Inhalt

ArbG Nürnberg, Beschluss v. 17.03.2022 – 12 Ca 6393/20
Titel:

Streitwertbemessung bei Kündigungsschutz- und Weiterbeschäftigungsantrag

Normenkette:
GKG § 42
Leitsatz:
Bei einem Weiterbeschäftigungsanspruch, der im Kündigungsrechtsstreit nicht ausdrücklich hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit einem Kündigungsschutzantrag gestellt worden ist, handelt es sich auch dann um einen uneigentlichen Hilfsantrag, der bei Beendigung des Rechtsstreits durch Vergleich den Streitwert nicht erhöht, wenn er in der Klageschrift zwar nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet worden ist, sich aber aus der Klagebegründung seine Abhängigkeit vom Erfolg des Feststellungsbegehrens ergibt (Anschluss an LAG Nürnberg BeckRS 2016, 70974 Rn. 17 f.). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kündigungsschutzklage, Vergleichsmehrwert, Weiterbeschäftigungsanspruch, uneigentlicher Hilfsantrag
Vorinstanz:
ArbG Nürnberg, Beschluss vom 24.02.2022 – 12 Ca 6393/20
Fundstelle:
BeckRS 2022, 30892

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Klägervertreters vom 09.03.2022 wird der Beschluss vom 24.02.2022 abgeändert. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Verfahren auf 76.986,43 € und der überschießende Vergleichswert auf 20.969,30 € festgesetzt.
2. Im Übrigen wird der Beschwerde nicht abgeholfen.
3. Soweit der Beschwerde nicht abgeholfen wurde, wird das Verfahren dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Gründe

