Inhalt

LG München I, Beschluss v. 25.05.2022 – 15 O 17883/21
Titel:

Kein Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe

Normenketten:
ZPO § 114
BGB § 199, § 823, § 839
Leitsätze:
1. Sind etwaige Leistungsansprüche des Klägers auf Grundsicherung verjährt, hat die Klage allein deshalb keine Aussicht auf Erfolg, weshalb Prozesskostenthilfe abzulehnen ist. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Besteht die behauptete Amtspflichtverletzung in der Nichterfüllung eines angeblich fälligen Geldanspruchs, so kann die Erfüllung dieses Anspruchs nicht unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes verlangt werden, da die Nichterfüllung als solche, die den Anspruch bestehen lässt, keinen Schaden im Sinne des § 839 BGB bedeutet. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verjährung, Prozesskostenhilfe, Amtspflichtverletzung, Erfolgsaussichten, Schadensersatz
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 11.07.2022 – 1 W 723/22
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 20.10.2022 – III ZA 18/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 30597

Tenor

Der Antrag des Klägers vom 26.12.2021 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

A.
1
Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 26.12.2021 Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt.
2
Er macht geltend, er habe im Jahr 2005 Grundsicherung im Alter bei der Antragsgegnerin beantragt. Die beklagte Partei habe ihm rechtswidrig die beantragte Leistung versagt. Im sozialgerichtlichen Verfahren vor dem Bayerischen Landessozialgericht L 8 SO 248/12 habe er obsiegt. Dennoch sei keine Grundsicherung im Alter geleistet worden. Im sozialgerichtlichen Verfahren 46 SO 453/18 vor dem Sozialgericht München habe er sodann erneut die Leistung Grundsicherung im Alter geltend gemacht. Dieses Verfahren sei aufgrund Vergleichsschlusses vom 10.11.2021 beendet worden. Der Vergleichsschluss betreffe aber nur die Leistungsansprüche ab Juli 2007, nicht aber den vom Kläger geltend gemachten Leistungsanspruch ab dem Zeitpunkt der Antragstellung auf Grundsicherung im Dezember 1995.
3
Dem Antragsteller sei aufgrund der bis November 2021 laufenden Verfahren vor der Sozialgerichtsbarkeit sein Klagebegehren auf Schadensersatz im hiesigen Verfahren erst zum Zeitpunkt der Antragstellung vom 26.12.2021 möglich gewesen. Es bestehe auch ein Schadensersatzanspruch wegen fehlender Beratung durch die Sozialbehörde. Weil der Schadensersatz aus der Verletzung des klägerischen Lebens und der Gesundheit resultiere, sei keine Verjährung eingetreten.
4
Im Hinblick auf die von der Antragsgegnerseite erhobene Einrede der Verjährung führt der Antragsteller aus, das Instrument der Verjährung sei im öffentlichen Recht - und damit auch im Sozialversicherungsrecht - grundsätzlich nicht anzuwenden, da die Verjährungsfristen hier von Amts wegen zu prüfen seien. Verjährung sei auch deshalb nicht eingetreten, weil der Schaden erst durch den Vergleich vor dem Sozialgericht München vom 10.11.2021 habe benannt werden können.
5
Betreffend den Zeitraum Dezember 2005 bis zum Datum des Vergleichsschlusses habe sich der Kläger mit seinem Antrag auf Leistung von Grundsicherung im Alter auch mehrfach an die Beklagte gewandt, zuletzt mit Schreiben vom 08.11.2021.
6
Mit Schreiben vom 26.02.2022 trägt der Antragsteller vor, die beklagte Partei habe dem Kläger den ihm zustehenden Anspruch auf Leistung von Mehrbedarf aufgrund Schwerbehinderung mit zuerkanntem Merkzeichen G nicht geleistet und entsprechende Beratungspflichten verletzt. Bereits im Schwerbehindertenausweis vom 26.07.2013 sei das Merkzeichen „G“ vermerkt.
7
Mit Schreiben vom 12.03.2022 führt der Antragsteller aus, allein aufgrund des Umstands, dass die Beklagte die Erhöhung des Regelsatzes wegen Mehrbedarfszuschlags auf Grund des Merkzeichens G nicht geleistet habe, sei der Kläger um einen Betrag von 17.581,01 EUR geschädigt worden.
8
Mit Schreiben vom 12.05.2022 macht der Antragsteller geltend, er habe dem Sozialreferat der Landeshauptstadt M. mit Schreiben vom 17.07.2006 mitgeteilt, dass sich der Grad der Behinderung geändert habe. Dem Antragsteller sei unter dem 16.02.2006 ein ÄnderungsBescheid des ZBFS, Region Oberfranken zugesandt worden, in dem das Merkzeichen „G“ ausgewiesen sei.
9
Die Antragsgegnerin hat vorgebracht, sie erhebe bzgl. eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB XII in der Zeit von 1995 bis Juni 2007 die Einrede der Verjährung. Ansprüche auf Sozialleistungen verjährten nach 4 Jahren, § 45 SGB I. Dieser Anspruch sei im Übrigen vor dem Sozialgericht geltend zu machen.
10
Konkrete Beratungspflichtverletzungen seien nicht vorgetragen, ebenso wenig ein hieraus entstandener Schaden. Bzgl. etwaiger Schadensersatzansprüche aus fehlender Beratung werde ebenfalls die Einrede der Verjährung erhoben.
11
Gemäß § 114 Abs. 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
12
Die beantragte Prozesskostenhilfe war nicht zu bewilligen, da die beabsichtigte Klage keine Aussicht auf Erfolg hat.
I.
13
Soweit der Kläger vorbringt, ihm stünden noch Ansprüche aus den Jahren ab 1995 auf Gewährung von Grundsicherung bzw. wegen Verletzung entsprechender Beratungspflichten zu, geht aus seinem Vortrag nicht hervor, welche konkrete Beratungspflichten verletzt worden sein sollen und welcher Schaden gerade aus der Verletzung von Beratungspflichten entstanden sein soll. Zudem steht derartigen Ansprüchen für den vom Kläger genannten Zeitraum 1995 bis Juli 2007 die Einrede der Verjährung entgegen. Die Antragsgegnerin hat die Einrede erhoben. Sollte die Antragsgegnerin im Zeitraum 1995 bis 2007 Beratungspflichten zum Thema Leistung von Grundsicherung im Alter verletzt haben, sind etwaige Schadensersatzansprüche verjährt. Schadensersatzansprüche nach § 839 BGB unterliegen der Regelverjährung nach § 199 BGB und nicht etwaigen sozialrechtlichen Regelungen. Die absolute Verjährungsfrist beträgt nach § 199 Abs. 3 S. 1 Nr. BGB 10 Jahre ab Entstehung der Ansprüche. Mithin ist Verjährung spätestens mit Ablauf von 10 Jahren nach dem gerügten Zeitraum eingetreten. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass eine Verletzung des Lebens, des Körpers der Gesundheit oder der Freiheit erfolgt ist, hat der Antragsteller nicht vorgetragen, so dass die Regelung des § 199 Abs. 2 BGB nicht einschlägig ist. Eine Verletzung des Körpers oder der Gesundheit im Sinne von § 199 Abs. 2, § 823 Abs. 1 BGB setzt einen Eingriff in die körperliche Integrität oder Befindlichkeit voraus. Eine solche ergibt sich nicht allein daraus, dass es vorliegend um die Gewährung von Grundsicherung geht.
II.
14
In Bezug auf etwaige Ansprüche aufgrund von Mehrbedarfs wegen des Merkzeichens G macht der Antragsteller Ansprüche auf die ursprüngliche Sozialleistung (Primärleistung) geltend, die er nach eigenem Vortrag mit Antrag vom 30.12.2005 beantragt hatte. Diese kann nicht im Wege des Schadensersatzes verfolgt werden. Besteht die behauptete Amtspflichtverletzung in der Nichterfüllung eines angeblich fälligen Geldanspruchs, so kann die Erfüllung dieses Anspruchs nicht unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes verlangt werden, da die Nichterfüllung als solche, die den Anspruch bestehen lässt, keinen Schaden im Sinne des § 839 BGB bedeutet (Staudinger/Wöstmann 2020, § 839 BGB Rn. 242 mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Andernfalls könnte die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte bzw. Sozialgerichte dadurch umgangen werden, dass der Antragsteller unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes aus Amtspflichtverletzung wegen Nichterfüllung seiner Ansprüche die ordentlichen Gerichte angeht. Der Antragsteller konnte diese Ansprüche im Sozialverwaltungsverfahren bzw. sozialgerichtlichen Verfahren geltend machen.
15
Auch eine Beratungspflichtverletzung und ein entsprechender Schadensersatzanspruch bzgl. eines Mehrbedarfs durch die Beklagte ist nicht erkennbar. Nicht dargelegt ist, welche Beratung geschuldet gewesen sein soll und welche Maßnahmen der Antragsteller bei ordnungsgemäßer Beratung ergriffen hätte, sowie welcher Schaden hieraus entstanden sein soll. Zudem ist nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher Umstände die Behörde Kenntnis davon gehabt haben soll, dass bei dem Antragsteller eine Schwerbehinderung mit Merkzeichen „G“ vorlag. Nach § 30 SGB XII ist Tatbestandsvoraussetzung für die Gewährung eines Mehrbedarfs, dass der Betroffene die Feststellung des Merkzeichens „G“ der Behörde durch einen Ausweis nach § 152 Abs. 5 SGB IX nachweist. Dass eine derartige Vorlage erfolgt ist, geht aus dem Vortrag des Antragstellers nicht hervor. In dem Schreiben vom 17.06.2006 ist die Feststellung des Merkzeichens „G“ nicht erwähnt. Nach seinem Bekunden hat er zwar mitgeteilt, dass der Grad der Schwerbehinderung sich geändert habe. Dass auch die Feststellung des Merkzeichens „G“ gegeben ist, ist aus dem Schreiben jedoch nicht ersichtlich. Eine automatische Weiterleitung von Seiten des ZBFS an andere Behörden findet nicht statt. Auch aus dem Schreiben vom 31.08.2006 an das Sozialgericht München im Verfahren S 50 SO 375/06 ER ergibt sich nichts anderes. Offen bleiben kann, ob die Beklagte hiervon Kenntnis erlangte. Denn auch bei diesem Schreiben erfolgte kein Nachweis des Merkmals „G“ durch Vorlage des entsprechenden Ausweises.
16
Im Übrigen ist auch nicht zu erkennen, welche Beratungspflicht sich ergeben hätte, hätte die Behörde gewusst, dass das Merkzeichen „G“ in einem Ausweis des ZBFS bestätigt ist. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass geboten gewesen wäre, den Antragsteller auf Antragsmöglichkeiten hinzuweisen. Der Mehrbedarf wird im Rahmen des Antragsverfahrens über die Gewährung von Grundsicherung geprüft, also in dem Verfahren, dass der Antragsteller ohnehin 2005 beantragt und in dem er nach eigenem Vortrag entsprechende Eingaben gemacht hat.