Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 15.07.2022 – W 7 K 21.30924
Titel:

Erfolglose Asylklage (Aserbaidschan)

Normenkette:
AsylG § 3d
Leitsätze:
1. Dass die Polizeikräfte in Aserbaidschan aufgrund von Korruption bzw. frauenfeindlicher Einstellung generell nicht schutzbereit wären, ist nicht erkennbar. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Einer auf sich allein gestellten Frau, der nach Ausbildung und persönlichen Umständen nur eine Erwerbstätigkeit im Niedriglohnsektor offensteht, stehen die aserbaidschanischen Großstädte als interner Schutz zur Verfügung, weil das Existenzminimum durch staatliche Unterstützung gesichert werden kann. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aserbaidschan, Minderjährige, Sorgerecht, Schutzakteur, inländische Fluchtalternative, faktischer Inländer, Rückführungsrichtlinie, staatlicher Schutz, interner Schutz
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31132

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.  

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Zuerkennung internationalen Schutzes, hilfsweise die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote hinsichtlich Aserbaidschans.
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1. Die Klägerin wurde am 3. Dezember 2013 im Bundesgebiet als Tochter einer Asylbewerberin aus Aserbaidschan geboren. Die Asylanträge der Klägerin und ihrer Mutter wurden mit Bescheiden des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 6. Dezember 2016 abgelehnt, wobei ihnen die Abschiebung nach Aserbaidschan angedroht wurde. Diese Bescheide sind unanfechtbar geworden (VG Würzburg, Ue.v. 25.8.2017 - W 7 K 16.32605, W 7 K 16.32607). Am 5. Dezember 2017 stellten die Klägerin und ihre Mutter Folgeanträge, in welchen u.a. vorgetragen wurde, dass der Vater der Klägerin bei der Stadtverwaltung Baku das alleinige Sorgerecht für die Klägerin beantragt habe. Die Mutter der Klägerin sei mit dem (im Original mit deutscher Übersetzung vorgelegten) Schreiben der Behörde vom 1. November 2017 zur persönlichen Vorsprache aufgefordert worden (S. 50 ff. der Akte des Folgeverfahrens der Klägerin, Az.: …*), mit dem Hinweis, dass im Falle des Nichterscheinens der Mutter die zuständigen Behörden zur Ermöglichung einer Entscheidung nach dem Recht der Republik Aserbaidschan unterrichtet würden. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 4. Januar 2018 wurden die Folgeanträge als unzulässig abgelehnt. Nach Aufhebung dieses Bescheides durch das Verwaltungsgericht Würzburg mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 19. August 2019 (Az.: W 7 K 18.30047) lehnte das Bundesamt den Folgeantrag mit Bescheid vom 7. Januar 2020 als unbegründet ab und drohte erneut die Abschiebung nach Aserbaidschan an. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Würzburg mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 6. Oktober 2020 ab (Az.: W 7 K 20.30119). Auf die Gründe der gerichtlichen Entscheidungen wird jeweils zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.
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2. Am 12. April 2021 stellte die Klägerin einen weiteren Folgeantrag. Zur Begründung wurde auf Probleme der Mutter der Klägerin mit deren Vater verwiesen. Dieser habe sich im Jahr 2017 schon einmal bemüht, das Sorgerecht für die Klägerin zu erhalten. Die Klägerin habe jedoch keinerlei Kontakt zu ihm. Im Falle der Rückkehr nach Aserbaidschan befürchte ihre Mutter, dass der Vater die Klägerin mit zu sich in den Iran nehme, wie es das iranische Gesetz vorschreibe. Zum Beweis wurde ein Schreiben der Republik Aserbaidschan, Innenministerium, Polizeidirektion des Bezirks C* … vom 9. März 2021, mit deutscher Übersetzung vorgelegt (S. 8 ff. der Akte des weiteren Folgeverfahrens, Az.: …*). Darin wird ausgeführt, dass Herr P.Y.D., Staatsangehöriger der Islamischen Republik Iran, um Unterstützung der Behörde betreffend die Übertragung seiner Tochter (der in dem Dokument namentlich genannten Klägerin) gewandt habe. Die Mutter der Klägerin wurde aufgefordert, binnen 15 Tagen bei der genannten Behörde vorzusprechen.
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Mit Bescheid vom 25. August 2021 lehnte das Bundesamt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1 des Bescheides), die Asylanerkennung (Ziffer 2), die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Ziffer 3) sowie die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1  AufenthG (Ziffer 4) ab. Die Klägerin wurde zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides bzw. für den Fall der Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens aufgefordert. Für den Fall, dass sie die Ausreisefrist nicht einhalte, wurde ihr die Abschiebung nach Aserbaidschan bzw. in einen anderen Staat, in welchen sie einreisen dürfe oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht, wobei die durch die Bekanntgabe des Bescheides in Lauf gesetzt Ausreisefrist bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist ausgesetzt wurde (Ziffer 5).
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Auf die Gründe des Bescheides wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
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3. Am 8. September 2021 ließ die Klägerin Klage erheben.
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Die Klägerin beantragt,
1.
Unter Aufhebung des Bescheides vom 25. August 2021 wird die Beklagte verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
2.
Hilfsweise wird die Beklagte verpflichtet, der Klägerin subsidiären Schutz zu gewähren und äußerst hilfsweise, bei der Klägerin die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5, 7 AufenthG festzustellen.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, der Vater der Klägerin sei ein im Iran lebender Mann aserischer Herkunft. Nach einem Schreiben der Polizeidirektion des Stadtteils X* … in B* … vom 9. März 2021 habe der Kindsvater sich an die Polizeidirektion gewandt, um das Sorgerecht für die Klägerin zu erhalten. Die Beklagte habe dieses Schreiben als neues Beweismittel gewertet und ein Asylfolgeverfahren durchgeführt. Nunmehr weise sie aber darauf hin, dass angeblich die Echtheit des Schreibens anzuzweifeln sei. Aus dieser Formulierung lassen sich schließen, dass die Beklagte die Echtheit nicht überprüft habe. Die Behauptung, die Mutter der Klägerin könne sich bei dem illegalen Verhalten des Vaters an die Polizei wenden, sei völlig absurd. Ein illegales Verhalten würde darin bestehen, dass der Vater versuche, die Klägerin in den Iran zu entführen. Dabei helfe der Hilferuf an die Polizei nichts, weil davon auszugehen sei, dass die Polizei in Aserbaidschan korrupt sei und die Klägerin nicht unterstützen werde. Die Klägerin sei unehelich geboren. Ihre Mutter sei nicht verheiratet. Solche Umstände stellten sich in Aserbaidschan als Katastrophe heraus. In einer kulturellen Analyse von Frau R. zum Thema „Frausein in Aserbaidschan“ werde ausgeführt, dass die aserbaidschanische Gesellschaft in großem Maße durch patriarchale Normen geregelt sei. Eine Frau stehe zunächst im Schatten ihres Vaters und Bruders und werde anschließend zu einem Leben im Schatten ihres Ehemannes bestimmt. Die in dieselbe Familie hineingeborenen Töchter und Söhne würden ganz unterschiedlich sozialisiert. Den Söhnen werde relative Freiheit erlaubt, während die Töchter sich mit zunehmendem Alter in ein Modell der Ehre der Gesellschaft verwandelten. Sie müssten die streng definierten sozialen Regeln auf ihren Schultern tragen. Die Täter-Opfer-Umkehr sei ein sehr verbreitetes und tief verwurzeltes Phänomen bei der Erklärung von sozialen Problemen in unterschiedlichen Lebensbereichen der aserbaidschanischen Frauen. Aus diesem Grund sei ein Großteil der Frauen eingeschüchtert und entmutigt, sich gegen Unterdrückung zu wehren. Des Weiteren werde in einer Stellungnahme der H.-Stiftung ausgeführt, die jüngste positive Entwicklung in Aserbaidschan sei die Verabschiedung des Gesetzes zur häuslichen Gewalt im Oktober 2010. Bedauerlicherweise sei die Umsetzung internationaler Ansätze zur Gleichstellung der Geschlechter in Aserbaidschan mit Mängeln und Unzulänglichkeiten behaftet, welche darauf hinwiesen, dass es dem Staat bisher nicht gelungen sei, eine klare und nachhaltige Politik zu formulieren, welche das Problem der Benachteiligung von Frauen angehe. Der Staat operierte immer noch im Rahmen einer traditionellen patriarchalischen Ideologie. Angesichts dieser Schilderungen bestehe für die Klägerin die Gefahr, bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan verschleppt zu werden und dort ein Leben führen zu müssen, welches mit den Menschenrechten unvereinbar sei.
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4. Für die Beklagte beantragt das Bundesamt,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde auf den streitgegenständlichen Bescheid verwiesen.
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5. Mit Beschluss vom 13. Mai 2022 hat die Kammer den Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakten, hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung insbesondere auf das Protokoll vom 4. Juli 2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage, über die das Gericht auch in Abwesenheit der Beklagten verhandeln und entscheiden durfte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist nicht begründet.
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Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG (siehe dazu 1.) noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG (siehe dazu 2.). Des Weiteren liegen auch die Voraussetzungen der Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht vor (siehe dazu 3.). Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 25. August 2021 einschließlich der Abschiebungsandrohung unter Ziffer 5 (siehe dazu 4.) ist damit rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, weshalb die Klage abzuweisen ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1, §§ 3a bis 3e AsylG.
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a) Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 - Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Lands (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die §§ 3 ff. AsylG setzen die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/ EU vom 13. Dezember 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie - QRL, Amtsblatt-Nr. L 337, S. 9) in deutsches Recht um.
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Dem Ausländer muss eine Verfolgungshandlung drohen, die mit einem anerkannten Verfolgungsgrund (§ 3b AsylG) eine Verknüpfung bildet, § 3a Abs. 3 AsylG. Als Verfolgungshandlungen gelten gemäß § 3a AsylG solche Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1) oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Die für eine Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsschutzes nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG relevanten Merkmale (Verfolgungsgründe) sind in § 3b Abs. 1 AsylG näher definiert. Nach § 3c AsylG kann eine Verfolgung sowohl von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten. Nach § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft allerdings nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2) (interner Schutz bzw. innerstaatliche Fluchtalternative).
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Maßgeblich für die Beurteilung, ob sich ein Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb des Heimatlands befindet, ist der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, der dem Maßstab des „real risk“, den der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bei der Prüfung des Art. 3 EMRK anwendet, entspricht (vgl. EGMR, U.v. 28.2.2008 - 37201/06, NVwZ 2008, 1330 Rn. 125 ff.; U.v. 23.2.2012 - 27765/09, NVwZ 2012, 809 Rn. 114). Die Verfolgungsfurcht eines Ausländers ist begründet, wenn bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - juris Rn. 32; U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - juris Rn. 14; VGH BW, U.v. 3.11.2016 - A 9 S 303/15 - juris Rn. 32 ff.; NdsOVG, U.v. 21.9.2015 - 9 LB 20/14 - juris Rn. 30).
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Wurde der betroffene Ausländer bereits verfolgt oder hat er einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten bzw. war er von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht und weisen diese Handlungen und Bedrohungen eine Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund auf, greift zu dessen Gunsten die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL, wonach die Vorverfolgung bzw. Vorschädigung einen ernsthaften Hinweis darstellt, dass sich die Handlungen und Bedrohungen im Fall einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - juris Rn. 15). Die Vorschrift privilegiert den betroffenen Ausländer durch eine widerlegliche Vermutung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Eine Widerlegung der Vermutung ist möglich, wenn stichhaltige Gründe gegen eine Wiederholung sprechen. Durch Art. 4 Abs. 4 QRL wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte davon befreit, stichhaltige Gründe dafür vorzubringen, dass sich die Bedrohungen erneut realisieren, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt.
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b) Gemessen an diesen Grundsätzen begründet das Vorbringen der Klägerin bzw. deren Mutter schon nicht die Annahme der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG.
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Zum einen hat die Klägerin bzw. deren Mutter nun aktuelle Bedrohungen durch den Vater der Klägerin und dessen Vater vorgetragen, die im bisherigen Verfahrensablauf nicht thematisiert wurde. Insofern hat sie ihr Vorbringen gegenüber den zur Begründung des Folgeantrags und in der Klagebegründung vorgetragenen Tatsachen erheblich gesteigert, ohne diese Steigerung durch plausible Gründe zu erklären, was bereits gegen die Glaubhaftigkeit des damit im Zusammenhang stehenden Vortrags einer Verfolgung durch den Vater der Klägerin spricht. Des Weiteren ist auch nicht nachvollziehbar, dass nach dem Vortrag der Klägerin bzw. deren Mutter im Zeitraum zwischen Dezember 2017 und 2021 keine weiteren Schritte durch den Vater der Klägerin in Bezug auf das alleinige Sorgerecht, das dieser angeblich beansprucht, unternommen wurden. Für diesen Umstand hat die Mutter der Klägerin auch auf Nachfrage keinen nachvollziehbaren Grund angegeben können, vielmehr hat sie auf die gerichtliche Nachfrage ausweichend reagiert. Soweit sie vorgetragen hat, das Verfahren werde in Aserbaidschan, wenn die Vorladung erfolglos bleibe, für ein Jahr eingestellt und könne nach einem Jahr wiederaufgenommen werden, erklärt das nicht die im vorliegenden Fall gegebene Unterbrechung von dreieinviertel Jahren. Diese erhebliche zeitliche Zäsur ist vielmehr ein deutlicher Hinweis gegen eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ernsthafter Bemühungen des Kindsvaters. Wäre dieser tatsächlich noch daran interessiert, das alleinige Sorgerecht und Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Klägerin zugesprochen zu erhalten, so hätte ihm daran gelegen sein müssen, nach dem (offenbar) erfolglosen Versuch im Jahr 2017 und einer eventuellen Verfahrenseinstellung nach Ablauf der Jahresfrist, also Ende 2018, unverzüglich die Wiederaufnahme des Verfahrens zu initiieren, anstatt damit bis März 2021 zuzuwarten.
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Zum anderen begründet der Vortrag auch bei Wahrunterstellung des geltend gemachten Geschehens keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 3a und 3b AsylG. Soweit die Klägerin auf die Vorladung ihrer Mutter durch das Innenministerium der Republik Aserbaidschan, Polizeidirektion des Bezirks C* …, zur persönlichen Vorsprache vom 9. März 2021 (S. 8 ff. der Akte des weiteren Folgeverfahrens, Az.: …*) verweist, geht daraus nicht hervor, dass ein Entzug des Sorgerechts der Mutter der Klägerin und Begründung des alleinigen Sorgerechts des Kindsvaters droht. Vielmehr handelt es sich - bei Unterstellung der Echtheit und inhaltlichen Richtigkeit des Dokuments - um die Anhörung der Mutter in einem das Sorgerecht betreffenden, vom Kindsvater initiierten Verfahren. Auf dieser Grundlage kann aber gerade nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dem Begehren des Kindsvaters entsprochen werden und diesem das alleinige Sorgerecht und Aufenthaltsbestimmungsrecht in Bezug auf die Klägerin übertragen werden wird. Zwar wollen die Klägerin bzw. ihre Mutter und der Klägerbevollmächtigte ein solches Ergebnis aufgrund der traditionellen gesellschaftlichen Rolle der Frau in Aserbaidschan gleichsam antizipieren. In Anbetracht der vorliegenden Umstände des Einzelfalles sowie der Erkenntnismittel ist es aber nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ein aserbaidschanisches Familiengericht dem Begehren des Kindsvaters nach dem alleinigen Sorgerecht und Aufenthaltsbestimmungsrecht in Bezug auf die Klägerin entsprechen würde. Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln entscheiden die Familiengerichte in Aserbaidschan in Sorgerechtsverfahren tendenziell zugunsten der Mütter (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, 2020, S. 28), weshalb eine gesetzeswidrige oder mit höherrangigem Recht, insbesondere mit den Menschenrechten unvereinbare Handhabung des Sorgerechtsverfahrens zu Lasten der Klägerin bzw. deren Mutter nicht beachtlich wahrscheinlich ist. Umso mehr gilt dies vor dem Hintergrund, dass die Klägerin bisher nur bei ihrer Mutter gelebt hat, nur gemeinsam mit dieser nach Aserbaidschan zurückkehren bzw. abgeschoben würde, und der Vater die Klägerin nach ihrem Vortrag überhaupt nicht kennt.
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c) Soweit die Klägerin eine rechtswidrige Entführung durch ihren Vater befürchtet, würde es sich dabei um kriminelles Unrecht handeln, gegen welches die Klägerin bzw. ihre Mutter den staatlichen Schutz Aserbaidschans in Anspruch nehmen könnten (§ 3d AsylG). Dass die Polizeikräfte in Aserbaidschan aufgrund von Korruption bzw. frauenfeindlicher Einstellung generell nicht schutzbereit wären, ist nicht dargelegt worden und geht auch aus den eher pauschal gehaltenen Berichten, welche der Klägerbevollmächtigte anspricht, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit hervor.
24
d) Des Weiteren steht der Klägerin auch eine zumutbare Fluchtalternative in einer anderen aserbaidschanischen Großstadt zur Verfügung. Denn es kann von ihr nach der erforderlichen wertenden Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, U.v. 18.2.2021 - 1 C 4.20 - juris) vernünftigerweise erwartet werden, dass sie sich dort niederlässt, um der befürchteten Verfolgung zu entgehen. Zwar spricht gegen eine Niederlassung in einer der Klägerin bzw. deren Mutter bisher unbekannten aserbaidschanischen Großstadt, dass sie dort - eine fehlende Unterstützung durch sonstige Angehörige unterstellt - auf sich alleine gestellt wären. Des Weiteren würde der Mutter der Klägerin nach ihren persönlichen Umständen und Ausbildung eher nur eine Erwerbstätigkeit im Niedriglohnsektor offenstehen. Sie ist aber mit der Landessprache, den kulturellen Verhältnissen sowie dem Leben in einer Großstadt in Aserbaidschan vertraut und würde sich daher dort auch zurechtfinden. Sofern sie keiner Erwerbstätigkeit nachgehen kann, kann sie - wie bereits ausgeführt - auf staatliche Unterstützung zurückgreifen, sodass ihr Existenzminimum sowie das der minderjährigen Klägerin gesichert wäre (vgl. AA, Lagebericht Aserbaidschan, Stand: Juni 2021, S. 20).
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2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes.
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a) Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Subsidiären Schutz kann nur beanspruchen, wem mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die Art der Behandlung oder Bestrafung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG muss eine Schwere erreichen, die dem Schutzbereich des Art. 3 EMRK zuzuordnen ist und für den Fall, dass die Schlechtbehandlung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, muss der Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sein, Schutz zu gewähren (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c Nr. 3 AsylG).
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b) Gemessen an diesen Grundsätzen steht der Klägerin nach den vorstehenden Ausführungen auch der subsidiäre Schutzstatus nicht zu. Dem steht neben der fehlenden beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG auch die Verfügbarkeit staatlichen Schutzes (§ 3d Nr. 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG) sowie einer zumutbaren inländischen Fluchtalternative (§ 3e i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG) entgegen.
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3. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots in ihrer Person nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG.
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a) Zu unterstellen ist bei der Prüfung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG, dass die Klägerin nur gemeinsam mit ihrer im vorliegenden Gerichtsverfahren nicht beteiligten Mutter in das Herkunftsland zurückkehren wird (BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45.18 - juris). Des Weiteren ist bei der Prüfung auf Aserbaidschan als den in der Abschiebungsandrohung (konkret) benannten Zielstaat abzustellen (BVerwG, U.v. 10.7.2003 - 1 C 21.02 - juris Rn. 10).
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b) Der Maßstab für die Gefahrenprognose, welche Bundesamt und Verwaltungsgericht im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK anzustellen haben, ist grundsätzlich, ob der Betroffene nach der Rückkehr in das Herkunftsland, gegebenenfalls unter Einbeziehung gewährter Rückkehrhilfen, in der Lage ist, seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen. Nicht entscheidend ist hingegen, ob das Existenzminimum im Herkunftsland nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist. Denn eine Verletzung des Art. 3 EMRK, welche zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG führen müsste, kann nur angenommen werden, wenn die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung nicht zu einem beliebigen Zeitpunkt, sondern alsbald nach der Rückkehr eintritt (BVerwG, U.v. 21.4.2022 - 1 C 10.21 - juris). Diese Voraussetzungen sind in der Person der Klägerin bzw. deren Mutter nicht erfüllt. Wie ausgeführt, kann sie - das Fehlen familiärer Unterstützung unterstellt - im Falle der Erwerbslosigkeit staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen, wodurch ihr und ihrer Mutter Existenzminimum gesichert ist (vgl. AA, Lagebericht Aserbaidschan, Stand: Juni 2021, S. 20).
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c) Des Weiteren hat sich das Bundesamt im angefochtenen Bescheid mit der pandemiebedingten Lage im Zielstaat auseinandergesetzt und zu Recht ausgeführt, dass die Klägerin und ihre Mutter - die keine Vorerkrankungen oder besonderen Risikofaktoren dargelegt haben - das allgemeine, bei einer weltumspannenden Pandemie überall bestehende Infektionsrisiko als Teil des allgemeinen Lebensrisikos zu tragen haben, welches sie für sich durch Einhalten der bekannten und empfohlenen bzw. vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen reduzieren können.
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4. Schließlich bestehen im Ergebnis auch keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der auf §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gestützten Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung unter Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheides. Solche Bedenken bestehen im Ergebnis auch nicht aufgrund des Art. 5 der RL 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348, S. 98 - Rückführungsrichtlinie, RFRL).
33
a) Nach Art. 5 RFRL berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung in gebührender Weise u.a. das Wohl des Kindes (lit. a)) und die familiären Bindungen (lit. b)) der betreffenden Drittstaatsangehörigen und halten den Grundsatz der Nichtzurückweisung ein. Daraus folgt, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 5 RFRL in Verbindung mit Art. 24 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) vor Erlass einer mit einem Einreiseverbot verbundenen Rückkehrentscheidung das Kindeswohl gebührend zu berücksichtigen haben (EuGH, U.v. 11.3.2021 - M.A., C-112/20 - juris). Die Rückführungsrichtlinie findet im vorliegenden Fall auch gemäß ihrem Art. 2 Abs. 1 Anwendung, weil die nicht über einen Aufenthaltstitel oder einen in sonstiger Weise rechtmäßigen Aufenthalt verfügende Klägerin eine sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates aufhaltende Drittstaatsangehörige ist (vgl. EuGH, U.v. 14.1.2021 - TQ, C-441/19 - juris Rn. 40). Das Gericht folgt dabei der überzeugenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Sigmaringen (vgl. u.a. VG Sigmaringen, U.v. 11.4.2022 - A 8 K 1010/19 - juris), wonach das Gebot der gebührenden Berücksichtigung des Kindeswohls aus Art. 5 a) RFRL vor Erlass einer Rückkehrentscheidung in Form der Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 AsylG - wie im vorliegenden Fall - zu beachten ist. Dieser Grundsatz gebietet die Prüfung inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse, die auf eine gebührende Beachtung des Kindeswohls gerichtet sind (VG Sigmaringen a.a.O., Rn. 43; vgl. auch Vorlage des BVerwG an den EuGH: BVerwG, B.v. 8.6.2022 - 1 C 24.21). Denn bei der Abschiebungsandrohung im Sinne des § 34 Abs. 1 AsylG handelt es sich um eine Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 RFRL. Diese geht gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG grundsätzlich auch mit einem (im Einzelfall anzuordnenden) Einreise- und Aufenthaltsverbot einher. Dem Gebot der gebührenden Berücksichtigung des Kindeswohls nach Art. 5 a) RFRL i.V.m. Art. 24 Abs. 2 GR-Charta - welches ausweislich des Wortlauts keine absolute Beachtenspflicht, sondern ein die Abwägung beeinflussendes Berücksichtigungsgebot begründet - kann im Rahmen der Prüfung inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse bei der Entscheidung über eine Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1, 3 AufenthG nicht ausreichend Rechnung getragen werden. Denn die Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1, 3 AufenthG führt lediglich zur Aussetzung einer angedrohten und ggf. bereits im Vollzug befindlichen Abschiebung, suspendiert aber nicht die Rechtsfolgen der Abschiebungsandrohung. Auch genügt es aus unionsrechtlicher Sicht nicht, dass bei Bestehen eines inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisses nach § 60a Abs. 2 Satz 1, 3 AufenthG aufgrund von Art. 6 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK effektiver Rechtsschutz gegen den Vollzug der Abschiebungsandrohung im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zur Verfügung steht (VG Sigmaringen a.a.O., Rn. 62 u.V.a. EuGH, U.v. 14.1.2021 - TQ, C-441/19 - juris). Denn die in Art. 5 a) RFRL genannten Umstände sollen nach den eindeutigen Ausführungen des EuGH bereits beim Erlass der Rückführungsentscheidung nach Art. 6 Abs. 1 RFRL geprüft werden. Diesem Anliegen würde es nicht genügen, wenn allenfalls deren Vollzug (vorübergehend) ausgesetzt wäre oder das Kindeswohl allenfalls Einfluss auf die Länge der nach § 11 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 1 AufenthG festzusetzenden Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots hätte, sich an dem Umstand der - zumindest vorübergehenden - Trennung des betroffenen Ausländers und des (mittelbar) betroffenen Kindes infolge der Abschiebung und des daran anknüpfenden Einreise- und Aufenthaltsverbots aber nichts ändern würde.
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b) Die Klägerin kann gegen eine Abschiebung (gemeinsam mit ihrer Mutter) nach Aserbaidschan aber nicht einwenden, eine sog. faktische Inländerin zu sein, der die Rückkehr in das Herkunftsland aufgrund ihrer Verwurzelung in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr zumutbar wäre. Offen bleiben kann daher, ob es sich dabei um einen nach Art. 5 RFRL zu berücksichtigenden Umstand handelt. Die Tatsache, dass sich ein Ausländer bereits eine gewisse Zeit in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat, rechtfertigt für sich genommen noch nicht die Annahme, dass der Schutzbereich des Art. 8 EMRK verletzt ist. Ein Eingriff in das von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Privatleben ist dann zu bejahen, wenn der Ausländer aufgrund seiner gesamten Entwicklung faktisch zu einem Inländer geworden und ihm wegen der Besonderheiten des Falls ein Leben im Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug mehr hat, nicht zuzumuten ist (st.Rspr., vgl. BayVGH, B.v. 7.10.2021 - 19 CE 21.2020 - juris Rn. 15 f.; SächsOVG, B.v. 23.3.2020 - 3 B 48/20 - juris Rn. 7; B.v. 6.9.2021 - 3 A 419/18 - juris Rn. 12, jeweils m.w.N.). Voraussetzung hierfür ist in der Regel ein rechtmäßiger, d.h. durch einen Aufenthaltstitel oder in vergleichbarer Weise rechtlich gesicherter Aufenthalt. Der lediglich durch eine asylverfahrensrechtliche Aufenthaltsgestattung (§ 55 AsylG) bzw. eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1, 3 AufenthG oder dergleichen faktisch geduldete, aber nicht legalisierte Aufenthalt reicht hierfür nicht aus. Die Klägerin hatte jedoch aufgrund ihres Status als Asylbewerberin nie eine rechtlich gesicherte Aufenthaltsposition im Bundesgebiet inne. Daher ist der Eingriff in ihr Recht auf Privatleben aus Art. 8 EMRK durch die Abschiebungsandrohung nicht unverhältnismäßig, insbesondere da sie auch nicht ohne ihre Mutter abgeschoben werden würde (vgl. § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG).
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5. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.