Titel:
Erfolgsloser Eilantrag gegen Abschiebung eines Familienangehörigen einer Unionsbürgerin
Normenketten:
VwGO § 123
FreizügG/EU § 1 Abs. 2 Nr. 3c, § 1 Abs. 2 Nr. 4, § 2 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 4 S. 2, § 3a, § 4,
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 25 Abs. 5, § 36 Abs. 2, § 60a Abs. 2 S. 1, § 58 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 81 Abs. 3, Abs. 4
GG Art. 6
EMRK Art. 8
AEUV Art. 21
Leitsätze:
1. Für den Status des freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen muss der Antragsteller als Drittstaatsangehöriger die Merkmale des Familienangehörigen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 FreizügG/EU erfüllen. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Angemessene Existenzmittel im Sinne des § 4 FreizügG/EU sind nur solche, welche nicht zu einer unverhältnismäßigen Inanspruchnahme von nicht beitragsabhängigen öffentlichen Leistungen führen. Leistungen nach dem SGB II stellen keine ausreichenden Existenzmittel dar. (Rn. 40 – 41) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein drittstaatsangehöriger Familienangehöriger kann das Recht auf Einreise und Aufenthalt gemäß § 2 Abs. 1 FreizügG/EU nur von einem aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger, nicht aber von einem ggf. selbst abgeleitet freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen ableiten (Anschluss BVerwG BeckRS 2020, 33433). (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung, abgelehnt, Aussetzung der Abschiebung, Familienangehöriger einer Unionsbürgerin, verneint, keine Unterhaltsgewährung, keine Ableitungskette, Aufenthaltsrecht für nahestehende Person, Visumserfordernis, Nachholen des Visumverfahrens, Zumutbarkeit, Ausweisungsinteresse, Pakistan, Abschiebung, Familienangehöriger, Unionsbürger, Ableitungskette, Unterhaltsgewährung, Strafbefehl, Freiheitsstrafe, Bewährung, Geldstrafe, Unterhalt, Bedarfsgemeinschaft, Daueraufenthaltsrecht, Verfahrensduldung, Unzumutbarkeit, Mitwirkungshandlung, rennungszeit
Fundstelle:
BeckRS 2022, 31131
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt die Aussetzung seiner Abschiebung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
2
1. Der am 20. April 1984 geborene Antragsteller, ausgewiesen durch einen gültigen Reisepass (Bl. 1781 d.A.), ist Staatsangehöriger von Pakistan und reiste am 5. April 2007 erstmals in das Bundesgebiet ein. Sein Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 21. Juni 2007 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Dem Antragsteller wurde die Abschiebung nach Pakistan bzw. in einen anderen Staat, in den der Antragsteller einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Ablehnungsbescheid wurde abgelehnt (VG Ansbach, B.v. 19.7.2007 - AN 3 S 07.30527), in der Folge erhielt der Antragsteller Duldungen. Die Klage des Antragstellers wurde als offensichtlich unbegründet abgewiesen (VG Ansbach, U.v. 17.12.2008 - AN 3 K 07.30528, rechtskräftig).
3
Am 23. Juni 2009 erkannte der Antragsteller mit der Zustimmung der Kindsmutter die Vaterschaft für das im November 2009 erwartete Kind einer deutschen Staatsangehörigen V.P. an. Beide erklärten, die elterliche Sorge gemeinsam ausüben zu wollen. Die Tochter kam am 12. November 2009 zur Welt und befand sich seit dem 16. November 2009 in der Obhut des Jugendamtes bzw. einer Pflegefamilie. Der Antragsteller hatte ein Umgangsrecht, welches er unter Begleitung durch das Jugendamt wahrnahm.
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Am 1. Juli 2010 wurde dem Antragsteller von der damals zuständigen Ausländerbehörde unter Verzicht auf die Nachholung des Visumverfahrens eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 AufenthG erteilt (Bl. 563 d.A.), welche bis 30. Juni 2011 befristet war.
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Unter dem 6. Juni 2011 beantragte der Antragsteller die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Am 9. Juli 2012 erkannte er mit der Zustimmung der Kindsmutter die Vaterschaft für das am 5. August 2012 erwartete Kind der deutschen Staatsangehörigen A.A. an. Beide erklärten, die elterliche Sorge gemeinsam ausüben zu wollen. Der gemeinsame Sohn kam am 6. August 2012 zur Welt. Am 16. Oktober 2012 wurde die Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers bis 17. Oktober 2013 verlängert.
6
Am 11. Juni 2013 beantragte der Antragsteller erneut die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Laut Stellungnahme des Jugendamtes vom 6. November 2013 bestand aufgrund des frühen Eingreifens von Hilfe zur Erziehung keine gewachsene Vater-Kind-Beziehung zwischen dem Antragsteller und seiner Tochter (Bl. 911 d.A.). Hinsichtlich des Sohnes bestätigte dessen Mutter am 6. November 2013, dass der Antragsteller sich gut um diesen kümmere (Bl. 913 d.A.). Am 7. April 2014 wurde die Aufenthaltserlaubnis bis 6. April 2015 verlängert.
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Am 4. April 2015 sprach der Antragsteller - nach zwischenzeitlichem Aufenthalt in der JVA - wegen der erneuten Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis vor. Nach Mitteilung des Jugendamtes vom 26. Mai 2015 kam aufgrund gegenseitiger Vorwürfe und Bedrohungen zwischen den Elternteilen der Umgang des Antragstellers mit seinem Sohn nur unregelmäßig zustande. Die Umgangskontakte an sich verliefen unproblematisch und seien auch schützenswert. Anhaltspunkte für einen Ausgleich der räumlichen Trennung seien jedoch nicht vorhanden. Der Antragsteller sei nicht in die Erziehung des Kindes involviert und verbringe weder gemeinsame Ferien noch Urlaube mit ihm. Am 16. Juli 2015 stellte der Antragsgegner dem Antragsteller eine bis 31. Dezember 2015 gültige Fiktionsbescheinigung aus.
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Laut einer Stellungnahme des Jugendamtes vom 31. März 2016 fand schon seit mehr als sechs Monaten kein Umgang oder persönlicher Kontakt des Antragstellers mit seinem Sohn mehr statt (Bl. 1125 d.A.).
9
Nach Vorsprache und Vorlage eines am 3. Februar 2016 ausgestellten, bis 1. Februar 2021 gültigen Nationalpasses wurde dem Antragsteller am 31. Mai 2016 erneut eine Fiktionsbescheinigung mit Gültigkeit bis 30. Juli 2016 ausgestellt. Mit Bescheid vom 6. Juli 2016 wurde sein Antrag auf Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und die Abschiebung angedroht. Der Bescheid wurde unanfechtbar, die Abschiebung konnte jedoch zunächst nicht vollzogen werden, da die wegen des erneuten Aufenthaltes des Antragstellers in der JVA erforderliche Zustimmung der Staatsanwaltschaft nach § 456a StPO aufgrund weiterer Ermittlungsverfahren nicht erteilt wurde. Wegen vorzeitiger Entlassung des Antragstellers wurde die Abschiebung aus der Haft schließlich nicht vollzogen.
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Am 9. November 2016 beantragte der Antragsteller eine Duldung. Dabei teilte er mit, dass am 5. Mai 2016 seine Tochter A.S. geboren worden sei. Bei der Kindsmutter handelt es sich um eine am 28. Dezember 1994 geborene ungarische Staatsangehörige. Wie sich zu einem späteren Zeitpunkt herausstellte, war die Vaterschaft für die Tochter zunächst von einem anderen pakistanischen Staatsangehörigen, Herrn A.N., anerkannt, die Anerkennung jedoch nachträglich durch die Kindsmutter angefochten worden.
11
Am 7. Dezember 2016 erhielt der Antragsteller eine bis 31. Dezember 2016 gültige Grenzübertrittsbescheinigung. Mit Schreiben vom 6. Januar 2017 beantragte er erneut eine Duldung.
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Mit Schreiben vom 7. März 2018 beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers für diesen eine Aufenthaltskarte nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) als Familienangehöriger einer minderjährigen Unionsbürgerin.
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Mit Schreiben vom 9. März 2018 teilte das Landratsamt Würzburg mit, dass die Abschiebung des Antragstellers vorbereitet werde. Außerdem könne der Antragsteller nicht Vater der A.S. sein, da ein anderer pakistanischer Staatsangehöriger die Vaterschaft anerkannt habe. Des Weiteren sei der Antragsteller nicht in der Lage, dem Kind Unterhalt zu gewähren, da ihm eine Erwerbstätigkeit aufgrund seiner vollziehbaren Ausreisepflicht nicht gestattet sei. Überdies verfüge die Familie nicht über ausreichende Existenzmittel, da sie Leistungen nach dem SGB II beziehe.
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Am 26. März 2018 ließ der Antragsteller, der sich seit 23. März 2018 in Abschiebehaft befand, einstweiligen Rechtsschutz gegen die bevorstehende Abschiebung beantragen. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 27. März 2018 (Az.: W 7 E 18.398) wurde der Antrag abgelehnt.
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Am 28. März 2018 wurde der Antragsteller nach Pakistan abgeschoben.
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Ein Abstammungsgutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Würzburg vom 12. April 2018 ergab, dass der Antragsteller der Vater von A.S. ist.
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2. Der Antragsteller ist im Bundesgebiet mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten, unter anderem wie folgt:
„- Strafbefehl des Amtsgerichts Würzburg vom 21. März 2012, rechtskräftig seit 29. März 2013: Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen wegen vorsätzlicher Körperverletzung.“
- Urteil des Amtsgerichts Würzburg vom 8. April 2013, rechtskräftig seit 9. August 2013: Geldstrafe in Höhe von 70 Tagessätzen wegen Beleidigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zulasten der Mutter seines Sohnes. Nach der zuletzt genannten Verurteilung wurde der Antragsteller mit Schreiben vom 27. August 2013 ausländerrechtlich verwarnt.
- Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 15. November 2013, rechtskräftig seit 5. Dezember 2013: Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen wegen Erschleichens von Leistungen in drei Fällen.
- Strafbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 15. Juli 2014, rechtskräftig seit 13. August 2014: Geldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen wegen Erschleichens von Leistungen.
- Strafbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 15. Juli 2014, rechtskräftig seit 19. August 2014: Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen wegen Körperverletzung. Nach der zuletzt genannten Verurteilung wurde der Antragsteller mit Schreiben vom 14. Oktober 2014 erneut ausländerrechtlich verwarnt.
- Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 13. November 2014, rechtskräftig seit 9. Dezember 2014: Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen wegen Erschleichens von Leistungen. Mit Beschluss des Amtsgerichts Dortmund vom 12. Januar 2015 wurde unter Einbeziehung der beiden Verurteilungen vom 15. Juli 2014 eine Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen gebildet.
- Urteil des Amtsgerichts Würzburg vom 6. Oktober 2015, rechtskräftig seit 14. Oktober 2015: Vier Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen Bedrohung in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt. Am 31. März 2016 wurde die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen, der Antragsteller befand sich ab 29. Juni 2016 in Haft.
- Urteil des Amtsgerichts Würzburg vom 1. August 2017, rechtskräftig seit 19. August 2017: Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen wegen Erschleichens von Leistungen.
- Strafbefehl des Amtsgerichts Würzburg vom 1. Februar 2022, rechtskräftig seit 25. Februar 2022: Geldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (§§ 29 Abs. 1 Nr. 3, 33 BtMG).
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3. Im März 2020 reiste der Antragsteller ohne Visum über Italien erneut in das Bundesgebiet ein. Mit notarieller Urkunde vom 9. März 2020 erkannte er mit Zustimmung der Kindsmutter die Vaterschaft von A.S. an. Die Eltern erklärten, das Sorgerecht gemeinsam ausüben zu wollen.
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Mit Schreiben vom 14. April 2020 ließ der Antragsteller beim Landratsamt Würzburg die Befristung der Sperrwirkung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sowie die Ausstellung einer Aufenthaltskarte/EU, hilfsweise die Erteilung eines Aufenthaltstitels beantragen.
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Mit Schreiben vom 22. April 2020 hörte das Landratsamt den Antragsteller zur beabsichtigten Ablehnung an. Hierzu teilte der Bevollmächtigte am 9. März 2021 mit, dass der Antragsteller mittlerweile in O., Landkreis W., bei der Mutter seiner ungarischen Tochter lebe. Nach Lage der Dinge dürfte zumindest eine Duldung auszusprechen sein. Da das Kind nicht die deutsche Staatsangehörigkeit habe, könne dem Antragsteller die Nachholung des Visumverfahrens nicht empfohlen werden. Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG sei noch nie von einer deutschen Auslandsvertretung erteilt worden. Die Wartezeit bei der deutschen Botschaft in Islamabad betrage zwischen zwölf und 15 Monaten, da die Botschaft aufgrund der Pandemie überlastet sei. Dem Schreiben war eine schriftliche Erklärung der Kindsmutter beigefügt, welche die Angaben zum Umgang mit der Tochter bestätigte und außerdem mitteilte, dass der Antragsteller auch für ihre jüngere Tochter seit deren Geburt der Vater sei. Ein weiteres Schreiben der Familienpflegerin bestätigte, dass diese den Antragsteller während ihrer Anwesenheit in der Familie „8.7.2020/ 16.12.2020“ zweimal getroffen habe. Er sei jeweils mehrere Tage zu Besuch dort gewesen und habe sich liebevoll und intensiv mit beiden Kindern beschäftigt. Es habe ein vertrauensvoller Umgang geherrscht. Im Nachgang wurde die Anmeldebestätigung der Stadt O. für den Antragsteller vom 14. Juni 2021 vorgelegt.
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Mit Schreiben vom 15. November 2021 teilte das Landratsamt dem Antragstellerbevollmächtigten erneut mit, dass weder die Voraussetzungen der Freizügigkeit des Antragstellers als Familienangehöriger eines Unionsbürgers noch diejenigen einer Duldung vorlägen.
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Mit Schreiben vom 11. Februar 2022 legte der Antragstellerbevollmächtigte dem Landratsamt folgende Unterlagen der Lebensgefährtin des Antragstellers vor:
- Arbeitsvertrag vom 20. September 2021 über eine geringfügige Beschäftigung (Minijob), befristet bis 28. Februar 2022 (Angaben über Arbeitgeber und Arbeitsentgelt geschwärzt),
- Lohn- bzw. Gehaltsabrechnung für den Monat November 2021,
- Arbeitsvertrag als Kassiererin ab 1. Februar 2022 bei N., befristet bis 31. Juli 2022 (Arbeitszeit: 18,75 Stunden/Woche - entspricht 50% -, Vergütung: 1.088,00 EUR brutto).
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Mit Bescheid vom 2. März 2022 lehnte das Landratsamt Würzburg den Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte (EU) ab (Ziffer 1 des Bescheids), lehnte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sowie einer Duldung ab (Ziffer 2), forderte den Antragsteller auf, das Bundesgebiet bis spätestens 15. April 2022 bzw. für den Fall des Eintritts der aufschiebenden Wirkung innerhalb eines Monats nach Rechtskraft des Bescheides zu verlassen (Ziffer 3), drohte die Abschiebung nach Pakistan bzw. in einen anderen Staat, in den der Antragsteller einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, an (Ziffer 4) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf zwei Jahre ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 5). Des Weiteren wurden vom Antragsteller Kosten in Höhe von 195,00 EUR erhoben (Ziffer 6).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller genieße als pakistanischer Staatsangehöriger kein eigenes Freizügigkeitsrecht. Er falle auch nicht unter den Begriff des Familienangehörigen nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, da er weder mit seiner Lebensgefährtin verheiratet sei noch seiner ungarischen Tochter Unterhalt gewähre. Auch die Tochter besitze höchstens ein von ihrer Mutter abgeleitetes Freizügigkeitsrecht. Des Weiteren seien die Voraussetzungen des § 4 FreizügG/EU - das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel und ausreichenden Krankenversicherungsschutzes - nicht erfüllt. Des Weiteren könne der Antragsteller ein Freizügigkeitsrecht weder aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union, noch aus einer unmittelbaren Anwendung des Art. 20 oder 21 AEUV ableiten. Es sei der Lebensgefährtin bzw. Tochter des Antragstellers grundsätzlich zuzumuten, nach Ungarn zurückzukehren, wenn nur dort alle Familienangehörigen einen gesicherten Aufenthaltsstatus hätten. Die faktische Einschränkung der Möglichkeit, den Aufenthaltsort innerhalb der EU frei zu wählen, sei nicht mit einem erzwungenen Verlassen des Unionsgebietes zu vergleichen. Des Weiteren stehe dem Antragsteller mangels Lebensunterhaltssicherung weder ein Aufenthaltsrecht als nahestehende Person im Sinne des § 3a FreizügG/EU, noch ein anderer Aufenthaltstitel zu. Im Übrigen liege aufgrund der illegalen Einreise sowie der weiteren Straftaten des Antragstellers ein Ausweisungsinteresse im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, welches der Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegenstehe. Außerdem fehle es an der ordnungsgemäßen Durchführung des Visumverfahrens nach § 5 Abs. 2 AufenthG. Die hilfsweise beantragte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG komme ebenfalls nicht in Betracht, da es an einem rechtlichen oder faktischen Ausreisehindernis fehle. Insbesondere sei die Abschiebung des Antragstellers nicht rechtlich unmöglich. Der Antragsteller halte sich nicht lange genug im Bundesgebiet auf, um eine schützenswerte eigenständige Integration im Sinne des Art. 8 EMRK geltend machen zu können. Ein solches Abschiebungshindernis folge auch nicht aus Art. 6 GG im Hinblick auf den Aufenthalt seiner Familienangehörigen im Bundesgebiet. Der Antragsteller könne mit seinem Kind und dessen Mutter nach Ungarn gehen (wurde näher ausgeführt). Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse - des Zuzugs des Antragstellers in die Familieneinheit im Juni 2021 sowie der davor bestehenden dreijährigen räumlichen Trennung - bestehe auch kein rechtliches, wirtschaftliches oder affektives Abhängigkeitsverhältnis. Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse seien weder geltend gemacht worden, noch ersichtlich. Für die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2 Satz 2 und 3 AufenthG erscheine unter Abwägung des Ablehnungsinteresses und dem mit der Ausreise verfolgten Zweck sowie unter Beachtung der Höchstfrist von fünf Jahren nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ein Zeitraum von zwei Jahren angemessen (wurde näher ausgeführt). Auf die weiteren Gründe des Bescheides wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
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Der Bescheid wurde dem Antragstellerbevollmächtigten am 7. März 2022 zugestellt.
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4. Der Antragsteller ließ am 7. April 2022 durch seinen Bevollmächtigten Klage erheben (Az.: W 7 K 22.563), mit welcher er die Ausstellung einer Aufenthaltskarte-EU (Klageantrag zu 1), hilfsweise einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG (Klageantrag zu 2) erstrebt.
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Zugleich ließ der Antragsteller beantragen,
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Abordnung nach § 123 VwGO aufenthaltsbeendende Maßnahmen bis zur Entscheidung des Gerichtes über die Klageanträge zu Ziffern 1 und 2 zu untersagen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Bescheid des Landratsamtes verkenne, dass der Antragsteller als sorgeberechtigter Vater eines mit ihm in familiärer Gemeinschaft lebenden Unionsbürgers nicht nur im Lichte des Art. 6 GG, sondern auch im Rahmen des Aufenthaltsgesetzes-EU einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung habe. Die ungarische Lebensgefährtin und Mutter des gemeinsamen Kindes genieße aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit ein Freizügigkeitsrecht, von dessen Widerruf der Beklagte bekanntlich abgesehen habe. Im Hinblick auf die Zusicherung des Antragsgegners, von Vollstreckungsmaßnahmen bis zur gerichtlichen Entscheidung abzusehen, dürfte die Ausstellung einer Verfahrensduldung gerechtfertigt sein. Der Antragsteller sei gerne bereit, durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zum Lebensunterhalt beizutragen. Sollte der Beklagte ihm dies nicht ermöglichen, so würde es sich um einen selbstgeschaffenen Versagungsgrund handeln. Aufgrund des Freizügigkeitsrechts der Lebensgefährtin sei es dieser auch nicht zuzumuten, das Bundesgebiet zu verlassen und in Ungarn zu leben, wo sie überdies nicht über eine wirtschaftliche Grundlage verfüge. Dementsprechend könne die familienähnliche Lebensgemeinschaft des Antragstellers bis auf weiteres nur im Bundesgebiet stattfinden. Mit Schriftsatz vom 17. August 2022 ließ der Antragsteller ergänzend vortragen, dass die Lebensgefährtin als Zeugin für das Bestehen einer schützenswerten familiären Lebensgemeinschaft zur Verfügung stehe. Des Weiteren wurde auf die vorgelegten schriftlichen Bestätigungen der Lebensgefährtin, der interdisziplinären Frühförderungsstelle W., des Kindergartens sowie des Wohnungsgebers verwiesen.
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5. Der Antragsgegner beantragt,
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Zur Begründung wurde auf die Gründe des Bescheides vom 2. März 2022 verwiesen und ergänzend im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller kein Recht auf Freizügigkeit genieße, da dieser kein Unionsbürger und auch kein Familienangehöriger sei. Die Tochter des Antragstellers sei ungarische Staatsangehörige. Dem drittstaatsangehörigen Elternteil eines Kindes, das die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates besitzt, könne ein vom Kind abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht aus Art. 21 AEUV auch nur zustehen, wenn das Kind ein eigenes und nicht nur vom anderen Elternteil abgeleitetes Freizügigkeitsrecht im Aufnahmemitgliedstaat habe (mit Verweis auf BVerwG, U.v. 20.9.2020 - 1 C 27.19). Ein eigenes Aufenthaltsrecht des Kindes bestehe nur, wenn ausreichende Existenzmittel zur Verfügung stünden (mit Verweis auf Art. 7 Abs. 1b) der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG). Dies sei vorliegend nicht ausreichend vorgetragen. Es sei daher davon auszugehen, dass das Kind kein eigenes Freizügigkeitsrecht innehabe. Des Weiteren müsse der drittstaatsangehörige Elternteil in dieser Fallkonstellation auch tatsächlich für das Kind sorgen. Auch diese Tatbestandsvoraussetzung sei aus dem bisherigen Sachvortrag augenscheinlich nicht erfüllt. Der Antragsteller könne auch kein anderes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht geltend machen und unterfalle somit nicht dem Anwendungsbereich des Freizügigkeitsgesetzes/EU. Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG seien nicht erfüllt. Abschließend komme auch die neu in das Verfahren eingeführte Verfahrensduldung nicht in Betracht, da die hierfür von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen ersichtlich nicht gegeben seien. Dem Antragsteller sei nicht bereits dann im Sinne eines Bestandsschutzes ein Verfahrensduldungsanspruch zuzuerkennen, wenn er die Anspruchsvoraussetzungen der beantragten Rechtsgrundlagen irgendwann einmal in der Vergangenheit erfüllt habe bzw. gegebenenfalls in Zukunft erfüllen könnte. Da entsprechende Duldungsgründe derzeit nicht vorlägen, komme auch eine Verfahrensduldung nicht in Betracht.
31
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
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Der Antrag, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufenthaltsbeendende Maßnahmen bis zur gerichtlichen Entscheidung über die Klage des Antragstellers zu untersagen, ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
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1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Sicherungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO statthaft. Da der Antrag gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO auch vor Klageerhebung statthaft ist, ist im Hinblick auf den geltend gemachten Anspruch auf Verfahrensduldung unschädlich, dass der Antragsteller in der Hauptsache mit seinen angekündigten Klageanträgen nicht hilfsweise die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erstrebt. Da er mit der fristgerecht erhobenen Klage (§ 74 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VwGO) die Aufhebung des Bescheides vom 2. März 2022 insgesamt beantragt, ist die Ablehnung der Aufenthaltserlaubniserteilung unter der Ziffer 2 des Bescheides nicht bestandskräftig geworden und steht somit der Zulässigkeit des Eilantrags insoweit nicht entgegen.
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2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
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Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Im Hinblick auf die durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Garantie effektiven Rechtsschutzes ist der Antrag begründet, wenn der geltend gemachte Anspruch hinreichend wahrscheinlich ist (Anordnungsanspruch) und es dem Antragsteller schlechthin unzumutbar ist, das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund). Die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs sowie des Anordnungsgrundes sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen.
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Gemessen daran steht dem Antragsteller kein Anordnungsanspruch zu. Der Antragsteller ist unerlaubt eingereist und damit vollziehbar ausreisepflichtig gemäß §§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 AufenthG. Seine Abschiebung ist auch nicht nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG auszusetzen. Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange diese aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zum einen ist die Abschiebung des Antragstellers nicht tatsächlich unmöglich. Tatsächlich unmöglich im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AufenthG ist die Abschiebung, wenn sie aus objektiven oder in der Person des Ausländers liegenden Gründen (aktuell) nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand durchführbar ist (Röder in Decker/Bader/Kothe, Migrations- und Integrationsrecht, Stand 15.7.2022, AufenthG § 60a Rn. 23). Dafür sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, insbesondere liegt für den Antragsteller ein bis 12. September 2023 gültiger Reisepass vor (Bl. 1781 d.A.). Zum anderen ist die Abschiebung des Antragstellers auch nicht rechtlich unmöglich. Rechtlich unmöglich ist die Abschiebung, wenn sich im Verhältnis zum Ausländer aus einfachem Gesetzesrecht oder aus Unions-, Verfassungs- bzw. Völkerrecht ein zwingendes Abschiebungsverbot ergibt (Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 60a Rn. 24; Röder in Decker/Bader/Kothe, Migrations- und Integrationsrecht, Stand 15.7.2022, AufenthG § 60a Rn. 32). Dies ist hier nicht der Fall:
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a) Die Abschiebung ist nicht wegen eines Freizügigkeitsrechtes des Antragstellers als Familienangehöriger einer Unionsbürgerin, abgeleitet von seiner Tochter, welches ihm gemäß § 2 Abs. 1 FreizügG/EU - bei Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen - das Recht auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet garantieren würde, rechtlich unmöglich im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
38
Der Antragsteller ist bereits kein Familienangehöriger einer Unionsbürgerin im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 3 FreizügG/EU. Für den Status des freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen muss der Antragsteller als Drittstaatsangehöriger die Merkmale des Familienangehörigen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 FreizügG/EU erfüllen. Denn bei drittstaatsangehörigen Familienangehörigen fallen Anwendungsbereich und Recht auf Einreise und Aufenthalt gemäß § 2 Abs. 1 i.V.m. § 3 FreizügG/EU zusammen (BVerwG, U.v. 25.10.2017 - 1 C 34.16 - juris Rn. 12 ff.). Der Antragsteller erfüllt jedoch nicht die Voraussetzungen eines Familienangehörigen gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 c) FreizügG/EU. Zum einen findet die Vorschrift keine direkte Anwendung, weil die Tochter dem Antragsteller als ihrem Verwandten in gerader aufsteigender Linie keinen Unterhalt gewährt. Auch eine analoge Anwendung des § 1 Abs. 2 Nr. 3 c) FreizügG/EU kommt nicht in Betracht, da der Antragsteller seiner Tochter keinen Unterhalt gewährt (vgl. EuGH, U.v. 10.10.2013 - Alokpa, C-86/12 - juris Rn. 25 ff. m.V.a. U.v. 19.10.2004 - Zhu und Chen, C-200/02 - Slg. 2004, I-9925, Rn. 28, 30). Es ist jedoch weder dargelegt, dass der Antragsteller seiner Tochter tatsächlich Unterhalt gewährt, noch woher die dafür erforderlichen Mittel stammen sollten, denn im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist der Antragsteller nicht erwerbstätig. Der lapidare Hinweis des Antragstellers, er sei bereit, durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zum Lebensunterhalt beizutragen, genügt hierfür nicht. Vielmehr ist weder ersichtlich, noch vom Antragsteller dargelegt, dass er sich tatsächlich und nachhaltig um die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bemüht hätte, ihm diese aber von dem Antragsgegner untersagt worden wäre (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.2020 - 1 C 27.19 - juris Rn. 32). Von seiner ungarischen Lebensgefährtin kann der Antragsteller keine Freizügigkeit ableiten, weil auch insoweit der Begriff des Familienangehörigen nicht einschlägig ist (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU).
39
Des Weiteren ist auch die Freizügigkeitsberechtigung der Tochter aus eigenem Recht zweifelhaft, weshalb diese dem Antragsteller - selbst bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 c) FreizügG/EU - nicht den Status eines freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen vermitteln könnte. Zwar ist die Tochter des Antragstellers als ungarische Staatsangehörige Unionsbürgerin im Sinne des Art. 20 Abs. 1 Satz 2 AEUV. Ihr steht mithin vom Ansatz her das nach Art. 21 Abs. 1 AEUV unmittelbar garantierte Freizügigkeitsrecht zu, welches in § 2 Abs. 1 FreizügG/EU lediglich deklaratorisch bestätigt wird (Kluth/Heusch, Ausländerrecht, FreizügG/EU, § 2 Rn. 9). Dieses Recht steht allerdings unter dem Vorbehalt der in Art. 21 Abs. 1 AEUV vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen, welche durch die RL 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (sowie zur Änderung verschiedener unionsrechtlicher Vorschriften) - Unionsbürgerrichtlinie bzw. Freizügigkeitsrichtlinie - (ABl. L 158, S. 77; ber. ABl. L 229, S. 35) konkretisiert werden, die ihrerseits durch das Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU - gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV im deutschen Recht umgesetzt wird. Nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU steht Unionsbürgern - welche kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU erworben haben - das Recht auf Einreise in das und Aufenthalt im Bundesgebiet unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 und 3 sowie des § 4 FreizügG/EU zu.
40
Vorliegend ist schon nicht dargelegt, dass die Tochter des Antragstellers im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aus eigenem Recht als nicht erwerbstätige Unionsbürgerin nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt ist. Dies würde voraussetzen, dass für sie und alle Familienangehörigen, welche zu der Bedarfsgemeinschaft gehören, ausreichende Existenzmittel im Sinne des § 4 FreizügG/EU vorhanden sind. Für den Zeitraum nach dem 31. Juli 2022 ist schon nicht glaubhaft gemacht worden, dass die Mutter der Tochter des Antragstellers noch erwerbstätig oder bei fehlender Erwerbstätigkeit nachweislich arbeitssuchend im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1a, Abs. 3 FreizügG/EU ist. Der vorgelegte Arbeitsvertrag hat mit Ablauf des 31. Juli 2022 geendet, eine Verlängerung wurde weder dargelegt, noch glaubhaft gemacht. Selbst für den Fall, dass dieser Arbeitsvertrag zu den bisherigen Konditionen verlängert worden sein sollte, ist von dem Antragsteller - den insoweit die materielle Beweislast trifft - weder schlüssig vorgetragen, noch glaubhaft gemacht worden, dass der Bedarfsgemeinschaft ausreichende Existenzmittel zur Verfügung stehen. Ausweislich des Arbeitsvertrags vom 1. Februar 2022 beträgt die Vergütung für die Teilzeitbeschäftigung 1.088,00 EUR brutto (entspricht ca. 872,85 EUR netto, vgl. https://www.hartziv.org/hartz-iv-rechner/, abgerufen am 4.10.2022). Bei Anrechnung dieser Einkünfte stünde der Bedarfsgemeinschaft, welche aus dem Antragsteller - der keiner Erwerbstätigkeit nachgeht -, seiner Tochter sowie deren Mutter und Halbschwester besteht, ohne Berücksichtigung der - nicht bezifferten - Wohnungsmiete und Nebenkosten sowie unter Anrechnung des Kindergeldes noch ein Anspruch auf ALG II zwischen 231,00 EUR (vgl. https://www.caritasnet.de/alg2/rechner/, abgerufen am 4.10.2022) bzw. 382,80 EUR (vgl. https://www.hartziv.org/hartz-iv-rechner/, abgerufen am 4.10.2022) zu. Ob daneben noch der Minijob ausgeübt wird, ist nicht bekannt. Angemessene Existenzmittel sind jedoch nur solche, welche nicht zu einer unverhältnismäßigen Inanspruchnahme von nicht beitragsabhängigen öffentlichen Leistungen führen. Offen bleibt in diesem Zusammenhang auch, ob und inwieweit Unterhaltsleistungen des Vaters des zweiten Kindes der Lebensgefährtin des Antragstellers zum Familieneinkommen beitragen. Des Weiteren ist weder dargelegt noch glaubhaft gemacht worden, dass ausreichender Krankenversicherungsschutz der Tochter des Antragstellers - und des Antragstellers selbst - gemäß § 4 FreizügG/EU vorliegt.
41
Offenbleiben kann des Weiteren, ob der Tochter des Antragstellers im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt ein von ihrer Mutter abgeleitetes Freizügigkeitsrecht als Familienangehörige einer daueraufenthaltsberechtigten Unionsbürgerin nach Maßgabe der §§ 1 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 3 c), 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. §§ 3 Abs. 1 und 4 FreizügG/EU zusteht. Es ist weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich, dass bei der Mutter des Kindes (und Lebensgefährtin des Antragstellers) die Voraussetzungen eines Daueraufenthaltsrechtes nach § 4a FreizügG/EU vorliegen, welches einen mindestens fünfjährigen ständigen und rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzte. Wie lange sich die Mutter schon ständig im Bundesgebiet aufhält und ob sie während des erforderlichen Zeitraums von fünf Jahren durchgehend entweder als Arbeitnehmerin bzw. als (nachweislich) Arbeitsuchende die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 1, 1a, Abs. 3 FreizügG/EU bzw. als nicht erwerbstätige Person die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU (insbesondere Vorhandensein ausreichender Existenzmittel und Krankenversicherungsschutzes, s.o.) erfüllt hätte, lässt sich bei summarischer Prüfung nicht feststellen. Gegen das Vorliegen dieser Voraussetzungen spricht aber der Umstand, dass die Lebensgefährtin des Antragstellers und Mutter seines Kindes - nach Aktenlage - jedenfalls bis zur Aufnahme des Minijobs ab 20. September 2021 Leistungen nach dem SGB II bezog, welche keine ausreichenden Existenzmittel im Sinne von § 4 FreizügG/EU i.V.m. Art. 7 Abs. 1 b) RL 2004/38/EG darstellen. Letztlich können diese Fragen aber offenbleiben, da die Tochter des Antragstellers als Familienangehörige ihrer Mutter dem Antragsteller als drittstaatsangehörigem Familienangehörigen - wenn die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 c) FreizügG/EU vorlägen - kein Freizügigkeitsrecht vermitteln könnte. Denn ein drittstaatsangehöriger Familienangehöriger kann das Recht auf Einreise und Aufenthalt gemäß § 2 Abs. 1 FreizügG/EU nur von einem aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger, nicht aber von einem ggf. selbst abgeleitet freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen ableiten (BVerwG, U.v. 23.9.2020 - 1 C 27.19 - juris Rn. 27 m.w.N.). Eine mittelbare Ableitung im Sinne einer Ableitungskette von der Lebensgefährtin über die gemeinsame Tochter zum Antragsteller ist demnach ausgeschlossen, weil das Freizügigkeitsrecht als Familienangehöriger nur über eine unmittelbare Rechtsbeziehung der Person, die das abgeleitete Recht beansprucht, mit einem aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger im Sinne des § 2 Abs. 1, 2 FreizügG/EU vermittelt werden kann.
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Des Weiteren kann der Antragsteller auch kein eigenes Freizügigkeitsrecht aus dem Kernbestand der Unionsbürgerschaft seiner Tochter gemäß Art. 20 AEUV ableiten. Ein Anspruch auf Verleihung eines abgeleiteten Aufenthaltsrechtes kann sich aus dem Kernbestand der Unionsbürgerschaft für den Fall ergeben, dass dem Aufenthaltsrecht eines minderjährigen Unionsbürgers jede praktische Wirksamkeit genommen würde, weil dem Elternteil, der für diesen minderjährigen Unionsbürger tatsächlich sorgt, nicht erlaubt wird, sich mit dem Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat aufzuhalten. Dahinter steht die Überlegung, dass der Genuss des Aufenthaltsrechts durch ein minderjähriges Kind - jedenfalls im Kleinkindalter - notwendigerweise voraussetzt, dass sich die für das Kind tatsächlich sorgende Person bei ihm aufhalten darf. Dem drittstaatsangehörigen Elternteil, der tatsächlich für das Kind mit Unionsbürgerstatus sorgt, muss somit der Aufenthalt im Aufnahmestaat ermöglicht werden, weil das Kind für seinen Aufenthalt auf die Personensorge und Unterhaltsgewährung des drittstaatsangehörigen Elternteils angewiesen ist (EuGH, U.v. 10.5.2017 - C-133/15 - juris Rn. 72; U.v. 10.10.2013 - Alokpa, C-86/12 - juris Rn. 25 ff. m.V.a. U.v. 19.10.2004 - Zhu und Chen, C-200/02 - Slg. 2004, I-9925, Rn. 46 und 47 und U.v. 8.11.2012 - Iida, C-40/11 - juris Rn. 55; BayVGH, U.v. 25.5.2019 - 10 BV 18.281 - juris Rn. 24; Tewocht in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, Stand 1.7.2021, FreizügG/EU, § 1 Rn. 49 ff.). Vorliegend ist jedoch, wie ausgeführt, schon nicht ersichtlich, dass der Antragsteller seiner Tochter Unterhalt gewährt. Des Weiteren ist auch nicht substantiiert dargelegt, dass der andere Elternteil - hier die Kindsmutter und Lebensgefährtin des Antragstellers - als Unionsbürgerin nicht in der Lage und bereit ist, die Personensorge für das Kind allein wahrzunehmen, auch wenn diesem Gesichtspunkt nicht allein eine ausschlaggebende Bedeutung zukommt (EuGH, U.v. 10.5.2017 - C-133/15 - juris Rn. 72). Im Übrigen würde es wohl nicht ausreichen, dass die Tochter als Unionsbürgerin faktisch gezwungen wäre, den Aufnahmestaat Deutschland zu verlassen bzw. auf den Umgang mit dem Antragsteller in diesem Mitgliedstaat zu verzichten. Denn der Kernbestand der Unionsbürgerschaft wird erst dann beeinträchtigt, wenn der Unionsbürger aufgrund der beschriebenen Umstände gezwungen wäre, das Unionsgebiet als Ganzes zu verlassen (EuGH, U.v. 10.5.2017 - C-133/15, a.a.O.). Für eine Beeinträchtigung des Kernbestandes der Unionsbürgerschaft der Tochter des Antragstellers infolge seiner Aufenthaltsbeendigung fehlt es somit an jeglichem Anhaltspunkt.
43
b) Der Antragsteller kann ein rechtliches Abschiebungshindernis auch nicht aus einem Aufenthaltsrecht für nahestehende Personen nach § 3a FreizügG/EU ableiten, weil ihm ein solches Recht nicht zusteht. Dieses Recht kann einer nahestehenden Person eines Unionsbürgers im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 4 FreizügG/EU auf Antrag verliehen werden, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3a Abs. 1 FreizügG/EU vorliegen und der Aufenthalt der nahestehenden Person im Sinne des § 3a Abs. 2 FreizügG/EU unter Berücksichtigung ihrer Beziehung zu dem Unionsbürger sowie der weiteren zu berücksichtigenden Umstände erforderlich ist. Abgesehen davon, dass kein auf die Verleihung eines solchen Aufenthaltsrechtes gerichteter Antrag vorliegt, wäre es dem Antragsteller bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 3a Abs. 1 FreizügG/EU aber zumutbar, das Visumsverfahren nachzuholen (vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen unter c)), von welchem drittstaatsangehörige Familienangehörige nach § 2 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU i.V.m. § 5 Abs. 2 AufenthG gerade nicht befreit sind.
44
c) Ein Anordnungsanspruch liegt auch nicht in Gestalt eines Anspruchs auf eine sogenannte Verfahrensduldung (bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis) vor.
45
Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Wertung in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG, wonach ein verfahrensbezogenes Bleiberecht in Form einer Erlaubnis- bzw. Duldungs- oder Fortgeltungsfiktion nur für den Fall eines rechtmäßigen Aufenthalts vorgesehen ist, kann allein daraus, dass der Ausländer einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geltend macht und diesen im Bundesgebiet durchsetzen will, grundsätzlich kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis folgen, dem durch Aussetzung der Abschiebung für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens Rechnung zu tragen ist (NdsOVG, B.v. 22.8.2017 - 13 ME 213/17 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 27.11.2018 - 19 CE 17.550 - juris Rn. 30). Dem in § 81 Abs. 3, 4 AufenthG zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Anliegen und der Gesetzessystematik widerspräche es, wenn ein Ausländer für die Dauer eines jeden (anderen) Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens die Aussetzung der Abschiebung beanspruchen könnte (BayVGH, B.v. 27.11.2018 - 19 CE 17.550 - juris Rn. 30). Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat vorliegend keine Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 4 AufenthG. Der Antragsteller hat daher grundsätzlich auch für die Dauer des gerichtlichen Verfahrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis keinen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung.
46
Ausnahmsweise kann jedoch zur Gewährleistung effektiven Rechtschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG die Aussetzung einer Abschiebung geboten sein, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens aufrecht zu erhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zu Gute kommen kann (NdsOVG, B.v. 22.8.2017 - 13 ME 213/17 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 27.11.2018 - 19 CE 17.550 - juris Rn. 31). Je besser insoweit die Erfolgsaussichten sind, desto eher werden die Voraussetzungen für eine Verfahrensduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG oder zumindest nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG erfüllt sein (BVerwG, U.v. 18.12.2019 - 1 C 34.18 - juris Rn. 30). Ein solcher Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung besteht für den Antragsteller jedoch nach summarischer Prüfung nicht.
47
Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft (Aufenthalt aus familiären Gründen) nach den §§ 27 ff. AufenthG kommt für den Antragsteller nicht in Betracht. Insbesondere ergibt sich ein solcher Anspruch nicht aus §§ 27, 29, 30 Abs. 1 Nr. 3 c) AufenthG.
48
Ob die besonderen Erteilungsvoraussetzungen vorliegen, kann hier offenbleiben. Denn es fehlt an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum, § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, welche dem Antragsteller auch entgegengehalten werden kann, soweit er in den Anwendungsbereich des FreizügG/EU fällt (§ 2 Abs. 4 Satz 2 FreizügG/EU). Zwar könnte gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG von dieser allgemeinen Erteilungsvoraussetzung abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumsverfahren nachzuholen. Dabei handelt es sich jedoch um eine Ermessensvorschrift. Eine Reduzierung des Ermessens im vorliegenden Einzelfall „auf Null“ ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist es dem Antragsteller - wie noch auszuführen sein wird - zumutbar, das Visumsverfahren nachzuholen.
49
Unabhängig davon fehlt es auch an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, weil der Antragsteller aufgrund seiner vielfachen Straftaten Ausweisungsinteressen (zumindest) im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG erfüllt.
50
Auch aus §§ 27, 29, 36 Abs. 1 AufenthG kann der Antragsteller keinen zu sichernden Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung herleiten, weil die Tochter des Antragstellers nicht über eine Aufenthaltserlaubnis nach den in § 36 Abs. 1 AufenthG genannten Rechtsgrundlagen verfügt.
51
Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Auffangregelung gemäß §§ 29 Abs. 1, 36 Abs. 2 AufenthG, die - ungeachtet des § 36 Abs. 1 AufenthG - auf einen Elternteil wie den Antragsteller anwendbar ist (BVerwG, B.v. 4.7.2019 - 1 B 26.19 - juris Rn. 8 a.E.; OVG Berlin-Bbg, U.v. 5.12.2018 - OVG 3 B 8.18 - juris Rn. 21 ff.), ist ebenfalls wegen des Vorliegens von Ausweisungsinteressen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG sowie mangels Einreise ohne das erforderliche Visum nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ausgeschlossen.
52
Auch aus § 25 Abs. 5 AufenthG kann der Antragsteller keinen zu sichernden Anspruch auf Erteilung einer Verfahrensduldung herleiten, weil auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Ausreise hier nicht in Betracht kommt. Es fehlt vorliegend bereits an den besonderen Erteilungsvoraussetzungen, denn eine (freiwillige) Ausreise des vollziehbar ausreisepflichtigen Antragstellers stellt sich nicht im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen (oder tatsächlichen) Gründen als unmöglich dar. Es ist mit dem verfassungs- bzw. konventionsrechtlichen Schutz der Familie nach Art. 6 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK im vorliegenden Fall vereinbar, den Antragsteller selbst angesichts etwaiger „einfachrechtlicher Ungewissheiten“ (vgl. BVerfG, B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - juris Rn. 50) auf die Einholung des erforderlichen Visums zu verweisen. Eine insoweit zutage getretene fehlende Bereitschaft zur Mitwirkung in einem Visumsverfahren und dadurch bedingte längere Wartezeiten bei der Deutschen Auslandsvertretung in Pakistan, die zwangsläufig auch eine längere Trennungszeit zwischen Vater und Kind bedeuten würden (vgl. zu der auch insoweit erforderlichen gültigen Prognose und der damit verbundenen Annahme der Zumutbarkeit einer Ausreise: BVerfG, B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - juris Rn. 64), ginge angesichts des gesetzlichen Ausschlussgrundes gemäß § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG zulasten des Antragstellers (vgl. die nachfolgenden Ausführungen). Des Weiteren fehlt es an den auch für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG grundsätzlich erforderlichen (BVerwG, U.v. 19.4.2011 - 1 C 3.10 - juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 30.7.2021 - 19 ZB 21.738 - juris Rn. 10) allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG.
53
Ein Absehen von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Nachholung des Visumverfahrens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Wege einer Ermessenreduzierung auf Null kommt vorliegend nicht in Betracht, da die tatsächlichen Voraussetzungen einer Unzumutbarkeit nicht glaubhaft gemacht sind. Denn grundsätzlich kann bei einer Einreise ohne das erforderliche Visum einstweiliger Rechtsschutz nur dann gewährt werden, wenn keine Zweifel am Anspruch auf die Titelerteilung oder an der Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumsverfahrens bestehen und keine tragfähigen Ermessensgesichtspunkte ersichtlich sind, die eine Ablehnung rechtfertigen können (BayVGH, B.v. 16.3.2020 - 10 CE 20.326 - juris Rn. 18; VGH BW, B.v. 20.9.2018 - 11 S 1973/18 - juris Rn. 21). Auch unter Berücksichtigung etwaiger Schutzwirkungen aufgrund von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK ergibt sich vorliegend nicht, dass gemäß § 5 Abs. 2 Alt. 2 AufenthG vom Erfordernis des Sichtvermerkverfahrens abzusehen ist (vgl. die nachfolgenden Ausführungen unter d)).
54
d) Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf die beantragte Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz der Familie nach Art. 6 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK.
55
Ein rechtliches Abschiebungshindernis besteht nicht aufgrund der familiären bzw. familienähnlichen Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller, seiner Tochter und deren Mutter sowie Halbschwester und der von beiden Elternteilen ausgeübten elterlichen Sorge.
56
Ausgehend davon, dass Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Einreise und Aufenthalt zwecks Nachzugs zu bereits im Bundesgebiet lebenden Angehörigen bietet, ist es mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG grundsätzlich vereinbar, einen Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen. Der Verfassungsrang von Art. 6 GG vermag nicht aus sich heraus die im Aufenthaltsgesetz vorgesehene Einhaltung des Visumverfahrens nach § 5 Abs. 2 AufenthG auszuhebeln. Das Visumverfahren bietet Gelegenheit, die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen zu überprüfen. Das Aufenthaltsgesetz trägt dabei dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Rechnung, indem es unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Einzelfall erlaubt, von dem grundsätzlichen Visumserfordernis (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) abzusehen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in das Bundesgebiet begehrt, regelmäßig hinzunehmen (vgl. BVerfG, zuletzt B.v. 9.12.2021, a.a.O. Rn. 47 m.w.N.).
57
Eine pflichtwidrige Verweigerung jeglicher Mitwirkung im Visumverfahren und dadurch bedingte längere Wartezeiten bei der deutschen Auslandsvertretung in Pakistan, die zwangsläufig auch eine längere Trennungszeit zwischen Vater und Kind bedeuten würden (vgl. BVerfG, B.v. 9.12.2021, a.a.O., Rn. 56 ff.), hat dabei angesichts des klaren und eindeutigen gesetzlichen Ausschlussgrundes nach § 25 Abs. 5 Sätze 3 und 4 AufenthG - wonach eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden darf, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist und ein Verschulden insbesondere u.a. anzunehmen ist, wenn er zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt - zulasten des Antragstellers zu gehen (vgl. BayVGH, U.v. 7.12.2021 - 10 BV 21.1821 - juris Rn. 23).
58
Was die sich aus Art. 6 GG ergebenden aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen angeht (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 17 ff. m.w.N.), ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (BVerfG, B.v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 16). Die Schutzwirkungen entfaltet Art. 6 GG nicht schon aufgrund formal-rechtlicher familiärer Bindungen; entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (BVerfG, B.v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 - juris Rn. 87). Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei ist grundsätzlich eine umfassende Betrachtung geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (BVerfG, B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 12 m.w.N.).
59
Zur Beurteilung der Zumutbarkeit der Trennung des betroffenen Ausländers von seiner Familie infolge der - grundsätzlich zumutbaren - Nachholung des Visumsverfahrens bedarf es von Verfassungs wegen einer Begründung, warum insofern eine lediglich vorübergehende und keine dauerhafte Trennung in Aussicht steht (BVerfG, B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - juris LS 2c). Eine auch nur vorübergehende Trennung kann nicht als zumutbar angesehen werden, wenn das Gericht keine Vorstellung davon entwickelt, welchen Trennungszeitraum es für zumutbar erachtet. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (BVerfG, B.v. 22.12.2021 - 2 BvR 1432/21 - juris Rn. 44; B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - juris Rn. 48; B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 33). Einfachrechtliche Unwägbarkeiten bzw. Ungewissheiten über den Ausgang des Visumverfahrens (im vom BVerfG a.a.O. entschiedenen Fall die „hohen Hürden“ nach § 36 Abs. 2 AufenthG) müssen Eingang in die vom Gericht anzustellende Prognose finden (BVerfG, B.v. 22.12.2021 - 2 BvR 1432/21 - juris Rn. 51; B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - juris Rn. 53).
60
In den Blick zu nehmen ist, wie lange ein Visumverfahren bei korrekter Sachbehandlung und gegebenenfalls unter Zuhilfenahme einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO voraussichtlich dauern würde und welche Auswirkungen ein derartiger Auslandaufenthalt des Ausländers für die Familie hätte (BVerwG, U.v. 30.7.2013 - 1 C 15/12 - juris). Diesbezüglich muss die Dauer des Visumverfahrens absehbar und insbesondere auch geklärt sein, ob die grundsätzliche Möglichkeit zum Familiennachzug besteht (BayVGH, U.v. 7.12.2021 - 10 BV 21.1821 - Rn. 40 m.w.N.; OVG SH, B.v. 3.1.2022 - 4 MB 68/21 - juris). Bei dieser Prognose sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts neben „einfachrechtlichen Unsicherheiten“ (bezogen auf den in Betracht kommenden familiären Aufenthaltstitel) eine eventuell fehlende Mitwirkung des Betroffenen im Visumverfahren ebenso zu berücksichtigen (BVerfG, B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - juris Rn. 52 ff.). Eine fehlende Mitwirkung kann daher auch längere Wartezeiten rechtfertigen. Zudem würde es die Erkenntnisfähigkeit von Behörden und Gerichten überfordern, bei der Prognose über die Dauer des Visumverfahrens und der damit verbundenen Trennung des Ausländers von seinem in Deutschland aufenthaltsberechtigten Kind eine präzise Vorstellung davon zu entwickeln, mit welcher Trennungszeit tatsächlich im Falle der Duldungsversagung zu rechnen wäre, wenn der Ausländer nicht das in seiner Sphäre Liegende beiträgt, um das Verfahren zu betreiben und zu einem zeitnahen Abschluss zu bringen (BVerfG, B.v. 9.12.2021, a.a.O. Rn. 59). Der Ausländer hat es dabei durch die Gestaltung seiner Ausreise selbst in der Hand, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer seiner Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, indem er beispielsweise - unter Mitwirkung der zuständigen Ausländerbehörde - deren Vorabzustimmung nach § 31 Abs. 3 AufenthV einholt (BayVGH, B.v. 19.6.2018 - 10 CE 18.993 - juris Rn. 5).
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Nach diesen Maßgaben ist es im vorliegenden Fall mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Familie nach Art. 6 GG (bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK) vereinbar, den Antragsteller selbst „angesichts der bestehenden einfachrechtlichen Ungewissheiten“ (vgl. dazu BVerfG, B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - juris Rn. 50) auf die Einholung des erforderlichen Visums zu verweisen.
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Das Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft führt ebenso wenig wie der Umstand, dass ein kleines Kind betroffen ist, regelmäßig dazu, von der Unzumutbarkeit der Einhaltung des Visumverfahrens auszugehen, da es im Verantwortungsbereich des Ausländers liegt, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten (BayVGH, B.v. 3.9.2019 - 10 C 19.1700 - juris Rn. 5 m.w.N.; B.v. 19.6.2018 - 10 CE 18.994 - juris Rn. 5). Im Hinblick auf die bestehende familiäre Lebensgemeinschaft ist von der grundsätzlichen Möglichkeit eines Familiennachzugs auszugehen und die zu prognostizierende Dauer des Visumverfahrens erweist sich als absehbar.
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Nur wenn die grundsätzlich bestehende Möglichkeit zum Familiennachzug geklärt ist, kann abgeschätzt werden, wann der Antragsteller im Falle einer Ausreise mit einer Rückkehr nach Deutschland rechnen kann.
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Vorliegend kommt ein Aufenthaltstitel aufgrund der Auffangnorm § 36 Abs. 2 AufenthG in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 30.7.2013 - 1 C 15.12 - juris Rn. 13: spezifische Angewiesenheit auf familiäre Hilfe in Deutschland, wobei erneut auf die o.g. Rechtsprechung hinzuweisen ist, wonach der Erziehungsbeitrag eines Elternteiles nicht durch denjenigen des jeweils anderen Elternteils ersetzt werden kann). Der Vortrag des Antragstellers, dass eine deutsche Auslandsvertretung keinen Aufenthaltstitel gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG erteilen werde, geht damit fehl. Soweit der Antragsteller unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - juris) auf die Unwägbarkeiten des Visumverfahrens und die fehlende Bindung der Auslandsvertretung an eine etwaige Vorabzustimmung hinweist, ist davon auszugehen, dass es mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Familie selbst „angesichts der bestehenden einfachrechtlichen Ungewissheiten“ vereinbar ist, ihn auf die Einholung des Visums zu verweisen. Hinsichtlich der „hohen Hürden“ (vgl. BVerfG, B.v. 9.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - Rn. 53) der Erteilung eines Visums nach § 36 Abs. 2 AufenthG ist zu berücksichtigen, dass eine außergewöhnliche Härte in diesem Sinne grundsätzlich voraussetzt, dass der schutzbedürftige Familienangehörige ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe dringend angewiesen ist, und dass diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann (BVerwG, U.v. 30.7.2013 - 1 C 15/12 - BVerwGE 147, 278-292, Rn. 12). Diese besonderen Schutzwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und deren hohes Gewicht sind von den zuständigen Behörden und Verwaltungsgerichten bei der Auslegung und Anwendung von § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
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Soweit in die Prognose der grundsätzlichen Möglichkeit eines Familiennachzugs einzustellen sein sollte, dass der Antragsteller ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG verwirklicht hat und ihm damit das Fehlen der negativen Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegengehalten werden könnte, so kann nach der Auffassung der Kammer entsprechend den oben dargelegten Grundsätzen davon ausgegangen werden, dass die deutsche Auslandsvertretung ihr nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eröffnetes Ermessen im Einklang mit den Grundrechten aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK ausüben würde.
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Ausgehend von der grundsätzlichen Möglichkeit eines Familiennachzugs ergibt die im Einzelfall anzustellende Prognose über die Dauer der Abwesenheit des Antragstellers von seiner Tochter und deren Mutter sowie die Halbschwester das Erfordernis einer Trennung, die unter Berücksichtigung der Mitwirkungsverweigerung in zeitlicher Hinsicht mit den sich aus Art. 6 GG ergebenden aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen vereinbar ist. Die Durchführung des Visumverfahrens würde keinen unangemessen langen Zeitraum in Anspruch nehmen und es ist sowohl dem Antragsteller als auch seinen Angehörigen möglich und zumutbar, dazu beizutragen, den Trennungszeitraum durch entsprechende Mitwirkung zu minimieren und diesen überschaubaren Zeitraum durch entsprechende vorbereitende Maßnahmen zu überbrücken.
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Bei der anzustellenden Prognose ist in erster Linie von der Auskunft der zuständigen Visastelle der Deutschen Botschaft Islamabad vom 7. Juni 2021 auszugehen. Danach dauert das Verfahren, sofern die pakistanischen Personenstandsurkunden bereits geprüft wurden und keine Zweifel an der Identität aufkommen, etwa zwei Wochen. Wenn die Urkunden keinen Überprüfungsstempel tragen, müssten vier bis fünf Monate Überprüfungsdauer eingerechnet werden. Sei die Vorabzustimmung bis dahin zeitlich abgelaufen, müsse die Behörde noch einmal beteiligt werden. Weiter wird auf (pandemiebedingte) Einschränkungen im Flugverkehr zum Zeitpunkt der Auskunft hingewiesen.
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Für den Antragsteller liegt ein gültiger Reisepass vor. Mithin dürfte es sich beim Antragsteller nicht um einen Fall der „Spätbeurkundung“ handeln; auf eventuelle Hürden einer etwaig durchzuführenden Registerkorrektur wird es im vorliegenden Verfahren daher nicht ankommen. Derartiges hatte Antragsteller auch nicht vorgetragen. Selbst die ggf. zu veranschlagende Bearbeitungszeit von vier bis fünf Monaten für die Urkundenüberprüfung würde aber nicht zur Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens führen, wie noch auszuführen sein wird.
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Selbst wenn die Bearbeitungszeit für ein Visum zur Familienzusammenführung entsprechend den Angaben im Internetauftritt der Botschaft Islamabad aufgrund der notwendigen Urkundenüberprüfung derzeit mindestens zwölf Monate beanspruchen sollte (https://pakistan.diplo.de/pk-de/service/-/2370756, abgerufen am 4.10.2022) und bis zum Eingang einer Terminmail mit Wartezeiten von mindestens einem Jahr zu rechnen ist, ist zu berücksichtigen, dass diese zeitliche Verzögerung maßgeblich aus der fehlenden Mitwirkung des Antragstellers und seinem Unterlassen resultiert, sich vorab um einen Termin bei der Deutschen Botschaft zu bemühen. Bei entsprechender Bereitschaft zur Nachholung des Visumverfahrens könnte die Urkundenüberprüfung im Bundesgebiet abgewartet werden. Ausgehend von der in der Auskunft vom 7. Juni 2021 genannten Bearbeitungszeit (einschließlich Urkundenüberprüfung) von vier bis fünf Monaten zuzüglich einer Wartezeit bis zum Termin von einem Jahr geht die Kammer bei gänzlichem Unterlassen von Vorbereitungsmaßnahmen - wie hier - von einer Trennungszeit von einem Jahr und fünf Monaten aus. Die genannten Zeiten sind jedoch allein auf Umstände in der Einflusssphäre des Antragstellers zurückzuführen, da ausweislich der Auskunft vom 7. Juni 2021 die reine Bearbeitungszeit zwei Wochen betragen würde. Bei verweigerter Mitwirkung im Visumverfahren gebietet Art. 6 Abs. 1 GG es nicht, das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Sichtvermerkverfahrens gänzlich zurückzustellen, da dies keinen schonenden Ausgleich der familiären Belange des Antragstellers und der gegenläufigen öffentlichen Interessen mehr bedeuten würde (BayVGH, U.v. 7.12.2021 - 10 BV 21.1821 - juris Rn. 42; B.v. 30.7.2021 - 19 ZB 21.738 - juris Rn. 21 m.w.N.; OVG Berlin-Bbg, B.v. 8.7.2019 - OVG 3 N 147.17 - juris Rn. 8). Wenn die durch die Nachholung des Visumverfahrens einhergehende Trennung des Antragstellers von seinem Kind einen längeren Zeitraum als die reine Bearbeitungszeit des Visumverfahrens beansprucht, so beruht dies (und eine dadurch etwaig eintretende bzw. stärkere Beeinträchtigung des Kindeswohls) vorliegend auf der eigenverantwortlichen Entscheidung des Antragstellers, zumutbare Mitwirkungshandlungen wie die online zu bewerkstelligende Registrierung bei der Deutschen Botschaft nicht zu erfüllen. In einem solchen Fall kann dies auch in Anbetracht des Alters der Tochter des Antragstellers längere Trennungszeiten zumutbar machen. Verweigert sich ein Ausländer von vornherein jeglicher Bereitschaft und Mitwirkung, ein Visumverfahren nachzuholen, vermag die daraus resultierende längere Bearbeitungsdauer ihn nicht dergestalt zu privilegieren, einen Aufenthaltstitel ohne Durchführung des erforderlichen Visumverfahrens zu erhalten. Der Antragsteller hätte es vorliegend durch Bekundung der Bereitschaft zur Nachholung des Visumverfahrens und die Einleitung der von der Behörde aufgezeigten Schritte selbst in der Hand gehabt, wesentliche Verfahrensabschnitte (Dauer bis zur Terminvergabe, Urkundenüberprüfungsverfahren) im Bundesgebiet absolvieren zu können. Resultiert die prognostizierte Dauer mithin maßgeblich auf der völligen Weigerungshaltung des Antragstellers zur Mitwirkung, wird ihm und seinem Kind die dadurch begründete längere Trennungszeit zumutbar sein. Hätte der Antragsteller die Bereitschaft zur Nachholung des Visums erklärt und die erforderlichen Vorbereitungshandlungen (Registrierung und die durch die Ausländerbehörde in Amtshilfe beauftragte Urkundenüberprüfung) im Bundesgebiet veranlasst, wäre nach individueller Auskunft der Deutschen Botschaft Islamabad im vorliegenden Verfahren vom 7. Juni 2021 von einer Bearbeitungszeit von zwei Wochen auszugehen gewesen, einer mithin zweifellos zumutbaren Trennungszeit. Dies rechtfertigt es, ihm trotz bestehender familiärer Lebensgemeinschaft mit einem minderjährigen Kind die maßgeblich aus der verweigerten Mitwirkung resultierenden längeren Bearbeitungs- und Trennungszeiträume zuzumuten. Es liegt in der besonderen Verantwortung des Antragstellers, zusammen mit dem anderen Elternteil die unter diesen Umständen ggf. längere Abwesenheit so familien- und kindeswohlverträglich wie möglich zu gestalten (vgl. Dietz, Die Nachholung des Visumverfahrens, NVwZ-Extra 2022, S. 1 ff., insb. S. 7).
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Sonstige Duldungsgründe sind weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Stand Juli 2013.