I.
1
Der Klägervertreter wendet sich mit seiner Beschwerde gegen den Beschluss vom 24.02.2022, in dem der Wert des Streitgegenstandes für das Verfahren auf 67.133,90 € und der überschießende Vergleichswert auf 20.000,00 € festgesetzt worden ist.
2
Gegenstand des Verfahrens waren eine ordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.09.2020 zum 28.02.2021, eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 25.11.2020 zum 30.04.2021, eine weitere außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 17.12.2020 zum 31.05.2021, ein Weiterbeschäftigungsanspruch sowie Zahlungsansprüche des Klägers. Das Bruttomonatsgehalt des Klägers wurde von diesem in der Klageschrift mit „über 10.000,00 €“ angegeben. Das Verfahren endete mit einem Vergleich vom 23.02.2022. Auf die darin enthaltenen Regelungen wird verwiesen.
3
Der Klägervertreter rügt mit seiner Beschwerde, der Streitwert sei zu niedrig angesetzt worden. Im Jahr 2019 habe der Kläger ausweislich der Lohnsteuerbescheinigung ein Jahresbruttogehalt von 125.815,85 € erhalten, so dass das Bruttomonatsgehalt 10.484,65 € betrage.
4
Das Vorgehen gegen die drei streitgegenständlichen Kündigungen sei jeweils mit drei Bruttomonatsgehältern zu bewerten. Der Weiterbeschäftigungsanpruch sei mit einem weiteren Bruttomonatsgehalt zu bewerten. Unter Hinzurechnung der geltend gemachten Zahlungsansprüche betrage der Streitwert insgesamt 118.925,53 €.
5
Für die im Vergleich vereinbarte Freistellung für 19 Monate seien 4,75 Bruttomonatsgehälter anzusetzen (19 × 0,25 Bruttomonatsgehälter). Für die Vereinbarung, dass Vorwürfe nicht aufrecht erhalten würden, sei ein weiteres Bruttomonatsgehalt anzusetzen. Für die Vereinbarung über die Erteilung eines Zwischen- und eines Endzeugnisses seien weitere zwei Bruttomonatsgehälter anzusetzen. Insgesamt sei der überschießende Vergleichswert auf 81.256,04 € festzusetzen.
6
Auf die Beschwerdebegründung wird ergänzend verwiesen.
II.
7
Der zulässigen Beschwerde wird zum Teil abgeholfen. Der Wert des Streitgegenstandes ist wie aus dem Tenor ersichtlich neu festzusetzen.
8
1. Bei der ursprünglichen Streitwertfestsetzung hatte das Gericht auf Grund der Angabe in der Klageschrift ein Bruttomonatsgehalt von 10.000,00 € zu Grunde gelegt. Angesichts der vom Klägervertreter nunmehr in Bezug genommenen Lohnsteuerbescheinigung kann stattdessen wie beantragt ein Bruttomonatsgehalt von 10.484,65 € zu Grunde gelegt werden.
9
2. Hinsichtlich der Kündigung vom 10.09.2020 zum 28.02.2021 ist demnach ein Streitwert von drei Bruttomonatsgehältern anzusetzen, also 31.453,95 €.
10
3. Der geltend gemachte Weiterbeschäftigungsanspruch ist nicht gesondert mit einem Bruttomonatsgehalt zu bewerten.
11
Über ihn ist keine Entscheidung ergangen. Zwar wurde er nicht ausdrücklich hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag gestellt. Nach der Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg handelt es sich bei dem ab dem Entlassungstermin der angegriffenen Kündigung gestellten Weiterbeschäftigungsantrag aber auch dann um einen uneigentlichen Hilfsantrag, wenn er in der Klageschrift nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet worden ist, sich aber aus der Klagebegründung seine Abhängigkeit vom Erfolg des Feststellungsbegehrens ergibt. Dies entspricht dem Interesse der klagenden Partei an einem kostenschonenden Vorgehen. Liegen keine gegenteiligen Anhaltspunkte vor, darf davon ausgegangen werden, dass kostenschonend vorgegangen werden sollte (vgl. LAG Nürnberg 08.07.2016 – 4 Ta 78/16).
12
So liegt der Fall hier. Anhaltspunkte dafür, dass der Weiterbeschäftigungsantrag nicht von dem Feststellungsbegehren abhängig gemacht werden soll, liegen nicht vor. Aus der Klageschrift ergibt sich nicht, dass der Kläger nicht den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch geltend machen will. Dieser ist abhängig von einem Obsiegen der Klagepartei mit der erhobenen Kündigungsschutzklage.
13
4. Die mit Schriftsatz vom 22.10.2020 geltend gemachten Zahlungsansprüche für die Monate April, Mai und Juni 2020 sind in der jeweils geltend gemachten Höhe zu berücksichtigen. Der Streitwert hierfür beträgt insgesamt 1.814,72 € + 1.361,04 € + 473,18 € = 3.648,94 €.
14
5. Hinsichtlich der mit Schriftsatz vom 16.12.2020 angegriffenen weiteren Kündigung vom 25.11.2020 zum 30.04.2021 beträgt der streitige weitere Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im Vergleich zur ersten Kündigung zwei Monate, so dass weitere zwei Bruttomonatsgehälter anzusetzen sind, also 20.969,30 €.
15
6. Der geltend gemachte Zahlungsanspruch für November 2020 in Höhe von 6.944,63 € ist in der geltend gemachten Höhe zu berücksichtigen.
16
7. Hinsichtlich der mit Schriftsatz vom 22.12.2020 angegriffenen weiteren Kündigung vom 17.12.2020 zum 31.05.2021 beträgt der streitige weitere Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im Vergleich zur zweiten Kündigung einen Monat, so dass ein weiteres Bruttomonatsgehalt in Höhe von 10.484,65 € anzusetzen ist.
17
8. Die weiteren mit Schriftsätzen vom 26.07.2021 und vom 08.02.2022 geltend gemachten Zahlungsansprüche betreffend die Direktversicherung sind in der jeweils geltend gemachten Höhe zu berücksichtigen. Der Streitwert hierfür beträgt damit 2 × 1.742,48 € = 3.484,96 €.
18
Insgesamt ergibt sich ein Streitwert für das Verfahren in Höhe von 76.986,43 €.
19
9. Der überschießende Vergleichswert ist auf 20.969,30 € festzusetzen.
20
a) Die unter Ziffer 1. des Vergleichs vereinbarte Veränderung des Beendigungszeitpunkts auf den 30.06.2022 führt gemäß Nr. 1.25.1.1 des Streitwertkatelogs, an dem sich das Gericht orientiert, nicht zu einem diesbezüglichen Vergleichsmehrwert.
21
b) Für die unter Ziffer 3. des Vergleichs vereinbarte Freistellung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann entsprechend Nr. 1.25.1.4 des Streitwertkatalogs ein weiteres Bruttomonatsgehalt in Höhe von 10.484,65 € angesetzt werden. Der Auffassung des Klägervertreters, hierfür seien pro Monat 0,25 Bruttomonatsgehälter und damit 4,75 Bruttomonatsgehälter anzusetzen, ist demgegenüber nicht zu folgen. Das Gericht orientiert sich am Streitwertkatalog, welcher ausdrücklich eine Bewertung mit „bis zu“ einer Monatsvergütung vorsieht, und hält dies für angemessen und ausreichend.
22
c) Die unter Ziffer 5. des Vergleichs vereinbarte Verpflichtung der Beklagten, Vorwürfe, die im Verhalten der Klagepartei begründet lagen, auch Dritten gegenüber nicht weiter aufrecht zu erhalten, ist entgegen der Auffassung des Klägervertreters nicht gesondert zu bewerten. Eine gesonderte wirtschaftliche Bedeutung kommt dieser Vereinbarung nicht zu.
23
d) Für die Vereinbarung über die Erteilung eines Zwischen- und eines Endzeugnisses ist insgesamt ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 10.484,65 € anzusetzen. Der Auffassung des Klägervertreters, hierfür seien zwei Bruttomonatsgehälter anzusetzen, wird nicht gefolgt. Angesichts der in Nr. 1.29.3 des Streitwertkatalogs enthaltenen Wertung, dass insgesamt eine Monatsvergütung zu berücksichtigen ist, wenn kumulativ ein Zwischen- und ein Endzeugnis verlangt wird, ist das Gericht auch in dem vorliegenden Fall einer vergleichsweisen Einigung über ein Zwischen- und Endzeugnis der Auffassung, dass die Bewertung mit einem Bruttomonatsgehalt ausreichend und angemessen ist.
24
Der Beschwerde wird nach alledem in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang abgeholfen. Soweit der Beschwerde nicht abgeholfen wird, ist das Verfahren dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorzulegen.