Regel nur eine vorläufige Maßnahme dar und bleibt von ihrer Eingriffsintensität her hinter der Beseitigungsanordnung oder der Nutzungsuntersagung zurück. Ihr steht auch nicht entgegen, dass dem Bauherrn wirtschaftliche Nachteile entstehen. Dem Bauherrn ist es vielmehr zuzumuten, mit der Fortsetzung der Bauarbeiten zuzuwarten, bis die baurechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens festgestellt ist.
30
3. Gegen die Zwangsgeldandrohung und die Kostenentscheidung im angefochtenen Bescheid hat die Klagepartei keine spezifischen Einwände erhoben; sie begegnen im Übrigen auch keinen rechtlichen Bedenken.
31
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt § 167 ZPO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.